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Nationale Geldschöpfung im Euroraum Kieler Diskussionsbeiträge

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Nationale Geldschöpfung im Euroraum

Mechanismen, Defekte, Therapie Stefan Kooths und Björn van Roye

Nr. 508/509 | Juni 2012

Kieler Diskussionsbeiträge

Institut für Weltwirtschaft Kiel

Web: www.ifw-kiel.de

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Telefon: +49/431/8814-579 E-Mail: stefan.kooths@ifw-kiel.de Björn van Roye

Institut für Weltwirtschaft 24100 Kiel

Telefon: +49/431/8814-225 E-Mail: bjoern.vanroye@ifw-kiel.de

KIELER DISKUSSIONSBEITRÄGE

Herausgegeben vom Institut für Weltwirtschaft 24100 Kiel

Tel: +49/431/8814-1; Website: http://www.ifw-kiel.de Schriftleitung:

Prof. Dr. Harmen Lehment

Tel: +49/431/8814-232; E-Mail: harmen.lehment@ifw-kiel.de

ISSN 0455-0420 ISBN 3-89456-333-8

© Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel 2012.

Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Werk oder Teile daraus in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder einem anderen Verfahren) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten oder zu verbreiten.

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Inhalt

1 Einleitung 3

2 Geldpolitik im Krisenmodus 4

2.1 Vertrauenskrise und Störungen des Interbankenmarktes 4 2.2 Unkonventionelle Geldpolitik und Risikomanagement des Eurosystems 6

2.3 Maßnahmen der nationalen Zentralbanken 11

2.4 Nationale Segmentierung im gemeinsamen Währungsraum 13

2.5 Target2-Salden 15

3 Finanzierungsmechanismen in der EWU 16

3.1 Wertpapiermarkt und sektoraler Finanzierungszusammenhang 16 3.2 Grenzüberschreitende Leistungstransaktionen bei Kapitalmarktfinanzierung

(Fall 1) 20

3.3 Leistungstransaktionen bei Zahlungsbilanzfinanzierung durch das Eurosystem

(Fall 2) 22

3.4 Kapitalflucht bei Zahlungsbilanzfinanzierung durch das Eurosystem (Fall 3) 24

3.5 Depositenflucht (Fall 4) 27

3.6 Interpretation der Target2-Positionen 29

3.7 Bankenkrisen, Finanzintermediation und das Eurosystem als Lender of Last

Resort 30

3.8 Kapitalmarkteffekte und Qualität der monetären Basis 36

4 Risiken des Status quo 37

4.1 Quantitative Lockerung und Funktionsfähigkeit der Interbankenmärkte 37 4.2 Qualitative Lockerung und Glaubwürdigkeit der Geldpolitik 38

4.3 Persistenz und Abbau von Target2-Positionen 39

4.4 Nationale Segmentierung und europäische Desintegration 40

4.5 Target2-Positionen und Fortbestand der EWU 42

5 Fazit und Therapie 42

6 Literatur 44

Die Autoren danken den Kollegen aus dem Prognose-Zentrum und dem Forschungsbereich Makroökonomische Politik in unvollkommenen Märkten für wertvolle Anregungen und Diskussionen.

(4)
(5)

If something cannot go on forever, it will stop.

Herbert Stein

Die Geldpolitik des Eurosystems operiert seit über vier Jahren im Krisenmodus. Kennzeichnend hier- für sind eine massive quantitative und qualitative Lockerung beim geldpolitischen Instrumentenein- satz. Dieser Kurs zielt vor allem auf eine Stabilisierung einzelner nationaler Bankensysteme ab. Als gravierendste Nebenwirkung kommt es zu einer erheblichen und bislang nicht gestoppten Zahlungs- bilanzfinanzierung durch das Eurosystem, die sich symptomatisch und zu großen Teilen an der Ent- wicklung der Target2-Salden ablesen lässt. Ursächlich hierfür ist eine asymmetrische Bereitstellung von Zentralbankgeld in einem national segmentierten Geschäftsbankenmarkt. Der Beitrag erklärt die zugrunde liegenden Finanzierungsmechanismen, diagnostiziert die sich daraus ergebenden Fehlent- wicklungen und zeigt Therapiemöglichkeiten auf. Hierzu zählen eine vertiefte monetäre Integration zur Umsetzung einer einheitlichen Geldpolitik sowie eine Finanzmarktordnung für den Euro-Wäh- rungsraum, die es den Zentralbanken erlaubt, insolventen Marktteilnehmern nicht beistehen zu müs- sen.

1 Einleitung

Sowohl die Ausgestaltung der Währungsordnung als auch die operative Geldpolitik zählen seit jeher zu den sensibelsten Bereichen der Wirtschaftspolitik. Grund hierfür ist, dass das Privileg der Zentralbankgeldschöpfung zur Verfolgung zweckfremder Ziele genutzt werden kann, ohne dass dies der breiten Öffentlichkeit sofort offenbar wird. Es wundert daher nicht, dass Regierungen über Jahrhunderte hinweg dieser Verführung nicht widerstehen konnten. Wiederkehrende Währungskrisen und massiver Geldwertverfall waren die Folgen.

Im Kern läuft der mögliche Missbrauch des Notenbankmonopols immer darauf hinaus, die Zentral- bankgeldschöpfung über die Bereitstellung eines universellen Zahlungsmittels hinaus zur Finanzie- rung von güterwirtschaftlichen Leistungstransaktionen heranzuziehen und damit in die Kapitalmarkt- ströme einzugreifen. Dies kann bewusst geschehen, etwa indem die Finanzpolitik eine von ihr abhän- gige Zentralbank per Dekret zum Aufkauf staatlicher Schuldverschreibungen zwingt. Die zentrale ordnungsökonomische Lehre war daher, die Führung der Zentralbank mit einem eng umrissenen Auf- gabenfeld (Bereitstellung eines wertstabilen Zahlungsmittels) einem von der übrigen Wirtschaftspoli- tik unabhängigen Gremium zu übertragen und ihr insbesondere die Finanzierung von Staatsdefiziten explizit zu verbieten.

Die Ausweitung der eigentlichen Zentralbankfunktion und eine daraus resultierende Vermengung von Zahlungsmittelbereitstellung und Kreditfinanzierung von Leistungstransaktionen können sich aber auch unbeabsichtigt aus dem mangelhaften Regelwerk einer Währungsordnung ergeben. Einen sol- chen Fall beobachten wir derzeit in der Europäischen Währungsunion (EWU). Zentralbankgeld wird in den verschiedenen Mitgliedsländern zu unterschiedlichen Konditionen unbegrenzt bereitgestellt.

Damit gehen fortdauernde Zahlungsbilanzungleichgewichte innerhalb des Währungsraums einher. Die Symptome zeigen sich seit einigen Jahren vor allem in Form drastisch steigender Target2-Positionen, über deren ökonomische Bedeutung seit einiger Zeit eine kontroverse Debatte geführt wird.1

____________________

1 Sinn (2012), Sinn und Wollmershäuser (2011), ifo-Schnelldienst (2011), Fahrholz (2012), Tornell und Westermann (2011), Bornhorst und Mody (2012), Deutsche Bundesbank (2011: Kasten 3), EZB (2011d: Kasten 4), Bindseil und König (2012), Buiter et al. (2011b) und Whelan (2011).

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Das Eurosystem (bestehend aus den nationalen Zentralbanken der EWU-Mitgliedsländer und der Europäischen Zentralbank) sieht sich derzeit in der Pflicht, die Finanzmarktstabilität zu wahren und in Teilen des Währungsraums eine sogenannte „Kreditklemme“ zu verhindern. Dementsprechend wur- den die Zentralbankgeldversorgung extrem ausgeweitet und die Refinanzierungskriterien aufgeweicht.

Dabei wird in Kauf genommen, dass auch solche Banken fortbestehen, die bei einem normalen Zu- schnitt der Geldversorgung aus dem Markt ausscheiden würden. Die Motivlage der Geldpolitik sowie die eingesetzten Instrumente und ihre Folgen zeigen wir im zweiten Kapitel auf. Hierbei spielen die Faktoren, die auch 13 Jahre nach der Gründung des gemeinsamen Währungsraums zu einer nationalen Segmentierung der Bankenmärkte führen, eine wichtige Rolle. Dem schließt sich im dritten Teil eine Betrachtung der intersektoralen und länderübergreifenden Finanzierungsmechanismen innerhalb der EWU an. Die Unterscheidung der Geldschöpfungs- und Kreditintermediationsfunktion des Finanz- sektors ist hierbei von besonderer Bedeutung. Diese Analyse zeigt die Mechanismen der Zahlungs- bilanzfinanzierung über das Eurosystem auf und erlaubt eine Einordnung der Target2-Salden. Im vierten Teil leiten wir daraus Risiken ab, die bei weiter schwelenden Bankenkrisen und einer Fortfüh- rung der derzeitigen Geldpolitik drohen. Schließlich skizzieren wir im fünften Teil die Grundzüge eines Ordnungsrahmens, der die diagnostizierten Fehlentwicklungen zukünftig verhindert und den Weg in einen integrierten, stabilitätsorientierten europäischen Währungsraum aufzeigt.

