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Gehalt. Renate Schmidt, die Personalchefin. Das globale

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Academic year: 2022

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R

enate Schmidt, die Per- sonalchefin von Typware, stand mit gerunzelter Stirn am Fenster ihres Büros im 15. Stock des Verwaltungsgebäudes und blickte über die Stuttgarter Hügel auf die grüne Schwäbische Alb. Es war später Nachmittag, und ein Nebelschleier begann sich über die Berge zu legen.

In der Ferne ballten sich Gewitter- wolken zusammen. Die sehen ge- nauso aus, wie ich mich fühle, dachte Renate. Kurz vorm Platzen.

Sie ging zu ihrem Schreibtisch zu- rück, setzte sich auf ihren kalten Lederstuhl und starrte das Telefon an.

Das Problem, vor dem sie stand, glich einem riesigen Knoten. Und jedes Mal, wenn sie ihn zu entwirren ver- suchte, zog er sich enger zusammen.

Jürgen Mehr, der Marketingleiter für

te, verlor er die Beherrschung. „Re- nate, 244 000 Euro sind einfach über- trieben!“ fauchte er. „Das ist fast so viel, wie ich bekomme. Das ist nicht gerecht, und es ist demütigend. Was glauben diese Amerikaner, wer sie sind? Ich werde mit Thomas Gut- schein darüber sprechen.“

Renate holte tief Luft und wapp- nete sich für eine Auseinanderset- zung. „Jürgen, ich bitte dich“, begann sie. „Denk noch mal darüber nach. Sie hat bereits ein anderes Angebot von einem Jungunternehmen, Seistrand Systems. Dazu gehört ein großes Paket von Aktienoptionen. Ich bin si- cher, sie würde lieber zu uns kom- men, aber wir müssen das berücksich- tigen. Unser globaler Marketingleiter will sie unbedingt haben. Und Tho- mas wird wahrscheinlich sagen, dass wir bedenken sollten, wie wertvoll sie für unser Geschäft ist – und wie teuer es wäre, wenn sie zur Konkurrenz ginge. Du hast doch selbst gesagt, dies sei eine Schlüsselposition. Anne ist die denkbar beste Kandidatin.“

Das stimmte. Jürgen war ebenso be- eindruckt von Anne gewesen wie alle übrigen Topmanager von Typware.

Sie agierte gewandt und verfügte über profunde Kenntnisse der globalen Softwarebranche. Anne brillierte als intelligente, umsichtige Strategin und hatte sich im mörderischen Geschäft für betriebswirtschaftliche Standard- software einen Namen gemacht. Und schließlich hatte sie direkt unter einem für seine Härte bekannten Firmenchef gearbeitet.

Während ihrer Laufbahn war sie mit Anerkennung überhäuft worden – nicht nur für ihre Kreativität im Marketing, sondern auch für die her- vorragenden Leistungen ihres Be- reichs unter härtesten wirtschaft- lichen Bedingungen. Sie sprach vorzüglich Deutsch, hatte ihr drittes Studienjahr in Hamburg absolviert und Anfang der 90er Jahre für ei- nen deutschen Konzern gearbeitet.

Während des Abendessens vor Annes Abflug in die Vereinigten Staaten hatte Thomas Gutschein, der Chef von Typware, Renate und Jürgen ge- Europa, hatte gerade angerufen, um

seinem Ärger darüber Luft zu ma- chen, dass demnächst eine Führungs- kraft im Unternehmen anfangen soll- te – genau die Kandidatin, die er selbst am stärksten befürwortet hatte.

Anne Prevost war Marketingleite- rin des amerikanischen Softwareunter- nehmens Xon Technologies. Die Fir- ma war in jüngster Zeit weltweit in zahlreiche Märkte von Typware ein- gedrungen. Als führender Kopf hinter Xons Werbekampagne von 2002 hatte Anne Prevost die Umsätze zum Entsetzen von Typware nahezu im Alleingang hochschnellen lassen. Jetzt war sie bereit, von Bord zu gehen, falls ihr der deutsche Softwareriese ein gutes Angebot machen würde.

Sie wäre zweifellos ein guter Fang.

Als Jürgen erfuhr, was für ein Ge- halt ihr das Unternehmen bieten woll-

Das globale

Gehalt

FALLSTUDIE: Anne Prevost ist eine

Star-Führungskraft aus den USA. Für den Job bei einem deutschen Software-

unternehmen wäre sie bereit umzuziehen.

Wie kann die Typware AG ein angemessenes Vergütungspaket schnüren?

Von Bronwyn Fryer

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genüber die Bemerkung fallen lassen, dass sie eine Bereicherung für die Firma wäre.

„Ich weiß, sie ist gut“, sagte Jürgen seufzend in den Hörer. „Aber dieses Gehalt ist zu hoch.“

„Wir haben versucht, den Wert der Aktienoptionen auszugleichen, die Seistrand ihr geboten hat“, erklärte Renate. Ob es ein fairer Marktpreis für jemanden mit ihrer Erfahrung ist, ist schwer zu beurteilen. Aber ich sage dir, sie ist ein echter Profi.“

Jürgen schwieg. Weil er stets die schwankenden Erträge von Typware vor Augen hatte, war Jürgen in Ge- haltsfragen notorisch konservativ, be- sonders bei internationalen Verhand- lungen. Insgeheim empfand Renate Annes Bedingungen ebenfalls als vermessen, aber sie fühlte sich auch den Wünschen des Firmenchefs ver- pflichtet.

„Ich verstehe deine Bedenken“, fuhr sie fort. „Mir fällt es selbst schwer, dem zuzustimmen.“ Sie machte eine lange Pause. „Und doch – wie du weißt, wollen wir unsere internatio- nalen Umsätze um 10 Prozent stei- gern. Das ist unser strategisches Ziel.

Thomas meint, dass wir den notwen- digen Preis dafür zahlen müssten, wenn wir es erreichen wollen.“

„Kannst du mir verraten, warum sie so erpicht darauf ist, zu uns zu kom- men?“ knurrte Jürgen.

