• Keine Ergebnisse gefunden

Achtung, die Gringos kommen

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Achtung, die Gringos kommen"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

128 IP Mai / Juni 2015

© Henning Kettel

Klaus Ehringfeld | „Jetzt oder nie“, sagte Elizabeth zu mir: „Da geht was zu Ende, das ist historisch, das kommt nie wieder.“ Wenn erst die Gringos kämen, dann sei Kuba nicht mehr Kuba, setzte meine Freundin nach.

Elizabeth ist Kolumbianerin und hat also nicht wie ich schon mal gesehen, was passiert, wenn plötzlich eine Mauer fällt und ein Museum zum Vor- schein kommt. Und so ein bisschen wie in der DDR ist das ja auch mit dieser Karibik-Insel. Sie hat etwas von einem historischen Ort, stehengeblie- ben in der Zeit. Dieses kleine Eiland, das seit einem halben Jahrhundert im Meer des Kapitalismus umherdüm- pelt, hat allen Widerständen getrotzt.

Aber nun soll durch Annäherung der Wandel erreicht werden, den die Isolation nie schaffte. Die Castro- Regierung hatte Ende Dezember 2014 Freundschaft mit dem Lieblingsfeind verordnet und die USA zum Neu- freund erklärt. Nun sollen Botschaf- ten eröffnet werden, Investoren kom- men und vor allem Touristen.

Also fährt man noch schnell in diese wunderbar morbide und char- mante Hauptstadt des Museums. Es ist Februar, es ist ungewöhnlich kühl in Havanna und ungewöhnlich voll.

Trotz Nebensaison gibt es kein freies Hotelzimmer, alles ausgebucht. Es hat den Anschein, als seien die Amerika- ner schon da. An der legendären Ufer- promenade Malecón hört man eng- lisch, auf den aufgehübschten Plätzen im Zentrum von „Habana vieja“, dem historischen Zentrum der Stadt, hört man englisch, die Karten in den Res- taurants sind in zwei Sprachen ausge- legt. Die „Calle Obispo“ kommt einem mittlerweile vor wie eine Einkaufs- straße in jedweder karibisch-kapitalis- tischen Metropole. In die vielen Cabri- olet-Straßenkreuzer aus den fünfziger Jahren, die man für 50 Dollar pro Stunde mieten kann, quetschen sich rotgesichtige Gringos mit Sonnen- brand. Manche „Paladares“, diese hip- pen privaten Wohnzimmer-Restau- rants, muss man Tage im Voraus re- servieren, weil große Reisegruppen aus den USA sie gekapert haben.

Eigentlich ist diese Öffnung die logische Konsequenz einer Entwick- lung, seit Castro II 2008 die Geschäfte von Castro I offiziell übernommen hat. Reformen haben den Stillstand abgelöst. Bürger- und Freiheitsrechte, Internet, Häuser- und Autoverkauf, Ich-AGs – vieles, was jahrzehntelang undenkbar war, ist nun zugelassen.

Brief aus … Havanna

Achtung, die Gringos kommen

Doch die meisten Kubaner befürworten den Schmusekurs mit dem Erzfeind

Bild nur in

Printausgabe verfügbar

(2)

IP Mai / Juni 2015 129 Brief aus … Havanna

Havanna wandelt sich schneller als Berlin nach dem Mauerfall

Paladares schießen aus dem Boden, Privatunterkünfte, Souvenirläden, Ga- lerien und Designer-Shops öffnen. Mit großen Dosen Kapitalismus soll der offizielle Kommunismus gerettet wer- den. Havanna wandelt sich schneller als Berlin nach dem Mauerfall.

Was Menschen wie Elizabeth mit einem Stirnrunzeln quittieren, finden fast alle Kubaner zwischen Havanna und Santiago nur großartig. Sie befür- worten den Schmusekurs mit dem Erzfeind: Je mehr kämen, desto bes- ser, heißt es. „Wir brauchen das Geld, den Input“, sagen die Älteren. „Wir wollen mehr Internet, mehr Smart- phones, mehr coole Klamotten und mehr Musik“, fordern die Jüngeren.

Vergangenes Jahr kamen von den drei Millionen Kuba-Besuchern schon 600 000 aus den USA. Es waren Exil- kubaner und interessierte Urlauber, die mit Sondergenehmigung reisten oder sich über das generelle Reisever- bot hinwegsetzten. Nun hat Präsident Barack Obama die Ausnahmeregelun- gen für Besuche auf der Insel auf zwölf erweitert. Wie viele werden jetzt erst kommen?

Marielena antwortet auf diese Frage mit einem Lächeln. Sie ist in diesen Tagen des Kuba-Booms eine ausgesprochen zufriedene Frau.

Marie lena wohnt im Vedado, dem alten Bourgeois-Viertel von Havanna, einen Steinwurf entfernt vom Hotel Nacional, wo in den vierziger Jahren Hollywood-Größen und Mafiabosse aus den USA gemeinsam Mojitos tranken. Sie bewohnt schon seit der Revolution ein Penthouse im sechsten Stock eines Apartmenthauses. Es ist eher ein Palast: 300 Quadratmeter, zwei Stockwerke, vier Bäder, zwei Balkone, eine Dachterrasse. Der Auf-

zug endet direkt in der Wohnung.

Man hat sogar einen Blick auf die Bucht von Havanna – so lässt man sich die Revolution gefallen. Die ge- lernte Übersetze-

rin vermietet Zim- mer für 35 Dollar die Nacht. Und sie ist inzwischen das ganze Jahr über

ausgebucht. Wenn keine Gringos da sind, kommen die Touristen, die noch schnell Kuba sehen wollen, bevor die Amerikaner kommen.

Ihre Wohnung gehörte einmal dem Finanzminister der Regierung des Diktators Batista. Als die Revolution siegte, floh der Minister in die USA.

Marielenas Vater war Arzt und ent- schied sich, nicht zu gehen, sondern der jungen Revolution zu dienen.

Ging ja um die gute Sache. Der Vater war Gynäkologe am nahen Hospital Calixto García. Zum Dank für seine Treue bekam er das Penthouse des Finanzministers überschrieben.

Marielena ist noch immer von den Errungenschaften der Revolution über zeugt. Und werden die USA Kuba wieder übernehmen, wie da- mals vor der Revolution? Kapern jetzt Fast-Food-Ketten und Zuckerbrausen die Insel? „Ach was. Das lässt das Volk nicht zu“, sagt sie entschieden – und das klingt ein bisschen wie bei Fidel Castro.

Klaus Ehringfeld ist freier Lateinamerika- Korrespondent und arbeitet für deutsch- sprachige Print- und Onlinemedien. Kuba gehört zu den Ländern, über die er am liebsten berichtet.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Vor allem muss sich Europa zu seiner Verantwortung für den Schutz von Flüchtlingen bekennen, indem auf EU-Ebene endlich ein solidarisches und gerechtes System für ihre An-

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften stehen zur Europäischen Union und setzen sich gleichzeitig für die Achtung der Menschenrechte sowie für verbesserte ökonomische

Politische, ethnische und religiöse Konflikte, Krieg und Bürgerkrieg, Armut und Ausbeutung zwingen die Menschen zur Flucht.. Die internationale Staatengemeinschaft muss

Nie wieder Krieg heißt für uns: Nie wieder darf von deutschem Boden ein Krieg ausgehen.. Wir fordern die Bundesregierung auf, jegliche direkte oder indirekte Unterstützung

Kriege, Bürgerkriege, ethnische, politische und geschlechtsspezifische Verfolgung oder rassistische Diskriminierungen zwingen viele Millionen Menschen zur Flucht oder zum

U1 bis Alte Donau, Ausgang Arbeiterstrandbadstraße, rechts halten, etwa 400 Meter Richtung Nordwesten, dann in den Donaupark einbiegen. Der Gedenkstein befindet sich auf dem parallel

Ferrum phosphoricum D3 [D6, D12] Biochemisches Funktionsmittel Nr.3, Zusammensetzung: 1 Tablette enthält: Arzneilich wirksamer Bestandteil: Ferrum phosphoricum Trit. Kalium sulfuricum

hingewiesen werden, dass diese Arz- neimittel in der Regel mindestens sechs Monate oder sogar länger an- zuwenden sind und auch bei sachge- rechter, konsequenter Anwendung