• Keine Ergebnisse gefunden

Galileo Galilei und die Medizin

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Galileo Galilei und die Medizin"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Medizingeschichte

36 Ärzteblatt Sachsen 1 / 2015

Galileo Galilei und die Medizin

Zum 450. Geburtstag des großen Naturwissenschaftlers

Am 15. Februar 1564, einem Diens- tag, wurde dem Mathematiker und Musiktheoretiker Vincenzio Michel- angelo Galilei und seiner Ehefrau Giulia in Pisa ein Sohn geboren, in den die Eltern große Hoffnungen setzten, zu Recht, wie wir wissen.

450 Jahre nach seiner Geburt gilt Galileo Galilei noch immer als einer der größten Wissenschaftler aller Zeiten, und mehr als 10. 000 Artikel über ihn allein in der „Bibliographie Galileiana“ lassen die Frage aufkom- men, ob es überhaupt noch einen Aspekt in Galileis Leben gibt, der nicht schon viele Male beleuchtet und dargestellt worden ist. Galileis Beziehungen zur Medizin sind ein solcher Aspekt. Am Anfang steht der Vorfahre Galileo Bonaiuti (um 1370 – um 1450), der Arzt war. Die ersten eigenen Erfahrungen mit dem ärztli- chen Stand macht unser Galileo als 15-Jähriger, als er während seines Aufenthalts in der Klosterschule Santa Maria di Vallombrosa östlich von Florenz an einem „schweren Augenleiden“ erkrankt und deshalb Mönch werden will. Ob hier schon Blendungserscheinungen im Sinne

einer Retinitis centralis solaris durch

„unbewaffnetes“ Betrachten der Sonne vorliegen, könnte ein Diskus- sionspunkt sein. Da jedoch die meis- ten Eltern wollen, dass es dem Sohn einmal besser gehen soll als ihnen, schickt ihn der Vater zum Medizin- studium nach Pisa; ein studierter Arzt genießt Ansehen und materielle Sicherheit. Galileo fügt sich und schreibt sich in die Matrikel der Medizinischen Fakultät ein, merkt aber bald, dass sein Interesse weni- ger der Medizin als der Mathematik gilt, und beschäftigt sich lieber mit Euklid als mit Hippokrates und Galen, deren Werke er jedoch, immer auf einen unverhofften Besuch des Vaters vorbereitet, demonstrativ in seiner Studierstube liegen lässt.

Schließlich kann er den Vater über- zeugen, studiert Geometrie, Mathe- matik, Physik und Astronomie, bricht nach vier Jahren das Studium ab, verdingt sich als Privatlehrer in Siena und Florenz, ohne seine Forschun- gen zu vernachlässigen. Die Universi- tät Pisa bietet ihm 1589 eine Profes- sorenstelle für Mathematik an, die Galilei trotz der schlechten Bezah- lung von 60 Scudi pro Jahr annimmt.

Als Professor der Medizin hätte er 2000 Scudi verdient! Dennoch kommt Galilei nie der Gedanke, dass er vielleicht doch lieber Medizin stu- diert hätte. 1592 geht er, etwas bes- ser dotiert, in gleicher Eigenschaft

nach Padua, wo er 18 glückliche Jahre verbringt und wo seine Vorle- sungen auch von Medizinstudenten besucht werden. In Padua freundet er sich mit dem Anatomen und Chirurgen Hieronymus Fabricius d’Acquapendente (1537 – 1619), dem Begründer der modernen Em - bryologie und Erbauer des berühm- ten anatomischen Theaters in Padua, und dem Universalgelehrten Paolo Sarpi (1552 – 1623) an. Und hier entwickelt Galilei auch seine Theo- rien zum freien Fall und zur Bewe- gungsbeschleunigung, konstruiert ein neues Fernrohr (nach holländi- schem Modell), entdeckt vier Jupiter- monde und nimmt die Stellung eines

„Ersten Mathematikers und Philoso- phen des Großherzogs der Toskana“

ein. Immer wieder betont er die Wichtigkeit des Versuchs, wird so zum Pionier der experimentellen Methode in den Naturwissenschaf- ten. Außerdem macht er praktische Angaben über den Gebrauch des Mikroskops, die nach Wolfgang Münchow (1923 – 1986) für die Geschichte der Medizin und der Augenheilkunde von größerem Inte- resse sind als die zum Fernroh und des Thermometers, was ihn wieder in die Nähe zur Medizin bringt, ganz abgesehen von der eigenen Krank- heit, die ihn ab 1594 quält und häu- fig ans Bett fesselt. Alles deutet auf eine schwere Arthritis (urica?) hin.