„Xon bietet ihr keine Aufstiegs- möglichkeiten. Sie sagt, es gebe für sie in ihrem Unternehmen keine Spiel- räume mehr, weiter nach oben zu kommen. Man hat ihr eine gleichwer- tige Position in einem anderen Bereich angeboten, doch damit ist sie nicht zufrieden. Seistrand will sie, aber die Firma ist klein, und ihre Aktien sind stark unter Druck geraten, sodass da- mit Gehaltsrisiken für Anne verbun- den sind. Außerdem möchte sie ihre Söhne gern in Europa großziehen. Es sei eine wunderbare Chance für deren Ausbildung und so weiter.“

„Und ihr Mann? Wird er nach Deutschland versetzt?“ fragte Jürgen.

„Es gibt keinen Mann.“ Renate konnte sich vorstellen, wie Jürgen

seine Augenbrauen hochzog, und ließ es dabei bewenden.

„Also gut, Renate“, meinte Jürgen schließlich. „Ich werde dennoch mit Thomas über diese Angelegenheit sprechen. Und ich kann nicht behaup- ten, dass ich seine Entscheidung un- terstütze, selbst angesichts der Quali- fikationen dieser Frau.“ Er legte den Hörer geräuschvoll auf.

Der Blick von oben

Renate massierte ihre Stirn. Sie griff erneut nach dem Telefonhörer, rief den Assistenten von Thomas Gutschein an und fragte, ob Thomas am Nach- mittag mit ihr einen Kaffee trinken kön- ne. Das sei zwar nicht möglich, ant- wortete der Assistent, aber gerade sei Thomas’ Mittagessen-Verabredung für den nächsten Tag abgesagt worden.

Pünktlich zur Mittagszeit verließen Renate und Thomas tags darauf die Firma und gingen zur Königsstraße, der noblen Einkaufsstraße in der In- nenstadt. In der farbenfrohen Fuß- gängerpassage mit ihrer smaragdgrün belaubten Allee wimmelte es von Ein- kaufslustigen, Studenten und Ange- stellten, die eine verlängerte Mittags- pause machten. Renate und Thomas wurden an einen ruhigen Tisch im hinteren Bereich eines gemütlichen spanischen Restaurants geführt. Nach- dem sie sich gesetzt hatten, ließ Renate erst einmal ihren Blick durch den Raum schweifen, um sicherzugehen, das keine weiteren Typware-Kollegen anwesend waren.

„Du willst mit mir über die ameri- kanische Managerin reden – Anne Prevost“, begann Thomas.

Renate nickte. „Jürgen hat mit dir gesprochen?“ fragte sie.

Thomas nickte kurz. „Ich habe ihm gesagt, ich würde über seine Ein- wände nachdenken. Ich habe ihn aber auch darauf hingewiesen, dass wir schon seit sehr langer Zeit nach der richtigen Person für diese Position suchen. Wir können nicht mehr warten. Ich kann verstehen, dass die Dame ungeduldig wird. Und mir ist klar, dass wir sie angemessen entloh-

nen müssen, wenn wir sie hierher um- ziehen lassen.“

„Das stimmt“, sagte Renate. „Aber diese Gehaltsforderung entspricht fast dem, was Jürgen selbst bekommt.

Wenn wir Neueinsteigern so viel be- zahlen, geben wir anderen, die seit langem bei uns sind, das Gefühl, sie nicht genug zu würdigen.“

„Gut, Renate, aber in diesem Fall sind viele Aspekte zu bedenken“, er- widerte Thomas. „Prevost wird ver- mutlich die unterschiedlich hohe Steuerbelastung, Inflationsraten, So- zialleistungen sowie die Währungs- schwankungen und dergleichen ins Feld führen. Sie erhält wahrscheinlich Aktienoptionen und ein Bonuspaket.

Diese Vergünstigungen müsste sie opfern, wenn sie herkommt. Und wie du weißt, wird das Gesundheits- system oder die Ausbildung in den Vereinigten Staaten nicht subventio- niert. Das ist der Grund, warum sie dort sehr hohe Gehaltserwartungen haben.“

„Ja, Thomas“, entgegnete Renate gereizt. „Ich verstehe, was du meinst.

Aber ich fürchte, es fordern bereits zu viele Mitarbeiter erheblich mehr, als ihre Position hergibt. Ich habe dir schon früher gesagt, dass unser Ge- haltssystem wirklich aus dem Ruder läuft. Jeder sollte für die gleiche Tätig- keit das Gleiche erhalten, meinst du nicht auch?“

Nachdem sie das Thema, welches sie eigentlich diskutieren wollte, ange- sprochen hatte, machte sie eine Pause.

„Ich weiß, wie sehr dir das am Her- zen liegt“, antwortete Thomas ruhig.

„Und theoretisch ist das auch völlig richtig. Aber bestimmte Jobs lassen sich einfach nicht den üblichen Regeln unterwerfen, vor allem nicht in einem Unternehmen in unserer Lage.“ Er schwieg kurz, bevor er fortfuhr. „Bitte stelle ein paar Nachforschungen an, Renate. Schlage ein Gehalt und Sozial- leistungen vor, mit denen du und diese Frau gleichermaßen leben können.“

Renate spürte: Sie würde nicht weiterkommen. So wechselte sie das Thema und berichtete Thomas von anderen wichtigen personellen Ange-

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legenheiten. Erst nach dem Essen, als sie sich trennten, um in ihre Büros zu gehen, kehrte Thomas zum Thema Anne Prevost zurück. Aber nur, um Renate an seinen Wunsch zu erinnern.

Er dankte ihr für ihre Begleitung und meinte: „Ich erwarte deine Empfeh- lung bis morgen Nachmittag.“

Was ist angemessen?

Als sie wieder an ihrem Schreibtisch saß, zog Renate die Akte über Anne Prevost hervor und überflog die Noti- zen, die sie sich am Vortag während ihres Telefonats mit Jürgen gemacht hatte. Plötzlich wurde ihr klar, wie sehr seine Beschwerden denen glichen, die sie vor sechs Monaten schon einmal gehört hatte. Der deutsche Pressechef war damals in ihr Büro gestürzt und hatte mit seiner Kündigung gedroht:

„Ich habe gerade gehört, was der Pressechef in Japan bekommt“, hatte er gesagt. „Es ist das Doppelte dessen, was ich erhalte, aber wir tun beide die gleiche Arbeit. Das ist ungerecht! Ich werde mit Thomas darüber sprechen.“

Innerlich hatte Renate ihm Recht gegeben. Aber trotz ihres Unbeha- gens hatte sie sich bemüht zu erklären, dass Typware keine andere Möglich- keit hatte, als die für die jeweilige Arbeit üblichen Marktpreise zu be- zahlen. „Sie sind doch in Tokio ge- wesen“, hatte sie eingewandt. „Eine Tasse Kaffee kostet dort doppelt so viel wie in Stuttgart!“ Dennoch hatte es eine ganze Weile gedauert, bis es ihr gelungen war, ihn zu beruhigen, und schließlich hatte er eine 10-prozentige Gehaltserhöhung bekommen.

