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Der vergleichende Warentest zur Unterstützung des nachhaltigen Konsums

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Lehr- und

Forschungsbericht

Silja Halbes

Der vergleichende Warentest zur Unterstützung des nachhaltigen Konsums

Testpraxis der Stiftung Warentest und vergleichbarer europäischer Testorganisationen

Nr. 52

Hannover, Juli 2003

Universität Hannover Institut für Betriebsforschung Königsworther Platz 1

D-30167 Hannover Tel. ++49-511-762-5613 Fax ++49-511-762-5630 Email:

ib@muk.ifb.uni-hannover.de

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Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis ... V Abkürzungsverzeichnis...VI

1 Einführung ... 1

1.1 Relevanz der Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit... 1

1.2 Abgrenzung und Gang der Untersuchung ... 2

2 Nachhaltiger Konsum als aktuelles gesellschaftliches Leitbild... 4

2.1 Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung als übergeordnetes Rahmenkonzept des nachhaltigen Konsums ... 4

2.2 Das Leitbild des nachhaltigen Konsums ... 7

2.2.1 Zielbereiche und inhaltliche Dimensionen... 7

2.2.2 Voraussetzungen zur Realisierung nachhaltiger Konsummuster... 10

2.3 Verbraucherpolitik im Wandel der Leitbilder ... 13

2.3.1 Traditionelle Leitbilder und Zielbereiche... 13

2.3.2 Nachhaltiger Konsum als aktuelles verbraucherpolitisches Leitbild ... 15

2.4 Nachhaltiger Konsum aus der Konsumentenperspektive... 17

3 Vergleichende Warentests: Herleitung, Erscheinung und aktuelle Herausforderung ... 20

3.1 Der vergleichende Warentest als Instrument zur Verringerung konsumentenseitiger Informationsunsicherheiten... 20

3.1.1 Sozial-ökologische Informationen unter informationsökonomischer und verhaltenswissenschaftlicher Betrachtung ... 20

3.1.1.1 Merkmale sozial-ökologischer Informationen und daraus resultierende exogene Informationsunsicherheiten ... 20

3.1.1.2 Informationsunsicherheiten als Ursache des informationsbedingten Marktversagens ... 22

3.1.2 Strategien unterschiedlicher Marktakteure zur Verringerung der konsumentenseitigen Informationsunsicherheiten ... 24

3.1.2.1 Reaktionsstrategien von Konsumenten ... 24

3.1.2.2 Herstellerseitige Reaktionsstrategien ... 25

3.1.2.3 Korrekturmaßnahmen marktendogener und -exogener Drittinstanzen ... 26

3.1.3 Qualitätsurteile als Mittel zur Verbesserung der Markttransparenz... 27

3.1.3.1 Qualitätslabels ... 27

3.1.3.2 Vergleichende Warentests... 28

(3)

3.2 Anbieter vergleichender Warentests... 31

3.2.1 Verbraucherpolitische Testorganisationen in Europa ... 31

3.2.1.1 Überblick über europäische Testorganisationen ... 31

3.2.1.2 Die deutsche Testorganisation „Stiftung Warentest“... 32

3.2.2 Kommerzielle Anbieter ... 35

3.2.2.1 Charakteristika kommerzieller Anbieter in Deutschland ... 35

3.2.2.2 Abgrenzung kommerzieller Anbieter von nicht-kommerziellen Anbietern ... 37

3.3 Die Unterstützung des nachhaltigen Konsums als aktuelle Herausforderung für Anbieter vergleichender Warentests... 38

4 Die Berücksichtigung sozial-ökologischer Merkmale in der Testpraxis ausgewählter europäischer Testorganisationen – eine empirische Untersuchung... 41

4.1 Aufstellung des Untersuchungsrahmens: Erhebungsmethodik, Kategorisierungssystem und literaturgestützte Vorüberlegungen... 41

4.1.1 Formulierung der Forschungsfrage und Bestimmung der Erhebungsmethodik... 41

4.1.2 Genese eines Kategorisierungssystems für Warentests mithilfe produkt- bzw. unternehmensbezogener Bilanzierungs- und Informationssysteme für soziale und ökologische Wirkungskategorien ... 44

4.1.2.1 Darstellung anerkannter unternehmens- und produktbezogener Bilanzierungs- und Informationssysteme... 44

4.1.2.2 Vorüberlegungen bezüglich der jeweiligen Testpraxis der drei ausgewählten Warentestorganisationen ... 47

4.1.2.3 Zusammenstellung eines Kategorisierungssystems ... 49

4.1.2.3.1 Darstellung der Systematik und Generierung der Oberkategorien ... 49

4.1.2.3.2 Ausdifferenzierung der ökologiebezogenen Kategorien ... 52

4.1.2.3.3 Ausdifferenzierung der Kategorien mit Sozialbezug 54 4.1.3 Methodische Grenzen der empirischen Untersuchung... 56

4.2 Ergebnisse der empirischen Untersuchung: die Testpraxis der Stiftung Warentest, des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) und der Consumers’ Association (CA)... .. ... 57

4.2.1 Analyse der Forschungsergebnisse ... 57

4.2.1.1 Betrachtung der einzelnen Testorganisationen: Anteile der Tests mit ökologischen und/oder sozialen Kriterien an der Gesamtzahl der Tests . ... 57

4.2.1.2 Organisationsübergreifende Betrachtung: Struktur der Prüfkriterien ... 60

(4)

4.2.2 Charakterisierung der Forschungsergebnisse und Kommentierung

hinsichtlich der Forschungsfrage... 63

4.3 Zwischenfazit: Berücksichtigung sozial-ökologischer Merkmale in der Testpraxis ausgewählter europäischer Warentestorganisationen ... 64

5 Schlussfolgerungen: Strategien zur Unterstützung des nachhaltigen Konsums im Rahmen der praktischen Umsetzungsmöglichkeiten ... 66

5.1 Problembereiche der Erweiterung ... 66

5.2 Welche Möglichkeiten zur erfolgreichen Implementierung sozial-ökologisch ausgerichteter Kriterien sind denkbar?... 68

5.2.1 Anregungen zur erweiterten Berücksichtigung ökologischer Prüfkriterien.. 68

5.2.2 Die Implementierung sozialer Prüfkriterien im „Unternehmenstest“ ... 69

5.2.3 Möglichkeiten einer Nutzung des ISO CSR Standards für Warentests ... 72

5.3 Strategien zur Unterstützung des nachhaltigen Konsums ... 73

5.3.1 Allgemeine Empfehlungen an die europäischen Testorganisationen... 73

5.3.2 Empfehlungen an die Stiftung Warentest: Elemente eines „nachhaltigen Warentests“ ... 75

6 Resümee und Ausblick... 76

Literaturverzeichnis... 79

(5)

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Dimensionen und Zielbereiche der Nachhaltigkeit ... 6 Abbildung 2: Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit im Produktbezug... 9 Abbildung 3: Entstehung von Informationsunsicherheiten und Reduktionsstrategien

unterschiedlicher Marktakteure... 27 Abbildung 4: Charakteristika ausgewählter europäischer Warentestanbieter... 36 Abbildung 5: Zusammenstellung ausgewählter Bilanzierungs- und Informationssysteme

mit Produkt- bzw. Unternehmensbezug ... 44 Abbildung 6: Ökologiebezogenes Kategorisierungssystem ... 54 Abbildung 7: Sozialbezogenes Kategorisierungssystem... 56 Abbildung 8: Empirische Ergebnisse: Anteile der Test mit ökologischen und/oder

sozialen Prüfkriterien an der Gesamttestzahl ... 60 Abbildung 9: Empirische Ergebnisse: Struktur der Prüfkriterien ... 61 Abbildung 10: Ergebnisse der empirischen Untersuchung im Überblick ... 62

(6)

Abkürzungsverzeichnis

BMU Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit BMVEL Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft BSE Bovine Spongiforme Encephalopathie

BUND Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland

CA Consumers’ Association

CEP Council on Economic Priorities

CEPAA Council on Economic Priorities Accreditation Agency COPOLCO Committee on Consumer Policy

CR MSSs Corporate Responsibility Management System Standards CSR Corporate Social Responsibility

DIN Deutsches Institut für Normung e.V.

Ed. Editor/s

ed. edition

EIRIS Ethical Investment Research Service EMAS Eco-Management and Audit Scheme EU Europäische Union / European Union

e.V. eingetragener Verein

GRI Global Reporting Initiative

ICRT International Consumer Research and Testing Ltd.

imug Institut für Markt-Umwelt-Gesellschaft e.V.

IOCU International Organization of Consumer Unions IÖW Institut für ökologische Wirtschaftsforschung GmbH ISO International Organization for Standardization

IWÖ Institut für Wirtschaft und Ökologie (Universität St. Gallen)

k.A. keine Angaben

Ltd. Limited

Mio. Millionen

MIPS Materialintensität pro Serviceeinheit MKS Maul- und Klauenseuche

MORI Market and Opinion Research International MSU Montana State University

(7)

No. Number

PLA Produktlinienanalyse

pp. pages

PROSA Product Sustainability Assessment

RAL Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V.

