KONGRESS-BERICHT
Die Frage der Belastungstoleranz des Haltungs- und Bewegungsappa- rates stand im Mittelpunkt des 3. In- ternationalen Heidelberger Orthopä- die-Symposiums*), an dem 200 Wis- senschaftler aus den medizinischen Fachdisziplinen Orthopädie, Neuro- logie, Radiologie, Anatomie und Sportmedizin sowie aus der Sport- wissenschaft, insbesondere dem
Fachbereich Biomechanik, teil- nahmen.
Zum erstenmal wurde eine Be- standsaufnahme des aktuellen Wis- sens über Anpassungs- und Überla- stungsphänomene durch die ver- schiedenartigsten äußeren Einflüsse vorgenommen.
Noch fehlen verwertbare Parameter für die Toleranz des Haltungs- und Bewegungsapparates — wie sie bei- spielsweise in der inneren Medizin und Physiologie zur Verfügung ste- hen, um Anpassungs- oder Überla- stungserscheinungen innerer Orga- ne definieren zu können.
Die dem Symposium gestellte Auf- gabe wurde von verschiedenen Sei- ten angegangen: Probleme der Re- gulationsmechanismen der Motorik wurden aus der Sicht der Neurolo- gen und Neurophysiologen beleuch- tet: der aktuelle Stand des Wissens über die zerebrale Steuerung der Motorik, die spinale Eigenleistung in der Motorik sowie die Bewegungs- analysen sportlicher Leistungen wurden ebenso abgehandelt wie die Probleme der Lernprozesse sportli- cher Bewegungsabläufe. Hier galt das Interesse insbesondere den Stö-
*) 12. bis 14. September 1979, Leitung Profes- sor Dr. Horst Cotta und Professor Dr. Hart- mut Krahl
rungseinflüssen der Motorik und de- ren Prophylaxe, vor allem im Hin- blick auf die Vermeidung von Verlet- zungen und Schäden sowie auf die altersabhängige Lernfähigkeit und die Bedeutung des Schmerzes.
Moderne biomechanische Untersu- chungs- und Meßverfahren können nicht nur in der sportmotorischen Leistungsdiagnostik eingesetzt, son- dern auch in gewissem Umfang zur Definition und Messung unphysiolo- gischer Belastungsgrößen herange- zogen werden. Diese ergeben sich häufig aus den physikalischen Ei- genschaften von Sportböden oder Sportgeräten. Sie können anderer- seits aber auch in konstitutionellen Formstörungen des Menschen selbst liegen. Dementsprechend wurde auch das unterschiedliche mechanische Verhalten der ver- schiedenen Körpergewebe des Stütz- und Bewegungsapparates ab- gehandelt.
Als zentrales Thema wurden dann die morphologischen Grundlagen der Gewebetoleranz am Beispiel von Knochen, Knorpel, Sehnen und Muskelgewebe diskutiert.
Erstmals wurde versucht, morpholo- gische Parameter für Anpassung und Überforderung, Reparation und Degeneration sowie Trainierbarkeit der verschiedenen Gewebe zu defi- nieren und diese in Beziehung zur einwirkenden Belastung zu setzen.
Am Schluß der Tagung wurden dann vor dem Hintergrund der neugewon- nenen Erkenntnisse klinisch-prakti- sche Probleme abgehandelt. Zu- nächst wurden Spezialthemen der Diagnostik und Therapie von Sport-
verletzungen und die sich daraus er- gebenden Fragen zur Prävention und Eignung diskutiert. Dabei kri- stallisierten sich die Notwendigkeit einer speziellen Tauglichkeitsbeur- teilung und die Forderung nach Mit- spracherecht der Mediziner bei der Planung und Ausstattung von Sport- stätten, ferner bei der Entwicklung von Sportgeräten und Trainingsplä- nen als wesentliche Elemente her- aus. Weiter wurde festgestellt, daß sportliche Betätigung auch für den komplizierten Stoffwechsel der bra- dytrophen Gewebe wie Bandschei- be, Gelenkknorpel und Sehne eine entscheidende Bedeutung hat und daß sich — ähnlich wie bei inneren Organen — leistungseinschränkende degenerative Prozesse in Schach halten lassen.
Zusammenfassung
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß bei dem Symposium eine Reihe neuer Erkenntnisse über die Belast- barkeit des Bewegungsapparates gewonnen wurden, aus denen sich für Theorie und Praxis richtungwei- sende Tendenzen zum Problemkreis biopositiver und bionegativer Aus- wirkungen sportlicher Betätigung auf den Bewegungsapparat ableiten lassen.
Körperliche Leistungsfähigkeit ist nicht nur eine Frage des kardiopul- monalen Systems, sondern auch der Toleranz des Bewegungsapparates.
Fragen nach der Dosierbarkeit kör- perlicher Belastung zur Erhaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter dürften sich in Zukunft leichter beantworten lassen.
Ernsthafte Zweifel an einer regelmä- ßigen sportlichen Betätigung in al- len Lebensabschnitten sollte es nicht mehr geben.
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med. Hartmut Krahl Orthopädische Klinik und
Poliklinik der Universität Heidelberg Schlierbacher Landstraße 200a 6900 Heidelberg-Schlierbach
Die Belastungstoleranz des Bewegungsapparates
Grundlagenforschung der Sportmedizin
Hartmut Krahl
318 Heft 6 vom 7. Februar 1980