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Hannah Arendt Vita activa oder Vom tätigen Leben

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Academic year: 2022

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SERIEBPER

Band 217

Zu diesem Buch

»Was tun wir, wenn wir tätig sind?« Hannah Arendt ist dieser Frage nach- gegangen, weil die Situation unserer heutigen Arbeitsgesellschaft sie mit Sorge erfüllte. Das vorliegende Buch der Philosophin, das lange Zeit vergriffen war und jetzt in dieser Neuausgabe wieder zur Hand ist, handelt von den elemen- taren Dimensionen menschlichen Tätigseins und damit von Grundbedingun- gen menschlicher Existenz. VITA ACTIVA im ursprünglichen Sinne meint Arbeiten, Herstellen und Handeln. Hannah Arendts umfassende, systemati- sche Analyse gilt vor allem diesen drei Grundtätigkeiten. Sie untersucht dar- über hinaus, wie sie sich im Laufe der Geschichte bis in die Neuzeit hinein zueinander verhalten haben. In einer Zeit, in der der Mensch unter den moder- nen Bedingungen gesellschaftlicher Arbeit das klassische Muster eines planend entwerfenden und herstellenden Subjekts immer weniger zu erfüllen vermag, sind diese Reflexionen über die VITA ACTIVA zugleich ein Beitrag zu den uns alle betreffenden Fragen der Zeit.

Hannah Arendt, 1906 in Hannover geboren, gestorben 1975 in New York.

Studium der Philosophie, Theologie und des Griechischen u. a. bei Heidegger, Bultmann und Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte. 1933 Emigration nach Paris, seit 1941 in New York. 1946-1948 Cheflektorin, danach als freie Schrift- stellerin tätig. 1963 Professorin an der Universität von Chicago, ab 1968 an der New School for Social Research in New York. 1959 Lessing-Preis der Stadt Hamburg. Veröffentlichungen: »Vom Leben des Geistes«; »Über die Revolu- tion«; »Macht und Gewalt«; »Eichmann in Jerusalem«; »Walter Benjamin - Bertolt Brecht«; »Wahrheit und Lüge in der Politik« u. a.

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Hannah Arendt Vita activa

oder

Vom tätigen Leben

Pi per München Zürich

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,..

Von Hannah Arendt liegen in der Serie Piper bereits vor:

Macht und Gewalt (1) Walter Benjamin - Bertolt Brecht ( 12) Wahrheit und Lüge in der Politik (36)

Rahe! Varnhagen (230) Eichmann in Jerusalem (308)

Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (645) Vom Leben des Geistes · Das Denken (706)

Über die Revolution (1746)

Die amerikanische Ausgabe erschien 1958 unter dem Titel

»The Human Condition« bei University of Chicago Press.

ISBN 3-492-ro217-4 Neuausgabe April 1981 8. Auflage, 31.-34. Tausend August 1994 (7. Auflage, 26.-29. Tausend dieser Ausgabe)

Copyright© 1971 by Hannah Arendt

Copyright© 1977, 1978 by Harcourt Brace Jovanovich, Inc.

Copyright© 1978 by Mary McCarthy

Published by arrangement with Harcourt Brace Jovanovich, Inc.

Deutsche Ausgabe:

© R. Piper & Co. Verlag, München 1967 Umschlag: Federico Luci Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germany

INHALT

Einleitende Bemerkungen . 7

Erstes Kapitel: Die menschliche Bedingtheit 14

§ 1 Vita activa oder Condition humaine 14

§ 2 Der Begriff der Vita activa 18

§ 3 Ewigkeit und Unsterblichkeit . 23

Zweites Kapitel: Der Raum des Off entlichen und der Bereich des Privaten 27

§ 4 Der Mensch, ein gesellschaftliches oder ein politisches Lebewesen 27

§ 5 Die Polis und der Haushalt . 31

§ 6 Das Entstehen der Gesellschaft . 38

§ 7 Der öffentliche Raum: Das Gemeinsame

§ 8 Der private Bereich: Eigentum und Besitz .

§ 9 Das Gesellschaftliche und das Private

49 ,, 57 64

§ 10 Die Lokalisierung der Tätigkeiten 70

Drittes Kapitel: Die Arbeit 76

§ II .Die Arbeit unseres Körpers und das Werk unserer Hände" . 76

§ 12 Die Dinghaftigkeit der Welt . 85

§ 13 Die Arbeit und das Leben . 88

§ 14 Die Fruchtbarkeit der Arbeit im Unterschied zu ihrer vermeint-

lichen .Produktivität" 92

§ 15 Die Abschaffung des .toten" Eigentums zugunsten der .leben-

digen" Aneignung . 99

§ 16 Das Werkzeug und die Arbeitsteilung 107

§ 17 Die Gesellschaft von Konsumenten 115

Viertes Kapitel: Das Herstellen . 124

§ 18 Die Dauerhaftigkeit der Welt . 124

§ 19 Die Verdinglichung. 127

§ 20 Die Rolle des Instrumentalen in der Arbeit 131

§ 21 Die Rolle des Instrumentalen für das Herstellen. 139

(3)

6 Inhalt

§ 22 Der Tauschmarkt . 145

§ 23 Die Beständigkeit der Welt und das Kunstwerk. 154

Fünftes Kapitel: Das Handeln 164

§ 24 Die Enthüllung der Person im Handeln und Sprechen. 164

§ 25 Das Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten und die in ihm

dargestellten Geschichten 171

§ 26 Die Zerbrechlichkeit menschlicher Angelegenheiten. 180

§ 27 Der griechische Ausweg aus den Aporien des Handelns 185

§ 28 Der Erscheinungsraum und das Phänomen der Macht 193

§ 29 Homo faber und der Erscheinungsraum . 202

§ 30 Die Arbeiterbewegung 207

§ 31 Der Versuch der Tradition, Handeln durch Herstellen zu ersetzen

und überflüssig zu machen . 214

§ 32 Der Prozeßcharakter des Handelns 225

§ 33 Die Unwiderruflichkeit des Getanen und die Macht zu verzeihen 231

§ 34 Die Unabsehbarkeit der Taten und die Macht des Verspreehens 239

Sechstes Kapitel: Die Vita activa und die Neuzeit 244

§ 35 Der Beginn der Weltentfremdung 244

§ 36 Die Entdeckung des archimedischen Punkts . 252

§ 37 Die kosmische Universalwissenschaft im Unterschied zur Natur-

wissenschaft 262

§ 38 Der Zweifel des Descartes . 267

§ 39 Selbstreflexion und der Verlust des Gemeinsinns 272

§ 40 Das Denk- und Erkenntnisvermögen und das neuzeitliche Welt-

bild . 277

§ 41 Die Umstülpung von Theorie und Praxis . 281

§ 42 Die Umkehrung innerhalb der Vita activa und der Sieg Homo faber .

§ 43 Die Niederlage von Homo faber und der Glückskalkül .

§ 44 Das Leben als der Güter höchstes .

§ 45 Der Sieg des Anima! laborans . Anmerkungen

Register .

von 287 298 306 312 318 373 ffi

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EINLEITENDE BEMERKUNGEN

Als im weißen Mutterschoße aufwuchs Baal War der Himmel sdwn so groß und still und fahl Jung und nackt und ungeheuer wundersam Wie ihn Baal dann liebte, als Baal kam.

Als im dunklen Erdenschoße faulte Baal

War der Himmel noch so groß und still und fahl Jung und nackt und ungeheuer wunderbar Wie ihn Baal einst liebte, als Baal war.