SA 8000 Social Accountability 8000

Sp. Spalte

SRU Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen

StiWa Stiftung Warentest

TEMCO Testing Methodology Co-ordination Committee

UBA Umweltbundesamt

UN United Nations / Vereinte Nationen US(A) United States (of America)

UVP Umweltverträglichkeitsprüfung

VKI Verein für Konsumenteninformation

Vol. Volume

vzbv Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

WCED World Commission on Environment and Development

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1 Einführung

1.1 Relevanz der Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit

Die weltweite Aktualität des Themas Nachhaltigkeit ist ungebrochen. Ende August 2002 fand in Johannesburg der Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung („Rio +10“) statt, auf dem Re- gierungen von mehr als 100 Staaten der Welt ihre jeweiligen Standpunkte, Schwerpunkte und zukünftigen Ziele bezüglich einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie vorgestellt haben. Der deutsche Beitrag, „Strategie zur Nachhaltigkeit“1, sieht dabei nicht nur Unternehmer2 und den Staat in der Verantwortung, sondern bezieht auch den Verbraucher als „Motor für Struktur- wandel“3 mit ein. Dessen Verhalten wird im Leitbild des nachhaltigen Konsums4 konkreti- siert. Das Leitbild fordert, den individuellen Konsumprozess an den drei „Säulen der Nachhaltigkeit“ auszurichten, d.h. auf die ökonomische, ökologische und soziale Verträglichkeit des Konsums zu achten.

In diesem Sinne empfiehlt Bundespräsident Johannes Rau den Konsumenten in seiner „Berli- ner Rede“ 2002, dass auch sie durch den Kauf von Produkten mit Warenzeichen, die eine fai- re Herstellungsweise garantieren, einen Beitrag zum fairen Welthandel leisten können.5 Paral- lel dazu ist ein z.T. starkes Interesse von Konsumenten an einem nachhaltig ausgerichteten Konsumverhalten zu beobachten, wodurch sich eine Nachfrage nach Informationen über um- weltfreundliche und sozialverträgliche Produkte sowie sozial-ökologisch verantwortliches Unternehmensverhalten ergibt.6 Derartige Informationen können am effizientesten von den herstellenden Unternehmen selbst bereitgestellt werden, jedoch erfolgt dies derzeit in nur ge- ringem Ausmaß.7 Die Versorgung der Konsumenten mit Informationen über sozial- ökologische Aspekte wird ferner erschwert durch den Vertrauenscharakter derartiger Informa- tionen, d.h. Konsumenten können die Angaben der Hersteller nicht oder nur schwer eigen- ständig überprüfen.8 In Anbetracht dieser Umstände erscheint das Konsumieren gemäß den Prinzipien der Nachhaltigkeit selbst bei ausgeprägtem Wunsch beträchtlich erschwert. Es stellt sich daher die Frage, wie ein Konsumverhalten, das der Nachhaltigkeitsstrategie ent- spricht, realisiert werden kann.

1 Vgl. dazu vertiefend Abschnitt 2.1.

2 Die Verwendung der maskulinen Form erfolgt aus Gründen der Einfachheit innerhalb der gesamten Arbeit und beinhaltet sowohl die maskuline als auch die feminine Form.

3 Bundesregierung (2002b), S. 34.

4 Vgl. zu diesem Konzept Abschnitt 2.2.

5 Vgl. Rau (2002), S. 12.

6 Vgl. dazu Abschnitt 2.4.

7 Vgl. imug (1997), S. 143.

8 Vgl. Abschnitt 3.1.1.1.

(9)

Die vorliegende Arbeit gibt eine von mehreren möglichen Antworten auf diese Frage: Sie fokussiert auf die Fragestellung, ob vergleichende Warentests einen Beitrag zur Unterstützung des nachhaltigen Konsums leisten und in welchem Maße Warentests dies zukünftig realisieren können. Ziel ist es, die aktuelle deutsche Warentestpraxis auf die Bereitstellung sozial- ökologischer Produktinformationen zu untersuchen, sie der Testpraxis vergleichbarer europäi- scher Testorganisationen gegenüberzustellen und Strategien zur Unterstützung des nachhalti- gen Konsums herauszuarbeiten. Dabei stehen folgende Fragen im Zentrum der Betrachtung:

• Welche Relevanz erlangt das Leitbild des nachhaltigen Konsums für die deutsche Verbraucherpolitik im Allgemeinen und für die Stiftung Warentest im Speziellen?

• Aus welchen Gründen und in welcher Weise sind unabhängige Warentestorganisati- onen geeignet, sozial-ökologische Informationen bereitzustellen?

• In welchem Maße werden sozial-ökologische Prüfkriterien in der aktuellen Testpra- xis ausgewählter europäischer Testorganisationen berücksichtigt?

Und schließlich:

• Welche konkreten Strategien zur Unterstützung des nachhaltigen Konsums können unter Berücksichtigung der auftretenden Probleme allgemein für europäische Waren- testorganisationen und speziell für die Stiftung Warentest empfohlen werden?

Diese Fragen unterstreichen die Relevanz sozial-ökologischer Aspekte im Kontext von Wa- rentestaktivitäten und betonen das Leitbild des nachhaltigen Konsums als aktuelle Herausfor- derung zur Genese zukünftiger Strategien.

1.2 Abgrenzung und Gang der Untersuchung

Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit ist das Leitbild des nachhaltigen Konsums. Es lei- tet sich ab aus dem übergeordneten Leitbild der „Nachhaltigen Entwicklung“ (international gebräuchlich unter dem Begriff „sustainable development“9), an dem sich seit der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro die Wirtschafts-, Kultur- und Politikgrundsätze aller 178 beteiligten Staaten offiziell orientieren.10 Es beein- flusst sowohl die Handlungsbereiche staatlicher und nicht-staatlicher politischer Akteure als auch der Konsumenten und Unternehmer als private Marktakteure.

9 WCED (1987), S. 43.

10 Vgl. Enquete-Kommission (1998), S. 27.

(10)

Warentestorganisationen als Akteure der Verbraucherinformationspolitik stehen dementspre- chend vor der Herausforderung, einen Beitrag zur Unterstützung des nachhaltigen Konsums zu leisten. Das Instrument des vergleichenden Warentests – das grundlegende Betrachtungs- objekt dieser Arbeit – erhält in diesem Sinne die Aufgabe, den Konsumenten Informationen zur Verfügung zu stellen, die sie für nachhaltig ausgerichtete Kaufentscheidungen benötigen.

Hieraus erwächst die Frage, inwieweit die Testpraxis der deutschen und der vergleichbaren europäischen Warentestorganisationen diese Aufgabe bereits erfüllen oder ob sie einer zu- künftigen inhaltlichen Revision bedürfen.

Der Untersuchungsvorgang zur Klärung dieser Frage gliedert sich in insgesamt sechs Kapitel.

Nach der hier vorgenommenen ersten Abgrenzung (Kapitel 1) wird in Kapitel 2 das Leitbild des nachhaltigen Konsums thematisch eingeordnet, inhaltlich vertieft und in Bezug zur Verbraucherpolitik gesetzt. Hierzu wird ein kurzer Einblick in die traditionellen Zielbereiche der Verbraucherpolitik gewährt und daran anknüpfend die aktuelle politisch-normative Aus- richtung dargelegt.

Das dritte Kapitel stellt den vergleichenden Warentest als grundlegendes Betrachtungsobjekt dieser Arbeit vor. Die Begründung des Warentests als Instrument zur Verringerung konsu- mentenseitiger Informationsunsicherheiten erfolgt innerhalb einer institutionenökonomischen sowie verhaltenswissenschaftliche Analyse des informationsbedingten Marktversagens bei allgemeinen Produkteigenschaften und sozial-ökologischen Qualitäten im Speziellen. Darauf folgend werden Erscheinungsformen vergleichender Warentests identifiziert und deutsche Anbieter vergleichbaren europäischen Anbietern gegenübergestellt. Der dritte Teil dieses Ka- pitels fokussiert auf die aus der aktuellen Herausforderung des nachhaltigen Konsums resul- tierenden Konsequenzen für die Testpraxis und leitet damit zielführend auf die empirische Untersuchung im vierten Kapitel über.

In Kapitel 4 wird die Warentestpraxis auf die, in Kapitel 3 theoretisch begründete, Bereitstel- lung sozial-ökologischer Produktinformationen geprüft. Zu diesem Zweck wird die gegenwär- tige Testpraxis der Stiftung Warentest und ausgewählter vergleichbarer europäischer Testor- ganisationen auf die Berücksichtigung sozial-ökologischer Prüfkriterien begutachtet.

