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30 Jahre Sächsische Impfkommission

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Ärzteblatt Sachsen 8|2021

Vor 30 Jahren, am 31 . Juli 1991, wurde die Sächsische Impfkommission ge ­ gründet . Bis heute ist sie mit ihrem Aufgabenprofil die einzige Impfkom­

mission auf Landesebene in Deutsch­

land . Auch im aktuellen „Handbuch der Impfpraxis“ [1] wird sie als einzige Impfkommission neben der „Ständigen Impfkommission am RKI (STIKO)“ ge ­ nannt . Deren 30 . Gründungsjubiläum sowie die Diskussionen über Masern­

oder Corona­Schutzimpfungen sind ein guter Anlass, die Entwicklung dieses wichtigen sächsischen Beratungsgre­

miums für die Prophylaxe von Infekti­

onskrankheiten und den gesamten Öffentlichen Gesundheitsdienst Sach­

sens vorzustellen . Impfempfehlungen

In der DDR hat eine Beraterkommission des „Ministeriums für Gesundheits­

wesen“ (MfGe) fachlich­inhaltlich wie sprachlich Impfgesetze und Durchfüh­

rungsbestimmungen formuliert . Diese Kommission bestand aus zehn vom MfGe berufenen B­promovierten Ärz ­ ten der Fachrichtungen Mikrobiologie, Pädiatrie, Infektiologie, Hygiene und

Öffent licher Gesundheitsdienst sowie nichtmedizinischen Vertretern . Die nichtmedizinischen Vertreter des MfGe haben die Vorlagen nicht wesentlich geändert oder gar verhindert .

Die „Anordnung zur Durchführung von Schutzimpfungen“ vom 1 . Juni 1949 (Zentralverordnungsblatt, Teil 1­Jahr­

gang 1949) war die erste Impfverfü­

gung in der DDR . Es gab danach wei­

tere gesetzliche Regelungen alle zwei bis fünf Jahre mit Neuerungen und Erweiterungen . Sehr viele Impfungen waren in der DDR Pflichtimpfungen nach den gesetzlichen Vorgaben, wie zum Beispiel in der „Anordnung über Schutzimpfungen im Kindes­ und Jugendalter vom 3 . August 1984“ (Ge ­ setzblatt der DDR Teil I, Nr . 25 vom 18 . September 1984) . Dem zuständigen Ministerium für Gesundheitswesen der DDR (MfGe) wurden diese Impfempfeh­

lungen wissenschaftlich begründet von der „Beraterkommission für Impffra­

gen“ vorgelegt . Die Pflicht zur Impfung galt in der DDR als Ausdruck staatlicher Gesundheitsfürsorge und wurde von der Bevölkerung weitgehend akzeptiert und weniger als Einschränkung der

persönlichen Entscheidungsfreiheit ge ­ sehen (Abb . 1) . Strafrechtliche Verfol­

gung von Impfverweigerung kam kaum vor (Handbuch der Impfpraxis, 2020) . In der BRD (alt) galten von 1972 bis 1990 andere Gesetze nach den Emp­

fehlungen der „Ständigen Impfkommis­

sion“ (STIKO) am Bundesgesundheits­

amt (BGA) . Pflichtimpfungen gab es, außer für die Pockenimpfung bis 1983, nicht . Politische Wende 1989/1990

Zwischen dem Tag des „Mauerfalls“ in Berlin vom 9 . zum 10 . November 1989 bis zum Tag der Wiedervereinigung Deutschlands am 3 . Oktober 1990 waren die gesellschaftspolitischen Strukturen, besonders auch im Öffent­

lichen Gesundheitsdienst in der DDR, wegen vieler Um­ beziehungsweise Wegzüge in die BRD oder Entlassungen unübersichtlich und eingeschränkt . Ein Beispiel: Der Autor wurde als damaliger

„Leiter der Abteilung Mikrobiologie und Virologie“ am Bezirks­Hygiene­Institut Karl­Marx­Stadt wegen einer „Auffor­

derung zur Stellungnahme an den FDGB“ (FDGB = Freier Deutscher Ge ­ werkschaftsbund) seiner 50 Mitarbeiter

MEDIZINGESCHICHTE

30 Jahre Sächsische Impfkommission

Abb . 1: Grippeschutzimpfung in der Wasserglasfabrik Wurzen, 1984 .

