DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
KURZBERICHTE
Plenum des 31. Bayerischen Ärzte- tages Professor Sewering voll reha- bilitierte: In der katholischen An- stalt Schönbrunn bei Dachau, in der Sewering ab April 1942 als junger Assistenzarzt, dienstverpflichtet, tä- tig war und in der er noch heute als Konsiliararzt wirkt, gab es keine Euthanasie. Die katholischen Schwestern haben während der
„Aktionszeit" einen wahrhaft he- roischen Kampf gegen jede „Verle- gung" ihrer Pfleglinge geführt. Es wäre — erst recht, nachdem die mit geheimem „Führererlaß" verfügte Euthanasieaktion im Sommer 1941 vor allem infolge energischer Prote- ste der Kirchen eingestellt worden war — undenkbar gewesen, 1943 ei- nen Anstaltsinsassen gegen den Wil- len der Schwestern etwa an einen Ort zu verlegen, der auch nur im lei- sesten Verdacht der Euthanasie ge- standen hätte.
BÄK zahlt keine
„Reichspensionen"
Auch alle weiteren „Spiegel"- Gifteleien gegen das Deutsche Ärzteblatt und gegen Ärzte, die ihm verbunden waren und sind, sind pa- pierkorbreif. Nur eine Sache noch soll wenigstens in unserem Archiv richtig stehen (für den Fall, daß der
„Spiegel" in zehn Jahren seine Ge- schichten von gestern und heute er- neut aufwärmt): Nicht richtig ist nämlich unter anderem auch die Be- hauptung „Die Bundesärztekammer zahlt die stattlichen Pensionen für alle ehemaligen Funktionäre der Reichsärztekammer". Die Bundes- ärztekammer bezahlt in Wahrheit keine Pensionäre der Reichsärzte- kammer. Deren Ansprüche sind durch den Deutschen Bundestag und den Deutschen Bundesrat bun- desgesetzlich anderweitig geregelt worden.
Vom „Spiegel" erwarten wir weder einen Widerruf noch eine Be- richtigung noch eine Entschuldi- gung. Bleibt nur zu hoffen, daß die Geschichtsschreiber späterer Gene- rationen für eine wahrhaftige Bewäl- tigung der Vergangenheit ihrer Vor- väter nicht nur diesen „Spiegel" be nutzen! roe/DÄ
Trauer und Ritus Neue Formen des Trauerns
Angeregt durch die Lektüre von
„Ich sehe Deine Tränen" (1), nahm ich an einem Wochenendseminar bei Dr. Canacakis teil, wobei mich be- sonders die Integration von Trauer- ritualen und Psychotherapie interes- sierte. Für andere Teilnehmer waren persönliche Verluste (Tod eines An- gehörigen, Ehescheidung) Grund zur Anmeldung. Das Seminar führte uns in einem zeremoniell begleiteten Abschiedsprozeß durch mehrere Phasen.
1. Phase: Rückversetzung Hier erinnert sich jeder anhand bestimmter Vorgaben an Szenen und Gefühle aus der Zeit, in der scheinbar noch alles in Ordnung war. Man versucht, noch einmal die Gefühle glücklicher Verbundenheit oder erfüllter Nähe zu erleben. Die- se Empfindungen werden dann nach außen verlagert, in einem Brief, ei- nem Gedicht oder Bild symbolhaft verdichtet. Dadurch soll ein positi- ves Lebensgefühl erzielt, die innere Abwehr gegen das Wahrnehmen des Verlustes aufgelockert werden.
2. Phase: Aktives Sich-Trennen Als nächstes wird die ursprüng- lich fremdbestimmte Trennung zu einem Akt eigener Wahl transfor- miert. In einer musikbegleiteten in- neren Bilderreise vollzieht jeder selbst den Trennungsvorgang. Das ist sehr schmerzlich, zumal häufig die Erinnerung an weitere, biogra- phisch frühe Verluste aufkommt Gefühle wie Trauer, Wut, Verzweif- lung werden in dieser Phase geäu- ßert und individuell bearbeitet.
3. Phase: Ritueller Abschied Die vollzogene innere Trennung soll nun in verschiedenen Ritualen ausgedrückt und vor der Außenwelt, der Gruppe vertreten werden. Dazu wird der ganze Gruppenraum ge- schmückt. Jeder notiert sich seine persönlichen Antworten auf die Fra-
gen „Was lasse ich los?", „Was möchte ich behalten?". Der Ent- scheidungsprozeß ist oft schwierig;
in jedem Fall aber verliest jede(r) die Antworten vor den anderen. An- schließend werden die Zettel mit den Antworten zur ersten Frage ver- brannt
4. Phase: Nachsorge
Trauerprozesse brauchen Zeit und lassen sich nicht an einem Wo- chenende abschließend bearbeiten.
Deswegen können sich die Teilneh- mer in der Folgezeit regelmäßig tref- fen, unterstützt von einer Selbsthil- fegruppe.
Persönliche Eindrücke
Im Trauerseminar erarbeitet Dr. Canacakis mit den Mitteln der Gestalttherapie, mit musikalisch- rhythmischen Elementen und Riten tiefgreifende Veränderungen. Dies verbindet seine Methode mit ande- ren Ansätzen zur Trauerbewälti- gung, die jüngst in einer lesenswer- ten Übersichtsarbeit vorgestellt wur- den (2). Für mich wurden darüber hinaus Erinnerungen an die Zusam- menarbeit mit Frau Kübler-Ross (3) wach. Trauer bleibt aber grundsätz- lich ein Aspekt jeder Psychotherapie etwa im Sinne von Margarete Mit- scherlich: „Trauer also ist das Durcharbeiten und langsame Ertra- gen von Verlusten mit der Möglich- keit, durch diese Erfahrungen menschliche Reife zu gewinnen, das heißt Gefühlsbindungen, die nicht mehr alters- und zeitentsprechend sind, aufzugeben oder doch einer Wandlung unterziehen zu können"
(4).
Literatur:
1. Canacakis, J.: Ich sehe Deine Tränen, Kreuz Verlag, Stuttgart (1987)
2. Krautschik, A.: Trauer in der Arzt-Patient- Beziehung, psycho 13 (1987) 814-820 3. Mäulen, B.: Leben, Tod und Übergang —
Das Arbeitskonzept von Elisabeth Kübler- Ross; Dt. Ärztebl. 7 (1982) 67-69
4. Mitscherlich-Niehlsen, M.: Einsamkeit, Kreuz Verlag, Stuttgart, 5. Aufl. (1986) 204-215
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Bernhard Mäulen Gustav-Schalk-Str. 2a 4902 Bad Salzuflen A-282 (28) Dt. Ärztebl. 85, Heft 6, 11. Februar 1988