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Archiv "Die möglichen Auswirkungen staatlicher Einflußnahme auf die Arzneimittelentwicklung" (08.12.1977)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 49 vom 8. Dezember 1977

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Die möglichen Auswirkungen staatlicher Einflußnahme

auf die Arzneimittelentwicklung

Harald Friesewinkel

Das Ziel dieser Ausführun- gen und der vorliegenden Sekundärstudie ist nicht, behördliche Auflagen hin- sichtlich der Produktequa- lität, der Arzneimittelsi- cherheit, der Arzneimittel- wirkung usw. in Frage zu stellen oder Zweifel am In- halt des Arzneimittelgeset- zes zu setzen, sondern die Frage zu stellen, welches die Konsequenzen eines uniimitierten Mehrs von Auflagen, Kontrollen, Re- glementierung oder gar ei- ner direkten Verstaatli- chung sind. Damit muß auch die Frage nach einem Mehr an gesellschaftli- chem Nutzen verbunden sein.

In der Regel wird der Ruf nach dem Staat und seinen behördlichen Ein- griffen durch „Marktversagen" (1, 12, 15, 28)*) begründet, also durch ein Nicht-mehr-Funktionieren von marktwirtschaftlichen Ordnungs- prinzipien (18, 21, 22, 31, 32, 33).

Gehen wir einmal von einer Hypo- these aus, daß ein Mehr an staatli- cher Reglementierung zu „Markt- versagen" führt und nicht umge- kehrt. Das Modell, an dem diese Hy- pothese geprüft und releviert wer- den kann, ist der „Food, Drug and Cosmetic Act" aus dem Jahre 1938, der in den USA durch das sog. Ke- fauver-Harris-„Amendment" 1962 konkretisiert und im nachhinein konsequent angewendet wurde (4, 29, 30, 36).

Der „FDC-Act" — behördlich vertre- ten durch die staatliche FDA („Food and Drug Administration") — enthält unter anderem die Forderung nach objektiven Informationen über „Un- bedenklichkeit" und „Wirksamkeit"

neuer Arzneimittel. Darüber hinaus überwacht und reglementiert diese Behörde alle Informationen für den Verbraucher wie Arzt, Patient, Klinik, Kasse usw. Bis hierhin kann dieser Forderung nicht widersprochen werden; denn auch unter den Auspi- zien der freien sozialen Marktord- nung hat der Verbraucher das im Gesetz verankerte Recht auf Schutz vor unwirksamen und gefährlichen Medikamenten.

Der Ermessensspielraum in einer Zeit sich ständig wandelnden Wis- sens jedoch muß diskutiert werden.

In den USA (als Modell für unsere

Hypothese, die zu prüfen ist) hat die FDA mit zunehmender Verschärfung der Prüfkonditionen praktisch einen unlimitierten Einfluß auf den gesam- ten Innovationsprozeß neuer Thera- pien. Dieser Einfluß erstreckt sich von 1962 zunehmend auf die Grund- lagenforschung und -entwicklung über die angewandte Entwicklung bis hin zum „Marketing"; also bis in eine Phase, in der das innovatori- sche Produkt dem Markt vorgestellt wird. Dabei unterliegen — wie oben schon angedeutet — alle Informatio- nen und Werbeaussagen über ver- schreibungspflichtige Produkte auch der behördlichen Kontrolle.

Wenn „Marktversagen" (7, 35) eine der wichtigsten Begründungen für die Eskalation staatlicher Eingriffe in den Entwicklungsprozeß ist, müß- te angenommen werden, daß sich durch eine Verschärfung der Prü- fungsbedingungen der kreative Pro- zeß beschleunigen, zum mindesten verbessern läßt. Ökonometrische Analysen (Zeitreihenanalysen, Kova- rianzuntersuchungen, Input-Output- Analysen usw.) beweisen indes das Gegenteil (5, 29, 30, 31, 39).

Die Statistik Tabelle I macht schon über eine eindimensionale Betrach- tung deutlich, daß in der Nach-

„Amendment"-Phase ab 1962 die Zahl der Neuentwicklung pharma- zeutischer Monosubstanzen stark gedrosselt wurde. Zwar besagen solche Zeitreihenanalysen noch

') Die Zahlen in den Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonder- drucks.

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen'

Reglementierung auf dem Arzneimittelmarkt

nicht allzu viel, doch zeigen sie ei- nen Trend auf, der zum mindesten in den Staaten mit geringerer Einfluß- größe nicht wahrzunehmen ist.

Das Ursprungsmaterial haben wir ei- ner Zeitreihenanalyse unterzogen (nach y = a +b x x). Dem Ergebnis sind drei Fakten zu entnehmen:

4)

Die Zahl der jährlichen Innova- tionsprodukte bis 1962 liegt im Durchschnitt bei 44.

• Demgegenüber liegt die Zahl der jährlichen Innovationsprodukte von 1962 bis 1974 im Durchschnitt bei 15.

fp

Die über den gesamten Zeitver- lauf berechnete Regression (1950 bis 1974) liegt bei - 6,1 Prozent pro anno.

Die zahlenmäßigen Ergebnisse sind im einzelnen in Tabelle II wiederge- geben.

Aus Tabelle II ergibt sich, daß der Trend in der Vor-„Amendment"- Phase bei 62 Innovationsprodukten liegt; in der Nach-„Amendment"- Phase bei zehn Produkten und bei der Entwicklung über den gesamten Zeitraum (1950 bis 1974) bei nur zwei bis drei Produkten.

Kritiker dieser zugegebenermaßen sehr einfachen Zusammenhangsbe- trachtung sind der Ansicht, daß der Rückgang der Innovationsprodukte nicht auf die Verschärfung der staat- lichen Reglementierung seit 1962 zurückzuführen sei, sondern auf das bis dahin erreichte biomedizinische Höchstwissen, das eine Ausschöp- fung erfahren habe (37). Was natür- lich auch zu beweisen wäre!

An dieser Stelle muß darauf hinge- wiesen werden, daß diese stark rückläufige Tendenz in anderen Ländern wie der Schweiz, der Bun- desrepublik Deutschland, Frank- reich und Großbritannien nicht zu beobachten war (14, 35). Dieser Wi- derspruch zählt um so stärker, als doch die Ergebnissse in den USA nicht ohne Einfluß auf andere Län- der bleiben konnten. Dies gilt im be- Tabelle 1: Von der FDA neu zugelassene chemische Substanzen von

1950 - 1974

Jahr Neue Neue Produkte Jahr Neue Neue Produkte Produkte in veresterter Produkte in veresterter

ohne Salz Form ohne Salz Form

1950 33 44 1963 12 13

1951 47 55 1964 16 23

1952 37 40 1965 17 22

1953 56 72 1966 16 18

1954 36 59 1967 18 23

1955 44 56 1968 7 7

1956 44 52 1969 10 12

1957 52 72 1970 17 17

1958 33 46 1971 13 17

1959 57 76 1972 9 11

1960 46 54 1973 17 18

1961 35 42 1974 15 15

1962 26 30

Quelle : Anlage A des Kongreßberichtes vom August 1974, Seite 3077-3108 (40)

Tabelle II: Trend der Innovationsprodukte in den USA

a b b% 91977

1950-1961 44,1 0,84 1,9 62,6

1962-1974 14,8 -0,47 -3,2 10,5

1950-1974 28,5 -1,74 -6,1 2,3

a bedeutet Durchschnitt pro anno im Berechnungszeitraum b bedeutet absolute Veränderungsrate pro Jahr

b% bedeutet relative Veränderungsrate pro Jahr

91977 bedeutet die jeweils erwartete Zahl von Innovationsprodukten im Jahre 1977.

Tabelle III: Pharmazeutische Neuentwicklungen in verschiedenen Ländern - ab 1960

Jahre USA BRD Frankreich UK Japan

1960 46 41 58 54 43

1961 35 49 47 52 39

1962 26 30 46 39 52

1963 12 24 30 43 60

1964 16 29 40 29 31

1965 17 28 33 17 16

1966 16 34 28 22 24

1967 18 33 19 29 29

1968 7 32 28 14 37

1969 10 34 19 19 30

1970 17 24 20 24 25

1971 13 16 33 18 31

1972 9 19 33 16 34

1973 17 21 14 21 20

1974 15 24 21 19 27

Quelle : Diverse (24, 25, 26, 34)

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Heft 49 vom 8. Dezember 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Reglementierung auf dem Arzneimittelmarkt

sonderen Maße für US-Firmen mit starken und zum Teil marktbedeu- tenden Töchtern in den genannten Ländern.

Die Statistik in den Tabellen III und IV demonstriert diese unterschiedli- che Entwicklung.

