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Archiv "Menschen mit Behinderungen: Inklusion als neuer Maßstab" (11.12.2009)

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A 2506 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 50

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11. Dezember 2009

MENSCHEN MIT BEHINDERUNGEN

Inklusion als neuer Maßstab

Die UN-Behindertenrechtskonvention stärkt den Anspruch auf Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Teilhabe.

Das gilt auch für die Bereiche Gesundheit und Rehabilitation.

M

it der Ratifizierung durch die Bundesregierung ist das

„Übereinkommen der Vereinten Na- tionen über die Rechte von Men- schen mit Behinderungen“ (UN- Konvention) seit März in Deutsch- land geltendes Recht. Damit hat sich die Bundesrepublik im Rahmen der UN verpflichtet, die volle Verwirkli- chung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten und zu fördern. Gesetze, Verordnun- gen und Praktiken, die eine Diskri- minierung darstellen, müssen geän- dert oder aufgehoben werden.

Grundlage der Rechte behinderter Menschen sind nach Artikel 3 der UN-Konvention die Menschenwür- de, die individuelle Autonomie, die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, und die Selbstbestimmung.

Zentrale Punkte stellen aber auch die Chancengleichheit, die Barrierefrei- heit, die wirksame Teilhabe und die Einbeziehung in die Gesellschaft dar.

Menschen mit Behinderungen sollen in ihrer Andersartigkeit geachtet und als Teil der menschlichen Vielfalt ak- zeptiert werden. In mehr als 40 Arti- keln beschreibt die Konvention die Pflichten, zu denen sich die Vertrags- staaten mit der Ratifizierung beken- nen. Dabei geht es um Grund- und Menschenrechte, Achtung der Woh- nung und der Privatsphäre, aber auch um die gesellschaftlichen Dimensio- nen sowie um Anforderungen an das Gesundheits- und Sozialwesen.

Volle Einbeziehung in alle Aspekte des Lebens

Artikel 25 der UN-Konvention be- fasst sich mit dem Thema Gesund- heit. In ihm verpflichten sich die Vertragsstaaten dazu, Menschen mit Behinderungen eine unentgeltliche oder erschwingliche Gesundheits- versorgung in derselben Bandbrei- te und von derselben Qualität zur Verfügung zu stellen wie anderen Menschen – einschließlich Sexual-

und fortpflanzungsmedizinischer Ge- sundheitsleistungen und Program- me des öffentlichen Gesundheitswe- sens. Es sind darüber hinaus Leistun- gen anzubieten, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderung benötigt werden – unter anderem Früherkennung und Frühförderung sowie Maßnahmen, durch die eine weitere Behinderung vermindert oder vermieden wird.

Die Gesundheitsleistungen sind so wohnortnah wie möglich anzubieten, auch in ländlichen Gebieten.

Die Bereiche Habilitation und Rehabilitation regelt der Artikel 26.

Demnach müssen die Staaten wirk- same und geeignete Maßnahmen treffen, um folgende Ziele zu errei- chen: Menschen mit Behinderungen sind in die Lage zu versetzen, ein Höchstmaß an Selbstbestimmung sowie umfassende körperliche, geis- tige, soziale und berufliche Fähig- keiten zu erreichen. Die volle Einbe- ziehung in und Teilhabe an allen

Foto: Joker

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11. Dezember 2009 A 2507 Aspekten des Lebens muss ihnen

möglich sein. Dazu sind umfassen- de, wohnortnahe Habilitations- und Rehabilitationsprogramme zu orga- nisieren. Dies gilt insbesondere auf den Gebieten Gesundheit, Beschäf- tigung, Bildung und Sozialdienste.

Aufbauend auf den allgemeinen Grundsätzen des Artikels 3 durch- zieht der Gedanke der Selbstbe- stimmung und der autonomen Le- bensgestaltung alle Regelungen der UN-Konvention. Sie formuliert ins- gesamt höchste Anforderungen an eine solidarische und barrierefreie Gesellschaft, die Fremdbestimmung und Ausgliederungstendenzen zu- rückweist. Ziel ist ein verstärktes Zugehörigkeitsempfinden („enhanc- ed sense of belonging“). Die Kon- vention fordert eine freiheitliche und gleichberechtigte soziale „In- klusion“. Dabei drückt das Prinzip Inklusion eine umfassende gesell- schaftliche Solidarität mit behinder- ten Menschen aus. Soziale Inklusi- on dient der Gleichstellung und Gleichbehandlung aller Menschen – bei gegebener Verschiedenheit („human diversity“). Es ist der neue Maßstab für die Umsetzung der Rechte behinderter Menschen, zu denen im deutschen Sozialrecht chronisch kranke, behinderte und pflegebedürftige Menschen zählen.

In Deutschland existiert bereits eine breite gesetzliche Basis für die Integration behinderter Menschen – beginnend mit der Aufnahme des Diskriminierungsverbots in Artikel 3 des Grundgesetzes im Jahr 1994 und dem Behindertengleichstellungs- gesetz. Mit dem 2001 in Kraft ge - tretenen Neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX) hat der Gesetzgeber das bis dahin auf alle Sozialgesetzbü- cher verteilte Recht der Rehabilita - tion und Teilhabe behinderter Men- schen zusammengefasst. Das SGB IX ist bei allen Sozialleistungsträ- gern wirksam. Der Gesetzgeber er- wartet, dass auf dieser Basis durch Koordination, Kooperation der Re- habilitationsträger und Konvergenz der Leistungen ein gemeinsames Recht und eine einheitliche Praxis erreicht werden. Er geht dabei von einer weitgehenden Einheitlichkeit des Leistungsrechts aus. Der behin- derte, pflegebedürftige und chro-

nisch kranke Mensch muss von je- dem Träger eine gleich wirksame und bedarfsgerechte Leistung erhal- ten – unabhängig von der Zuständig- keit und der Ursache für den Bedarf.

Ein weiteres Kernziel des SGB IX ist die Überwindung der Schnitt- stellenprobleme des gegliederten Sozialleistungssystems. Dazu sieht das Gesetzbuch verschiedene Ver- fahrensregeln vor, die eine einheit- liche Praxis des Rechts und der Leistungen gewährleisten sollen.

Darüber hinaus stärkt das SGB IX die Selbstbestimmung und die Rechte der Betroffenen. Beispiele dafür sind das persönliche Budget, das Wunsch- und Wahlrecht sowie die Berücksichtigung der Belange seelisch behinderter Menschen.

Teilhabemanagement muss verbessert werden

Dem Gesetzgeber war bewusst, dass ein einheitliches Vorgehen der Rehabilitationsträger in der Praxis nicht ohne Weiteres umsetzbar sein würde. Deshalb hat er die Träger zu einem gemeinsamen Teilhabe- ma nagement verpflichtet. Dieses umfasst unter anderem die gemein- same Verantwortung der Träger für die Feststellung des Leistungsbe- darfs, die zügige, wirksame, wirt- schaftliche und nachhaltige Leis- tungsausführung sowie die einheit- liche Leistungserbringung.

Die institutionelle Basis für das Teilhabemanagement sollen die ge- meinsamen Servicestellen sein. Sie sind zwar organisatorische Unter- einheiten eines Kostenträgers, aber zugleich übergreifend für alle Trä- ger tätig. Sie sollen mit besonders qualifiziertem Personal ausgestattet sein und ihre Aufgaben ohne Zu- gangs- und Kommunikationsbarrie- ren erfüllen. Ausdrücklich sind sie nicht nur für das Teilhabemanage- ment chronisch kranker und behin- derter Menschen zuständig, son- dern auch für Pflegebedürftige.

Die gemeinsamen Servicestellen sind wichtige Kontaktstellen für Ärzte. Das SGB IX verpflichtet alle Ärzte zur Beratung über geeignete Leistungen zur Teilhabe, wenn ihnen Menschen mit Behinderung vorge- stellt werden oder sie eine drohen- de Behinderung wahrnehmen. Ärzte

müssen ihre Patienten auf die ge- meinsamen Servicestellen oder sons- tige Beratungsstellen hinweisen.

Abgeordnete des Landtags von Schleswig-Holstein berichteten schon 2006 wie folgt über ihren Besuch gemeinsamer Servicestellen: „Die häufig diskutierte Frage zur Arbeit der Servicestellen lautet: ,Haben sich gemeinsame Servicestellen bisher bewährt?‘ Nach unserer Auf- fassung lässt sich diese Frage nur schwer beantworten. Denn die Vor- gabe des Gesetzgebers, dass sich al- le im Sozialgesetzbuch IX genann- ten Rehabilitationsträger an der Servicestelle beteiligen, wird kaum umgesetzt.“ Treffender lässt sich Anspruch und Wirklichkeit des SGB IX nicht beschreiben. Auch der Deutsche Bundestag hat in sei- ner Entschließung zum Bericht der Bundesregierung über die Lage be- hinderter Menschen 2004 erkannt, dass die Rehabilitationsträger das SGB IX in wesentlichen Bereichen nicht umgesetzt haben.

Aus dem ersten Teil des SGB IX ist bislang nur die Regelung zur Zuständigkeitsklärung umgesetzt.

Demnach müssen die Träger inner- halb von zwei Wochen ihre Zustän- digkeit geklärt und binnen weiterer drei Wochen über den Leistungsan- trag entschieden haben. In den meis- ten anderen Bereichen ist das Gesetz dagegen nicht in der Praxis ange- kommen. Dies gilt – mit wenigen Ausnahmen – für alle Träger des deutschen Sozialleistungssystems.

Vorgaben des SGB IX sind umzusetzen

In der kommenden Legislaturperi- ode steht die Konkretisierung des Inklusionsanspruchs der UN-Kon- vention an. Dabei wird der Gesetz- geber die Defizite in der Umset- zung des SGB IX beseitigen müs- sen. Der sozialen Inklusion steht auch die Tatsache entgegen, dass chronisch kranke, behinderte und pflegebedürftige Menschen bislang nicht nach den gleichen Grundsät- zen behandelt werden. Dies ist die Folge der vielfältigen Schnittstellen des gegliederten Systems und des korporatistischen Eigenlebens der Sozialleistungsträger. ■

Dr. phil. Harry Fuchs

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