Bertolt Brecht Die Menschen, die Welt, die Erde und das All - davon ist in diesem Buch ausdrücklich nicht die Rede. Auch nicht davon, wie die von Menschen er- richtete Welt von der Erde weg in den Himmel sich streckt, von dem Him- mel weg in das Weltall greift, in die Nachbarschaft von Sonne, Mond und Sternen. Wer dürfte wagen, davon schon zu reden, woran wir doch unauf- hörlich denken, seitdem das erste von Menschen verfertigte Ding in das Weltall flog, um dort für eine Zeit in den gleichen, durch die Gravitation bestimmten Bahnen zu wandeln, die den Himmelskörpern seit Ewigkeit den Weg und den schwingenden Lauf vorzeichnen. Seither ist ein Satellit nach dem anderen in den Weltraum aufgestiegen, der Mond ist umflogen, und was noch vor zehn Jahren in unendlich erhabener Feme, in den schweigen- den Regionen eines unnahbaren Geheimnisses lag, muß sich nun gefallen lassen, den Weltraumvorrat jenseits des Himmels, der sich um die Erde wölbt, mit irdisch-menschlichen Gegenständen zu teilen.

An Bedeutung steht das Ereignis des Jahres 1957 keinem anderen nach, auch nicht der Atomspaltung, und man hätte annehmen können, daß es trotz aller Sorge um die militärischen und politischen Begleitumstände von den Menschen mit großem Jubel begrüßt werden würde. Seltsam, der Jubel blieb aus und von Triumph war kaum etwas zu spüren, aber auch nichts von einem Gefühl des Unheimlichen, daß von dem bestirnten Himmel über uns nun unsere eigenen Apparate und Geräte uns entgegenleuchten sollen. Statt dessen stellte sich als erste Reaktion ein kurioses Gefühl der Erleichterung ein, .daß der erste Schritt getan sei, um dem Gefängnis der Erde zu ent- rinnen". Und so phantastisch uns die Vorstellung anmuten mag, daß die Menschen, der Erde müde_, sich auf die Suche nach neuen Wohnplätzen im Universum begeben, so ist sie doch keineswegs die zufällige Entgleisung eines amerikanischen Journalisten, der sich etwas Sensationelles für eine Schlagzeile ausdenken wollte; sie sagt nur, und sicher ohne es zu wissen, was

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44 Das Leben als der Güter höchstes

Es liegt in der Natur der geisteswissenschaftlichen Methode, daß sie ge- schichtliche Zusammenhänge mit großer Konsequenz und Stimmigkeit dar- stellen und .erklären" kann, und so könnte man auch hier leicht den mo- dernen Lebensbegriff im Rahmen einer Ideenentwicklung immanent aus den Aporien und Verlegenheiten herleiten, in die sich die neuzeitliche Philo- sophie seit Descartes verstrickt hatte. Was in solchen Betrachtungen nur leider immer verloren geht, ist die Wirklichkeit selbst, und was immer über- sehen wird, ist die einfache Tatsache, daß alle .Ideen" und Begriffe als Produkte des Geistes a priori so eng miteinander verbunden sind, daß es niemals unmöglich ist, das Eine aus einem Anderen zu entwickeln und ab- zuleiten. Der Sieg von Homo faber war einem Ereignis geschuldet, nämlich daß es ihm gelungen war, ein Instrument zu erfinden, das die gesamte Natur- wissenschaft revolutionär umgestaltete; seine Niederlage wiederum war die Folge dessen gewesen, daß kraft dieser Umgestaltung die Physik sich in Astro- physik und die Naturwissenschaft in eine Universumswissenschaft verwan- delt hatte. Was schließlich zu erklären bleibt, ist, warum diese Niederlage ge- rade mit dem Sieg des Anima! loborans endete; warum der ,Sieg der Vita activa über die Vita contemplativa zur Folge hatte, daß gerade der Arbeit ein Primat über alle anderen Tätigkeiten zufiel; oder, anders gewendet, warum innerhalb der mannigfaltigen Gliederungen der menschlichen Bedingtheit und der ihr entsprechenden menschlichen Vermögen gerade die Tatsache des Lebens absolut vorherrschend wurde.

Dabei ist vorerst in Rechnung zu stellen, daß die neuzeitlichen Umstül- pungen und Umkehrungen sich in einer durch das Christentum bestimmten Gesellschaft vollzogen, deren Grundüberzeugung von der Heiligkeit des Lebens die Säkularisierung und den Niedergang der christlichen Religion nicht nur intakt überlebt hat, sondern von diesen Ereignissen noch nicht einmal wesentlich erschüttert wurde. Das aber besagt, daß die neuzeitliche Wende noch in den Spuren der entscheidenden Umkehrung erfolgte, mit der das Christentum am Beginn unserer Zeitrechnung in die antike Welt einbrach und die politisch radikaler war als alle spezifischen, dogmatischen Glaubensinhalte, was sich schon daran erweist, daß sie das Schwinden dieser Glaubensinhalte nahezu intakt überdauert hat. Denn die christliche Heils- botschaft von der Unsterblichkeit des Einzellebens verkehrte ihrem Wesen nach die antike Beziehung zwischen Mensch und Welt; da, wo antikem Glauben zufolge die Unvergänglichkeit des Kosmos gestanden hatte, er- schien nun ein unsterbliches menschliches Leben, und an den Platz, den die Sterblichen eingenommen hatten, rückte nun eine vergängliche Welt.

Historisch gesprochen möchte man vermuten, daß gerade diese Umkehr

Das Leben als der Güter höchstes 307

dem Christentu.m zu dem Sieg über die Religionen des Altertums verholfen hat, da seine „frohe Botschaft" in eine Welt erklang, die ahnte, daß sie dem Untergang geweiht war, und die nun in ihrer Verzweiflung eine Hoffnung erhielt, die alles weltlich zu Hoffende weit hinter sich ließ. Politisch gespro- chen aber ist kein Zweifel, daß diese hoffende Umkehr für Würde und Relevanz des Bereichs menschlicher Angelegenheiten katastrophale Folgen haben mußte. Denn gerade die eigentlich politische Betätigung war bis dahin entscheidend von der Hoffnung auf eine weltlich-irdische Unsterb- lichkeit beseelt gewesen; von diesem höchsten Rang menschlichen Strebens sank sie nun auf das Niveau einer Betätigung, die sich zwangsläufig aus der Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts und den berechtigten Bedürfnis- sen und Nöten eines noch im Diesseits festgehaltenen Lebens ergibt. Ange- sichts der möglichen Unsterblichkeit des Einzellebens konnte dem Trachten nach weltlicher Unsterblichkeit keine große Bedeutung mehr zukommen, und das, was die Welt an Ruhm und Ehre zu verleihen vermag, wird eitel, wenn die Welt vergänglicher ist als man selbst.

Was die christliche Umkehrung des Verhältnisses von Welt und Mensch politisch besagte, kann man sich vielleicht am besten daran klarmachen, daß das Leben des Einzelnen nun genau an die Stelle zu stehen kam, an der für das Denken der römischen Antike das .Leben" des Gemeinwesens gestan- den hatte. Wenn Paulus sagt, daß der Tod .der Sünde Sold" sei, so setzt er voraus, daß Leben eigentlich unsterblich ist, und dieser Gedanke ent- spricht aufs Genaueste einem Wort Cieeros, der sagt, daß im Falle von Staaten der Untergang, wörtlich: der Tod, die Strafe für die von ihnen be- gangenen Vergehen sei, und zwar mit der ausdrücklichen Begründung, daß Staaten für die Ewigkeit geplant und gegründet sind79. Man hat manchmal den Eindruck, als sei der Begriff der Unsterblichkeit im Urchristentum aus- drücklich an dem römisch-politischen Weltbegriff orientiert - jedenfalls bei Paulus, der schließlich römischer Bürger war -, als hätte man bei der Be- stimmung des unsterblichen Lebens des Einzelnen ausdrücklich an die Un- sterblichkeit gedacht, die dem Gemeinwesen potentiell innewohnt. Denn so wie der politische Körper nur potentiell unvergänglich ist und an poli- tischen .Sünden" zugrunde gehen kann, so hat in der christlichen Lehre von der Erbsünde das menschliche Leben seine Unsterblichkeit in Adam ver- wirkt, und wiewohl es sie durch den Erlösungstod Christi zurückgewonnen hat, ist es doch immer nur eine potentielle Unsterblichkeit, welche die "Tod- sünden" wieder verwirken.

