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Die «stillen» Symptome der MS

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Fachartikel

Die «stillen» Symptome der MS

Montag, 12. März 2012

Neben den gut beschreibbaren und klinisch erfassbaren MS-Symptomen gibt es ei- ne Vielzahl von Beschwerden, die im Rahmen einer MS auftreten können und wel- che für den Arzt nur bedingt fassbar oder objektivierbar sind. Für nicht-betroffene Laien sind sie erst recht kaum sichtbar und nur schwer einzuordnen. Die häufigsten sogenannten «stillen» oder «unsichtbaren» Symptome im Überblick.

Die MS betrifft vor allem Menschen im jungen und mittleren Erwachsenenalter. Ob- gleich bezüglich ihrer Krankheitsentstehung bislang keine definitiven Aussagen möglich sind, kann vermutet werden, dass es sich um ein komplexes Zusammenwir- ken verschiedener anlage- sowie umweltbedingter Faktoren handelt.

Im Immunsystem, welches normalerweise für die Überwachung und allfällige Elimi- nierung von Krankheitserregern verantwortlich ist, kommt es aufgrund nicht voll- ständig geklärter Ursachen zu einer Fehlreaktion, bei welcher das eigene Gewebe als «fremd» erkannt und durch die eigene Immunabwehr angegriffen wird (Autoim- munreaktion). Im Rahmen dieser Autoimmunreaktion kommt es zu einer Schädi- gung der Schutzschichten, welche die Nervenfasern umhüllen.

Die Symptome können sehr unterschiedlich sein, je nachdem welche Nervenfasern betroffen sind (z.B. solche für die Bewegungs- oder Empfindungssteuerung oder Schmerzfortleitung usw.). Während Lähmungserscheinungen, Sehstörungen und Bewegungseinschränkungen recht gut beschreibbar und neurologisch erfassbar sind, können einige andere Symptome, wie Schmerzen, Blasen- und Darmstörun- gen, abnorme Ermüdbarkeit (Fatigue), Hirnleistungsstörungen oder aber auch Stim- mungsänderungen bis hin zur Depression auftreten.

Im Gegensatz zu den gut beschreibbaren und häufig nach aussen hin auch beob- achtbaren Funktionseinschränkungen handelt es sich bei den anderen Symptomen nicht immer um Defizite, die von aussen klar erkennbar sind. Diese Störungen sind dennoch – und sogar gerade weil sie nicht beobachtbar sind – für Betroffene und Angehörige besonders belastend und schwierig zu bewältigen.

Fatigue – man sieht mir nicht an, wie müde ich bin

Fatigue gilt als eines der häufigsten Symptome der MS, wobei etwa 70 bis 80 % der MS-Betroffenen darunter leiden. Während einige Betroffene eine permanente Mü- digkeit schildern (chronische Fatigue), die sich selbst bei einfachsten Tätigkeiten be- merkbar macht, berichten andere von einer spontanen, plötzlich einschiessenden Müdigkeit, die ohne körperliche Aktivität oder nur wenige Minuten nach Beginn ei-

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ner Aktivität auftritt (akute Fatigue). Die Müdigkeit kann sowohl rein körperliche Funktionen betreffen (z.B. Müdigkeit in den Beinen nach wenigen Schritten) oder sich auf geistige Tätigkeiten beziehen (Nachlassen der Aufmerksamkeit und Konzen- tration nach kurzer Zeit) und sich bei Fieber, Hitze, nach einem warmen Bad oder im Rahmen anderer Einflüsse, welche die Körpertemperatur erhöhen, verstärken.

Grundsätzlich ist eine Fatigue etwas Subjektives, d.h., die Betroffenen spüren zwar die Müdigkeit oder erhöhte Ermüdbarkeit, eine andere Person kann das aber nicht notwendigerweise erkennen. Da es weder klare körperliche Zeichen noch Untersu- chungsmethoden gibt, mit denen sich eine Fatigue eindeutig diagnostizieren lässt, wird sie zu den «stillen» oder «unsichtbaren» Symptomen gezählt. Oft stellt sich bei den Betroffenen das Gefühl des Nicht-verstanden-Werdens ein; besonders wenn die beklagte Fatigue von der Umwelt als «Nicht- Wollen» oder als übermässige Träg- heit interpretiert wird. Dies kann zu Missverständnissen führen, bestehende Proble- me verstärken oder zusätzliche psychische Probleme verursachen.

Gerade weil mit der Diagnose MS auch eine Veränderung des Selbstbildes einher- geht, können derartige Erfahrungen, wenn sie im persönlichen Umfeld stattfinden, zu Unsicherheiten, zum Gefühl der Inakzeptanz und schliesslich zum sozialen Rück- zug führen. Und damit können sie wiederum einen deutlichen Einfluss auf die Stim- mung haben.

