DER R?JlN-MA-PA-SCHULE
Von Eva Neumaier, München
Die gTer-ma-Literatur nimmt innerhalb der Gesamt-Literatur der
rSfih-ma-pa einen äußerst wichtigen Platz ein. Wie kam es dazu? Man muß
sich das bewegte religiöse Leben der tibetischen Frühzeit vor Augen halten :
Ein einfaches, bäuerliches Volk wird zum erstenmal mit den geistigen Er¬
rungenschaften der Philosophie und Hochreligion aller es umgebenden
Länder innerhalb dreier Jahrhunderte vertraut gemacht. Die verschieden¬
sten Anregungen fallen allesamt auf einen fruchtbaren Boden. Es entsteht
ein blühendes religiöses Leben, alle Arten und Richtungen gedeihen und
konkurrieren untereinander. Der chinesische Buddhismus gewann mehr und
mehr Anhänger, der indische geriet ins Hintertreffen*. Es folgt das Konzil
von bSam-yas (792)*. Der chinesische Buddhismus unterliegt. Die Gründe
hierfür sind im Augenblick uninteressant. Das Königshaus fördert nun ein¬
deutig den indischen Buddhismus. bSam-yas, der königliche Tempel, wird
mit reichen Pfründen ausgestattet. Die Chinesen ziehen sich zurück, ver¬
bergen aber - wie der Historiker Padma-dkar-po berichtet* - ihre Texte,
gleich den gTer-ma der rSJin-ma-pa. Es folgt nun die Blütezeit des indischen
Buddhismus. Viele Texte werden übersetzt. Die Periode endet mit der Ver¬
folgung der buddhistischen Religiösen, der Zerstörung der Heiligtümer und
des Übersetzungswerkes durch gLah-dar-ma. Diese Periode ist bekannt
als sha-dar ,,die Zeit der Verbreitung des Buddhismus in der Frühzeit".
Durch Rin-c'en-bzah-po und Atiäa wird rund 160 Jahre später die zweite
Phase der Verbreitung, p'yi-dar, begründet. Die rNin-ma-pa selbst nennen
ihre Schule auch sna-'gyur-bstan-pa ,,die Lehre der Übersetzungen der
Frühzeit". Es wird damit klar gesagt, daß im wesentlichen nur Übersetzun¬
gen aus der Zeit vor AtlSa Aufnahme in die rJfih-ma'i ö'os-lugs gefunden
haben, Texte also, die in der Zeit der sna-dar ins Tibetische übersetzt wur¬
den. Daß aus dieser drei Jahrhunderte umspannenden Zeit, die in ihrem
historischen Ablauf so bewegt war, Texte mannigfachen Gehaltes und unter¬
schiedlichster Provenienz überliefert wurden, ist klar, ebenso, daß die Tra¬
dition häufig durch die politischen WiiTen unterbrochen wurde.
1 G. Tucci. Minor Buddhist Texts 1958; 2. Bd. S. 9.
2 G. Tucci. Minor Buddhist Texts; 2. Bd. S. 26.
3 G. Tucci. Minor Buddhist Texts; 2. Bd. S. 44.
850 Eva Neumaier
Die Auffindung der gTer-ma - jenerTexte also, die in den Wirren der sna-
dar verborgen wurden - fällt aber insgesamt in die Zeit nach Atisa. Es
stehen sich somit bei den rSih-ma-pa klar gegenüber : sha-dar, die Zeit des
Verbergens der gTer-ma und p'yi-dar, die Zeit der Entdeckung der gTer-ma.
Dies kann als eine Art Faustregel für die alten gTer-ma gelten, die aber nicht
besagen soll, daß in den späteren Jahrhunderten keine gTer-ma gefunden
worden wären. Der erste der gTer-ston rgyal-po'i lha ist Nah-ral-pa-can
S^i-ma'od-zer, geb. 1124. Es würde hier zu weit führen, Näheres über den
Lebenslauf dieses bedeutenden gTer-ston mitzuteilen. Eine Zusammen¬
fassung des bisher Bekannten bringt A. Ferrari in mK'yen-brtse's Guide
to the Holy Places of Central Tibet 1958, S. 45 und 56, sowie Anm. 137.
Wohl unter dem Eindruck des imponierenden Aufstieges der bKa'-gdams-pa-
Schule besannen sich die rNin-ma-pa auf ihre eigene Tradition : Sie suchten
nach den Grundtexten, derer die mündliche Tradition wohl noch gedachte,
deren Kenntnis und mystische Bedeutung jedoch weitgehend verloren¬
gegangen sind.
Ehe diese um die rehgiöse Erneuerung so wacker bedachten Männer die
alten Texte wieder aus ihren Verstecken ans Tageslicht bringen konnten,
brauchten sie einen Hinweis, ein K'a-byan oder Lde-mig. Diesen Hinweis
entnahmen sie alten Prophezeiungen oder mündlichen Angaben. Im
rnam-t'ar des Stan-ral Ni-ma-'od-zer heißt es*: Guru Rin-po-6'e med 'byor
pa dBan-p'yug-rdo-rje bya bar sprul nas k'a byan gnad yig rnams gnrni zin
bslab bya mjad paj ,,Der rNal-'byor-pa dBah-p'yug-rdo-rje, von dem es
heißt, er sei ein sPrul-pa des Guru Rin-po-ö'e, gab ihm, [jJi-ma-'od-zer],
k'a-byan und gnad-yig (= Zusammenfassung) und gab ihm den Auftrag
[zur Auffindung und Bearbeitung]". Aufgrund dieses Hinweises begab sich
Sfi-ma-'od-zer nach Brag-srin-mo-sbar-rjes und entdeckte dort schließhch
ein kupfernes Kästchen, eine Tonvase, heilige Figuren, rituelles Zubehör
(dam-rjas) und viele verschiedene Edelsteine. In der Ton vase imd dem
Kästchen befanden sich weitere Kultobjekte und vor allem Texte. Diese
konnte er durch weitere Funde ergänzen und vervollständigen. Die Erlan¬
gung des k'a-byan ist dementsprechend eine conditio sine qua non für den
gTer-ston, denn darin ist der ganz konkrete Hinweis auf verborgene Texte
enthalten, ohne den eine Auffindung ausgeschlossen ist. Der gTer-ston
konnte diesen Hinweis auch richtigen Literatur-Listen entnehmen: ,0-
rgyan-glih-pa fand auf diese Weise das zweite Buch des bKa'-t'ah-sde-liia*.
Mit der Auffindung der Texte wurden diese Männer zu gTer-ston - wie ich
sie bisher auch schon immer genannt habe - und die wiederentdeckten
Bücher zu gTer-ma. Diese gTer-ma faßte man später in mehreren großen
* Bod sna rabs pa gsan ö'en rnin ma'i ö'os 'byun legs bSad gsar pa'i dga' ston bdu 'dren giun don le'u'i nos 'jin biugs des bDud-'joms Rin-po-ö'e fol. 260 b.l.