Nirgends vielleicht zeigt sich schlagender, welch Geistes Kind das Christen- tum, zumindest das Urchristentum, ist, als in der Selbstverständlichkeit, mit der postuliert wird, daß das Leben der Güter höchstes ist. Denn es ist genau an diesem Punkte, daß sich die Wege des hebräischen und des heidnischen

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308 Die Vita activa und die Neuzeit

Altertums unüberbrückbar trennen. Nichts liegt dem Alten Testament ferner als die Verachtung des klassischen Altertums für die Mühe und Plage des schieren Lebens, für die Arbeit und das Gebären, nichts ferner als die neidi- sche Bewunderung des .leichten Lebens" der Götter, die Unbedenklichkeit der Kinderaussetzung, die feste Überzeugung, daß ein Leben ohne volle Gesundheit nicht wert ist, gelebt zu werden (sodaß man z.B. daran festhielt, daß der Arzt, der ein Leben, das er nicht heilen kann, verlängert, seinen Beruf mißverstehe80), schließlich das Lob des Selbstmords, wenn er dazu verhilft, einem Schimpf oder auch nur einer entwürdigenden Unerträglichkeit zu ent- gehen. Dennoch brauchen wir nur daran zu denken, wie die Zehn Gebote das Verbot des Tötens unter anderen Vergehen aufzählen, die es an Schwere des Verbrechens für unsere Art zu urteilen unmöglich mit dem Mord aufnehmen können, um zu sehen, daß nicht einmal das hebräische Gesetz, das doch unseren Rechtsbegriffen so viel näher steht als die Rechtssysteme des heid- nischen Altertums, den Schutz des Lebens zum Eckstein der jüdischen Gesetz- gebung machte. Was uns nahezu selbstverständlich ist, daß der Mord gleich- sam das Urverbrechen ist, dies konnte man zwar der Geschichte von Kain und Abel entnehmen, aber nicht dem jüdisch-hebräischen Gesetzesdenken. So ist es, als nähme das biblische Gesetz eine mittlere Stellung ein .zwischen der klassischen Antike und allen christlichen und nach-christlichen Rechtssystemen, und das mag damit zusammenhängen, daß die hebräische Frömmigkeit um eine potentielle Unsterblichkeit des Volkes so zentriert ist wie die antike Religion um die Unvergänglichkeit der Welt und des Kosmos und der christliche Glaube um die Unsterblichkeit des Einzelnen. Jedenfalls mußte diese christliche Todlosigkeit der Person nicht nur zu der Akzentverlagerung auf eine erhoffte jenseitige Welt, sondern, und dies ist in unserem Zu- sammenhang wichtiger, in eins damit auch zu einer außerordentlichen Steige- rung der Relevanz des diesseitigen Lebens führen, insofern es ja der Beginn des ewigen Lebens ist. Entscheidend hierfür ist, daß das Christentum, abge- sehen von gnostischen und häretischen Strömungen, stets großes Gewicht dar- auf gelegt hat, daß das Leben, dem es Unsterblichkeit und also Endlosigkeit verhieß, mit einer Geburt auf Erden anfängt. Das Erdenleben mag einem Jammertal gleichen, es bleibt doch immer der Anfang und die Bedingung der Unsterblichkeit, und als dieser Anfang hat es einen absoluten Wert. Hiermit mag die unbezweifelbare Tatsache zusammenhängen, daß erst, als das Chri- stentum die Unsterblichkeit des einzelnen Lebens zu einem zentralen Glau- bensartikel der abendländischen Menschheit erhoben hatte, auch das irdische Leben zum höchsten Gut dieser Menschheit wurde.

Die christliche Verabsolutierung des Lebens brachte eine Nivellierung der alten Unterschiede und Gliederungen innerhalb der Vita activa mit sich, insofern diese nun alle gleichermaßen als die Tätigkeiten betrachtet wurden,

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Das Leben als der Güter höchstes 309 die notwendig sind, das Leben zu erhalten. Daraus ergab sich beinahe zwangs- läufig, daß das Herstellen und Handeln wie das Arbeiten dem Verdikt der Notwendigkeit unterstellt wurden. Das besagte natürlich andererseits, daß die Arbeit selbst, bzw. die Tätigkeiten, die notwendig sind, den Lebensprozeß in Gang zu halten, jedenfalls teilweise von der Verachtung befreit wurc\en, welche die Antike für sie gehegt hatte. Die uralte Verachtung des Sklaven, der lediglich der Notdurft des Lebens diente und sich dem Zwang eines Herrn unterwarf, weil er selbst um jeden Preis am Leben bleiben wollte, konnte sich in einer christlichen Welt unmöglich halten. Denn der Christ konnte nicht gut mit Plato meinen, der Sklave habe seine sklavische Seele bereits dadurch bewiesen, daß er sich nicht das Leben genommen habe, als das Schicksal der Sklaverei ihn traf; für ihn war die Erhaltung des eigenen Lebens unter allen Umständen und Bedingungen zu einer heiligen Pflicht geworden, und der Selbstmord galt als ein schwereres Verbrechen als der Mord. Nicht dem Mör- der, aber dem Selbstmörder wird das christliche Begräbnis verweigert.

Dies aber hat nicht das Geringste mit der modernen Verherrlichung der Arbeit zu tun, von der sich im Neuen Testament und in der gesamten christ- lichen Tradition vor der Neuzeit keine Spur findet, wie sehr sich auch moderne Interpreten bemüht haben, sie in die Texte hineinzulesen. Paulus war nun wahrlich kein .Apostel der Arbeit"s1, wie man gemeint hat, und die wenigen Stellen, auf die sich diese Behauptung zu stützen versucht, wenden sich an Faulpelze, die .anderer Leute Brot essen", oder ermahnen zur Arbeit, auf

„daß ihr stille seid und euch um eure eigenen Angelegenheiten kümmert", d. h. sie warnen vor der Öffentlichkeit und schärfen ein, daß nur ein privates Leben dem christlichen Lebenswandel entspricht82Und in der späteren christlichen Philosophie, vor allem bei Thomas, hören wir, daß Arbeit eine Pflicht für diejenigen ist, die sonst keine Mittel haben, sich am Leben zu erhalten, aber die Pflicht ist, sich am Leben zu erhalten, nicht, zu arbeiten; wenn man sich durch Betteln seinen Lebensunterhalt verschaffen kann, umso besser.

Liest man die Quellen ohne moderne Vorurteile, so bleibt erstaunlich, wie selten die Kirchenväter auf den doch so naheliegenden Gedanken kamen, die Arbeit als Strafe für die Erbsünde zu erklären und sich in diesem Sinn auf das Pauluswort „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" zu berufen. Aber Thomas folgt nicht dem Alten oder dem Neuen Testament, sondern Aristote- les, wenn er erklärt, daß nur „die Notwendigkeit zur körperlichen Arbeit zwinge"sa. Auch für ihn ist die Arbeit eine Natureinrichtung, die Art und Weise, durch die die Natur das Menschengeschlecht am Leben erhält, und hieraus folgert er, daß es keineswegs eine Pflicht aller Menschen sei, im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot zu essen, sondern daß man nur arbeiten solle, wenn man sich wirklich anders nicht mehr zu helfen weiß84 • Auch ist die häufige Ermahnung zur Arbeit zwecks Vertreibung der durch den Müßig-

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310 Die Vita activa und die Neuzeit

gang hervorgerufenen Versuchungen und Laster keineswegs christlichen, sondern römischen Ursprungs, wie überhaupt ein guter Teil der sogenannten christlichen Moral direkte römische Erbschaft ist. Wenn schließlich die körper- liche Arbeit als Mittel benutzt wird zur Abtötung der fleischlichen Begierden, so urteilt das Christentum offensichtlich hier über die Arbeit genauso wie das Altertum, denn es spricht ja nicht gerade für eine Verherrlichung des Arbeitens als solchen, wenn die Klöster darin eine Art der Askese erblickten, die sie zudem noch mit anderen und, wie uns scheint, grausameren Formen der Selbst-Folterung auf eine Stufe stelltenss.