2 Geldpolitik im Krisenmodus

Die Finanzmarktturbulenzen, die aus der Subprime-Krise in den USA heraus schließlich in Bankenkri- sen in Ländern des Euroraum mündeten, veranlassten das Eurosystem im Herbst 2008 dazu, mit un- konventionellen Maßnahmen in den Markt einzugreifen und ihren geldpolitischen Rahmen zu verän- dern. Die Absicht lag vor allem darin, eine systemische Krise im Finanzsystem zu verhindern. Vor allem dürften die Träger der Geldpolitik das Risiko von Ansteckungseffekten unter systemisch rele- vanten Finanzinstituten so hoch eingeschätzt haben, dass ein Zusammenbruch des Zahlungssystems nicht mehr auszuschließen war.

Die Umstellung der geldpolitischen Ausrichtung mit einem höheren Gewicht auf die Finanzmarkt- stabilität hat unterdessen gravierende Probleme mit sich gebracht. Im Folgenden erläutern wir, welche Maßnahmen die Europäische Zentralbank (EZB) sowie die nationalen Zentralbanken ergriffen haben und in welcher Weise sie eine asymmetrische Zentralbankgeldversorgung im Eurosystem verstärken.

2.1 Vertrauenskrise und Störungen des Interbankenmarktes

Die Situation, in die die Geldpolitik im Euroraum geraten ist, hat ihren Ursprung in der Finanzkrise, die im Sommer 2007 nach dem Platzen der amerikanischen Subprime-Immobilienblase einsetzte. Ge- nerell ergeben sich für eine Notenbank in einem teilgedeckten Reservesystem unmittelbar operative Probleme, falls es im Zuge einer Finanzkrise zu einer Vertrauenserosion zwischen den Geschäftsban- ken kommt. Der Interbankenmarkt hat in einem solchen Reservesystem die Funktion, Zentralbank- liquidität zu verteilen. Da Banken durch Zu- und Abflüsse Liquiditätsschwankungen ausgesetzt sind, die bei weitem nicht von den Mindestreserveguthaben bei der Zentralbank kompensiert werden, kön- nen die Banken diese Liquidität am Interbankenmarkt leihen oder verleihen. In normalen Zeiten muss die Zentralbank daher nur über die Höhe der insgesamt bereit gestellten Zentralbankgeldmenge ent- scheiden – der Interbankenmarkt übernimmt die Allokation der monetären Basis zwischen allen Ge- schäftsbanken.

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Abbildung K1-1:

Geldmarktzinsen im Euroraum 2007–2012

0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0

0 1 2 3 4 5 6

2007 2008 2009 2010 2011 2012

Prozent Euribor

Eurepo Differenz (rechte Skala)

Prozentpunkte

Wochendaten; Euribor: Zinssatz für unbesichertes Dreimonatsgeld; Eurepo: Zinssatz für besichertes Dreimonatsgeld.

Quelle: EZB (2012a); eigene Berechnungen.

Abbildung K1-2:

Einlagen und Mindestreserven 2003–2012

0 50 100 150 200 250 300 350

2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Mrd. Euro

Mindest- reservepflicht Mindest- reserveeinlagen

Quelle: EZB (2012a).

Kasten 1:

Verspannungen im europäischen Interbankenmarkt Mit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr

2007 und der darauf folgenden euro- päischen Schuldenkrise kam es zu einer weitreichenden Funktionsstörung des Interbankengeldmarktes im Euroraum.

Vor dem Hintergrund der Liquiditäts- und Solvenzprobleme einzelner Banken trat eine tiefgreifende Vertrauenskrise der Banken untereinander ein. Vor allem dürfte das Ausfallrisiko eines Geschäfts- partners für die Banken nach den Liqui- ditätsproblemen von Bear Sterns and Northern Rock merklich höher einge- schätzt worden sein als zuvor. Dies führte zu einer Segmentierung des Inter- bankengeldmarkts in Finanzinstitute mit Liquiditätsüberschüssen und -defiziten, zwischen denen kein Ausgleich mehr stattfand (vgl. Projekt Gemeinschafts- diagnose 2010: Kasten 5.1).

Am 8. August 2007 zog der Zinsauf- schlag von besicherten gegenüber unbe- sicherten Geldmarktkrediten, der das Kreditausfallrisiko eines Geschäftspart- ners am Geldmarkt zum Ausdruck bringt, erstmals seit Bestehen der Wäh- rungsunion spürbar an (Abbildung K1- 1).a Nachdem sich die Risikoaufschläge zwischenzeitlich reduziert hatten, sind sie im Zuge der Zuspitzung der Schul- denkrise in den Peripherieländern merk- lich gestiegen. Zudem nahm die In- anspruchnahme der ständigen Fazilitä- ten der Zentralbank (Abbildung K1-2) merklich zu und der vertikale Liquidi- tätsausgleich mit der EZB stieg deutlich

(Abbildung K1-3)b. Darüber hinaus verringerten sich die Transaktionen für Reserven auf dem Interbankenmarkt trotz der reichlichen Überschussliquidität merklich (EZB 2011a; EZB 2011b).

Schließlich sank der Tagesgeldsatz EONIA dauerhaft unter den Hauptrefinanzierungssatz.c All diese Entwicklungen weisen auf eine deutlich eingeschränkte Funktionsfähigkeit des Inter- bankengeldmarktes hin.

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Abbildung K1-3:

Ständige Fazilitäten 2003–2012

0 2 4 6 8 10 12 14

0 100 200 300 400 500 600 700 800 900

2003 2005 2007 2009 2011

Mrd. Euro

Einlagefazilität Spitzenrefinan-

zierungs- fazilität (rechte Skala)

Mrd. Euro

Quelle: EZB (2012a).

aIm Falle eines Zahlungsausfalls der Schuldnerbank geht bei einem un- besicherten Geschäft der kreditge- benden Bank der Kredit verloren, wohingegen diese bei einem be- sicherten Geschäft die eingereichte Sicherheit behalten kann. — bUnter vertikalem Liquiditätsausgleich ver- steht man höhere Liquiditätsschwan- kungen der Gesamtsalden aller Zentralbankkonten der Geschäfts- banken. Bei einem horizontalen Liquiditätsausgleich bleiben die Gesamtsalden im Zeitlauf relativ konstant, und der Liquiditätsaus- gleich wird unter den Banken selber durchgeführt. Der vertikale Liquidi- tätsausgleich kann somit ein Indi- kator für einen nicht reibungslos funktionierenden Interbankenmarkt sein (de la Motte et al. 2010). — cEONIA steht für Euro OverNight Index Average und ist der Referenzzinssatz für Tagesgeld, welches am Inter- bankenmarkt gehandelt wird.

Eine Vertrauenskrise am Interbankenmarkt führt typischerweise zu Liquiditätsengpässen einzelner Finanzinstitute. Dies ist seit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise im Jahr 2007 im Euroraum der Fall (Kasten 1). Insbesondere kann in einer tiefgreifenden Vertrauenskrise nicht ausgeschlossen werden, dass auch solvente Banken vorübergehend vom Liquiditätsausgleich ausgeschlossen werden. Öffnet die Zentralbank in einer solchen Situation die Geldschleusen, so muss sie in Kauf nehmen, dass der marktwirtschaftliche Ausleseprozess verhindert wird, da bei der Diagnose einer „allgemeinen Vertrau- enskrise“ per definitionem jede Bank Liquiditätshilfen durch die Zentralbank in Anspruch nehmen können muss.2

2.2 Unkonventionelle Geldpolitik und Risikomanagement des Eurosystems

Das Eurosystem hat seit dem 8. Oktober 2008 zahlreiche unkonventionelle Maßnahmen eingeführt (Kasten 2).3 Die Hauptrefinanzierungsgeschäfte wurden vom zuvor üblichen amerikanischen Zins- tenderverfahren auf eine Politik der Vollzuteilung zu festem Zinssatz umgestellt. Daneben wurden zahlreiche längerfristige liquiditätszuführende Geschäfte angeboten, bei denen sich die Geschäftsban- ken Zentralbankgeld für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren leihen können. Schließlich wurden die ____________________

2 Schon Thornton (1802) und Bagehot (1873) identifizierten die verlässliche Unterscheidung zwischen insolventen und vorübergehend illiquiden Banken als ein fundamentales Problem der Zentralbanken.

3 Diese Maßnahmen wurden anfangs damit begründet, dass die Verschärfung der Finanzkrise zu Abwärtsrisiken für die Konjunktur geführt hat und sich die Risiken für die Preisstabilität infolgedessen verringert haben (EZB 2008b: 5). Zu späteren Zeitpunkten wurde vermehrt auf den gestörten geldpolitischen Transmissionsmechanismus, den Zusammenbruch des Interbankenmarktes und die Zinsuntergrenze von null verwiesen (Bini-Smaghi 2009).

