Heinz Luschey (1910-1992)'
Von Heinz Gaube, Tübingen
Am I.Januar 1992 starb in Tübingen Heinz Luschey im Alter
von 81 Jahren. Er war seit 1971 Honorarprofessor der Fakultät für
Kulturwissenschaften der Universität Tübingen und wurde 1956
in Tübingen habilitiert. Zwischen 1956 und 1971 lagen fruchtbare
Jahre in Istanbul und Teheran, wo er als zweiter bzw. erster Di¬
rektor des Deutschen Archäologischen Instituts gewirkt hat.
Mit ihm verliere ich einen weit gebildeten und anregenden
Freund voll menschlicher Wärme, der meiner Vatergeneration an¬
gehörte. Als ich von ihm wenige Stunden nach seinem Tod in
seiner Wohnung Abschied nahm, neben seinem leeren Stuhl in
seinem Arbeitszimmer saß, war der Raum, wie immer in den
letzten Jahren, voller Mappen mit Notizen und Abbildungen, vol¬
ler Bücher mit Lesezeichen und Zetteln zu den Themen Bisutün
und Pergamon.
Mit Pergamon und Bisutün hat er sich bis zum letzten Moment
auseinandergesetzt: mit dem Westen und dem Osten, die er in
seinem langen wissenschaftlichen Leben so schön miteinander zu
verbinden verstand. Und für einen Menschen wie Heinz Lu¬
schey, den die Tübinger Altphilologie, die schon immer über ihre
Grenzen sah, maßgeblich mitgeprägt hat, war es selbstverständ¬
lich, daß er sich gerade in der letzten Zeit wieder intensiv mit der
Entstehungsgeschichte von Goethes „Westöstlichem Diwan" be¬
schäftigte. Darüber führten wir noch vor einem Jahr lange Ge¬
spräche.
Der Verbindung zwischen West und Ost ging Heinz Luschey
schon in seiner Dissertation über Die Phiale, die griechische
Spendeschale, von 1938 nach. Zentraler Bestandteil dieser Arbeit
war die Beziehung zwischen der griechischen und der persischen
Metallkunst. Im selben Jahr noch veröffentlichte der junge Ge-
' Ein Verzeichnis der Schriften von Heinz Luschey findet sich in den zwei ihm gewidmeten Bänden der „Archäologischen Mitteilungen" von 1975 und 1985.
2 Heinz Gaube
lehrte zwei dem Thema nahe Aufsätze, von denen einer der ache-
menidischen Toreutik gewidmet war.
Komplexer wurde das west-östliche Gewebe noch in seiner Ha¬
bilitationsschrift: Rechts und Links von 1956. Vor ihr lagen aber
die entsagungsreichen Jahre des Krieges, der Nachkriegsjahre,
der neue Anfang in Heidelberg, dann die stimulierende Zeit in
Tübingen im Kreise von W. Schadewald, W. F. Otto und B. O.
Schweizer, dessen Assistent er war. Hier beeinflußte er in Lehr¬
veranstaltungen durch seine Persönlichkeit, seinen Enthusiasmus
und seine seltene Gabe zu sehen eine junge Generation von klas¬
sischen Archäologen, die heute angesehene Lehrstühle innehat.
In Tübingen lehrte aber damals auch der ein Jahr vor H. Lu¬
schey verstorbene K. Bittel, dessen Entwicklung und Laufbahn
mitbestimmend für H. Luscheys Leben werden sollten. Als K. Bit¬
tel 1956 zum ersten Direktor des Deutschen Archäologischen In¬
stituts Istanbul ernannt wurde, sah der Prähistoriker in ihm, dem
orientzugewandten klassischen Archäologen, die ideale Ergän¬
zung. So versetzten sich K. Bittel als erster Direktor und H. Lu¬
schey als zweiter Direktor von Tübingen nach Istanbul.
Die Jahre in Istanbul schufen den Grund für sein späteres Wir¬
ken: die Vertiefung in die Antike, das Vertrautwerden mit Byzanz
und dem Islam. Wie voll von neuen Eindrücken müssen die Istan¬
buler Jahre bis 1961 gewesen sein, in denen er auch die Gelegen¬
heit hatte, das zu tun, was wohl seine größte Gabe war, Lehrer
zu sein; in Istanbul für die Reisestipendiaten des Deutschen Ar¬
chäologischen Instituts, von denen viele durch ihn sehen gelernt
haben, und in den Ferien als Privatdozent in Tübingen.