Trotz seines Glaubens an die Heiligkeit des Lebens, das unter allen Um- ständen und mit allen Mitteln erhalten werden mußte, konnte das Christen- tum schon darum keine eigentliche Arbeitsphilosophie entwickeln, weil es an dem unbedingten Primat der Vita contemplativa gegenüber allen Tätigkeiten der Vita activa immer festgehalten hat: "Vita contemplativa simpliciter melior est quam vita activa", „das Leben der Kontemplation ist ohne Ein- schränkungen besser als ein tätiges Leben"-und was immer die Verdienste des tätigen Lebens sein mögen, die der Kontemplation sind „wirksamer und mächtiger"86 • Dies nun war sicher nicht die Meinung Jesu, sondern offenbar die Folge des mächtigen Einflusses griechischer Philosophie auf das scholasti- sche Denken; aber selbst wenn mittelalterliche Philosophie sich enger an Geist und Buchstaben der Evangelien in diesen Fragen gehalten hätte, so wäre dabei schwerlich eine Verherrlichung gerade der Arbeit herausge- kommens7. Die einzige Tätigkeit, zu der die Predigt Jesu die Hörer anhält, ist das Handeln, und das einzige menschliche Vermögen, das in ihrem Mittel- punkt steht, ist der Glaube, der Wunder wirkt.

Entscheidend in unserm Zusammenhang ist, daß die Neuzeit an dem Po- stulat, daß das Leben und nicht die Welt der Güter höchstes ist, unbedingt festhielt; auch die kühnsten und radikalsten Revisionen der Überlieferung haben niemals die fundamentalste aller Umkehrungen, die wir in unserer Tradition vorfinden, die Umstülpung des Verhältnisses von Leben und Welt, die das Christentum in die untergehende Antike brachte, in ihrer Geltung angetastet. Die Denker der Neuzeit haben es wahrlich an Ausdrücklichkeit und Präzision in ihren Angriffen auf die Überlieferung nicht fehlen lassen, aber das Primat des Lebens über alles andere war für sie zwingend evident, und diese Evidenz hat auch in der modernen Welt, die auf die Neuzeit folgt und in der wir bereits leben, nichts an Überzeugungskraft verloren. Das aber heißt nicht, daß wir eben immer noch in einer wesentlich durch das Christen- tum bestimmten Welt lebten, obwohl es durchaus denkbar ist, daß die Ent- wicklung einen ganz anderen Weg gegangen wäre, wenn der archimedische Punkt siebzehnhundert Jahre früher entdeckt worden wäre, als das höchste Gut des Menschen nicht das Leben, sondern die Welt war. Denn das Leben,

Das Leben als der Güter höchstes 311

das die Modeme für das höchste Gut hält, ist nicht mehr ein unsterbliches Leben, und wenn auch nicht zu leugnen ist, daß auch dies Postulat christlichen Ursprungs ist, so war doch die Verabsolutierung des irdischen Lebens inner- halb des christlichen Glaubens nur ein, wenn auch wichtiger, Begleitumstand.

Hinzu kommt, daß selbst unter Absehung von der spezifisch christlichen Dogmatik das geistige Klima des Christentums so offenbar auf Glauben und Vertrauen gestimmt ist, daß ihm schwerlich etwas größeren Schaden hätte zufügen können als die Schule des Zweifels und des Mißtrauens, durch die alles moderne Denken seit Beginn der Neuzeit gegangen ist. Nirgends, möchte man meinen, hat sich die Unausweichlichkeit des kartesischen Zweifels klarer und vernichtender erwiesen als gerade im Bereich des Religiösen selbst, dessen Glaubensgrundlagen von den beiden größten religiösen Denkern der Modeme, Pascal und Kierkegaard, so furchtbar erschüttert worden sind. Denn die Erschütterung des christlichen Glaubens stammt nicht von dem Atheismus des achtzehnten oder dem Materialismus des neunzehnten Jahrhunderts, deren Argumentation an die Tiefe eines wirklich vom Glauben bestimmten Denkens nie heranreichte, und die zudem weitgehend widerlegbar war im Rahmen der traditionellen Theologie; diese Erschütterung vollzog sich vielmehr durch den Zweifel, der in den Glauben selbst gedrungen war, und auf Grund dessen die alten Heilswahrheiten des Christentums nur noch als .Absurditäten" ver- standen und .geglaubt" werden konnten.

Aber so wie wir nicht wissen können, wie die Entwicklung verlaufen wäre, wenn der archimedische Punkt in einer nicht-christlichen Welt entdeckt worden wäre, so fehlt uns auch jede Handhabe, darüber zu spekulieren, wie sich das Christentum entwickelt haben würde, wenn das große Erwachen der Renais- sance nicht durch dieses Ereignis unterbrochen worden wäre. Alle Möglich- keiten, alle Wege scheinen noch offen, bevor Galilei und seine Entdeckung die Entwicklung in eine bestimmte Bahn zwingt. Denken wir an Leonardo, so mag uns wohl scheinen, daß sich so etwas wie eine revolutionäre Ent- wicklung im Sinne der Technisierung der Welt auf jeden Fall angebahnt hätte, und wir können uns auch noch durchaus vorstellen, daß sie zu der Verwirklichung des uralten Traumes, der Erfindung einer Flugmaschine, ge- führt hätte, aber es ist höchst unwahrscheinlich, daß dieser Flug in den Welt- raum geführt haben würde. Auch eine erdgebundene Technik hätte vielleicht die globale Zusammenfassung der Erdoberfläche schließlich zur Folge gehabt, aber sie hätte schwerlich ermöglicht, Masse in Energie zu verwandeln oder den Mikrokosmos der Elementarteilchen zu erschließen. Sicher jedenfalls ist, daß die Umkehrung von Theorie und Praxis sich im Rahmen der älteren und radikaleren Umkehrung des Verhältnisses von Leben und Welt vollzog und als solche der Ausgangspunkt für die gesamte moderne Entwicklung wurde.

Erst als die Vita activa ihre Ausrichtung auf die Vita contemplativa verlor,

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312 Die Vita activa und die Neuzeit

konnte sie sich als tätiges Leben voll entfalten; und nur weil dies tätige Leben ausschließlich auf Leben als solches ausgerichtet war, konnte der biolo- gische Lebensprozeß selbst, der aktive Stoffwechsel des Menschen mit der Natur, wie er sich in der Arbeit verwirklicht, so ungeheuer intensiviert wer- den, daß seine wuchernde Fruchtbarkeit schließlich die Welt selbst und die produktiven Vermögen, denen sie ihre Entstehung dankt, in ihrer Eigen- ständigkeit bedroht.

45 Der Sieg des Animal laborans

Daß sich das Anima! laborans in der modernen Gesellschaft mit so durch- schlagender Konsequenz hat zur Geltung bringen können, dankt es nicht zuletzt dem, was man gemeinhin die Verweltlichung oder Säkularisierung nennt, also dem modernen Glaubensverlust, jedenfalls sofern dieser ein Leben nach dem Tode oder zumindest die Gewißheit eines jenseitigen Lebens betraf. Das Leben des Einzelnen ist wieder sterblich geworden, so sterblich, wie es im Altertum gewesen ist, aber die Welt, in der die Sterblichen sich nun bewegen, ist nicht nur nicht unvergänglich, sie ist sogar vergänglicher und unzuverlässiger geworden, als sie es je in den Jahrhunderten eines uner- schütterten christlichen Glaubens gewesen war. Es ist nicht ein wie immer geartetes Diesseits, das sich dem Menschen bot, als er die Gewißheit des Jenseits verlor, er wurde vielmehr aus der jenseitigen und der diesseitigen Welt auf sich selbst zurückgeworfen; und weit entfernt davon, den Glauben der Antike an eine potentielle Unvergänglichkeit der Welt zu teilen, war er noch nicht einmal sicher, daß diese diesseitige Welt, die einzige, die ihm ver- blieb, überhaupt wirklich sei. Aber selbst wenn er sich um den Zweifel an der Realität der Außenwelt nicht kümmerte und sich unkritisch und "optimistisch"