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Kasten 2:

Unkonventionelle Maßnahmen der EZB

Seit Ausbruch der Finanzkrise hat die EZB zahlreiche Maßnahmen ergriffen, von denen sie in der Zeit davor keinen Gebrauch gemacht hatte (Abbildung K2-1). Offiziell hat sie die Maßnahmen unter dem Oberbegriff „Erweiteter Ansatz zur Unterstützung der Kreditvergabe“ ergriffen.

Umstellung des Verfahrens für geldpolitische Operationen

Mit den Beschlüssen vom 8. Oktober 2008 hat der EZB-Rat die Refinanzierungsoperationen von einer Quantitätspolitik auf eine direkte Zinspolitik umgestellt: Bis zum Oktober 2008 wurde den Geschäftsbanken im Rahmen von zweiwöchigen Tendergeschäften ein fester Betrag an Zentral- bankgeld zur Verfügung gestellt. Im Rahmen von Zinstendern nach amerikanischem Verfahren gaben die Geschäftsbanken bei diesen Auktionen Zinsgebote ab um auf dieses Zentralbankgeld zugreifen zu können.a Bei hoher Liquiditätsnachfrage einer Geschäftsbank musste sie entspre- chend höhere Zinsen dafür bieten. Sollte einer Geschäftsbank mehr Zentralbankgeld zufließen, als sie für ihre Geschäftstätigkeit benötigt, so konnte sie diese Überschussliquidität (Zentralbank- geld, das nicht als Mindestreserve gebunden ist) am Geldmarkt einer anderen Bank weiterverlei- hen. Dank dieses Systems hielten die Geschäftsbanken vor der Finanzkrise keine nennenswerte Überschussliquidität. Der Geldmarktzins für Übernachtkredite EONIA schwankte angesichts des effizienten Liquiditätsausgleichs zwischen den Banken bis zur Umstellung auf Vollzuteilung um den Hauptrefinanzierungssatz. Hintergrund der Umstellung waren zunehmende Turbulenzen im Bereich der sehr kurzfristigen Laufzeiten. Dabei hat der EZB-Rat seine Entscheidung vor allem damit begründet, dass der Liquiditätsbedarf der Banken in einem segmentierten Geldmarkt in dieser Zeit merklich gestiegen ist, was am Auseinanderlaufen des marginalen Zinssatzes und des festgelegten Mindestbietungssatzes zu erkennen war (EZB 2008b: Kasten 2). Seit der Umstellung auf die Vollzuteilungspolitik können sich alle Geschäftsbanken Zentralbankgeld in unbegrenzter Höhe zu einem festen Zinssatz bei den Refinanzierungsgeschäften besorgen. Das Geldangebot ist also vollkommen zinselastisch. Dies hat dazu geführt, dass die Geschäftsbanken, insbesondere jene, die vom Interbankenmarkt abgeschnitten sind, zunehmend auf die Zentralbank als Refinan- zierungsquelle zurückgreifen. Der kurzfristige Geldmarktzins ist infolge der sehr großzügig aus- gestalteten Liquiditätsbereitstellung unter den Hauptrefinanzierungssatz gefallen.b

Längerfristige Refinanzierungsgeschäfte

Seit dem 15. Oktober 2008 bietet das Eurosystem in unregelmäßigen Abständen Refinanzie- rungsgeschäfte an, die eine Laufzeit von 6, 12 und zuletzt sogar 36 Monaten haben. Die ersten längerfristigen liquiditätszuführenden Geschäfte wurden zu einem über die Laufzeit festen Zins- satz zugeteilt. Bei den Dreijahresgeschäften ist der Zinssatz indexiert und orientiert sich am durchschnittlichen maßgeblichen Leitzins über den Zeitraum. Bei den Refinanzierungsgeschäften mit dreijähriger Laufzeit haben die Geschäftsbanken die Option, den Zentralbankkredit nach ei- nem Jahr vorzeitig zu tilgen.

Ankauf von Pfandbriefen

Im Rahmen von zwei verschiedenen Programmen hat die EZB in Euro denominierte Pfandbriefe gekauft. Das erste Programm, das vom 7. Mai 2009 bis zum 30. Juni 2011 durchgeführt wurde, belief sich auf ein Gesamtvolumen von 60 Mrd. Euro. Dabei hat sie Pfandbriefe sowohl am

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Abbildung K2-1:

Unkonventionelle Maßnahmen des Eurosystems 2008–2012

8 9 10 11 12 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 1 2 3 4 5 6 Hauptrefinanzierungsgeschäften

Längerfristigen Repogeschäften Sonderrepogeschäften 6-monatige Refigeschäfte

12-monatige Repogeschäfte 36-monatige Repogeschäfte

Refinanzierungsgeschäfte (Swaps) in US-Dollar Preisreduzierung für US-Dollar Swapgeschäfte Pfandbriefprogramm I

Programm für die Wertpapiermärkte Pfandbriefprogramm II

Änderungen der Sicherheitenanforderungen

Mindestreservesatz (Prozent) 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 1 1 1 1 1 1

2011 2012

Monat Vollzuteilung bei

Jahr 2008 2009 2010

Die dunkel schattierten Felder bedeuten, dass die Maßnahmen in dem jeweiligen Monat implementiert wurden, die hell schattierten Felder bedeuten, dass die Effekte von vorangegangenen Operationen noch gegenwärtig sind; Änderungen der Sicherheitenanforderungen: Die Pfeile bedeuten eine Lockerung der Anforderungen für notenbankfähige Sicherheiten.

Quelle: Basierend auf EZB (2012a).

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Primär- als auch am Sekundärmarkt erworben, die die Sicherheitenanforderungen für Refinanzie- rungsgeschäfte beim Eurosystem erfüllen und eine Rating besitzen, das nicht unter BBB-/Baa3 liegt. Am 6. Oktober 2011 beschloss der EZB-Rat ein zweites Pfandbriefprogramm, das 40 Mrd.

Euro betragen und von November 2011 bis Oktober 2012 laufen soll. Dabei sind die Bedingungen für die Teilnahme an den Geschäften denen aus dem ersten Pfandbriefprogramm vergleichbar.

Ankauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt (Programm für die Wertpapiermärkte) Am 10. Mai 2010 beschloss der EZB-Rat, Staatsanleihen ausgewählter Peripherieländer am Se- kundärmarkt anzukaufen. Insbesondere wurden Staatsanleihen von Spanien, Italien, Griechenland Portugal und Griechenland gekauft. Die Interventionen des Eurosystems in öffentlichen und pri- vaten Märkten für Schuldverschreibungen sollen gewährleisten, Tiefe und Liquidität in den Marktsegmenten, die als dysfunktional galten, zu stärken. Offiziell wurde als Ziel ausgewiesen, den geldpolitischen Transmissionsmechanismus wiederherzustellen und somit die auf Preisstabilität ausgerichtete effektive Durchführung der Geldpolitik auf mittlere Sicht zu erreichen. Um diese Interventionen bilanzneutral zu gestalten, nimmt das Eurosystem Termineinlagen mit einer Laufzeit von 7 Tagen in seine Bilanzen. Damit soll sichergestellt werden, dass der geldpolitische Kurs durch die Wertpapiergeschäfte nicht beeinflusst wird.

Erweiterung des Verzeichnisses der notenbankfähigen Sicherheiten

Die Anforderungen für Sicherheiten bei den Haupt- und längerfristigen Refinanzierungsgeschäf- ten wurden im Verlauf der vergangenen Jahre schrittweise gelockert. Bis zum 14. Oktober 2008 konnten die Geschäftsbanken bei den Tendergeschäften einen Zentralbankkredit gegen Sicher- heiten mit einem Kreditrating von mindestens A- erhalten. Der EZB-Rat setzte die Anforderun- gen am 15. Oktober 2008 auf das Rating BBB- herab. Die ungünstigere Beurteilung der Staats- finanzen in einigen Ländern des Euroraums seitens der Ratingagenturen hat den EZB-Rat dazu bewogen, die Staatsanleihen von Griechenland, Irland und Portugal von diesen Bewertungen aus- zunehmen. Am 9. Februar 2012 wurden die Anforderungen für Sicherheiten erneut gelockert, in- dem einigen nationale Zentralbanken des Eurosystems freigestellt wurde, auch Kreditforderungen gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen und Konsumentenkredite bei den Refinanzie- rungsgeschäften als Sicherheiten zu akzeptieren.c Dabei werden die marktfähigen notenbankfähi- gen Sicherheiten mit einem Abschlag auf den Nennwert erworben, der je nach Risikoklasse und Restlaufzeit des Wertpapiers zwischen 0,5 Prozent und 46 Prozent beträgt. Zudem gibt es eine Nachschusspflicht, den sogenannten Margenausgleich. Fällt ein hinterlegtes Wertpapier im Wert unter eine bestimmte Marke, müssen zusätzliche Sicherheiten hinterlegt werden, um den Zentral- bankkredit zu besichern (EZB 2011c: 47 und 71).