5 G. Tucci. Tibetan Painted Scrolls 1949; 1. Bd. S. 114.
Sammlungen zusammen, am bekanntesten sind die rS^in-ma'i rgyud-'bum und Rin-ö'en gter-mjod.
Keine andere Schule des tibetischen Buddhismus war je in gleicher histo¬
rischer Lage. Nur die Bon-po kamen durch die mannigfachen Verfolgungen
in ähnliche Situationen und auch sie kennen gTer-ma*. Die Frage nach dem
Verhältnis der Bon gTer-ma zu den rN^ih-ma gTer-ma muß gestellt werden.
Eine Antwort muß aber so lange ausstehen, bis die Lehren der beiden Sy¬
steme genügend bekannt geworden sind, um einen Vergleich ziehen zu
können. Hier sei nur gesagt, daß ein und derselbe gTer-ston sowohl gTer-ma
der Bon-po wie der rSiii-ma-pa entdeckte. Von rDo-rje-glin-pa, dem 3. gTer-
ston rgj^al-po, heißt es in seinem rnam-t'ar' ausdrücklich, daß er ö'os-gter
ma der buddhistischen Lehre und bon-sde'i gter-ma, d. h. gTer-ma der Bon
Religion gefunden habe.
Mit diesen knappen Angaben mag der historische Rahmen abgegrenzt
sein, in dem sich der rein als religiöses Phänomen zu würdigende Vorgang
der Auffindung und Bearbeitung abspielte. Im folgenden möchte ich den
Versuch unternehmen, diese aus dem Bereich der Mystik stammenden Mit¬
teilungen auf ihre historische Wahrscheinlichkeit hin zu untersuchen. Man
kann das Problem folgendermaßen formulieren : Eignen sich die in Prophe¬
zeiungen, Offenbarungen und Visionen eingebetteten Berichte über die
gTer-ston und die gTer-ma als Quelle literarhistorischer Untersuchungen ?
Die gTer-ma wurden bisher nie von seiten der Wissenschaft einer ein¬
gehenden Untersuchung unterzogen. Zwar zog man bKa'-t'aii-sde-lna und
den Padmasambhava rnam-t'ar - der ja auch in Übersetzung vorliegt -
zur Lösung von historischen Fragen der tibetischen Königszeit heran, als
Literaturgattung, die Wesentliches über die Lehre der rJfin-ma-pa auszu¬
sagen hat, fand sie keine Beachtung. Im Allgemeinen sah man in den gTer-
ma eine apokryphe Literatur, die ihr Entstehen den gTer-ston verdankt,
die in archaischer Verkleidung allerlei obskure Ansichten und Praktiken
verbreiteten. Diese Ansicht vertritt Waddell* uneingeschränkt und spricht
nur eine allgemeine tibetische Redensart aus, wenn er schreibt, die gTer-ma
begründeten den Verfall der rNih-ma-pa. Diese Schule hatte zuletzt in
Tibet unter dem Volk einen ebenso schlechten Ruf wie die Bettelorden im
Europa des 17. und 18. Jahrhunderts. Wie man sich aber durch die Novellen¬
literatur der besagten Zeit nicht abhalten lassen darf, die philosophisch¬
theologische Leistung der Bettelorden zu untersuchen, so darf man sich
nicht verleiten lassen, diesen unzähligen Anekdoten über gewisse Pseudo-
rNih-ma-pa zu folgen und deshalb die ganze gTer-ma Literatur als gering
• Zu den gTer-ma s. G. Tucci. Tibetan Painted Scrolls 2. Bd. S. 727.
' gTer-mjod vol. Ka fol. 79b. 2-81b. 3.
8 The Buddhism of Tibet or Lamaism repr. 1959; S. 56 f. und 165.
852 Eva Neumaier
erachten. Diese Methode empfahl schon T'u'u-kvan Rin-po-c'e'. G. Tucci
rückt bereits in den Tibetan Painted Scrolls von dem Pauschal-Urteil
Waddells ab und räumt die Möglichkeit echter Funde ein*", in Minor
Buddhist Texts II** erhärtet er die Möglichkeit zur Wahrscheinlichkeit.
Im folgenden möchte ich einen Überblick über die Kategorien der gTer-
ma geben, geordnet nach der Art der Entstehung. Meine Darlegung stützt
sich auf die Kolophone des Rin-c'en gter-mjod, in der Ausgabe von mC'ur-
p'u - der Residenz des Karma-pa Hierarchen, den die Staatsbibliothek
Marburg vor einiger Zeit erworben hat, ferner auf die rnam-t'ar der wichtig¬
sten gTer-ston und auf historische Texte wie Grub-mt'a'-sel-gyi-me-loh
des T'u'u-kvan Rin-po-ö'e und den ö'os-'byuh des Padma-dkar-po.
1. sa-gter: dies sind gTer-ma, die aus dem Erdboden (sa), aber auch in
Felshöhlen, in oder unter Statuen in den Tempeln zum Vorschein ka¬
men, also - wenn die Tradition stimmt - echte arehäologische Funde.
2. yah-gter: dies sind gTer-ma, die bereits früher einmal von einem gTer-
ston entdeckt worden waren, die sie möglicherweise bearbeitete und sie
wieder versteckte, so daß nun der zweite gTer-ston sie erneut finden
mußte. Es können aber auch gTer-ma sein, deren exegetische und ri¬
tuelle Überlieferung abgerissen ist und die nun neu begründet wurde.
3. dgons-gter: dies sind Texte, die in Meditations- und Visionserlebnissen
der gTer-ston fußen. Ihre Autorisierung erhalten sie durch den Lehrer
des gTer-ston, der die Erlaubnis zur Niederschrift erteilte und auch meist
die Korrektur übernahm.
Zu den sa-gter : Es ist wichtig hervorzuheben, daß ein gTer-ma nicht nur
ein Text sein kann, sondern ebensogut eine Statue oder die Reliquie eines
Heiligen. Häufig kann man die literarischen gTer-ma und die dinglichen
nicht voneinander trennen, da sie in einem einzigen Fundkomplex gehoben
wurden. Es erhebt sich die Frage, inwiefern es sich tatsächlich um archäolo¬
gische Funde handelt. G. Tucci hat - wie ich oben wiedergab - dieses Mög¬
hchkeit eingeräumt und sie später zur Wahrscheinlichkeit gemacht. Da
Tucci jedooh nur am Rande diese Frage behandeln konnte, sei es mir er¬
laubt, sie hier in ihrer Gesamtheit und mit Hilfe neuer Quellen zu erörtern.
Mehrfach wurde die historische Zuverlässigkeit der tibetischen Quellen
untersucht. Tucci konnte in den Tombs of the Tibetan Kings** nachweisen,
daß die Beriehte der tibetischen Chroniken - wie sie Ran-byuh-rdo-rje, der
Karma-pa Hierarch des 18. Jahrhunderts überlieferte - durchweg auf Ori-
° grub mt'a' 6ad kyi k'uhs dan 'dod o'ul ston pa legs bSad sei gyi me loh
vol. K'a fol. 5b. 4.
