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Archiv "Definition der Erwerbsunfähigkeit und medizinische Wirklichkeit" (02.02.1978)

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DEUTSCHE S ÄRZTEBLATT

Heft 5 vorn 2. Februar 1978

Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

Definition

der Erwerbsunfähigkeit und medizinische Wirklichkeit

Roland Mentzel

Die heutige Definition der Er- werbsunfähigkeit deckt sich nicht mehr mit den Realitäten im Erwerbsleben. Viele Sozial- versicherte werden auf ver- bliebene Leistungsfähigkeiten verwiesen, die ihnen kein Er- werbseinkommen ermögli- chen. weil sie nicht mehr den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes entsprechen. Dabei ist nicht allein maßgebend, ob sich noch theoretisch ein geeigne- ter Arbeitsplatz findet. Es muß auch ein Betrieb bereit sein, sie trotz der Leistungsminde- rung einzustellen. Soll die Er- werbsunfähigkeit wieder den Sinn erhalten, ausfallendes Erwerbseinkommen zu erset- zen, dann bedarf es einer neu- en Definition. die sich zwar nicht an der Arbeitsmarktlage.

aber doch an den Bedingun- gen des Arbeitsmarktes orien- tiert.

Die geburtenstarken Nachkriegs- jahrgänge werden in den kommen- den Jahren das Potential arbeitsfä- higer Menschen erhöhen. Vieles deutet darauf hin, als reiche bereits jetzt die Arbeit nicht mehr für alle, die arbeitswillig sind. Rationalisie- rung, strukturelle Änderungen des Arbeitsmarktes und Umschichtung der Weltwirtschaft durch Industriali- sierung der Entwicklungsländer mö- gen der Grund dafür sein. Manches spricht dafür, daß uns diese Proble- me noch Jahrzehnte begleiten wer- den; vielleicht werden sie sich auch noch verschärfen. Dies führt zur be- rechtigten Überlegung, das vorhan- dene Arbeitsvolumen auf alle Ar- beitswilligen zu verteilen. Das ist möglich, wenn man die jährliche Stundenleistung aller Arbeitenden verringert und einen Anteil auf die überträgt, die von einer Beschäfti- gung ausgeschlossen sind. Für eine solche Arbeitszeitverkürzung bieten sich mehrere Möglichkeiten an:

• Man könnte die tägliche oder wö- chentliche Arbeitszeit verkürzen oder den Jahresurlaub verlängern.

Die Zeit der Berufsjahre ließe sich vermindern durch eine längere Schul- oder Berufsausbildung der Jugendlichen oder durch frühere Berentung, also durch eine Vorver- legung der flexiblen Altersgrenze.

Jede Lösung hat Vorzüge und Nach- teile. Die meisten führen jedoch zu Konflikten mit volkswirtschaftlichen Realitäten oder politischen Zielset- zungen.

Hier bietet sich ein Beitrag an, der ein ärztliches Problem lösen könnte.

Vielen Ärzten bereitet die derzeitige gesetzliche Definition der Erwerbs- unfähigkeit praktische Schwierig- keiten. Fast täglich steht der Arzt vor der Diskrepanz zwischen dem Ge- setz und der medizinischen Wirk- lichkeit. Wie oft muß er als Gutach- ter oder als Therapeut feststellen, daß sein Patient entsprechend der Definition des § 1247 der Reichsver- sicherungsordnung zwar noch er- werbsfähig ist, er ist jedoch gleich- zeitig überzeugt, daß sein Patient auf Grund erheblicher Gesundheits- störungen wohl kaum noch einmal eine Beschäftigung finden wird. Je- der Arzt kennt diesen Konflikt. Bald wird auch dem Patienten die Diskre- panz zwischen der gesetzlich defi- nierten Erwerbsunfähigkeit und sei- ner tatsächlichen auf dem Arbeits- markt realisierbaren Leistungsfähig- keit bewußt, wenn er vom Arbeits- amt keinen Arbeitsplatz vermittelt bekommt. Es ist jedoch nicht so, daß dieser Unterschied zwischen der Definition der Erwerbsunfähigkeit und der nicht mehr vorhandenen Vermittelbarkeit auf dem Arbeits- markt erst jetzt bei knapper werden- dem Arbeitsangebot besteht. Wel- cher Arzt kennt nicht Patienten, bei denen er feststellen und zugestehen muß, daß zwar noch leichte Arbeiten mehr als halbtags ausgeführt wer- den können. Gleichzeitig muß er sich jedoch eingestehen, daß dieser Patient wohl kaum einen Betrieb fin-

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Spektrum der Woche Aufsätze · Notizen Erwerbsunfähigkeit

den wird, der bereit ist, ihn einzu- stellen. Durch Gesetze für Behinder- te und durch eine Vielzahl einglie- dernder Maßnahmen versucht man zu helfen. Die Sozialgerichtsbarkeit versucht die Diskrepanz zwischen der gesetzlichen Definition der Er- werbsunfähigkeit und der für den Erwerb noch realisierbaren Lei- stungsfähigkeit zu überbrücken, in- dem sie bei einer Arbeitslosigkeit von über einem Jahr bei nur noch stundenweiser Leistungsfähigkeit feststellt, daß diesen Bewerbern praktisch der Arbeitsmarkt ver- schlossen ist.

