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Die Produktionslücke erfassen – mit Konjunkturumfragen | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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FOKUS

Die Volkswirtschaft  8–9 / 2020 11 sozusagen aus den Daten herausglätten, um eine Schätzung des Produktionspotenzials zu erhalten. Ein kritischer Punkt ist oft die feh- lende Stabilität der Schätzungen am aktuellen Rand, wodurch grosse Revisionen in daraus abgeleiteten Schätzungen für die Produktions- lücke entstehen. Dies zeigte sich beispielsweise während der Finanzkrise (siehe Abbildung 1 auf S. 12): In der ersten Schätzung für das 2. Quar- tal 2008 war die Produktionslücke noch so gut wie geschlossen. Spätere Schätzungen ergaben dann jedoch eine positive Lücke von etwa 3 Pro- zent. Somit bewegen sich diese Revisionen in einem ähnlichen Rahmen wie die Entwicklung der Produktionslücke selbst.

Um solche Revisionen zu verhindern, kom- men Konjunkturumfragen zum Einsatz. Sie zie- len direkt auf die Konjunktur ab, ihre Resultate stehen relativ schnell zur Verfügung und unter- liegen keinen derartigen Anpassungen. Damit bieten sie sich gerade für eine Abschätzung der Situation am aktuellen Rand an. Da die Kon- junkturumfragen internationalen Standards folgen, sind zudem Ländervergleiche möglich.

Konjunkturumfragen bei Unternehmen beinhalten oftmals Fragen zur Kapazitätsaus- lastung. Dabei zielen sie in der Regel auf die Auslastung der vorhandenen Produktions- kapazitäten des jeweiligen Unternehmens. Die Konzepte «Produktionslücke» und «Kapazitäts- auslastung» hängen eng zusammen. In einer Aufschwungphase ist die Wachstumsrate der gesamtwirtschaftlichen Produktion höher als das sogenannte Potenzialwachstum der Wirt- schaft. In dieser Phase steigt auch die Kapazitäts- auslastung. Dagegen liegt die Wachstumsrate in einer Abschwungphase unter der Potenzialrate, und die Kapazitätsauslastung sinkt. Damit lässt

D

ie Position einer Volkswirtschaft im Kon- junkturzyklus zu bestimmen, ist wirt- schaftspolitisch von grosser Bedeutung.

Häufig wird diese Lagebestimmung über die Produktionslücke vorgenommen. Damit wird die Differenz zwischen der Gesamtproduktion und dem Produktionspotenzial einer Volkswirt- schaft bezeichnet. Das Produktionspotenzial ist ein Mass für die gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten und bezieht Wachstums- faktoren, wie etwa die Bevölkerungsentwicklung einschliesslich der Arbeitskräftemigration, weit- gehend ein. Kurzfristig fluktuiert die gesamt- wirtschaftliche Produktion um das Produktions- potenzial, weil Schocks die Wirtschaft zu zyklischen Reaktionen antreiben. Anhand der Produktionslücke kann man beispielsweise den Inflationsdruck (Phillips-Kurven-Zusammen- hang) oder Signale für den Arbeitsmarkt (Okuns- Law) erkennen.

Allerdings ist das Produktionspotenzial nicht direkt beobachtbar. Daher sind verschiedene Schätzansätze entwickelt worden, um das Potenzial und daraus abgeleitet die Produktions- lücke zu schätzen. Alle diese Schätzmethoden haben ihre spezifischen Vor- und Nachteile.

Die meisten von ihnen verwenden statistische Glättungsmethoden, die den Konjunkturzyklus

Die Produktionslücke erfassen:

mit Konjunkturumfragen

Umfragen bei Unternehmen helfen, den Konjunkturverlauf besser abzuschätzen. Wich- tig in der Schweiz sind hierfür die KOF-Konjunkturumfragen.  Klaus Abberger, Alexander Rathke, Sina Streicher, Jan-Egbert Sturm

Abstract  Wie stark sind die Kapazitäten der Schweizer Wirtschaft ausge- lastet? Mithilfe von Konjunkturumfragen lässt sich diese Frage für einzelne Branchen zeitnah und international vergleichbar beantworten. Die Kapazi- tätsauslastung einer Volkswirtschaft steht in engem Zusammenhang mit der nicht beobachtbaren Produktionslücke. Eine überdurchschnittliche Kapazitätsauslastung deutet auf eine positive Produktionslücke hin, wäh- rend nicht ausgelastete Kapazitäten zu einer negativen Lücke führen. Aus Konjunkturumfragen abgeleitete Indikatoren für die Kapazitätsauslastung können helfen, die Produktionslücke besser zu schätzen.

(2)

WACHSTUM

12 Die Volkswirtschaft  8–9 / 2020

Abb. 1: Vierteljährliche Schätzung der Produktionslücke während der Finanzkrise

sich mit den Ergebnissen der Umfragen bereits die Produktionslücke einschätzen, ohne dass erst ein Produktionspotenzial ökonometrisch geschätzt werden muss.

Einschätzung der Firmen

Zur Messung der Kapazitätsauslastung können die KOF-Konjunkturumfragen für die Schweiz, die je nach Wirtschaftsbereich vier oder zwölf Mal pro Jahr bei mehr als 8000 Unternehmen durchgeführt werden, dienen. Die Unternehmen

des verarbeitenden Gewerbes, des Baugewerbes und verschiedener Dienstleistungsbereiche werden dabei nach dem Auslastungsgrad ihrer vorhandenen Kapazitäten gefragt. Die Unter- nehmen antworten mit einer Prozentangabe.

