• Keine Ergebnisse gefunden

Intergenerationale Beziehungen im Kulturvergleich : Die Rolle von sozio-ökonomischen Faktoren, Werten und Beziehungsqualität für intergenerationale Unterstützung

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Intergenerationale Beziehungen im Kulturvergleich : Die Rolle von sozio-ökonomischen Faktoren, Werten und Beziehungsqualität für intergenerationale Unterstützung"

Copied!
31
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Intergenerationale Beziehungen im Kulturvergleich

Die Rolle von sozio-ökonomischen Faktoren, Werten und Beziehungsqualität für intergenerationale Unterstützung' Gisela Trommsdorff und Boris Mayer

1. Problem lage und Fragestellungen

Die tiefgrei fenden demographischen Veränderungen in den I ndustrieländern mit cilll:;r steigenden Lebenserwartung lind sinkenden Gcbuttcnratcn geheIl mit Ycrün·- derungen in verschiedenen Bereichen von Gesellsehal\en einher. Die zunehmende Lclx:nscrwarlung bedeutet eine potentiell lüngere gemeinsame l. ... cbcllszcit von Ge- nerationen unterschiedlichen Lebensalters.

Dies impliziert Fragen der Gestaltung von intergenerationalen Beziehungen

L1nter Bedingungen demographischen, aber auch sozio-ökonomischcn Wandels.

Diese Beziehungen werden für moderne Industriegesellsehallen gegenwärtig dra- matisiert unter der Frage, ob hier Gcneralioncnkonlliktc entstehen. Dieses Szenario erhält weitere Brisanz dureh die These der Individualisierung der Gesellsehaf"ten lind der damit angeblich verbundenen AuJ-lösung VOll Familien, Demgegenüber ha- ben Bengtson lI.H. mit dem Modell der Generationcnsolidaritüt ein inzwischen durch eine Fülle von empirischen Daten unterstütztes aneleres Szenario entwickelt (Bengtson 200 I, Bengtson/Roberts 1991, Silverstein/Bengtson/Lawton 1997). Der theoretische und empirische Vorteil des Ansatzes von Bengtson ist, dass intergene- rationale Beziehungen nicht einilleh auf Aggregatebene als Beziehungen zwischen Kohorten gesehen werden. Vielmehr geht es Bengtson um intergenerationale Be- ziehungen als Beziehungen zwischen Ihmilial miteinander verbundenen Generatio- nen, also zwischen Kindern und ihren Eltern und wiederum deren FItern (Grol.\el- tern der Kinder). Dafür müssen allerdings jeweils individuelle Familienmitglieder, die zu verschiedenen Generationen gehören, hinsichtlich ihrer BCi'.iehungen unter- einander untersucht werden.

Diese Arbeit beruht auf Daten des von der Delltsclwn Forsdlllngsgemeinschafl geförderten Projekts

"Value 01' Children (VOC) ami lntergencnltionul Relations" (Projektleiter: Ciiscla Trollllllsdorrc Konstanz lind lkrnhmd Nauek, ChcIl1Ilitz). Unser Dank gilt den Kooperalcllrcll im VOC-Projckt:

Gang Zhcng, Shaohuu Shi, Ilong Tang (Volkn.::publik China); BCl'Ilhmd-Nallck, Danicla Klaus, Jnna Suckow, (katc Schwarz, Isabell(~ Albert (Deutschland), ('oleLtl~ Sahaticr, !.yda l.Hnllegrand-Willcllls (Frankreich); Rall1esh ivlishra (Indien); Znrctkhall Kh.-M. SaralicvH, Vimlilllir A. Blonin, 1\1c,\<llldcr A. ludin (Russland); Cigdel11 Kagitcib,lSi, Hilgc i\laca (Tiirkci).

Ersch. in: Familie, Bindungen und Fürsorge : familiärer Wandel in einer vielfältigen Moderne;

Freiberger Studie zum familiären Wandel im Weltvergleich / Hans Bertram ... (Hrsg.). Opladen [u.a.] : Budrich, 2011. - S. 349-379. - ISBN 978-3-86649-391-9

Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-163708

(2)

350 Gisela Trammsdarff und Saris Mayer

Familiale Beziehungen implizieren eine reziproke Interdependenz insofern, als das eigene Verhalten und Wohlbefinden nicht unabhängig von den anderen Famili- enmitgliedern ist. Solche üunilialen Beziehungen sind asymmetrisch und bidirektio- nal, sie sind langfristig und nicht beliebig kündbar und sie sind nicht wie bei Partner- schallen durch Vereinbarung entstanden. Zudem sind sie flir den Einzelnen idcnti- tätsrelevant, denn sie gehen in seine lebenslange Sozialisation ein. Sehliel.Hieh sind fllmilial begründete intergenerationale Beziehungen gesellschalllieh relevant, denn sie sind der in So;t,ialisationsbedingungen verankerte Transmissionsricmen für die Weitergabe von Werten, Wissen und Handlungsbereitsehafkn. Dies beeinl1usst so- wohl die nachwachsende Kindcr- wie auch die Eltern- und Großelterngeneration (TromlllsdoriT 200%). Die Transmissionsefkkte in beide Richtungen besti mmen die Kontinuität der Gesellsehall sowie die Richtung ihres Wandels.

Dieses Kapitel geht der Frage nach, wie solche interdependenten, I\unilial be- gründeten intergenerationalen Beziehungen in einer Zeit tie(greilcnden demographi- schen Wandels entstehen und wie sie gestaltet werden. Zunächst werden im Folgen- den theoretischen Teil psychologische Grundlagen zu den Fragen der Genese und Gestaltung diskutiert. Dann wird gefragt, ob hier Universalien oder Kulturspezilika anz.tlnehlllen sind. Im dann lölgenden empirischen Teil werden Ergebnisse kultur- vergleichender Untersuchungen berichtet, die sich au

r

Daten des" Vaille 01' Children and Intergenerational Rclatiotls"·-Pf(~jcktes stützen. Am Ende wird ein intcgrativcs theoretisches Modell vorgeschlagen, das sowohl die soziologischen als alleh die psy- chologischen Aspekte von Intergenerationenbeziehllngen berücksichtigt.

2. Theoretische Grundlagen

2.1. Psychologische Aspekte von intergenerationalen Beziehungen: Merkmale und Einflussfaktoren

2.1.1. Merkmale von Intergenerationenbeziehungen

Intergenerationenbeziehungen und ihre Aspekte können sich [iber die Lebensspan- ne hinweg aufgruild vcrHndcrtcr Anforderungen an FWcrn lind Kinder in ihren ver- schiedenen QlIalitiiten verändern (T'roi11lllsdorfT200S, 2(06). Im Folgenden können nur Untersuchungen zu ausgewiihlten Aspekten diskutiert werden. Hinsichtlich der LcbcllsspanJlc wird hier nur auf intergenerationale Beziehungen im Erwachsenen- alter lind höherem Alter (also nicht il11 Kindesalter), also bei r':ltern und Großeltcrn, fokussiert. Hinsichtlich der qualitativen Aspekte interessiert hier zum einen die in der Alltagskol11ll1unikation erl[,hrenc IJcziellllngs'Iualität, wie die verbale Zuwen- dung und die Konllikthiiufigkeit (vgl. FurmanlBuhrmestcr 1985). Zum anderen in- teressiert hier als verhallensrelevante Solidarität die Unterstiitzung zIvisehen den

1

1

1 1

1

j

~

1 I

1 J

1

u

I il

'il

1

(3)

Intergenerationale Beziehungen im Kulturvergleich

---~---~---

351

Generationen (zwischen Eltern lind Großeltern), alleh weil dies sozial- lind J'lInili- enpolitische Implikationen hat.

Geben die Eltern (erwachsene Kinder) lind deren Eltern (Großeltern) einander finanzielle, instrumentelle, und!oder emotionale Unterstützung? Und planen sie ge- genseitige Unterstützung in der Zukunl1, auch wenn persönliche Einschränkungen in Kauf genommen werden müssen? Insbesondere dieser Aspekt der geplanten Unterstützung kann unterschiedlich motiviert sein: Eher prosozial-altruistiseh oder eher normativ. Die !Jlo/ivathmalen Grundlagen von intergenerationalcr Unterstüt- zung sind bislang nicht spezifisch im Sinne der Aitruis111usJllrsehung (vgl. Tromms- dorfT 2(05) untersucht worden. Dazu kommt ein anderer Aspekt, der die intergene- rationale Beziehung beeinträchtigen kann, die ".filiale fingst ". Insbesondere Müt- ter, die ihrerseits noeh eigene Kinder versorgen und müziehen, sind in der schwie- rigen Lage zu antizipieren, dass sie ihre alten Eltern (später) unterstützen müssen ("sandwich-generation") (vgl. Künelllund 2002).

