SÜDOSTASIEN UND PAZIFISCHER RAUM Leitung: J. Dahm
SPRACHLICHE MITTEILUNG UND GRAMMATISCHE
RELATION - SAMOANISCH/rOBA BATAK
Von Helga Blazy, Köln
An einem Text^ in zwei austronesischen Sprachen werden einige gram¬
matische Relationen aufgezeigt, derer sich Sprache als ein Kommuniicadons- system hier bedient. Die Betrachtung erfolgt unter einem interdisziplinären
Aspekt: Es geht um „Ausdrucksformen des Denkens" im Sinne der indone¬
sischen Sprachforschungen von Dempwolff, Brandstetter, Kahler; auf der
Grundlage von Theorien der Allgemeinen Sprachwissenschaft geht es um
sprachliche Regeln und Organisationen in einem Text und um ein linguisdsches
„means-ends-model"; im Sinne der psychoanalytischen Sprachforschung geht
es um das Spannungsfeld zwischen dem, was der Sprecher tut und dem, was da¬
bei die Sprache macht (Ricoeur 1977), um eine Art „psychodynamischer Tiefen¬
grammatik". Wie aber Dempwolff sagt:
„Die Ergebnisse des Vcrglcichcns sind Beziehungen in unserer subjektiven Gedankenwelt; sie als objektive Zusammenhänge in die Wirklichkeitswelt zu projizieren, ist, streng genommen, stets eine hypothetische Annahme". (1930: 158)
1 Gekürzte und überarbeitete Fassung des Vortrags vom 18.9.1985 auf dem XXlll. Deutschen Oricntalistentag, Würzburg 1985.
2 Der Text ist der Bibel entnommen (NT, Lukas 15, 11-32: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn). Wegen des begrenzten Raumes kann die für beide Sprachen vorgenommene voll¬
ständige interlineare Morphcmübcrseizung des Textes hier nicht erscheinen. Der samo- anische Text wude zur besseren Übersicht mit Längcnzcichcn (-) und Markierung des glottalen Vcrschlusslautcs (') versehen entsprechend der Schreibweise von Milncr 1966.
Im Toba Batak wird hier dj=j und oc=u geschrieben, der heutigen Orthographie folgend.
Die Sprachen, die unter der Hypothese der Beziehung von sprachlicher Mit¬
teilung und grammatischer Relation betrachtet werden, sind das Samoanische, eine polynesische Sprache mit ca. 150 000 Sprechern, die zur Sprachfamilie der austronesischen Sprachen zählt wie auch das Toba Batak, eine westindonesische Sprache aus dem Nordwesten Sumatras mit ca. 1 Million Sprechern. Was ist ver¬
gleichbar an zwei räumlich so weit voneinander entfernten Sprachen, was ist
nicht vergleichbar? Dempwolff (1920) zog beide Sprachen heran in einer Aus¬
wahl von 3 polynesischen, 3 westaustronesischen und 3 melanesischen Spra¬
chen bei der Konstruktion des Uraustronesischen. Kähler weist hin auf den Nie¬
derländer Kem, der 1886 Zusammenhänge zwischen den polynesischen und den
indonesischen Sprachen nachwies und kommt nach eigenen Untersuchungen zu
der Schlußfolgerung:
„Die polynesischen Dialekte weisen nichts Wesentiiches auf, das nicht bereits in indonesischen Sprachen zu belegen ist. Der Sprachgeist der polynesischen Dialekte ist rein indonesisch. Die Übereinstimmungen, die bis in Einzelheiten reichen, sind zu zahheich, um als Lehngut erklärt zu werden. Allerdings ist es so, daß die polynesischen Dialekte manche strukturelle Besonderheit zur Norm erhoben haben". (1950: 657)
Es geht hier allerdings nicht dämm, eine bestehende Verwandtschaft beider
Sprachen zu verdeudichen sondern um ein Entlanggehen an einem Text in bei¬
den Sprachen um zu sehen, über welches Instmmentarium die eine und die an¬
dere verfügt beim Herstellen sprachlicher Beziehungen, wie Kohärenz erreicht wird, mit welchen Mitteln ein Partizipant im Satz hervorgehoben, und wie er im
Kontext weitergeleitet wird, wie Richtungsändemng sich anzeigt. Das Heran¬
ziehen eines Bibeltextes bei dieser Fragestellung wiift ein eigenes Problem auf.
