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Archiv "Spätantike Medizin in Bildern sichtbar gemacht" (24.08.1978)

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

GESCHICHTE DER MEDIZIN

Links: Vier Helferinnen um die Gebärende, vorn links die Haupt-Hebamme, die das bereits erscheinende Kind aufnimmt — Relief aus Süditalien, 5. Jahrhundert v. Chr. — Rechts: Die einzige bekannte Darstellung von Christi Geburt: Die Helferin hinter Mariens Schulter und die vorn sitzende Hebamme gehören zur antiken Geburtsikonographie. Das florentinische Altarbildfragment aus dem späten 13. Jahrhundert, dessen Maler nicht bekannt ist, befindet sich heute im Fogg Art Museum, Cambridge, Mass.

Spätantike Medizin

in Bildern sichtbar gemacht

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edizingeschichte und Kunstge- schichte vereint — genauer ge- sagt: die Methoden dieser beiden Fächer zusammen: Das ergibt eine Lektüre, die so spannend ist wie ein Kriminalroman. Und man erfährt da- bei, daß die Medizin — sei es die wissenschaftliche, sei es die populä- re Information über die Medizin — sich über tausend Jahre hin nicht verändert hat. Von der Spätantike bis zum Beginn der Renaissance und bis zur Erfindung der Druck- kunst gab es keine ärztliche Fortbil- dung, weil es keine zu geben brauchte; die Fachliteratur, ohnehin nur in Handschriften weitergegeben, blieb über diese tausend Jahre die gleiche.

Sie blieb sich sogar so sehr gleich, daß eine Kunsthistorikerin es unter- nehmen konnte, die verlorengegan- genen Originale einiger dieser Fach- bücher an Hand der vorhandenen Kopien zu rekonstruieren — und das ist nun das Spannende daran:

„Spätantike Bilder aus der Welt des Arztes"*) nannte Heide Grape-Al- bers ihre Dissertation, und so kön- nen wir heute sehen, wie der Arzt

und die ärztliche Behandlung im 4.

oder 6. Jahrhundert aussahen — ja, die Bildvorstellungen gehen stellen- weise noch viel weiter zurück, und dafür gibt es ein frappierendes Bei- spiel.

Die Bücher, um die es sich handelt, sind der „Pseudo-Apuleius", ein Herbarium, und das Tierbuch des Sextus Placitus. Beide Bücher exi- stieren, wie gesagt, nicht mehr, aber es sind rund 45 Handschriften be- kannt, die zwischen dem 8. und dem 16. Jahrhundert auf jener Grundlage entstanden sind — nicht direkt, son- dern immer wieder als Kopie von einer Kopie. Einige davon besitzen außer den Pflanzen- und Tierdarstel- lungen, die zu einem Herbarium und einem Tierbuch nun einmal gehö- ren, auch figürliche Darstellungen, vieles davon Behandlungsszenen, aber — im Zusammenhang mit be-

stimmten wehenfördernden Kräu- tern — auch Darstellungen einer Ent- bindung. Und diese Darstellungen sind sich im Prinzip gleich: Die Ge- bärende sitzt aufrecht auf einem Stuhl, im allgemeinen mit vier Helfe- rinnen. Zwei von ihnen stützen die Mutter von hinten, eine sorgt vor ihr für Gerätschaften und insbesondere für das Baden des erwarteten Kin- des, die andere steht bereit, um das Kind zu entwickeln, entgegenzuneh- men oder aufzufangen.

Solche Bilder finden sich in zwei Handschriften aus dem späten 13.

Jahrhundert, die wahrscheinlich in

*) Heide Grape-Albers: Spätantike Bilder aus der Welt des Arztes, Medizinische Bilder- handschriften der Spätantike und ihre mit- telalterliche Überlieferung. Einmalige Aufla- ge von eintausend Exemplaren, Guido Pressier Verlag, Wiesbaden, 1977, 24 X 34,5 cm, 203 Seiten, 367 Abbildungen, ge- bunden, 420 DM

1916 Heft 34 vom 24. August 1978 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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Ein typisches Behandlungs- bild aus der Flo- rentiner Hand- schrift: Augen- behandlung mit Herba Lactuca silva

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Links: Wieder: vier Helferinnen um die Gebärende, im Vordergrund die Haupt-Hebamme — Illustration des Pseudo-Apuleius in der in Florenz aufbewahrten Kopie MS. Plut. 73, 16; das Bild gehört zu einem Rezept der Herba Coriandrum zur Beschleunigung des Geburtsvorganges. — Mitte: Auf der unteren Hälfte der Rezeptillustration der Florentiner Kopie (Herba Sanguinaria gegen Nasenbluten): eine Ärztin. — Rechts: Rechts ebenfalls eine Ärztin, die Herba Proserpinatia gegen Menstruationsbeschwerden verabreicht

Süditalien kopiert worden sind. Die Art und Weise aber, wie der Geburts- vorgang hier dargestellt ist, wurde lange zuvor beschrieben: „Es sollen drei Helferinnen vorhanden sein, die in der Lage sind, die Ängstlichkeit der Schwangeren zu beseitigen .. . Zwei von ihnen sollen die Gebären- de seitlich und eine von hinten so halten, daß sie nicht schwankt in den Wehen. Ferner soll sich die Heb- amme . . . gegenüber, und zwar un- terhalb von der Gebärenden nieder- setzen. Denn die Extraktion des Fö- tus muß von einer höheren Ebene zu einer niedrigeren stattfinden." Es folgt eine Erörterung, warum es da- zu keine Alternative gibt, dann geht es weiter: „Deshalb soll die Hebam- me niedersitzen mit gespreizten Bei- nen, indem sie das linke etwas vor- wärts beugt, um das Arbeiten mit der linken Hand zu erleichtern, und zwar soll sie, wie gesagt, vor der Gebä- renden sitzen". Diese Vorschrift stammt von Soranus von Ephesus, Geburtshelfer im 1. Jahrhundert nach Christi Geburt. Der aber hatte das auch nicht erfunden: Es gibt ein griechisches Relief aus der Magna Graecia, also aus Süditalien, datiert

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 34 vom 24. August 1978 1917

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Links: Eine Ärztin läßt Herba Heliotropia zubereiten. — Rechts: Links die besorgte Angehörige der Kranken — Illustration zu einem Rezept der Herba Hedera crisocantes in der Florentiner Handschrift Fotos (9): Guido Pressier Verlag

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Spätantike Medizin in Bildern

aus dem 5. Jahrhundert vor Christi Geburt, dem perikleischen Zeitalter (leider im Privatbesitz in der Schweiz, deshalb schwer zugäng- lich). Schon hier sitzt die Gebärende auf einem Stuhl, von den vier Helfe- rinnen so umgeben, wie Soranus es beschreibt, die Hebamme auf ihrer linken Seite vor ihr, darauf wartend, daß das Kind, dessen Köpfchen schon erscheint, nach unten heraus- gezogen werden kann. Andere anti- ke Darstellungen sind ähnlich; nicht alle Familien konnten sich vier Hel- ferinnen leisten, und so gibt es bei- spielsweise in Ostia ein Votivtäfel- chen mit nur einer Helferin, die stützt, und der Hebamme, die von links vorn und unten nach dem Kin- de greift. In einem arabischen Ro- man, dessen Handschrift aus dem 13. Jahrhundert stammt, ist die 1600 Jahre ältere griechische Darstellung fast genau kopiert. Man kann also aus all dem folgern, daß im gesam- ten Mittelmeerraum die Geburtshilfe über fast 2000 Jahre sich immer in der gleichen Weise abgespielt hat — und die Methode wurde auch über den Mittelmeerraum hinaus verbrei- tet, denn die Handschriften sind si- cherlich auch nach Norden gelangt (aus ihren jetzigen Aufbewahrungs- orten darf man allerdings keine

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Vielfach wird die Umgebung des Kran- ken mit dargestellt: eine Schwitzkur mit Kamillentherapie gegen Augenleiden

Schlüsse ziehen — dafür sind häufig spätere Sammler verantwortlich).

„Antik" und christlich macht dabei keinen Unterschied. Aus der Bibel stammt die Geschichte von Rebekka und ihren Zwillingssöhnen Jakob und Esau. Auch diese Geburtsszene ist in christlich-mittelalterlichen Handschriften mehrfach in ähnli- cher Weise dargestellt worden. Nur:

Die wichtigste Geburt in der christli- chen Überlieferung, nämlich die Ge- burt Christi, wurde so gut wie nie im

Bild dargestellt. Niemand kann zäh- len, wie oft die Weihnachtsge- schichte gemalt worden ist. Aber im- mer wird ein Augenblick lange nach der eigentlichen Geburt wiederge- geben: das Kind, nackt oder schon

„in Windeln gewickelt" in seiner Krippe oder auf dem Schoß der Mut- ter, bereits im Zeitraum der Anbe- tung durch Hirten, Könige und Engel.

Eine einzige Ausnahme ist bekannt:

Ein allerdings in ziemlich schlech- tem Zustand befindliches, ziemlich naives florentinisches Altarbild aus dem 13. Jahrhundert, heute in Cam- bridge/Massachusetts, zeigt zwar (da man ja ohne weiteres fähig war, mehrere Phasen eines Vorganges in einem Bild sozusagen synchron wie- derzugeben) auch einmal das Chri- stuskind schon gewickelt in der Krippe im Hintergrund — aber Maria liegt noch halb aufgerichtet im Vor- dergrund, von hinten gestützt von einer Helferin; vor und unter ihr ba- den zwei andere Helferinnen das Kind. Diese Darstellung kommt der jahrtausendealten Geburtsdarstel-

lung so nahe, wie es nur eben mög- lich scheint — und diese Anordnung der beteiligten Personen muß den toskanischen Beschauern des 13.

Jahrhunderts auch als Geburtsdar- stellung verständlich gewesen sein.

Was hier am Beispiel der Geburts- darstellung gezeigt wird, läßt sich verallgemeinern — und das stellt nun für den Arzt und für den Medizinhi- storiker den Wert dieser eigentlich kunstgeschichtlichen Dissertation dar. Man kann nämlich aus den Illu- strationen der überlieferten Hand- schriften des Pseudo-Apuleius und Sextus Placitus das Erscheinungs- bild nicht nur der mittelalterlichen, sondern mit großer Wahrscheinlich- keit auch der spätantiken Heilkunde und der ärztlichen Tätigkeit jener Zeit rekonstruieren. Denn die Kunst- historikerin weist nach, daß in den Handschriften der „Archetyp" noch vorhanden ist, der eine Urvorlage al- ler späteren Abschriften aus dem frühen 5. Jahrhundert widerspiegelt.

Einige Beispiele für solche Illustra- tionen sind hier wiedergegeben: Es

1918 Heft 34 vom 24. August 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Sammler-Tip

Für Spezialisten in Klinik und Praxis und in den Bibliotheken ein paar Tips aus dem jüngsten Kohlhauer-Angebot:

Billroths Allgemeine chirurgische Pathologie und Therapie in fünf- zig Vorlesungen, Erstausgabe von 1893: 940 DM

Blankaarts „Cartesianische Aca- demie" oder Grund-Lehre der Artzney-Kunst", mit 6 Kupferta- feln, 1693, Leipzig: 1760 DM Civiales „Chirurgische Therapeu- tik der Steinkrankheit", mit 4 Fo- lio-Tafeln, 1873: 2380 DM Robert Kochs Gesammelte Wer- ke, 1910: 560 DM

Johann Müllers „Über den feine- ren Bau und die Formen der krankhaften Geschwüre", 1839:

2740 DM

Rohrschachs „Psychodiagno- stik" von 1921 mit den zehn be- rühmten Testtafeln: 2360 DM Chirurgische Kupfertafeln, eine Sammlung der nötigsten Abbil- dungen von anatomischen Prä- paraten und chirurgischen In-

strumenten und Bandagen mit 189 teils kolorierten Kupfertafeln, 1820: Gesamt 6740 DM

Scarpas „Anatomische Untersu- chungen des Gehörs und Ge- ruchs", deutsche Originalausga- be, 1800: 2860 DM

Stekels „Träume der Dichter", ei- ne vergleichende Untersuchung der unbewußten Triebkräfte bei Dichtern, Neurotikern und Ver- brechern, 1912: 220 DM

Theoretisch-praktisches Hand- buch der Chirurgie, das um- fangreichste, deutschsprachige Handbuch seiner Zeit, 1830-36:

3640 DM

Webers „Mechanik der menschli- chen Gehwerkzeuge" von 1836 mit anatomischen Abbildungen:

2860 DM

Treviranus „Biologie oder Phi- losophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte", 1802:

1440 DM

Lewins „Nebenwirkungen der Arzneimittel", 1893: 370 DM Antiquariat E. Kohlhauer, Feucht- wängen, Graserweg 2, (Tel.

0 98 52/92 92) St-R Spektrum der Woche

Aufsätze • Notizen

sind durchweg Bilder von Ärzten und Ärztinnen (!) in Behandlungs- szenen ausgewählt; sie stammen aus einer in der Biblioteca Lauren- ziana zu Florenz aufbewahrten Handschrift (MS. Plut. 73, 16), die wahrscheinlich im 13. Jahrhundert in Süditalien, möglicherweise am Hofe Friedrichs II. gefertigt worden ist — in einem Raum also, in dem es schon ein erstes Mal eine allerdings noch schüchterne „Renaissance"

der antiken Kunst gab. Vergleiche mit anderen spätantiken Kunstwer- ken helfen dabei weiter: Man sieht so auf dem Umweg über das Gewer- be der Buchkopiererei, wie auch ganz allgemein der romanische Fi- gurenstil, wie wir ihn beispielsweise aus dem Kirchenschmuck im west- und mitteleuropäischen Raum ken- nen, auf einen nur in seltenen Exem- plaren erhaltenen spätantiken Stil zurückgeht, dessen erstes und zu- gleich bekanntestes Beispiel die

„Tetrarchen", Diokletian und seine drei Mitkaiser, am Markusdom in Ve- nedig sind.

Übrigens hat sich bei der kunsthi- storischen Untersuchung dieser Handschriften auch etwas anderes gezeigt, was sozusagen als Neben- produkt für die Medienforschung abgefallen ist: Der ursprüngliche Pseudo-Apuleius enthielt nur Pflan- zenbilder, der Sextus Placitus vor- nehmlich Tierbilder — es waren rein wissenschaftliche Werke, in denen nur die Gegenstände des abgehan- delten Faches bildlich dargestellt waren. Der „Archetyp" hingegen, von dem die mittelalterlichen Hand- schriften abstammen, war durch fi- gürliche Darstellung ergänzt, die of- fenbar den Text auflockern, lesbarer machen, erweitert illustrieren soll- ten: Dies war die Geburt des popu- lärwissenschaftlichen Sachbuches als Ergänzung zum fachwissen- schaftlichen Fachbuch. Unsere Ge- sundheitslexika für die Hausfrau und Mutter — sie hatten also schon frühe Vorgänger . .

Anschrift des Verfassers:

Walter Burkart Haedenkampstraße 5 5000 Köln 41

Alter Orient in Hildesheim

Hervorragende Objekte aus dem alten Mesopotamien — von der Urzeit bis zur christlichen Antike — sind in der Ausstel- lung „Sumer, Assur, Babylon" zu sehen, die bis zum 24. September in Hildesheim gezeigt wird. Das irakische Nationalmu- seum in Bagdad hat dazu über 200 Leih- gaben herausgegeben, darunter auch diesen Kopf eines Herrschers, etwa 2300 bis 2000 vor Chr. entstanden. Die Abbil- dung ist dem umfangreichen Katalog entnommen, der nicht nur die archäolo- gischen Schaustücke beschreibt, son- dern auch das (kultur-)geschichtliche Umfeld, dem sie entstammen.

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 34 vom 24. August 1978 1919

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