© SLUB/Deutsche Fotothek/Weber, Gerhard

Abb . 2: 1 . Staatsminister für Gesundheit, Soziales und Familie des Freistaates Sachsen, Dr . rer . nat . Hans Geisler

© Archiv

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MEDIZINGESCHICHTE

am 1 . Oktober 1989 wegen „staats­

feindlicher Haltung“ am 7 . Oktober 1989 mündlich vom Bezirksarzt seiner

„leitenden Stellung als Bezirksepide­

miologe“ entbunden [2] . Da jedoch kein anderer verantwortlicher Mediziner zur Verfügung stand und laut Bezirksarzt

„kein Gefängnisplatz mehr frei“ war, arbeitete er in seiner Stellung einfach weiter .

1990 kam die schriftliche Aufforderung an die Abteilung für Gesundheit und Soziales im Bezirk Chemnitz die Impf­

empfehlungen der „Ständigen Impf­

kommission“ (STIKO) am Bundesge­

sundheitsamt (BGA) zu übernehmen . Das wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, das die Impfanweisungen der DDR moderner waren . Nach langer Kontroverse mit den Vorsitzenden und Juristen der Bezirksverwaltungsbehör­

de Chemnitz urteilten diese, dass in der föderativen Bundesrepublik Schutz­

impfungen nur durch das jeweilige Bundesland und nicht durch den Bund selbst empfohlen werden können (BSeuchG §14 [3], jetzt IfSG §20 [3]) . Gründung der „Sächsischen Impfkommission“ (SIKO)

Dies war der Grund, weshalb nach der Wiedervereinigung am 3 . Oktober 1990 auch auf Drängen und Bitten vieler praktisch tätigen Ärzte im neuen Frei­

staat Sachsen eine Regelung mit dem neuen Staatsminister für Soziales, Gesundheit und Familie, Dr . rer . nat . Hans Geisler (Abb . 2), gefunden werden musste (Brief vom 28 . Januar 1991

„Dringlichkeit einer eigenen Empfehlung für staatlich empfohlene Impfungen im Freistaat Sachsen“, Abb . 3) . Bereits am 31 . Juli 1991 wurde dann die „Sächsi­

sche Impfkommission“ (SIKO) berufen (Abb . 4) . Die konstituierende Sitzung der SIKO fand unter Leitung des Vertre­

ters des Sächsischen Staatsministeri­

ums für Soziales, Gesundheit und Familie (SMS), Dipl .­Med . Albrecht Ein­

bock, am 12 . November 1991 in Dres­

Abb . 3: Brief vom 28 . Januar 1991 zur „Dringlichkeit einer eigenen Empfehlung für staatlich empfohlene Impfungen im Freistaat Sachsen“

© Privatarchiv

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den statt . Berufen wurden auf Initia­

tive des Autors Vertreter aus allen Fachdisziplinen und Wissenschaftsbe­

reichen, den beiden sächsischen Uni­

versitäten und allen Fachgesellschaf­

ten, die sich mit Schutzimpfungen wis­

senschaftlich beschäftigen und für die Durchführung zuständig waren . Nur so war und ist eine umfassende Regelung und Akzeptanz von Infektionsprophy­

laxe durch Impfungen für alle Perso­

nenkreise realisierbar . Und so ist es im Gegensatz zur STIKO bis heute .

Geschäftsordnung der STIKO und SIKO

Während die STIKO bis 2008 ohne eine eigene Geschäftsordnung und nur auf Basis der gesetzlichen Regeln des Bun­

desgesundheitsamtes tätig war, hat die SIKO bereits seit 1993 eine eigene Geschäftsordnung (Aufgaben, Mitglied­

schaft, Berufungen, Sitzungen, Be ­ schlüsse et cetera) .