1961 wurde die Abteilung Teheran des Deutschen Archäologi¬
schen Instituts gegründet. Erster Direktor wurde H. Luschey.
Hatte ihn seine Ernennung nach Istanbul an die Grenze zwischen
Orient und Okzident geführt, griff ihn nun der Orient ganz. Er
kam in die Welt der Perser, die den jungen BuscHOR-Schüler
schon in den dreißiger Jahren als das „Andere" fasziniert hatte,
und drang in sie in den Jahren zwischen 1961 und 1971 tief ein.
Sie, die Welt der Perser, ließ ihn bis in die letzten Stunden nicht
los, denn in den vergangenen Jahren hatte er sich vorrangig mit
der Endpublikation der Grabung von Bisutün, am Fuße des be¬
rühmten Dareios-Reliefs, beschäftigt. Er rang mit dem Material
aus einem Gebiet, in dem er eine der geschichtsträchtigen Land¬
schaften sah, die persisches und griechisches Denken durch die
Zeiten angeregt hatte.
Heinz Luschey (1910-1992) 3
Es ging ihm nicht nur um das Bisutün der Achemeniden. Sehr
oft kreisten seine Gedanken um das Bisutün des Chosro, des letz¬
ten großen vorislamischen Königs der Perser. Und immer wieder
kam er auf die Grotte dieses Chosro bei Bisutün zu sprechen,
deren (falsche Alt-) „Neu"-Datierung ihn empörte. Er hatte mit
seinem Stilempfmden und seiner Fähigkeit, Umfelder zu erfas¬
sen, der Frühdatierung in die Zeit des Peroz widersprochen.
Aber in der Teheraner Zeit wuchs auch sein Interesse an der
islamischen Kunst Irans, der sich seine einzigartige Frau Inge¬
borg („Philine, Pino") verschrieben hatte. Die Früchte wurden
dann in Tübingen geerntet. Von Teheran aus verschaffte er sich
erst eine solide Denkmäler- und Landeskenntnis. Wie intensiv
diese Begegnung mit dem Land, seinen Altertümern und seinen
Menschen war, zwischen denen er schnell eine Verbindung her¬
zustellen vermochte, zeigen seine Reisetagebücher, die nur
Freunde kennen.
Die Ernte dieser ersten Jahre in Iran, die Vielfalt seiner Inter¬
essen, die Freiheit seines Geistes und die so seltene Fähigkeit
einer Gesamtschau von Problemen und komplexen Zusammen¬
hängen, subtiles Einfühlungsvermögen und geradezu geniales
Stilempfmden sind im I.Band der „Archäologischen Mitteilun¬
gen aus Iran. Neue Folge" nachlesbar. Er vermochte nicht nur die
„Großen" der Iranistik und iranischen Archäologie als Autoren
für diesen Band zu gewinnen. Genauso schuf er für seine dama¬
ligen Mitarbeiter Platz in diesem ersten Band der neuen Folge
einer Zeitschrift, die der aus Deutschland vertriebene Jude
E. Herzfeld begründet hatte, E. Herzfeld, der geniale Archäolo¬
ge, Philologe und Historiker. H. Luschey bewegten die dunklen
Nazizeiten, ist er doch zu Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Sti¬
pendiat in Oxford gewesen; und E. Herzfeld wurde wohl durch
die Namenswahl „Archäologische Mitteilungen aus Iran" von
keinem ein schöneres Denkmal gesetzt.
Dazu kam die zeitenüberschreitende Qualität seiner Beiträge zu
diesem Band. Von Kyros bis Chosro behandelte er Grundfragen
der iranischen Kunstgeschichte. Subtil interpretierte er das Darei-
osrelief in Bisutün, er schrieb über seine Entdeckung des Alexan¬
derlöwen von Hamadan, setzte sich mit der spätsasanidischen
Kunst auseinander und gab einen nur ihm möglichen Überblick
zu „Iran und der Westen zwischen Kyros und Khosrow". Die
zehn Jahre Iran gewährten Vertiefung und Vordringen zu neuen
Horizonten.
4 Heinz Gaube
Die letzten 20 Jahre in Tübingen waren zwar nicht immer frei
von Beschwerden und Krankheit; sie knüpften aber an die aus¬
gefüllte Zeit der fünfziger Jahre an. Er hielt Lehrveranstaltungen
zu Grundfragen der iranischen Archäologie zwischen der Früh¬
zeit und den Sasaniden, nahm an wissenschaftlichen Kongressen
teil, hielt Vorträge und unternahm Museumsreisen. Heinz Lu¬
schey liebte aber auch Reisen zum Bodensee, wo er sich seiner
alten Liebe, dem Zeichnen, hingab und im Schlauchboot über das
Wasser paddelte, fortwährend neue Arbeiten entwarf und viel las.