Vorgestellt: Langjäh­

rige Autoren des

„Ärzteblatt Sachsen“

Dr. med. habil. Volker Klimpel Curriculum vitae

Volker Klimpel wurde 1941 in Wei- mar geboren und wuchs in Mühl- hausen/Thüringen auf. Das Medizin- studium absolvierte er in Leipzig und Erfurt. Nach Approbation und Pro- motion wurde er Chirurg in Eisenach und Erfurt. Viele Jahre arbeitete Klimpel in der Poliklinik Dresden- Löbtau und später in der Abteilung für Geschichte der Medizin der Medizinischen Akademie Erfurt.

Wieder in Dresden, habilitierte er 1990 extern an der Medizinischen Akademie „Carl Gustav Carus“ in Medizingeschichte. Von 1991 bis

zum Ruhestand war er Gutachter beim MDK Sachsen. Zu seinen über 100 medizinhistorischen Einzelarbei- ten zählen auch Beiträge im Ärzte- blatt Sachsen. Seine Arbeitsgebiete betreffen unter anderem die Ge - schichte der Chirurgie, Literatur und Medizin und die sächsische Medizin- geschichte. Klimpel ist Mitglied der Projektgruppe „Traditionspflege“ bei der Deutschen Gesellschaft für Chir- urgie. Von seinen Büchern seien genannt „Das Dresdner Collegium medico-chirurgicum“, „Dresdner Ärz- te“, „Schriftsteller-Ärzte“, „Frauen der Medizin“, „Ärzte-Tode“, „Das medizinische Dresden“ und „Das heilkundige Sachsen“.

Redaktion des „Ärzteblatt Sachsen“

© SLÄK

(2)

Namhafte Mediziner, mit denen er eng verbunden ist, können ihm nicht helfen. Dazu gehören unter anderem Santorio Santorio (1561 – 1636) und Alfonso Borelli (1608 – 1676). Santo- rio widmet 1614 Galilei sein Werk

„De statica medicina“, in dem er seine Experimente zur „Perspiratio insensibilis“ beschreibt, und bezeich- net den Physiker als seinen Meister.

Santorio gilt als Pionier der Stoff- wechselforschung und Pulsmessung;

zusammen mit Galilei konstruiert er ein Thermometer. Borelli folgt Gali- leis und Santorios iatrophysikali - schen Gedanken („De motu anima- lium“ 1680/81). Auf den englischen Arzt und Anatomen William Harvey (1578 – 1657), den Entdecker des Blutkreislaufs, wirkt Galilei insofern ein, als er ihm die Gesetze der Bewe- gung fester Körper an die Hand gibt und ihn so das Problem der Herz- bewegung und des Blutumlaufs auf physikalisch-mechanische Weise lösen lässt. Galilei pendelt zwischen Padua, Florenz, Rom und Venedig, trägt an Universitäten, vor dem Adel und dem Klerus seine Forschungen zum heliozentrischen Weltbild vor, die zunächst anerkannt, dann aber als ketzerisch verurteilt werden und Galilei vor die Inquisition bringen.

Die Vorgänge einschließlich der auf den Index der verbotenen Schriften gesetzten „Dialoge“ sind hinlänglich bekannt und spätestens seit Bertolt Brechts (1898 – 1956) „Leben des Galilei“ (1938, Uraufführung 1943) auch populär, wobei der Ausspruch

„...und sie dreht sich doch!“ nach dem im Angesicht der Folter erfolg- ten Widerruf Galileis Anekdote ist.