Die Bibel ist im Samoanischen wie im Toba Batak eine Übersetzung aus dritten Sprachen, so daß es sich hier nicht um Sprachbeispiele aus der nativen Sprach-
und Gedankenwelt der beiden Völker handelt. Jedoch muß eine Bibelüber¬
setzung dem Sprachgefühl des jeweiligen Volkes adäquat sein, wenn sie von ihm
angenommen werden soll. Die Bibelübersetzung ins Toba Batak wurde in den
Jahren 1861-81 von Johannsen (AT) und Nommensen (NT) und Pontas Lum-
bantobing vorgenommen. 1921-25 wurde das NT von Wameck und Mareks
revidiert und auf den Adat-Begriff hin überprüft. Diese revidierte Fassung
erschien 1926 in Amsterdam. Dabei löste der fehlende Schluß des Vatemnser in
Mt. 6,13 einen Skandal aus. 1932 erschien eine revidierte Ausgabe in Singapur.
Der Zeitraum der Bearbeitung spricht für eine eingehende Auseinandersetzung mit der Sprache.
Für diese Arbeit wurde aus pragmatischen Gründen ein Bibeltext gewählt, um allen, die nicht mit den beiden Sprachen vertraut sind, den Überblick über
sprachliche Konstruktionen zu erleichtem. Bei dem knappen Einblick, der hier
nur möglich ist, hat der Text den Vorteil des tertium comparationis, und Stmk¬
turen der einen wie der anderen Sprache können betiachtet werden, ohne die
Frage unterschiedlicher Kontexte berücksichtigen zu müssen.
Wir beziehen uns auf eine außersprachliche Enrität, indem wir gewöhnlich zwei oder mehr sprachliche Zeichen verwenden. Im Deutschen setzen wir einen der Artikel, um eine Entität in der Rede kenntlich zu machen (der/ein Mensch);
darin ist zugleich eine Information über Numerus, Genus, Kasus enthalten. Wir
können ein Demonstrativ-, ein Interrogadv-, ein Possessivpronomen setzen
(dieser/welcher/sein Sohn); wir können durch ein Adjektiv, ein Zahlwort, eine
Lokativphrase modifizieren (gute/zwei/Söhne/ im Ausland) etc. Beginnen wir
mit dem ersten Satz des Textes um zu sehen, welche modifizierenden Mittel das
Samoanische und das Toba Batak kennen, und wie sie damit umgehen. Allge¬
mein klärend kann vorab noch deutlich gemacht werden, daß
„in polynesischen Dialekten die Affixe indonesischer Sprachen (ausser -i und -a) in ihrer syntaktischen Funktion von Partikeln abgelöst wurden, und daß Grundwörter mit indonesischen Substantivformantien in polynesischen Dialekten auch verbal konstruiert werden. Denn die polynesischen Dialekte Uennen das Nomen scharf vom Verbum. Ein Nomen ist durch Artikel, ein Verbum durch sogenannte Verbalpartikeln gekennzeichnet. Hierzu ist folgendes zu bemerken: Polynesische Dialekte haben viele indonesische Verbal- und Substantivformantien crsiam erhalten. Die Funktion dieser Affixe ist hier verlorengegangen... Die Verwendung sogenannter Verbalpartikeln ...ist nun aufs engste verbunden mit dem Gebrauch vorgefügter pronominaler Elemente bei Verben in indonesischen Sprachen". (Kähler 1950: 651/652)
I S 'O le lagata e lo'a= Im o= na atali'i
NPM SAS Mensch TAM CLFR+HUM-2 POSS- 3SG Sohn
T Adong ma dua anak ni na sa= halak.
EXIST EM 2 Sohn POSS REL lAS-Mensch
„Ein Mann hatte zwei Söhne"
Schon ein kurzer Satz wie dieser macht unterschiedliche Konstruktionen deuthch und damit die zugrundeliegenden verschiedenartigen Vorstellungen über die Beziehung der Partizipanten im Satz. Wörtlich übersetzt heißt der sa¬
moanische Satz: ,Der Mensch/Mann sind zwei seine Söhne', und der Toba Ba-
tak-Satz heißt: ,Es gibt zwei Söhne dessen, der ein Mensch/Mann'.
