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Archiv "Kausalitätsbewertung hepatotoxischer Reaktionen" (08.09.2006)

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edikamente können schwerste, unter Umständen lebensbe- drohliche hepatotoxische Reak- tionen auslösen. Wie häufig sie tatsäch- lich vorkommen, ist aus den Daten der nationalen Systeme zur Spontanerfas- sung von unerwünschten Arzneimittel- wirkungen (UAW) nicht zu ermitteln.

In Frankreich wurde bei einer pro- spektiven größeren Beobachtungsstudie mit entsprechend ausgebildeten Unter- suchern eine Häufigkeit von jährlich 14 Fällen auf 100 000 Einwohner berichtet, sechs Prozent dieser Patienten starben (1). In der gemeinsamen UAW-Daten- bank des Bundesinstituts für Arzneimit- tel und Medizinprodukte (BfArM) und der Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft (AkdÄ) machen Le- ber- und Gallenveränderungen circa 30 Prozent aller eingegangenen Berichte aus (2). Dabei stellt der mit Ikterus ein- hergehende hepatozelluläre Schaden – im Hinblick auf die Mortalität bezie- hungsweise die Notwendigkeit einer Le- bertransplantation – das deutlich höhere Risiko dar im Vergleich zum rein cho- lostatischen Ikterus.Das Bekanntwerden hepatotoxischer Reaktionen ist einer der häufigsten Gründe für Änderungen der Fachinformation eines Präparates, für behördlich angeordnete Warnungen oder die Rücknahme der Zulassung (3).

Derartige Zahlen sind nichts anderes als Signale eines zugrunde liegenden Si- cherheitsproblems. Es mag ein quanti- tativ zu vernachlässigendes sein, oder es handelt sich um die Spitze eines Eis- bergs, und es ist in Wirklichkeit – bezo- gen auf die vielfache Anwendung eines einzelnen Präparates – viel gravieren-

der als es nach der Zahl der eingegange- nen Meldungen scheint.

Um die Bedeutsamkeit derartiger spontan eingegangener Signale bewer- ten zu können, müssen unter anderem zwei Fragen gestellt werden:

>Wie deutlich ist im jeweiligen Ein- zelfall die Kausalität zwischen UAW und angeschuldigtem Wirkstoff?

>Lässt sich die gemeldete Beobach- tung in schon vorhandene Erkenntnisse aus bisher eingegangenen Meldungen oder aus zur Zulassung eingereichten Studien integrieren?

Beide Fragen sind meist nicht ein- fach zu beantworten.

Offene Fragen

Die Kausalität zu beurteilen mag er- schwert sein durch das Nichtvorhan- densein von Ausgangsbefunden wie zum Beispiel Laborwerten, mangelhaf- ter Information über die zugrunde lie- gende Krankheit, ihren Verlauf, ihre bisherige Behandlung, über Komorbi- ditäten und deren pharmakologische Therapie. Manche dieser Informatio- nen können – sofern der Fall direkt der AkdÄ gemeldet wurde – von ihr beim berichtenden Arzt nachträglich erhal- ten werden. Aber auch damit lässt sich die Frage nach dem ursächlichen Zu- sammenhang oft nicht ausreichend klären; denn in den wenigsten Fällen liegen Erkenntnisse aus einem Absetz- und Reexpositionsversuch vor (4).

Ob – um die zweite Frage anzutönen – bereits einschlägige Beobachtungen vorliegen, ist deshalb oft nicht ent- scheidbar, weil die Erfassung von UAW in den vom Hersteller gesponsorten kli- nischen Studien, die primär der Testung

der Wirksamkeit gelten, oft methodisch nicht ausreichend erfolgt und weil die entsprechenden Daten nicht umfassend publiziert werden. Auch werden oft nur Laborwerte wie beispielsweise Leber- enzymaktivitäten berichtet, die noch dazu durch die Anwendung bestimmter Cut-off-Werte spezifisch „frisiert“ sind.

Erhöhte Aktivitäten der Leberenzyme allein reflektieren aber nicht notwendi- gerweise einen Leberschaden. Deshalb gehört die Dokumentation klinischer Symptome wie Müdigkeit, Übelkeit oder Schmerzen im rechten oberen Bauchquadranten zur UAW-Erfassung in derartigen Fällen. Im Kontext einer schwer ausgeprägten Lebertoxizität mögen auch eine verlängerte Pro- thrombinzeit und/oder eine Enzepha- lopathie hinzukommen (5).

