Dieter
Bökemann: Theorieder
RaumplanungRegionalwissenschaftliche Grundlagen
für die Stadt-,
Regional-und Landesplanung. R. Oldenbourg Verlag, München 7982.
Rezension StadtbauweTt 1'7, 484-485
Seit etwas mehr a1s zehn Jahren werden in der Bundesrepublik, in österreich und in der Schweiz Raumplaner ausgebildet. Raum- planer arbeiten in staatlichen, halbstaatlichen und privaten Planungsorganisationen, in Beratungsinstituten und in der For- schung. Trotz nicht nachlassender Widerstände traditionell mit räumlicher Planung befaßter Berufsgruppen existiert Raumplanung
aIs Aufgabe, Beruf sfeld und Begri-ff .
Dennoch fehlt es der Raumplanung aIs Disziplin bis heute an elnem, für das Selbstverständnis einer jeden Disziplin notwen- digen, Grundbestand an gemeinsamen Definitionen, Axlomen und
Zlelen. Entstanden aus dem Unbehagen an der eindimensionalen Beschränktheit des "physical planniog", ist die Disziplin Raum- planung noch inrner nicht viel mehr als eine lose Gruppierung verschiedener ingenieur-, sozlal- und wirtschaftswissenschaft-
licher "Fächer". Deren Integration erfolgt erst in der Einheit des Handelns am konkreten Problem in der Berufspraxis. Das er- gibt zwar ein durchaus attraktives Ausbildungszj-el-, den prag- matischen, flexiblen und innovatj-ven Bearbeiter von Raumproble- men, aber noch lange keine umfassende theoretische Fundierung
seines Handelns.
In d.i-eser Situation kann ein Buch mit dem Titel "Theorie der Raumplanung" auf gespannte und kritische Aufmerksamkeit rech- nen. Dieter Bökemanns Buch i-st diese Aufmerksamkeit wert. Es
ist ein anspruchsvoller und bedeutender Versuch, die dispara- ten Teildisziplinen der Raumplanung auf ein gemeinsames, raum-
planungsspezifisches Paradigma hinzuführen, bedeutend nicht zu- letzt auch \^/egen der l,Vidersprüche, die dieser Versuch ohne Zwei- fel hervorrufen wird.
Der Bökemannschen Raumplanungstheorie liegen folgende Basis- hypothesen zugrunde:
(1
)
Best j-mmte Slan§.orleigsnsglg{len §-r!g nolwendise Vo:ggEEC!- zunge4für bestinute wirtschaftliche-
T_äligkeiten _(Nutzungen) .Das
"standörtliche
Nutzungspotential"eines
Standortswird
be- stimmtdurch: natürliche
Ei-genschaften des Bodens (Roh- undSchadstoffe, Anbau- oder Baugrundqualität u.a"
), infrastruktu- re1le
Gelegenheiten (Anschtuß an Kommunikations-, Versorgungs- und Entsorgungssysteme) und technische und eigentums- undver-
fügungsrechtlicheBarrieren oder
Grenzsysteme ("Bodenordnung-" ) .(
2)
S tand_or tv er änd.ergng e,n in9q z i qr en llglzg3gsy ef äq4 qf q.+ge ! .Mit
jedem zusäLzlichen Anschluß anein
Kommunikations- oder Versorgungssystem undmit
jedem zusätzlichen Ausschluß einerStörmöglichkeit
durchBarrieren
werdendie
Nutzungsmöglichkei-ten auf
dembetrachteten
Standort verbessert unddamit für
neue Nutzungsarten
profitabel.
Dann verdrängen Nutzermit
hö- heren Technologiendie
eingesessenen Nutzermit jener
Techno-logie,
di-e dem Standortvor seiner
ausstattungsmäßigen Verbes- serungi entsprach.(3)
Standortgsind
von GebietskörperFchäftenprqduzierte
§ggg:"Standorte können
als
Güter angesehen werden,well sie für defi- nierte
Verwendungszwecke oder Nutzungen geeignetsind
undweil die
Verfügungsgewalt übersie
erworben oder veräußert werdenkann. Der Wert
eines
Standortsfür
seinen Eigenti.imer hängt imwesentlichen von
der
Zah\seiner alternativen
Verwendungsmög-lichkeiten, d.h.
von selnemstandörtlichen
Nutzungspotential,ab.
Insbesonderefnfrastruktur
und Bodenordnungals
Faktoren des Standortwertssind konstituiert
durch gebietskörperschaft-liche
Maßnahmen. Durchjede fnfrastruktur-
oder Bodenordnungs- maßnahme werden Standorteauf-
oder abgewertet,d"h"
neue Stand-orte produziert.
