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Archiv "Louis-Ferdinand Céline: „Ein großer Schriftsteller – eine unerträgliche Gestalt“" (27.01.2012)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 4

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27. Januar 2012 A 159 LOUIS-FERDINAND CÉLINE

„Ein großer Schriftsteller – eine unerträgliche Gestalt“

Vor 80 Jahren erschien das Hauptwerk des französischen Arztes und Autors.

E

igentlich heißt er Louis-Ferdi- nand Destouche (1894–1964), Céline ist der Vorname seiner Groß- mutter. Der Roman „Reise ans En- de der Nacht“ machte ihn 1932 über Nacht berühmt. Hierzulande ist Cé- line wenig bekannt. Erst 2003 er- schien in Deutschland eine unge- kürzte Übersetzung seines Haupt- werks. Wer war dieser „Höllen- clown“ und „Verwandlungskäfer“

(Klaus Theweleit), dessen Selbstin- szenierung den realen Menschen geschickt verbirgt? 1894 wird Cé - line in Courbevoie bei Paris geboren.

In „Tod auf Kredit“ beschreibt er seine Kindheit als Hölle aus „Urin, Kot und Schleim“, verstopften Toi- letten, Intrigen und kleinbürgerli- chen Rangeleien. Der Junge hasst jede Art von Zwang. Später begeg- net er auch Völkerbund, Kommu- nismus und Kapitalismus mit Ab- neigung. Ein Jahr verbringt der 13-Jährige in Deutschland, dann geht er bei Kaufleuten in Frank- reich in die Lehre. 1914 meldet Cé-

line sich freiwillig zum Militär. Die Demokratie ist seine Sache nicht.

Nach eigenem Bekunden hat er nie gewählt – wenn schon wählen, dann nur sich selbst: „Ich behaupte, der einzige zu sein, der es versteht, mich zu regieren.“ Nach drei Mo- naten wird er am Arm verletzt, und der Krieg ist für ihn beendet.

Zur Medizin gelangt Céline über die Rockefeller-Stiftung. Später spricht er von einer frühen Beru- fung, doch nicht um Kranke zu hei- len, sondern wegen des sozialen Rangs, den der Arztberuf einnimmt:

„Es war ein Weg, die Herkunft ab- zustreifen. Ein Arzt, das war für mich eine angesehene Person.“ Sei- ne Dissertation über Ignaz Semmel- weis ist eher ein Roman als eine wissenschaftliche Arbeit. Doch ob- wohl die Fakten nur teilweise stim- men, erhält Céline dafür die Note

„sehr gut“. Drei Jahre arbeitet Cé - line als Hygieniker für den Völker- bund in Genf, angesehen, gut be- zahlt und verheiratet mit einer Frau

aus bestem Haus. Doch die Ehe scheitert, der Vertrag läuft aus, und als Theaterautor bleibt Céline er- folglos.

1927 lässt er sich als praktischer Arzt in Montmartre nieder. „In mir ruhen tausend Seiten eines Alp- traums, der des Krieges selbstver- ständlich an erster Stelle“, schreibt er einem Freund. „Reise ans Ende der Nacht“ soll gerade kein ge- schlossener Roman sein, vielmehr ätzende Provokation, ein Pamphlet aus 20 000 Seiten Rohfassung, vom Autor immer wieder überarbeitet.

Der Text ist so vieldeutig, dass man alles in ihm lesen kann – ein düste- res Panoptikum der Hoffnungslosig- keit, Anklage des Krieges, moderne Robinsonade, Todeserfahrung und erlebtes Elend, Ausbeutung und Gewalt, umspannt vom Bild des Lebens als Reise zum Tod.

Ein dunkles Kapitel in Célines Leben ist sein wütender Rassismus, den er in mehreren Schriften vertritt.

Er sympathisiert mit Hitler und den Nationalsozialisten, doch denen ist der „Asphaltliterat“ mit seinem Anarchismus nicht geheuer. 1938 setzen sie einige seiner Werke auf ih- re „Liste des schädlichen und uner- wünschten Schrifttums“. Vielleicht kann man Céline begegnen wie der amerikanische Autor Philip Roth:

„Er ist wirklich ein großer Schrift- steller. Auch wenn sein Antisemitis- mus ihn zu einer widerwärtigen, un- erträglichen Gestalt macht.“

Christof Goddemeier

Zeichnung: Elke R. Steiner

K U L T U R

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