Kapitel 5 stellt die Schlussfolgerungen aus der bisherigen Untersuchung ins Zentrum der Be- trachtung. Nach Analyse der mit einer inhaltlichen Revision verbundenen Problembereiche werden Strategien zur Unterstützung des nachhaltigen Konsums vorgestellt und differenziert

(11)

begutachtet; darunter der „Unternehmenstest“ des imug11 und die Corporate Responsibility Management System Standards der ISO. Die Arbeit schließt mit einem Resümee und gibt einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungsrichtungen vergleichender Warentests.

2 Nachhaltiger Konsum als aktuelles gesellschaftliches Leitbild

2.1 Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung als übergeordnetes Rahmenkonzept des nachhaltigen Konsums

Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung bzw. des „sustainable development“ geht inhalt- lich auf den „Brundtland-Bericht“12 der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung aus dem Jahr 1987 zurück.13 Das Konzept wurde fünf Jahre später auf der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro weiterentwickelt und schließlich von den beteilig- ten Regierungen als nationales Leitbild übernommen. „Nachhaltige Entwicklung“ wird gemäß dem Brundland-Bericht definiert als „(...) Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht be- friedigen können.“14 Das nach der Rio-Konferenz in der Agenda 21 explizierte Aktionspro- gramm ist Ausdruck eines globalen Konsenses und dient seitdem als Leitbild moderner Volkswirtschaften, sich ökologisch tragfähig und unter Berücksichtigung globaler Zusam- menhänge weiterzuentwickeln. Nicht nur intergenerative Gerechtigkeit im Sinne einer ökolo- gischen Nachhaltigkeit zugunsten zukünftiger Generationen soll in den Zielfokus rücken, sondern ebenso die intragenerative, d.h. internationale soziale Gerechtigkeit zwischen den derzeit lebenden Generationen.15 Leitbilder wie die der nachhaltigen Entwicklung dienen als

„Plattformen der Auseinandersetzungen“16, auf denen konkrete Gestaltungsentwürfe sowohl für verschiedene gesellschaftliche Teilbereiche als auch für einzelne Akteure im diskursiven Prozess entwickelt werden. Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung dient somit zugleich als politisches Konzept, das auf allen politischen Ebenen implementiert wird (kommunal bis international), als normativ-ethisches Konzept, indem es Leitbildfunktion für Wirtschaft und

11 Das imug (Institut für Markt-Umwelt-Gesellschaft e.V.) ist ein praxisorientiertes Forschungsinstitut an der Universität Hannover, welches innerhalb einer interdisziplinären Forschungsgruppe das Konzept eines sozi- al-ökologischen Unternehmenstests für Deutschland entwickelt hat und seither kontinuierlich aktualisiert.

12 Der Name des Berichts bezieht sich auf die damalige Vorsitzende der Weltkommission für Umwelt und Ent- wicklung, Gro Harlem Brundtland.

13 Vgl. Hauff (1987). Der Brundtland-Bericht verwendet in der deutschen Übersetzung den Terminus der „dau- erhaften“ Entwicklung, während im englischen Original der bis heute unveränderte Begriff des „sustainable development“ gebraucht wird (vgl. WCED (1987), S. 43). Das deutsche Äquivalent „nachhaltige Entwick- lung“ wird seit der Rio-Konferenz 1992 verwendet; ursprünglich ist der Begriff „Nachhaltigkeit“ der Forst- wirtschaft im 18. Jahrhundert entlehnt, wo er „(...) ein Kriterium für eine am Erhalt des Bestandes orientierte Bewirtschaftung des Waldes beschreibt“ (Enquete-Kommission (1993), S. 296).

14 Hauff (1987), S. 46.

15 Vgl. imug (1997), S. 19.

16 de Haan/Kuckartz (1996), S. 275.

(12)

Gesellschaft übernimmt und als analytisches Konzept, das als Orientierungsrahmen für zu- künftige ökologische und soziale Entwicklungen fungiert.17

Ausgangspunkt für die Notwendigkeit eines neuen, weltweiten Entwicklungsleitbildes bildet die stetig fortschreitende Schädigung des Ökosystems und die weltweit zunehmende soziale und nationale Ungleichheit.18 Den ursprünglichen Fokus der Nachhaltigkeitsdiskussion stellt die ökologische Dimension dar, von der man annahm, dass die Belastung ihrer begrenzten Ressourcen langfristig zu Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems führen würde.19 Man erkannte bald darauf, dass die Ökologie eng mit den Teilbereichen der Ökono- mie und des Sozialen zusammenhängt und diese daher integrativ zu behandeln sind – und zwar nicht innerhalb einer Zusammenführung, sondern vielmehr in einer dreidimensionalen Perspektive.20 Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung differenziert somit inhaltlich die drei Dimensionen Ökologie, welche das Management der Stoffströme und die Gesundheit der Menschen behandelt, Ökonomie, welche die Funktionen von Knappheiten und Wettbewerb subsumiert, und Soziales als die Betrachtung der gesellschaftlichen Solidarität.21 Gemeinsa- mes Ziel ist die inter- sowie intragenerative Chancengleichheit; man spricht auch von der

„Three-Bottom-Line“ oder den drei „Säulen der Nachhaltigkeit“.22 In Abbildung 1 wird die Dreidimensionalität der Nachhaltigkeit veranschaulicht und inhaltlich um die Zielbereiche einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie konkretisiert.

17 Vgl. Scherhorn/Reisch/Schrödl (1997), S. 11. Nicht zuletzt diese Diversität an Auslegungsarten führt dazu, dass dem Begriff „Nachhaltigkeit“ gelegentlich vorgeworfen wird, er sei eine „inhaltsleere Politformel“

(Hauff (2001), S. 3) oder ein „Begriff aus der Retorte“ (Grober (2001), S. 3).

18 Vgl. Scherhorn/Reisch/Schrödl (1997), S. 9.

19 Vgl. Enquete-Kommission (1998), S. 30. Kritik an den vorherrschenden umweltschädlichen Entwicklungs- pfaden wurde bereits früh formuliert, z.B. 1972 in dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome; vgl. dazu Meadows et al. (1973).

20 Vgl. Enquete-Kommission (1998), S. 32. Vereinzelt wird die ökologische Dimension weiterhin als „An- triebskraft“ (Hauff (2001), S. 5) bezeichnet, ein „Primat der Ökologie“ jedoch zumeist abgelehnt (Hauff (2001), S. 5). In Deutschland steckt die soziale Dimension in ihrer Ausarbeitung gegenüber anderen Ländern noch in den Anfängen, so dass vermehrt die Forderung nach umfassenden Sozialstandards gestellt wird (vgl.

Müller (2002), S. 2 und 7).

21 Vgl. Enquete-Kommission (1998), S. 44-52.

22 Die Dreidimensionalität wird jedoch kontrovers diskutiert; ihr wird vorgeworfen, die drei Positionen neben- einander stehen zu lassen und Zusammenhänge zu verkennen (vgl. Bundesregierung (2002a), o.S.). Die Bun- desregierung favorisiert daher die Aufteilung in die Koordinaten Generationengerechtigkeit, Lebensqualität, Sozialer Zusammenhalt und Internationale Verantwortung (vgl. Bundesregierung (2002b), S. 12-15); andere Autoren verwenden zusätzlich eine vierte Dimension (z.B. die institutionelle, vgl. Spangenberg/Lorek (2001), S. 23) In der vorliegenden Arbeit wird dennoch die dreiteilige Betrachtungsweise übernommen, da sich diese auch in der Verbraucherpolitik überwiegend durchgesetzt hat (vgl. z.B. Künast (2002), S. 6).

(13)

Abbildung 1: Dimensionen und Zielbereiche der Nachhaltigkeit

Quelle: Eigene Darstellung in inhaltlicher Anlehnung an Enquete-Kommission (1998), S. 42-54.

Die Problemkomplexe sind nach allgemeiner Auffassung durch menschliches Handeln lösbar, indem politische Rahmenbedingungen gesetzt werden, die das Wachstum der Gesellschaft in soziokulturell und ökologisch angemessene Bahnen lenken. Für die Industrieländer erwächst daraus die Notwendigkeit eines neuen Wohlstandsmodells, welches eine globale ökologische und soziale Verantwortung mit einbezieht,23 jedoch nicht die Reduktion des Wachstums for- dert, sondern „(...) geradezu die Befriedigung der Grundbedürfnisse aller (...).“24 Zielführende Wege bestehen in einer größeren „Suffizienz in bezug auf die Lebensstile“25, einer erhöhten

„Effizienz bei der Bedürfnisbefriedigung“26 und einer Entwicklung konsistenter Stoffströme27. Dies erfordert erheblich veränderte Wirtschafts-, Produktions- und Konsumformen,28 die über den „ökologisch angepaßten Hedonismus“29 in der Wohlstandsgesellschaft hinausgehen und insbesondere in den Entwicklungsländern ausgebildet werden. Die vorliegende Arbeit stellt die veränderten Konsumformen in den Betrachtungsfokus.