Beide Sprachen haben Verb-Initialstellung. Im samoanischen Satz deutet
eine Nominalphrase in initialer Position auf eine besondere Hervorhebung, der
zweite Teil des Satzes kommentiert sie. So können wu bei diesem Satz sagen:
Dieser Mensch/Mann hat eine Position, die gekennzeichnet ist durch den Besitz
von Söhnen. Im Samoanischen werden Kinder als ein inhärenter Besitz des Va¬
ters - nicht der Mutter - aufgefaßt und mit der Possessionspartikel markiert, die
auch die Körperteile und für einen Samoaner so wesentliche Besitztümer wie
,sein Haus', ,sein Boot' als einen inhärenten Besitz anzeigt. Kein Verb wird gebraucht, um diese Besitz-Beziehung zu verdeudichen. Im Toba Batak beginnt
der Satz mit einem Existenzverb, das durch die folgende narrativ-emphatische Pardkel ma den Sinn von ,es war einmal' erhält. Hier folgen als zentrale Aktan¬
ten die zwei Söhne, die im weiteren charakterisiert werden als Söhne eines
Mannes. Söhne sind den Toba Batak wichdg als Erweiterung ihrer Identität. Ein Toba Batak nennt sich nach seinem ältesten Sohn „Vater des. .." und erfährt mit
der Geburt dieses Sohnes -allein vom Sprachgebrauch gesehen das Einrücken in
eine neue psychosoziale Position im Sinne einer spezifischen Väterlichkeit. Hier
liegt eine andere existentielle Beziehung vor als im Samoanischen, und das
schlägt sich nieder in der syntaktischen Struktur des Satzes'.
„Auch die Sprachen Polynesiens bringen die natumotwendigc Zugehörigkeit zum Ausdruck, ..
indem sie dafür besondere Attributivformen verwenden ... sowie Possessivpronomina ... Die Abgrenzung natumotwcndiger Zugehörigkeit von aller anderen Zugehörigkeit ist eine Eigenart, ein Typus, der den Sprachen Indonesiens fremd ist ..." (Dempwolff 1931: 164)
Die Markierung der possessiven Verbindung ist ein wesentliches Instrument der Sprache, um über Art und Grad der Relation zweier oder mehrerer Entitäten etwas auszusagen". Besitzbeziehungen sind ein nicht zu unterschätzender Faktor
der menschlichen Existenz und der psychodynamischen Bewegung. In diesem
Text von 22 Sätzen verwenden das Samoanische wie das Toba Batak 38 Posses¬
sivkonstruktionen, während im Deutschen 23 stehen: das spricht für eine genau¬
ere Beobachtung possessivischer Beziehungen in den beiden austronesischen Sprachen. Wird im Samoanischen ein Possessivpronomen gesetzt, so informiert es gleichzeidg über den Numerus (ausgedrückt durch einen der Artikel), überdie
un-/veräusserliche Besitzbeziehung (ausgedrückt durch die Partikeln o/a) und
im suffigierten Personalpronomen über die Person des Besitzers. Darauf folgt
das Objekt, das Possessum, auf das die pronominale Konstruktion verweist.
L=o=naatali'i ,sein Sohn' im Samoanischen gibt weit detalliertere Information
als anak=na ,sein Sohn' im Toba Batak, wo dem Possessum das Personal¬
pronomen, das den Possessor ausdrückt, suffigiert wird. Ob es sich um einen
oder mehrere Söhne handelt, und welche Beziehung zwischen Possessor und
Possessum besteht, bleibt dabei offen'.
Betrachten wir nun den nächsten Satz:
3 Diese so unterschiedlichen Konsüiiktionen in beiden Sprachen mögen auch belegen, daß die Bibelübersetzung der Sprach- und Gedankenwelt des einzelnen Volkes nachgeht.
4 Zum Konzept der Possession in der Allgemeinen Sprachwissenschaft vgl. Seiler, H. 1983.
Possession as an Opcraüonal Dimension of Language. Gunter Narr Verlag, Tübingen.