*" Tibetan Painted Scrolls; 1. Bd. S. 111.
1* S. 45.
*2 1950; S. 339 fr.
ginalquellen basieren und ibnen eine hohe Glaubwürdigkeit entgegenge¬
bracht werden darf. In India-Antiqua** setzte sich G. Tucci bereits früher
mit dem Wert und der Zuverlässigkeit tibetischer Geschichtswerke ausein¬
ander. Es ist mir nicht vorstellbar, daß die Tibeter auf der einen Seite eine
ausgesprochen quellen-bezogene Geschichtsschreibung pflegten, seit ältester
Zeit umfängliche Archive** führten und auf der anderen Seite die Überliefe¬
rung einer ganzen Literatur, die Tausende von Einzelwerken zählt, frei
erfunden haben sollten. Derselbe Rah-byuh-rdo-rje, der den Bericht über
die tibetischen Könige so sorgfältig ausarbeitete, war auch ein gTer-ston
gewesen. In dem einen Werk wußte er sich historischer Wahrhaftigkeit
verpflichtet, in den anderen wäre er ein frommer Betrüger gewesen. Die
Diskrepanz ist offenbar. Man kann auch nicht mehr länger behaupten, die
sa-gter seien eine Erflndung der gTer-ston, wenn man die einzelnen Kolo¬
phone ohne Voreingenommenheit betrachtet: Sio geben Ort und Zeit der
Auffindung jeweils genau an und beschreiben auch den Fund eingehend.
Das Kolophon des Lha-'dre bka'-yi t'an-yig - in der Potala-Ausgabe - gibt
an: Am Abend des 15. Tages des Tiger-Monats im Jahre 1347 (Feuer-Bär)
brachte ,0-rgyan-glin-pa von dGra-stod-yar-c'en, der Kun-dga'-c'ul-
k'rims mit sich genommen hatte, es unter der Schildkröte des Tores zur
rechten Hand im Bu-c'al-gser-k'ah-ghn ans Licht. Es war eine gelbe Rolle,
aus einem Blatt bestehend, und Mandäravä war der Autor**. Es wird aber
auch in einigen Kolophonen des gTer-mjod berichtet, daß ein Text in
einem Kästchen von dieser oder jener Beschaffenheit war. Die Ausmaße
und Farbe des Papieres - meist braun bis gelb - werden häufig angegeben.
Es ist auffällig, daß das Hochformat der Schriftrolle überwiegt. In einem
anderen Fall wird aber ein indisches Format beschrieben:** sprul pa'i gter
6'en mö'og-gyur-bde-c'en-glin-pas mDo-k'ams Nam-mk'a'-mijod kyi gnas
mc'og nas spyan drans pa'i bdud rei Ina'i Sog gu zin mt'o gan / dkyus sor
bzi I yig p'ren gsum pa Qu-ru Rin-po-6'e'i p'yag bris nagara yig p'yi ma
las I gnas dus kyi rten 'brel p'un sum c'ogs pas mc'ams sbyar te / Bod-c'en-po'i sa'i t'ig le / dpal gnam sa'i dban p'yug sDe-dge 6'os rgyal 6'en po'i p'o bran
Lhun-grub-sten-dan-zun-du-'brel-ba'i 6'os grvar snan srid t'ams 6ad bdud
rci'i ran bzin tu p'yin gyis brlabs pa skabs gtan la p'ab rim bzin tu / bya bral
ba mK'yen-brce'i-dban-pos bris pa'i dge bas gnas de'i 'dod rgyu Ihun gyis
grub pa'i rgyur gyur 6ig Imangalam jj ,,Der sPrul-pa und gTer-ö'en mÖ'og-
** 1947; S. 309-322 „The Validity of Tibetan Historical Tradition".
** M. Laiou. Revendications des Fonctionnaires ... in: JA 1955; S. 172.
*5 G. Tucci. Tibetan Painted Scrolls; 1. Bd. S. 113.
** gTer-mjod vol. T'a. Der zu dem Kolophon gehörige Text ist ein sog. gTor-
gzun. Der Begriff wird weiter unten genau erläutert. Der Titel des Textes lautet : zab bdun rca gsum skar las j gu ru bde ba fen po'i grub t'abs bzugs so jj. Er gehört
zum gTer-ka des mÖ'og-gyur-bde-ß'en-glin-pa (geb. am 10 Tag. des 6. Monats
1829 in mDo-K'ams, gest. 1870).
854 Eva Neümaieb
gyur-bde-6'en-glih-pa brachte in dem heihgen Ort Nam-mk'a'-mjod in
mDo-k'ams ein Papier ans Tageshcht, das aus den fünf unvergänglichen
Stoffen bestand, in der Länge eine Spanne und in der Höhe vier Fingerbreit
maß. Es war mit drei Zeilen der Handschrift Guru Rin-po-ö'es in der spä¬
teren Nagarl-Schrift bedeckt. So hatten sich die Umstände des Ortes und
der Zeit glücklich ineinandergefügt. In dem Zentrum von Bod-ö'en-po, in
dem Mönchskolleg Lhun-grub-steh-dan-zuh-du-'brel-ba, dem Sitz des
ö'os-rgyal von dem gepriesenen sDe-dge, unterzog er es der Korrektur zur
Zeit der Zeremonie snan-srid-t'ams-öad-bdud-rci'i-raii-bzin-tu-p'yin-gyis-
brlabs-pa. Der Asket mK'yen-brce'i dban-po schrieb es daraufhin nieder.
Durch dieses Verdienst mögen alle Wünsche dieses Ortes zur Erfüllung
kommen!" Neben den historischen Anhaltspunkten verdient vor allem die
Behauptung Aufmerksamkeit, daß das Blatt mit einer späteren Nagari-
Schrift bedeckt war. Auch andere Schriftarten werden genannt, z. B. dba'-
bo, möglicherweise eine Verschreibung für dpa'-bo*': sprul pa'i gter 6'en
mÖ'og-gyur-bde-6'en-glin-pas Ron-me-dkar-mo-stag-c'an gi Guru'i gsan p'ug
Gon-pa'i-g-yas-gdon nas spyan drans pa'i mc'on sog dba bo brcegs pa'i yi ge
lasj . . . ,,Von einem mit dba'-bo Schrift bedeckten Papier aus mß'oh**, das
der sPrul-pa und gTer-ö'en mÖ'og-gyur-bde-c'en-glin-pa aus der 'Höhle der
Geheimnisse' des Guru Rin-po-ö'e namens Goh-pa'i-g-yas-gdoh in Ron-me-
dkar-mo-stag-c'an*' ans Tageslicht brachte, . . ." Die Frage dieser merk¬
würdigen Schriftarten kann man erst zu lösen versuchen, wenn man die
alten Originale zu Gesicht bekommen hat. Die Originale des bKa'-brgyad-
bde-gsegs-'dus-pa, eines der fünf großen bla-gter, sollen in dem Stammsitz
des mNa'-bdag Nan Sfi-ma-'od-zer, unterhalb seiner Residenz sMra-bo-
löogs, liegen*". Entgegen der Annahme von A. Feebabi muß man hier
unter ,,c'os-rgyal" Jli-ma-'od-zer selbst verstehen, denn dieser wird all¬
gemein als gTer-ston dieses Zyklus genannt**. Der tibetische Gelehrte
*' gTer-mjod vol. T'a: dam 6'os süin po skor Ina las / bia ma dgons 'dus sfiin po biugs so // verfaßt von Padma-gar-dban-blo-gros-mt'a'-yas.