(4) Politigchg
Entschei9urrgsträsql hg15}C13 +n 9+sete$ Il§gleg-ge.Politi-ker
imBesitz
des ihnen durch Wählerentscheidungbefristet
zugeeigneten Staatsapparats benutzen dj-esen
wie private
Unter- nehmerihren Betrieb zvr
Erhaltung bzw" Vermehrungihres
Hand- lungsspielraums.In
diesem Sj-nneorientiert sich die
Standort- produktion durchdie
Gebietskörperschaften anZielen
wj-e Budget-rückfluß
und Erhaltungder Wählerloya1ität
bzw.Effizj-enz
und Gerechtigkeit.(5) Die
regionaJeEglyriqklrtg yirq
gt1§"gg YgI! St"qet bestjmm-!.Wenn Standortveränderunqen Nutzungsveränderunqen induzieren, und wenn
der Staat
Standortveränderungen bewirken kann, dannist die regionale
Entwicklungein
Produktstaatlicher
Ent-sche j-dungen.
Mit
diesem Ansatzverknüpft
Bökemannbisher
unverbundene Theo-riebausteine
aus Verkehrs- undInfrastrukturtheorie,
Planungs-recht,
Raumwirtschaftstheorie undPolitikwissenschaft
z\7 einemeinheitli-chen
raumplanungsspezifischen Theorj-erahmen. Dabeiverdienen es
vor allem
zweLinnovative
undfruchtbare
Gedankenhervorgehoben zu werden:
Der
erste besteht
i-nder Interpretation der
"Bodenordnung"(in
dem oben angeführten wej-testen Sinne)
aIs
Gegenstück zrTrInfra- struktur:
So wj-ediese
komplementäre Nutzungen durch Leitungs- systemeverbindet, trennt jene konfliktäre
Nutzungen durch ma-terj-elle
oderrechtliche
Grenzsysteme undschützt
sovor
Eigen- tumsverletzungen, Störungenoder
Immissionen. Diese Analogieerlaubt €sr standörtliche
Aufwertungseffekte durch Bodenordnungis- maßnahmenmit
denselben Rechenverfahrenzi quantifizieren,
diesich bei
Infrastruktursystemen bewährt haben.Der zweite
neuartige
undfolgenreiche
Gedankeist der der
Stand-ortproduktion
durch denStaat. Hier
geht Bökemann einen entschei- dendenSchritt
überdie traditionelle marktorientierte
raumwirt-schaftliche
Regionalentwi-cklungstheoriehinaus.
Wasin
dieser a1s exogener "Datenkrarrz"in die
Produktionsfunktionender pri-
vatenWirtschaftssubjekte eingeht, wird bei
Bökemann endogeni-siert, d.h. ist
das Ergebnis eines mehr oder weniger bewußtenKalküIs der
Gebietskörperschaften, näm1j-chder
"Produktionsfunk-tion" der
Standortproduktion. Bökemannüberträgt
damit den An-satz der
"neuen",d.h.
nichtmarxj-stj-schenpolitischen
ökonomj-e(A.
Downs,B.S. Frey) auf
das räumliche Handelnder
Gebietskör- perschaften und machtes so
zrt einemexpliziten
Gegenstand derTheorie. Erst
hierdurchwird
auseiner
Theorieder
Raumentwick-lu4q eine
Theorj-eder
Raumplgng4g.Der
Preis allerdj-ngs, der für die
Konsistenzdieser
Theorie zu zahlenist, ist
hoch.Die ausschließlich
technologischeInter-
pretation
vonInfrastruktur
und Bodenordnung unddie
ökonomisie-rung der Potitik bilden ein Denkraster, das zwaT wesentliche
Mechanlsmen der kapitalistischen Raumentwicklung und -politik erfaßt, durch das jedoch alle nichttechnischen und nichtökono- mischen Phänomene hindurchfallen müssen. So sucht man in Böke- manns Raumplanungswelt vergeblich nach einer Rol1e für die Be- wohner, soweit sj-e nicht Grundeigentümer oder Unternehmer sind.
Nach der Theorie müßten sie allema1 durch profitablere Nutzun- gen verd.rängt worden sein. Daß sie es dank Wohnungspolitik nicht sind, ja daß sich Bewohner sogar organj-si-eren, sich gegen die Zerstörung ihrer tebenswelt wehren und nicht selten auch gegen den Markt durchsetzen - das ist gegen die Spielregeln der Theo- rie. Das Beispiel läßt sich fortsetzen: Soziale Bewegungen, Bür- gerproteste gegen Straßenbau und Umweltvernichtung, alternative
Wohn- und Lebensformen: gegenüber diesen Kräften, die schon heu- te die Siedlungsentwicklung entscheidend beeinflussen, bleibt die Bökemannsche Theorie sprachlos.