Effektive Spontanerfassung

Je umfangreicher die Dokumentation ist, umso wahrscheinlicher wird eine adäquate Kausalitätsbeurteilung bei der späteren Bearbeitung des Falls. Freilich muss der Wunsch nach möglichst um- fassender Dokumentation eines UAW- Verdachts abgeglichen werden mit der Realität einer unter ständigem Zeitdruck arbeitenden Kollegenschaft und der Notwendigkeit, mehr Meldun- gen als bisher zu induzieren. Dieses Vorgehen betrifft nicht nur Fälle mit wahrscheinlich ursächlichem Zusam- menhang, sondern primär solche, bei denen der Verdacht eines Zusam- menhangs aufgekommen ist. Darin liegt ein Hauptcharakteristikum eines effektiven Spontanerfassungssystems:

Nicht nur alle schweren, alle unbe- kannten und alle UAWs zu neuen Sub- M E D I Z I N

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 36⏐⏐8. September 2006 AA2309

Editorial

Kausalitätsbewertung

hepatotoxischer Reaktionen

Die Achillesferse des Spontanmeldesystems für Arzneimittelnebenwirkungen?

Bruno Müller-Oerlinghausen

Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (Vorsit- zender: Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen), Berlin

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stanzen werden erfasst (2), sondern Verdachtsfälle aller Art werden be- richtet, wie es exemplarisch im briti- schen Prescription Event Monitoring (PEM) geschieht (6). Beim PEM wur- de von einer bekannten Schwachstelle des Spontanerfassungssystems ausge- gangen: Demnach meinen Ärzte im- mer wieder, es lohne sich nicht oder man mache sich lächerlich, einen Fall mit ungesicherter Kausalität zu mel- den. Das Gegenteil ist der Fall. Nur dann werden neue und die Arzneimit- telsicherheit potenziell verbessernde Signale generiert, wenn der pure Ver- dacht genügt, eine Meldung an die AkdÄ oder das BfArM abzuschicken.

Auch die in dieser Ausgabe des Deut- schen Ärzteblatts publizierte, anregende und interessante Arbeit von Teschke et al. (8) reflektiert ein solches Missver- ständnis der Funktionsweise eines Spon- tanmeldesystems. Es mag als eine Hilfe für die Institutionen der UAW-Erfas- sung erscheinen, wenn die Ärzteschaft nur solche Fälle von Lebertoxizität be- richtet, deren Kausalität sie nach dem von den Autoren vorgeschlagenen Algo- rithmus „vorgetestet“ hat. Die meisten Pharmakovigilanz-Experten würden je- doch ein solches Vorgehen ablehnen. Es ist sogar zu befürchten, dass industrielle Vertreter, die bezüglich der Meldung von UAW eine andere Interessenlage haben könnten als AkdÄ oder BfArM, den Arzt mittels eines solchen „Tests“

von der Meldung potenziell wichtiger Signale abhalten. Auch wird die Motiva- tion, spontan UAW-Verdachtsfälle zu melden, durch die Notwendigkeit derar- tiger vorgeschalteter Überlegungen und

„Testungen“ vermutlich nicht gefördert.

Es ist darüber hinaus schwer einzusehen, warum speziell für hepatotoxische Re- aktionen ein solches Verfahren sinnvoll erscheinen soll, nicht aber für UAWs an- derer Organsysteme.

Operationalisiertes Vorgehen

Algorithmische Beurteilungen des po- tenziellen Zusammenhangs von ange- schuldigtem Medikament und uner- wünschtem Ereignis sind Sache der In- stitutionen, die UAW-Meldungen analy- sieren. Inwiefern ein operationalisiertes Vorgehen, wie es zum Beispiel auch bei

M E D I Z I N

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A2310 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 36⏐⏐8. September 2006

den deutschen Pharmakovigilanzzen- tren üblich ist, tatsächlich zu valideren Einschätzungen der Kausalität führt, ist bis heute nicht erwiesen (7).