Herabsetzung des Mindestreservesatzes

Am 8. Dezember 2011 beschloss der EZB-Rat die Herabsetzung des Mindestreservesatzes von 2 auf 1 Prozent. Er begründete dies damit, dass das Instrument der Mindestreserve unter der Politik der Vollzuteilung und der Weise, in der die Banken von der Vollzuteilung Gebrauch machen, von geringerer Bedeutung ist als unter normalen Umständen.

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Notkredithilfen der nationalen Zentralbanken (Emergency Liquidity Assistance)

Als Notmaßnahme in Zeiten von Finanzstabilitätsrisiken wurde mit der Einführung des Euro eine Notfazilität für die nationalen Zentralbanken als Lender of Last Resort etabliert. Bei dieser Notkredithilfe ist es den nationalen Zentralbanken gestattet, „vorübergehend zahlungsunfähigen Institutionen und Märkten in Ausnahmefällen Überbrückungskredite zu gewähren“ (EZB 1999:

98). Die EZB weist ausdrücklich darauf hin, dass die Finanzhilfe durch die nationalen Zentralbanken nur in Ausnahmefällen zur „Wahrung eines stabilen Finanzsystems zum Einsatz gelangt, da damit ein Moral-Hazard-Risiko verbunden ist“. Des Weiteren weisen die Leitlinien der EZB darauf hin, dass eine monetäre Finanzierung unter Verstoß gegen Artikel 101 des EU- Vertrages untersagt ist und dass „angemessene Sicherheiten“ gegen die Herausgabe von Zentralbankgeld hinterlegt werden müssen. Die Entscheidung darüber, was angemessen ist, liegt bei den nationalen Zentralbanken. Es gibt keine Vorschrift für die nationalen Zentralbanken, die Bereitstellung von Liquidität über die ELA explizit zu veröffentlichen. In den von den nationalen Zentralbanken veröffentlichten Daten sind die ELA nur implizit unter dem Posten sonstige Aktiva verbucht.

aBeim Zinstender nach amerikanischen Verfahren wird Zentralbankgeld für jede Geschäftsbank zum tatsächlich gebotenen Zinssatz zugeteilt. Dagegen wird Zentralbankgeld beim Zinstender nach holländischem Verfahren allen Geschäftsbanken zum marginalen Zinssatz zugeteilt. — bDass der EONIA seit der Umstellung unter dem Hauptrefinanzierungssatz liegt, lässt sich insbesondere durch ein gesunkenes Handelsvolumen am Geldmarkt begründen, welches Folge der Segmentierung am Geldmarkt ist. Da einige liquiditätsdefizitäre Finanzinstitute am Geld- markt so hohe Risikoprämien zahlen müssten, besorgen sie sich das notwendige Zentralbankgeld vorrangig beim Eurosystem. In der Folge gehen die Geldmarktzinsen mit sinkendem Handels- volumen zurück (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2010: Kasten 5.1). — cDie nationalen Notenbanken, die diese Möglichkeit nutzen, sind die Central Bank of Ireland, die Banco de España, die Banque de France, die Banca d’Italia, die Central Bank of Cyprus, die Oesterreichische Nationalbank und die Banco de Portugal. Zum Beispiel akzeptiert die Banque de France mit Hypotheken besicherte Wohndarlehen, in Dollar denominierte Kreditforderungen und von dem Kreditversicherer Coface garantierte Kreditforderungen aus Exportgeschäften.

Zudem werden auch weitere ABS-Papiere mit niedrigerer Bonität, denen Vermögenswerte wie Hypotheken und Darlehen für kleine und mittlere Unternehmen zugrundliegen, als Sicherheit akzeptiert.

Anforderungen für notenbankfähige Sicherheiten, d.h. Wertpapiere, die als Sicherheit für die Ausgabe von Zentralbankgeld akzeptiert werden, im Verlauf der vergangenen Jahre sukzessive gelockert. Mit diesen Maßnahmen sollte der gestiegene Liquiditätsbedarf des Bankensystems erfüllt werden. Das Eurosystem hat hiermit zunehmend Intermediationsleistungen ersetzt, die in normalen Zeiten dem Interbankenmarkt zukommen.

Gewöhnlich stellt das Eurosystem Zentralbankgeld ausschließlich gegen „adäquate“ Sicherheiten zur Verfügung. Dabei gilt eine Sicherheit üblicherweise als adäquat, wenn sie den einheitlichen Bonitätsanforderungen des Eurosystems nach dem Eurosystem Credit Assessment Framework genügt (EZB 2011c). Die Hinterlegung von adäquaten Sicherheiten für Refinanzierungsoperationen dient zum einen dazu, dass solide Geschäftsbanken mit risikoarmen Aktiva nicht zugunsten unsolider Geschäftsbanken mit risikoreichen Aktiva diskriminiert werden. Dies soll eine effiziente Allokation von Risiken im Finanzsystem gewährleisten. Ein ausgewogenes regelbasiertes Sicherheitenschema ist die Grundlage dafür, dass Fehlanreize und adverse Selektion im Bankensystem – welche bei be-

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schränkter Haftung und Informationsasymmetrien entstehen können – möglichst gering gehalten werden.4 Zum anderen schützt sich das Eurosystem durch Sicherheiten gegen Ausfallrisiken bei ihren geldpolitischen Operationen. Bei Sicherheiten minderer Qualität wendet sie einen Margenausgleich an, d.h., ein als Sicherheit eingereichtes Wertpapier minderer Bonität wird mit einem Abschlag, je nach Risikoklasse und Restlaufzeit des Wertpapiers, versehen. Bei einem Wertverfall des Wertpapiers muss die Geschäftsbank zusätzliche Sicherheiten in gleicher Höhe einreichen.

2.3 Maßnahmen der nationalen Zentralbanken

Neben den unkonventionellen Maßnahmen, die für das Eurosystem insgesamt zur Anwendung kommen, ergeben sich aus dem derzeitigen institutionellen geldpolitischen Rahmen weitere Instrumente für die Geldschöpfung der Geschäftsbanken bei den nationalen Zentralbanken. So hat der EZB-Rat im Februar 2012 einigen nationalen Zentralbanken die Befugnis übertragen, Anforderungen für notenbankfähige Sicherheiten in eigenem Ermessen festzulegen. So werden inzwischen auch Kredite an kleine und mittlere Unternehmen als Sicherheit bei einigen nationalen Zentralbanken akzeptiert (EZB 2012c). Unter diesen neuen Richtlinien für die Vergabe von Zentralbankgeld konnten die Geschäftsbanken – insbesondere diejenigen, die auf den Zugang zum Eurosystem angewiesen sind – deutlich mehr Sicherheiten einreichen und sich so höhere Beträge an Zentralbankgeld beschaffen.

Insbesondere bei den dreijährigen Refinanzierungsoperationen dürfte in diesen Ländern deutlich mehr Zentralbankgeld ausgereicht worden sein, als es unter dem einheitlichen Standard für notenbankfähige Sicherheiten der Fall gewesen wäre.

Darüber hinaus können die nationalen Zentralbanken die Kreditinstitute mithilfe einer Notfallmaß- nahme mit Zentralbankgeld versorgen, die außerhalb der gewöhnlichen Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems abgewickelt wird. Bei diesen Notkrediten (Emergency Liquidity Assistance, ELA) kön- nen die nationalen Zentralbanken die Anforderungen für Sicherheiten in eigenem Ermessen festlegen (EZB 1999: 113). Die Möglichkeit zur Vergabe dieser Notkredite kann als Funktion des Lender of Last Resort der nationalen Zentralbanken interpretiert werden. Sie sind dafür konzipiert, im Falle einer außergewöhnlichen Notsituation das Bankensystem mit ausreichend Liquidität zu versorgen. Während die Aktiva, die im Rahmen der ELA entstehen, hauptsächlich national sind, sind die Passiva hingegen Teil des Eurosystems. Der institutionelle Rahmen der ELA ist darauf ausgelegt, dass diese Maßnahme nur temporär und in Notsituationen genutzt werden darf. Dies begründet das Eurosystem explizit da- mit, dass andernfalls Fehlanreize für die nationalen Zentralbanken entstehen könnten.