5 Vgl. Kähler: „Die Indonesier konstruieren im allgemeinen kurze Sätze, die dann mit mannigfachen Mitteln aneinandergereiht werden. Die logische Verbindung muss aus dem Zusammenhang der Rede bzw. aus dem Kontext erschlossen werden". (1954: 476)
2 S Va fai alu le ui'i 'i 1= o= na lamä
TAM machen DIR SAS Jüngster DIR SAS- POSS 3SG Vater
T Gabe di= dok si= anggi= an i ma man= dok
werden PASSsi-sagen AEN jüBruder-GRAD DEM EM TRANS-sagen
ama= na
Vater- POSS 3SG
„Der jüngere von ihnen sagte zum Vater:"
S Sena e, ':a 'e 'au= mai 'iäie a'u /= o= 'u lofi
Anrede VOC OPT 2SG geben-DIR DIR ISG SAS-POSS-ISG Teil
o le 'oa;
POSS SAS BesiU
T Ama=ng, lehon lu ahu s=in= amot, manang sadia
Vater-VOC geben DIR ISG PASSco- verdienen wieviel auch immer
tohap= h= i.
Anteil- ISG- DEM
„Vater, gib mir den Anted des Vermögens, der mir zukommt."
S ona vae= lua lea e ia 'o a=na mea 'iäie 'i lä'ua.
so teilen-2 dann ERG 3SG NPM POSS-3SG Ding DIR 3DUAL
T Jala di= gagi= hon ma lu nasida pa = namot = an.
Und PASSsi-teilen-LOC EM DIR 3 PL CAUS-verdienen-NR
,Da teilte er den Besitz unter sie."
Neben den Possessivkonstruktionen zeigen sich hier weitere .Mittel' , die die
Sprachen einsetzen. Wenn wir die Handlungsbeziehung beobachten, die sich im
Verb und seinen Partizipanten ausdrückt, so fallen im Toba Batak die mehr¬
fachen passivischen Konstruktionen auf. Das Samoanische hingegen kennt kein
Passiv. Es wird sprachtypologisch zu den Ergativsprachen gezählt, für die allge¬
mein die Definition gegeben wird, daß hier das Subjekt des intransidven Verbs mit der gleichen Kasusform gekennzeichnet ist wie das Objekt des transidven Verbs, während das Subjekt des ffansitiven Verbs mit einer anderen Kasusform
markiert wird. Da im Samoanischen die Partizipanten des Verbs nach ihren
Kasusrollen präpositional markiert sind, kann ihre Reihenfolge beliebig sein. Im
Toba Batak dagegen ist die Wortstellung im transitiven Satz festgelegt: Das
Prädikat setzt sich zusammen aus Verb und unmittelbar folgender Nomi¬
nalphrase; zwischen beide kann kein anderes Element treten. Das Präfix maN-
am Verb weist auf die semantische Rolle Actor der zweiten Nominalphrase; das
Präfix di- am Verb weist auf die semantische Rolle Nicht-Actor der zweiten
Nominalphrase (Schachter 1984: 123). Das Präfix di- des sogenannten „ein¬
fachen Passivs" gibt zugleich einen Hinweis darauf, daß der Actor nicht die 1.
Person Singular/Plural ist; diese wird durch ein eigenes Präfix ausgedrückt.
Im 3. Teil des Beispielsatzes 2 machen wir am Verb di=gagi=hon ,wird ge¬
teilt' noch weitere Beobachmngen. Im Präfix di- muß hier zugleich der pro¬
nominale Actor ,er' angenommen werden. Denn wenden wir die Regel an, daß
bei dem dem Verb präfigierten di-die zweite Nominalphrase den Nicht-Actor
ausdrückt, so kann das hier nur auf panamotan ,das Verdientgemachte/der Be¬
sitz' zutreffen. Zwischen dem Verb und dieser Nominalphrase steht eine
Direktio-nalphrase. Die Handlung des Teilens von Besitz unter andere Personen
kann von der Semantik her nur ein menschliches -oder ein anthropomor-
phisiertes- Wesen vomehmen. Daß der Actor die 3. Person Singular ist, ergibt sich aus dem Kontext. Weiterhin hat hier das Verb ein lokatives Suffix -hon. Zu diesem erklärt van der Tuuk:
„The direction indicated by this preposition that has become a suffix presumes diat an action has to take place before the diing is reached that is represented by the substantive, to which die action is related. The object of these verbs is, therefore, somediing that is at a distance eiüier in reality or it is visualized as being so". (1864: 101)
Interessant ist auch, daß in beiden Sprachen trotz des Wechsels des Actor bei
diesem 3. Teilsatz keine nominale Nennung des neuen Actor erfolgt. Trat zu¬
nächst der Sohn in den Vordergmnd mit seiner Aktion des Sagens, so steht nun
die väterliche Handlung des Teilens im Vordergrund. Der Hörer entnimmt aus
dem Kontext, wer die Handlung vollzieht. Aus anderen Stellen dieses Textes läßt
sich entnehmen, dass im Samoanischen ein Wechsel der handelnden Personen
öfter einhergeht mit einer Transitivmarkiemng am Verb. Darüberhinaus führt
Mosel aus, daß die Wichtigkeit des Actor, wenn er pragmatisch mehr bedeutsam wird, durch das Transitivsuffix am Verb angezeigt wud*. Auf diese Weise wird
im Samoanischen vermieden, daß Unsicherheit darüber aufkommt, welchem der
Partizipanten das Interesse gelten soll. Hier läßt sich eine Verbindung erwägen zum ,inneren Ort der Beziehung' und sagen, daß im Kontext der Rede sich etwas abbildet vom psychodynamischen Spannungsfeld.