Durch den Staatsminister berufene Mitglieder der I . SIKO von 1991 bis 1995 waren:

• Doz . Dr . sc . med . Siegwart Bigl, Landesuntersuchungsanstalt (LUA) Sachsen, Institut Chemnitz,

• Dipl .­Med . Albrecht Einbock, SMS Dresden,

• Dr . med . Wolf­Dietrich Kirsch, Krankenhaus St . Georg, Infektionsklinik Leipzig,

• Dr . med . habil . Hans­Jürgen

Nentwich, Städtisches Krankenhaus Kinderklinik Zwickau,

• Prof . Dr . med . habil . Wolfgang Raue, Universitäts­Kinderklinik Leipzig,

• Dr . med . Günter Schaarschmidt, Klinik für TBC und Lungenkrank­

heiten, Chemnitz,

• Doz . Dr . med . habil . Horst Todt, Medizinische Akademie Carl­Gustav­

Carus, Kinderklinik Dresden,

• Dr . med . Wilfried Oettler, SMS Dresden (für Dipl .­Med . Einbock ab 1993) .

Sekretariat:

• Dr . med . Dagmar Kluge, LUA Chemnitz,

• Dr . med . Gerlinde Fellmann, LUA Leipzig .

Die Vorsitzenden der SIKO:

• 1991 bis 2008 Prof . Dr . med . habil . Siegwart Bigl,

• 2009 bis 2020 Dr . med . Dietmar Beier und

• seit 2021 Dr . med . Thomas Grünewald . Entsprechend der Geschäftsordnung werden alle vier Jahre die Mitglieder neu berufen .

Unterschiede in den Impfempfehlungen von SIKO und STIKO

Die Unterschiede in den Impfempfeh­

lungen der STIKO und SIKO haben sich seit der Wiedervereinigung Deutsch­

lands 1990 bis heute teilweise aufge­

hoben, dennoch gibt es sie noch . Diese sind aus Vergleichen der jährlichen Ver­

öffentlichungen der STIKO im „Epide­

miologischen Bulletin“ und der SIKO

„Empfehlungen der Sächsischen Impf­

kommission zur Durchführung von Schutzimpfungen im Freistaat Sachsen“

für jeden Fachmann ablesbar . MEDIZINGESCHICHTE

Abb . 4: Brief vom 31 . Juli 1991 zur Berufung in die Sächsische Impfkommission

© Privatarchiv

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Die wichtigsten Unterschiede sind:

• vor 1990 grundsätzlich zweimalige Masernimpfung als Pflichtimpfung (Pflicht zur Wende abgeschafft) . Masernimpfpflicht erst wieder neu seit 2021,

• eine generelle Impfempfehlung gegen Pertussis, Hepatitis A und Influenza in jedem Alter für Kinder und Erwachsene (entsprechend der Impfstoffzulassung),

• seit dem 1 . Januar 2008 Rotavirus­

impfung für Kinder (STIKO erst seit Juli 2013),

• Meningokokkenimpfung Typ B und Meningokokkenimpfung Typ A, C, W und Y für alle Kinder statt nur C,

• simultane Tetanusimpfung gegen Tetanus bei allen Verletzungen Ungeimpfter und anderer .

Die Unterschiede führten zu verschie­

denen Erkrankungsraten [3] aber im gegen seitigen fachlichen Verhalten zu keinen ernsthaften Folgen . Die SIKO­

Empfehlungen waren fast immer um ­ fangreicher und oft einige Jahre früher als die STIKO­Empfehlungen, außer zur Wende, wo es im Osten einzelne moderne Impfstoffe noch nicht genü­

gend gab, wie zum Beispiel Hepatitis B oder Mumpsimpfstoff . Dies ist doch baldigst behoben worden .