2.1.2. Erklärungsmodelle und empirische Befunde

/UndungsCjualifül. Die Genese intergeneralionaler Beziehungen lässt sich sozio- biologisch auf" das universelle Bedürfnis nach Weitergabe eigener Gene und nach optimaler Versorgung der eigenen Nachkommen zurückführen. Damit sind fhih- kindlich die psychologischen Grundlagen für die enge emotionale Beziehung zwi- schen Mutter und Kind gelegt. Diese wirkt sich auf die lJincluugsqualität (secure, inseeure attachment) und das damit verbundene internale Arbeitsmodell aus und beeinflusst die weitere sozio-emotionale sowie kognitive Entwicklung des Kindes (Bowlby 1988). Die Bindungsqualität ist kein unveränderliches l'ersonenmerkmal (sie ist ein Beziehungsmerkmal und kann von späteren Erl"hrungen beeinflusst werden). Sie beeinflusst die weitere Eltern-Kind-Beziehung sowie auch die Bezie-

hung zum späteren Lebenspartner und zu den eigenen Kindern (vgl. Steele!Steele!

Fonagy 1996, SchwarzlTrommsdoriT 2005a). Die Bindungsqualität ist daher für intergenerationale Beziehungen über die Lebensspanneein wichtiger Faktor; sie ist darüber hinaus ein wichtiger Faktor flir die Weitergabe von Beziehungsqualität über die Cicnerationen hinweg.

{(ontexlnelle lIedingl/ngen. Die oben gestellte Frage nach den Bedingungen fL"tr in- tergenerationale Beziehungen lässt sich jedoch nicht allein durch die Wirkung der ihihkindlieh entstandenen Bindungsqualität beantwortcn, vor allem weil diese in den sozio-kulturellen und ("milialen Kontext eingebettet ist. Daher ist vielmehr im Sinne eines ökologisch-kontextuellen kulturintlll"mierten Fntwieklungsmodells an- zunehmen, dass distale und proximale Einflussbktoren aul' der Makro- und Mikro- ebene wirksam sind CT"rommsdorfT2007, vgl. Bronlenbrenner 1989, Whiting/Whi- ting 1975). Diese Bedingungen werden hier vor allem in sozio-ökonomisehen und kulturellen Kontextbedingungen sowie in den durch die Sozialisation vermittel- ten Werthaltungen gesehen.

(4)