Jakobson, einer der bedeutendsten Linguisten dieses Jahrhunderts, sieht die
Dichotomie der zwei Achsen der Sprache als
„von erstrangiger Bedeutung und Konsequenz für das gesamte sprachliche Verhalten und das menschliche Verhalten im allgemeinen". (1960: 67)
6 Mosel 1985. Ergativity in Samoan: Hier werden verschiedene Typen von Transitivierung diskutiert. Es wird unterschieden zwischen transitiven, semitransitiven und pseudo¬
transitiven Verben. Diese Unterscheidung von Graden der Transitiviiät und dem, was kenndich gemacht werden kann durch das Transitivsuffix am Verb, kann an dieser Stelle nicht im Einzelnen diskutiert werden.
Der paradigmatischen Achse, der Selektion, Subsritution, Ähnlichkeit, Metapher zugehören, steht gegenüber die syntagmatische Achse, der er Kombi¬
nation, Kontextur, Konnguität, Metonymie zuordnet. Jakobson schlägt selbst
eine Brücke zur Psychoanalyse, wenn er auf die Untersuchung von Traumstruk¬
turen verweist und die von der Psychoanalyse benannten Mechanismen der
Verdrängung und Verdichtung in der Traumart)eit mit Metonymie und Metapher zusammenbringt.
Einen Ausblick auf ein stärkeres .inneres' Verstehen von sprachlichen Re¬
geln und der Psychodynamik gibt Balkänyi:
„In der verbalen Symbolisierung macht sich eine ausserordentlich starke Absuaktionstendenz geltend. Der symbolische Charakter der Worte und der Grammatik wird oft bestfittcn oder nicht erkannt. Was aber heute im Sprachlichen erstxurt zu sein scheint, mag einst lebendig gewesen sein. .. Die Syntax spiegelt, in einem universellen Sinne, menschliche Beziehungen wider (das ist ihr semantischer S inn). .. Einst mag der Mensch zu der Entdeckung gekommen sein, dass er, um seine seelische Integrität zu retten, seine Beziehungen zu seinen Objekten sprachlich symbolisieren müsse... Psychoanalyse und Linguistik können gemeinsam die abgeschliffenen und abstrakt gewordenen Formen der universellen Grammatik als Widerspiegelung menschlicher Beziehungen dechiffrieren". (1974: 797/798)
Wenn Kähler (1954) seinen Aufsatz „Ausdrucksformen des Denkens in
indonesischen Sprachen" nennt und morphologische und syntaktische Eigen¬
schaften der Sprachen auf die „konkrete Denkweise" der Indonesier bezieht, auf
ihre Lebhaftigkeit und andererseits auf ihr „Bestreben nach Kürze des Aus¬
drucks", so bezieht sich das bereits auf die Sprache wie auf zugrundeliegende
psychodynamische Vorgänge. Die Charakterisierung läßt sich zusammen¬
bringen mit den Begriffen „Metapher" und „Verdichtung". An einem dritten
Beispielsatz möchte ich das für das Toba Batak im Vergleich mit dem
Samoanischen deutlicher machen.