23 Vgl. BUND/Misereor (1997), S. 25.

24 Hauff (1987), S. 10. Diese Sichtweise zeugt von einer ökologisch-anthropozentrischen Herangehensweise, welche der Befriedigung von Grundbedürfnissen und Verbesserung der Lebensqualität Priorität einräumt und somit den Menschen in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt (vgl. Steurer (2001), S. 542). Sie geht davon aus, dass eine „positive Wohlstandswende“ durch ökologische Konsummuster und Effizienz durch Technik, Politik und Markt erreicht werden kann (Steurer (2001), S. 557).

25 imug (1997), S. 19 (Hervorhebungen im Original). Suffizienz – Genügsamkeit – bezeichnet in diesem Zu- sammenhang das Erreichen des soziokulturellen Wandels durch Bewusstseins-, Werte- und Verhaltensände- rungen (vgl. Huber (1998), S. 28), ermöglicht durch die Entwicklung innovativer Konsummuster wie Lea- sing, Sharing oder Pooling bzw. durch Vermeidung von Konsum (vgl. Weskamp (1995), S. 10).

26 imug (1997), S. 19 (Hervorhebungen im Original). Unter Effizienz wird hier die Verringerung des Ressourcenverbrauchs pro Gut verstanden (vgl. Scherhorn/Reisch/Schrödl (1997), S. 13).

27 Vgl. Huber (1998), S. 27. Konsistenz bezieht sich hier auf die Beschaffenheit der Stoffströme und Energie- formen, die in einer industriellen Ökologie dauerhaft bestehen können.

28 Vgl. de Haan/Kuckartz (1996), S. 272. Vgl. zu zukunftsfähigen Konsumformen Abschnitt 2.2.

29 Hillmann (1994), S. 258.

Schonung nicht-erneuerbarer Ressourcen

Erhaltung der Pufferkapazität der Natur

Artenschutz

Schutz der menschlichen Gesundheit

Förderung des Gemeinwohls

Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Marktes und Wettbewerbs

Erhalt der ökonomischen Leistungsfähigkeit

Ökologie

Ökonomie Soziales

Freie Entfaltung der Persönlichkeit

Erhaltung der Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme

Sicherung der Regenerations-

fähigkeit erneuerbarer Ressourcen Inter- &

Intragenerative Gerechtigkeit

(14)

In Deutschland fand das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung nach der Rio-Konferenz 1992 Einzug in die nationale Politik. Zehn Jahre nach dem Gipfel – rechtzeitig zur Nachfolgekonfe- renz in Johannesburg – legte die Bundesregierung das Nachhaltigkeitsstrategiepapier „Per- spektiven für Deutschland“ vor. Darin werden Schritte der nationalen Nachhaltigkeitspolitik detailliert – „(...) der rote Faden für den Weg in das 21. Jahrhundert“30 – und quantifizierte Ziele festgelegt.31 Die Verbraucher nehmen demnach eine „Schlüsselrolle“32 ein und bestim- men – in der Aggregation – durch ihre Konsumentscheidungen ebenso über die zukünftige Entwicklung Deutschlands wie die Unternehmer oder der Staat.33 Der Beitrag, den sie leisten können, wird konkretisiert durch die Grundsätze des nachhaltigen Konsums.

2.2 Das Leitbild des nachhaltigen Konsums 2.2.1 Zielbereiche und inhaltliche Dimensionen

Die o.g. Grundsatzpapiere zur nachhaltigen Entwicklung fordern als zentralen Baustein die Durchsetzung nachhaltiger Konsummuster.34 „Nachhaltiger Konsum“ bzw. „sustainable con- sumption“ umfasst als eigenständiger Bereich innerhalb des Konzeptes der nachhaltigen Ent- wicklung alle konsumbezogenen Anforderungen, deren Erfüllung eine Änderung nicht nach- haltiger Verbrauchsgewohnheiten bewirkt.35 In Anlehnung an die Brundtland-Defintion36 von nachhaltiger Entwicklung ist Konsum dann nachhaltig, wenn er die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigen kann, ohne die Möglichkeiten der zukünftigen Generation signifikant einzuschränken. Das Konzept fungiert als normatives Leitbild für die Wirtschafts- und Ge- sellschaftsordnung, indem vom übergeordneten Ziel der individuellen Bedürfnisbefriedigung im Einklang mit inter- und intragenerativer Gerechtigkeit auf nationale Strategien und Maß- nahmen zur institutionellen Ausgestaltung des regulativen Rahmens geschlossen wird.37 Ge- mäß der allgemeinen Definition, dass Konsumleitbilder „(...) immer Konzepte des Wünschba- ren [sind – Anm. d. Verf.], auf die sich das an der Veränderung des gegenwärtigen Zustandes

30 Bundesregierung (2002b), S. 3.

31 Vgl. Bundesregierung (2002b), S. 21.

32 Bundesregierung (2002b), S. 34.

33 Vgl. Bundesregierung (2002b), S. 20.

34 Dies erfolgt in jeweils unterschiedlicher Ausprägung: die Agenda 21 fordert in Kapitel 4 eine „Veränderung der Konsumgewohnheiten“ (BMU (1997), S. 22), BUND und Misereor einen Wertewandel hin zu „Gut leben statt viel haben“ (BUND/Misereor (1997), S. 206) und das Strategiepapier der Bundesregierung expliziert konsumrelevante Bereiche durch „Gesund produzieren – gesund ernähren“ (Bundesregierung (2002b), S. 34).

35 Vgl. Kapitel 4 der Agenda 21, das zwei Programmbereiche für nachhaltigen Konsum benennt: Nicht nachhal- tige Produktions- und Verbrauchsgewohnheiten sollen schwerpunktmäßig erfasst werden und nationale Poli- tiken und Strategien sollen entwickelt werden, die eine Änderung nicht nachhaltiger Verbrauchsgewohnhei- ten induzieren (vgl. BMU (1997), S. 22).

36 Vgl. Abschnitt 2.1.

37 Vgl. Spangenberg/Lorek (2001), S. 23.

(15)

orientierte Handeln beziehen kann“38, zielt das Leitbild des nachhaltigen Konsums auf einen zukünftigen Konsumstil, der Lebensqualität, Wohlstand und Zufriedenheit ohne einen ver- mehrten Güterverbrauch ermöglicht.39 Konsum bezieht sich in diesem Zusammenhang auf eine ganzheitliche Betrachtung der Bedarfe und ihrer Deckung und nimmt Abstand von der transaktionsorientierten Einschränkung auf Konsumentscheidungen.40

Die Relevanz des nachhaltigen Konsums für die nachhaltige Entwicklung begründet sich aus zwei grundsätzlichen Zusammenhängen: Zum ersten wird den privaten Haushalten über 80%

des gesamten Umweltverbrauchs einer Volkswirtschaft zugerechnet41 und zum zweiten ist es der Konsum, der die Triebkraft für jegliches Produzieren der Unternehmen darstellt.42 Letzte- res impliziert einerseits, dass ohne Konsum kein Produzieren stattfände, und andererseits, dass durch Konsum entschieden wird, welche produzierten Waren am Markt Erfolg haben und welche nicht.43 Dieser Umstand verleiht den Konsumenten eine Art Nachfragemacht („Konsumentenautorität“44), welche sie dazu befähigt, durch sozial-ökologisch ausgerichtete Konsumentscheidungen die nachhaltige Entwicklung effektiv zu beeinflussen.45

Das Leitbild des nachhaltigen Konsums wird inhaltlich – entsprechend dem der nachhaltigen Entwicklung – zumeist in die drei Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales ausdiffe- renziert. Auf Produktebene beziehen sie sich jeweils auf jede Phase des Produktlebenszyklus’, der sich aufteilen lässt in Entnahme und Aufbereitung von Rohstoffen, Herstellung, Distribu- tion und Transport, Gebrauch, Verbrauch und Entsorgung.46 Die Dimension Ökonomie um- fasst in einer Abgrenzung von Rubik und Teichert im Produktbezug sowohl die Kosten, Um- sätze, Rentabilität und Produktivität als auch die Entlohnung und langfristige Wettbewerbsfä- higkeit des Produktes.47 Die ökologische Verträglichkeit wird hier bestimmt durch die Ge- samtheit der Ressourceneinsätze und Umweltbelastungen sowie die Nutzungsdauer. Die Kri- terien sozialverträglicher Produkte betrachten neben den wettbewerbspolitischen Aspekten

38 Hansen/Schoenheit/Devries (1994), S. 229.

39 Vgl. Hansen/Schoenheit/Devries (1994), S. 228.

40 Vgl. Scherhorn/Reisch/Schrödl (1997), S. 11-12. Neben der handlungseinleitenden Konsumentscheidung werden insbesondere vorgeschaltete Bedürfnis- und Präferenzbildungsprozesse sowie nachgeschaltetes Nut- zungs- und Nachnutzungsverhalten relevant (vgl. dazu vertiefend Abschnitt 2.2.2).