Derzeit wird dieser Zugang zu Zentralbankgeld den Kreditinstituten in einigen Ländern des Euroraums dauerhaft eröffnet. Die Inanspruchnahme von Notfallkrediten in Griechenland belief sich Schätzungen zufolge im April 2012 auf 110 Mrd. (Abbildung 1).5 Auch in Irland nahmen die Geschäftsbanken die Notkredite in Anspruch. Im März 2012 beliefen sie sich auf ein Volumen von 45 Mrd. Euro. Im Mai 2012 kam es zu einer deutlichen Reduktion der Bilanzposition unter der die ELA- Kredite ausgewiesen werden. Allerdings wurde zum einen eine Umbilanzierung der ELA-Kredite vorgenommen, zum anderen wurden ELA-Kredite in normale Forderungen des Eurosystems umgewandelt, da die Sicherheiten griechischer Banken im Rahmen der Refinanzierungsgeschäfte wieder akzeptiert werden. In anderen Mitgliedsstaaten scheinen die nationalen Zentralbanken ebenfalls ELA-Kredite zu vergeben. Darauf deutet die vom Eurosystem Ende April 2012 durchgeführte

____________________

4 Zu Problemen der adversen Selektion im Bankensystem während der Finanzkrise vgl. Kirabaeva (2011).

5 Die nationalen Notenbanken weisen die ELA unter „Andere Aktiva“ aus. Ein Anstieg dieser Aktivposten lässt somit auf Zunahme der Notkredithilfe schließen (Buiter et al. 2011a).

(14)

Umstrukturierung der Aktiva in seiner konsolidierten Bilanz hin.6 Zieht man die ELA-Kredite der Bank of Greece und der Bank of Ireland vom Gesamtbestand der ELA-Forderungen des Eurosystems ab, so verbleibt ein Betrag, der anderen nationalen Zentralbanken zugerechnet werden muss. Bei diesen Zentralbanken handelt es sich vermutlich um die belgische, die portugiesische und die zypriotische Zentralbank (Keohane und Cotteril 2012). Aggregiert beliefen sich die Forderungen des Eurosystems aus den ELA-Krediten im Juni 2012 auf etwa 187 Mrd. Euro.

Abbildung 1:

Sonstige Forderungen und ELA-Notkredite 2010–2012

0 50 100 150 200 250 300

2010 2011 2012

Mrd. Euro

ELA-Notkredite

Sonstige Forderungen

0 20 40 60 80 100 120

2010 2011 2012

Mrd. Euro

Irland

Griechenland ELA-Notkredite

Monatsdaten; sonstige Forderungen in Euro an Kreditinstitute im Euro-Währungsgebiet.

Quelle: EZB (2012b); Bank of Greece, Bank of Greece Balance Sheet; Central Bank of Ireland, Central Bank of Ireland Balance Sheet; eigene Berechnungen und Schätzungen.

Schließlich erlaubt der derzeitige geldpolitische Rahmen, dass Bankschuldverschreibungen direkt als Sicherheit bei Refinanzierungsgeschäften hinterlegt werden können. Zwar dürfen Anleihen, die von den Banken selbst begeben werden, unter normalen Umständen nicht als Sicherheit hinterlegt werden, staatlich garantierte Schuldverschreibungen bilden hiervon jedoch eine Ausnahme.7 Zahlrei- che Geschäftsbanken haben auf diesem Wege Schuldverschreibungen begeben, die das Bankensystem nie verlassen haben, und nur dem Zweck dienten, sich mithilfe der Anleihen bei der nationalen Noten- bank Zentralbankgeld zu verschaffen.8 Für die Geschäftsbanken ist dies eine Bilanzverlängerung, bei der selbst begebene Schuldverschreibungen auf der Aktivseite als Wertpapiere geführt werden, um diese bei Refinanzierungsgeschäften gegen Zentralbankgeld einzutauschen.

____________________

6 Seit Ende April werden die ELA-Kredite in der konsolidierten Bilanz des Eurosystems nicht mehr unter „Sonstige Wertpapiere“ gebucht, sondern unter „Sonstige Forderungen an Kreditinstitute im Euro-Währungsgebiet“. Vom 13. April auf den 20. April 2012 hat sich dieser Posten um etwa 140 Mrd. Euro erhöht.

7 In den Leitlinien der EZB heißt es, dass „marktfähige untergeordnete Sicherheiten“, sofern sie von einem „finanziell soliden Garant“ besichert sind und dieser eine „auf erstes Anfordern zahlbare unbedingte und unwiderrufliche Garantie für diese Sicherheiten gewährt“ als notenbankfähige Sicherheiten akzeptiert werden (EZB 2008a).

8 Siehe hierzu Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2012: 57) für den Fall Griechenlands und TFMA (2012) für den Fall Spaniens.

(15)

2.4 Nationale Segmentierung im gemeinsamen Währungsraum

Trotz des gemeinsamen europäischen Währungsraums ist die Aktivität der Geschäftsbanken weiterhin in großem Maße von nationalen Gegebenheiten bestimmt. Zwar wurde die Finanzmarktintegration mit Einführung der gemeinsamen Währung grundsätzlich vertieft (Lane 2008; Schmitz und von Hagen 2009). Der hohe Anteil heimischer Staatsschuldtitel bei den Geschäftsbanken hat in der Finanzkrise allerdings zu einer Segmentierung der Geschäftsbanken nach Länderzugehörigkeit geführt. Insgesamt beläuft sich der Anteil nationaler Wertpapiere an den Aktiva von Geschäftsbanken in der EWU auf 75 Prozent. Diese Segmentierung der Bankensysteme nach Nationalstaaten ist insbesondere im Bereich des Privatkundengeschäftes ausgeprägt (Allen et al. 2011). Hinzu kommt, dass die enge Verflechtung zwischen Staat und Finanzsektor zur nationalen Segmentierung der EWU beiträgt. So halten die Geschäftsbanken in den Mitgliedsländern vorrangig Forderungen in Form von Schuldtiteln von den eigenen Staaten (EBA 2012). Eine Bankenkrise kann bei fehlender flankierender Insolvenzordnung für systemisch relevante Banken zu einer Staatsschuldenkrise führen (z.B. Irland) und eine zu hohe Staatsverschuldung umgekehrt eine Bankenkrise auslösen (z.B. Griechenland). Der Nationalstaat und der national fokussierte Finanzsektor sind in Krisenzeiten in den Mitgliedsländern des Euroraums somit in einer gegenseitigen Abhängigkeit. In der Folge sind auch die Auswirkungen der jüngsten Finanzkrisen auf die Geschäftsbanken von Land zu Land verschieden.

Auch ohne die Unwucht nationaler Aktiva kann sich für systemisch wichtige Banken, denen eine implizite Haftungsübernahme durch die jeweiligen Nationalstaaten unterstellt wird, in Krisenzeiten schlagartig ein nach Landesgrenzen segmentiertes Risikoprofil ergeben. Allein aus diesem Grunde haben z.B. irische Banken (mit dem irischen Steuerzahler im Hintergrund) und deutsche Banken (mit dem deutschen Steuerzahler im Hintergrund) am Markt ein unterschiedliches Standing. Von Chancengleichheit im Wettbewerb kann dann keine Rede mehr sein („Banks are international in life and national in death“, Goodhart 2009).

Die Geschäftsbanken im Euroraum unterliegen nach wie vor keiner gemeinsamen, sondern einer jeweils nationalen Regulierung.9 Zwar sind mit der European Banking Authority (EBA) und dem European Systemic Risk Board zwei Institutionen gegründet worden, die sich mit der Finanzstabilität befassen sollen. Allerdings sind aus diesen Institutionen heraus bisher keine Regeln entstanden, wie eine Insolvenz eines im Euroraum angesiedelten systemisch relevanten Finanzinstituts von statten gehen kann. Die Abwicklung von Finanzinstituten ist daher vorwiegend eine nationale Aufgabe. Die heterogene Regulierung hat in Zeiten von Finanzstabilität in der Regel wenig Konfliktpotential, da die Aufgabenbereiche der Zentralbank und der Regulierungsbehörde klar getrennt sind. In Krisenzeiten rücken diese Aufgaben jedoch enger zusammen (Goodhart und Schoenmaker 2009). Im Gefolge der Staatsschuldenkrise in einigen Ländern des Euroraums ist dieser Fall auf europäischer Ebene eingetreten. Da die Regulierungsbehörden keine supranationalen Richtlinien und keine klare Strategie für den Umgang mit systemischen Risiken haben, ist das Eurosystem ersatzweise an diese Stelle getreten und hat damit quasi-fiskalische Aufgaben übernommen.

Neben länderspezifischen Regulierungsregimen tragen auch andere Faktoren wie unterschiedliche Unternehmenskulturen dazu bei, dass länderübergreifende Markteintritte und Konsolidierungsprozesse innerhalb der EWU begrenzt sind (Blandón 2000). So erscheint es derzeit nicht ohne Weiteres mög- lich zu sein, dass eine systemisch relevante Bank in einem Mitgliedstaat von einer Bank eines anderen Mitgliedstaates übernommen wird.