„Bei Lesom waren die Dinge nie so kompliziert“, dachte Renate. Ihr vorheriger Arbeitgeber hatte ein sehr striktes, aber großzügiges Gehalts- system. Die Bezahlung variierte von

Land zu Land nicht wesentlich. Es gab nie Debatten darüber, was am Markt vermutlich gezahlt wurde oder welche geografischen Regionen die teuersten waren. Wenn ein Mitarbeiter nicht zufrieden war, bekam er einfach an einem anderen Ort eine Stelle.

Bei Typware war es genau umge- kehrt. Es gab keinerlei Gehaltsstan- dards, und Renate musste zunehmend Besorgnis erregende Unterschiede zwischen den Gehältern und Vergüns- tigungen der einzelnen Topmanager feststellen. Sie hatte auch entdeckt, dass Frauen und Angehörige von Minderheiten weniger verdienten als ihre weißen männlichen Kollegen.

War das etwa auch durch „Markt- kräfte“ zu erklären?

Thomas war zwar bereit gewesen, die krassesten Unterschiede zu besei- tigen, aber er schien kein Interesse daran zu haben, die Gehälter insge- samt zu vereinheitlichen. Seine Be- gründung lautete: In Typwares Markt

herrsche ein viel zu scharfer Wettbe- werb und es sei zudem viel zu wichtig, sich einen Vorsprung auf den interna- tionalen Märkten zu sichern, als sich an irgendein starres Gehaltssystem zu halten. Außerdem funktionierten der- artige Systeme seiner Erfahrung nach nicht.

Renate drehte sich zu ihrem Com- puter um, gab einige Passwörter ein und holte sich die Personaldaten von Typware auf den Bildschirm. 85 Pro- zent der 4800 Mitarbeiter waren in Deutschland beschäftigt, und sie wur- den entsprechend der allgemein üb- lichen Tarife bezahlt.

Doch seit 1996 war Typware aggres- siv in internationale Märkte vorge- drungen – nicht nur in Frankreich,

Spanien, Großbritannien und den Niederlanden, sondern auch in Nord- und Südamerika, China, Indien, Russ- land, Australien und Japan. Die Bera- ter, die geholfen hatten, die jeweiligen Gehälter und Sozialleistungen für die Führungskräfte in Übersee auszuhan- deln, hatten eine variable Kombina- tion von Standards empfohlen, die sich nach dem jeweiligen Einsatzort des betreffenden Mitarbeiters rich- tete. Die meisten im Ausland einge- setzten Manager bekamen zusätzlich zu ihrem deutschen Gehalt eine lokale Krankenversicherung sowie Zuschüs- se zu ihren deutschen Sozial- und Rentenversicherungsbeiträgen. Ange- sichts der hohen Lebenshaltungskos- ten in Deutschland war das Gehalt im Ausland in den meisten Fällen mehr als ausreichend gewesen.

Gleichwohl waren die einzelnen Vergütungspakete für Auslandsein- sätze im Laufe der Jahre immer kom- plizierter geworden. Die Kosten für den täglichen Bedarf variierten von Land zu Land, und jeder Fall war

„speziell“. Vor zwei Jahren hatte der Landesmanager für Kolumbien auf einer Gefahrenzulage von 15 Prozent bestanden, nachdem er von einem Kidnapping-Versuch bei einem Be- kannten erfahren hatte, der ebenfalls Ausländer war. Darüber hinaus hatte er zusätzliches Geld für eine deutsch- spanische Privatschule und eine Rund- um-die-Uhr-Bewachung seiner Zwil- linge gefordert. Außerdem hatte er gemeint, dass er wegen der zahlrei- chen Privateinladungen, die von ihm erwartet würden, eine Haushaltshilfe benötige. Und er hatte darauf hinge- wiesen, dass die Anhebung seines Basisgehalts nach zwei Jahren nicht mit der Inflationsrate in Kolumbien Schritt hielte. Renate hattte hart blei- ben wollen, aber Thomas, der erfahrene Manager halten und Typwares müh- sam errungene globale Vorteile nicht verlieren wollte, hatte nachgegeben.

Von da an, so schien es, waren die Zugeständnisse, die im Ausland arbei- tenden Mitarbeitern gemacht wurden, außer Kontrolle geraten, trotz Re- nates Anstrengungen, eine gewisse

Harvard-Fallstudien greifen typische Probleme des Manageralltags auf und bieten konkrete Lösungsvorschläge

von Experten. Diesen Fall entwickelte BRONWYN FRYER, Redakteurin der

„Harvard Business Review“.

Die neue Managerin

müsste wahrscheinlich

einige Vergünstigungen

opfern, wenn sie nach

Deutschland kommt.

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Konsequenz durchzuhalten. Der Ge- schäftsführer in Moskau hatte auf einem Chauffeur bestanden. Der Re- gionalleiter in Chicago verlangte eine Erstattung der College-Gebühren für seinen Sohn und begründete dies da- mit, dass das Studium in Deutschland kostenlos sei. Der in Indien stationier- te Manager beschwerte sich über die im Vergleich zu deutschen Standards unzureichende Gesundheitsversor- gung und verlangte eine Entschädi- gung für teure Privatbehandlungen.

Aufgrund der Ausnahmeregelun- gen hatten einige ins Ausland ver- setzte Führungskräfte ihr Gehalt einschließlich der Vergünstigungen um über 30 Prozent in die Höhe getrieben, während andere erlebten, wie ihre Bezüge schrumpften. „Diese Amerikanerin wird die Dinge noch zusätzlich komplizieren“, dachte Re- nate besorgt, während sie die Gehalts- listen weiterer Manager durchging.

