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Archiv "Europäische Patientengruppen: Fragwürdiges Finanzgebaren" (19.11.2010)

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A 2278 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 46

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19. November 2010

EUROPÄISCHE PATIENTENGRUPPEN

Fragwürdiges Finanzgebaren

Die Grenzen zwischen Interessenvertretern von Patienten und der Pharmaindustrie verwischen zusehends. Beleg hierfür ist das Sponsoring von Patientenorganisationen durch Pharmafirmen. Politiker fordern mehr Unabhängigkeit und Transparenz.

M

it einem europäischen Dach- verband und diversen Büros einzelner Verbände ist die Pharma- industrie in Brüssel eigentlich gut vertreten. Doch es scheint, als ge- nüge dies den Arzneimittelherstel- lern nicht. „In Brüssel haben wir erfahren, dass es mittlerweile noch eine weitere Lobby gibt, die das Geschäft der Pharmaindustrie dort unterstützt: mächtige Patientenor- ganisationen auf EU-Ebene. Sie sit- zen bei wichtigen Diskussionen mit

am Tisch, springen der Industrie oft kritiklos bei und sind in vielen Fäl- len alles andere als unabhängig.“

So beschreiben es die ARD-Jour- nalisten Caroline Walter und Alex - ander Kobylinski in ihrem Buch

„Patient im Visier: Die neuen Stra- tegien der Pharmakonzerne“. Die Autoren bemängeln vor allem, dass die Grenzen zwischen den Inter - essenvertretern zunehmend verwi- schen und kaum noch erkennbar ist,

wer welche Argumente vertritt.

Doch handelt es sich dabei nur um Einzelfälle oder doch um eine gän- gige Praxis?

Tatsächlich findet man gleich mehrere Beispiele für fragwürdige Allianzen zwischen Patientenver- bänden und der Industrie. Walter und Kobylinski verweisen unter anderem auf die europäische Brustkrebsverei- nigung Europa Donna, die sich in zahlreichen Ländern und bei der Eu- ropäischen Union (EU) für eine bes-

sere Versorgung von Brustkrebspa- tientinnen einsetzt. 2008 kam mit der Offen legung der Geschäftsberichte ans Licht, dass in den Vorjahren circa 90 Prozent des Etats der Dachorgani- sation durch die Pharmaindustrie fi- nanziert worden waren. Die Gelder stammten von Pharmakonzernen wie Novartis, Hoffmann-La-Roche, Gla- xosmithkline oder Schering.

Gegenüber dem von der ehe - maligen SPD-Europaabgeordneten

Karin Jöns geleiteten deutschen Mit- gliedsverband hatte Europa Donna gleichwohl stets abgestritten, von der Pharmaindustrie finanziell ab- hängig zu sein. Die Affäre blieb nicht ohne Folgen. Jöns und einige andere Vorstandsmitglieder der deut- schen Europa-Donna-Vertretung leg- ten ihre Ämter nieder. Zugleich kün- digte die fraktionsübergreifende Ar- beitsgruppe zu Brustkrebs im Euro- päischen Parlament ihre Zusammen- arbeit mit der Dachorganisation auf.

„Wir wollen keinen Lobbyis- mus durch die Hintertür“, kommentierte Jöns die Ent- scheidung. Die SPD-Politike- rin wies zugleich darauf hin, dass Europa Donna kein Ein- zelfall sei. „Wir wissen, dass die Pharmaindustrie mit im- mer subtileren Mitteln ver- sucht, Patienteninitiativen für ihre eigenen Interessen zu missbrauchen.“

Einen weiteren Beleg da- für, dass Patientenvereinigun- gen, die bei wichtigen EU-In- stitutionen lobbyieren und so politische Entscheidungen be- einflussen, von der Pharmain- dustrie gesponsert werden, liefert eine aktuelle Studie des internationalen Gesundheits- netzwerks Health Action In- ternational (HAI). Demnach erhielten zwei Drittel der Pa- tientenorganisationen, die mit der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) in London zusammenarbei- ten, in den Jahren 2006 bis 2008 Gelder von Pharmaunternehmen.

Die Zuschüsse machten zwei bis 99 Prozent des Finanzierungsvolumens der einzelnen Gruppen aus.

HAI hatte 23 Organisationen be- fragt und im Internet nach weiteren Informationen gesucht. Heraus kam auch, dass der Anteil der Sponso-

Foto: dpa

Wir wollen keinen Lobbyismus durch die Hintertür.

Karin Jöns, ehemalige SPD-Europaabgeordnete

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A 2280 Deutsches Ärzteblatt

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19. November 2010 rengelder von Jahr zu Jahr gestie-

gen war. Lagen die Zuschüsse 2006 bei durchschnittlich 185 500 Euro, betrugen sie 2008 bereits 321 230 Euro. Weniger als die Hälfte der Vereinigungen hatten die Öffent- lichkeit über die Sponsoren und die Höhe der Zuwendungen informiert.

Dabei verlangen die Verfahrensre- geln der EMA, dass Patientenver- tretungen, die mit der Behörde zu- sammenarbeiten, ihre Finanzierung offenlegen. Das betrifft sowohl die Nennung der Finanzierungsquellen als auch Angaben über die Höhe des Sponsorings und dessen Anteil am Finanzierungsvolumen.

Patient im Dienst der Industrie Zu ähnlichen Ergebnissen wie HAI kam auch das europäische Analyse - institut Corporate Europe Observa- tory (CEO). Einer CEO-Studie zu- folge werden mehr als die Hälfte der mit der EMA kooperierenden Pa- tientenorganisationen von der Indus- trie finanziell unterstützt. Dies gilt beispielsweise für die International Alliance of Patients’ Organizations (IAPO). Die Vereinigung erhielt zum Untersuchungszeitpunkt 97 Prozent ihrer Mittel von Unternehmen aus der Gesundheitswirtschaft, darunter Pfizer, Glaxosmithkline und andere große Pharmakonzerne.