Im Ergebnis hat der Verbund aus Bankenkrisen und Staatsschuldenkrisen in einigen Ländern dazu geführt, dass auch der Interbankenmarkt nach Ländergrenzen segmentiert ist. Geschäftsbanken in Ländern, die vom europäischen Interbankenmarkt weitestgehend abgeschnitten sind, refinanzieren sich ____________________

9 Padoa-Schioppa (1999) hat schon zu Beginn der Europäischen Währungsunion darauf hingewiesen, dass die nationale Bankenregulierung im Euroraum in Krisenzeiten zu Problemen führen kann.

(16)

daher vorrangig über das Eurosystem. Dies ist nur möglich, weil das Eurosystem die Anforderungen an notenbankfähige Sicherheiten erweitert hat und eine vollständige Zuteilung von Zentralbankgeld durchführt. Somit hat der geldpolitische Rahmen in Verbindung mit den Bankenkrisen in Ländern des Euroraums asymmetrische Konsequenzen für die Zentralbankgeldversorgung. Der Bedarf an Zentral- bankgeld divergiert seit Beginn der Finanzmarktturbulenzen innerhalb der Mitgliedsländer deutlich.

Der Anteil der liquiditätszuführenden Geschäfte der nationalen Zentralbanken in Griechenland, Italien, Irland, Portugal, Spanien, Belgien und Frankreich (GIIPSBF) am Gesamtvolumen der Refinanzie- rungsgeschäfte im Euroraum ist im Mai 2012 auf rund 800 Mrd. Euro gestiegen. Damit fragten die Geschäftsbanken in diesen Ländern etwa 90 Prozent der gesamten Zentralbankgeldmenge im Euro- raum nach (Abbildung 2).

Abbildung 2:

Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems 2004–2012

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

2004 2007 2010

Prozent

GIIPSBF DNLF

2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 0

100 200 300 400 500 600 700

800 Mrd. Euro

DNLF GIIPSBF

Monatsdaten; DNLF: Deutschland, Niederlande, Luxemburg, Finnland; GIIPSBF: Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien, Belgien, Frankreich.

Quelle: EZB (2012a); nationale Zentralbanken; eigene Berechnungen.

Spiegelbildlich ist die Zentralbankgeldnachfrage der Geschäftsbanken in Deutschland, Niederlande, Luxemburg und Finnland (DNLF) bei Refinanzierungsgeschäften in den vergangenen Jahren merklich gesunken. Im Mai 2012 reduzierte sich der Anteil der von den nationalen Zentralbanken getätigten liquiditätszuführenden Geschäfte auf 7 Prozent des Gesamtvolumens im Euroraum, da die dortigen Geschäftsbanken ihren Liquiditätsbedarf außerhalb von den vom Eurosystem angebotenen Refinanzie- rungsmöglichkeiten decken können. Dies zeigt sich auch an den liquiditätsabsorbierenden Geschäften des Eurosystems. So nutzen die Geschäftsbanken in den Überschussländern (DNLF) die Einlage- fazilität und die Termineinlagen bei den nationalen Zentralbanken nach wie vor in hohem Maße, wohingegen die Geschäftsbanken in den Defizitländern (GIIPSBF) deutlich weniger an liquiditäts- absorbierenden Geschäften teilnehmen (Abbildung 3).

Zentralbankgeld, welches im Rahmen der Refinanzierungsoperationen den Geschäftsbanken in den Defizitländern zugeteilt wurde, fließt also in die Bankensektoren der Überschussländer.

(17)

Abbildung 3:

Termineinlagen und Einlagefazilität 2004–2012

Quelle: EZB (2012a).

2.5 Target2-Salden

Bis zum Beginn der Schulden-und Vertrauenskrise im Euroraum konnten die Defizitländer ihre Leistungsbilanzdefizite durch private Nettokapitalzuflüsse decken. Im Zuge der Staatsschulden- und Bankenkrisen haben sich diese Zuflüsse jedoch merklich abgeschwächt und sich in einigen Ländern sogar in Nettokapitalabflüsse umgekehrt.10 Zur Refinanzierung ihres Aktivgeschäfts und zur Beglei- chung auslaufender Verbindlichkeiten beschafften sich die Geschäftsbanken in den Peripherieländern das dafür notwendige Zentralbankgeld von ihrer nationalen Zentralbank und stellten auf diesem Wege ihrer heimischen Volkswirtschaft die notwendigen Finanzierungsmittel zur Verfügung. Diese Kredit- ströme führten unter anderem zum Aufbau der TARGET2-Salden zwischen den Zentralbanken des Eurosystems (Abbildung 4).11

Das Target2-System soll der reibungslosen Verrechnung kurzfristig auftretender Salden im bargeld- losen grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr innerhalb des Euroraums dienen. Typischerweise sollten sich positive und negative Salden abwechseln und im Zeitablauf näherungsweise ausgleichen.

Sich fortwährend in eine Richtung entwickelnde Salden können Ausdruck einer dauerhaften Zahlungsbilanzfinanzierung sein. Durch welche Mechanismen diese Zahlungsbilanzfinanzierung zustande kommen kann und welche anderen Effekte zu einem Aufbau dieser Salden führen können, wird im nächsten Kapitel behandelt.

____________________

10 So zeigen Merler und Pisany-Ferry (2012), dass es in den Defizitländern in den vergangenen Jahren zu sogenannten Sudden Stops kam. Hierzu trug bei, dass die hohen Leistungsbilanzdefizite z.B. in Griechenland, Spanien und Portugal vor der Finanzkrise weniger durch ausländische Direktinvestitionen, sondern vor allem durch Bankkredite und ausländische Portfolioinvestitionen finanziert wurden. Eine solche Struktur der Finanzierungsquellen der Leistungsbilanzdefizite ist im Allgemeinen sehr anfällig für eine Umkehr der Kapitalbilanz (Sarno und Taylor 1999).

11 Das Target2-System ist die aktuelle Version des Zahlungsverkehrssystems der am Eurosystem teilnehmenden nationalen Zentralbanken für die Durchführung von Überweisungen in Echtzeit (Target steht für Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer). Zur ausführlichen Beschreibung des Target2-Systems siehe EZB (2010) und Deutsche Bundesbank (2012b).

(18)

Abbildung 4:

Target2-Positionen

Monatsdaten; DNLF: Deutschland, Niederlande, Luxemburg, Finnland; GIIPSBF: Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien, Belgien, Frankreich.

Quelle: Universität Osnabrück (2012); eigene Berechnungen.

3 Finanzierungsmechanismen in der EWU

3.1 Wertpapiermarkt und sektoraler Finanzierungszusammenhang

Realwirtschaftliche Leistungstransaktionen, die im Zuge der Produktions-, Verteilungs- und Verwen- dungsprozesse einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft auftreten, führen typischerweise zu Finanzie- rungssalden der verschiedenen Marktteilnehmer, die über entsprechende Kapitalmarkttransaktionen ausgeglichen werden. Kennzeichnend für diese ist, dass mit ihnen die Verfügungsgewalt über das Pro- duktionsergebnis temporär übertragen wird, wodurch im Gegenzug entsprechende Forderungs- und Verbindlichkeitspositionen entstehen. Dies ermöglicht die institutionelle Trennung von Investitions- und Ersparnisentscheidungen, was für den wirtschaftlichen Entwicklungsprozess von zentraler Be- deutung ist.

Die Marktteilnehmer werden im Folgenden entsprechend ihren ökonomischen Eigenschaften zu den vier institutionellen Realsektoren private Haushalte (Faktoreigentum, Konsum und Sparen), Unter- nehmen (Produktion, Investitionen), Staat (Umverteilung, Transformation) und Ausland (Rest der Welt) zusammengefasst. Betrachtet werden zwei Länder: das Inland (Land X) bildet zusammen mit dem Ausland (Land Y) die EWU. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird der hier nicht wesentliche Rest der Welt, der mit dem Euroraum über ein flexibles Wechselkurssystem verbunden ist, bei der weiteren Betrachtung ausgespart.