Oft handelt es sich jedoch um eine Einschätzung der Firmen, ohne dass eine exakte Kalkulation hinter der Zahl liegt. Dennoch erlauben die resultierenden Zeitreihen eine Einschätzung zur Stärke der konjunkturellen Schwankung und damit der Produktionslücke. So war der Einbruch in der Industrie in der Finanzkrise Abb. 2: Produktionslücke und Auslastungsindikatoren (1995–2019)

2005 –6

– 2

–4 0 2

4 in % des Produktionspotenzials

2008

2006 2007 2009 2010 KO

F / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

Mithilfe des Hodrick-Prescott-Filters wurden ab dem zweiten Quartal 2007 vierteljährlich Produktionslücken geschätzt.

Diese Analyse wurde in Echtzeit durchgeführt. Auch Revisionen im BIP tragen zur Instabilität bei. Die Endpunktinstabilität ist jedoch der bei Weitem dominierende Faktor.

KOF / DIE VOLKSWIRTSCHAFT

1995

  Produktionslücke (linke Skala)         Kapazitätsauslastung Industrie (rechte Skala)         Indikator Bauindustrie (rechte Skala)         Indikator Dienstleistungssektor (rechte Skala)

2003 2013

1999 2007 2017

1997 2001 2005 2009 2011 2015 2019

4 in % des Produktionspotenzials Standardisiert 3,0

–4 – 3,0

0 0

– 2 – 1,5

2 1,5

(3)

FOKUS

Die Volkswirtschaft  8–9 / 2020 13

Klaus Abberger

Leiter Konjunkturumfragen, KOF Konjunkturforschungs­

stelle, ETH Zürich

Jan-Egbert Sturm

Direktor KOF Konjunkturforschungsstelle, Professor für Angewandte Makroökonomie, ETH Zürich

Alexander Rathke

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Sektion Data Science und Makroökonomische Methoden, KOF Konjunktur­

forschungsstelle, ETH Zürich

Sina Streicher

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Sektion Schweizer Konjunktur, KOF Konjunkturforschungsstelle, ETH Zürich

beispielsweise stark ausgeprägt und konnte zu- mindest teilweise durch eine verhältnismässig stabile Entwicklung im Bau gelindert werden.

Um die Vergleichbarkeit mit umliegenden EU-Staaten zu gewährleisten, berechnet die KOF Konjunkturforschungsstelle die Produktions- lücke gemäss der Methode der EU-Kommission1, welche ebenfalls auf Konjunkturumfragen zurückgreift. Dabei wird mithilfe einer Produktionsfunktion das Produktionspotenzial in drei Komponenten zerlegt: das potenzielle Arbeitsvolumen, den nicht finanziellen Kapital- stock und den Trend der Totalen Faktor- produktivität (TFP). Die TFP stellt den Teil des Bruttoinlandprodukts (BIP) dar, der nicht durch den mengenmässigen Einsatz der Produktions- faktoren Arbeit und Kapital erklärt werden kann, und bildet dabei sowohl die Nutzungseffizienz als auch die Auslastung der Produktionsfaktoren ab. Die Konjunkturumfragen werden benutzt, um den TFP-Trend zu bestimmen. Dafür wird aus den Umfragen der sogenannte Capacity- Utilization-Business- Sentiment-Indikator (CUBS-Indikator) gewonnen, welcher die Aus- lastung in verschiedenen Branchen abbildet.

Aufschlüsselung nach Branchen

Gemäss EU-Methode fliessen Auslastungs- indikatoren zur Industrie, den Dienstleistungen und dem Bau in die Berechnung des CUBS-In- dikators ein. Für die Industrie wird auf die quantitative Frage zur Kapazitätsauslastung zurückgegriffen. Um die Auslastung der Dienst- leistungsbranchen sowie des Bausektors zu quantifizieren, werden die branchenspezi- fischen Economic Sentiment Indicators (ESI) herangezogen. In diesen Sektoren werden nicht direkt Ergebnisse zur Kapazitätsauslastung ver- wendet, weil im Baubereich diese Frage inner- halb der EU nicht obligatorisch und damit nicht für alle Länder verfügbar ist. Im Dienstleistungs- bereich wiederum haben die Zeitreihen eine recht kurze Historie. Dort setzt sich der ESI aus der Einschätzung über die Geschäftslage und

der vergangenen und erwarteten Nachfrage- entwicklung zusammen. Im Bausektor spiegelt er die momentane Entwicklung der Auftrags- bücher und die Beschäftigungserwartungen über die nächsten drei Monate. Beide ESI-Indi- katoren geben jeweils den mittleren Saldo zwi- schen positiven und negativen Antworten der befragten Unternehmen wieder.

In konjunkturellen Schwächephasen lie- gen die aus den Umfragen resultierenden drei Auslastungsindikatoren meist deutlich unter null, das heisst unter dem langfristigen Mittel (siehe Abbildung 2). In Hochkonjunkturphasen hingegen liegen sie meistens deutlich darüber.

Allerdings zeigt sich auch, dass die unterschied- lichen Wirtschaftszweige nicht immer gleich betroffen sind. Hatte das Baugewerbe Mitte der Neunzigerjahre stärker unter dem Platzen der Immobilienblase zu leiden, beklagte der Dienst- leistungssektor im Zuge des Frankenschocks im Januar 2015 eine merklich gesunkene Aus- lastung.

Abschliessend lässt sich sagen: Konjunktur- umfragen ermöglichen eine zeitnahe, stabile und international vergleichbare Einschätzung eines Konjunkturzyklus. Damit helfen sie, die Unsicherheiten bei der Bestimmung der Produktionslücke zu reduzieren.

1 Vgl. Havik et al. (2014).

The Production Function Meth odology for Calculating Potential Growth Rates and Output Gaps (No.

535), Europäische Kommission.

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