41 Vgl. Spangenberg/Lorek (2001), S. 24.

42 Adam Smith führt dazu aus: „Consumption is the sole end and purpose of all production” (Smith (1976), S. 660).

43 Vgl. Hansen/Schrader (1997), S. 447.

44 Keat/Whiteley/Abercrombie (1994), S. 2.

45 Diese Annahmen aus dem Leitbild der Konsumentensouveränität gelten nur so lange, bis die Handlungsfrei- heit der Konsumenten nicht wesentlich eingeschränkt ist (vgl. ausführlich Abschnitt 2.3.1).

46 Vgl. Enquete-Kommission (1993), S. 75.

47 Vgl. hierzu und zum Folgenden Rubik/Teichert (1997), S. 91.

(16)

der sozialen Kosten auch die Produktions- und Distributionsbedingungen der Produkte,48 so dass „(...) sozial erwünschte Werte bzw. Verhaltensweisen im Zusammenleben der Menschen (...)“49 insgesamt gefördert werden. Dieser primäre Bezug der soziale Kriterien auf die Vor- Nutzungsphasen macht die Betrachtung des herstellenden Unternehmens auch für Produktbe- urteilungen unumgänglich.

Abbildung 2 stellt die produktbezogen Inhalte der drei Nachhaltigkeitsdimensionen zusam- men und demonstriert deren Relevanz für alle Phasen des Produktlebenszyklus’.50

Abbildung 2: Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit im Produktbezug

Quelle: Eigene Darstellung in inhaltlicher Anlehnung an Rubik/Teichert (1997), S. 91 sowie Enquete-Kommission (1998), S. 362.

Kritik am Konsumstil der Wohlstandsgesellschaft wird bereits seit den 1960er Jahren geübt;

Stichwörter wie „Konsumterror“ oder „Überflussgesellschaft“ sind noch immer Teil des Kon- sumdiskurses in Deutschland, der, anfänglich von sozialpsychologischen Argumenten ge- prägt, zuletzt stärker ökologisch orientiert war und erst seit kurzem im Kontext der Nachhal- tigkeit steht.51 Anstelle einer bloßen Kritik am „Überkonsum“ wird heute die Herausbildung veränderter „Konsummuster“ gefordert, die Abstand nehmen vom konsumorientierten „life- style“, der durch hohen Energieeinsatz, hohe Mobilität, extensiven Flächenverbrauch und große Abfallmengen geprägt ist.52 Welche Voraussetzungen zur Realisierung nachhaltiger Konsummuster erfüllt werden müssen, wird im nächsten Abschnitt konkretisiert.

48 Vgl. Kollmann (1993), S. 129 und eine tiefere Ausdifferenzierung in Abbildung 2.

49 Lübke (1986), S. 101.

50 Vgl. zu den Phasen des Produktlebenszyklus’ Enquete-Kommission (1993), S. 75.

51 Vgl. Schultz/Weller (1996), S. 45.

52 Vgl. de Haan/Kuckartz (1996), S. 230.

Ökologie

Kosten, Umsatz, Gewinn

Rentabilität, Produktivität

Lohn- und Gehaltssumme

Langfristige Wettbewerbs- fähigkeit

Ressourcenproduktivität

Ressourcenverbrauch (Energie, Wasser, Boden)

Umweltbelastungen (Lärm, Abfälle, Schad- stoffemissionen)

Nutzungsdauer (Recyclingmöglichkeiten, Lebensdauer)

Gesellschaftliche Kosten / Nutzen

Soziales / technisches Risikopotenzial

Individuelle und gesellschaftliche Werte (Gesundheitsschutz, Ästhetik, soziale Gerechtigkeit, Demokratie- verträglichkeit)

Arbeitsbedingungen (Gesundheitliche Umstände, Arbeitszeit, Mitbestim- mung, Weiterbildungsmöglichkeiten)

Ökonomie

Soziales

Rohstoffe Herstellung Distribution Nutzung Entsorgung

(17)

2.2.2 Voraussetzungen zur Realisierung nachhaltiger Konsummuster

Eine Erfolg versprechende Unterstützung des nachhaltigen Konsums erfordert zunächst eine erweiterte Akteursbetrachtung. Zielführend scheint daher eine Ausdehnung der den Konsum- bereich beeinflussenden Akteursgruppen von den Konsumenten auf

die Hersteller, die durch ihren Produktionsprozess und durch das Marktangebot Ein- fluss auf nachhaltige Konsummuster nehmen,

den Handel, der als gate keeper den Weg der Ware zum Konsumenten bestimmt,

den Staat, der den regulativen Rahmen für nachhaltiges Konsumieren setzt,

nicht-staatliche (Verbraucher-)Organisationen, die konsumrelevante Informationen bereitstellen

sowie um Wissenschaftler, welche effizienzsteigernde, innovative Technologien und naturwissenschaftliche Hintergründe entdecken.53

Die effektive Unterstützung eines zukunftsfähigen Konsumstils erfordert die Zusammenarbeit aller Akteure um zunächst eine allgemeine Akzeptanz im gesellschaftlichen Diskurs zu erlan- gen54 und damit innerhalb kooperativer Projektentwicklungen win-win-Strategien ausgenutzt und zielgerichtete Entscheidungen getroffen werden können.55 Im Rahmen dieser Arbeit er- halten die Verbraucherorganisationen die größte Aufmerksamkeit.

Das Erreichen eines zukunftsfähigen Konsumstils fordert eine individuelle Verantwortungs- übernahme sowohl der Konsumenten als auch der Unternehmen. Die persönliche Verantwor- tung vonseiten der Konsumenten verlangt Reflexion darüber, dass normaler, „gedankenloser“

Konsum auch aktiver „unmoralischer“ Konsum56 bedeuten kann und im Umkehrschluss die Konsumentscheidung auch Mittel zur Sanktionierung von nicht-nachhaltig ausgerichteten Produkten oder Unternehmen darstellt.57 Vor dem Hintergrund der Umstellung der Konsu- menten von kurzfristiger, individuell nutzenmaximierender Bedürfnisbefriedigung zu lang- fristigen Nachhaltigkeitszielen, wird neben einer Abwägung, wie ein bestehendes Bedürfnis

53 Vgl. Hansen/Schrader (2001), S. 27-28.

54 Vgl. Hansen/Schrader (1999), S. 474.

55 Vgl. Hansen/Schrader (2001), S. 39. Win-win-Strategien zeichnen sich durch die Erzielung von Vorteilen für alle beteiligten Partner aus.

56 Ein „active immoral act“ wird in diesem Zusammenhang durch eine „ignorant ‘business as usual’ attitude“

bei der Kaufentscheidung hervorgerufen (vgl. Hansen/Schrader (1997), S. 459).

57 Schoenheit betrachtete bereits 1992 die „Reflexivität“ als konstituierendes Element einer zeitgemäßen ökolo- gischen Konsumkultur, in der „(...) nicht mehr (nur) die Produkte, sondern in bemerkenswertem Ausmaß auch das Wissen um die Produkte und der reflektierte Umgang mit den Produkten an Bedeutung gewinnen“

(Schoenheit (1992), S. 342). Feldhaus formuliert diese Zusammenhänge als Frage nach der Verantwortung jedes Einzelnen für seine Bedürfniswelt und spricht damit auf die grundlegende ethische Bestimmung der Menschen für sich selbst an, die zusammen mit der Verantwortung für die natürliche Umwelt und soziale Mitwelt die „Verantwortungen der Gegenwart“ ausmachen (vgl. Feldhaus (1996), S. 164-165).

(18)

befriedigt werden kann, insbesondere die Reflexion über „selbstbestimmte“ und „fremdbe- stimmte“ Bedürfnisse angestrebt.58 Die nachhaltig ausgerichtete Bedürfnisbefriedigung der Konsumenten kann dabei auf alternativen Wegen stattfinden:59 durch vollständigen oder par- tiellen Verzicht auf Konsum, um negative Folgen jedweder Art auszuschließen bzw. zu redu- zieren, oder aber durch Ausweichen auf sozial-ökologisch verträgliche Substitute oder Pro- duktvarianten.

Umwelt- und sozialgerechtes Konsumentenverhalten ist nach radikaler Auffassung nur unter der „(...) Überwindung von Widerständen und der Hinnahme von Verzichten sowie von Un- bequemlichkeiten“60 möglich, jedoch stellt Konsumverzicht derzeit aufgrund der gravierenden Einschränkung der Lebensqualität keine dauerhafte Option dar, so dass die Alternative der sozial-ökologisch verträglichen Substitute bzw. Produktvarianten eher zum Tragen kommt.