Sektoren mit einem Finanzierungsdefizit können als Kapitalnachfrager auf einen größeren Teil des Produktionsergebnisses zugreifen, als ihnen aufgrund ihres Wertschöpfungsbeitrags und nach Berück- sichtigung der staatlichen Einkommens- und Vermögensumverteilung zusteht. Hierzu emittieren sie Wertpapiere W, die von Überschusssektoren (Kapitalanbietern) zur Verbriefung ihres Geldvermö-

(19)

gensaufbaus erworben werden. Wertpapiere sind sämtliche Dokumente, die das Versprechen auf eine zukünftige Zahlung beinhalten (Aktien, Wechsel, Anleihen, Kreditverträge, etc.). Dieses Versprechen kann final nur durch eine entsprechende realwirtschaftliche Gegenleistung oder eine Sachvermögens- überlassung erfüllt werden. Ohne Einschränkung der Allgemeingültigkeit sei angenommen, dass Er- sparnis- und Investitionsentscheidungen institutionell vollständig getrennt voneinander erfolgen.12 Private Haushalte als Sparer treten somit in vollem Umfang ihrer Ersparnisbildung S als Kapital- anbieter und Unternehmen in Höhe ihrer Investitionsvorhaben I als Kapitalnachfrager am Wert- papiermarkt aufeinander. Hinzu kommen der Staat und das Ausland, die ebenfalls mögliche Finanzie- rungssalden ausgleichen. Mit BD als Budgetdefizit des Staates und LB als Leistungsbilanzsaldo des Inlands gegenüber dem Ausland gilt somit folgende Stromgleichung für den Abgleich von Angebot und Nachfrage auf dem primären Kapitalmarkt während einer Periode t:

Kapitalangebot = Wertpapiernachfrage = St = It + BDt + LBt = Wertpapierangebot = Kapitalnachfrage (1) Hinzu kommen die aus der Vergangenheit übernommenen Bestände (kumulierte Kapitalmarkt- ströme aus allen Vorperioden).13 Somit erweitert sich (1) zu:

t i t i t i t i t i t i t i t

iSS  I I  BDBD LBLB

1 1 1 1 (2)

Neben dem Kapitalmarktsegment, auf dem die Realsektoren untereinander handeln, treten am Wertpapiermarkt auch die Transaktionen zur Liquiditätsbereitstellung (Geldmarktsegment) in Erscheinung. Auf dem Geldmarkt trifft die Wertpapiernachfrage des finanziellen Sektors (Zentralbank und Geschäftsbanken) in Höhe des Geldangebotes M auf das Wertpapierangebot aller Realsektoren (Nichtbanken) in Höhe von deren Geldnachfrage L. Ökonomisch verbirgt sich dahinter der Umtausch von wenig liquiden Wertpapieren in ein total liquides Tauschmedium (Transaktionen auf dem Geldmarkt ändern das Nettogeldvermögen der beteiligten Marktteilnehmer im Gegensatz zu Kapital- markttransaktionen nicht). Die gesamtwirtschaftliche Wertpapiermarktgleichung erweitert sich somit zu:

t t i t i t i t i t i t i t t i t

i SSM I I BDBDLBLBL

  

1 1 1 1 (3)

Hält man die Zeit gedanklich an – geht man also zu einer Zeitpunktbetrachtung über –, so ver- schwinden die Kapitalmarktströme und es verbleiben als Bestände die sektoralen Finanzierungs- positionen:

t i t i i t i i t i t i t

i SM I BDLBL

  

1 1 1 1 (4)

____________________

12 Investoren haben somit keine Möglichkeit der Selbstfinanzierung. Dies entspricht der idealtypischen Sichtweise, dass alle Faktoreinkommen an die privaten Haushalte als alleinige letzte Faktoreigner ausgeschüttet werden. Die sich daraus ergebenden Kapitalmarkttransaktionen sind somit als Bruttogrößen aufzufassen. In dem Maße, wie es zu Selbstfinanzierung kommt, verkürzen sich die am Markt auftretenden Kapitalangebots- und nachfrageströme im selben Umfang, was daher für die weitere Analyse unerheblich ist.

13 Hätten alle Wertpapiere eine Laufzeit von nur einer Periode, so stünden alle in der Vergangenheit aufgelaufenen Verbindlichkeiten in jeder Periode erneut zur Refinanzierung an. Es würde dann der gesamte Bestand an Wertpapieren in jeder Periode zwischen Schuldnern und Gläubigern am Primärmarkt umgeschlagen. In dem Maße, wie längerfristige Finanzierungen vereinbart werden, reduziert sich das Handelsvolumen auf dem Primärmarkt (beide Marktseiten verkürzen sich um denselben Betrag). Transaktionen am Sekundärmarkt sind dann zwar immer noch in beliebiger Höhe möglich, hiervon geht aber keine realwirtschaftliche Finanzierungfunktion aus.

(20)

Für die weiteren Überlegungen ist es zweckmäßig, diese Zusammenhänge in ein Kontensystem zu übertragen (Abbildung 5). Hierbei stellen Wertpapiere mit positiven Werten auf der Aktivseite Forderungen und auf der Passivseite Verbindlichkeiten dar (für negative Werte gilt das Gegenteil).

Der Bestand aus heimischen und ausländischen Wertpapieren der privaten Haushalte (WX und WY) bildet zusammen mit ihrer Geldhaltung (Bargeld BG und Giralgeld GG) das private Geldvermögen GV. Die von den Unternehmen ausgegebenen Wertpapiere verbriefen in erster Linie ihr Sachvermögen SV; darüber hinaus haben sie in Höhe ihrer Geldhaltung Wertpapiere verkauft. Die Summe aller emittierten Staatspapiere entspricht der Staatsverschuldung (negatives Geldvermögen des öffentlichen Sektors).14 Schließlich stellen die vom Ausland begebenen Wertpapiere WY die Netto- auslandsposition des Inlands dar. Aus Sicht des Auslandssektors handelt es sich um negatives Geldvermögen, sofern das Ausland in der Vergangenheit im Schnitt Leistungsbilanzdefizite erwirt- schaftet hat.15

Der Geldhaltung der Nichtbanken stehen in gleicher Höhe Wertpapiere des Finanzsektors gegen- über. Innerhalb des Finanzsektors haben die Geschäftsbanken einen Teil der vom Nichtbankensektor erworbenen Wertpapiere an die Zentralbank weitergereicht, um den Bargeldbedarf der Nichtbanken zu decken und um Einlagen EL bei der Zentralbank (insbesondere zur Erfüllung ihrer Mindest- reservepflicht) zu erlangen. Hierbei sei zunächst davon ausgegangen, dass der finanzielle Sektor nur heimische Wertpapiere zur Liquiditätsbereitstellung hereinnimmt.

In der EWU werden die Leitlinien der Geldpolitik zwar vom EZB-Rat festgelegt, die operative Zentralbankgeldversorgung erfolgt jedoch über die nationalen Notenbanken. Damit reduziert sich die Rolle der EZB im sektoralen Finanzierungszusammenhang auf die Funktion einer Verrechnungsstelle für bargeldlos ausgeglichene Zahlungsbilanzsalden zwischen den Mitgliedsländern. Diese Salden wer- den in den Bilanzen der nationalen Zentralbanken des Eurosystems als Veränderung der Target2-Posi- tionen erfasst. Die während einer Periode auftretenden Target2-Salden zuzüglich der grenzüberschrei- tenden Nettobargeldflüsse entsprechen aus zahlungsbilanztechnischer Sicht eines EWU-Mitgliedlan- des weitgehend dem Devisenbilanzsaldo gegenüber dem übrigen Euroraum. Wäre der Euroraum ein Festkurssystem, so spiegelten positive (negative) Target2-Salden und Nettobargeldzuflüsse (Netto- bargeldabflüsse) als Devisenbilanzdefizite (Devisenbilanzüberschüsse) einen Zufluss (Abfluss) von Währungsreserven des betreffenden Landes wider.

Lässt man nun die Zeit eine Periode weiterlaufen, so können die während dieser Zeit auftretenden Transaktionen hinsichtlich der Bedeutung für den Währungsraum danach unterschieden werden, in- wiefern die Trennung zwischen dem Geldmarktsegment (Liquiditätsbereitstellung) und dem Kapital- marktsegment (Ressourcenübertragung auf Zeit) des Wertpapiermarktes im Finanzierungsgefüge zum Tragen kommt (Fall 1) oder nicht (Fall 2). Aufbauend auf Fall 2 lässt sich zusätzlich eine Rückab- wicklung vormaliger Kapitalexporte analysieren (Fall 3). Während Fall 1 als Normalfall einer funktio- nalen Währungsunion gelten kann, entsprechen die Fälle 2 und 3 einer Zahlungsbilanzfinanzierung durch das Notenbanksystem (Abbildung 6). Schließlich ist noch die Möglichkeit von nationalen Bank Runs zu betrachten, bei denen Sichteinlagen bei Banken eines Landes auf die Geschäftsbanken eines anderen Landes übertragen werden (Fall 4). Diese Depositenflucht kann zwar auch die Target2-Positi- onen der jeweiligen Zentralbanken beeinflussen, sie stellt aber insofern keine problematische Zahlungsbilanzfinanzierung durch das Eurosystem dar, als dieser Liquiditätsverlagerung keine Leistungs- bzw. Vermögenstransaktionen gegenüberstehen. Zahlungsbilanzfinanzierung wird hier daher nur ohne Berücksichtigung von Depositenflucht definiert.

____________________

14 Von einer expliziten Betrachtung des öffentlichen Sachkapitalstocks und staatlicher Geldhaltung wird hier aus Vereinfachungsgründen abgesehen.