dem unaufhaltsamen Fortschritt der Naturwissenschaften verschrieb, hatte er sich erheblich weiter von der Erde und der sinnlich gegebenen Realität entfernt, als irgendeine christliche Jenseitshoffnung ihn je von ihr entrückt hatte. Was immer wir meinen mögen, wenn wir von Säkularisierung sprechen, historisch kann sie auf keinen Fall als ein Verweltlichungsprozeß im strengen Sinne des Wortes angesehen werden; denn die Modeme hat nicht eine diesseitige Welt für eine jenseitige eingetauscht, und genau genommen hat sie nicht einmal ein irdisches, jetziges Leben für ein jenseitig-künftiges gewonnen; sie ist bestenfalls auf es zurückgeworfen. Die Weltlosigkeit, die mit der Neuzeit einsetzt, ist in der Tat ohnegleichen. Was in ihr an die Stelle der Welt getreten ist, ist das nur der Selbstreflexion zugängliche Be- wußtsein, in dessen Felde die höchste Tätigkeit das Formelspiel des Verstandes

ist und die intensivste Erfahrung die Begierden, die Lust- und Unlust-

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Der Sieg des Anima! laborans 313

empfindungen sind, die, körperlicher Natur, sich „irrational" gebärden, weil man ihnen mit Vernunftgründen nicht beikommen, d. h. nicht mit ihnen rechnen kann, und die daher für Leidenschaften gehalten werden. So fiel schließlich dieses ganze Innenleben in eine rational-rechnerische Verstandes- tätigkeit und ein irrational-leidenschaftliches Gefühlsleben auseinander und diese Spaltung, die den inneren Menschen auseinanderriß, war so wenig überbrückbar wie die Subjekt-Objekt-Spaltung des Descartes. Was schließlich in diesem leeren Streit zwischen einem wirklichkeitslosen Verstand und einer irrationalen Leidenschaftlichkeit als einzig fester Bezugspunkt übrig blieb, war das Leben selbst, und zwar der potentiell unvergängliche Lebensprozeß des Menschengeschlechts, der an die Stelle der potentiellen Unvergänglichkeit des politischen Gemeinwesens des Altertums trat wie an die Stelle des unsterblichen Lebens des christlichen Mittelalters.

Daß sich letzten Endes in der Entstehung und Ausbreitung der Gesellschaft das Gattungsleben des Menschengeschlechts als das einzig Absolute durch- setzt, haben wir bereits erwähnt. Theoretisch ist innerhalb der Neuzeit zu unterscheiden zwischen einem Frühstadium, in welchem das „egoistische"

Einzelleben, bzw. das Primat egoistischer Interessen unter den Triebfedern des Handelns, im Mittelpunkt des modernen Weltbildes stand, und der späteren, von Marx entworfenen Gesellschaftstheorie, in welcher diese noch personal gebundenen Triebfedern zu Gesellschaftskräften werden, die als Klassenkampf nun wirklich das Gattungsleben des Menschengeschlechts be- stimmen und in seine historische Entwicklung treiben. Der "gesellschaftliche Mensch" in einer „vergesellschafteten Menschheit" deutet auf ein Endstadium der Gesellschaft, in dem es auch Klasseninteressen nicht mehr gibt, sondern nur das eine, alles beherrschende und dirigierende Interesse, dessen Subjekt erst die Klasse und dann die klassenlose Menschengesellschaft ist, aber niemals mehr der Mensch oder die Menschen. Damit verschwindet die letzte Spur von Handeln aus dem Tun der Menschen, nämlich die Triebfeder, die immerhin noch in den egoistischen Interessen am Werke ist. Was nun übrig bleibt, ist in der Tat eine „Naturkraft", bzw. die Lebenskraft, die, wie alle Naturkräfte, in Form eines Prozesses die Menschen und was immer sie tun mögen unwider- stehlich mit sich reißt, bis „der Denkprozeß selbst ein Naturprozeß" geworden istss; wenn dieser Lebensprozeß des Menschengeschlechts im Ganzen über- haupt Ziel und Sinn haben sollte, so konnte er nur in ihm selbst liegen, in der Selbsterhaltung menschlichen Lebens auf der Erde. Um das Leben des Einzel- nen mit diesem Lebensprozeß im Ganzen zu verbinden, dafür bedarf es wahrlich keiner spezifisch menschlichen Vermögen; das Einzelleben ist dem Gattungsleben eingefügt durch die Arbeit, die die Erhaltung des Eigenlebens und das der Familie besorgt. Und was nicht der Lebensnotdurft dient, nicht von dem lebendigen Stoffwechsel direkt erzwungen ist, ist entweder über-

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314 Die Vita activa und die Neuzeit

flüssig oder erklärt sich als eine der menschlichen Spezies eigentümliche Funk- tion: kurz, menschliche Geschichte "ist ein wirklicher Teil der Naturgeschichte",

"Kasten und Zünfte entspringen aus demselben Naturgesetz, welches die Sonderung von Pflanzen und Tieren in Arten und Unterarten regelt", und Milton produziert „Paradise Lost" aus dem gleichen unwiderstehlichen Trieb, der den Seidenwurm dazu drängt, den Seidenfaden zu spinnen89

Vergleicht man die moderne Welt mit den Welten, die wir aus der Ver- gangenheit kennen, so drängt sich vor allem der enorme Erfahrungsschwund auf, der dieser Entwicklung inhärent ist. Nicht nur, daß die anschauende Kontemplation keine Stelle mehr hat in der Weite spezifisch menschlicher und sinnvoller Erfahrungen, auch das Denken, sofern es im Schlußfolgern besteht, ist zu einer Gehirnfunktion degradiert, welche die elektronischen Rechenmaschinen erheblich besser, schneller und reibungsloser vollziehen als das menschliche Gehirn. Das Handeln wiederum, das erst mit dem Herstellen gleichgesetzt wird, sinkt schließlich auf das Niveau des Arbeitens ab, weil auch das Herstellen, wegen der ihm inhärenten W eltlichkeit und Gleich- gültigkeit gegen die Belange des Lebens, nur als eine Form der Arbeit ge- duldet werden kann, als eine vielleicht kompliziertere, aber grundsätzlich von anderen Funktionen nicht geschiedene Funktion des Lebensprozesses im Ganzen.

Aber selbst diese einzig auf die Arbeit abgestellte Welt ist bereits im Begriff, einer anderen Platz zu machen. Es ist uns gelungen, die dem Lebens- prozeß innewohnende Mühe und Plage soweit auszuschalten, daß man den Moment voraussehen kann, an dem auch die Arbeit und die ihr erreichbare Lebenserfahrung aus dem menschlichen Erfahrungsbereich ausgeschaltet sein wird. Dies zeichnet sich deutlich in den fortgeschrittensten Ländern der Erde bereits ab, in denen das Wort Arbeit für das, was man tut oder zu tun glaubt, gleichsam zu hoch gegriffen ist. In ihrem letzten Stadium verwandelt sich die Arbeitsgesellschaft in eine Gesellschaft von Jobholders, und diese verlangt von denen, die ihr zugehören, kaum mehr als ein automatisches Funktionieren, als sei das Leben des Einzelnen bereits völlig untergetaucht in den Strom des Lebensprozesses, der die Gattung beherrscht, und als bestehe die einzige aktive, individuelle Entscheidung nur noch darin, sich selbst gleichsam loszu- lassen, seine Individualität aufzugeben, bzw. die Empfindungen zu betäuben, welche noch die Mühe und Not des Lebens registrieren, um dann völlig

„beruhigt" desto besser und reibungsloser „funktionieren" zu können. Das Beunruhigende an den modernen Theorien des Behaviorismus ist nicht, daß sie nicht stimmen, sondern daß sie im Gegenteil sich als nur zu richtig er- weisen könnten, daß sie vielleicht nur in theoretisch verabsolutierender Form beschreiben, was in der modernen Gesellschaft wirklich vorgeht. Es ist durch- aus denkbar, daß die Neuzeit, die mit einer so unerhörten und unerhört viel-

Der Sieg des Anima! laborans 315

versprechenden Aktivierung aller menschlichen Vermögen und Tätigkeiten begonnen hat, schließlich in der tödlichsten, sterilsten Passivität enden wird, die die Geschichte je gekannt hat.

Es gibt noch andere, vielleicht noch ernstere Gefahrensignale dafür, daß der Mensch sich anschicken könnte, sich in die Tiergattung zu verwandeln, von der er seit Darwin abzustammen meint. Wenn wir zum Schluß noch einmal auf die Entdeckung des archimedi.schen Punktes zurückkommen, bzw.

darauf, daß der Mensch ganz im Sinne Kafkas ihn auf sich selbst und das, was er hier auf Erden tut, angewendet hat, so zeigt sich sofort, daß alle menschlichen Tätigkeiten, wenn man sie nur von einem genügend entfernten Standpunkt, also dem Standort des archimedischen Punktes im Universum, ansieht, nicht mehr als Tätigkeiten in die Erscheinung treten können, sondern zu Prozessen werden. So würde sich z. B„ wie ein Naturforscher kürzlich gemeint hat, die moderne Motorisierung wie ein biologischer Mutations- prozeß ausnehmen, in dessen Ablauf der menschliche Körper sich schnecken- artig mit einem Metallhaus umgibt. Für den Beobachter im Weltall würde diese Mutation nicht geheimnisvoller sein als die Mutationen, die wir in den winzigen Keimträgern beobachten, die auf die Antibiotika dadurch reagieren, daß sie Arten entwickeln, die gegen sie immun sind. Bis zu welchem Grad wir in Wahrheit den archimedischen Punkt gegen uns selbst anwenden, zeigt sich in aller Deutlichkeit in den merkwürdigen Metaphern, die in die naturwissenschaftliche Begriffssprache gedrungen sind und das naturwissenschaftliche Denken wie selbstverständlich beherrschen. Wenn wir hören, wie die Naturwissenschaften von einem "Leben" der Atome sprechen, von dem „Schicksal" der Elementarteilchen, von den „Gesetzen des Zufalls"

ihrer Bewegungen, die den gleichen „statistischen Fluktuationen" unterworfen sind, die die Sozialwissenschaftler für das Verhalten von Menschengruppen errechnen und die, ganz gleich, wie zufällig das Einzelgeschehen sich ausneh- men oder wie „frei" das Individuum sich vorkommen mag, für das „Kollek- tiv" ganz bestimmte, statistisch festgelegte Verhaltensformen vorschreiben, so dürfte der Grund für diese erstaunliche Koinzidenz - nicht nur zwischen ato- maren Systemen und dem Sonnensystem, so wie sie sich uns darbieten, son- dern zwischen atomaren Verbänden und Menschengruppen - doch vermut- lich dem geschuldet sein, daß es uns bereits ganz selbstverständlich geworden ist, diese gesellschaftlichen Vorgänge so zu betrachten, bzw. in dieser Gesell- schaft so zu leben und uns so zu verhalten, als seien wir unserer eigenen menschlichen Existenz ebenso weit entrückt, wie wir von mikrokosmischen und makrokosmischen Vorgängen entfernt sind, die, selbst wenn eine noch weitergehende Verfeinerung unserer Apparate uns gestatten würde, sie sinn- lich wahrzunehmen, in zu großer Ferne verlaufen, um sich der Erfahrung auch nur überhaupt darzubieten.

(9)

316 Die Vita activa und die Neuzeit

Nun kann dieser in der Modeme feststellbare Erfahrungsschwund natürlich nicht bedeuten, daß der moderne Mensch die dem Menschen und seiner Bedingtheit eigenen Vermögen verloren habe oder im Begriff stehe, sie zu verlieren. Ungeachtet der Feststellungen der Soziologen, der Psychologen und der Anthropologen, deren Gegenstand nicht der Mensch, auch nicht im wissenschaftlichen Verstande, sondern mehr und mehr eineArt gesellschaftlich- animalisches Lebewesen ist, geht natürlich das Machen, Herstellen, Fabri- zieren und Weltbilden weiter; aber es ist nicht zu leugnen, daß diese her- stellenden Vermögen sich in wachsendem Maße auf die spezifisch künstlerisch Begabten beschränkeno0 , was zur Folge hat, daß die eigentlichen We!t- orientierten Erfahrungen sich mehr und mehr dem Erfahrungshorizont der durchschnittlichen menschlichen Existenz entziehen.

Ähnliches gilt für das Vermögen zu handeln, das, zumindest im Sinne der Verursachung von Prozessen, sogar eine große Rolle in der modernen Welt spielt. Denn gerade dies wird in zunehmendem Maße zum Vorrecht der Naturwissenschaftler, welche durch ihr Eingreifen in die Natur nicht nur

„das Laboratorium des Physikers zu einem kosmischen Laboratorium er- weitert"91, sondern auch den Bereich der menschlichen Angelegenheiten von den Grenzen und Begrenzungen „befreit" haben, durch die Menschen, soweit unsere Erinnerung reicht, sich stets gegen die Natur abgegrenzt haben, um die Welt vor ihr zu schützen. Angesichts der objektiv vorliegenden Leistungen der exakten Wissenschaften, die schließlich nach Jahrhunderten aus der Stille der Laboratorien in die Offentlichkeit getreten sind, scheint es nicht mehr als angemessen, den

Taten" der Forscher schließlich sogar einen größeren Neuigkeitswert, sicher aber eine größere politische Relevanz zuzuschreiben, als das Tun und Treiben der Staatsmänner, die diplomatischen Vorgänge der Außenpolitik und die verwaltungstechnischen der Innenpolitik, gemeinhin hoffen dürfen zu erreichen. Es fällt schwer, nicht ironisch zu werden, wenn man sieht, wie diejenigen, die die öffentliche Meinung aller Zeiten als die unpraktischsten und unpolitischsten Mitglieder der Gesellschaft gebrandmarkt hat, sich plötzlich als die einzigen entpuppt haben, die überhaupt noch von dem Vermögen zu handeln Gebrauch machen und daher auch wissen, wie man es anstellt, zusammenzuhandeln. Denn die kaum beachteten, bis ins siebzehnte Jahrhundert zurückgehenden Vereine und Organisationen, in denen sie sich zu Beginn dieser ganzen Entwicklung zum Zweck der Eroberung der Natur zusammenschlossen und ihre eigenen moralischen Wertmaßstäbe und ihren eigenen Ehrenkodex entwickelten, haben nicht nur alle revolutio- nären Umschwünge der Modeme überdauert, sie haben sich als eine der mächtigsten, Macht-erzeugenden Gruppierungen erwiesen, die wir je in der Geschichte gesehen haben. Dabei ist aber nicht zu verhehlen, daß das Handeln der Wissenschaften, da es in die Natur vom Standpunkt des Weltalls hinein-

Der Sieg des Anima! laborans 317

handelt und nicht in ein Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten, gerade die Charaktere des Handelns nicht mitrealisieren kann, die es zu einem so eminent menschlichen Vermögen macht, die Enthüllung der Person auf der einen Seite und das Hervorbringen von Geschichten auf der anderen, die zusammen die Quelle bilden, aus der sich in der Menschenwelt selbst ein Sinn formiert, der dann wiederum als Sinnhaftigkeit das menschliche Treiben zu erhellen und zu erleuchten vermag. In diesem, was menschliche Existenz an- langt, wichtigsten Aspekt ist auch das Vermögen zu handeln auf die Wenigen beschränkt, und die Wenigen, die sich in seinem Erfahrungshorizont noch auskennen, dürften an Zahl den Künstlern, bzw. denen, die sich in dem Erfahrungshorizont der Welt noch auskennen, sogar noch unterlegen sein.

Das Denken schließlich {das wir außer Betracht gelassen haben, weil die gesamte Überlieferung, inclusive der Neuzeit, es niemals als eine Tätigkeit der Vita activa verstanden hat) hat, so möchte man hoffen, von der neuzeit- lichen Entwicklung noch am wenigsten Schaden genommen. Es ist möglich und sicher auch wirklich, wo immer Menschen unter den Bedingungen politi- scher Freiheit leben. Aber auch nur dort. Denn im Unterschied zu dem, was man sich gemeinhin unter der souveränen Unabhängigkeit der Denker vor- stellt, vollzieht sich das Denken keineswegs in einem Wolkenkuckucksheim, und es ist, gerade was politische Bedingungen anlangt, vielleicht so verletzbar wie kaum ein anderes Vermögen. Jedenfalls ist es erheblich leichter, unter den Bedingungen tyrannischer Herrschaft zu handeln als zu denken. Die Erfahrung des Denkens hat seit eh und je, vielleicht zu Unrecht, als ein Vor- recht der Wenigen gegolten, aber gerade darum darf man vielleicht anneh- men, daß diese Wenigen auch heute nicht weniger geworden sind. Dies mag von nicht zu großer Bedeutung oder doch von nur sehr eingeschränkter Bedeu- tung für die Zukunft der Welt sein, die nicht vom Denken, sondern von der Macht handelnder Menschen abhängt; es ist nicht irrelevant für die Zukunft des Menschen. Denn hätten wir die verschiedenen Tätigkeiten der Vita activa lediglich von der Frage her betrachtet, welche von ihnen die „tätigste" ist und in welcher sich die Erfahrung des Tätigseins am reinsten ausspricht, dann hätte sich vermutlich ergeben, daß das reine Denken alle Tätigkeiten an schiere.m Tätigsein übertrifft. Diejenigen, die sich in der Erfahrung des Denkens auskennen, werden schwerlich umhinkönnen, dem Ausspruch Catos zuzustimmen: numquam se plus agere quam nihil cum ageret, numquam minus solum esse quam cum solus esset, was übersetzt etwa heißt: „Niemals ist man tätiger, als wenn man dem äußeren Anschein nach nichts tut, niemals ist man weniger allein, als wenn man in der Einsamkeit mit sich allein ist."

(10)

370 Anmerkungen zu Seite 301-305

74 Lefleur, op. cit„ S. XI. - Bentham selbst wendet sich gegen den Utilitarismus, weil the word utiliry does not so clearly point to the ideas of pleasure and pain as the words happiness and feliciry do" (Anmerkung auf S. 1 der Hafner-Ausga?e).

Sein Haupteinwand gegen das Nützlichkeitsprinzip ist, daß man den Nutzen mcht messen und nicht in Zahlen ausdrücken kann; und ohne eine solche Berechnungs- möglichkeit, meint er, gäbe es keine Möglichk~it .eines objektiv~? ~rite~ium~ f?r Recht und Unrecht. Bentham leitet das Lustprmz1p von dem Nutzhchkeitsprmz1p ab indem er den Begriff des Nutzens gänzlich von der Vorstellung des Brauchens ablöst (siehe § 3 des ersten Kapitels des Werks). Und diese Ablösung bezeichnet einen Wendepunkt in der Geschichte des Uti.litarismus. Denn obzwar auch d~s Nü.tz- lichkeitsprinzip primär auf ein Ich bezogen 1St, so hat doch erst Bentham dies Prm- zip so radikalisiert, daß alle Bezüge zu ein~r ~nabhängigen ~elt. von Gebrauchs- gegenständen .fortfielen und man es nun wirklich nur noch mit emer Nutz-, bzw.

Lustempfindung zu tun hatte, oder, wie Halevy sagt, mit einem zum universalen Prinzip erhobenen Egoismus.

15 Zitiert nach Halevy, op. cit.

76 Der erste Satz von Benthams Werk lautet: .Nature has placed mankind under the governance of two sovereign masters, pain and pleasure." Halevy zeigt, daß er nahezu wörtlich mit Helvetius übereinstimmt, sagt aber auch, daß "es nur natürlich war, daß eine so gängige Idee schließlich zu einer identischen Formel führte". Das ist zwar richtig, zeigt aber auch, daß wir es hier mit Schriftstellern zu tu haben, die nicht Philosophen sind; denn in der Philosophie ist es schlechter:

dings unmöglich, daß irgendeine, und sei es die selbstverständlichste, Idee von zwei Verfassern in den gleichen Worten ausgedrückt wird, es sei denn, sie schrieben ein- fach voneinander ab.

11 Halevy, op. cit. . . .

78 Die drei größten Repräsentanten der modernen Lebensph~losop?ie smd M~rx, Nietzsche und Bergson, die, jeder auf seine Weise, Leben und Sem gleichsetzen. ?•e~e Gleichsetzung beruht auf der Selbstreflexion'. denn Leben bz~. das Leb~ndigsem ist in der Tat das einzige „Seiende", dessen sich das Bewußtsem bewußt ist, w~nn es nur sich selbst zum Gegenstand hat. Aber wiewohl die moderne Lebe~sphil?­

sophie im Grunde immer noc~ eine BewußtseinsJ?hilosophie ist, .~o unterschei~et sie sich doch von den Bewußtsems- und Erkenntmstheonen der alteren Neuzelt da- durch, daß der Lebensbegriff dieses Bewußtsein ?l~ichsam dyna~i~iert und akt~~iert und dadurch noch endgültiger von dem Wahrheitsideal der Tradit10n und de.r ube:- lieferten Philosophenhaltung der Kontemplation gelöst ?~t. So w~ndet s.ich .die Rebellion dieser modernen im Unterschied zu der neuzeitlichen, Philosophie mcht mehr nur gegen die Tradition der Philosophie, sondern wird z~ eine~ Re?ellion der Philosophen gegen Philosophie überhaupt. Das fängt eigentlich mit Ki~rkegaa.rd an, endet im französischen Existentialismus, und scheint auf de.n ersten Bhck ledig- lich der Umstülpung von Theorie und Praxis, von Kontemplation und ~andeln .zu entsprechen. Sehen wir aber einmal von .Kierkegaard ab, dessen D.enken m der 1 at eine Art inneren Handelns ist, so stellt SlCh bald heraus, daß es kemem der Lebens- philosophen um das Handeln geht. Nietzsche und Bergson sprechen von Han~eln, wenn sie Herstellen meinen, sie setzen Homo faber an die Stelle von Ho~o sapiens, und Marx, dem es am offensichtlichsten nur um .Produktivität" zu tun ist, ver~teht sowohl Handeln wie Arbeiten im Sinne des Herstellens. Aber der Kern dieses modernen Denkens der Bezugspunkt, um den sich diese Systeme wirklich drehen, ist weder das Herstellen und die Welt noch das Handeln und die menschlichen An- gelegenheiten, sondern das Leben und seine Fruchtbarkeit.

"'···

)

Anmerkungen zu Seite 307--313 371

!

79 Siehe Cicero, De Re Publica III, 23. Für die dem Altertum selbstverständliche Überzeugung, daß man ein Gemeinwesen für die Ewigkeit gründen müsse, siehe z. B. Plato, in den .Gesetzen" 713, wo den Staatsgründern ausdrücklich eingeschärft wird, sie müßten sich an dem orientieren, was im Menschen selbst unsterblich ist.

80 So Plato im .Staat" 405 C.

9i So in der Schrift des Dominikaners Bernard Allo, Le Travail d'apres St, Paul, 1914. Es gibt ein ziemlich großes katholisches Schrifttum, das sich bemüht, den christ- lichen Ursprung der modernen Verherrlichung der Arbeit nachzuweisen. Maßgebend für Frankreich in dieser Hinsicht ist Etienne Borne u. Fran~ois Henry, Le Travail et l'Homme, 1937, für Deutschland Karl Müller, Die Arbeit nach moral-philo- sophisdien Grundsätzen des heiligen Thomas von Aquino, 1912. Gegen diese Miß- deutungen der Geschichte hat sich neuerdings Jacques Leclercq von Louvain ge- wandt in seinem auch in anderer Hinsicht ausgezeichneten Beitrag zu einer Arbeits- philosophie in dem vierten Band seiner Lerons de Droit Nature[, der unter dem Titel Travail, Propriite 1946 erschienen ist: „Le christianisme n'a pas change grand' chose

a

l'estime du travail", und in Thomas' Schriften ist von Arbeit nur ganz nebenbei die Rede (S. 61 /2).

82 Siehe I. Thess. 4, 9-12 u. II. Thess. 3, 8-12.

83 In der Summa contra Gentiles III, 135: Sola enim necessitas victus cogit mani- bus operari.

84 Siehe Summa Theologica II, 2, 187, 3 u. 5.

85 In den Mönchsregeln, vor allem in dem Ora et Labora der Benediktinerregel, wird zur Arbeit gemahnt, um den Versuchungen des Müßigganges zu entgehen (§ 48 der Regel). In der sog. Augustiner-Regel (Epistolae 211) gilt Arbeit als Natur- gesetz, nicht als Strafe für Sünde. Augustin empfiehlt die körperliche Arbeit - er gebraucht die Worte opera und labor synonym, da es sich bei ihm nur um den Gegensatz des otium handelt - aus drei Gründen: 1. um die Versuchungen des Müßigganges zu bekämpfen; 2. um es den Klöstern zu ermöglichen, die christliche Nächstenliebe gegen die Armen zu üben; 3. weil sie die Kontemplation begünstigt und nicht wie andere Beschäftigungen, z. B. das Kaufen und Verkaufen, den Geist überflüssigerweise in Anspruch nimmt. - Für die Rolle der Arbeit in den Klöstern siehe Etienne Delaruelle, Le Travail dans !es Regles Monastiques occidentales du 4e au 9e siecle, im Journal de Psychologie Normale et Pathologique, Bd. XLI, No. 1, 1948. Es ist in diesem Zusammenhang durchaus charakteristisch, daß man etwa in Port-Royal noch die Arbeit als ein sehr wirksames Strafmittel benutzte. Siehe Lucien Febre, Travail: Evolution d'un Mot et d'une Idee in der oben zitierten Zeitschrift.

86 So Thomas in der Summa Theologica II, 2, 182, 1 u. 2. Thomas unterscheidet sich in bezeichnender Weise von Augustin, was das Primat der Kontemplation an- geht. Denn für Augustin war auch die .inquisitio, aut inventio veritatis" kein Ab- solutum; sie durfte gesucht werden nur „ut in ea quisque proficiat" (siehe De Civitate Dei XIX, 19). Aber dieser Unterschied besagt nicht etwa, daß Augustin dem Geiste des Urchristentums näher gewesen sei; es ist vielmehr der Unterschied zwischen einem wesentlich römisch und einem wesentlich griechisch geprägten Denken.

87 Die Evangelien sprechen von dem Übel irdischen Besitzes, aber nicht von einem Heil der Arbeit. Vgl. Matth. 6, 19-32; 19, 21-24. Mk. 4, 19; Luk. 6, 20-34; 18, 22-25; Act. Ap. 4, 32-35.

88 So Marx in einem Brief an Kugelmann vom Juli 1868.

(11)

372 Anmerkungen zu Seite 314-316

s9 Siehe Das Kapital 12. Kapitel. 2. Abschnitt und "Jugendschriften" in der Ge- samtausgabe (Bd. 1, Teil 3, Berlin 1932) p. 123.

90 Die W eltlichkeit der künstlerischen Tätigkeit ändert sich natürlich auch nicht in der nicht-gegenständlichen modernen Kunst. Diese Nichtgegenständlichkeit hat nichts mit Subjektivität zu tun oder damit, daß der Künstler etwa "sich ausdrücken"

wolle; so reden nur die Scharlatane, nicht die Künstler. Jeder Künstler, ob er nun ein Maler oder ein Bildhauer, ein Dichter oder ein Komponist ist, produziert Welt- dinge, und die Verdinglichung, die sein eigentliches Geschäft ist, hat nichts gemein mit der sehr fragwürdigen, jedenfalls aber ganz unkünstlerischen Praxis des Sich- Ausdrückens. Nicht die abstrakte Kunst, wohl aber der Expressionismus ist ein Unding.

91 So Hans Kienle, Atom und Kosmos in dem Sammelbuch "Vom Atom zum Welt- system", 1954, S. 121.

.,....

1

REGISTER

Achill 29, 186f.

Agnostizismus 269

Akkumulation des Kapitals 63ff., 68, 92, 101ff.,113, 149, 244f., 248, 250 Alkmaion24

Anima! laborans 27, 79f., 93, 95, 102, 106f., 109ff., 115, 120ff., 131 ff., 141, 161, 208f., 231, 298, 306, 312ff.

Anima! rationale 30, 79, 159, 276 Anima! sociale 27, 30

Anthropologie 18, 289, 316 Anthropozentrismus 144 Antigone (von Sophokles) 29 Arbeiterbewegung 207 ff.

Arbeitsgesellschaft ll f., 46f., 104, l 15f., 121 ff., 139, 146, 149f., 204f., 209, 214, 313f.

Arbeitskraft 81, 96, 112, l 19f., 130, 133, 150, 159,250

Arbeitsphilosophie 105, 310 Arbeitsteilung 48, 107ff., 148, 160 Archimedes, archimedischer Punkt 18,

252ff., 263, 276ff., 310f., 315 Aristarch 267

Aristoteles 18ff., 25, 27f., 30f., 37f., 55, 78f„ 90, 111, 144f., l 78f., 186, 188f., 201, 209, 216, 225, 238, 267, 283f., 294, 309

artes liberales 84 artes sordidae 84 Astronomie 253, 258f., 278 Astrophysik 253, 257, 263, 306 Atheismus 311

Atomphysik 7, 10, 110, 134ff., 254, 256 Augustin 17, 19f., 52, 166

Automation II, 119, 134ff.

Behaviorismus 44f.

Bellarmin, Kardinal 254, 257 Bentham,Jeremy 301 f.

Bergsan, Henri 106, 160 Bodin,Jean 64 Brecht, Bertolt 7 Burckhardt,Jacob 29 Calvin,.Tean 247 Cato 317

Christentum 8, 20f., 52ff., 59, 70ff., 80, 118, 166, 199, 210, 234ff., 297, 303, 306ff.

Cicero 307

Condition humaine 14ff., 107 Constant, Benjamin 76

Cusaner (Nikolaus von Cues) 253, 255 Dädalus 111

Dante 164

Darwin, Charles 105, 315 Demokrit 200f., 268

Descartes, Rene 249, 255, 259f., 265ff„

273ff., 281, 286, 292, 299, 301, 305f., 313

Dinesen, Isak 164 Dominikaner 7 5 Eddin~ton, Arthur S. 256 Einstern, Albert 258 Empirizismus 266 Engels, Friedrich 81, 105

Entfremdung 149f., 153, 247f„ 258f.

Epikur 102, 230, 302f.

Existenzphilosophie 266, 287 Feudalismus 35f.

Franklin, Benjamin 131, 145 Franziskaner 75

Französische Revolution 244

Freiheit 33f., 67ff„ 95, 102, 106, 108, 117f.,211,229f.,235,24~259 Galilei, Galileo 244, 252ff., 264f., 267,

279,286,298 Gebrauchswert 150ff.

Geistesarbeit 11, 82 ff.

Genialität 205ff., 289

Geschichte 11, 15, 43, 71, 163, l 75ff., 182ff., 199, 227, 247, 291, 316 Geschichtsphilosophie l 75ff., 289, 293 Gesellschaft 31 ff., 38ff., 55, 60ff., 81, 92,

IOOff., 113, 116, 205, 210ff.

Gesellschaft, kapitalistische 82, 150 Gesellschaft, kommerzielle 148 ff., 205 Gesellschaft, kommunistische 45 Gesellschaftswissenschaften 44 f., 49 Gewaltenteilung 195

Giordano, Bruno 253f.

Gleichheit 42, 209ff.

Goethe, Johann Wolfgang 98, 118, 177 Gravitationsgesetz 259

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