Dieser Umstand kann sowohl als Risiko aufgefasst werden, wenn entsprechende Lösungen auf dem Markt fehlen, als auch als Chance für Unternehmen, sozial-ökologische Produkte erfolgreich zu vertreiben, was wiederum rückkoppelnd die Handlungsoptionen für alle Kon- sumenten erhöht.61 Die individuelle Verantwortungsübernahme der Unternehmen erhält somit Ausdruck durch die Bereitstellung eines sozial-ökologisch verträglichen Angebots, welches die Nachfrageentwicklung in Richtung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise beschleunigen kann.62

Die Veränderung des individuellen Konsumstils setzt überdies die Betrachtung des Konsums als ökologischen Prozess voraus.63 Eine umwelt- (und gleichermaßen sozial-) orientierte Kon- sumentscheidung beschränkt sich nicht auf die Beachtung der Recyclingfähigkeit eines Pro- duktes, sondern bezieht sich auf den gesamten Entscheidungsprozess, der sich in die Phasen Bedürfniserkennung, Informationssuche, Alternativenbewertung, Leistungsübernahme und Nachkaufverhalten gliedert.64 Die Phaseneinteilung ermöglicht eine nähere Analyse des nach- haltigen Konsumentenverhaltens und lässt zugleich den Fokus der vorliegenden Arbeit auf die Informationssuche und Alternativenbewertung, die zur Präferenzbildung zusammengefasst werden können, evident werden. Die Versorgung mit umfassenden Informationen über Pro-

58 Vgl. Beier (1993), S. 12. Demnach sollte ein Verbraucher verstärkt ein Bewusstsein für „selbstbestimmte“

Bedürfnisse durch Introspektive entwickeln.

59 Vgl. Hansen/Schrader (1997), S. 459-460.

60 Hillmann (1994), S. 259.

61 Vgl. Hansen/Schrader (1997), S. 460.

62 Vgl. imug (1997), S. 30-31.

63 Vgl. Lass/Reusswig (1998), S. 10.

64 Vgl. Schrader/Hennig-Thurau (2001), S. 180.

(19)

dukteigenschaften kann grundsätzlich aus unterschiedlichen Quellen erfolgen65 und ist not- wendige Voraussetzung für die Alternativenbewertung, bei der auf vorhandenes Produktwis- sen sowie individuelle Einstellungen zurückgegriffen wird.66 Für die Präferenzbildung eines nachhaltig handelnden Konsumenten sind dabei zunehmend Beschaffungskriterien (Leis- tungseigenschaften, Herstellungsweise) sowie Nutzungskriterien (z.B. Höhe der Umweltbe- lastung, Entsorgungsmöglichkeiten) relevant, die zusätzlich zum Kauf die Möglichkeiten des Mietens, Teilens oder Tauschens in Betracht ziehen.67 Dieses umfassende Informationsange- bot, speziell über die Herstellungsweise, wird gegenwärtig nur vereinzelt von unterschiedli- chen Akteuren bereitgestellt, so dass Konsumenten hohe Anstrengungen leisten müssen, um die relevanten Informationen zu finden.68

Voraussetzung eines nachhaltig ausgerichteten Handelns ist das Vorhandensein eines ausge- prägten Nachhaltigkeitsbewusstseins, das Handlungsspielräume erkennen lässt und entspre- chend ausgerichtetes Verhalten initiieren kann.69 Untersuchungen belegen jedoch, dass selbst bei ausgeprägtem Umweltbewusstsein eine hohe Diskrepanz zum Umweltverhalten besteht;

die dafür verantwortlichen Hemmfaktoren sind:70

Verhaltensbarrieren: negative Erfahrungen bzw. Vermutungen über nachhaltigen Konsum durch Assoziationen mit Konsumverzicht oder durch hohe finanzielle, indivi- duelle oder gesellschaftliche „Opfer“.

Informationsbarrieren: fehlende Informationen und Verunsicherung71 über ökologi- sche Folgewirkungen, Alternativen und Unternehmensaktivitäten.

Wahrnehmungs- und Gefühlsbarrieren: Geringschätzung des individuellen Beitrags mangels direkter Wahrnehmbarkeit bestimmter Umweltprobleme; oder gerade über- mächtige Umweltängste, die zu Ohnmachtgefühlen führen.

Notwendige Bedingung für das Interesse der Konsumenten ist zunächst die erfolgreiche Be- kanntmachung des Nachhaltigkeitsbegriffs durch zielgruppenspezifische Aufklärungs- und

65 Beales et al. unterscheiden z.B. externe Informationen von Anbietern, von neutralen Dritten sowie eigene Betrachtungen (vgl. Beales et al. (1981), S. 12).

66 Vgl. Schrader/Hennig-Thurau (2001), S. 181.

67 Vgl. Scherhorn/Reisch/Schrödl (1997), S. 12. Vgl. dazu auch den Ansatz der „eigentumsersetzenden Dienst- leistungen“ von Schrader (2001) und Berry/Maricle (1982).

68 Vgl. dazu Abschnitt 3.1.3.1.

69 Vgl. eine Betrachtung aktueller Umwelt- bzw. Nachhaltigkeitsbewusstseinsstudien in Abschnitt 2.4.

70 Vgl. hierzu und zum Folgenden UBA (1997a), S. 240. Die Faktoren sind analog für nachhaltig orientiertes Verhalten übertragbar. Maßgebliche Forschungsarbeiten zur Diskrepanz zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten veröffentlichten Diekmann/Preisendörfer (1992) sowie Kuckartz (1995).

71 Verunsicherung entsteht zusätzlich zum fehlenden Informationsangebot durch sog. Expertenstreits bezüglich einzelner Fragestellungen (z.B. hinsichtlich der besseren Umweltverträglichkeit von Mehrwegflaschen oder Plastikschlauchbeuteln, vgl. Steffens/Tegethoff (1997), S. 153-154).

(20)

Kommunikationsstrategien.72 Parallel dazu sind innerhalb einer informativ-alltagspraktischen Strategie konkrete Umsetzungsmöglichkeiten und insbesondere Informationen über Hand- lungsalternativen bereitzustellen.73

Hieran können alle Akteure teilhaben: Hersteller und Händler durch Darbietung eines ent- sprechenden Angebotes, Konsumenten durch adäquate Konsumentscheidungen, die Politik durch Formulierung bereichsspezifischer Leitbilder und Setzung der regulativen Rahmenbe- dingungen sowie Verbraucherorganisationen durch Bildungs- und Beratungsleistungen. Die staatliche Verbraucherpolitik sowie die nicht-staatlichen Verbraucherorganisationen leisten seit mehreren Jahren Anstrengungen, nachhaltigen Konsum zu fördern, z.B. durch Bereitstel- lung konsumrelevanter Informationen. Im folgenden Abschnitt wird das aktuelle Leitbild der Verbraucherorganisationen in die historische Entwicklung eingeordnet und in seinen Auswir- kungen detailliert.

2.3 Verbraucherpolitik im Wandel der Leitbilder 2.3.1 Traditionelle Leitbilder und Zielbereiche

Die deutsche Verbraucherpolitik der 1960er und 1970er Jahre entwickelte sich vor dem Hin- tergrund der populären Konsumerismus-Bewegung in den USA, die durch Schlüsselpersonen wie Vance Packard und Ralph Nader sowie durch die Verkündung der Verbraucherrechte 1962 durch US-Präsident John F. Kennedy eine vielbeachtete soziale Bewegung darstellte.74 Der Konsumerismus trieb die Verbraucherpolitik in seinen Forderungen, die Marktmacht der Konsumenten zu erhöhen, wesentlich voran und beeinflusste somit auch die inhaltliche Aus- gestaltung ihrer Leitbilder und Zielbereiche.

In ihrem Bestreben, Konsumenten angemessene Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten in der Marktwirtschaft einzuräumen, propagierte die Verbraucherpolitik zunächst das Leitbild

72 Zielgruppenspezifische Strategien werden der Annahme gerecht, dass sich in der Gesellschaft zahlreiche Lebensstile mit unterschiedlichen Konsum- und Wertorientierungen ausdifferenziert haben und eine Wand- lung der Konsummuster daher pluraler, zielgruppen- und bereichsspezifischer Strategien anstelle universali- sierender Generalkonzepte bedarf (vgl. Schultz/Weller (1996), S. 30).

73 Untersuchungen von Littig zufolge ist es weniger Expertenwissen, welches zur Verhaltensänderung bewegt, sondern einfaches Rezeptwissen, das zum Großteil dem gesellschaftlichen Wissensvorrat entstammt und di- rekt alltagsrelevant ist (vgl. Littig (1995), S. 142).

74 Die Diskussion um die Verbraucherrechte strebte durch die konsumkritischen Veröffentlichungen von Pa- ckard und Nader sowie durch die von Kennedy proklamierten vier Verbraucherrechte (Recht auf Sicherheit, Information, Wahlfreiheit und das Recht auf Gehör) einem Höhepunkt zu (vgl. Kuhlmann (1990), S. 10).