Die SIKO war fast immer im Impfum­

fang der STIKO voraus . Sie hat sich von Anfang an an die USA­Angaben als quasi Vorgaben gehalten (siehe „VACCI­

NES“ Handbücher von Plotkin und Oren­

stein, 1988, 1994, 1999, 2004, 2008, 2013, 2017) und die Jahresberichte . Dies wurde von allen unterschiedlichen ärztlichen Berufsgruppen in der SIKO im Detail besprochen . Konsequenzen gab es gelegentlich von manchen Krankenkassen wegen der Bezahlung . Widersprüchlich waren diesbezüglich vor allem die oft jahrelangen früheren Standardimpfempfehlungen der SIKO gegenüber den nur Indikationsimpfun­

gen der STIKO, zum Beispiel Meningitis

B­Impfungen und Meningitis A, C, W135, Y­Impfung statt nur monovalent Meningitis C­Impfung . Dies waren aber keine echten Widersprüche . Die Unter­

schiede zwischen den Impfempfehlun­

gen STIKO und SIKO wurden zudem immer auf Impftagungen besprochen . So zum Beispiel auf dem 20 . Sächsi­

schen Impftag in Leipzig 2016 . Schlussbemerkung

Die erfolgreiche Prophylaxe und Be ­ kämpfung von Infektionskrankheiten bedarf einer komplexen wissenschaft­

lich begründeten und staatlich koordi­

nierten und kontrollierten Vorgehens­

weise . Dies ist im Freistaat Sachsen nach der Wiedervereinigung 1990 mit der Gründung einer „Sächsischen Impf­

kommission“ (SIKO) am 31 . Juli 1991 trotz oder gerade wegen der politi­

schen Wirren in der Wiedervereini­

gungszeit 1990/1991 gelungen . Die erfolgreiche Entwicklung der SIKO seit

30 Jahren ist zurückzuführen auf die berufenen Mitglieder aus Praxis und Wissenschaft sowie den Organisatoren der zahlreichen Impffortbildungsveran­

staltungen, besonders auch dem jährli­

chen Leipziger Impftag .

Die eingangs beschriebenen Unter­

schiede im Öffentlichen Gesundheits­

dienst zwischen Ost­ und West­

Deutschland sind trotz gesamtdeut­

scher Bemühungen („Fulda­Resolution“

von 1995) [4] leider bis heute nicht behoben worden . Dies wird aktuell bei der Bewältigung der Corona­Pandemie be sonders deutlich .

Alle Einzelheiten der Unterschiede in den Impfempfehlungen SIKO/SIKO in den Jahren seit 1990 können auf Anfrage vom Autor nachgeliefert werden [3, 5 – 7] .

Literatur unter www .slaek .de Presse/ÖA Ärzteblatt Prof . Dr . med . habil . Siegwart Bigl, Chemnitz E­Mail: siegwart@bigl .de

PROF. DR. MED. HABIL. SIEGWART BIGL

• 1964 bis 1968 Facharztweiterbildung am „Hygiene­Institut

Karl­Marx­Stadt“ (heute Chemnitz) zum „Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie“

• Tätigkeit in Hygienedisziplinen, wie Trink­ und Abwasserunter­

suchungen, Lärm und Geruchsbelästigungen, Hygiene in Kindereinrichtungen und Schulen uns so weiter

• 1978 bis 1990 als „Facharzt für Kinder­ und Jugendmedizin“ und

„Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie“ mit anderen medizinischen Fachspezialisten (Prof . Dr . Dittmann, Prof . Dr . Ocklitz, Frau Prof . Dr . Thilo, Dr . Müller, Frau Dr . Hülse und

anderen) fachlicher Berater des „Ministeriums für Gesundheits­

wesen“ (MfGe) der DDR und ab 1987 in der „Beraterkommission”

des MfGe

• Initiator und Mitbegründer der Sächsischen Impfkommission (SIKO) sowie deren Vorsitzender von 1991 bis 2008

• 1998 bis 2007 Berufenes Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO)

• 1990 bis 2003 Abteilungsdirektor Humanmedizin bei der Landesuntersuchungsanstalt Sachsen, Institut Chemnitz

• 1992 bis 2003 Vizepräsident und von 1992 bis 1993 sowie von 1997 bis 1999 Präsident der Landesuntersuchungsanstalt Sachsen

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