*8 S. Sabat Chandba Das. A Tibetan-English Dictionary repr. I960; S. 438:
,,n. of a gem which is beheved to havo the property of curing paralysis".
*' Aufgrund der anderen Kolophone des mÖ'og-gyur-glih-pa gTer-ma ist der
Ort wohl in der Nähe von K'a-la-rofi-sgo anzunehmen, das an der tibetisoh-
nepalesisohen Grenze liegt. Dort hat Padmasambhava die 12bsTan-ma der
buddhistischen Lehre unterworfen. (dPa'-bo-gcug-p'ren-ba vol. Ja fol. 103b. 3).
2° A. Feebabi. mK'yen-brtse's Guide to the Holy Places of Cntral Tibet
1958; S. 56.
2* gTer-mjod vol. K'a: Rin 6'en gter gyi mjod 6'en por ji Itar biugs pa'i dkar 6'ag dan j smin grol rgy ah brten dan b6as pa'i brgyud yig dnos grub sgo brgya 'byed pa'i Ide'u mig 6es bya biugs so jj fol. 56b. 2 f. ferner vol. Ka:Zah mo'i gter dan gter ston grub t'ob ji Itar byon pa'i lo rgyus mdor bsdus bkod pa rin 6'en bai dü rya'i p'ren ba ies bya ba biugs so // fol. 47a. 6 ff.
dGe-'dun-ö'os-'p'el nimmt an**, daß die Originale meist in einer Variante
der Gupta-Schrift abgefaßt gewesen seien. Diese wenigen Beispiele mögen
die Realität der in den Kolophonen gemachten Angaben verdeutlichen.
Nimmt man die Kolophone aller sa-gter aber zusammen, so gewinnt die
Behauptung, daß man unter Statuen, in Höhlen etc. tatsächhch Text¬
funde machte, sehr an Glaubwürdigkeit. Leider ist es nicht möglich, diese
Angaben in ihrer Gesamtheit hier vorzuführen.
Diese durch die gTer-ston gefundenen Schriftstücke müssen nicht immer
auf Padmasambhava als Autor zmückgehen. Manchmal wird wohl ausdrück¬
lich gesagt, daß das Papier mit der Handschrift Padmasambhavas bedeckt
war, aber auch Ye-ses-mc'o-rgyal und Mandäravä - die beiden wichtigsten
Frauen desselben - verfaßten viele gTer-ma, Ye-ses-mc'o-rgyal vor allem
solche, die sich mit Yab-Yum Formen des Gmu Rin-po-ö'e befassen oder
mit Ritualen unter der Mitwirkung der Däkini. So wird vor dem eigent¬
lichen Kolophon eines Textes gesagt: tes gsuns pa Uar k'o mo mC'o-rgyal
gyis yi ger btab ste gter du sbas pa'o //" Gemäß der Lehrdarlegung hat es die
Herrin Ye-ses -mc'o-rgyal schriftlich niedergelegt und in einem Versteck
verborgen"**. Andere gTer-ma - wie die als rgyud oder mdo überlieferten -
gehen auf einen sPrul-pa des Kun-tu-bzan-po zmück**. Es ist denkbar, daß
sich hinter diesen sPrul-pa historische Persönlichkeiten verstecken. Die
älteren gTer-ma - eine genaue Zeitgrenze kann man nicht angeben - sind
fast immer von Padmasambhava und seinen Zeitgenossen niedergeschrie¬
ben worden und wurden in der Zeit des 12. bis 14. Jahrhunderts entdeckt.
Zu dieser Gruppe gehört auch bekannterweise das bKa'-t'ah-sde-lha imd
die Padmasambhava-Biographie. Die späteren Entdeckungen werden gerne
als gTer gsar-ma bezeichnet, es sind häufig Yan-gter, doch davon weiter
unten. Diese archäologischen gTer-ma tragen durchweg den Charakter des
Zufälligen. Es sind kleine Gebetszettel, Notizen und Merkverse zur Medita¬
tionspraxis, kmze Sädhanä, ganz selten ein Laghutantra. Außerhalb des
gTer-mjod wmden die historischen Aufzeichnungen und die rJogs-ö'en
Tantra und Kommentare überliefert.
Die für die Lehre der rNih-ma-pa wichtigsten gTer-ma wurden durch
die fünf gTer-ston rgyal-po ans Licht gebracht. Daraus ergibt sich ein ge¬
wisser zeitlicher Anhaltspunkt seit wann diese tantrischen Zyklen tradiert
wurden, wenn darüber auch nichts über die Zeit der Entstehung gesagt ist.
Der Zeitpunkt der Entdeckung hat nur den Wert eines Terminus ante
quem. Die Gebmtsjahre dieser fünf gTer-ston rgyal-po sind: S^aii-ral
2* Bod 6'en po'i srid luga daii 'brel ba'i rgyal rabs deb t'er dkar po ies bya ba biugs so jj S. 67.
** gTer-mjod vol. T'a: Bia sgrub t'ugs kyi yaii süin biugs so jj fol. 9a. 6.
** Padma-dkar-po Ö'os-'byuh fol. 62a. 2 ff.
Or. Tg.
856 Eva Neumaier
Sfi-ma-'od-zer 1124, Guru Ö'os-kyi dban-p'yug 1212, rDor-Je-glin-pa 1346,
,0-rgyan-padma-glin-pa 1450 und Padma-'od-gsal-mdo-snags-gUn-pa 1820.
Den Ursprung der zum Teil als gTer-ma überlieferten rSih-ma Tantra
sucht G. Tucci** teilweise im chinesischen Ch'an-Buddhismus. Solange eine
Analyse dieser Tantra aussteht, kann man keine weiteren Feststellungen
machen. Es ist jedoch klar, daß man ohne ein genaues Studium dieser
Tantra dem oft geäußerten Vorwurf, sie seien apokryph und verfälschten
die Lehre, nicht zustimmen kann***.