Vgl. zur Idee und Organisation des Konsumerismus in den USA Aaker/Day (1974).

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der Konsumentensouveränität.75 Das Leitbild postuliert das eigennutzmaximierende Nachfra- geverhalten der Verbraucher, durch das die Güterproduktion derart gelenkt wird, dass eine optimale Bedürfnisbefriedigung erreicht wird.76 Die Kritik an diesem Konzept stützt sich ins- besondere auf die ihm inhärenten Annahmen der vollkommenen Konkurrenz sowie des Ideal- typus‘ „homo oeconomicus“, welche nach allgemeiner Auffassung unerfüllbar sind, bzw. der Dynamik des Marktes nicht gerecht werden.77 Die Kritik führte zur Entwicklung des Konzep- tes der Konsumfreiheit, welches in seiner wesentlichsten Modifikation Abstand nimmt von der Assoziation der Alleinherrschaft der Konsumenten im Markt und indessen gleichgewich- tige Konsumenten- und Produzenteninteressen fordert.78

Scherhorn betrachtet verbraucherpolitisch eingreifende Aktivitäten dort als legitimiert, wo die Konsumfreiheit, die er in Handlungs- und Entschließungsfreiheit unterteilt, unangemessen eingeschränkt wird.79 Dies ist zum einen der Fall, wenn die Handlungsfreiheit der Konsumen- ten – der Raum der freien Wahlen – infolge von Wettbewerbsverzerrungen (z.B. durch Ab- sprachen der Hersteller) beschnitten wird.80 Der zweite Fall ergibt sich, wenn die Entschlie- ßungsfreiheit der Konsumenten – das Vermögen jedes Einzelnen, den Raum zu nutzen – durch systematische Informationsdefizite über das Marktangebot oder durch bewusst verzerrte Informationen (z.B. durch Marketingaktivitäten erzeugte Marktintransparenzen) zugunsten der Hersteller eingeschränkt wird. Mängel bei der Auswahl aus dem Marktangebot entstehen ferner durch individuelle Budgetrestriktionen und eine inadäquate Bedürfnisinterpretation der Konsumenten selbst.81

Unter normativer Betrachtung des Leitbildes der Konsumfreiheit erhalten vor allem wettbe- werbspolitische, rechtliche, bildende und informierende Maßnahmen Legitimation.82 Die Verbraucherpolitik reagiert darauf mit den Maßnahmenbündeln Verbrauchererziehung,

75 Begriff und Konzept der Konsumentensouveränität wurden bereits in den 1930er Jahren durch den Ökono- men William Hutt begründet, vgl. dazu Hutt (1940).

76 Vgl. Kuhlmann (1990), S. 30.

77 Vgl. Meyer-Dohm (1965), S. 74-75. Der Idealtypus des „homo oeconomicus“ betrachtet die Verbraucher als vollständig informiert (Informationsaxiom) und ausschließlich nutzenmaximierend handelnd (Rationalitäts- axiom) (vgl. Kade (1962), S. 78-79). Vgl. vertiefend zur kritischen Betrachtung der Konsumentensouveräni- tät Meyer-Dohm (1965), S. 62-75 sowie Jeschke (1975), S. 35-54.

78 Vgl. Scherhorn (1973), S. 8. Vgl. vertiefend zum Begriff der Konsumfreiheit Meyer-Dohm (1965) und zur Beziehung zwischen den beiden Leitbildern Jeschke (1975), S. 32-35.

79 Vgl. Scherhorn (1975), S. 35-36.

80 Vgl. hierzu und zum Folgenden Scherhorn (1973), S. 9-10 sowie vertiefend Abschnitt 3.1.1.2.

81 Vgl. Hansen/Schrader (1999), S. 470-471.

82 Vgl. Kuhlmann (1990), S. 35-36.

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-beratung, -aufklärung und -information.83 Als verbraucherpolitische Organe werden in Deutschland vor allem repräsentative Fremdorganisationen aktiv, beispielsweise der im No- vember 2000 gegründete Verbraucherzentralen Bundesverband e.V. (vzbv) und die Stiftung Warentest, die seit 1964 unabhängige vergleichende Warentests veröffentlicht.

Neben den dargestellten deskriptiven Problemkomplexen wird zunehmend die normative Be- deutung des Leitbildes kritisiert, da die qualitativen sowie quantitativen negativen Externalitä- ten des Konsums nicht mehr vernachlässigt werden können.84 Externe Effekte treten auf durch die unentgeltliche Nutzung von Kollektivgütern, also Gütern wie Umwelt oder sozialer Frie- de, die sich durch fehlende Ausschließbarkeit und fehlende Konsumrivalität auszeichnen.85 Diese Konstellation hat zur Folge, dass externe Kosten im Allgemeinen nicht über den Preis- mechanismus am Markt abgegolten werden und dass negative externe Kosten somit unent- schädigte Nutzeneinbußen für die Betroffenen bedeuten. In den 1970er und frühen 1980er Jahren gab dieser Umstand den Anlass zur Forderung nach einem neuen Leitbild. Es folgte eine verbraucherpolitische Diskussion um „qualitativen Konsum“86. In diesem Konzept wurde die individuelle Nutzenmaximierung des herrschenden Konsumleitbildes um soziale, ökologi- sche, politische und kulturelle Aspekte bereichert.87 Eine neue Verbraucherrolle wurde entwi- ckelt, die den Kunden als Bürger betrachtete, der seine Interessen im gesellschaftlichen Kon- text relativiert.88 Der aktuelle verbraucherpolitische Diskurs um nachhaltigen Konsum greift diese Aspekte vertiefend auf und erweitert sie gleichzeitig um einen verstärkt internationalen und intergenerativen Betrachtungswinkel.

2.3.2 Nachhaltiger Konsum als aktuelles verbraucherpolitisches Leitbild

Nachdem sich die Verbraucherpolitik schon frühzeitig mit einer verstärkten Verantwortungs- übernahme der Konsumenten beschäftigt hat, ist die nachhaltige Entwicklung in den 1990er Jahren endgültig zu einem wichtigen Bestandteil sowohl der europäischen als auch der deut-

83 Vgl. zu den verbraucherpolitischen Bereichen ausführlich Kuhlmann (1990), S. 265-410. Der Politikbereich Verbraucherinformation wird vertiefend in Abschnitt 3.1 behandelt.

84 Vgl. Gottschalk (2001), S. 138.

85 Vgl. dazu ausführlich Abschnitt 3.1.1.1.

86 Vgl. zum Begriff und Konzept des „qualitativen Konsums“ Hartmann (1985). Das Leitbild des qualitativen Konsums erhielt als „umweltorientierte Verbraucherarbeit“ Einzug in die praktische Verbraucherpolitik (vgl.

Niesbach/Schell (1988), S. 83).

87 Vgl. Hansen/Schrader (1999), S. 473-474.

88 Vgl. Bennigsen-Foerder (1988), S. 334-335.

(23)

schen Politik geworden.89 Die Leitbilder der Konsumentensouveränität und Konsumfreiheit wurden von einem Leitbild abgelöst, in dem der Konsument sowohl als aktiver Marktpartner als auch als Einzelner bewusst bedarfsreflektierend Mitverantwortung für die künftige soziale und ökologische Entwicklung übernimmt.90 Es wird somit der Forderung nach einem „Inno- vationsparadigma“91 als Ablösung des vormaligen Reaktionsparadigmas gerecht.

Ziel ist es, die langfristigen Konsumenteninteressen in eine der nachhaltigen Entwicklung verträglichen Richtung zu lenken. Hierzu bedarf es eines Strategiemixes, der die traditionellen Instrumente zwar beibehält, sie jedoch einer inhaltlichen Revision unterzieht: Aufgabe der Verbraucherbildung ist es somit, Voraussetzungen für ein Nachhaltigkeitsbewusstsein zu schaffen, während der Verbraucherschutz vorrangig rechtliche und ökonomische Ordnungs- elemente aktualisiert. Die größte Aufgabe kommt jedoch der Informationspolitik zu, die Joer- ges als „Königsweg der Verbraucherpolitik“92 bezeichnet. Im Sinne einer ausdrücklich er- wünschten sozialen und ökologischen Weiterentwicklung der Marktwirtschaft kann die Legi- timation eines Anspruches der Konsumenten auf sozial-ökologische Informationen normativ abgeleitet werden. Die Informationsrechte der Verbraucher bedürfen demnach einer Erweite- rung um sozial-ökologische Informationen, die zum Beispiel durch die Bereitstellung anbiete- runabhängiger Informationen von Verbraucherorganisationen, durch freiwillige Angaben der Anbieter selbst oder durch gesetzliche Informationspflichten für Anbieter erfolgen kann.93 Auch die EU-Kommission konstatiert: Angesichts „(...) des in Artikel 153 EG-Vertrag veran- kerten Anspruchs der Verbraucher auf Information ist es in jedem Fall unerlässlich, eine all- gemeine Pflicht zur Offenlegung von Informationen vorzusehen.“94 Das im Jahr 2002 disku- tierte Verbraucherinformationsgesetz stellt ein in diese Richtung weisendes Instrument dar.95 Dabei muss beachtet werden, dass nicht nur mehr Informationen bereitgestellt werden, die

89 Vgl. Kreibich (1992), S. 59. Stellvertretend für die deutsche Verbraucherpolitik betont Bundesverbraucher- ministerin Künast: „Das Leitbild ist die soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit.“ (Künast (2002), S. 6). Auch die Europäische Kommission fordert ausdrücklich Initiativen zur Förderung des nachhal- tigen Konsums (vgl. zur europäischen verbraucherpolitischen Strategie Kommission der Europäischen Ge- meinschaften (2002), S. 6-8).

90 Vgl. Müller (2001), S. 11.

91 Hansen (2001), o.S.

92 Joerges (1981), S. 317.

93 Vgl. Hansen (1996a), S. 108. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen z.B. fordert verpflichtende Produktkennzeichnungen oder die Einrichtung einer Transparenzdatenbank (vgl. SRU (2002), S. 7).

94 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2001a), S. 16.

95 Ein Urteil des deutschen Verfassungsgerichts von Juli 2002 stärkt das Recht des Staates auf Informationsver- sorgung der Bürger und legt damit die rechtliche Grundlage zur Unterstützung eines Verbraucherinformati- onsgesetzes (vgl. Kerscher (2002), S. 2 sowie o.V. (2002b), S. 11).

(24)

den ohnehin schon gravierenden „information overload“96 zusätzlich verstärken, sondern dass verlässliche, verständliche and zweckgerichtete Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort verfügbar werden.97 Dabei können Qualitätslabels oder sozial-ökologische Warentests auf Produktebene bzw. sozial-ökologische Unternehmenstests auf Unternehmensebene nicht nur schlechte Beispiele plakatieren, sondern ebenso positive Anstrengungen durch ein „Sehr gut“- Urteil würdigen.

Parallel zur inhaltlichen Erweiterung der Instrumente kam es in den Jahren 2000 und 2001 zu mehreren kräftebündelnden Reformen auf verbraucherpolitischer Ebene.98 Trotz dieser offen- bar gestärkten Rolle der Konsumenten und der nicht abreißenden Lebensmittelskandale (z.B.

BSE, MKS, Futtermittelskandale)99 wird die finanzielle Unterstützung der Verbraucherorga- nisationen vielfach gekürzt,100 wie z.B. im Jahr 2000 das jährliche Budget der Stiftung Wa- rentest.101

Warum die inhaltliche Revision der Handlungsbereiche verbraucherpolitischer Akteure ent- sprechend der Ziele des nachhaltigen Konsums die Anbieter vergleichender Warentests be- sonders betrifft, ist Thema des dritten Kapitels. Bevor dort vergleichende Warentests theore- tisch hergeleitet sowie die Anbieter und aktuelle Herausforderung thematisiert werden, erfolgt in Abschnitt 2.4 zunächst die Betrachtung des nachhaltigen Konsums aus der Konsumenten- perspektive.

2.4 Nachhaltiger Konsum aus der Konsumentenperspektive

Eine Voraussetzung zur Realisierung nachhaltiger Konsummuster ist das Vorhandensein eines ausgeprägten Nachhaltigkeitsbewusstseins.102 Wie ausgeprägt aber ist dieses Bewusstsein

96 Die Hypothese zur Informationsüberlastung (information overload) wurde wesentlich von Jacoby erarbeitet;

ihm zufolge sind menschliche Fähigkeiten in ihrer Informationsaufnahme- und -verarbeitungsfähigkeit in ei- ner bestimmten Zeitspanne begrenzt, weshalb Konsumenten lediglich einen geringen Teil der angebotenen Informationen tatsächlich nutzen (vgl. Jacoby (1977), S. 569).

97 Vgl. Hansen (1996a), S. 112.

98 In den Jahren 2000 und 2001 bildeten sich sowohl der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) als auch das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) unter Bun- desministerin Renate Künast. Diese Entwicklung führte in der Presse sehr plakativ zu Statements wie „Der Verbraucher (...) ist die letzte Supermacht in der politischen Arena (...)“ (Lau (2001), o.S.).

99 Die BSE-Krise fand ihren Höhepunkt in Deutschland Ende 2000, die MKS-Krise Mitte 2000. Beispielhaft für diverse Krisen im Jahr 2002 können der deutschlandweite Bio-Futtermittel-Skandal im Juni sowie der eu- ropaweite Hormon-Futtermittelskandal im Juli 2002 genannt werden.

100 Vgl. Brychcy (2001), S. 2 sowie Abschnitt 3.2.1.2. Dies führt dazu, dass die Existenz von Verbraucherbera- tungsstellen gefährdet ist (z.B. in Mecklenburg-Vorpommern, vgl. o.V. (2002c), o.S.) und das Informations- angebot auf marktfähige Leistungen ausgerichtet wird (vgl. Müller (2001), S. 10).

101 Vgl. Stiftung Warentest (2001a), S. 2 sowie o.V. (2000), o.S.

102 Vgl. Abschnitt 2.2.2.

(25)

tatsächlich und äußert es sich – als Ausdruck einer beabsichtigten nachhaltig orientierten Konsumentscheidung – in einer Nachfrage nach ökologie- und sozialbezogenen Informatio- nen über Produkteigenschaften oder Anbieterverhalten? Zur Klärung dieser Frage werden im Folgenden empirische Studien herangezogen, die schließlich eine Orientierung der Verbrau- cherorganisationen am Zielkonzept des nachhaltigen Konsums induktiv herleiten können.

Dabei erfolgt eine Fokussierung auf Testorganisationen als verbraucherpolitische Akteure und deren Instrument, den vergleichenden Warentest. Bezüglich der Konsumenteninteressen an sozial-ökologischen Produktinformationen wurden eine Reihe empirischer Untersuchungen vorgenommen, die in erster Linie das Umweltbewusstsein und vereinzelt das Nachhaltigkeits- bewusstsein als argumentative Grundlage verwenden.103 Das an dieser Stelle explizierte Inte- resse von Konsumenten soll verstanden werden im Sinne eines subjektabhängigen, manifes- ten Interessebegriffs, „(...) ein zielgerichtetes Wünschen und Wollen, [das – Anm. d. Verf.]

erfragt bzw. beobachtet werden kann“ 104 und somit als Grundlage für organisierte Artikulati- on dient.

Der regelmäßig alle zwei Jahre durchgeführten Umweltbewusstseinsstudie von Kuckartz zu- folge besteht 2002 in Deutschland weiterhin ein starkes Umweltbewusstsein, wenn es auch in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen hat.105 Eine Erklärung hierfür ist die schlechte wirtschaftliche Lage, die primär Probleme des Arbeitsmarktes ins aktuelle Bewusstsein rü- cken lässt. Dennoch halten in dieser Studie immerhin 93% der Befragten Umweltschutz für ein sehr wichtiges (51%) oder wichtiges (42%) politisches Thema, nationale soziale Gerech- tigkeit wird sogar für 95% als sehr wichtig (64%) bzw. wichtig (31%) erachtet.106 Bezüglich der Inhalte des Nachhaltigkeitsleitbildes lässt sich immerhin eine breite Zustimmung beobachten (84%), wenn auch der Begriff selbst nur bei 28% bekannt ist.107 Einer Studie der Market and Opinion Research International (MORI) von 2000 zufolge finden es immerhin 23% der Befragten wichtig, beim Produktkauf auf sozialverantwortliches Handeln des Her- stellers, das günstigstenfalls als Label auf dem Produkt kenntlich gemacht wird, zu achten.108

103 Da den betrachteten Studien in den meisten Fällen eine unterschiedliche Definition von Umweltbewusstsein zugrunde liegt und sie deshalb sie nur schwer direkt vergleichbar sind, werden diesbezüglich lediglich Ten- denzaussagen getroffen.

104 Stauss (1980), S. 28.

105 Vgl. hierzu und zum Folgenden Kuckartz (2002), S. 18-20.

106 Umweltschutz rangiert allerdings derzeit nur noch für ca. 14% gegenüber ca. 65% im Jahr 1988 auf Platz Eins der aktuell wichtigsten Themen in Deutschland (vgl. Kuckartz (2002), S. 19).

107 Vgl. Kuckartz (2002), S. 31-32.

108 Vgl. MORI (2000), o.S. Jedoch fiel gemäß einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach die Be- reitschaft, höhere Preise für biologisch angebaute Lebensmittel zu zahlen, von 56% Anfang 2001 auf 32% im Juli 2002; der Rückgang wird auch einem Bio-Futtermittelskandal im Juni 2002 zugeschrieben und ist Aus- druck einer starken Verunsicherung unter den Verbrauchern (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach (2002), S. 2).

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