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Zwischen Almidyll und Industrieanlage – über die gesellschaftliche Wahr- nehmung der Milchviehaltung

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Academic year: 2022

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18. Jahrestagung, 09.– 11. Oktober 2017, LWK NRW Haus Riswick

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Zwischen Almidyll und Industrieanlage – über die gesellschaftliche Wahr- nehmung der Milchviehaltung

Inken Christoph-Schulz, Anja Rovers, Nanke Brümmer

Thünen-Institut für Marktanalyse, Bundesallee 50, 38116 Braunschweig

Einleitung

Seit Jahren nimmt die gesellschaftliche Kritik an der Landwirtschaft und insbesondere an der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung stark zu. Mehr und mehr zeigt sich eine deutliche Dis- krepanz zwischen den aktuellen Haltungsbedingungen auf der einen und den gesellschaftli- chen Erwartungen auf der anderen Seite. Die zunehmende Kritik hat auch Auswirkungen auf die Nachfrage nach tierischen Produkten wie die zunehmende Zahl von Vegetariern/Veganern bzw. Personen, die ihren Konsum einschränken, zeigt (GfK, 2016). Dennoch wurden 2014 in Deutschland pro Kopf fast 53 Liter Frischmilch, gut 83 Kilogramm Frischmilcherzeugnisse und 24 Kilogramm Käse verzehrt (BMEL 2015 a, b). Damit stellten Milch und Milchprodukte (ohne Speiseeis) nach Fleisch und Fleischerzeugnissen mit knapp 14 % in Hinblick auf den Gesamtumsatz die zweitwichtigste Produktgruppe der deutschen Ernährungsindustrie dar (BVE, 2016).

Verschiedene Akteure wie das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL), die Agrarwirtschaft und der Lebensmitteleinzelhandel versuchen verstärkt, mit un- terschiedlichen Maßnahmen den gesellschaftlichen Anliegen Rechnung zu tragen und unter anderem das Tierwohl zu verbessern. Beispiele hierfür sind die „Initiative Tierwohl“, das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Er- nährung und Landwirtschaft (BMEL, 2015c) oder das erst kürzlich vorgestellte staatliche Tierwohl-Label (BMEL, 2017).

Doch was denkt die Gesellschaft eigentlich genau über die landwirtschaftliche Nutztierhal- tung? Was für Vorstellungen hat sie und was für Erwartungen lassen sich daraus ableiten?

Der vorliegende Beitrag gibt Einblicke in die aktuelle Wahrnehmung der Milchviehhaltung in Deutschland. Da nicht sämtliche Ergebnisse präsentiert werden können, werden jedoch nur die jeweils am häufigsten genannten Aspekte vorgestellt.

Methoden

Um die Wahrnehmung der Gesellschaft explorativ zu erfassen (vgl. LAMNEK 2005), wurden 2015 sechs leitfadengestützte Gruppendiskussionen mit vier bis zehn Teilnehmern zur Milch- viehhaltung im Schwerin, Essen und Kempten i.A. durchgeführt. Hierbei waren Personen mit vegetarischer bzw. veganer Ernährungsweise in jeder Diskussionsrunde vertreten, um auch Teilnehmer miteinzubeziehen, die ihre Ernährungsgewohnheiten beispielsweise aufgrund der Haltungsbedingungen eingeschränkt oder ganz eingestellt hatten. Um sicher zu stellen, dass sich die Teilnehmer nicht vorab informierten und die unverfälschte Wahrnehmung erfasst werden konnte, wurde das konkrete Thema der Diskussion im Vorfeld nicht bekannt gegeben.

Bei Gruppendiskussionen steht der Meinungsaustausch bzw. die Interaktion der unterschiedli- chen Teilnehmer im Vordergrund und weniger die geäußerten Einzelmeinungen. Letztere

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zeigen jedoch die Bandbreite der unterschiedlichen Ansichten auf (MAYRING, 2002). Ein Vor- teil dieser Methode ist, dass viele Ergebnisse erst aufgrund der gemeinsamen Diskussion zum jeweiligen Thema in einem dynamischen Prozess entstehen und somit auch unerwartete As- pekte offengelegt werden (HALKIER, 2010).

Die Fragen wurden zunächst so offen wie möglich gestellt („Wie stellen Sie sich die heutige Milchviehhaltung vor?“), um die Teilnehmer nicht zu beeinflussen. Erst wenn Nachfragen („Fällt Ihnen sonst noch etwas dazu ein?“) keine weiteren Aspekte lieferten, wurden spezifi- sche Fragen gestellt (z.B. nach Freilandzugang, Eingriffen am Tier).

Die Diskussionen hatten eine Länge von etwa 120 Minuten und wurden audio- und videoge- stützt aufgezeichnet. Die Auswertung erfolgte in Form einer qualitativen Inhaltsanalyse unter Verwendung eines Kategoriensystems. Unter Kategorien sind übergeordnete, abstrakte Be- griffe zu verstehen, denen die Aussagen zugeordnet werden (MAYRING, 2002).