Zum Zeitpunkt der Haft und des Inquisitionsprozesses (1633) ist Gali- lei längst ein kranker Mann, ist ver- zweifelt nach Loreto gepilgert, ohne Heilung zu finden, hat mehrere schwere arthritische Schübe hinter sich und be kommt 1632 wieder „ein schweres Augenleiden“, eine ge naue Diagnose liegt nicht vor. Als seine älteste Tochter Virginia (1600 –

1634) stirbt, erkrankt Galilei „lebens- gefährlich“ und stürzt in tiefe Depressionen. Mit dem Jahr 1637 wird der „Verlust der Sehfähigkeit“

angegeben. Aus ophthalmologischer Sicht dürfte es sich am ehesten um den unbehandelten Grauen Star (Cataracta senilis) ge handelt haben.

Auch eine alternsbedingte Makula- degeneration kommt in Betracht (Jähne). Eine von ihm für solche Fälle entwickelte Fernrohrbrille hat Galilei offenbar aber nicht benutzt, jeden- falls gibt es keine bildlichen Darstel- lungen, die darauf hinweisen. Trotz des bedenklichen Ge sundheits zu- standes verweigert Papst Urban VIII.

(1568 – 1644) die Aufhebung des Hausarrestes in Arcetri. Glieder- schmerzen, Schlaflosigkeit, Unruhe und Abmagerung nehmen zu, wäh- rend er sich noch immer mit Aristo- teles, den er doch widerlegt hat, beschäftigt, Traktate verfasst und seine bereits im Druck erschienenen Tagebücher überarbeitet. Das Ende zieht sich über zwei Monate hin,

begleitet von Fieber und Herzrasen.

Am 8. Januar 1642, einem Mittwoch, stirbt der „geniale Ketzer“ und Begründer der sogenannten klassi- schen Naturwissenschaften. Knapp ein Jahr später, am 4. Januar 1643, kommt Isaac Newton (1643 – 1727) zur Welt, und knapp 100 Jahre nach Galileis Tod – 1737 – werden seine sterblichen Überreste in die Basilica Santa Croce in Florenz umgebettet und dabei drei Finger, ein Zahn und ein Rückenwirbel entwendet. 2009 tauchen ein Daumen, ein Mittelfin- ger und ein Zahn bei einem Sammler auf und werden durch DNA-Analyse als Körperteile Galileis identifiziert – das letzte Zusammentreffen des Phy- sikers mit der Medizin?

Für wichtige Hinweise zu Galileis Augen erkrankungen danke ich Herrn Priv.-Doz.

Dr. med. Manfred Jähne, Aue, sehr herzlich.

Dr. med. habil. Volker Klimpel, Dresden

Medizingeschichte

Ärzteblatt Sachsen 1 / 2015 37

© Wikimedia Commons

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Aus politischer Sicht kann aber nicht geleugnet werden, dass die GNSS als Dual-Use Systeme nicht nur von großer Be- deutung für die zivile Wirtschaft, sondern mehr noch

Der In- quisitionsprozess 1633 wird ausf¨uhrlich geschildert, wenn ihm auch — wie Moritz Cantor bedauernd erkl¨art — ein Einblick in die Prozessakten, die erst 1984 freigege-

So wie der Begriff der Intensität in das vage Konzept von Geschwindigkeits- graden überführt wird, wird auch die traditionelle Deutung von Flächen als Quantitäten aufgegriffen.

(Treffpunkt Alte Technik) Lessingstraße 25 Tel: 83 79 83 Music House (Liveband). Mondscheingasse 8 Tel: 83 2316

Allein durch Galileis Eintreten für Kopernikus lässt sich der Fall seiner Abschwörung jedoch nicht verstehen. Ihre Geschichte verdeut- licht zudem die Besonderheiten von

Agucchis in der Zeit des beginnenden Austausches mit Galileo abgefasste Relatione über die Villa Aldobrandini in Frascati (Abb. i) greift in ihrem ausführlichen Lob der Aussicht aus

Galileo fügt sich und schreibt sich in die Matrikel der Medizinischen Fakultät ein, merkt aber bald, dass sein Interesse weni- ger der Medizin als der Mathematik gilt,

diensten, die sich Vincenzo Viviani um das Erinnerungsmal für seinen Lehrmeister erworben hat, ist hier, wie bei den späteren Autoren, kaum mehr die Rede. Wenige