Lauter gute Fragen

Typware hatte in seiner Zentrale noch nie einen ausländischen Manager ein- gestellt. Ohne Erfahrungswerte, auf die sie zurückgreifen konnte, fühlte sich Renate völlig hilflos. Da sie keine Personalberatungsfirma hinzugezo- gen hatte, um sich bei dieser Einstel- lung unterstützen zu lassen, wurde ihr auch aus dieser Richtung keine Hilfe zuteil. In der Hoffnung, man werde ihr wegen der bisherigen Geschäfts- beziehungen sicher einen Gefallen tun, griff sie zum Hörer und rief Rai- ner Barth an, ihre Kontaktperson in der Beratungsfirma, der sie regel- mäßig Aufträge erteilte.

„Hier ist Barth“, meldete er sich.

„Hallo, Herr Barth“, begann Re- nate, „ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir einen Rat geben könn- ten.“ Sie schilderte die Situation.

Rainer Barth hörte ihr zu und be- gann dann, Fragen zu stellen. „Welche Altersvorsorge hat sie in den Vereinig- ten Staaten?“

„Das weiß ich nicht“, antwortete Renate. „Die amerikanische Sozial- versicherung natürlich. Und vermut-

lich bekommt sie von Xon einen Zuschuss zu einer privaten Renten- versicherung.“

„Sie wird nicht in ihre amerikani- sche Sozialversicherung einzahlen können, wenn sie herkommt“, über- legte Rainer Barth. „Und möglicher-

weise wird sie nicht in die deutsche Sozialversicherung aufgenommen. Al- so werden Sie ihr eine Pensionszusage anbieten wollen, die einen gleich- wertigen Vorteil gewährt.“ Dann frag- te er: „Ist Anne verheiratet? Hat sie Kinder?“

„Sie ist geschieden und hat zwei Söhne im Alter von sieben und elf Jahren“, antwortete Renate.

„Und werden sie eine deutsche Schule besuchen?“

„Das nehme ich an. Es sei denn, sie kommen auf eine deutsch-amerikani- sche Privatschule.“

„Wenn sie auf eine staatliche Schule gehen, wäre das kostenlos. Aber wenn sie eine Privatschule vorzieht oder wenn sie in den Vereinigten Staaten ein College besuchen, könnte es sein, dass sie von Typware einen Kosten- zuschuss haben will. Hat sie andere familiäre Verpflichtungen – beispiels- weise pflegebedürftige Eltern? Wenn sie ein Senioren- oder Pflegeheim be- zahlt, müssen Sie das vielleicht eben- falls berücksichtigen, da diese Betreu- ung gelegentlich teurer ist als hier.

Möglicherweise will sie auch dafür einen Zuschuss haben.“

Renate stöhnte. „Und was noch?“

„Wahrscheinlich erhält sie eine spe- zielle medizinische Versorgung für Führungskräfte, die über die hiesige Grundversorgung hinausgeht“, fuhr Rainer Barth fort. „Finden Sie heraus, ob irgendjemand in der Familie eine

besondere Krankheit hat. Die medizi- nische Versorgung in den USA ist in solchen Fällen der unseren im Allge- meinen überlegen, beziehungsweise eine Neuversicherung ist hier zu Lande teuer, wenn bereits eine Krank- heit besteht. Dann könnte es sein, dass Typware zusätzliche Kosten für die Behandlung übernehmen muss.“

„Herr Barth“, sagte Renate, „bei all dem gibt es ein großes Problem. Ich weiß, wir werden sie angemessen be- zahlen müssen. Aber aufgrund dieser Extras erhält sie am Ende mehr als ihre Kollegen und vielleicht sogar mehr als ihr Vorgesetzter. Wir wollen kein böses Blut schaffen. Einige Manager beschweren sich bereits.“

Rainer Barth dachte einen Augen- blick lang nach und meinte: „Ja, das ist schwierig.“ Er zögerte und fragte dann: „Können Sie heute Abend Kon- takt zu dieser Frau aufnehmen?“

„Selbstverständlich.“

„Rufen Sie sie an, und stellen Sie ihr meine Fragen. Ich werde ein wenig recherchieren, was meine anderen Klienten in solchen Fällen getan ha- ben. Wir unterhalten uns morgen früh noch einmal, und bis zum Nachmittag werden Sie Ihren Bericht fertig gestellt haben.“

„Herzlichen Dank, Herr Barth.“

„Gern geschehen, Frau Schmidt.

Keine Sorge, wir werden schon eine Lösung finden.“

Nach elf Uhr abends

Kurz vor Mitternacht rief Renate bei Anne Prevost in New York an, weil sie hoffte, diese würde schon zu Hause sein. Einer von Annes Söhnen nahm ab. „Maaahhmma“, brüllte er so laut, dass Renate zusammenfuhr und den Hörer vom Ohr riss. „Irgendeine Dame mit Akzent ist am Telefon!“

Als Anne sich meldete, wusste Re- nate sofort wieder, warum sie so be- eindruckt gewesen war. Annes Stimme klang souverän, distinguiert.

Renate erklärte, dass sie an einem Vergütungspaket arbeite, und stellte Anne die Fragen, die Rainer Barth ihr genannt hatte. Anne antwortete, sie

Der CEO von

Typware schien kein

Interesse daran zu

haben, die Gehälter zu

vereinheitlichen.

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habe daran gedacht, ihre Kinder ein deutsches Gymnasium besuchen zu lassen. Renate atmete leise erleichtert auf. Zumindest würden erst einmal keine zusätzlichen Ausbildungskos- ten anfallen. Doch Anne fügte hinzu, dass sie den Großteil der monatlichen Kosten von 3000 Dollar für ein be- treutes Wohnheim für ihre Mutter be- zahle und größten Wert darauf legen würde, dass ihr siebenjähriger Sohn,

der an Asthma und verschiedenen Al- lergien leide, eine gute medizinische Behandlung erhalte.

Renate bemühte sich um einen ge- winnenden Ton. „Anne, Sie wissen, wie sehr wir daran interessiert sind, Sie einzustellen. Aber Sie wissen si- cher auch, wie knifflig es ist, ein Ver- gütungspaket zusammenzustellen. Wir hoffen, Sie sind bereit, uns in einigen Fragen entgegenzukommen und sich noch eine kleine Weile zu gedulden.“

Annes Stimme blieb freundlich, klang nun aber härter. „Ja, natürlich“, antwortete sie. „Allerdings habe ich ein anderes sehr gutes Angebot und kann die Firma nicht ewig warten lassen. Das verstehen Sie bestimmt.