Es ist nun die Aufgabe des gTer-ston, diesen Fragment-Fund zu bearbei¬
ten und zu deuten. Da die Schrift meist eine von der allgemein üblichen
tibetischen Schrift abweichende war - um alle Deutungsmöglichkeiten
offen zu lassen -, mußte eine Übertragung erfolgen, meist auch Erläuterun¬
gen und Ergänzungen aufgrund der Kürze des Originals. Der gTer-ston
hält sich dabei an die Lehrtradition, wie er sie von seinem Lehrer erhalten
hatte. Hierbei erfährt der gTer-ma naturgemäß eine tiefgreifende Umge¬
staltung. Besteht das Original - es wird brda'-yig, das ist ,, Symbol, Zei¬
chen" genannt - nur aus einigen verschlüsselten Stichworten oder Symbolen,
so ist die Bearbeitung doch ein Text, der sich der üblichen Terminologie
und Geheimspraehe des Vajrayäna bedient, mithin einem im Vajrayäna Er¬
fahrenen lesbar und verständlich. Dem bKa'-t'ah-sde-lha liegen z. B. fünf
zu verschiedener Zeit und an verschiedenen Orten gefundene gTer-ma zu¬
grunde. ,0-rgya-glih-pa stellte sie zu einem Gesamtwerk zusammen, da die
verschiedenen Fragmente inhaltlich zusammengehörten**. Ganz ähnlich
vollzog sich die Bearbeitung der anderen gTer-ma. Einen guten Eindruck
von der Art dieser Bearbeitung mag folgendes Kolophon geben:*' 'di nid
gter 6'en mö'og-gyur-glin-ya sDe-dge'i rgyal k'ab tu bzugs pa'i skabs dgos
ba'i dban gyis rca ba cam gtan la p'ab 6in j dban bskur t'ugs t'og nas seal ba
zab dbaii t'un mon ma yin pa zig snan yaii de skabs yi ger 'k'od pa ma byun
Ip'yis SU rje bia Tna Padma-'od-gsal-mdo-snags-glin-pas Sog ser gzigs nas
dban 6'og brda bskyur dan dban bskur 'di Itar bka' p'rin seal ba ste f .... fj
dbaii bskur skabs p'rin las med ka med du son bas t'ugs sgrub p'rin las süin
pos k'a skon ba'o jj .... / gdams zab k'yad par 6an 'di nid rgyun la p'an
pa'i Ihag mos kyis Padma-gar-dban-p'rin-las-'gro-'dul-rcal gyis cä-'dra-rin- 6'en-brag gi sgrub gnas su bgyis pa dge legs legs jj ,,Zur Zeit da sich eben dieser
gTer-ö'en mÖ'og-gyur-glih-pa in der königliohen Residenz von sDe-dge auf¬
hielt, korrigierte er - weil es nötig war - nur die Kurzfassung dieses dbah.
" Minor Buddhist Texts; 2. Bd. S. 21.
25a Dieser Vorwurf wurde z. T. auch von tibetischen Gelehrten erhoben, s.
G. Roerich. The Blue Annals 1949; 1. Bd. S. 102.
28 G. Tucoi. Tibetan Painted Scrolls; 1. Bd. S. 113.
2' gTer-mjod vol. T'a: Zab bdun rca gsum skor las j gu ru bde ba ö'en po'i
p'rin laa dban ö'og dan böas ba bde ö'en böud 'dren öea bya ba biugs so/j fol. 8b. 2.
Obgleich man dieses dban nur geistig hervorbrachte (d. h. man zelebrierte
es ohne Ritualbuch) und es kein gewöhnliches, sondern ein tiefsinniges dban
ist, war die Zeit noch nicht gekommen, es schriftlich abzufassen. Später
sichtete der rJe bla-ma (d. h. mein ehrwürdiger Lehrer) Padma-'od-gsal-
mdo-shags-ghh-pa ein gelbes Papier (d. h. einen gTer-ma), übersetzte das
brda' (= Zeichen) - ein dbah-ö'og nämhch - und gab den Auftrag, das
dban-bskur entsprechend [zu bearbeiten.] /..../ Da aber für die Feier
eines dbah-bskur ein p'rin-las unerläßlich ist, habe ich das zentrale p'rin-las
aus dem T'ugs-sgrub genommen und die Vorlage damit ergänzt. //....//
Da dies eine besonders tiefsinnige Unterweisung ist und von überragendem
und fortwährenden Nutzen ist, verfaßte ich - Padma-gar-dban-p'rin-las-
'gro-'dul-rcal sie in dem Exerzitien-Haus Cä-'dra-rin-ö'en-brag*'*." Die vor¬
handene mündliche Tradition wird gefestigt durch die Auffindung eines
gTer-ma, der in einem gelben Papier bestand. Dies bildet das häufigste
Schreibmaterial, manchmal wurden die gTer-ma auch auf Eichenrinden-
Blätter geschrieben, wie sLob-dpon bsTan-'jin gnam-dag aus dem Bon-
Kloster von sMan-ri (gCan) mir sagte. Der gTer-ston übersetzte bzw. be¬
arbeitete diese ,, Handschritt", gab die Notizen dem Schüler, der aus Er¬
fordernissen des Rituals aus einer anderen Textgruppe (bla-ma t'ugs-sgrub)
jene weiter ergänzte. Nun erst erfolgte die schriftliche Abfassung. Eine durch
den gTer-ston selbst erfolgte Niederschrift erhält den Namen gTer-gzuh.
Dieser gTer-gzun wird häufig nicht publiziert : Manchmal verweigert der
Lehrer des gTer-ston die Erlaubnis hierzu, manchmal hält der gTer-ston
die Zeit für die Veröffentlichung noch nicht gekommen - wie es zu Beginn
des eben zitierten Kolophons auch hieß. Er versieht den gTer-gzuh nun mit
seinem Siegel und bewahrt ihn atif. Hat der gTer-ston einen geeigneten
Schüler, einen echten t'ugs-sras, so übergibt er ihm diesen gTer-gzuh zu¬
sammen mit seinen anderen Notizen und Aufzeichnungen. Der Schüler
- selbst schon ein alter Mann geworden - gibt nun den Text heraus, wie es
oben auch berichtet wurde.
Einen anderen Weg schlägt die Überlieferung ein, wenn dieser gTer-gzun
erneut verborgen wird und niemand befugt ist, die Siegel zu lösen. Bis dann
ein neuer gTer-ston den Hinweis (k'a-byan) auf diesen gTer-ma erhält und
kraft seines Charisma (p'rin-las) die Siegel erbricht. Hat er die jeweihge
Meditationsmethode bemeistert (bka' bab pa oder bstan bdag po), so publi¬
ziert er den Text, der nun in seiner neuen Gestalt den Namen Yan-gter
trägt. Dies ist die zweite Kategorie der gTer-ma. Der Weg der Überliefe¬
rung verläuft genauso, wenn der gTer-gzuh zwar veröffentlicht wurde, aber
die brgyud-pa unterbrochen wtude und nun dm-ch einen zweiten gTer-ston
A. Macdonald. Le Mandala du MaüjuSrlmülakalpa 1962; S. 91-95. Hier
werden die Inkarnationen des mK'yen-brce'i-dban-po ausführlich besprochen
858 Eva Neümaieb
in der iie-brgjaid-pa der Vision neu verankert werden muß, auch, dann trägt
der gTer-ma den Namen Yah-gter. So heißt es am Ende des rnam-t'ar des
rDo-rJe-ghn-pa**, als die Überheferung seiner Lehre berichtet wird : k'a 6ig
rje mK'yen-bce'i-dban-por byin rlabs ne brgyud kyi bka' babs pa bcas legs
par bzugs sojj ,, Einige [Texte] sagen, daß der Ehrwürdige mK'yen-brce'i-
dban-po aufgrund seines Segens die Lehre der ne-brgyud leicht bemeister¬
te". Es werden hier in der üe-brgyud sechs Jahrhunderte überbrückt:
rDo-rje-glin-pa wurde 1346 in dBus geboren und mK'yen-brce'i-dban-po
- wie bekannt - 1820.