352 Gisela Trommsdorff und Boris Mayer

~~~- _. ---_ ... ~

Dabei wird nicht schlicht angenommen, dass Kulturdimensionen wie Individua- lismus und Kollektivismus homogene Kulturen beschreiben. Vielmehr sind Kulturen komplex und keineslitlls statisch. Theoretisch relevante Merkmale wie z.B. Werthal- tungen (aber auch Familienstruktur oder Religion) sind jeweils Hir sich genommen keine hinreichenden Beschreibungsmerkmale llir eine Kultur, sie lassen sieh jedoch ILir hypothesengeleitete statistische Analysen verwenden, wenn man den sozio-kultu- rellen Kontext Il"tr die Interprclation der empirischen Ergebnisse mit berücksichtigt.

Individualismus/Kollektivismus 1I111(~lSSt zum einen eher Werte der Unabhängigkeit und Sclbsländigkeitund zum anderen Werte der Gruppenorientierung, Harmonie und Verbundenheit mit den entsprechenden Verhaltensprälcrenzen (Triandis 1995). Auf Grundlage ihrer Mctaanalyse haben Oyserman, Coon und Kemmelmeier (2002) eine unzuHissige Vereinlltehung von komplexen Kulturmerkmalen kritisiert. Es geht im Wesentlichen darulll, dass globale Aussagen unzulässig sind, aber durchaus situati- onsspezifisch Valenzen angesprochen werden können, die den Inhalten der Werte- dimensionen von Individualismus lind Independenz sowie Kolleklivistnus une! Inler- de/Jem{el7z entsprechen und die Erleben und Verhalten wie auch die Sozialisation in der Familie beeinllussen können. Diese Wertinhalte der Independenz und Interde- pendenz sind die eigentliche Grundlage der wenigen kulturvergleichenden Studien z.u Bedingungen und Folgen von intcrgenerationalcn Beziehungen.

Eng damit zusammen hHngen Familienwerfe, d.h. die Bedeutung der Familien- orientierung, insbesondere aber Normen der Verpflichtung gegenüber der Familie (f)ullily obligation). Besonders ausgeprägte Familienorientierungen bestehen in tra- ditionellen Kulturen sowie auch in Ländern, wo die materiellen Ressourcen primär innerhalb der Familie aufgebaut und weitergegeben werden. Daher sind in diesen Ländern die BClvcrlllng von Kindern (Value 01' Children, VOC) und damit zusam- menhängende FcrtiliHHsentschcidungen eher von utilitaristischen und normativen Erwartungen geprägt. Entsprechend sind die Familienbeziehungen eher obligatori- scher Natur, d.h. durch normative Regelungen hierarchisch (und nicht partnersehall- lieh) geordnet. Hier sind Gehorsam gegen(iber den Älteren und Akzeptanz der Re- geln wichtig, während "autonome" Entscheidungen eher im individualistischen Wertekontext gefördert werden, und zwar über die Lebensspanne hinweg. Kulturelle Werte, Familienwerte und die Bewertung von Kindern können somit als psychologi- sche Voraussetzungen /Lir intergenerationale Beziehungen vcrstandcn werden.

Value q/Children und Intergenerationale 8eziehungen. Die Fragen nach Ikdingun- gen und Ausprägung von nl1llilial verankerten intergenerationalen Beziehungen las- sen sieh auf der Grundlage theoretischer Überlegungen und Daten aus der internatio- nalen "Value 01' Children and Intergenerational Relations"-Studie diskutieren (TrommsdorrtlNauek 2005, 20 I 0). In den 70er .lahren sollte mit dem "Valuc of' Children"-Ansatz (VOC) generatives Verhalten in verschiedenen Gesellschallen vor allem unter dem Aspekt der Überbevölkerung in einigen Teilen der Welt erklürt wer- den (vgl. Arnold et al. 1975). Der "Wert" bzw. "Nutzen" von Kindern wurde in el-

(5)

Intergenerationale Beziehungen im Kulturvergleich 353

terlichen Erwartungen an Kinder in Bezug auf utilitaristisch-normative lind emotio- nale Bedürlhiserllillung gesehen. In den letzten Jahrzehnten haben insbesondere Ökonomen generatives Verhalten unter der Perspektive der Kosten von Kindern dis- kutiert, um den Geburtenrückgang in Wohlstandsgesellsehallen zu erklären. Damit sind die Miheren Ansätze der VOC-Studie nur unzureichend aufgegriffen worden.

In der VOC-Studie sind bereits Fragen nach Zusammenhängen zwischen ge- nerativem Verhalten, Elternschall und Generationenbeziehungen angelegt (Tromms- dorfl/Nauck 2005, 2()06). Diese Fragen sind in den psychologischen Arbeiten von 1I011man und !lolTman (1973) und Kagitcibasi (1982, 2(07) zu sehen. Nauck (200 I, 2007a, 2007b, in diesem Band) hat dicsc Fragen zudem aus Iiuniliensozio- logischer und handlungstheoretischer Sicht international vergleichend bearbeitet.

Aur Grundlage des VOC-Ansatzes ist anzunehmen, dass Eltern mit ihrem Kinderwunsch und ihrem generativen Verhalten lI.H. von generalisierten \Vert- haltungen und einer spezirisehen Bewertung von Kindern (VOC) ausgehen; diese implizieren U.H. bestimmte brwartungen an die Kinder lind an die zukünlligen in- tergeneratinnalen Beziehungen (z.B. Unterstützung im Alter) sowie ein bestimmtes (F·;rziehungs-)verhalten gegenüber den Kindern. Bei individualistischen im Ver- gleich zu kollektivistischen Werthaltungen müsste die Bewertung von Kindern we- niger mit utilitaristisch-normativen Erwartungen verbunden und eher auf emotio- nale Bedürlhiserl'lillung gerichtet sein sowie eher mit einer autonomie!lirdernden (im Vergleich zu einer gehorsamsorientiertcn) Erziehung zusammenhängen (AI- bertiTrommsdorfilWisnubrata 2009, Trommsdorfli'Mayer/ Albert 2(04).

Weiter geht der Value 01' Children-Ansatz von der Annahme aus, dass gene- ralisierte Werthaltungen und die Bewertung von Kindern (VOC) u.a. vom Wohl- standsniveau der Gesellschall (und der Familie) abhängen und Fertilitiitsentsehei- dungen beeinnussen. Empirische Berunde belegen: Je geringer das Wohlstandsni- veau1 desto höher die utilitaristisch-normativen Erwartungen an die Nachkommen und desto höher die Kinderzahl (Kagitcibasi 1982,2007, Nauek 2007b, Troillms- dorfr 2009a, Trommsdorrli'Kim/Nauck 2005, Trommsdorft/Nauek 20(5). Anders als für utilitaristisch-normative Erwartungen an Nachkommen sind jedoch f\ir el- terliche Erwartungen an emotionale Bedlirliliserfüllung durch Nachkoml11en keine Zusalnmenhänge mit dem Wohlstandsniveau anzullchll1Cn,

Die Annahme liegt nahe, dass die Bewertung von Kindern (VOC) unter utilita- ristisch-normativen lind unter emotionalen Aspekten mit entsprechenden Bewer- tungsaspekten von Generationenbeziehungen zusammenhängt. Allerdings setzt diese Annahme voraus, dass der Bewertung von Kindern relativ generalisierte Werl.- haltungen zugrunde liegen, die auch im weiteren Lebenslauf wirksam sind, wenn ei- gene Fertilitätsentscheidungen längst getrollen sind und sogar viele Jahre zurück lie- gen. Diese Art von Kontinuität lässt sich durchaus annehmen, wenn im gegebenen sozio-kulturellen Kontext entsprechende Bedingungen rür die Wirkung solcher gene- ralisierter Werthaltungen l\ir die Bewertung von Kindern und rür die Art von Gene- rationenbeziehungen gegeben sind. Worin können solche Bedingungen bestehen?

(6)

354 Gisela Trommsdorff und Baris Mayer

~-~"-"'~-'-~---'''~----''--~---''--..

Theorie der Fumilienmodelle. Auch wenn intergenerationale Beziehungen dort nicht eigens untersucht werden, ist der theoretische Ansatz von Kagiteibasi (2007) nun Wandel von Familienmodel/en fUr unsere Fragestellung relevant. Danach ist das Fa- milienmodell der emotionalen und materiellen [nferdependenz mit kollektivistischen Werten verbunden: es impliziert eine eher norm-orientierte Bewertung des Kindes (VOC) und eine eher interdependente aber asymmetrische Eltern-Kind-Beziehung, Das Familienmodell der emotionalen und materiellen Independenz ist dagegen eher von individualistischen Werten und einer emotionalen Bewertung des Kindes mit partnersehalllicher Eltern-Kind-Beziehung geprägt. Das Modell der emotionalen In- terdependenz soll als dritte Variante vor allem Gesellsehaflen im Übergang beschrei- ben, in denen die materiellen Abhängigkeiten innerhafb der Familie zurückgehen, die starke emotionale Interdependenz aber aufrechterhalten bleibt.

Empirische Befunde dazu haben Georgas, Berry, van de Vijver, Kagiteibasi und Poortinga (2006) in einer 30 Nationen umfassenden Studie vorgelegt Danach ist in Kulturen mit interdependenter Familienorientierung die emotionale Nähe in Familien am höchsten ausgeprägt, gel-ölgt von Kulturen rnit emotionaler lnterdc- pendenz und Kulturen mit independenter Familienorientierung, Unterschiede zwi- schen den Kulturen sind in Bezug auf instrumentelle Fal11i1ienbeziehungen (materi- elle I nterdependenzen) größer als in Bezug auf emotionale Nähe, Die kulturspezi- fisch unterschiedliche Bedeutung von Familienwerten, wie sie in der Präferenz von liunilialer Bindung zum Ausdruck kommt, hängt mit kollektivistischen Werthal- tungen und der BereitschaH zu Gehorsam gegenüber den Eltern (im Vergleich zu individualistischen Werthaltungen und Unabhängigkeitsstreben gegenüber den El- tern) zusammen.

Die Ansätze von Georgas et aL (2006) und Kagiteibasi (2007) behandeln zwar nicht direkt unsere Frage nach kulturellen Merkmalen, Bedingungen und Folgen von Intcrgcneralioncnbezichungcn. Sie sind jedoch für unsere Frage insofern rele- vant, als hier Familienwerte und die Bewertung von Kindern (VOC) sowie elterli- che Erziehungsziele und -verhalten und die Bedeutung von Autonomie und Ver- bundenheit thematisiert werden,

Ku!furbesonderhe;fen von Genel'ationenheziehungen. Allerdings gehen die bisher genannten Ansätze nicht auf kultur- und entwicklungspsychologische Aspekte von r·:ltcrn-Kind-Bczichungcll über die Lebensspanne ein, wie sie für intergenerationale Beziehungen, vor allem für Beziehungen über mehrere Generationen, relevant sind.

Daher hat TrornmsdorfT (2006,2007) den Value 01' Children-Ansatz mit dem kultli/'- iI?/hrrnierlen Iv/odell der Gelleralionenheziehungen über die Lebensspanne weitcr- geflihrt. Dies Modell sllitzt sich auf den Ansatz von Rothbaum, Polt, Azuma,

Miyake und Weisz (2000) und Tronunsdorff und Rothbaum (200S) zu kulturspezi- fischen Bedingungen tlir Eltern-Kind- und Intergenerationen-Beziehungen,

Es wird hier angenommcn, dass in Kulturen mit Bevorzugung von Werten der Independenz und des Individualismus die Eltern-Kind-Bczichungcn über die Le- bensspanne eher partnerschafllich strukturiert und durch Aushandeln von konfligie-

(7)

ir

Intergenerationale Beziehungen im Kulturvergleich - - - - ' C _ . _ _ _ _ .. _ ..•..•. _ _ _ . _ _ _ _ ._. 355

- - - -...

_ - - - _ . -

renden Interessen gekennzeichnet sind. Mit der Individuation im Jugendalter ent- stehen zunehmend eine Ablösung von elterlichen Erwartungen und die Verfolgung individueller Ziele. Im weiteren Lebensverlauf können sich dann nonnative Aspekte der Verptliehtung den Eltern gegenüber und damit verbunden die Sorge (Iilial anxiety) verstärken, ob man den alten Eltern ausreichend Unterstützung ge- ben kann.

Im Gegensatz dazu werden in Kulturen mit Bevorzugung von Werten der in- terdependenz (Kollektivismus) F':ltern-Kind-Beziehungen möglichst harmonisch gestaltet; in manchen Kulturen ist sogar eine symbiotische Beziehung zwischen Eltern und Kind zu beobachten. Eine sowohl empathiebasierte als auch normorien- tierte Sozialisation vermittelt Gemeinsamkeit, Wir-Gefühl und enge Verbundenheit zwischen den Generationen. Daher wirken hier filmiliale Verpflichtungen und Ge- horsamsl(ll'Clerungen von Eltern nicht bedrohlich. Im Gegenteil, Verplliehtungen (Gehorsam, Loyalitiit, Fürsorge) wie die "mial piety" in Asien (llsu 1971, Roth- baum et al. 2(00) Hirdern harmonische intergenerationale Beziehungen und vor allem das Gefühl von Sicherheit (assurance) und Geborgenheit auf beiden Seiten (vgl. Rothbaum/Trommsdorff 2007, 'l'rommscloriT 2006). Die somit ge((jrderte In- terdependenz sollte daher sowohl emotional als auch normativ basiert sein und der gegenseitigen Verbundenheit in Intergenerationcnbeziehung auch im späteren Le- bensalter zugrundeliegen.

Zusammen/itssend ist gemäß unserem kulturinf(ll'tnierten Modell der lebenslangen Intergenerationenbeziehungen (vgl. Abbildung I) LU\' anzunehmen, dass materielle Bedingungen auf der Makro- und Mikroebene (Wohlstandsniveau einer Geseil- schallund der sozio-ökonomisehe und Bildungsstand der Familie) sowie kulturelle

Normen und Werte als Makrovariablen mit dem Erziehungsstil in einer Kultur zu- sammenhängen, dcr wiederum Auswirkungen auf die Bindungserülhrungcn und das Sclbstkonzept (independent versus interdependent) hat. Beide sollten im Laufe der Entwicklung die Herausbildung individueller Werthaltungen (Familienwerte, Erwartungen an Nachwuchs) beeinl1ussen. Werthaltungen, Selbstdelinitionen und internale Arbeitsmodelle als Personvariablen stehen ihrerseits mit den Beziehungs- variablen der lleziehungsqualilät (Kommunikation, verbale Zuwendung, Kon- Ilikthäuligkeit, filiale Angst) wie auch mit Aspekten der intergenerationalen Unter- stützung (u.a. linanzielle, instrumentelle, emotionale) in Verbindung. Unter ande- rem über diese Beziehungsvariablen, die auch erzieherische Haltungen beinhalten, erfolgt die Sozialisation der nächsten Generation und damit die (kulturelle) Trans- mission von Selbstaufbssungen, Werthaltungen und Beziehungsmustern (vgl. Ab- bildung I).

(8)

356 Gise!a Trommsdorff und Boris Mayer

Abbildung I: KuiturinfiJrl11iertes Modell der Intergenerationenbeziehungen

: I E:qmrinnced I:

: i Parentinq !:

Cultural and socio-economic context

Quelle: TrOtlllllSdorfT (200 I).

Es liegen bereits empirische Belege flir einige der zentralen Annahmen unseres Modells vor. Allerdings fokussieren diese Studien noch nicht auf die theoretisch anzunehmenden spezifischen direkten und indirckten Zusammenhänge auf der Ma- kro- und Mikroebene und sie beruhen auch noch nicht auf systematischen Verglei- chen, die über mehrere Kulturen hinausgehen und die Mehrebenenanalysen erfor- dern, Dieser Schritt ist weiteren zukünftigen Studien vorbehalten,

Empirische Befunde zu den diesem Modell zugrundeliegenden Annahmen zei- gen lI.a., dass sozio-ökof}ornische lind kullurelfe Faktoren mit Wer/haltungen wie Individualismus/Kollektivismus (lioistede 200 I, Oyserman et al. 2002), dcr Wich- tigkeit von Familienwerten (Georgas et al. 20(6) und der Bewertung von Kindern (emotional/normativ) (VOC) (Kagitcibasi 2007, Trommsdorff 2007, 2009a, Mayer 2009a) zusammenhängen, Weitere cigene Untersuchungen auf der Grundlage der Daten der VOC-Studie belegen unter anderem, dass kulturelle Werthaltungen zu- sammenhängen mit elterlichen Erziehungsziclen und -verhalten (wie Gehorsamsfor- derungen) (vgl. Troll1msdorff et al. 2004, TrommsdorfT 200%), der '['ransmission von Werten (vgl. Albert et al. 2007), Entwicklungsergebnissen (z,B, Familienpla- nung) bei der jnngen Generation (Mayer 2009a, MayerlKnramschew/Troml11sdorff 2009, Mayer/Troml11sdorff 20 I 0) und nicht zuletzt mit Aspekten der Eltcrn-Killd-

(9)

Intergenerationale Beziehungen im Kulturvergleich 357 Beziehung auch im Erwachsenenalter (Schwarz/Trol11msdorfT 2005b, Trommsdorfll Schwarz 2(07). In Übereinstimmung mit den Annahmen unseres Modclls habcn sich (kulturspezilisch) in eigenen Untersuchungen Zusammenhänge zwischen indi- vidualistischen Werten und der Beziehungsqualität zwischen den Generationen (Ju- gendliche, Mütter, Großmütter) (Schwarz/Trommsdorfll Albert/Mayer 2(05) sowie Zusammenhänge zwischen Familienwerten und geleisteter Unterstützung der Eltern (Deutschland, China) gezeigt (Troml11sdorfilAlbert 2(09).

Bisher nicht geprün wurden jedoch die in dem Modell (vgl. Abbildung I) spezi- lizierten Annahmen zu Zusammenhängen zwischen dem Wert des Kindes (VOC), Beziehungsqualität und Unterstützung zwischen den Generationen im Vergleich ver- schiedener Kulturen. Im Folgenden sollen daher einzelne Bedingungen Hir Aspekte von Intergenerationenbeziehungen kulturvergleichend untersucht werden.

3. Aspekte von Intergenerationenbeziehungen:

Kulturvergleichende Ergebnisse

Das oben skizzierte kulturinforl11ierte Modell der intergenerationalen Beziehungen und seine theoretischen Annahmen liegen den j()lgenden Analysen und deren Dis- kussion zugrunde. Von besonderem Interesse ist hier,

a) welche Kulturunterschiede in Bezug auf den Wert des Kindes (VOC), inter- generationale Beziehungsqualitiit und Unterstützung bestehen;

b) ob und wie diese Unterschiede mit sozio-ökonomischen Bedingungen sowie individualistischen/kollektivistischen Orientierungen in den Kulturen im Zu- sammenhang stehen; und

e) ob kulturverankerte Werthaltungen (auf der Individualebene) die Qualität der E<:ltern-Kind-Beziehung und die (Art der) Unterstützung zwischen den Gene- rationen becinl-lusscn.

3.1. Methoden

Für die vorliegende Arbeit wurden sechs Kulturen bzw. Gesellsehatlen mit be- stimmten Kulturmerkmalen des Individualismus und Kollektivismus und unter- schiedlicher Ausprägung des Wohlstandsniveaus einbezogen. (Insgesamt wurden in der VOC-Studie inzwischen 16 Kulturen einbezogen).

a) Gesellschaften mit individualistischen Werthaltungen und hoherN Wohl- .1·tandWliveau: Dcutsehlandund Frankreich;

b) Gesellschaflen mit kollektivistischen Werthaltllngcn, millierem Wohls/andl'ni- veau lind stark ausgeprägtem sozialem Wandel: die Türkei, Russland und China;

(10)

358 Gisela Trommsdorff und Büris Mayer --"----".~,----,,---,-_.

__

.,,_._-- --'-~--'---

c) eine Gesellschall mit kollektivistischen Werthaltungen, niedrige/n Wohl- sland\'niveau lind stark ausgeprägtem sozialem Wandel: Indien.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass es eine grobe Vereinülchung wäre zu unter- stellen, dass es sich bei diesen sechs Ländern um homogene "Kulturen" handelt. In Bezug auf Länder wie Indien, das über eine Vielzahl von Sprachen und Ethnien verHigt, gilt selbstverständlich, dass unsere (wenn auch wohlbedacht) gewählte Stichprobe nur einen Ausschnitt der dort vorherrschenden Realität der Generatio- nenbeziehungen abbilden kann. Nichtsdestotrotz hat die kulturvergleichende For- schung gezeigt, dass Nationenvergleiche von großem Nutzen sind, um globale Va- riationen kulturbedingter psychologischer Merkmale zu ergründen und zu venlll- schaulichen.

Diese Gesellschallen unterscheiden sich, wie wir in Ii-üheren Arbeiten im Zu- saillmenhang mit VOC berichtet haben, zudem hinsichtlich ihrer kulturellen Werte und Familienbeziehungen erheblich (Übersieht bei Tromlllsdorl'fiNauek 2005) (zu Deutschland: vgl. Troml11sdorlT et al. 2004, Mayer/Albert/Troml11sdorfUSehwarz 2005, zu Frankreich: vgl. Albert 2007, zu Indicn: vgl. Mishra/Mayer/TrommsdorfU Albert/Schwarz 2005, zu China: vgl. LailLiu/Zheng 2009, zu Russland: vgl. Mayer et al. 2(09). Über Besonderheiten der f'amilienstruktur einiger dieser Länder be- richtet Nauek (in diesem Band).

Für die hier berichteten Ergebnisse wurden in allen beteiligten Kulturen zwei liunilial miteinander verbundene Generationen (erwachsene Töchter und deren ältere Mütter) untersucht. Die zugrundeliegende Stichprobe umlilsst pro Kultur jeweils ca.

n ce 300 erwachsene Töchter und ca. n ~ 100 ältere Müller. Die verbundene Stichpro- be umnlsst also 100 Dyaden, zusätzlich wurden 200 weitere erwachsene Töchter un- tersucht. Die erwachsenen Töchter waren alle auch Mütter (mindestens) eines ju- gendlichen Kindes im Alter zwischen 14 und 17 Jahren (das auch bell'agt wurde, hier aber nicht berücksichtigt wird). Die Teilnehmerinnen der Studie wurden mit dem standardisierten VOC-IR Fragebogen (Iilee-to-Hlee) interviewt (Trommsdorffi'Nauck/

Schwarz/Chakkarath/Sehwcnk 20(2). Obwohl es wünschenswert wäre, auch die Sicht erwachsener Söhne wie auch deren Väter mit einzubeziehen, wurde in der VOC-Studie der Fokus auf die mütterliche Linie gerichtet. Diese Fokussierung er- 1()lgte vorrangig aus ökonomischen Gründen, da eine kulturvergleichende Drei- Generationen-Studie (bei den hier nicht einbezogenen jugendlichen Kindern wurden übrigens beide Geschlechter erhoben) mit einem erheblichen linanziellen und organ i- salorischclll Auj-wand verbunden ist, der eine Prioritätcnsetzung notwendig macht.

Die Daten wurden getrennt Ilir die erwachsenen Töchter und die älteren Müller aus- gewertet. Für die Mittclwertvergleiehe erlölgte eine personenbezogene Standardisie- rung (so genannte Ipsativierung) der Likert-skalierten Variablen des VOC-Fragebo- gens um kulturspezitische Antworttendenzen zu kontrollieren. Zur besseren Darstel- lung und zur Angleichung an die ursprüngliche 5-stufige Likert-Skala wurde zu den standardisierten Mittelwerten eine Konstante addiert. Für die Zusammenhangsanaly-

(11)

Intergenerationale Beziehungen im Kulturvergleich 359

sen auf Kulturebene wurden niehtparametrischc Korrclationen berechnet (Kendalls Tau), Obwohl Signifikanztests bei einer Stichprobe von n ", 6 nur bedingt aussage- krürtig sind, wurden llir dieses Maß exakte Tests (I-seitig) tur gerichtete Hypothesen durchgeführt. Diese Makro-Zusammenhänge werden aus Platzgründen nur für die erwachsenen 'röehter dargestellt. Für die Zusammenhänge aur der Individualebene wurden Regrcssionsam\lysen (pro Land und Generation) durehgc\lihrl.

3,2. Mittelwertunterschiede zwischen den Kulturen

Für alle Variablen und Ilir beide Generationen waren Kulturunterschiede (mit Aus- nahmc der emotionalen Unterstützung von erwachsenen Töchtern an ihre eigenen Mütter) signifikant (mindcstens p < 0,(1), Die Effektstärken (erklärte Varianz im Sinne von 112) werden nach Cohen (1988) als gering (0,0 I :S rl2 :S 0,06), mittel (0,06

< 112 :S 0,14) und groll (112 > 0,14) bezcichnct. Im Folgenden werden geringe Elkkt- stärken auch als geringe Kulluf'unterschiede und mittlere EffcktsUirken auch als suhstanzielle oder deutliche Kultul'unterschiede bczeichnet. Unterschiede in den Ausprägungen der Variablen zwischen erwachsenen Töchtern und älteren Müttern wurden hier wegcn der unterschiedlich großen Stichproben nicht statistisch getes- tet, werden aber deskriptiv berichtet.

3.2,1, Value of Children

Vorangehende Faktorenanalysen ergaben theoriekonfürm zwei Faktoren, die sich über die Kulturen hinweg als valide erwiesen (llir diesbezügliche kulturvcrgleiehen- de Äquivalcnzanalysen vgl. Mayer 20(911), In der Tradition der Value 01' Childrcn- Forschung (vgl. Arnolcl et al. 1975, Kagiteibasi 1982) können diese beiden Faktoren als emotionaler Wert des f(indes und utilitaristischer fVerl des Kindes bezeichnet werden, Der emotionale Wert bezieht sich auf emotionale Bedürlhisse der Eltern, die durch ein Kind crtl'liit werden, während sich der utilitaristische Wert auf ökonomi- sche Bedürlhisse (z.ll, Alterssicherung), aber auch auf normative "Bedürthisse" (wie z,ll, das Bedürlilis, den Erwartungen von Verwandten oder der Gesellschall als Gan- zes nachzukommen) bezieht. Nauck (in diesem Band) berichtet über sehr ähnliche Dimensionen cles Wertes des Kindes, die er aber angelehnt an ökonomische und so- ziologische Theorien zur Bedürf"nisstruktur dcs Menschen anders bezeichnet.

Während sich kaum Kulturunterschiede f"ür den emotionalen Wert des Kindes zeigen, ergeben sich erwartungsgemäß große Kulturunterschiecle f"ür den utilitari- stischen Wert des Kindes, Hier sind 42 Prozent (erwachsene Töchter) bzw, 27 Pro- zent (ältere Mütter) der Varianz auf Kulturunterschiede zurückzuführen, Dabei las- sen sich drei Gruppen von Kulturen unterscheiden: Hoher (Indien), mittlerer (Russland, China, Türkei), und niedriger (Frankreich und Deutschland) utilitaristi- scher Wert des Kindes (vgl. Abbildung 2),

(12)

360 Gise!a Trommsdorff und Boris Mayer

- - -

AMi/dung 2: Wert des Kindes im Kultur- und Generationenvergleich

ÄltCI'l' Müttcr

4,00 3,50 3,00

.1>

2,<;0 2,00

I;

',ij c ';:j -~

0 c

:-;0; 0 :f~

g :g

,~ ro l~ .2:!

co ~

Türk!:i Cllill.:J flu;,,;ldlld Indien

AfllIlCI'lwng: Ipsativicrtc Werte mit addierter Konstante (zur Allnlihcrung an die Originalskala). ()rigi~

nalskala von ,,1 überhaupt nicht wichtig" bis "S sehr wichtig".

Dieses Mustcr ist zwar bei den erwachsenen Töchtern stärker ausgeprägt als bci den älteren Müttern, insgesamt jedoch berichten in allen Kulturen die älteren Müt- ter eine höhere Wichtigkeit des utilitaristischen Wertes des Kindes als die erwach- senen Töchter, wobei die Differenz in China und Frankreich besonders stark aus- nillt. Dem liegen die konservativeren Wcrthaltungcn der älteren Generation zu- grunde (vgL Abbildung 2). Es zeigt sich auch, dass in allen Ländern der emotionale Wert des Kindes wichtiger als der utilitaristische ist. Besonders augenllillig ist die starke Diskrepanz zwischen der Ausprägung des emotionalen Wertes und des uti- litaristischen Wertes des Kindes in Deutschland und Frankreich und die entspre- chend niedrigeren Diskrepanzen in den anderen Ländern, besonders in Indien, wo der emotionale und utilitaristische Wert des Kindes !lISt gleich bedeutend sind. Ne- ben der absoluten Ausprägung ist also die relative Bedeutung des utilitaristischen VOC im Vergleich zum emotionalen VOr: zu beachten.

Auf der Kulturebene zeigt sich eine tendenziell signilikante Korrelation (Ken- dalls Tau ~ 0,60, I' " 0,07) zwischen dem Wohlstandniveau im Sinne des Human Development Index (HDI, UND!', 20(9) eines Landes und dcr Differenz zwischen emotionalem und utilitaristischem VOC pro Land: Je höher der IIDI, desto höher ist die relative Wichtigkeit des emotionalen im Vergleich zum utilitaristischen VOc. Dagegen ergibt sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Indi- vidualismus eines Landes nach Holste,!e (200 I) und der Differenz zwischen emo- tionalem und utilitaristischem VOC (Kendalls Tau = 0,20,1' = 0,36).

(13)

Intergenerationale Beziehungen im Kulturvergleich 361

3.2.2. Beziehungsqualität

Die Items wurden von dem "Network 01" Relationships Inventory" von Furman und Buhnnester (1985) adaptiert und zur Messung von verbaler Zuwendung (Häutig- keit gegenseitigen Austauschs zu persönlichen Themen sowie Häufigkeit erfahre- ner Wertschätzung durch den Beziehungspartner) sowie der Häuligkeit von Kon- Ilil<len in der Beziehung zwischen Mutter und Tochter verwendet.

Sowohl für Zuwendung als auch für Konflikte zeigen sich deutliche Kultu- runterschiede (erklärte Varianz bei erwachsenen Töchtern bzw. älteren Müttern:

Zuwendung 14 Prozent bzw. 8 Prozent; Konflikte 15 Prozent bzw. 12 Prozent). In allen Ländern ist die gegenseitige Zuwendung höher ausgeprägt als die Kon- flikthäuligkeit (vgl. Abbildung 3). Die Diskrepanz zwischen Zuwendung und Kon- Ililden unterscheidet sich aber deutlich zwischen den Kulturen. In Indien ist die Diskrepanz am deutlichsten ausgeprägt, gel()lgt von China, der Türkei und Russ- land. In Deutschland (hier nur in Bezug anl" die erwachsenen Töchter) und beson- ders in Frankreich ist die Diskrepanz am niedrigsten ausgeprägt. Bezüglich der MUtler-Kind-Beziehung im Erwachsenenalter deutet sich also an, dass in den asia- tischen Kulturen Konflikte eher vermieden bzw. durch ein hohes Maß an Zuwen- dung ausgeglichen werden, während Konflikte in Frankreich als einer westlichen Kultur beinahe genauso häufig sind wie die verbale Zuneigung zwischen den Ge- nerationen. Für das Wohlstandniveau eines Landes zeigt sich eine signifikante Rangkorrelation (Kendalls Tau c' -O,S7, P < 0,(1) zwischen dem HDI und der rela- tiven Häufigkeit von Zuwendung versus Konflikten in der Mutter-Toehter-Bezie- hnng (aus der Perspektive der erwachsenen Töchter): Je höher der UDI, desto ge- ringer die Differenz, desto relativ häufiger also treten Konllikte in der Mutter- Tochter Beziehung aue Die Korrelation mit dem Individualismusindikator von [-]or~

stede geht in dieselbe Richtung, wird aber nicht signifikant (Kendalls Tau o~ -0,47, f!

0,14).

Dieses Ergebnis entspricht den Vorhersagen des kulturinf(lI"mierten Modells der Intergenerationenbeziehungen: In Wohlstandsgesellsehal1en erlaubt die an in- dividuellen Zielen orientierte Gestaltung von Eltern-Kind-Beziehungen den Aus- druck von interpersonalen Konflikten. Das ist hingegen in einer kollektivistischen Gesellschaft mit relativ niedrigem Wohlstandsniveau wie in China, die zudem durch konfuzianische Normen geprägt ist, sehr unerwünscht. Hier geht es um die

!\ufrcchterhaltung einer nonnativ hicHlrchisch organisierlen Familienstruktur, 111

derjeder seine Pflichten er/lHlt und zur Stabilisierung der Harmonie beiträgt.

(14)

362 Gisela Trommsdorff und Saris Mayer

AMi/dung 3: Beziehungsqualität zwischen Muller und Tochter im Kultur- und Gcnerationcllvcrglcich

,. [IW,lC!lsCIlC Töchter Altere Mllttcr 3,50

'J,OO

2,50

L,:;()

I.··· .. ···::···

,';::; ,"i,

2,00

II\diell HlI5SI,1I1d [)(>Illschl,llld Frankreich

Ilmnerkuflg: lpsativicrtc Werte l11it addierter Konstante (zur AnniihcrLlllg an die Originalskala). Origi- nalskala von ., I nie" bis,,5 iml11er" (bezogen aur die I-Hiuligkcit von zllwcndlillgs- bzw. kon- fliktbczogcncn Verhaltensweisen).

Die/ilia/e Angsl (lilial anxiety), die wir hier im weiteren Sinne als Teil der Bez,ie- hungsqualitiit verstehen, wurde nur für die erwachsenen Töchter erhoben. Zur Er- fassung dieses Konstrukts wurde eine Skala von Cicirelli (1988) verwendet. Damit sollte die Besorgnis der erwachsenen Töchter gemessen werden, ihren alten Eltern die erforderliche Unterstützung geben zu können. Mit 15 Prozent VarianzHulldii- rung zeigt sich hier ein starker KulturelTekt, der aur die hohe Ausprägung der fi- lialen Angst bei fi'anzösisehen und deutschen erwachsenen Töchtern (mit Mittel- werten von 2,83 bzw. 2,79) und aur die deutlich niedrigeren Ausprägungen bei tür- kischen (2,50), chinesischen (2,48), indischen (2,41) und vor allem bei russischen erwachsenen Töchtern (2,0]) zurückgeht. Während der HDI und die Ausprägung der filialen Angst nicht signifikant korreliert sind (Kendalls Tau ~ 0,47, f! .: 0,14), zeigt sieh IUr den Hol'stede'schen Individualisillus eine tendenziell signilikantc po- sitive Korrelation (Kendalls Tau 0,60, jJ c: 0,(7). In individualistischen Gesell ..

sehafkn ist die liliale Angst also tendenziell stärker ausgeprägt als in kollektivisti- schen Gesellschallen.

Auch diese Befünde entsprechen den Erwartungen unseres Modells insofern, als in individualistischen im Vergleich zu kollektivistischen Kulturen eine weniger lebenslang verlässliche Beziehung zwischen den Generationen besteht. Vielmehr müssen hier Beziehungen immer wieder ausgehandelt werden, wUhrend sie in kol- lektivistischen Kulturen durch selbstverständliche Sicherheit der Gegenseitigkeit

(15)

Intergenerationale Beziehungen im Kulturvergleich 363

und Verbundenheit gekennzeichnet sind. Besonders ausgeprägt ist dies in China, wo die konfuzianische Lebensführung mit dem Werte der ,,1llial piety" (I-Iwang 1999), der lebensspannenübergrei fenden Verpflichtung der Kinder für das Wohl der Eltern zu sorgen, eben keine große Besorgnis auslöst, dieser Verpflichtung nicht nachkommen zu können. Die sehr niedrige Ausprägung der filialen Angst bei nissischen erwachsenen Töchtern flihren wir darauf zurück, dass in dieser Gesell- schaft die gegenseitige Abhängigkeit der Generationen durch den Wandel von ei- ner kommunistischen zu einer postkommunistischen Gesellschaft und der damit einhergehenden Wirtschallkrise bereits sehr hoch ist (vgl. auch Nauek in diesem Band), die belhlgten erwachsenen Töchter also mit wirtschaillichen Risiken einer- seits und mit tlunilialer Bindung andererseits vertraut sind und daher weniger 11- liale Angst erleben.

3.2.3. Unterstützung

Hier wurden ausgewählte Merkmale des Modells der intergenerationalcn Solidari- tät von Bengtson (200 I) (vgl. auch Bengtson/Giarrusso/Mabry/Silverstcin 2(02) übcrprii

n,

der eine integrierende f-'!unktion von Mehrgenerationenbeziehungen in

modernen Gesellsclmflen annimmt. Die von seinem Modell der Generationensoli- darität angeregten Untersuchungen belegen für Wohlstandsgesellsehal'ten (mit ei- ner relativ guten Iinanziellen Absieherung der älteren Generation) einen lebenslan- gen finanziellen Transfer von der Eltern- zur Kindergeneration (Szydlik 20(0).

Es stellt sich die Frage, ob ein solcher Transfer auch in ökonomisch schlechter gestellten Gesellschaften oder in Wohlstandsgesellschaften mit geringer Institutio- nalisierung von staatlicher Altersversorgung zu beobachten ist. In den meisten Ge- scilsehaHen zeigt sich ja ebenlillis eine zunehmende Lebenserwartung, auch wenn diese Gesellschaflen keine Wohlstandsgesellschallen im engeren Sinne sind. Ne- ben der Ilnanziellen Unterstützung sind vor allem die instrumentelle und emotio- nale Unterstützung wichtige Merkmale von Unterstützungsleistungen zwischen den Generationen. Damit knüplen wir hier an die Aspekte der utilitaristischen und emotionalen Aspekte von VOC an und !i'agen, ob die Aspekte der Unterstützung zwischen den Generationen ähnlich wie die VOC: im Kulturvergleich ausgeprägt sind. Die UnterslÜtzungsaspekte wurden mit einem selbstentwickelten Instrument erbsst, bei dem die lläullgkeit der in den letzten 12 Monaten gegenüber der Mutter bzw. der Tochter geleisteten emotionalen, instrumentellen (praktischen) llnanziel- len Untersllilzung auf einer 5-stullgen Likert-Skala (von I nie bis 5 '" immer) eingeschätzt werden sollte.

Für die emotionale Unterstiitzung zeigen sich bei den erwachsenen Töchtern keine signil1kanten Kulturunterschiede, bei den älteren Müllern dagegen deutliche Kulturunterschiede (12 Prozent erklärte Varianz). Die erwachsenen Töchter be- richten durchgehend eine hohe emotionale Unterstützung an ihre eigene Muller, während besonders in Frankreich und Deutschland die älteren Mütter eine niedrige-

(16)

364 Gisela Trommsdarff und Baris Mayer

--_._-_

... _.

__

.•. _---_._-._--~~,.

__

.... _-.~--..

---'_.

re emotionale Unterstützung als andersherum berichten (vgl. Abbildung 4). [n die- sen beiden Ländern mit hohem Wohlstandsniveau und vorherrschenden individua- listischen Werten scheint sich die altere Generationen also entweder weniger in der Lage oder weniger bereit zu fühlen, die jüngere Generation aueh im cmotionalen Bereich zu unterstützen. Dies könnte unter anderem auf das oben berichtete relativ hohe Konlliktniveau zwischen Mutter und Tochter zurückzuHihren sein. Da sich kaum Kulturunterschiede zeigen wundert es nicht, dass auch die Kulturebenen- Korrelationen der (von den erwachsenen Töchtern berichteten) emotionalen Unter- stlHzung mit dem HDI bzw. dem Individualisillus nach Holsterte nicht signilikant sind (Kendalls Tau .•• 0,28,1''' 0,29 bzw. Kendalls Tau •.• 0,14,1'

=

0,43).

Ein sehr ähnliches Muster zeigt sich Ilir die geleistete ins/nunentelle Unter- stützung (durch Kulturunterschiede erklärte Varianz 5 Prozent Ilir die erwachsenen Töchter und II Prozent leir die älteren Mütler). Auch hier ergibt sich in Deutsch- land und Frankreich eine starke Diskrepanz 7wischen erwachsenen Töchtern und älteren Müttern. Insgesamt wird eine geringere lliiuligkeit praktischer Hilfe im Vergleich zu emotionaler Hille berichtet (vgl. Abbildung 4). Auch !l'lr die instru- mcntelle Untcrstützung crgeben sieh keine signifikantcn Zusammenhänge mit dem HDI bzw. delll Individualismus nach IloCstede (Kendalls Tau' 0,20, fi .' 0,36 bzw.

Kendalls Tau ce -0,20, p '.' 0,36).

Für die finanzielle lJntersWtzung zeigen sich erhebliche Kulturunterschiede Ilir bcide Generationen (14 Prozent bzw. 9 Prozent erkliirte Varianz). Zum einen leisten die nlteren Mütter in allen Kulturen außer in China hiiuliger linanzielle Un- terstützung an ihre erwachsenen Töchter als umgekehrt (vgl. Abbildung 4). Nur in China erfolgt der rinanzielle Transler gemiiß der konilizianisehen Tradition der

"Iilial piety" eher von der Kinder- zur Eltemgeneration. Zum anderen ist der linan- zielle Transfer von der älteren zur jüngeren Generation in den kollektivistischen Ländern mit geringercm Wohlstnndsnivcau wie Russland am höchsten. Auch un- abhängig von der generationalen Zugehörigkeit zeigt sich in Russland und China das höchste Ausmaß bzw. die höchste Häutigkeit linanzieller gegenseitiger Unter- stützung. Besonders in Russland dürlle dieses Ausmaß neben der kollektivistischen Grundorientierung auch auf die gegcnwHrtigc wirtschallliehe Lage und teilweise unsichere staatliche Versorgungssysteme zurückzuführen sein, die die inllcrt~lmiliä­

re gegenseitige Unterstützung in großem Maße notwendig macht.

Die Kulturebenen-J(orrelation der von den erwachsenen Töchtern berichteten finanziellen Unterstützung mit dem Wohlstandsniveau (IIDI) des entsprechenden Landes ist substanziell, aber nicht signilikant (Kendalls Tau'" -0,47, I' 0,14), wohingegen die Korrelation mit dem lfoCstede'sehen Individualismus tendenziell signifikant ist (Kendalls Tau c' -0,60, I' ~ 0,07). Dieses Ergebnis legt nahe, dass in individualistischen Kulturen weniger finanzieller Transfer VOll der Eltern- zur Groß- elterngeneration ert(llgt als in kollektivistischen Kulturen.

(17)

Intergenerationale Beziehungen im Kulturvergleich

Ahhildllng 4: Gegenseitige geleistete Unterstützung (emotional instrumentell, finanziell) zwischen Mutter und Tochter im Kultur- und

GCl1crationenverglcich

3,00

2,00

I)

1,'iO

f~ '~~ '~ i .~

,

~.j t~

*

'iG ~) ',i; ~:J i\J , 2l ~~

~l

~;

(~ ,-.,

~':? <e;

g

Cl ~ c ~! i '\) ~! ~:~ ()

~! " E ~ Ci

~

~.; 0 E '" ~; () 2 '"

,

Q E ;; 9

"

i;:i

;1 ,,'

,~~ l~~

H

,~~ !

f~

li'

,:

~ " lS

lLi

': s: s ~::

(bind Illdil'1l

365

Anf}/C/'jwlI[;: Ipsativiertc Werte mit addierter Konstante (zur Anlliillcrllllg (1lI die Originalskala). Origi- nalskala von,.! nil~" bis ,,5 immer" (bezogen auf die I [iiLlfigkl~it dcr jcwciligcn lJnterstntzungs- handlungen).

In Bezug auf' die prospektive Unterstützung, also die Bereitschaft, in Zukunll per- sönliche Einschränkungen in Kauf zu nehmen, tim die jeweils andere Generation der erwachsenen Töchter bzw, älteren Mütter im NoUü11 zu unterstützen, ergeben sich kaum Kulturunterschiede (je 2 Prozent erklärte Varianz bei erwachsenen Töchter und älteren Müttern). In Bezug auf' Generationenuntersehiede zeigt sich, dass in Russland und in der Türkei die älteren Mütter zu größeren Einschränkungen bereit zu sein scheinen als ihre Töchter. Die Mittelwerte feil' alle Stichproben liegen etwas über dem Skalcnmillelpunkt von 3 (zwischen 3,21 und 3,48 bei den erwach- senen Töchtern und zwischen 3,38 und 3,66 bei den älteren Müllern). Entsprechend den geringen Kulturuntersehieden ergeben sich auch keine signifikanten Kulture- benen-Zusammenhänge für die prospektive Unterstützung aus Sicht der erwachse- nen Töchter, weder mit dem IIDI (Kendalls 'rau -0,07, /' 0,50), noch mit dem Individualismus nach llofstelle (Kendalls Tau ,~ -0,47, /' '" 0, 14).

Sind die erwachsenen Töchter und älteren Müller Ilir die berichtete Unterstlit- zungsbereitsehall eher altruistisch oder eher nonnativ motiviert? Die Unterstützungs- motivation wurde mit Hilfe eines aut' der Basis von Staub (1986) selbst entwickelten Instruments gemessen. Für hcide Motivatiol1sdimcllsionen ergeben sich substanzielle Kulturunterschiede, Bei den erwachsenen Töchtern ist die erklärte Varianz flir die normative Motivation größer als t-lir die altruistische Motivation (21 Prozent YCrSLlS 12 Prozent), bei den älteren Müttern zeigen sich llir beide Dimensionen ähnliche Ef~

(18)

Gisela Trommsdorff und Boris Mayer

Icktgröikn (9 Prozent versus 8 l'rozeut), Die altruistische Motivation ist in allen Kulturen ausgeprägter als die normative Motivation und zwar bei heiden Generatio- nen und am stärksten in Deutschland und Frankreich, In beiden Ländern werden in- tergenerationalc Beziehungen gemäß unserem theoretischen Modell eher durch indi- viduelle Priilcrenzen als durch normative Vorgaben gestaltet Dies gilt besonders Ilir die Generation der erwachsenen Töchter und etwas weniger für die der älteren Müt- teL In der Türkei zeigt sich ebenhIlIs eine relativ schwache Ausprägung der normativ motivierten prospektiven Unterstützung, was auf einen Wertewandel in den Genera- tionenbeziehungen hinweist. In Russland und China und noch mehr in Indien ist die normative Motivation beinahe genauso stark ausgeprägt wie die altruistische Motivation, Dieser Befund bestätigt die postulierte nonnative Prägung der Genera- tionenbeziehungen in diesen kollektivistischen Kulturen,

Abbildung 5,' Motivation tlir prospektive Unterstützung zwischen Mutter und Tochter im Kultur- und Generationenvergleich

!\,OO

3,')0

I

3,00

I I I

2.50

~ "

> '" E ()

:,:;: ;;:

y,

.~ ~ '~ c >

,.~ ,"J

"

f~ E

§

'J' ~;:

?

Ci ~ ~~ 6

z z: z:

~1: ;;: ;:-(

(hind Indicll

Alllllcr/wng: Ipsativicrtc Werte mit addierter Konstante (zur Annühcrung an die Originalskala). Origi- nalskala VOll ,,1 ,-- khne stark nb" bis.,5 stimmte stark zu" (bezogen aufahuistischc bzw. normative Gründe ltir die prospektive lJlIlt~r.st(itzllng).

Auf der Kulturebcne zeigt sich eine signifikante Rangkorrelation (Kendalls Tau- 0,73, p < 0,05) zwischen dem Wohlstandniveau eines Landes und der Dilkrenz zwischen der von den erwachsenen Töchtern berichteten altruistischen und norma- tiven Motivation: Je höher der !-IDI, desto höher die relative Wichtigkeit der altruis- tischen im Vergleich zur normativen Motivation für prospektive Unterstützung (Opferbereitschaft), Kein signillkanter Zusammenhang ergibt sich dagegen zwi- schen dem Individualismus naeh Hoistede und der DiCicrenz zwischen altruisti- scher und normativen Motivation (KendaUs Tau ~ 0,33, p ~ 0,25 ),

1. ',' .. ·.

, , ,

ii

j

;1 ,I

•. 1.

1

]

I

I1

I

(19)

Intergenerationale Beziehungen im Kulturvergleich 367

---~----~~-~---~---~~~-~---~~---

Zusammenjilssung. Die Ergebnisse zur Bewertung von Kindern (VOC), zur Bezie- hungsqualiUil wie zu Aspekten der Unterstützung und insbesondere zur Unterstüt- zungsmotivation belegen ein klares Muster von Kulturunterschieden, insbesondere zwischen den beiden westeuropäischen im Vergleich zu den anderen Ländern, teil- weise aber auch zwischen den kollektivistischen Ländern mit mittlerem Wohlstands- niveau (Türkei, China und Russland) und Indien als nach wie vor sehr traditioneller Kultur mit niedrigem Wohlstandsniveau. Das Muster der Kulturunterschiede bei den Werthaltungen, den Unterstützungsmotiven und bei der Beziehungsqualitiit bestätigt unsere a-priori vorgenommene Cluster-Einteilung, die der Cluster-Einteilung im Hu- man Devclopment-Index entspricht (siehe die bedeutsamen Kulturebenen-Zusammen- hänge dieser Konstrukte mit dem HOl). Die Kulturunterschiede bezüglich liIialer Angst sowie linanzieller Unterstützung korrelieren dagegen stärker mit dem Indivi- dualismus und weniger mit dem !lD!. Dies weist darauf hin, dass sich Wohlstands- niveau und kultureller Individualismus versus Kollektivismus zwar überlappen, aber keinestlllls gleichzusetzen sind. Des Weiteren zeigt sich über die Kulturen hinweg eine stärkere Ausprägung emotionaler im Vergleich zu instrumentell-utilitaristischen Grundlagen von Generationenbeziehungen. Dies bestätigt die Annahmen von Bcngt- son (20n I) aber auch die Annahmen von Kagitcibasi (2007) zu den Familienmodellen.

3.3. Zusammenhänge zwischen Value of Children, Beziehungsqualität und Unterstützung

Um über die Ausprägung der hier interessierenden Aspekte hinaus auch die psy- chologische Struktur der Intergenerationenbeziehungen in den verschiedenen Kul- turen zu beschreiben, werden im Folgenden einige Ergebnisse zu Zusammenhän- gen zwischen Aspekten von Werthaltungen, Beziehungsqualität und Unterstüt- zungsleistung in den Kulturen (aufgrund von Regressionsanalysen pro Kultur und Generation) berichtet. Dabei gehen wir auf Grundlage des kulturint"rmierten Mo- dells der Generationenbeziehungen davon aus, dass der Wert des Kindes als gene- ralisierte Werthaltung nicht nur die Beziehung zu den eigenen Kindern beeintlusst, sondern darüber hinaus Ilir die Ausgestaltung einer Vielzahl von persönlichen Be- ziehungen, inklusive der Beziehung zur eigenen Mutter, wirksam werden kann. Die Beziehungsqualität steht nach diesem Modell wiederum in engcm Zusammenhang mit der geleisteten und zukünlligen geplanten Unterstlitzung des Beziehungspart- ners. Bei der Analyse gehen wir idealtypisch von einer Wirkriehtung aus, die die Werthaltungen (und Selbstaun'lssungen) als Startpunkt sicht, die Beziehungsqua- lität als vermittelnde Variable, und die Unterstützung(sbereitsehaft) als abhängige Variable. Diese Wirkriehtung ist aber nur eine von mehreren möglichen und chlher als vereinl'lehtes Modell eines komplexen Wirkungsgefüges zu verstehen. Zum Bei-- spiel können auch durch Unterstlitzungsleistungen bedingte Konflikte entstehen und diese damit die Beziehungsqualität beeinllussen.

(20)

368 GiseJa Trommsdorff und Büris Mayer

Während sich bei den Kulturverglcichen wr Ausprägung von WerthaltungeIl, der Beziehungsqualitiit und der Unterstützungsleistungen (und aueh bzgl. der Zusam- rnenhangsanalysen aur Kulturebene) erwartete interkulturelle Variationen bzw.

durch den Kulturraum bedingte Muster von Ähnlichkeiten und Unterschieden be- stütigten, erwarten wir bei den Zusammenhangsanalysen eher kulturelle Ähnlich- keiten. So sollte z.ll. unabhängig von der relativen Bedeutung des emotionalen Wertes des Kindes in einer Kultur dieser Wert auf der individuellen Ebene positiv mit einer engen Beziehung (im Sinne hoher Zuwendung) zusammenhängen, und diese wiederum z.B. mit einer hohen geleisteten emotionalen Unterstützung.

3.3.1. Value of Children als Erklärungsvariable für die Beziehungsqualität

Die Be~vertung von Kindern als generalisierte Werthaltung kann bestimmte Aspek-

te dcr interxenerationalen Beziehungsqualität crklürcn. Für die erwachsellen 'föch- ter zeigten die VOC-Dimensionen allerdings kaum Vorhersagekrall bezüglich der Beziehungs(jualität mit ihrer Muller (vgl. Tabelle I). Die Ausnahmen sind positive Ellekte aur die berichtete Zuwendung des utilitaristischen VOC in Frankreich und des emotionalen VOC in China und der Tlirkei, sowie ein negativer Enekt des emotionalen VOC auf die berichtete Konllikthäuligkeit in Indien. Bei den älteren Müllern zeigen sich dagegen mehr signifikante Errekte: In Deutschland sowohl ein positiver Effekt des utilitaristischen VOC auf die Zuwendung als auch ein negati- ver Effekt derselben Variable auf die Konllikthäuligkeit.

Hier sei daran erinnert, dass dieser der utilitaristische VOC in den individuali- stischen Kulturen deutlich niedriger als in den eher kollektivistischen Kulturen ausgeprägt ist. Es scheint aber, dass gerade in den individualistischen Kulturen die- se konservativen Werte llir die ältere Generation eine positive Rolle Ilir die Bezie- hungsqualitiit spielen können. Für die ältere Generation von Müttern zeigt sieh in den meisten Ländern auch ein positiver Eflckt des emotionalen VOC auf die er- lebte Zuwendung in der Mutter-Tochter-Beziehung. Besonders stark ist dieser EI~

lek! in Indien. Der Zusammenhang zwischen Value 01' Children (VOC) und Kon- flikten ist auch bei den älteren Müllern kaulll ausgeprägt.

Insgesamt zeigen sieh also Ilir die älteren Müller konsistente Effekte des elllotionalen VOC auf die gegenseitige Zuwendung in der Beziehung, wobei onen bleibt, inwiel'ern hier von einem kausalen Zusammenhang zwischen generalisierten Werthaltungen, die in der Beziehung zu Kindern emotionale Bedürll,issc erfüllt se- hen, und einer positiven emotionalen Bezichungsqualität gesprochen werden kann.

(21)

Intergenerationale Beziehungen im Kulturvergleich 369

'lilbe!!e 1: Regressionsanalysen zur Vorhersage der Beziehungsqualität durch den Wert des Kindes

--~-_ ... ~-

Zuwendung Töchter Mütter Töchter Mütter Töchter Mütter

Deutschland Frankreich China

0,04 0,37** 0,25" 0,14 0,07 -0.ü4

Wert des Kindes Utilitaristisch

Emotional 0,09 0,06 O,O~ 0,33" 0,25'" _~~QA.~.:~~ __

Wert des Kindes Utilitmistisch Emotional

Russland

0,05 -0,11

0,09

TOrkei

0,12 0,19 0,05

0 ... 17" 0,19 0,07

Konflikte Töchter MOtter Töchter Mütter Töchter

~~~~----~--~---~~----~

Indien

Deutschland Frankreich China

-0,39**' O,7~.~.~~~ ....

Mütter Wert des Kindes

Utilitaristisch Emotional

-0,06 -0,30' 0,08 0,13 ~0.ü1 0,05

", ... __ .. g.,.1.! __ ~~~ ____ 9_,_! 1_._._._._._.~._ ... g,,~

° __

~0",.0",4,--_ _ -"0",0"5 _ _ --,-,,,0,-,-,-17' Wert des Kindes

Utilitaristisch Erl!2!l2na~._~_

Russland

0,08 0,03

Türkei Indien

0,07 -0,02 0,09 -0,06

;/ntllerlillng: Ilicrarchisehe Regressiollsanalysen. Koeffizienten sind die [I-Werte im letzten Modell.

Koenlzienlell kontrolliert ror Aller, Anzahl der Kinder und sozioökonoillischen Status.

p < 0, I 0,

*

p -< 0,05,

** /'

<: 0,0 I,

*** /,

< 0,00 I.

3.3.2. Werte und Beziehungsqualität als Erklärungsfaktoren für Filiale Angst In Deutschland und Frankreich spielt der Wert des Kindes (VOC) keine Rolle Ilir die Ausprägung der filialen Angst bei den erwachsenen Töchtern (ohne Tabelle).

Dafür zeigt sich hier eine "schützende" Wirkung der in der Beziehung mit der ei- genen Mutter erfilhrenen Zuwcndung. In China, Russland, dcr Türkei und Indien ergeben sich EJ'fekte des VOC: In allen vier Uindern zeigen sich positivc Effekte des utilitaristischen VOC und in Russland und Indien zeigen sich negativc Effekte des emotionalen VOC. Generalisierte Nutzencrwartungen an Kinder scheinen also mit höherer Angst vor filialcn Verpflichtungen verbunden zu sein, während emo- tional bedingte Gründe für Kinder diese Ängste eher abschwächen. In China und Russland (und tendenziell auch in der Türkei und in Indien) zeigen sich außerdem verstärkende Etlckte der Konflikthüuligkeit in der Bezichung mit der eigenen Mutter auf die erlebte filiale Angst der erwachsenen Töehtcr.

3.3.3. Werte und Beziehungsqualität als Erklärungsfaktoren für Unterstützung

Die Finanzielle Unterstützung wird durch dcn Wert des Kindes kaum beeinllusst, zu- dem zeigcn sieh nur wenige und relativ schwache Zusammenhänge hinsichtlich der l3eziehungsqualität (vgl. Tabelle 2). In einigen Stichproben zeigen sich mäßige posi- tive EfTekte der Zuwcndung und finanzieller LJnterstützungsleistungen. Interessanter- weise ergibt sich in Frankreich, Russland und der Türkei ein positiver Zusammen-

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Dabei spielen Eingewöhnung und Erziehung in ei- ner auf Stetigkeit und Vertrauen ausgerichteten Atmosphäre die wichtigste Rolle — ein Komplex, auf den in diesem Zusammenhang nicht

Die Resultate der Analysen zu Familienwerten sind nicht ganz eindeutig (vgl. Abschnit- te 5.3.3 und 6.4.1), es scheint sich jedoch abzuzeichnen, dass die Transmission dieser

Ein Vergleich der deutschen und koreanischen erwachsenen Töchter zeigte, dass deutsche erwachsene Töchter öfter von einer ausgeglichenen Bilanz in

in: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 29 (2009),

This section on conscious goal pursuit is subdivided into goal setting versus goal striving (goa l implementation). The discussion of goa l setting first targets

(Jan sagt, dass wir den Kindern erlauben, Hans zu helfen, das Haus zu streichen.). h(Schweizerdeutsch ∩ R 0 ) = {ww | w ∈ {a, b}

- Methoden der Klasse Window können Klassennamen weglassen (border = ...; setBorder( 3);) - Klassenkonstruktor wird nie explizit aufgerufen. Zugriff auf nonstatic- Elemente über

n Klassen-Template: anstatt eines konkreten Typs für ein Attribut einer Klasse oder einen Parameter einer Methode wird ein.. n Parametertyp T,