Depressionen – Traurigkeit kann still und wortlos sein

Nicht jedes Stimmungstief kann man mit einer Depression gleichsetzen. Stim-

mungsänderungen im Sinne einer gedrückten Stimmungslage sind bei MS-Betroffe- nen häufig, da die Diagnose eher jüngere Menschen völlig unvorbereitet in einer Le- bensphase trifft, in der die berufliche Etablierung, die Partnerbindung oder auch die Familiengründung im Vordergrund stehen. Insgesamt jedoch lässt sich festhalten, dass die Lebenszeitprävalenz einer Depression (d.h. die Wahrscheinlichkeit, jemals im Laufe des Lebens an einer Depression zu erkranken) bei MS-Betroffenen im Ge- gensatz zu gesunden Menschen deutlich erhöht ist. Sie beträgt rund 50%, das heisst, dass nahezu jeder zweite MS-Betroffene im Laufe seines Lebens eine – häu- fig behandlungsbedürftige – depressive Phase durchlebt.

Zur Zeit der Diagnosestellung können insbesondere die genannten Gründe (Unver- mitteltheit der Diagnosestellung, «Diagnose-Schock», Verlust des Selbstbildes usw.) die Ursache für eine Depression sein – wobei hier eher der Ausdruck einer depressi- ven Reaktion auf eine leidvolle Erfahrung angebracht ist.

Im Laufe der Jahre können aber auch die MS-typischen Hirnveränderungen selbst zu depressiven Störungen führen. Dies hängt damit zusammen, dass die Hirnverände- rungen an solchen Nervenbahnen auftreten können, über die auch die für die Stim- mungsregulation notwendigen Hirn-Botenstoffe an ihre Zielorte gelangen. Die hier-

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durch verursachte Fehlsteuerung kann auch ein bestehendes Stimmungstief zusätz- lich negativ beeinflussen und zu einer Depression führen.

Eine Depression ist gekennzeichnet durch genau definierte Symptome, die je nach Schweregrad in unterschiedlicher Ausprägung für eine längere Zeitdauer so deutlich in Erscheinung treten, dass die gesamte Erlebnis- und Genussfähigkeit, die Lei-

stungsfähigkeit, das Denken und die zwischenmenschliche Beziehungsfähigkeit ei- nes Menschen deutlich beeinträchtigt werden. Lustlosigkeit, Müdigkeit, Appetitver- lust, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, sexuelle Interesselosigkeit, Gewichtsab- nahme oder -zunahme sind typische Zeichen einer Depression.

Es gibt unterschiedliche Formen und Schweregrade der Depression. Dies kann so weit reichen, dass sich die Betroffenen äusserst niedergeschlagen fühlen und so- wohl die aktuelle Situation als auch die Zukunftsperspektiven als negativ empfin- den. Eine Erschöpfung und die damit verbundene Energielosigkeit können sowohl Zeichen einer Fatigue als auch Symptom einer Depression sein. Da Betroffene die- sen Zustand ohne professionelle Hilfe nicht überwinden können, ist es wichtig, diese Zeichen rechtzeitig zu erkennen, um eine fachliche Untersuchung und Beurteilung vornehmen zu lassen sowie nötigenfalls eine Behandlung einzuleiten. Für die Ange- hörigen ist es wichtig zu wissen, dass eine Depression nicht durch Trösten, gutge- meintes Zureden, Überzeugen oder gar Unter-Druck-Setzen gebessert werden kann.

Häufig ist eine Psychotherapie, zumeist in Verbindung mit einer medikamentösen Behandlung, sinnvoll.

Kognitive Störungen – meine Mühe beim Denken sieht man nicht

Nahezu die Hälfte der MS-Betroffenen berichtet über Probleme mit der Konzentrati- on, dem Gedächtnis sowie über Schwierigkeiten beim gleichzeitigen Bearbeiten mehrerer Aufgaben oder der raschen Informationsverarbeitung. Dies sind Störun- gen der kognitiven Leistungen. Sie können im Einzelfall sogar zu den ersten Zeichen der Erkrankung gehören und zu einem Zeitpunkt in Erscheinung treten, wo anson- sten keine einschränkenden körperlichen Symptome beklagt werden. Jedoch kön- nen diese kognitiven Störungen im Berufs- und Familienalltag zu deutlichen Ein- schränkungen führen und die Lebensqualität beeinträchtigen. Gerade das Nachlas- sen der geistigen Leistungsfähigkeit rüttelt am Selbstbild und wird von vielen Betrof- fenen als bedrohlich empfunden. Die Betroffenen mögen in einer bestimmten Si- tuation merken, dass sie bestimmte Tätigkeiten nicht mehr mit der gewohnten Leichtigkeit ausführen können, ihnen bestimmte Namen oder Begriffe nicht auf An- hieb einfallen oder dass sie einer Unterhaltung nur mit grosser Mühe und Konzen- tration folgen können. Häufig sind die Vermeidung von sozialen Kontakten oder gar der gänzliche Rückzug die Folge dieser Verunsicherung.