Bei dem Versuch, den „Halo"-Effekt USA -> andere Länder numerisch zu bestimmen, kommen wir zu den recht aufschlußreichen in Tabelle V und V 1 dargestellten Ergebnissen.

Interpretation der Tabelle V: Ein Zu- sammenhang USA - Bundesrepu- blik Deutschland, Frankreich und UK ist nach dieser Berechnung deutlich. Ein Zusammenhang der Entwicklung von Innovationen zwi- schen der USA und Japan ist nicht nachweisbar.

Die FDA rechtfertigt diese Entwick- lung mit den Hinweisen (6, 11, 17, 20, 23), daß dies in erster Linie Arz- neimittel betreffe, die nur einen mi- nimalen therapeutischen Fortschritt darstellen. Die Rechtfertigung wird um so fragwürdiger, als es bisher noch nicht gelungen ist, eine objek- tive oder/und eine subjektive Krite- rienauswahl für „hohen" oder

„niedrigen" Therapiefortschritt (oder Innovation) zu schaffen. Wir müssen die Schwierigkeit für die Findung einer Kriterienauswahl an- erkennen, zumal in den USA der pharmakologische tierexperimentel- le Versuch entscheidend für die the- rapeutische Urteilsbildung beim Menschen ist. Wer sich mit der Fra- ge der „therapeutischen Urteilsbil- dung".auseinandergesetzt hat, weiß um die Schwierigkeiten sowohl des methodologischen Ansatzes als auch um die Ausschaltung epistemi- scher Strukturen der Problemlöser, der Beobachter, denen es beson- ders bei neuartigen Therapiemodel- len selten gelingt, heuristisch zu neuen Problemlösungen zu kom- men (13).

Wie auch immer diese Schwierigkei- ten einzuschätzen sind, bleibt für die Behörde ein großer Ermessensspiel- raum, der naturgemäß eher zur „Ei- genabsicherung" tendiert und wen i-

ger in Richtung des „schöpferi- schen Entwurfes" (16).

Unter Einschätzung dieser Sachlage muß der Staat von dem Bewußtsein ausgehen, daß die wissenschaftlich- kreative Kapazität der Behörde grö- ßer ist als die anderer Institutionen.

Es müßten also Lösungen ange- strebt werden, die nicht alleine in der stärker werdenden Reglementie- rung zu suchen sind, sondern in ei- ner konfokalen Partnerschaft zwi- schen „Herstellern" und „Prüfern"

neuartiger Therapiemodelle. Daß darüber hinaus auch der ökonomi- sche Aspekt nicht aus den Augen verloren werden darf, soll Gegen- stand der Folgestudie sein.

• Wird im nächsten Heft fortgesetzt

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Harald Friesewinkel Institut Dr. Friesewinkel AG Sissacherstraße 29

4000 Basel (Schweiz) Tabelle IV

Länder

a

b b% 91977

USA 18,2 -1,5 -8,3 3,0

BRD 29,2 -1,3 -4,6 15,7

Frankreich 31,2 -2,1 -6,8 9,9

UK 27,8 -2,3 -8,6 3,8

Japan 33,2 -1,4 -4,4 18,6

a = Durchschnittliche Zahl von Neuentwicklungen von 1960 bis 1974 b = Jährliche Veränderungsrate der Neuentwicklungen (absolut) b% = Prozentuale jährliche Veränderüngsrate der Neuentwicklungen 91977 Mutmaßliche Zahl der Innovationen (Neuentwicklungen) im Jahre 1977

Tabelle V

„Halo"-Effekt A

USA -> BRD 0,65 19,17 0,54 3,17

USA F 0,73 15,28 0,87 3,88

USA UK 0,83 8,16 1,07 5,43

USA Japan 0,25 27,90 0,29 0,95 NS

= 10 Prozent Niveau

= 5 Prozent Niveau

= 1 Prozent Niveau

r = Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient, der die Größe des Zusammenhangs ausdrückt

A = Beginn der Regressionsgraden B = Steigerungsgrad der Regressionsgraden

t = gibt an, ob die beobachtete Abweichung aus den Verteilungen > bzw. < ist, als der Wert sog. t-verteilter Variablen als Zufall gerade noch zu erwarten ist.

Tabelle V1

„Halo"-Effekt b t

USA-* BRD 18,2 29,2 0,549 -0,036

USA F 18,2 31,2 0,875 -0,027

USA UK 18,2 27,8 1,064 -0,016

USA Japan 18,2 33,2 0,290 -0,095

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