15 Freiwillige Vermögenstransfers zwischen beiden Ländern werden hier nicht betrachtet.

(21)

Abbildung 5:

Sektorale Vermögens- und Finanzierungspositionen

Land X: Realsektoren (Nichtbanken)

WX WY BG GG

550 150 20 80

GV 800 SV

BG GG

400 40 160

WX 600 WX -250 GV -250 WY -150 GV -150

Land X: Finanzsektor

Target2X Target2Y

0 0

WX Target2

300 BG GG

60 240

WX Target2

72 0

BG EL

60 12

WX EL

228 12

GG 240

Geschäftsbanken

Private Haushalte Unternehmen Staat Ausland (Land Y)

konsolidiert Zentralbank

EZB

Legende:

BG Bargeld GV Geldvermögen

EL Zentralbankeinlagen SV Sachvermögen

GG Giralgeld der Geschäftsbanken W Wertpapiere Quelle: Eigene Darstellung.

19

(22)

Abbildung 6:

Fallkonstellationen im Zahlungsbilanzschema

Leistungsbilanz

Zahlungsbilanz

Kapitalverkehrsbilanz i.w.S.

Kapitalverkehrsbilanz i.e.S.

Devisenbilanz Wertpapiere Geld

Fall 1

Fall 2

Fall 3 Fall 4

Quelle: Eigene Darstellung.

3.2 Grenzüberschreitende Leistungstransaktionen bei Kapitalmarktfinanzierung (Fall 1)

Der Einfachheit halber sei unterstellt, dass der inländische Staatshaushalt ausgeglichen ist und alle Transaktionen zunächst bargeldlos erfolgen. Die inländische Wertschöpfung möge 100 betragen und ausschließlich im Unternehmenssektor erbracht werden (Abbildung 7). Dementsprechend kaufen die Unternehmen wertgleiche heimische Primärfaktoren vom Haushaltssektor ein und zahlen dafür entsprechende Faktorentgelte (Löhne, Kapitaleinkommen), die zunächst das Geldvermögen (GV) der privaten Haushalte erhöhen; das Produktionsergebnis nehmen die Unternehmen zunächst auf Lager, sodass ihr Sachvermögen (SV) in gleicher Höhe zunimmt (1). Von den bezogenen Primäreinkommen müssen die privaten Haushalte 20 zu Lasten ihres Geldvermögens in Form von Abgaben netto an den Staat abführen (2), der hierfür in gleicher Höhe Güter von den Unternehmen erwirbt (3). 80 Prozent ihres verfügbaren Einkommens verwenden die privaten Haushalte zum Kauf von Konsumgütern bei den Unternehmen; dementsprechend sinken das Geldvermögen der Haushalte und das Sachvermögen der Unternehmen um 64 (4). Deren Investitionstätigkeit beläuft sich auf I=10 Einheiten, zu deren Finanzierung sie zusätzliche Wertpapiere emittieren und an die privaten Haushalte verkaufen (5).

Kunden im Ausland beziehen bei heimischen Unternehmen netto Güter im Wert von 6. Hierzu beschaffen sie sich die nötigen Zahlungsmittel am Kapitalmarkt, indem sie in gleicher Höhe Wertpapiere an die privaten Haushalte verkaufen (6). Mit der so erlangten Liquidität können sie dann die Rechnung für die grenzüberschreitenden Lieferungen bezahlen (7).

(23)

Abbildung 7:

Sektorale Leistungs- und Finanzierungsströme (Fall 1)

Land X: Realsektoren (Nichtbanken)

WX WY BG GG

(5) +10 (6) +6 (1) +100 (2) -20 (4) -64 (5) -10 (6) -6

GV (1) +100

(2) -20 (4) -64

SV

BG GG

(1) +100 (3) -20 (4) -64 (7) -6 (1) -100 (3) +20 (4) +64 (5) +10 (7) +6

WX (5) +10 WX

GG (2) +20

(3) -20

GV (2) +20

(3) -20

WY GG

(6) -6 (6) +6 (7) -6

GV (7) -6

Land X: Finanzsektor

Target2X Target2Y

(6) -6 (7) +6 (6) +6 (7) -6

W

Target2 (6) -6 (7) +6

BG

GG (6) -6

(7) +6

WX

Target2 (6) -6 (7) +6

BG

EL (6) -6

(7) +6

WX

EL (6) -6

(7) +6

GG (6) -6

(7) +6 Geschäftsbanken

Private Haushalte Unternehmen Staat Ausland (Land Y)

konsolidiert Zentralbank

EZB

Legende:

BG Bargeld GV Geldvermögen

EL Zentralbankeinlagen SV Sachvermögen

GG Giralgeld der Geschäftsbanken W Wertpapiere Quelle: Eigene Darstellung.

21

(24)

Die grenzüberschreitenden Zahlungen werden über das Verrechnungssystem Target2 abgewickelt.

Der Liquiditätsabfluss durch den Wertpapierkauf der privaten Haushalte (6) verlagert Zentralbankgeld vom Inland ins Ausland, wodurch die Target2-Position der heimischen Zentralbank bei der EZB belastet wird. Durch das güterwirtschaftliche Gegengeschäft (7) fließt das Zentralbankgeld postwendend wieder ins Inland zurück und die Target2-Positionen der beteiligten Zentralbanken stellen sich glatt.

Nach Abschluss aller güter- und finanzwirtschaftlichen Transaktionen sind die ursprünglichen Liquiditätspositionen exakt wieder hergestellt. Die durch den finanziellen Sektor bereitgestellte Liquidität ist somit nur genutzt worden, um Transaktionen auf den Faktor-, Güter- und Finanzmärkten abzuwickeln, nicht aber, um Teile davon zu finanzieren. Die Geldvermögensbildung der privaten Haushalte in Höhe ihrer Ersparnis von 16 ist in Form von zusätzlichen heimischen (WX = 10) und ausländischen (WY=6) Wertpapieren verbrieft, wodurch die Investitionen im Inland und der Leistungsbilanzüberschuss des Inlandes finanziert wurden.

3.3 Leistungstransaktionen bei Zahlungsbilanzfinanzierung durch das Eurosystem (Fall 2)

Es gelten die Transaktionen (1) bis (5), die bereits aus Fall 1 bekannt sind (Abbildung 8). Haben die ausländischen Importeure nun jedoch keinen Zugang mehr zum Kapitalmarkt des Landes X (etwa weil die von ihnen offerierten Wertpapiere von den dortigen Sparern als zu riskant erachtet werden), so können sie versuchen, sich bei ihren Geschäftsbanken einen zusätzlichen Kredit einräumen zu lassen, um mit dem so geschöpften Geld die Lieferanten aus Land X zu bezahlen. Diese Kreditgewährung setzt voraus, dass sich die Geschäftsbanken im Land Y bei ihrer nationalen Zentralbank in Höhe der Kreditexpansion zusätzlich refinanzieren können (6), andernfalls liefen sie Gefahr, nach der Kredit- vergabe (7) dem darauf folgenden Abfluss von Zentralbankgeld, mit dem die Nettoimportrechnung bezahlt wird (8), nicht gewachsen zu sein.

Im Land X verwenden die privaten Haushalte die im Vergleich zum Fall 1 nicht mehr für den Kauf von Auslandswertpapieren abgeflossene Liquidität, indem sie inländische Forderungen vom heimischen Finanzsektor zurückkaufen (9). Hierdurch wird die in Land Y geschöpfte zusätzliche Liquidität im Land X wieder vernichtet. Schließlich reduzieren die Geschäftsbanken in dem Maße ihre Refinanzierung bei der heimischen Zentralbank, wie ihnen Zentralbankliquidität durch das Auslandsgeschäft zugeflossen ist (10).16

Im Ergebnis wird ein realer Kapitaltransfer (Leistungsbilanzüberschuss) von Land X nach Land Y zugelassen, obwohl die Kapitalmarktakteure (d.h. der Nichtbankensektor) im Überschussland nicht bereit sind, weitere Forderungen gegenüber dem Defizitland aufzubauen. Stattdessen kaufen sie vormals an den heimischen Finanzsektor abgegebene heimische Forderungen zurück, und dieser (d.h.

die Zentralbank) erwirbt via Target2 implizit die zur Refinanzierung von den Geschäftsbanken des Landes Y hinterlegten Wertpapiere. Die Allokationsfunktion des Kapitalmarktes wird auf diese Weise außer Kraft gesetzt und der Finanzsektor hat in seiner Rolle als Liquiditätsschöpfer nicht nur ein Transaktionsmedium, sondern über das Eurosystem auch ein Kreditvehikel bereitgestellt.

____________________

16 Die Liquiditätsvernichtung tritt nur ein, wenn die inländische Geldnachfrage unberührt bleibt (unveränderte Liquidi- tätspräferenz). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Geldmenge aufgrund einer Vollzuteilungspolitik ohnehin schon rein nachfrageseitig bestimmt wird. Andernfalls würde das dem Geschäftsbankensektor zufließende Zentralbankgeld über einen multiplen Geld- und Kreditschöpfungsprozess die Geldmenge im Land X ausdehnen.

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