Manuskript eingereicht: 15. 3. 2006, angenommen:

16. 3. 2006

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Establishing causality in hepatotoxic drug reactions. The Achilles heel of the voluntary reporting system for ad- verse drug reactions.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2006; 103(36): A 2309–10.

Literatur

1. Sgro C, Clinard F, Ouazir K et al.: Incidence of drug-in- duced hepatic injuries: a French population-based study. Hepatology 2002; 36: 451–5.

2. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft:

Pharmakovigilanz. Arzneiverordnung in der Praxis (Sonderheft), 1. Auflage 2005

3. Temple RJ: Hepatotoxicity through the years: impact on the FDA. www.fda.gov/cder/livertox/Presenta- tions/im1389/sld001.htm.

4. Hasford J: Methoden zur Erfassung unerwünschter Arzneimittelwirkungen. In: Dölle W, Müller-Oerling- hausen B, Schwabe U, Hrsg.: Grundlagen der Arznei- mitteltherapie. BI Wissenschaftsverlag Mannheim, Wien, Zürich 1986; 281–91.

5. Navarro VJ, Senior JR: Drug-related hepatotoxicity. N Engl J Med 2006; 354: 731–9.

6. Inman WHW: Prescription-event monitoring. Acta Med Scand 1984; 683 (Suppl.): 119–26.

7. Schmidt LG, Dirschedl P, Grohmann R et al.: Consis- tency of assessment of adverse drug reactions in psychiatric hospitals: a comparison of an algorithmic and an empirical approach. Eur J Clin Pharmacol 1986; 30: 199–204.

8. Teschke R, Hennermann KH, Schwarzenböck A: Arz- neimittelbedingte Hepatotoxizität: Diagnostische Hil- fe durch Bewertungsskala. Dtsch Arztebl 2006;

103(36): A 2311-8.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Jebensstraße 3

10623 Berlin

AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT

MEDIZINGESCHICHTE(N)) Alkoholmissbrauch „Entartung“

Zitat:„Der verderbliche Einfluss des Alkoholmissbrauches auf die Nach- kommenschaft ist ein so augenscheinlicher und zugleich so ungemein wich- tiger, dass wir wenigstens einige der auf diesem Gebiete bekannt geworde- nen Tatsachenreihen wiedergeben mussten. Die Darstellungen sind ohne weiteres verständlich; sie zeigen einmal die grosse Kindersterblichkeit in Trinkerfamilien, sodann die Häufigkeit von Nerven- und Geisteskrankhei- ten wie von Missbildungen, endlich auch die geringere Widerstandsfähig- keit der Trinkerkinder gegen Tuberkulose. Es darf allerdings nicht un- berücksichtigt bleiben, dass die Trunksucht der Eltern in vielen Fällen das Zeichen ihrer leiblich-seelischen Entartung [1] ist, die sie selbst schon von ihren Eltern ererbt haben. Selbstverständlich ist auch die Minderwertig- keit [2] der Kinder nicht allein durch die schädliche Wirkung des Alkohols auf die Keime [3] bedingt, sondern es spielen dabei die Begleiterscheinun- gen der Trunksucht, die Zerrüttung der Ehe, die sittliche Verwahrlosung und der wirtschaftliche Niedergang in Trinkerfamilien sicherlich eine we- sentliche Rolle.“

Wandtafeln zur Alkoholfrage. Herausgegeben von Max Gruber und Emil Kraepelin. München: Lehmann 1907, Seite 17 f. (zu Tafel III: „Alkohol und Entartung“). – Der Psychiater Kraepelin (1856–1926) und der Hy- gieniker Gruber (1853–1927) waren seinerzeit auf ihrem jeweiligen Fachgebiet tonangebend. Insbesonde- re Gruber wurde zu einem prominenten Vertreter der sich entfaltenden Rassenhygiene. – [1] Die Degenera- tionslehre spielte im Zusammenhang mit Sozialdarwinismus und Rassenbiologie um 1900 eine wichtige Rolle. [2] Die Lehre von der „Organminderwertigkeit“ wurde in dieser Zeit auch von dem Individualpsycho- logen Alfred Adler zur Erklärung psychischer Fehlhaltungen („Minderwertigkeitskomplex“) herangezogen.

[3] Alkohol galt als „Keimgift“ und damit – lange vor der Einführung der Zwangssterilisation im National- sozialismus – als Ursache von Erbschäden.

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