Wann kann ich Ihrer Meinung nach damit rechnen, von Ihnen zu hören?“

„Bald“, erwiderte Renate zögernd.

„Irgendwann im Laufe dieser Woche.“

Anne dankte Renate für ihren An- ruf, und Renate legte erschöpft auf.

„Meine Güte“, dachte sie, während sie zu ihrem Bett ging, „das wird nicht gerade leichter.“

Keine simplen Antworten

Wie versprochen rief Rainer Barth am nächsten Morgen an. Aber seine Aus- kunft war nicht sehr hilfreich. „Of-

fenbar hat hier noch niemand eine Lösung für genau jenes Problem ent- wickelt, vor dem Sie stehen“, sagte er entschuldigend. „Deshalb erstelle ich schnell eine umfassendere Bench- mark-Analyse zu Ihrem Thema. Mein Assistent wird sie Ihnen noch heute morgen per E-Mail zuschicken. Drei der fünf größten hier ansässigen mul- tinationalen Konzerne haben einheit- liche Gehaltssysteme, wie Sie sie von Lesom kennen. Ein viertes Unterneh- men prüft gerade sein internationales Vergütungssystem, daher war es mir nicht möglich, Einzelheiten in Er- fahrung zu bringen. Ich hoffe, noch Informationen darüber zu erhalten.“

Renate seufzte. „Ja, vielen Dank für Ihre Bemühungen, Herr Barth“, ant- wortete sie. „Offenbar muss ich selbst eine Lösung finden.“

„Ich hätte Ihnen gern mehr ge- holfen“, bedauerte Rainer Barth. Er klang, als wolle er das Gespräch am liebsten beenden. Renate kam der Ge- danke, dass Typware der Beratungs- firma als Klient möglicherweise zu wenig lukrativ war im Verhältnis zu den Schwierigkeiten, den diese sich mit ihrem Problem einhandeln würde.

„Wenn Sie möchten, kann ich noch weitere Erkundigungen einholen.“

„Nein, vielen Dank“, erwiderte Re- nate. „Ich muss unserem Vorstands- vorsitzenden den Bericht schon sehr bald vorlegen. Ich bin sicher, mir wird etwas einfallen.“

Was soll Renate Schmidt tun?

Wie sollte das internationale Vergütungssystem von Typware aussehen?

Vier Experten beurteilen den Fall und geben Rat.

Die Ausnahmen, die im Ausland arbeitenden Mitarbeitern gewährt wurden, waren

außer Kontrolle geraten.

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men eintritt. Sie erhält beispielsweise eine größere, anspruchsvollere Posi- tion auf der globalen Bühne. Sie hat die Chance, ihr intellektuelles Kapital zu erhöhen, wenn sie sich einem inter- national agierenden Team mit deut- scher Basis anschließt. Ihre Söhne be- kommen eine Chance zu lernen und so fort. Diese Vorteile kann ihr kei- nes der beiden anderen Unternehmen bieten.

Renate sollte Thomas Gutschein in ihrem Bericht zwei alternative Ge- haltspakete als Angebote für Anne vorlegen; jedes sollte einen bestimm- ten Aspekt der Geschäftsstrategie von Typware betont. Der Gegensatz zwi- schen den beiden Angeboten wäre als Aufforderung an den Chef – und schließlich auch an alle Führungs- kräfte – zu verstehen, sich auf eine Vergütungsstrategie festzulegen, die dem Unternehmenserfolg dient, statt ständig neue, individuelle Vergütungs- pakete auszuhandeln.

Das erste Paket gründet auf der An- nahme, dass sich Typware als deut- sches Unternehmen profilieren will, das an mehreren Standorten rund um den Globus agiert. Es kann auf der häufig verwendeten konventionellen Nettovergleichsrechnung basieren.

Diese orientiert sich mehr an den Gehaltsentwicklungen und Lebens- haltungskosten in den Heimat- und Gastländern der Führungskräfte als an der Geschäftsstrategie. Um der Abneigung ihres Vorstandsvorsitzen- den gegen übermäßig strukturierte Pläne Rechnung zu tragen, sollte Re- nate die Methode so modifizieren, dass ein Grundpaket bestimmt wird, das durch ein individuelles Zusatz- paket ergänzt wird. Das Grundpaket

würde darauf abzielen, Annes finan- ziellen Erwartungen zu entsprechen, die an den Standards ihres Heimat- landes ausgerichtet sind.

Ein maßgeschneidertes Zusatzpaket würde Anne die Möglichkeit geben, ihre speziellen Bedürfnisse zu befrie- digen, etwa die Versorgung ihrer alten Mutter. Renate könnte auch eine Klausel hinzufügen, mit der Annes Bezüge – je nach Laufzeit ihres An- fangsvertrages – stufenweise an das für deutsche Führungskräfte übliche Gehalt angepassst werden.

Der zweite Vorschlag ist an Typ- wares Ziel ausgerichtet, als wahrhaft globales Unternehmen Erfolg zu ha- ben. Hier müssten die Tätigkeiten der Manager weltweit bewertet wer- den, basierend auf dem Umfang der Aufgaben der jeweiligen Position.

Der wird häufig am Ertrags- oder Marktpotenzial festgemacht, das eine Mitarbeiterin wie Anne in einem Ge- schäftsumfeld von einem bestimm- ten Schwierigkeitsgrad ausschöpfen könnte.

Die Positionen der jeweiligen Ma- nager werden bestimmten Gehalts- stufen zugeordnet, die festlegen, wer Anspruch auf verschiedene Extras und Anreize hat. Renate kann sich bei der Kalkulation der Grund- gehälter an Berichte über andere Kon- zerne halten, die weltweit tätig sind, statt sich an den Standards des Hei- matlandes zu orientieren. Die Ent- scheidung zwischen diesen gegen- sätzlichen Vorschlägen würde dem Management von Typware die Chance geben, seine strategischen Ziele zu klären und die Vergütung seiner inter- national eingesetzten Manager daran auszurichten.

„Will Typware ein deutsches Unternehmen mit globaler Präsenz sein

oder eine globale Firma mit lokaler Note?“

GEORGE T. MILKOVICHist Professor für Personalmanagement

an der Cornell University in Ithaca, New York, und einer der Gründer des dortigen Center for Advanced Human Resource Studies.