In diesem Zusammenhang muß festgestellt werden, daß die in den gTer-
ma so häufig die Kapitelenden und Anfänge zierenden Silben ,,rgya rgya
rgya" nicht etwa zum Bestand der Mantra zählen, sondern andeuten, daß
in der Vorlage hier das Siegel des gTer-ston stand. Ich erwähnte oben schon,
daß im Falle eines Yah-gter der erste gTer-ston dem gTer-gzmi ein Siegel
aufdrückt und ihn erneut versteckt. Aber auch der ursprüngliche Sa-gter
kann schon versiegelt sein. Das folgende Kolophon berichtet darüber:*'
ö'os kyi rgyal po Ratna-glin-pas byi ba'i lo la Iho-brag mk'ar-c'un-bal-gyi-
p'ug-rin nas gdan drans te / lo bcu la bka' rgya bsdams nas j bya yi lo la sa
bdag rgyal po'i p'o bran sne-gdon du j sog ser zin mk'yud gan j dkyus mt'o
gan ba g&ig las zal b&us pa'i yi ge pa ni rje nid kyi sras dBan-c'en-bzan-pos
bgyis pa'ojj ,,Ö'os-kyi-rgyal-po Ratna-gliii-pa (geb. 1403, gest. 1478) holte
diesen Text im Maus-Jahr (1420) in dem Ort niK'ar-ö'uii Bal-gyi-p'ug-rin
in Lho-brag ans Tageslicht. Für zehn Jahre bewahrte er die Siegel. Im Vogel-
Jahr (1430) ließ er im Palast sNe-gdon des Sa-bdag-rgyal-po von dem sog-
ser (dem gelben Papier), dessen Höhe Armeslänge und dessen Breite eine
Spanne betrug, eine Kopie anfertigen durch einen Schreiber, und zwar duroh
seinen eigenen Sohn dBah-c'en-bzah-po". Die Lesart des Ortsnamens, wo
der Sa-gter gefunden wurde, ist in unserem Text wohl etwas verdorben, die
richtige Lesung lautet: mK'ar-ö'u dPal-gyi-p'ug-rih. Dieser Ort in Lho-brag
spielte in der Geschichte tibetischer Mystiker eine große Rolle: gNubs
Nam-mk'a'i-sfiin-po fand dort die yan-dag, die völlige Verwandlung in der
unio mystica; und ,0-rgyan Rin-po-ö'e meditierte ebenfalls in einer nahe¬
gelegenen Grotte*". Auch der Ort der Niederschrift, der Palast sNe-gdon,
ist gut bezeugt. In mK'yen-brce'i-dban-pos Führer zu den heiligen Stätten
Zentraltibets kann man darüber lesen: „Slightly above rTse-t'aii lies sNe-
** bod sna rabs pa gsan ö'en rnin ma'i ö'os 'byun legs bäad gsar pa'i dga' ston gyi 'dren gzun don le'u'i nos 'jin bzugs jj fol. 284b. 6.
2° gTer-mjod vol. Na : Ouru drag po'i las byan me rlun 'k'yil ba ze bya ba bzugs so II fol. 14b. 1.
*° A. Feebabi. mK'yen-brtse's Guide to the Holy Places of Central Tibet;
S. 57. Zur geographischen Lage s. dort Karte A (91" östl. Länge imd 28" nördl.
Breite).
gdon Kun-bzan-rtse; it is the empty site of the former castle of the sDe-srid P'ag-mo-gru-pa, lord of most of the districts of Tibet"^^. Sa-bdag-rgyal-po
muß in diesem Zusammenhang den sDe-srid bezeichnen, auch wenn dieser
Begriff sonst nicht bekannt ist. In einem anderen Kolophon aber wird ge¬
sagt**, daß der gTer-ston erst versuchte, einen dGoiis-gter niederzuschreiben, was üim aber nioht gelang : byis 6'u gyi lor La-stod byan gnas 6'en Zan-zan- Iha-brag tu bka' rgya grol ba'i Itas byun par . . . ./ ,,Im Maus-Wasser-Jahr
im heiligen Ort Zah-zah-lha-brag**, nördlich von La-stod, wurde das Ver¬
bot (wörtlich: Siegel) durch ein Zeichen aufgehoben". In diesen zwei Kolo¬
phonen werden deutlich die beiden Bedeutungen, die bka'-rgya hier hat,
wiedergegeben: das Siegel und das was einem den Zugang verwehrt, das
Verbot. In diesem Sinn muß das dreifache rgya an Kapitelenden und Text-
Anfängen und -Enden verstanden werden. Primär stand hier wohl immer
ein Siegel, später begnügte man sich von vorneherein mit der Wiedergabe des
Wortes bka'-rgya, wie es früher nur bei Abschriften übhch war. Der Bedeu¬
tungswandel ließe sich an einer Fülle von Beispielen darlegen, wollte man
die Literatur daraufhin nur durchsehen, doch kann dies hier nicht mein
Anliegen sein.
Zu diesen beiden Arten von gTer-ma, Sa-gter und Yah-gter, entsteht
nun durch des gTer-stons eigene Feder oder durch die seiner Schüler ein
ganzer Literaturzyklus. Der gTer-gzuh, der meist ein las-byan oder dbah-
bskur ist, wird mit einem Kommentar (k'rid-yig), mit Anmerkungen (zin-
bris), Ergänzungen (k'a-bskoh) und neben vielen anderen kleineren und
größeren Texten mit einem brgyud-'debs, einem Gebet an die bla-ma
brgyud-pa versehen. Der gTer-ston lehrt innerhalb dieses Systems seine
Schüler die entsprechenden Exerzitien, eine Kombination von Meditation
und kultischem Handeln, erläutert üinen die philosophische Basis des Gan¬
zen. Diese solchermaßen trainierten Schüler runden mit weiteren Kommen¬
taren imd Überarbeitungen die von ihrem Lehrer übernommene Literatur
zu einem mystischen Zyklus, zu einem c'os-skor ab. Die zentrale Stellung
in demselben gebührt dem las-byan. In üim wird das Ritual genau beschrie¬
ben, vor allem der jeweilige Iba. Diese Schilderung hat zwei Funktionen:
a) die Erstellung eines Kultbildes, b) die meditative Projektion desselben.
Der Las-byan ist kein einheitlich fortlaufender Text, er stellt vielmehr einen
*i A. Febbabi. mK'yen-brtse's Guide to the . . .; S. 49. sNe-gdoh hegt etwas
südlich von rCe-t'an, am östlichen Ufer des Yar-kluns Flusses. (Karte B). Es
war im 15. Jahrhimdert dio weltliche Hauptstadt Tibets und wurde am Ende
dos Jahrhunderts erobert und vorfiel seither.
32 gTer-mjod vol. Ta: Yan zab yid bzin nor bu dgons pa'i gter ,u pa de saj ,a t'if gu ru'i sgruii t'abs kun gyi yan iun süin gi t'ig le yid biin nor bu'i man nag bsam pa Ihun grub dnos grub ma lus 'byun ba'i gter k'yim zes bya ba biugs so // fol. 26b. 5.
33 Dort fand rGod-ldem den Byan-gter. s. A. Febbabi, mK'yen-brtse's Guide
to tho . . .; S. 65.
860 Eva Neumaier
Rahmen dar - die einheimische Tradition vergleicht ihn mit einem sku
„Leib". Dieser wird spezifiziert durch eine Reihe von dbaii-bskur, mö'od-
p'ren und c'ogs-mc'od und vielen anderen, kleineren Texten. Diese bilden
gleichsam die Glieder (yan-lag) des Leibes. Durch diese Zusätze kann der
grundlegende las-byan gemäß den Bedürfnissen und meditativen Erfahrun¬
gen des jeweiligen Meisters verändert bzw. ausgebaut werden. So wird also
jeder Zyklus in mehreren Varianten tradiert, die sich jeweils in diesen Zu¬
sätzen unterscheiden. Diese Methode des Ineinander-Schachtelns mehrerer
Texte findet auch bei einem dban-bskur statt, hier bezeichnet man sie als
mc'ams-sbyor und sie ist nur den r^Sih-ma-pa eigen.
Diese ergänzenden, kleineren Texte werden häufig unter dem Eindruck
einer Vision geschrieben oder nach einer besonders intensiv erlebten Zere¬
monie. Sie sind damit dGohs-gter, d. h. gTer-ma meditativen Ursprungs.
Sie bilden die dritte Kategorie und bilden zugleich die größte Zahl im gTer-
mjod. Sie machen aus den zufälligen Handschriftenfunden der Sa-gter ein
Yoga-System, wie es oben beschrieben wurde. In ihm findet die Philosophie
und Mystik der rSJin-ma-pa - wie sie in der gTer-ma Literatur refiektiert
wird - ihren Niederschlag, aber auch ihre Fortentwicklung. Die verschie¬
denen Redaktionen des gTer-mjod unterscheiden sich in der Auswahl dieser
dGons-gter. Im allgemeinen gruppiert sich ein ö'os-skor um einen Sa-gter,
aber es gibt auch Systeme, die nur aus dGons-gter bestehen, aber die
gleiche Autorität genießen.
Das Gesagte mag bereits angedeutet haben, daß die Thematik des gTer-
mjod bestimmt wird von den großen Tantra-Zyklen, die die r^Sin-ma-pa als
bka'-brgyad bezeichnen und als die Unterweisung des Padmasambhava
gelten. Um diese scharen sich unzählige kleinere und kleinste Texte, die
alle zum kultischen Gebrauch oder für die Meditationspraxis geschrieben
wurden. Deutlich wird dieser Verwendungszweck auch an der Einteilung
des gTer-mjod in die Abteilungen bla-ma, yi-dam und mk'a'-'gro. Aus
diesen drei Wurzeln (rca-gsum) erwächst der Baum der Bodhi. bLa-ma ist
hier natürlich Padmasambhava als die Emanation (sPrul-sku) des Kun-tu-
bzaii-po, des ontologischen Urgrundes im System der rNiii-ma-pa. Yi-dam
sind die verschiedenen tantrischen Aspekte des aktiven upäya, der karunä,
es ist Ö'e-mö'og in seinen vielfachen Ausprägungen. Dazu tritt mK'a'-'gro
als die ,, inspirationeilen Impulse des erkennenden Bewußtseins"**. Daß
man außerdem noch diesen und jenen Traktat in den Gter-mjod aufnahm,
um ihn in dieser Enzyklopädie vor dem Untergang zu bewahren, sagt der
Redakteur der mir vorliegenden Ausgabe, Padma-gar-dban, ganz offen.
Ich habe oben von der Entstehungszeit der gTer-ma gesprochen. Es er¬
hebt sich nun die Frage der Originalität der uns heute vorliegenden Texte
A. Govinda. Grundlagen tibetischer Mystik 1957; S. 221.
des gTer-mjod: Sie haben fast alle mancherlei Überarbeitungen, Korrek¬
turen und Ergänzungen über sich ergehen lassen müssen. Immer wieder
wird im Kolophon gesagt, der Text sei leicht lesbar gemacht worden, d. h.
schwierige Stellen, alte Worte wurden mehr und mehr eliminiert. Es wäre
daher sehr wichtig, die älteren Fassungen zu besitzen, so daß man den Grad
der Überarbeitung feststellen könnte. Für den einen oder anderen Fall mag
dies ein glücklicher Zufall besorgen, im allgemeinen jedoch wird man über
die Angaben im Kolophon nicht hinauskommen. Der gTer-gzun weist in
der Regel die geringste Zahl der Überarbeitungen auf, alle übrigen Texte
jedoch - sie orientieren sich zwar an dem zentralen gTer-ma und verwenden
daraus Zitate - wurden anhand der mündlichen Tradition, der Vorlesungs-
notizen durch den Bearbeiter weitgehend umgestaltet, und zwar immer
wieder. In der Begründung für diese ümgestaltung wird nur zu häufig
auf die Dummheit des heutigen Schüler hingewiesen, aber auch auf die
ünklarheit und Kürze der Vorlage. So kann man sagen, selbst jene gTer-ma,
die aus den Übersetzungen der Frühzeit (sna-dar) hervorgegangen sind,
wurden nicht ohne Veränderungen uns überliefert. Eine Ausnahme bilden
ntu' die rGyud und mDo. Für die überwiegende Mehrzahl gilt jedoch, daß
sie ununterbrochenen ümgestaltungen ausgesetzt waren. Die gTer-ma wur¬
den nicht als historische Denkmäler steril durch die Jahrhunderte tradiert,
sondern unterlagen als pragmatische Texte der religiösen Erziehung dem
gleichen Wandel wie das gesamte religiöse Leben. Mithin hat der Kompila¬
tor des hier vorliegenden gTer-mjod dieser Sammlung entschieden den
Stempel seiner Persönlichkeit und seiner eigenen geistigen Erfahrungen auf¬
gedrückt. Er wählte die Texte aus, die aufgenommen werden sollten. Und
mehr als ein Drittel aller Texte hat er oder sein Lehrer in der heutigen Fas¬
sung niedergeschrieben. Der Bearbeiter und Kompilator war Padma-gar-
gjd-dban-p'yug-p'rin-las, ein Schüler des bekannten mK'yen-brce'i dban-po.
mK'yen-brce'i-dbah-po war der fünfte und letzte gTer-ston-rgyal po; er
wurde geboren 1820 und starb 1892. Als gTer-ston trägt er meist den Namen
Padma-'od-gsal-mdo-siiags-glin-pa, an der Identität der beiden Namen ist
aber nicht zu zweifeln, da sie mehrfach belegt ist**. In manchen Kolophonen
gibt sein Schüler Padma-gar-dbah an, daß er den Traktat nach dem Tode
seines Lehrers niedergeschrieben habe. Ein Großteil der gTer-ma Literatur
hat somit ihre heutige Prägung in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn
des 20. Jahrhunderts erhalten.
35 gTer-mjod vol. Ma: bka' brgyad drag po bde gsegs yons 'dus las / lam 'bras bu daii bcas pa'i gdams pa gsan 6'en ye ses kyi sfiin po zes bya ba bzugs so // fol. löa.
3. Ferner in: bod sna rabs pa gsan 6'en rniii ma'i ö'os 'byun legs bsad gsar pa'i dga' ston gyi dbu 'dren gzun don le'u'i nos 'jin bzugs jj fol. 220b. 2 und in A. Mac¬
donald. Le Mandala du Manjusrimülakalpa 1962, S. 93.
862 Eva Neumaiee
Für die Methodik der wissenschafthchen Bearbeitung ergeben sich fol¬
gende Möghchkeiten : Durch Text- und Quellenkritik das Ausmaß der Ver¬
änderungen festzustellen und nach Möglichkeit den Urtext zu rekonstru¬
ieren. Solche Arbeitsweisen sind durch die geringe Erschlossenheit der tibe¬
tischen Literatur und durch die politischen Veränderungen in Tibet im
Augenbhck weitgehend unmöglich. Wollte man auf der eingangs angeführ¬
ten Meinung beharren, daß die gTer-ston selbst die Verfasser der gTer-ma
seien, daß der im Kolophon als letzter Bearbeiter angegebene gTer-ston die
Textgeschichte fingierte, so müßte man in den gTer-ma einen Ausdruck
des tibetischen Geisteslebens des 19. und 20. Jahrhunderts sehen. Dies ist
meines Eraohtens nach dem Inhalt der Texte und nach der Prüfung der
Angaben in den Kolophonen unzulässig. Also bleibt nur die Möglichkeit,
von der einheimischen Tradition auszugehen und in diesen Abgrenzungen
die Spreu vom Weizen zu sondern, d. h. die echten gTer-ma von den wirk¬
lich fingierten zu unterscheiden und zu trennen. Führt man auf dieser Basis
Struktur- und Phänomenvergleiche durch, so ergeben sich bestimmte Ent¬
wicklungstendenzen. G. Tücci hat anhand der unterschiedlichen Namens¬
listen der sad-mi, der ersten ordinierten Tibeter, gezeigt wie die Tradition
sich unter dem Druck der pohtischen Ereignisse veränderte**. Erfuhr aber
die brgyud-pa eine Umgestaltung, so notwendigerweise auoh die überliefer¬
ten Lehren, die ja an die Personen der brgyud-pa gebunden sind. Ziel einer
solchen Methodik müßte die tibetische Geistesgesohichte sein. Als Hilfs¬
mittel zm- Erstellung der brgyud-pa und der Text-Tradierung sind die An¬
gaben der Kolophone vorzüghch geeignet. Sie geben Anhaltspunkte zum
Aufsuchen uns noch unbekannter Literaturwerke und geben Aufschluß
über die spezielle brgyud-pa des jeweiligen Systems bzw. Literatur-Zyklus.
Diese Angaben der Kolophone werden in den lo-rgyus der dban-Texte
noch weiter ausgeführt. Diese gTer-ma, die von Mystikern aufgefunden oder
verfaßt wurden, und die nur für das religiöse Exercitium gedacht sind,
sind als Quellen für eine Literatm-geschichte brauchbar, darüber hinaus
spiegeln sie in der Veränderung, die sie im Laufe der Jahrhunderte erfahren
haben, die Philosophie- und Geistesgeschichte wider.
G. Tucci. Mmor Buddhist Texts II, S. 12 ff.
VON H. V. Stietencbon, Heidelberg
Der Gott Bhairava, dessen Name zwar eigentlich von sanskrit bhiru =
furchtsam abzuleiten wäre, aber nach Auffassung der Inder etwa der Fürch¬
terliche, Gräßhche, Grausige bedeuten solP, ist nach der Tradition eine der
schreckenerregenden Formen des großen Gottes Siva. In der Praxis der
Bildhauerschulen orientierte man sich für die Darstellungen des Bhairava
an dem Mythos dieses Gottes und stellte ihn, den verschiedenen Phasen der
Erzählung entsprechend, am häufigsten in folgenden drei Formen dar : als
BrahmaSiraSchedakamürti, als Bhiksätanamürti und als Kankälamürti.
Von diesen drei Formen eignet sich die mittlere, Bhik.satanamürti, d. h. die
Gestalt, in der Siva um Almosen bettelnd einher wandert, am ehesten zu
einer Milderung der grauenhaften Elemente in der Gestalt des Gottes. Die
beiden anderen Formen aber zeigen Bhairava in seiner vollen Wildheit.
Siva als Brahmasirasehedaka hält in seiner linken Hand ein abgeschla¬
genes Haupt am Haarschopf gepackt. Aus dem Halsstummel tropft nooh
Blut, das begierig von einem Hund aufgeleckt wird, der den Gott begleitet.
Als Kankälamürti ist Bhairava gerade dabei, einen Mann aufzuspießen,
oder er schleppt bereits auf der Schulter den verstümmelten Leichnam bzw.
dessen Gerippe mit sich, während er mit ausgestreckter Bettelschale durch
die Lande zieht. In beiden Fällen ist der Gott entweder nackt oder mit
einem Tigerfell bzw. einer Elefantenhaut bekleidet. Eine mächtige Girlande
aus Menschenschädeln bildet seinen wichtigsten Schmuck. Bisweilen ver¬
treten sich ringelnde Schlangen die Ornamente an Hals oder Armen. Die
Hautfarbe des Gottes ist dunkel. Er hat runde, rollende Augen von gelber
oder roter Farbe, weit geblähte Nasenfiügel, und aus seinem Mund ragen
zwei hauerartige Fangzähne heraus. Grauenerregend ist die Schilderung in
den Texten, grauenerregend sioher auch der Eindruck, den der Anblick
des Bhairava auf den einfachen Gläubigen machte. Es gibt allerdings auch
1 bhairavam = bhayänakam (schrecklich), Amarakosa 1,7,20
= träsakrt (Entsetzen bereitend), Sabdakalpadruma.
bhairavah = bhimarüpa (furohtgestaltig), Väyu P. 55,30
= bhisana (entsetzlich), Siva P.
= bhiravah (bhi-ravah) = bhayamkaro ravo yasya, Etymologie nach Sabdakalpadruma s. v. bhairavah.