[136] Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 318. Januar 2008
S C H L U S S P U N K T
I
ch habe sie 13 Jahre lang begleitet, die gepflegte Pa- tientin mit dem mir so vertrauten Berliner Akzent.13 Jahre haben wir gegen den Brustkrebs gemeinsam gekämpft. Die Mutter war Brustkrebsbetroffene. Dann schlug auch bei ihr mit Anfang 60 der Krebs zu.
Erhobenen Hauptes nahm sie die Diagnose zur Kennt- nis. Sie konnte Dankbarkeit empfinden, dass „wir“ den Krebs im Anfangsstadium entdeckt hatten. „Das ganze Leben hatte mich die Angst in ihren Klauen, seitdem ich in Ihrer Betreuung bin, ist meine Angst Vergangenheit.“
Und sie erzählte mir im Moment der Diagnosestellung ihre Lebensgeschichte.
Sie erzählte von ihrer Kindheit im tiefsten Berlin- Wedding und vom Missbrauch durch den Onkel, von der Alkoholabhängigkeit des Vaters, der Hilflosigkeit der Mutter und der Angst vor Nähe. Partner- und kin- derlos gestaltete sie ein erfolgreiches Berufsleben bei einer Versicherung. Ein paar Jahre war der Krebs ruhig;
dann schlägt er, entgegen allen Prognosen, in immer kürzer werdenden Abständen zu. Metastasen in den Knochen, Chemotherapien, Morphium. Hinzu kommen Probleme durch eine erst nach langer Leidensgeschich- te diagnostizierte Laktoseintoleranz mit ständigen Bauchschmerzen, Probleme mit den Zähnen, Gewichts- abnahme.
Ich ahne, welche ungeheure Kraft es kostet, trotz des reduzierten Allgemeinzustands so wunderbar ge- pflegt und mental aufrecht in meine Praxis zu kom- men, „zu meiner Doktorin“. Bei unserer letzten (?) Be- gegnung gelingt es mir nicht, ihr gegenüber aufrichtig fröhlich zu sein. Ihren Verfall und ihr Leid mitzuerle- ben, ist so schwer auszuhalten. Dann bringt sie mich mit einer Bemerkung zum Schmunzeln. „Das wollte ich doch noch erleben.“ Als wir uns an der Tür Auge in Auge gegenüberstehen, streichelt sie mir unvermit- telt mit ihrer Hand über meine Wange und sagt mit großem Ernst: „. . . und bleib’n Se mir schön gesund, Doktorin.“
Ich bin zutiefst berührt von der Abschiedlichkeit die- ses Moments, sie geht – fort von mir, von dieser Welt –, und ihre liebevollen Wünsche an mich sind in ihrer All- täglichkeit in dieser Situation voller Kraft. I Dr. med. Annette Klöpper-Auffermann
ARZTGESCHICHTE
Bleib’n Se mir schön gesund, Doktorin
„Ich ahne, welche ungeheure Kraft es kostet, trotz des reduzierten Allgemeinzustands so wunderbar gepflegt und mental aufrecht in meine Praxis zu kommen.“
Zeichnung:Elke Steiner