Paroxysmale («anfallartige») Symptome – was nur kurz kommt und geht,

wird nicht beachtet

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Unter paroxysmalen Symptomen versteht man Störungen, die plötzlich und unver- mittelt auftreten und nach kurzer Zeit wieder vollständig verschwinden können, bei- spielsweise Gefühlsstörungen oder Sehstörungen. Oftmals spielen eine plötzliche Temperaturveränderung oder eine abrupte Bewegung eine Rolle als Auslöser. Die Tatsache, dass diese Störungen völlig unvermittelt auftreten und genauso schnell wieder verschwinden können, führt einerseits zur Beunruhigung und Verunsiche- rung bei den Betroffenen. Andererseits können gerade diese anfallartigen Sympto- me zu Unsicherheiten bei Angehörigen und manchmal zu Zweifeln am beklagten Gesundheitszustand der Betroffenen führen. Dies wiederum kann die Betroffenen irritieren; man fühlt sich nicht ernst genommen und zieht es dann bei erneuten Ge- legenheiten vor zu schweigen, anstatt über die durch die Symptome verursachten Sorgen und Nöte zu sprechen. Derartige Verhaltensmuster können zu einer Kette von Missverständnissen führen, an deren Ende der soziale Rückzug und die Isolati- on stehen. Dies kann wiederum als Wegbereiter für eine Depression wirken.

Blasen- und Darmprobleme – darüber wird nicht geredet

Viele Betroffene klagen über Störungen der Blasen- und/oder Darmfunktion. Ob- gleich auch diese Symptome nicht notwendigerweise «von aussen» sichtbar sind, kann z.B. ein ungewollter Urinabgang (Harninkontinenz) zu deutlichen Einschrän- kungen im Aktionsradius eines Betroffenen führen. Tatsächlich entscheiden sich dann viele Betroffene mit diesen Problemen eher zu einer Einschränkung ihrer Akti- vitäten, um nicht ständig auf der Suche nach der nächsten Toilette zu sein und da- durch sich und andere unter Druck zu setzen. Unglücklicherweise können sich die Blasen- und Darmfunktionen gerade durch eine zusätzliche Inaktivität (Bewegungs- armut) weiter verschlimmern, so dass auch hier wieder eine «Negativspirale» in Gang gesetzt wird.

Schmerzen – man könnte laut schreien und ist ganz still

Betroffene wissen, dass MS keine schmerzlose Krankheit ist. Schmerzen können so- wohl als direkte Folge der MS-Aktivität infolge der Gehirnveränderungen auftreten, als auch aufgrund von anderen MS-Symptomen (z.B. Spastiken durch Haltungsfeh- ler oder Verkrampfungen). Hierbei können die Schmerzen verschiedene Intensitä- ten (d.h., wie stark der Schmerz ist) und Qualitäten (d.h., wie sich der Schmerz an- fühlt) haben. Viele Betroffene berichten über gelegentlich auftretende Gesichts- schmerzen (Trigeminusneuralgie).

Ähnlich wie mit den anderen, oben beschriebenen Symptomen sind diese Schmer- zen LEBEN MIT MS für Aussenstehende einerseits nicht wahrnehmbar, andererseits führen sie ebenfalls zu deutlichen Einschränkungen der Aktivitäten und somit der Lebensqualität der Betroffenen. Grundsätzlich führen gerade chronische Schmer- zen dazu, dass sich Betroffene primär auf sich und den Schmerz konzentrieren. Das Symptom nimmt somit einen breiten Raum in ihrer Gedankenwelt ein, und sie wer-

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den für andere, angenehme Dinge und zwischenmenschliche Aktivitäten weniger empfänglich. Auch die Genussfähigkeit ist davon betroffen. Man ist weniger gesellig, zieht sich öfters zurück und benötigt mehr Ruhe, meidet eher Kontakte und empfin- det sich als eine Last, sowohl sich selbst als auch anderen gegenüber. Zudem kön- nen schmerzlindernde Medikamente eine Müdigkeit zusätzlich verstärken, so dass auch hier eine Negativ spirale zu erwarten ist.

Professionelle Unterstützung

Die unsichtbaren Symptome einer MS betreffen sowohl bestimmte körperliche Be- schwerden als auch seelische Probleme. Oftmals können sich diese körperlichen und seelischen Symptome gegenseitig verstärken, so dass eine Negativspirale ent- steht, die in ihrer Gesamtheit zu persönlichen Krisen und zwischenmenschlichen Konflikten führen kann. Gerade deshalb ist es wichtig, dass diese Themen gegen- über den nahestehenden Personen angesprochen werden. Allerdings kann gerade bei seelischen Problemen ein gut gemeinter Zuspruch allein nicht helfen. Hier ist – möglichst gemeinsam mit dem Arzt – zu überlegen, inwieweit eine individuelle Bera- tung oder im Einzelfall auch eine Psychotherapie helfen kann.

Text: Prof. Dr. Pasquale Calabrese, Berater für Psychotherapie, Neuropsychologie und Verhaltensneurologe bei der Schweiz. MS-Gesellschaft

Schweiz. MS-Gesellschaft, Josefstrasse 129, Postfach, CH-8031 Zürich Tel. 043 444 43 43 | info@multiplesklerose.ch | www.multiplesklerose.ch

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