Aber selbst innerhalb ihres Erklärungiszusaflrmenhangs bleiben man- che Fragen offen. So steht die Hypothese (5) von der Planbarkeit der Regionalentwicklung in gar zu krassem Wj-derspruch zu den Fak- ten einer jahrzehntelang praktisch wirkungslosen Regionalpolitik, und angesichts sich verschärfender regionaler Krisen werden nur hartnäckige Anhänger einer "angebotsorientierten" Wirtschafts- bzw. Regionalpolitik Hypothese (2) "standortveränderungen indu- zieren Nutzungsveränderungen" bedingungslos unterschreiben. Gilt die Theorie Bökemanns nur bei Wachstum? Wahrscheinlich nicht ein-
ma1 dann ohne zahl-reiche Einschränkungen. Zu geradlinig rationa- listisch scheinen seine Vorstellungen über das Zusammenwirken
der Akteure j-nnerhalb der staatlichen Hierarchie, als gäbe es keinen "disjointed j-ncrementalism", keine "inter-corporate dimen- sion" in der Planung. Vö11i9 ausgeblendet bleiben j-nformelle, d.h. nicht über den Markt laufende Bezj-ehungen zwischen Staat und Wirtschaft, insbesondere multlnatj-onalen Großunternehmen.
Auch diese Bei-spiele ließen sich fortsetzen.
Abschließend einige Bemerkungen zur Argumentationsweise und Mach-
art des Buches. Grundsätzlich sind die Bemühungen von Verlag und
Autor zv begrüßen, durch übersichtliche Typographie und Hervor- hebung wichtiger Wörter und Textstellen die Verständlichkeit des Textes zu erhöhen. Der Erfolg dj-eser Bemühungen wird leider je-
doch durch
ein
überkompliziertes System vanBegriffen
und zahJ.-reiche
Redundanzender
Darstel-lung wiederaufs Spiel
gesetzt.Sehr
nützlich sind die
kurzenAbrisse älterer
Raumentwicklungs-theorien, die in
das Buchdort eingefügt sind,
wosie
Bezug z\7Bökemanns eigener Theorie haben. Das kommt
i-hrer kritischen
Dar-stellung
zugute, erschwertallerdings
auch etwas das Auffinden"Hinweise
auf die
empi-rische Ausfü1lungder
Theoriebietet
dasBuch wenig. Abgesehehen von elgenen
Arbeiten
des Autorsbleibt die FüIle
neuerer Ergebnisseder
empirischen Raumforschung,ins-
besondere
zur
Erklärungindividuellen
räumlichen Wahlverhaltens,unverarbeitet.
Etwas enttäuschendist
auchdie
ltathematik des Bandes.Sie
wj-ederholtin der
Regelnur
das imText bereits
Ge- sagte und zumeist allgemeinerals dort.
Nurin
wenigen Fäl1enwird ein
Gedanke mathematischabgeleitet
und begründet. Ausge-zej-chnet
sind
dagegendie
zahlreichen Diagrammezur
Verdeutlj-- chungder
angenonmenen Zusammenhänge.Allerdings
sucht man imText
oft vergeblich
nacheiner
Begründung, \^/arum gerade diese Form des Zusammenhangs undnicht eine
andereunterstellt
wor- denist.
So schwankt
der
Gesamtej-ndruck des Lesers zwischen Bewunderungund
Zweifel. Vielleicht ist
dascharakteristisch für
den Ent- wicklungsstand unsererDisziplin,
daß Bücherwie dieses z\ sel- ten
erscheinen und dahermit
Ansprüchenkonfrontiert
werden,dle
von elnem Einzelnen kaumerfüIlt
werden können. Um so mehr mußdie
Pionj-erleistung dieses Buches gewürdigt werden, das ausder
wissenschaftlichen Diskussionnicht
mehr wegzudenken seinwird.
EsenthäIt
sowohlfür
den an den Grund.lagen seines Berufsinteressierten
Planungspraktikerwie für
denin der
Raumforschungtätigen
Wissenschaftlereine FüIle stimulierender
und provozie- renderEinsichten -
und Fragen. Es wäre zu wünschen, daß derVerlag sich
entschließen könnte, das Buchin einer
preiswerte-ren
Paperback-Ausgabe auchfür
Studentender
Raumplanung undverwandter Studienrichtungen