T

ypware braucht mehr strate- gische Klarheit. „Die Umsätze im internationalen Geschäft um 10 Prozent erhöhen“ und „Wir zahlen, was dafür erforderlich ist“

scheinen die Eckpfeiler der gegenwär- tigen Vision des Unternehmenschefs Thomas Gutschein zu sein. Das deut- sche Softwareunternehmen muss eine Gehaltsstrategie entwickeln, die zu seiner Geschäftsstrategie passt. Seine derzeitige unbestimmte Haltung verursacht ein heilloses Durcheinan- der in den Vereinbarungen mit den im Ausland eingesetzten Führungs- kräften, es ist keine Geschäftslogik erkennbar. Plant Typware, sich als deutsches Unternehmen mit globaler Präsenz oder als globales Unterneh- men mit lokaler Note zu profilieren?

Von der Antwort auf diese Frage wird es abhängen, wie Typware seine Führungskräfte vergütet und zu wel- chen Bedingungen es künftig neue Nachwuchskräfte einstellt.

In ihren Verhandlungen mit Anne Prevost, der amerikanischen Kandi- datin, hat Renate Schmidt schlechte Karten. Sie sollte ihren Blickwinkel ändern. Das Problem besteht nicht darin, ein Gehaltspaket für Anne, den brillanten Fang, auszuhandeln. Die Frage ist: Wie kann das Unternehmen Anne für seine Führungsmannschaft anwerben? Dies eröffnet Renate die Möglichkeit, gleichzeitig die Vergü- tung der Führungskräfte von Typ- ware allgemein zu prüfen.

Um Anne für das Unternehmen zu gewinnen, muss Renate den Schwer- punkt ihrer Verhandlungen von den unmittelbaren finanziellen Fragen auf den Gesamtnutzen ausdehnen, den Anne hat, wenn sie in das Unterneh-

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Typware kann nur dann ein an- gemessenes Angebot machen, wenn Renate mehr über Annes Vergütungs- paket bei Xon Technologies in Erfah- rung bringt. Wie hoch ist ihr Grund- gehalt? Wie hoch ist ihre Prämie? Wie lauten die Bedingungen für ihre Ak- tienoptionen? Welche Komponenten sind garantiert oder fix, welche sind variabel und leistungsabhängig? Falls sie variabel sind: Welche Vorgaben müssen erfüllt sein, um sie zu bekom- men – die Unternehmensperformance, die Leistung des Marketingbereichs, Annes persönliche Leistung? Und schließlich: Erhält sie besondere Ver- günstigungen für Manager wie einen Firmenwagen oder ein Spesenkonto?

Möglicherweise akzeptiert Anne ein niedrigeres Gehalt, wenn Typware ihr ein Vergütungspaket anbietet, das diese und weitere Aspekte berück- sichtigt. Als Einstiegsanreiz sollte ihr Vergütungspaket eine 10-prozentige Anhebung des Grundgehalts umfas- sen, das sie bei Xon bekommt, außer- dem einen finanziellen Ausgleich für die höheren Steuern und eine Ab- sicherung gegen das Wechselkurs- risiko, um ihr den Ortswechsel über die gesamte Vertragsdauer zu erleich- tern. Sie sollte auch eine Vertrags- unterzeichnungsprämie in Höhe eines Monatsgehalts erhalten, von der sie Haushaltsgegenstände für ihre neue Wohnung kaufen kann.

Anne sollte – ebenso wie ihre deut- schen Kollegen – eine attraktive Prä- mie erhalten, wenn sie bestimmte leistungsbezogene Ziele erreicht. Bei- spielsweise könnte Typware Anne eine Prämie von 10 Prozent am Ende ihres ersten Quartals anbieten, wenn das Management ihrem globalen Mar-

ketingplan zustimmt, und für das folgende Jahr eine Prämie von 15 Prozent für jede Steigerung des jähr- lichen Umsatzes um 3 Prozent. Das Unternehmen könnte auch umsatz- bezogene Prämien festlegen, um in Regionen, die für die Firma von ent- scheidender strategischer Bedeutung sind, ein Wachstum zu erreichen.

Was die Details ihres Umzugs be- trifft, so ist Annes familiäre Situation zu berücksichtigen. Eine professio- nelle Umzugshilfe ist ein Muss. Sie wird Unterstützung bei der Woh- nungssuche (die in Deutschland ein halbes Jahr oder länger dauern kann) und beim Kauf eines Autos benötigen.

Typware sollte alle Gebühren über- nehmen und Anne beim Gang zum Einwohnermeldeamt, bei der Anmel- dung in der Schule, bei den Versor- gungswerken und bei der Kfz-Zulas- sungsstelle sowie bei der Beschaffung einer Arbeitserlaubnis und so weiter unterstützen. Als allein erziehende Mutter benötigt Anne möglicher- weise eine Haushaltshilfe oder eine Tagesmutter. Ein einjähriges Sprach- und Kulturtraining für sie und ihre Söhne wäre gut angelegtes Geld. Auch sollte Typware für jeden ihrer Söhne eine Gebühr von bis zu 17 000 Euro jährlich für eine internationale Schule einplanen, falls sich der Besuch eines staatlichen Gymnasiums als nicht prak- tikabel erweist. Schließlich sollte das Unternehmen mindestens zwei Flüge pro Jahr in die Vereinigten Staaten für Anne und ihre Familie anbieten.

Sobald sich Anne und ihre Söhne eingelebt haben, kann Typware ihr Auslandspaket neu verhandeln und neue Vergünstigungen an ihre Leis- tung knüpfen.

„Typware muss das Paket für Anne so attraktiv

gestalten, dass sie die Stelle annimmt. Dabei sollten auch leistungsbezogene Anreize eine Rolle spielen.“

JEFFREY ALAN THINNESist Chef von Manugistics Central Europe,

der in Deutschland angesiedelten Europa-Niederlassung eines US-Softwareunternehmens.

E

benso wie die anderen Mana- ger von Typware ist Renate Schmidt wegen der Unter- schiede bei den Bezügen frustriert, die sich aus der globalen Expansion des Unternehmens ergeben haben. Ihre Haltung ist kaum verwunderlich.