Augenblicklich bietet sich arbeits- marktpolitisch die Gelegenheit, ge- sellschaftspolitische Bestrebungen mit einer sozialen Notwendigkeit zu verbinden. Man müßte die Erwerbs- fähigkeit anders definieren, und zwar so, daß sie mit der verbliebe- nen Leistungsfähigkeit überein- stimmt, die am Arbeitsmarkt noch verwertbar ist. Erwerbsfähig ist, wer trotz seiner gesundheitlichen Ein- schränkung in der Lage ist, einen Erwerb unter den üblichen Bedin- gungen eines Arbeitnehmers zu be- kommen und ihn auch ausüben zu können. Läßt der Gesundheitsscha- den erkennen, daß dies nicht mehr möglich ist, da ihn kaum noch ein Betrieb, unabhängig von der Ar- beitsmarktlage, einstellen wird, so dürfte er im Sinne einer weitargefaß- ten Definition erwerbsunfähig sein.

Neuer

Definitionsvorschlag

Es möge dem Gesetzgeber und den Experten überlassen bleiben, die Definition so zu formulieren, bis die Kongruenz zwischen Erwerbsfähig- keit und wirtschaftlich verwertbarer Leistungsfähigkeit wiederhergestellt ist. Vielleicht könnte sie lauten:

~ Erwerbsunfähigkeit liegt vor, wenn die Leistungsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebre- chen oder von Schwäche der kör- perlichen oder geistigen Kräfte so gemindert ist, daß unter den übli- chen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes infolge schwerwie-

gender Leistungseinschränkungen auf nicht absehbare Zeit ein Erwerb in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr erzielt werden kann.

Diese Definition hat sich von der täglich noch möglichen stündlichen Arbeitsleistung und von der Frage gelöst, ob noch Arbeiten von wirt- schaftlichem Wert geleistet werden können. Sie orientiert sich nach dem Leistungsbild, das ausreichen muß, um auf Dauer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu sein. Viele Arbeitnehmer, die nach der gültigen Definition noch als er- werbsfähig bezeichnet werden, sind schon längst nicht mehr wettbe- werbsfähig, selbst wenn sie noch Ar- beiten von gewissem wirtschaftli- chem Wert leisten, ja selbst wenn sie noch ganztägig leichte Arbeiten ver- richten können.

Die Voraussetzung, daß nur er- werbsunfähig ist, wer auf Dauer kei- nen Erwerb mehr erzielen kann, ver- hindert eine vorzeitige Berentung auf Grund einer vorübergehenden ungünstigen Arbeitsmarktlage. Die üblichen Bedingungen des allge- meinen Arbeitsmarktes sind im übri- gen nur gering von der Arbeits- marktlage abhängig. Sie unterliegen mehr arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften.

Dieser Vorschlag wäre ein ergän- zender Beitrag zur Diskussion der Arbeitszeitverkürzung, der Kranken und Leidenden früher zur Rente ver- hilft, ihnen einen längeren Lebens- abend schenkt, der andererseits ge- sunden und leistungsfähigen Men- schen Arbeitsplätze freigibt. Viele Sozialgerichtsprozesse würden ent- fallen, die sich aus der Tatsache er- geben, daß sich die heutige Definiti- on der Erwerbsunfähigkeit nicht mehr mit der Erwerbsfähigkeit, der Wettbewerbsfähigkeit auf dem all- gemeinen Arbeitsmarkt, deckt. Auch der Arzt würde von einem Entschei- dungskonflikt befreit. Dies wirft si- cherlich Probleme für den Renten- versicherungsträger auf; sie seien durchaus angesprochen. Jedoch Sinn der gesetzlichen Rentenversi- cherung ist es, den Eintritt dauern- der Erwerbsunfähigkeit abzusi-

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ehern, wenn sie in wirtschaftlicher Hinsicht tatsächlich gegeben ist.

Versicherungsfachleute und Mathe- matiker mögen die finanziellen Kon- sequenzen überdenken, sie mögen die versicherungsrechtlichen und verwaltungstechnischen Vorausset- zungen schaffen. Unlösbar scheint das Problem nicht.

Beitrag

zur Arbeitsmarktsituation

Die Lösung trägt sicherlich nur im bescheidenen Umfang zur Bereit- stellung von Arbeitsplätzen bei. Ge- rade die Aktualität der Verteilung des vorhandenen Arbeitsvolumens auf alle, die arbeiten wollen und können, bietet eine günstige Gele- genheit, eine von vielen Sozialversi- cherten unbewußt empfundene Dis- krepanz der heutigen Begriffsbe- stimmung der Erwerbsunfähigkeit und der wirtschaftlichen Realität zu beseitigen und sie miteinander in Einklang zu bringen.

Da die Umverteilung vorhandener Arbeit nur durch viele zusammen- stimmende Lösungen erzielt werden kann, sollte man dort beginnen, wo sie sich sozial ausgleichend auswir- ken und wo sie menschliche Not lin- dern helfen. Eineneue Definition der Erwerbsunfähigkeit würde zur Ver- fügbarkeit von Arbeitsplätzen beitra- gen. Ihre zahlenmäßige Auswirkung fiele nicht so ins Gewicht, daß bei Änderung der Wirtschafts- und Be- schäftigungslage erneut eine Kor- rektur der Definition notwendig wer- den würde.

Anschrift des Verfassers: Medizinaldirektor Dr. Roland Mentzel G logauerstraße 15 6600 Saarbrücken

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