In Tübingen gab es für ihn ein Wiedertreffen mit alten Lehrern,
Freunden und Schülern. Zu ihnen kamen neue Freunde, unter
denen ich nicht der jüngste bin; denn sein wacher Geist, der noch
so schön an seinem 8 Isten Geburtstag sprühte, konnte vielfältige
Anregungen aufnehmen und noch mehr Anregungen weitergeben.
Tübingen, in das er nach den vielen Jahren im Orient heimge¬
kehrt war, wurde der Ort, an dem die Orientalisten, ihnen voran
J. VAN Ess und W. Röllig, der Prähistoriker F.Fischer, dessen
Trauzeuge H. Luschey in seiner Istanbuler Zeit gewesen war, die
klassischen Archäologen und der Kunsthistoriker K. Schwager
ihm eine geistige Umgebung schufen, in der er sich sonnig ent¬
faltete. Davon zeugen die seit 1971 entstandenen Arbeiten zur
achemenidischen Kunst, zur sasanidisehen Kunst, seine geistvol¬
len Beiträge zur islamischen Kunst Irans und seine Aufsätze zur
klassischen Archäologie, die in ihm einen der letzten „Furtwäng-
lerianer" verloren hat.
Mit Heinz Luschey, dem vielseitigen Wissenschaftler, dem ein¬
fühlsamen Zeichner und Aquarellisten, einem begabten Dichter,
ließ sich über alles sprechen. Literatur und bildende Kunst waren
aber die Gebiete, über die man mit ihm, neben der Archäologie,
streiten konnte. Dabei gingen seine weite Bildung, seine außeror¬
dentliche Gabe zur Zusammenschau von Dingen, seine Empfind¬
samkeit und seine jugendlich-freche Art, Probleme zu sehen, eine
Verbindung ein, die mich an Heinz Luschey am meisten faszi¬
niert hat.
Daß dies seine Freunde nicht mehr erleben und genießen dür¬
fen, hat mich in der Stunde seines Todes am meisten traurig ge¬
macht.
Hebräisches bei Celan: Rekontextualisierung?
Anhand einer Fußnote
Von Christoph Correll, Konstanz
Die betreffende Note findet sich, genaugenommen posttextual,
in einem kleinen Essay K. Reicherts (1988: 169, Nr. 7), der he¬
bräische Züge in Paul Celans Sprache nachzuweisen sucht, und
besagt, Celan habe, um Übersetzungshilfe unter Beibehalt des
„Organbezugs" für die Joyce'sche Briefwendung „I want to get
rid of my Jewish bowels" befragt - die Eingeweide können ja
tatsächlich im biblischhebräischen Umfeld, das hier vorausgesetzt
wird, den „Sitz der Gefühle" meinen -, den Ausdruck „jüdisches
Geherz" vorgeschlagen; dies nun sei, da me^eh (sie! Sg.) im bibli¬
schen Kontext „immer" parallel zu lev „Herz" gebraucht, ferner
wörterbuchmäßig auch unmittelbar in der Bedeutung „Herzge¬
gend" ausgewiesen werde, das Musterbeispiel einer „rücküberset¬
zenden" Rekontextualisierung.
Der Gedanke ist so hübsch, daß ich mir erlaubt habe, ihm
nachzugehen.
Drei Situationen, die eine Rückübersetzung wünschenswert
machen, kann ich mir vorstellen:
1. Der Originaltext liegt vor. Die Übersetzung (oder Nachdich¬
tung) liegt vor. Der bewußt konstruierende, sich unter Umständen
also sprachlich von ihm distanzierende Rückgriff auf jenen mag
Eigenarten dieser verständlich machen; solcherart lassen sich,
von groben und gröbsten Mißdeutungen einmal ganz abgesehen
(„Chinahunde" für prozellanene Hundefigürchen = engl, china
dogs, vgl. Chesterton 1929: 229 und 1962: 143), vor allem unzu¬
lässige Überinterpretationen von seiten des Übersetzers aufdek-
ken. Ein einschlägiges neutestamentliches Beispiel (zu Mt 6, 27,
bzw. Lk 12,25) bietet Schwarz (1987: 87 und %V).
2. Ein Original besteht nicht (mehr). Es gibt jedoch guten
Grund für die Annahme seiner einstigen Existenz (gleichgültig,