Meiner Erfahrung nach übersehen Topmanager zu oft, wie wichtig es ist, die globale Strategie zu erläutern, ein entsprechendes Bewusstsein aufzu- bauen und dafür zu sorgen, dass sich das Management daran gebunden fühlt, wenn sich das Unternehmen auf internationale Märkte begibt. Ohne eine klarere Führung durch den Vor- standsvorsitzenden wird Typwares Globalisierung auf starke innere Wi- derstände stoßen, die Verzögerungen und hohe Kosten nach sich ziehen.

Angesichts der Tatsache, dass 85 Prozent der Beschäftigten in Deutsch- land arbeiten und es keine auslän- dische Führungskraft in der Zentrale gibt, benötigt Typware wirklich je- manden mit Annes Erfahrungen, der der Firma helfen kann, die nächste Stufe zu erreichen.

Als Personalchefin muss Renate ihre Sehnsucht nach der guten alten Zeit ablegen und versuchen, Stereo- type zu beseitigen, statt sie zu verbrei- ten. Um Anne Prevost für einige Jahre in Deutschland zu halten, sollte Typ- ware bestimmen, welche Vergütungs- elemente unverzichtbar sind, und dann entscheiden, ob die durch Annes Anstellung erwarteten Vorteile die Kosten rechtfertigen. Typware muss das Paket für Anne so attraktiv gestal- ten, dass sie die Stelle annimmt, aber gleichzeitig einige leistungsbezoge- nen Anreize vorhalten, damit sie ent- sprechende Ergebnisse liefert.

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dem Zweck gründen, Führungskräfte wie Anne zu beschäftigen. Annes Pflichten würden allerdings denen einer fest angestellten Managerin in Deutschland entsprechen. Typwares US-Tochtergesellschaft könnte Annes Umzug nach Deutschland abwickeln, wo sie als amerikanische Auslands- kraft leben und arbeiten würde.

Solch ein Vorgehen bietet einige Vorteile. Erstens würde eine zeitlich befristete Position vermutlich Annes Wünschen entgegenkommen. Selbst wenn sie eine beträchtliche Zeit in Übersee arbeiten, möchten die meis- ten internationalen Manager die Bin- dung an ihr Heimatland nicht völlig abreißen lassen. Das könnte für Anne ebenfalls zutreffen, weil ihre Mutter in den Vereinigten Staaten bleiben wird. Anne will möglicherweise auch ihre Krankenversicherung über die Tochtergesellschaft fortbestehen und ihre betriebliche Rente weiterlaufen lassen.

Bei dieser Option müsste Anne auch nicht die hohen deutschen So- zialabgaben zahlen. Typware könnte sein Gehaltsangebot um den ent- sprechenden Betrag erhöhen, der sonst für die deutschen Beiträge an- gefallen wäre. Vorausgesetzt, Anne bleibt nicht länger als fünf Jahre auf dieser Position. Sonst würde sie als Festangestellte in Deutschland einge- stuft und sozialversicherungspflichtig werden.

Dann ist da noch das Problem mit der Einkommensteuer. Unabhängig davon, ob Typware beschließt, Anne oder andere ausländische Manager auf Zeit oder fest einzustellen, unter- liegen die neuen ausländischen Be- schäftigten vermutlich sowohl der

hohen deutschen Einkommensteuer plus dem Solidaritätszuschlag als auch der entsprechenden Steuer in ihrem Heimatland. Viele Länder, darunter auch Deutschland, haben mit den Vereinigten Staaten und anderen Län- dern Verträge abgeschlossen, in denen festgelegt ist, wie das Einkommen von im Ausland beschäftigten Arbeit- nehmern nach den Bestimmungen ihres Heimatlandes und denen des Gastlandes, in dem sie arbeiten, zu besteuern ist. Dennoch bleibt die Doppelbesteuerung ein Problem.

Angesichts seiner globalen Ambi- tionen wird Typware früher oder später darüber nachdenken müssen, einen Steuerausgleich einzuführen, damit ausländische Mitarbeiter nicht unter einer übermäßigen Last zu lei- den haben. Mitarbeiter wie Anne könnten etwa eine Zulage erhalten, die die unterschiedliche Besteuerung in Deutschland und den USA aus- gleicht.

Schließlich muss Typware, wenn das Unternehmen seine Expansions- pläne umsetzen und seinen dringen- den Bedarf an internationalen Füh- rungskräften decken will, über die Ausgabe von Aktienoptionen oder irgendeine andere Form von Unter- nehmensanteilen als Vergütungsbe- standteil nachdenken. Die Firma könnte damit beginnen, ein solches System einzuführen, und Anne An- teile in Aussicht stellen. So kann Typware Anne vielleicht ein etwas niedrigeres Gehalt anbieten. Ange- sichts der Unzufriedenheit unter den Führungskräften wäre die Aus- gabe von Optionen vermutlich sehr wirksam, um Unmut und Missgunst abzubauen.

„Ich würde Renate unbedingt raten, Anne einen Zeitvertrag zu geben, wie es bei Führungskräften in deutschen Firmen gängige Praxis ist.“

JOSEPH YAFFEist spezialisiert auf globale Vergütungspraxis und

Sozialleistungen. Er arbeitet in Menlo Park, Kalifornien, als Partner bei Latham & Watkins, einer Anwaltskanzlei, die weltweit 1500 Anwälte in 21 Büros beschäftigt.

R

enate Schmidt muss entweder eine erheblich sachkundigere, vorausschauendere Personal- beratungsfirma beauftragen oder ihre Hausaufgaben selbst besser erledigen.

In der herrschenden drängenden Si- tuation hat sie für beides anscheinend keine Zeit, was den Verdacht nahe legt, dass sie den Aufgaben der Per- sonalchefin eines international ex- pandierenden Unternehmen vielleicht nicht gewachsen ist.

Wäre Renate fachlich auf dem neuesten Stand, müsste sie erheblich besser über die Vergütungspraktiken anderer deutscher multinationaler Konzerne Bescheid wissen. Hätte sie mehr Informationen über die inter- nationale Einstellungspolitik der Wettbewerber, sollte es für sie ein Leichtes sein, eine Möglichkeit zu finden, Anne Prevost ein attraktives Angebot zu machen, ohne ihr so viel zahlen zu müssen, dass andere Mit- arbeiter bei Typware verstimmt sind.

Renate sollte bei ihrer Entscheidung über die Einstellungsbedingungen die langfristigen Beziehungen zwischen Anne und Typware im Auge haben.