lo S 'Ua ilo= a mamao atu fo'i 'o ia e lona
TAM erblicken-TRANS fem DIR wieder NPM 3SG ERG P0SS-3SG
tamä Vater T Alai
aber dao fem
dope ibana, nunga
noch 3SG T/schon
di= tatap
PASSsi-an schauen
ama=
Vater-
3SG
rui ibana;
3SG
„Als er aber noch weit entfemt war, sah ihn sein Vater"
S ona mutimutivale lea 'o lona alofa, 'uamomo'e atu ia,
so Miüeid haben dann NPM POSS-3SG Liebe TAM rennen DIR 3SG
T jadi asi ma roha ni i mar= n= ida
werden mitleidig EM Gemüt POSS DEM TRANS- sehen
ibana haiop ma
3SG schnell EM
,und wurde von Erbarmen bewegt, lief herbei"
s 'ua fusi 'iäte ia, ma sogi atu 'iäte ia.
TAM binden DIR 3SGund riechen DIR DIR 3SG
T di= tomu di= haol jala di= umma
PASSsi-entgegenkommen PASSsi- umarmen und PASSsi- küssen
„fiel ihm um den Hals und küsste ihn."'
Hier zeigt sich, wieviel mehr das Samoanische mit direktionalen Partikeln oder erneuter Setzung von Pronomina auf Positionen und Gerichtetsein der Par¬
tizipanten im Satz verweist als das Toba Batak. Im gesamten Text finden sich im
Samoanischen 44 direktionale Partikeln gegenüber 18 im Toba Batak (19 Rich¬
tungsangaben im Deutschen). Das Toba Batak überläßt deutiich mehr dem Kon¬
text das Verstehen der Beziehungen zwischen den Partizipanten, die aber auch durch die Wortstellungsregel in ihrer Haltung zueinander eindeutig festgelegt sind. Gewiß spielt auch die Verbsemantik dabei noch eine wesentiiche Rolle. Im
Samoanischen muß sprachlich exphzit vom einen zum anderen Partizipanten
immer neu verwiesen werden. Der Blickpunkt erscheint nicht konstant. Vom
psychodynamischen Geschehen her macht dies den Eindruck einer größeren
Bewegtheit aber auch der Gefährdung durch eine Kontiguitätsstörung. Hier ist
mehr die andere Achse der Sprache bedeutsam und damit die Begriffe „Meto¬
nymie" und „Verschiebung".
Schließlich noch ein Hinweis zu den Modalwörtern bzw. -partikeln, mit
denen ein Sprecher ausdrückt, wie er den Realitätsgehalt eines Sachverhalts
einschätzt. Beide Sprachen kennen die emphatische Hervorhebung. Im Toba
Batak tragen zwei dieser Partikeln, die hinter dem Wort stehen, das sie her¬
vorheben, besondere Bedeutung: do wird dem Modus realis zugeordnet und
drückt eine bekräftigende, realistische Tendenz aus, ma dem Modus irrealis mit der Tendenz, etwas als erwünscht, beabsichtigt vorzustellen, auch mit narrati-
vem Charakter. In diesem Text steht zumeist die Partikel ma. Wenn do steht,
scheint vom Kontext her sie eine Verstärkung, ein unerwartetes in den
Vordergrund-Rücken anzuzeigen. Der narrative Fortlauf wird adversativ
unterbrochen durch etwas Inneres oder Äußeres, das in den Vordergrund rückt
7 Die Verben fusi .binden' und sogi /iechen' im samoanischen Satz sind in ihrer Grund¬
bedeutung angegeben. Hier bedeuten sie ,umarmen' und ,küssen'.
und dem Geschehen eine neue Richtung gibt. Es kann vemiutet werden, daß do in diesem Text an Stellen auftaucht, die als Wendepunkte zu verstehen sind, sei es, daß die Handlung sich wendet, sei es, daß das Bild eines der Partizipanten um wesentliche Nuancen reicher wird, sei es, daß ein Wechsel des Actor stattfindet.
Dieses sprachliche Mittel ist in anderem Sinn richtungweisend als die direk¬
tionalen Partikeln im Samoanischen.
Nach der Textanalyse in beiden Sprachen erscheint es mir so, als wende das
Samoanische eine Vielzahl morphosyntaktischer Mittel an, um Ambiguität zu
vermeiden, wobei aber durch den Reichtum an differenzierenden Mitteln die
tragende und vereinheitlichende Kraft des Gedankens, der inneren Dynamik sich
schwerer verdeudichen lässt. Das Toba Batak fraut dem Hörer mehr zu, daß er
mitgeteilte Vorstellungen von ihrem semantischen Gehalt her erfasst und die
Dichtheit des psychodynamischen Hintergrunds empathisch mitvollzieht.