Ergebnisse

Die Wahrnehmung der Milchviehhaltung ist eher kritisch. In den meisten Diskussionen wurde angesprochen, dass es verschiedene Haltungssysteme gebe (wobei der Begriff des Haltungs- systems nie fiel). Allerdings wurde von den Teilnehmern vermutet, „dass die Mehrzahl in- dustriell produziert“1 würde.

In Bezug auf den Stall wurden auch die Worte „Milchfabrik“ oder „Industriebetrieb“ verwen- det oder es wurde angemerkt, dass es „diese Bauernromantik mit drei Kühen, die die Zenzi auf die Alm treibt“ nicht mehr gebe. Einige Teilnehmer hatten sogar ausgesprochen negative Vorstellungen, wie die folgenden Zitate zeigen: „Also ich hab da ziemliche Horrorvisionen im Kopf (...) “, „diese großen Fabriken, diese Milchfabriken, die dann, (…), tausende von, von Tieren da stehen haben“. Auch wurde mehrfach betont, dass die Tiere dauerhaft im Stall und nicht auf der Weide stünden. Deutlich seltener wurde dagegen Weidehaltung beschrieben, die für viele das Ideal darzustellen schien: „Die Idealvorstellungen sind schon so, wie es auch bei uns in der unmittelbaren Umgebung ist. Da sind kleine Bauernhöfe mit Milchkühen, die einen Großteil auch draußen sind“.

Sehr heterogen war die Vorstellung des Stallbodens. Es wurden „Gitter“, „Zementboden“,

„Erdboden“, „Spaltenboden“ aber auch „Streu“ erwähnt. Auch in Hinblick auf die Belüftung des Stalles hatten die Teilnehmer unterschiedliche Vorstellungen. Einerseits wurde von Belüf- tungsanlagen gesprochen und erwähnt, dass die Belüftung „künstlich“ sei. Andererseits wurde von offenen Türen und Fenstern berichtet oder es wurden mit eigenen Worten Kaltluft- oder Boxenlaufställe beschrieben. Die meisten Teilnehmer gingen jedoch davon aus, dass die Tiere keine Möglichkeit hätten, sich zu bewegen. Es wurde beschrieben, dass die Tiere „einge- pfercht und auf engstem Raum zusammen“ seien. Teilweise wurde sogar vermutet, dass die Tiere so wenig Platz hätten, dass sie sich nicht umdrehen könnten oder dass sie in Käfigen gehalten würden: „ (…) die haben ja nur solche Kabinen, also nur so, so kleine, sag ich mal Metallkäfige, wo die drin stehen“. Die geschätzte Tierzahl pro Betrieb war ebenfalls sehr un- terschiedlich und reichte von „dreißig“ bis hin zu „tausenden“.

1 Bei sämtlichen Passagen, die in Anführungszeichen stehen, handelt es sich um den Originalwortlaut aus den

Diskussionsrunden. Auslassungszeichen zeigen eine sinnneutrale Kürzung an.

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29 In Bezug auf das Futter gingen die Vorstellungen ebenfalls relativ weit auseinander. Während einige Diskutanten vermuteten, dass es „Heu, Stroh, Raufutter“ oder auch „Hafer“ sei, spra- chen andere von „Hochleistungsfutter“. Das Futter der Milchkühe wurde teilweise als „unna- türlich“ und „mit Medikamenten verseucht“ beschrieben. Außerdem würden Antibiotika, Anabolika und Hormone dem Futter zugesetzt, um die Tiere gesund zu halten und ihre Leis- tung zu erhöhen. Bei einigen Teilnehmern herrschte Misstrauen bezüglich des Kraftfutters. So äußerte ein Teilnehmer, dass man „da (…) ja alles Mögliche mit untermischen“ könne. Einige Teilnehmer argumentierten jedoch, dass sich mit Gras die angestrebten Milchmengen nicht erreichen ließen und dass es „energiereiches Futter“ sein müsse, damit die Milchleistung ent- sprechend hoch würde. Wenn über das Futter gesprochen wurde, kamen die Teilnehmer aller Gruppen automatisch auf den vermuteten Medikamenteneinsatz, ohne dass dieses Thema von der Diskussionsleitung explizit angesprochen wurde. Dabei wurde ein Zusammenhang zwi- schen der Medikation und dem Platzmangel vermutet. Dieser bezog sich in erster Linie auf die mögliche Ansteckungsgefahr, wie das folgende Zitat verdeutlicht: „Musst du ja mit Anti- biotika machen. Wo viele Viecher auf einem Fleck sind, mit wenig Bewegung und wenig Luft (…)“. Auch die Annahme, dass die Medikamente prophylaktisch verabreicht würden, war vielfach vertreten. Beispielhaft hierfür steht die folgende Aussage: „Ich denke einfach zur Vorbeugung, damit überhaupt keine Seuche oder überhaupt keine Krankheit ausbricht. Dass da alle mit irgendwelchen Medikamenten oder irgendwelchen Mitteln vollgepumpt werden“.

Nur in Einzelfällen wiesen Teilnehmer darauf hin, dass Medikamente teuer seien und sie sich nicht vorstellen könnten, dass diese den Tieren vorschnell verabreicht würden. In diesem Zu- sammenhang wurde von einzelnen Teilnehmern vermutet, dass die Medikamente in der Milch nachweisbar seien. Ein Teilnehmer beschrieb sehr detailliert, dass er von bekannten Landwir- ten wüsste, dass diese nichts prophylaktisch geben würden und dass auch die Kontrollen sehr streng seien.

Zusammenfassung und Fazit

Im Rahmen der durchgeführten Gruppendiskussionen konnte ein durchaus differenziertes Bild der gesellschaftlichen Wahrnehmung gezeigt werden, deren Ergebnisse sich stark mit einer früheren Studie von CHRISTOPH-SCHULZ ET. AL. (2014) decken.

Es wurde deutlich, dass die Wahrnehmung mitunter äußerst negativ ist. Hauptkritikpunkte sind zum einen der fehlende Bewegungsfreiraum: Dieser bezieht sich sowohl auf den Platz im Allgemeinen als auch den fehlenden Zugang ins Freie. Es muss in diesem Zusammenhang jedoch kritisch angemerkt werden, dass die Teilnehmer meistens keine konkreten Vorstellun- gen darüber hatten, wie viel Platz die Tiere beispielsweise benötigten. Es gab vielmehr nur die unkonkrete Aussagen, dass dieser zu gering sei. Zum anderen ging es vielfach um den be- fürchteten Einsatz von Medikamenten und den damit verbundenen Auswirkungen auf den Verbraucher.

Der hier vorgestellte Ansatz liefert aufgrund seines explorativen Charakters ein sehr differen- ziertes Bild der Wahrnehmungen der Milchviehhaltung. Rückschlüsse auf die Wahrnehmung und Erwartungen der deutschen Bevölkerung können jedoch aufgrund der geringen und nicht bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe nicht getroffen werden. Die vorliegenden Ergebnisse bilden daher den Ausgangspunkt für eine Online-Befragung, die derzeit durchgeführt wird.

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Danksagung

Die vorgestellten Ergebnisse sind Teil des Projektes “SocialLab Deutschland – Nutztierhal- tung im Spiegel der Gesellschaft”. Die Förderung des Projektes erfolgt aus Mitteln des Bun- desministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des deutschen Bundestages. Die Projektträgerschaft erfolgt über die Bundesanstalt für Landwirt- schaft und Ernährung (BLE) im Rahmen des Programms zur Innovationsförderung. „Social- Lab Deutschland“ ist ein Zusammenschluss folgender Partner: Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Thünen-Institut für Marktanalyse, Georg-August-Universität Göttingen, Rheini- sche Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Fachhochschule Südwestfalen Soest, Technische Universität München, und dem Privaten Forschungs- und Beratungsinstitut für angewandte Ethik und Tierschutz INSTET gGmbH, Berlin. Die Gesamtkoordination liegt am Thünen- Institut für Marktanalyse.

Literatur

BVE (2016). Jahresbericht 2015_2016. Verfügbar unter http://www.bve- online.de/presse/infothek/publikationen-jahresbericht

BMEL (2015a). Verbrauch von Käse. Verfügbar unter: http://berichte.bmelv-statistik.de/SJT- 4071500-0000.pdf.

BMEL (2015b). Verbrauch von Milch, Sahne und Kondensmilch. Verfügbar unter:

http://berichte.bmelv-statistik.de/SJT-4071300-0000.pdf.

BMEL (2015c): Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung. Verfügbar unter:

http://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Ministerium/Beiraete/Agrarpolitik/Gutac htenNutztierhaltung.pdf?__blob=publicationFile.

BMEL (2017). Fragen und Antworten zum staatlichen Tierwohllabel. Verfügbar unter:

http://www.bmel.de/DE/Tier/Tierwohl/_texte/Tierwohllabel-Fragen-und- Antworten.html

Christoph-Schulz, I., Weible, D., Salamon, P. (2014). Zwischen Heidi-Idyll und Agrarfabrik – zur Wahrnehmung der Milchviehhaltung, 24. Jahrbuch der Österreichischen Gesell- schaft für Agrarökonomie, 245-254.

GfK (2016). Immer schön flexibel bleiben. Consumer Index. Verfügbar unter https://www.gfk.com/fileadmin/user_upload/dyna_content/DE/documents/News/Cons umer_Index/CI_03_2016_oD.pdf

Halkier, B. (2010): Focus groups as social enactments: integrating interaction and content in the analysis of focus groups data. Qualitative Research. 10(1), 71-89.

Lamnek, S. (2005): Qualitative Sozialforschung, Beltz Verlag, Weinheim.

Mayring, P. (2002): Einführung in die Qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualita- tivem Denken. Beltz Verlag, Weinheim und Basel.

Referenzen

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