Ich würde Renate unbedingt raten, Anne einen Zeitvertrag zu geben, wie es bei Führungskräften in deutschen Firmen üblich ist. Natürlich muss sich die Befristung nicht auf sechs Monate beschränken. Bei dieser Lösung würde Anne offiziell von Typwares amerikanischer Niederlassung einge- stellt werden und für diese arbeiten.

Befristet entsandte Führungskräfte können nämlich beispielsweise bis zu fünf Jahre in der Sozialversicherung ihres Herkunftslandes verbleiben.

Typware könnte sogar eine globale Tochtergesellschaft im Ausland zu

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wenn die Position eines Managers globale Erfahrungen erfordert. Wir verfolgen dabei eine weltweite Politik, die individuell, aber in sich schlüssig und transparent ist, sodass jeder die Regeln kennt.

Unsere Mitarbeiter werden in erster Linie in die Gehaltsstruktur ihres je- weiligen Gastlandes eingebunden. Das Gehalt basiert sowohl auf der Funk- tion des betreffenden Mitarbeiters als auch auf dem üblichen Gehalt auf dem lokalen Arbeitsmarkt. Außerdem ga- rantieren wir den versetzten Mitarbei- tern einen bestimmten Lebensstan- dard, der sich am Nettoeinkommen im Ursprungsland der Betreffenden orientiert. Ein in Indien arbeitender Deutscher würde nach einer Anpas- sung an die unterschiedlichen Lebens- haltungskosten dasselbe Nettogehalt bekommen wie in Deutschland. Au- ßerdem stellt BASF eine zusätzliche Bargeldprämie als Leistungsanreiz bereit und deckt auch die Risiken aus Veränderungen externer Faktoren wie Wechselkursschwankungen ab.

Wenn ein Mitarbeiter an einem vergleichsweise teuren Standort wie Hongkong oder Singapur lebt, zahlen wir ein Gastlandgehalt, das über dem garantierten Nettoeinkommen im Heimatland liegen kann. Eine den Lebenshaltungskosten entsprechende Gehaltsangleichung erfolgt in Hoch- lohn- und in Niedriglohn-Ländern, und wir leisten gegebenenfalls auch einen Mietzuschuss.

Wir investieren intensiv in Integra- tionshilfen, um es unseren Mitarbei- tern zu erleichtern, sich so schnell wie möglich einzuleben. Dazu lassen wir die betreffenden Mitarbeiter und ihre Familien das Land schon vor ihrem

Einsatz besuchen und bieten ein spe- zielles Kulturtraining an. Je fremder das Land für den Mitarbeiter ist, desto länger dauert die Schulung. Während der Kurs bei einem nach Deutschland kommenden Amerikaner gewöhnlich weniger als eine Woche dauert, könnte eine nach Korea ziehende deutsche Familie bis zu sechs Wochen ge- schult werden. Schließlich bieten wir noch Umzugsdienste an, gewähren Darlehen für den Kauf von Haus- haltsgegenständen und bezuschussen Ausgaben, die die lokale Integration erleichtern.

Dadurch können BASF zusätzlich zum Gehalt Kosten in Höhe von 100 000 bis 300 000 Euro jährlich ent- stehen. Aber wir begründen dies, in- dem wir uns folgende Fragen stellen:

„Wie viel würde es das Unternehmen kosten, wenn wir dieses Problem nicht lösen würden?“ Und: „Wie kön- nen wir globaler Marktführer sein, wenn unsere Führungskräfte keine globalen Erfahrungen besitzen?“ Für uns sind die für Auslandskräfte ent- stehenden Zusatzaufwendungen ein- fach unvermeidbare Geschäftskosten.

Indem wir eine Politik entwickeln und konsequent verfolgen, die jeder versteht, beugen wir Konflikten vor. Wenn über den Globus verteilte Mitarbeiter in einem Team zusam- menarbeiten, wissen alle, dass jeder möglicherweise ein anderes Gehalt bekommt, das von den besonderen Fähigkeiten, dem speziellen Wissen und dem Wert für das Unternehmen abhängt. Aber sie wissen auch, dass unsere Maßstäbe für Auslandsein- sätze für alle gleichermaßen gelten.

„Die zusätzlichen Aufwendungen für Auslandskräfte sind unvermeidbar. Durch eine transparente

Geschäftspolitik beugen wir Konflikten vor.“

DIETMAR KOKOTTist Senior Vice President für Human Resources und globale Führungskräfteentwicklung bei der BASF AG in Ludwigshafen.

B

ei der BASF sind derzeit über 800 Führungskräfte ins Aus- land entsandt. Diese Manager werden in etwa 50 Ländern rund um den Globus eingesetzt. Aus Sicht eines globalen Unternehmens ist Typ- wares Problem natürlich verständlich.

Es gibt tatsächlich keine einfache Lösung. Das liegt zum Teil daran, dass im Ausland tätige Mitarbeiter unter- einander über die Einzelheiten ihrer Verträge sprechen und die ihnen von verschiedenen Firmen angebotenen Pakete sorgfältig prüfen, bevor sie verhandeln.

Eine ins Ausland versetzte Füh- rungskraft fordert vielleicht eine Leib- wache und eine Erschwerniszulage, eine andere Mitarbeiterin verlangt eventuell besondere Dienste für ihre Kinder und so weiter. Daraus folgt, dass die Richtlinien für den Einsatz von Auslandskräften kontinuierlich weiterentwickelt werden und Raum für Flexibilität lassen müssen.

Das entschuldigt nicht Typwares willkürlichen Umgang mit dem Prob- lem. Ein Flickenteppich an Vorge- hensweisen ist für viele kleine bis mittlere Unternehmen typisch. Aber für Konsistenz zu sorgen gehört zur Kernaufgabe eines jeden Personal- managers. Renate ist sich dessen zwar bewusst, lässt aber nicht die erforderliche Professionalität und die Problemlösungskompetenz erkennen, die nötig sind, um ein systemati- scheres Verfahren sicherzustellen.

Bei der BASF treffen wir in zwei Fällen spezielle Vereinbarungen für Auslandseinsätze: Wenn wir einen Spezialisten einstellen müssen, dessen Qualifikationen in der betreffenden

Region schwer zu finden sind, und © 2003 Harvard Business School Publishing

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