Das European Patients’ Forum (EPF), dem 44 Patientenorganisatio- nen angehören und das nach eigenen Angaben die Interessen von etwa 150 Millionen Patienten in Europa vertritt, bestritt im selben Zeitraum 88 Prozent seiner Einnahmen über die Industrie. Das EPF ist seit circa vier Jahren erster Ansprechpartner der EU-Kommission bei Fragen rund um den europäischen Patienten.

Walter und Kobylinski halten diese Entwicklung für bedenklich.

„Das Fatale daran ist, dass Patien- tenorganisationen bei der europä - ischen Gesetzgebung eine immer wichtigere Rolle spielen.“ Denn, so die Journalisten: „Politiker hö- ren auf sie, weil sie denken, man müsste die Perspektive der Patien- ten berücksichtigen. Dass diese Patientenorganisationen weitestge- hend ein Sprachrohr der Pharma - industrie sind, wird nicht wahrge- nommen.“

Eine Sprecherin der EU-Kom- mission bestätigt, dass die Patien- tenorganisationen, allen voran das EPF, in Brüssel eine wichtige Rolle spielten. Eine aktive Beteiligung in Form von Stellungnahmen oder ei- ner Teilnahme an Veranstaltungen sei ausdrücklich gewünscht. Die Brüsseler Behörde hat für ihren Be- ratungsbedarf eigens ein Gremium geschaffen, das beispielsweise an der Ausarbeitung und Umsetzung der EU-Gesundheitsstrategie beteiligt ist. 50 Interessenver- tretungen aus dem Gesund- heitsbereich gehören dem EU Health Policy Forum an, dar - unter auch zahlreiche Pa - tientenvertreter. Wie weit der Einfluss einzelner Organisa- tionen innerhalb des Forums tatsächlich reicht, lässt sich allerdings nur schwer fest- stellen.

Auch scheinen nicht alle Politiker dem Irrglauben zu erliegen, Patientenorganisa- tionen seien grundsätzlich unabhängig. „Wir müssen in Europa noch stärker als in Deutschland darauf achten, dass Patientenselbsthilfegruppen wirk- lich für die Betroffenen sprechen“, machte beispielsweise der gesund- heitspolitische Sprecher der christ- demokratisch-konservativen Frakti- on im Europäischen Parlament, Pe- ter Liese, auf dem diesjährigen Deutschen Ärztetag in Dresden deutlich. Schließlich gelte auch hier der Grundsatz: „Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing’.“

Nötig sind öffentliche Mittel Liese fordert strenge Regeln für die Finanzierung von Patientenorgani- sationen und eine stärkere Unter- stützung durch öffentliche Stellen.

Die EU zeigt sich in dieser Hinsicht bislang allerdings recht knauserig.

In den Jahren 2008 und 2009 haben nur drei europaweit tätige Organi- sationen Mittel aus dem europä - ischen Haushalt erhalten, und zwar die Europäische Multiple-Sklerose- Plattform, Alzheimer Europe und Eurodis, eine europäische Selbst- hilfeorganisation für Patienten mit seltenen Erkrankungen. Jöns meint indessen, dass sich die subtile Ein-

flussnahme der Pharmakonzerne auf Selbsthilfeorganisationen für die Industrie durchaus lohne. So sei ihr aufgefallen, schreiben Walter und Kobylinski, dass die großen EU-Patientenorganisationen keine Aktionen gegen die hohen Medika- mentenpreise der Hersteller veran- stalteten oder diese kritisierten. Auch würden sie sich nie für sinnvolle Behandlungsalternativen engagie- ren, sondern immer nur den schnel- len Zugang zu neuen Arznei- mitteln fordern – ganz im In- teresse der Industrie.

Dabei haben sich 16 auf EU-Ebene tätige Selbsthilfe- gruppen Ende 2009 einen Kodex eigens für den Um- gang mit der Gesundheits - industrie auferlegt. Darin verpflichten sich die Orga- nisationen, ihre Geldquellen offenzulegen und der Öf- fentlichkeit jederzeit Zugang zu Dokumenten, wie Ge- schäftsberichten oder On- line-Informationen zu ge- währen. Auch sollen die je- weiligen Anteile der Sponso- ren am Finanzierungsaufkommen transparent gemacht werden. Um einseitige Abhängigkeiten zu ver- meiden, sollen die Selbsthilfegrup- pen möglichst mehrere Finanzie- rungsquellen haben.

Patientenvertretungen müssten bei ihren Kontakten mit der Ge- sundheitsindustrie unabhängig und transparent auftreten, um glaubwür- dig zu bleiben, erklärte François Houyez, Direktor Gesundheitspoli- tik bei Eurodis, bei der Veröffentli- chung des Kodex. Eine Antwort auf die Frage, warum dies in der Praxis offensichtlich nicht funktioniert, wie die Untersuchungen von HAI und CEO nahelegen, hat Eurodis dem Deutschen Ärzteblatt gleich- wohl bis heute nicht geliefert. Auch die EMA scheint ihre eigenen, be- reits im Jahr 2005 eingeführten Ver- fahrensregeln nicht wirklich ernst zu nehmen. Jedenfalls dürfen die Selbsthilfegruppen, die ihre Finan- zierungsquellen nur unzureichend offengelegt haben, weiter ohne Ein- schränkung an Sitzungen der EMA

teilnehmen. ■

Petra Spielberg Caroline Walter,

Alexander Kobylins - ki: „Patient im Vi- sier: Die neuen Strategien der Phar- makonzerne“. Hoff- mann und Campe 2010

P O L I T I K

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