Verzeichnis der Abkürzungen der linearen Morphemübersetzung
AEN Artikel bei Eigennamen PASSsi Passiv einfach
CAUS Kausaüv POSS Pos session
CLFR+HUM Klassifikator + menschlich POSS+/- Inhärente/kontrollierte
DEM Demonsuaüvpronomen Pos session
DIR Direklional, Direktion REL Relativpronomen
EM Emphase SAS Spezifischer Artikel Singular
ERG Ergativ T/TAM Tempus/Tempus-Aspekt-
EXIST Existenzverb Modus
IAS Indefinierter Artikel Singular TRANS Transitivierungsaffix
LOC Lokativ VOC Vokativ
NPM Nominalphrasenmarkierung ISG 1. Person Singular
NR Nominalisierungssuffix 2SG 2. Person Singular
OPT Optativ 3SG 3. Person Singular
PASSco Passiv komplettiv 3DU 3. Person Dual
PASSpr Passiv promissiv 3PL 3. Person Plural
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DAS MOTIV DES VERLORENEN SOHNES
IM LYRISCHEN WERK VON SITOR SITUMORANG.
VARIATION UND ENTWICKLUNG EINES ZENTRALEN
LITERARISCHEN MOTIVS
Von Beate Carle, Köln
In der modernen indonesischen Literatur wird der Lyrik von Sitor Situmo¬
rang gemeinhin besondere Bedeutung beigemessen. Dennoch existieren bis dato
nur wenige Untersuchungen seines literarischen Werkes wie beispielsweise die
Arbeit von J.U. Nasution mit dem Titel Sitor Situmorang sebagai Penyair dan
Pengarang Cerita Pendek (1963) oder die unter der Beffeuung von Denis
Lombard im Jahre 1981 von Wing Kardjo erstellte Dissertation Sitor
Situmorang, La Vie et l'Oeuvre d'un Poete Indonesien. Beide Studien sind glo¬
bal orientiert und in der Textanalyse wenig detailliert; inhaltiiche Schwerpunkte
der Lyrik Sitors werden nur oberflächlich erfaßt und kaum durch konkrete
Textarbeit spezifiziert. Eher aufschlußreich ist die Untersuchung von Subagio
Sastrowardoyo Manusia Terasing di balik Simbolisme Sitor (1976). Unter dem
Begriff „der entfremdete Mensch" konzentriert sich Subagio auf zentrale As¬
pekte des lyrischen Werkes und bezieht sich unter anderem auf das Gedicht „Si anak hilang" (Der verlorene Sohn), das Sitor 1955 in der Lyriksammlung Dalam
Sajak pubhzierte. Auch A.H. Johns befaßt sich in seinem Aufsatz „Sitor Situ¬
morang. The Poet between two Worlds" (1979) unter anderem kurz mit dem
Gedicht „Si anak hilang", während erst Teeuw die eigendiche Signifikanz des
Textes für das lyrische Werk Sitors und die modeme indonesische Literatur
schlechthin erkennt und „Si anak hilang" im Rahmen seiner Essaysammlung
TergantungpadaKata von 1980 gesondert untersucht. Erstaunlicherweise bringt
jedoch keiner der genannten Autoren das Gedicht in Verbindung mit
a) der biblischen Parabel vom verlorenen Sohn und
b) mit Sitors Gedicht „Pulanglah dia si anak hilang" (Heimgekehrt ist der
verlorene Sohn) aus seiner Lyriksammlung Zowan ßar« von 1962.
Mein Anliegen ist es, nachzuweisen, daß sich „der verlorene Sohn" im ly¬
rischen Werk von Sitor Situmorang als ein klar umrissenes Motiv manifestiert hat, das für sein literarisches Werk insgesamt von zentraler Bedeutung ist. Denn neben intertextuellen Bezügen zu der biblischen Parabel und der Prosaerzählung Le Retour de 1' Enfant ProdiguevonAndr^ Gide (1907) als literarische Vorwürfe des Motivs besteht unmittelbare Intertextualität zwischen drei Gedichttexten: