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Die Wiederwahl von Gilberto Kassab zum liberalen Bürger- meister von São Paulo als Lehrstück für eine erfolgreiche Wahlkampagne

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Brasilien: Nr. 8 / 2008

Die Wiederwahl von Gilberto Kassab zum liberalen Bürger- meister von São Paulo als Lehrstück für eine erfolgreiche Wahlkampagne

Rainer Erkens

Bei der Stichwahl für da Amt des Bürgermeister von São Paulo konnte der Amtsinhaber Gilberto Kassab von der mit der FNF kooperierenden Partei der „Demokraten“ (DEM) seine sozialistische Herausfordererin Marta Suplicy mit einem Wahlergebnis von 60,7% klar in die Schranken weisen. Neben einigen positiven Begleitumständen war für den Wahlsieg Kassabs eine gut durchdachte und konsequent umgesetzte Stra- tegie entscheidend. Bei den Wahlkampfsinstrumenten spielten Fernsehen und Radio die wichtigste Rolle, gefolgt vom persönlichen Kontakt mit den Wählern und dem Internet. Doch auch kleine Tricks trugen zu einer erfolgreichen Kampagne bei.

Im aktuellen politischen Bericht Nr. 66/08 wurde der Ausgang des ersten Wahlgangs der brasili- anischen Kommunalwahlen in der Stadt São Paulo bereits dargestellt. Am 5. Oktober 2008 hatte sich in der Stadt São Paulo mit ihren 8,2 Mio. Wahlberechtigten der amtierenden Bürgermeister

Gilberto Kassab

aus den Reihen der „Demokraten“ mit einem Ergebnis von 33,6 % gegen seine beiden wichtigsten Herausforderer durchgesetzt. Diese Herausforderer waren die von Staatspräsident

Luiz Inácio Lula da Silva

unterstützte Sozialistin

Marta Suplicy

(32,8%) und der wie Kassab zum bürgerlichen Lager gehörende

Geraldo Alckmin

(22,5%). Alckmin war im Jahre 2006 der gemeinsame Präsidentschaftskandidat der bürgerlichen Opposition gegen Präsident Luiz Inácio Lula da Silva gewesen und verfügte zu Beginn des Wahlkampfs über einen wesentlichen höheren Bekanntheitsgrad als Gilberto Kassab. Letzterer war erst Anfang 2007 zum Bürgermeister aufgerückt, nachdem sein Vorgänger José Serra zum Gouverneur des Bundes- staats São Paulo gewählt worden war. Marta Suplicy war schon in den Jahren 2000 – 2004 Bür- germeisterin in São Paulo gewesen, dann aber abgewählt worden. Vor ihrer erneuten Kandidatur

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Der Wahlerfolge von Kassab in der ersten Runde gegen diese beiden Schwergewichte wurde zu

Recht in der Presse als sensationell empfunden, verzeichnete Kassab doch noch Mitte August 2008, also knapp sieben Wochen vor der Wahl, bei Umfragen nur einen Stimmenanteil von 13%.

Er lag damit scheinbar hoffnungslos hinter seinem wichtigsten Herausforderer zurück.

Praktisch mit dem

Beginn der Fernsehkampagne

sechs Wochen vor dem Wahltermin begannen Kassabs Popularitätswerte rasch zu steigen. Mitte September hatte er mit Alckmin gleichgezo- gen, Ende September ihn hinter sich gelassen. Am 5. Oktober 2008 zog Kassab dann sogar an der sozialistischen Kandidatin vorbei. Sein

Erfolg in der Stichwahl vom 26. Oktober 2008

(60,7% für Kassab gegen 39,3% für Marta Suplicy) war nach einem dreiwöchigen Wahlkampf zwischen den Wahlgängen trotz aller Bemühungen der in Brasília regierenden Arbeiterpartei von Präsident Lula keine Überraschung mehr.

Im folgenden Bericht sollen die Faktoren dargestellt werden, denen Kassab seinen Erfolg ver- dankt.

Licht und Schatten bei der Szenario-Analyse

Kassab konnte seine Kampagne auf

drei Stärken

aufbauen. Erstens äußerten vor der Wahl 51%

der normalerweise notorisch unzufriedenen Bürger von São Paulo Zufriedenheit mit der Stadtre- gierung. Die Stadtregierung konnte eine

Reihe von Leistungen

in den Bereichen Sicherheit, Ge- sundheit und Lebensqualität vorweisen. Durch Maßnahmen wie die Einführung eines lokalen Steuerausweises konnte die Korruption bekämpft werden. Die Kriminalität ging vor allem wegen restriktiverer Gesetze zum Waffenhandel zurück. Zudem wurden trotz verbesserter Leistungen die Steuern nicht erhöht. Ein besonderer Pluspunkt für Kassab war das von ihm gegen viele Wi- derstände durchgesetzte Programm „

Cidade Limpa

“ (saubere Stadt), das sich nicht nur gegen Schmutz und Verwahrlosung in São Paulo richtet, sondern auch populäre Maßnahmen gegen

„visuelle“ und „akustische“ Umweltverschmutzung einschließt. In São Paulo sind zum Beispiel weder die im übrigen Lateinamerika wuchernden großflächigen kommerziellen Werbeplakate an den Straßen noch Leuchtreklamen auf den Geschäften erlaubt. Bars in Wohngebieten dürfen nach Mitternacht keine laute Musik mehr spielen, Werbung per Lautsprecherwagen ist unter- sagt.

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Website der Stadt São Paulo zum Projekt „Cidade Limpa“

Die hohe Zustimmung in der Bürgerschaft zur Stadtregierung kam aber paradoxerweise lange

Zeit Kassab nicht zugute, weil er noch Anfang August 2008 zu unbekannt war. Ein wesentliches Element der Strategie von Kassab bestand deshalb darin,

die hohe Zustimmung zu seiner Amtsführung mit seiner Person zu verbinden und ihn als Bürgermeister bekannt zu machen

.

Zweitens lebt in Südamerikas Wirtschaftsmetropole São Paulo eine

breite Mittelschicht

, ohne die kein Wahlsieg mehr möglich ist. Es gibt weniger Arme als anderswo in Brasilien. Nur etwa sieben Prozent der Bevölkerung wohnen in Favelas. Marta Suplicy ist in ihrer Amtszeit aber nicht zuletzt durch die Erhöhung von Steuer und Abgabe für die Mittelschicht unangenehm aufgefal- len. Zudem wird die Arbeiterpartei mit Umverteilung gleichgesetzt. Beides war dem Image der Kandidatin in großen Teilen der Wählerschaft nicht zuträglich.

Drittens konnte Kassab als Bürgermeister erfolgreich

Mittel und Verbündete für seinen Wahl- kampf

akquirieren. Seinen Etat gab er im Vorfeld (das ist in Brasilien Pflicht) mit 40 Mio. Reais (rund 15 Mio. Euro) an. Damit konnte er ein professionelles Expertenteam einstellen und verfüg- te über ausreichend Geld für Fernseh- und Radiospots. Bündnisse mit anderen Parteien garan- tierten ausreichende Sendezeiten.

Brasiliens Wahlgesetzte erlauben den Beginn des Wahlkampfs erst auf den Tag genau ab drei

Monaten

vor dem Wahltag, was Kandidaten hilft, ihre Mittel zu konzentrieren. Zudem sind di- verse Werbemittel wie Großflächenplakate landesweit nicht erlaubt. Die Stadt São Paulo hat aber selbst die Verwendung kleiner Plakate im Rahmen des Konzepts „Saubere Stadt“ verboten und den Einsatz der anderswo in Brasilien beliebten Lautsprecherwagen der Kandidaten mit ih- rer plärrenden Musik und den ununterbrochen wiederholtem Slogans untersagt. Vom Wahl- kampf war daher in São Paulo in der Öffentlichkeit optisch und akustisch kaum etwas zu bemer- ken. Umgekehrt wuchs die Bedeutung der anderen Werbemittel, darunter besonders die des Fernsehens.

Zu den

Schwächen in Kassabs Szenario

gehörte zunächst die

Spaltung des bürgerlichen La- gers

. Sie erwies sich paradoxerweise letzten Endes als vorteilhaft, weil Marta Suplicy sich bereits voreilig als Siegerin betrachtete und ihren Gegner unterschätzte, während Kassab bis zum Ende des ersten Wahlgangs als „Underdog“ Wahlkampf führen konnte.

Einige Sorge bereitete dem Team von Kassab die Frage, wie sich die kräftige Unterstützung von

Suplicy durch den überaus beliebten Präsidenten Lula

auswirken würde. Am Ende blieben Lulas Auftritte in São Paulo ohne erkennbare Wirkung auf den Wahlausgang.

Nicht weniger als 42% der Wähler, die Lulas Amtsführung als positiv empfinden, stimmten für Kassab. Die Wähler wussten offenkundig zwischen den Belangen der Stadt und der Bundesebene gut zu unterscheiden. Kassabs Taktik, sich

ganz auf Lokalthemen zu konzentrieren

und jedem Versuch einer Nationalisierung der Kampagne entgegenzutreten, erwies sich als richtig. Kassab ging dabei Medienberichten zufolge so weit, seinen eigenen Parteifreunden von den „Demokraten“ ein Besuchsverbot in São Paulo zu erteilen. Nach ihrer kräftigen Niederlage im ersten Wahlgang hätten führende Vertreter der „Demokraten“ nur zu gerne von ihrem einzigen verbliebenen kommunalen Zugpferd im Lande profitiert. Damit hätten sie aber den Strategen der Arbeiterpartei in die Hän-

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Die richtige Strategie als Schlüssel zum Sieg

Die FNF betont bei der Politikberatung immer wieder, wie wichtig

eine konsequent eingehalte- ne Strategie ist.

Der Wahlerfolg von Gilberto Kassab ist ein Lehrstück für die Richtigkeit dieser Position.

Der Kern von Kassabs Strategie, die von einem einheimischen Team erarbeitet worden war, be- stand in der ersten Phase des Wahlkampfs darin, sich selbst als den

glaubwürdigeren und aus- sichtsreicheren

Kandidaten gegen die Sozialistin Suplicy in Stellung zu bringen. Damit sollte dem anfangs bekannteren Alckmin sein Hauptargument genommen werden, dass er im zweiten Wahlgang die größeren Chancen gegen Suplicy haben würde. Kassabs Kampagne war daher vom ersten Tag an oberflächlich betrachtet

nur gegen Suplicy

gerichtet. In Wirklichkeit ging es aber gerade darum, Alckmin Unterstützung zu entziehen, indem man ihn „schonte“. Suplicy nahm ihrerseits Kassabs Attacken gerne auf und bemühte sich gleichfalls, Alckmin zu ignorieren, weil für sie Kassab der vermeintlich leichtere Gegner in der Stichwahl war. Alckmin geriet so ins Ab- seits. Auf sinkende Umfragewerte reagierte er mit immer heftigeren Attacken auf Kassab, dessen Stadtregierung auch Vertreter von Alckmins eigener Partei gehören. Das musste im bürgerlichen Lager irritieren, wo es vor allem darum ging, Suplicy vom Bürgermeisteramt fernzuhalten.

Ein weiteres zentrales Element von Kassabs Strategie bestand darin, sich ausschließlich auf die

Erfolge seiner Amtszeit und die seines Vorgängers und Mentors, des Gouverneur des Bundes- staates São Paulo José Serra

zu berufen. Kassab ist kein brillanter Redner. Er verfügt über we- nig Charisma und wirkt oft bei Veranstaltungen linkisch. Kassab verzichtete deshalb klugerweise im Gegensatz zu Suplicy auf öffentliche Großveranstaltungen. Er stellte stets seine Leistungen in den Vordergrund, nicht seine Person, wirkte dadurch aber auch als Person glaubwürdig. Kassab informierte die Wähler mit einer

Fülle von Daten und Fakten

über die Taten seiner Regierung.

Die Aufzählung der vielen neuen Krankenhäuser, Schulen, Kindergartenstätten, etc., wurde da- durch anschaulicher, dass Kassab eine Vielzahl von Termine in solchen Einrichtungen wahrnahm, bei denen er vor laufenden Kameras stets das Gespräch mit den Betroffenen und den von seinen Maßnahmen profitierenden Bürgern suchte. So entstand der Eindruck eines kompetenten, bür- gernahen und allgegenwärtigen Stadtvaters, der seine Stadt gut verwaltet. Kassabs Leitmotive in der Kampagne waren dann auch

Effizienz (eficiência) und gutes Management (boa gestão).

Bemerkenswert war, dass es Kassab gelang, seine Erfolge im Bereich Gesundheit und Bildung in den Vordergrund des Wahlkampfs zu stellen und damit die Themen zu setzen. Suplicy hatte zu- nächst ihre Angriffe auf die Schwäche der Stadtregierung, die weiterhin gravierenden Probleme

im Verkehrsektor gerichtet. Unklugerweise ließ sie sich dann aber darauf ein, die von Kassab genannten Leistungen der Stadtregierung im Gesundheits- und Bildungssektor zu “widerlegen“. Ganze Teams bemühten sich darum, Fehler und Beschönigungen in Kassabs Bilanz aufdecken. Das führte zwar hier und da dazu, dass Errungenschaften der Stadtregierung weniger glanzvoll aussahen als von Kassab verkündet worden waren. Die vielen Zahlen und Gegenzahlen wirkten aber auf die Wählerschaften verwirrend und ermüdend.

Trotz der anhaltenden Kritik Suplicys an Kassabs Amtsführung wuchs bezeichnenderweise noch während des Wahlkampfs die

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Zustimmung zur amtierenden Stadtregierung weiter. Mitte Oktober 2008 bezeichneten bereits 61% der Wahlberechtigten Kassabs Amtführung als „gut“ oder „sehr gut“, ein historischer Re- kord für einen Amtsinhaber in São Paulo und ein Resultat, das fast exakt dem Wahlergebnis für Kassab entspricht.

Ein weiteres wichtiges Element der Strategie war die

starke Einbeziehung der Randgebiete São Paulos

in die Kampagne. Kassab konnte sich der Zustimmung der Mittelschicht in São Paulo ziemlich sicher sein. Deshalb konzentrierte sich sein Wahlkampf auf die armen Stadtteile an der Peripherie, allesamt Hochburgen der Sozialisten. Gerade hier nahm Kassab eine Fülle von pres- sewirksamen Auftritten in sozialen und in Bildungseinrichtungen wahr. Noch vor dem offiziellen Beginn des Wahlkampfs (danach ist das in Brasilien nicht mehr erlaubt) hatte Kassab gerade in den ärmeren Vierteln der Stadt zahlreiche neue soziale Projekte eingeweiht. Das Wahlergebnis gab seinem Ansatz recht: während Kassab in den Vierteln der Mittelschicht von São Paulo weit vor Suplicy lag und im zweiten Wahlgang teilweise mehr als vier Fünftel der Wählerstimmen erzielen konnte, vermochte er selbst in den Wahlbezirken an der Peripherie zwischen einem Vierteln und einem Drittel der Wähler für sich zu gewinnen.

Suplicy war Kassabs Strategie nicht gewachsen. Ihr Vorwurf, Kassab sei der Kandidat der Rei- chen, stand im Widerspruch zu Kassabs häufiger Präsenz in den Armenvierteln. Suplicy musste sich zudem mit Klassenkampfparolen zurückhalten, um nicht die starke Mittelschicht in São Paulo zu verprellen. Am Ende startete Suplicy, von ihrer Ausbildung her eine Psychologin, die in Brasilien durch Fernsehprogramme zu sexuellen Aufklärung bekannt geworden war, einen pein- lichen Versuch, Kassabs vermutete

Homosexualität

zum Wahlkampfthema zu machen. Dieses Manöver hatte für Kassab ein beträchtliches Schadenpotential, verkörperte Umfragen zufolge der 48-jährige Junggeselle doch für viele Wählerinnen den Typ des „guten Ehemanns“ („bom marido“). Suplicys Anspielung trug ihr aber die einhellige und überaus heftige Ablehnung der Medien in der Stadt ein. In Brasilien gilt das sexuelle Privatleben eines Politikers als Tabu, solan- ge es nicht seine Tätigkeit beeinträchtigt. Auch in der eigenen Partei regte sich Kritik, so dass der kritisierte Fernsehspot bald zurückgezogen werden musste. Schlimmer noch war für Suplicy, dass in den Medien ihr Versuch, die Persönlichkeit Kassabs zu thematisieren, als Zeichen für die wachsende Panik in ihrem Wahlkampfteam angesichts anhaltend schlechter Umfragewerte ge- deutet wurde. Suplicy bekam so ein Verliererimage, während der eigentlich längst in den Um- fragen führende Kassab vom Mitleidseffekt profitieren konnte.

Kein Sieg ohne das Fernsehen

Auch bei dieser Wahl nahm das Fernsehen, flankiert vom Radio, unter den Wahlkampfmedien den ersten Platz ein. Rund 60% von Kassabs Wahlkampfetat entfielen auf die Fernsehwerbung.

Kassab hatte vor den Wahlen eine Allianz seiner „Demokraten“ mit insgesamt fünf weiteren Par- teien geschmiedet. Da sich in Brasilien die Fernsehsendezeit für Werbespots der Kandidaten nach der Zahl der Sitze derjenigen Parteien im Bundesparlament in Brasilia bemisst, die den Kandidaten unterstützen, erhielt Kassab vor dem ersten Wahlgang

mehr lokale Sendezeit als

seine Gegenkandidaten

. Sein Wahlkampfetat erlaubte ihm, diese Sendezeit im vollen Umfang zu nutzen. Dabei ging es vor allem darum, nicht nur in den offiziell für Partei reservierten Wer- beblocks präsent zu sein, sondern gerade auch in den Werbeblocks, die Fernsehsender den Kan- didaten während ihrer Unterhaltungsprogramme (gegen Gebühr) zur Verfügung stellen müssen.

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team hatte sich zudem dafür entschieden, einen Teil der üblichen 30-Sekunden-Spots zu teilen, wodurch die Zahl der Spots zur Förderung der Bekanntheit Kassabs erhöht werden konnte. Das machte eine sehr konzentrierte Botschaft erforderlich. Vor laufender Kamera präsentierte sich Kassab als effizienter und sachlicher Bürgermeister der Stadt. Das Feuerwerk der Ende August 2008, sechs Wochen vor der Wahl einsetzenden Fernseh- und Radiospots bewirkte dann fast umgehend den bemerkenswerten Anstieg der persönlichen Popularität des Bürgermeisters.

Die offiziellen Werbespots wurden ergänzt durch

Berichte in den Medien zu Kassabs Auftritten als Bürgermeister

in Einrichtungen der Stadt, sowie durch seine Teilnahme an den Politikerrun- den in den verschiedenen Fernsehsendern. Letztere bewegten trotz guter Zuschauerzahlen den Meinungsumfragen zufolge fast nichts, was dem Amtsinhaber und Favoriten zugute kam. Auch in den Fernsehrunden blieb Kassab seiner Strategie treu, sich als effizienten Manager zu präsen- tieren, der an Lösungen interessiert ist, nicht an Ideologie oder an persönlichen Attacken auf seine Gegnerin. Sein wenig charismatisches Auftreten, das eigentlich nicht dem Bild eines La- teinamerikanischen Politikers entspricht, verlieh diesem Anspruch Glaubwürdigkeit.

Der persönliche Kontakt mit dem Wähler bleibt wichtig

Der persönliche Kontakt zu den Wählern bleibt auch in den Zeiten des Fernsehens und des Inter- nets wichtig. Kassab hatte zwar auf große Veranstaltungen verzichtet. Neben seinen ständigen Besuchen in städtischen Einrichtungen in den verschiedenen Stadteilen war aber von seinem Team eine Gruppe von

600 professionellen Wahlkampfhelfern

eingestellt worden, deren Aufgabe darin bestand, in allen Stadtteilen Werbematerialen zu verteilen, die Bürger zu Hause zu besuchen und das Gespräch mit ihnen zu suchen. Solche Helfer weisen in Brasilien kein Parteibuch auf und werden bezahlt. Man verlässt sich nicht mehr darauf, dass die eigenen Mitglieder von Tür zu Tür ziehen. Die Helfer

erhalten sowohl vorab als auch während des Wahlkampfs eine Schulung, damit sie Bürgern Fra- ge und Antwort stehen können. Es wird alles getan, damit sie sich mit „ihrem“ Kandidaten iden- tifizieren und glaubwürdig für ihn werben können. Die Bedeutung dieser Helfer im Wahlkampf wird schon daran erkennbar, dass noch im September 2008 das Kontingent der Wahlkampfhelfer für Kassab in den Stadtvierteln auf 1.100 Personen fast verdoppelt wurde. Neben den üblichen Werbematerialen stand den Helfern für die meisten Bezirken eine jeweils stadtteilbezogene Wahlzeitung zur Verfügung, in denen auf die örtlichen Verhältnisse bezogen die konkreten Leis- tungen der Stadtregierung im Wort und Bild dargestellt wurden.

Möglichkeit und Grenzen des Internets

Wohl nur in wenigen Ländern der Erde hat das Internet in den vergangenen Jahren einen sol- chen Aufschwung erfahren wie in Brasilien. Kaum eine Nation sitzt Untersuchungen zufolge länger vor den Bildschirmen und nutzt begeisterter Kanäle wie Orkut, You Tube, Facebook oder Flickr. Vom Stiftungspartner „

Institut für Fortgeschrittene Studien

“ (IEA), das sowohl mit einem eigenen Büro in São Paulo als auch von anderen Orten aus den elektronischen Wahlkampf von Gilberto Kassab gestaltete, wurde die Kampagne deshalb auch als ein großes Laboratorium für die Erprobung neuer Instrumente betrachtet. Nicht weniger als 20 Mitarbeiter befassten sich praktisch rund um die Uhr mit Kassabs Wahlkampf in den elektronischen Medien.

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Website von Gilberto Kassab

Allerdings erwiesen sich die hochgesteckten Erwartungen in das Internet als Wahlkampfmedium à la USA als

zu optimistisch

. Der brasilianische Gesetzgeber hatte es versäumt, rechtzeitig vor der Kampagne die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Gebrauch des Internets im Wahl- kampf festzulegen. Das ließ beträchtlichen Spielraum für das mit der Durchführung und Über- wachung des Wahlkampfs befasste

Oberste Wahlgericht (STF)

und seinen Dependancen in den Bundesstaaten, die

Regionalen Wahlgerichte (STR

). Dabei gab es von Staat zu Staat abwei- chende Entscheidungen, was in Wahlkampfzeiten erlaubt ist. Zudem wurden Urteile noch wäh- rend des Wahlkampfs revidiert. Das alles schuf erhebliche Unsicherheit. Die nicht gerade mit jungen Leuten besetzten Wahlgerichte zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Besonderheiten des dezentralen Internets wenig verstehen und es oft wie das Fernsehen behandeln. Der rechtli- che Rahmen wurde daher so sehr eng wie bei Fernsehkanälen gesetzt, die keine Werbung für einzelne Kandidaten oder Parteien betreiben dürfen. Durch all dies wird unter dem Stichwort

„gleicher Wahlchancen“ für alle Kandidaten eine

innovative und experimentelle Nutzung des Internets erschwert.

So durften Kandidaten nur auf ihrer eigenen offiziellen Website für sich werben, also soziale Netzwerke wie das in Brasilien weit verbreitete

Orkut

weder selbst nutzen noch durch andere in Orkut für sich werben lassen. Ebenso war es nicht erlaubt, das Internet zur Spendenakquisition zu verwenden. Erst am 5. Juli 2008 durfte eine Website des Kandidaten erscheinen, am 27. Ok- tober 2008 musste sie bereits wieder abgeschaltet sein. Zeitungen war es nicht gestattet, für einen Kandidaten zu werben, ihn offen zu unterstützen oder Anzeigen eines Kandidaten zu ver- öffentlichen. Damit blieb auch diesmal das teure Fernsehen das wichtigste Medium der politi- schen Auseinandersetzung. Das gibt paradoxerweise Kandidaten mit hohen Etats einen großen Vorteil,

verhindert also gerade Chancengleichheit

und nimmt neuen Kandidaten die Möglich- keit, sich bekannt zu machen.

Kassabs

Internet-Kampagne

bestand aus drei Elementen: zunächst gab es für die breite Öffent- lichkeit eine attraktiv aufgemachte, lebendig gestaltete und interaktive

Website des Kandida-

ten

, auf der interessierte Bürger aktuelle Informationen, alle Werbematerialen, politische Spiele sowie alle Fernseh- und Radiospots der Kampagne finden konnten. Zudem gab es Links zu Blogs und Freundeskreisen im Umfeld der Kampagne von Kassab.

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Service-Angebote auf der Website des Kandidaten Gilberto Kassab

(In Brasilien wird jeder Partei eine Nummer zugewiesen - 25 ist die Nummer der „Democratas“)

Ergänzt wurde die Website durch ein speziell für den Wahlkampf gegründetes

Netzwerk von Freunden und Anhängern Kassabs im Internet („Rede K25“)

, dem man aber ausdrücklich bei- treten musste. 4.000 Bürger taten dies. Nach der Wahl stellt sich die Frage, wie man deren Inte- resse weiter nutzen kann. Das gleichfalls interaktive ausgerichtete Netzwerk bot Bürgern die Gelegenheit, über Kassab und seinen Wahlkampf zu diskutieren, sich selbst in Untergruppen zu organisieren und zusätzliche Informationen und Werbematerialen zu erhalten. Es war in erster Linie ein Forum für Personen, die ohnehin von Kassab überzeugt waren und seinen Wahlkampf unterstützen wollten. Wechselwähler oder gar Anhänger der Opponenten sollten damit nicht angesprochen werden.

Elektronischer Informationsdienst per e-mail,

hier mit einem Artikel eines bekannten brasilianischen Journalisten zu Kassab und den Wählern

Schließlich wurde ein elektronisches

Informationssystem (Kassab – Sistema de Informações)

gegründet, mit dessen Hilfe ein kleinerer Kreis aus Personen, die für den Wahlkampf als wichtig erachtet wurden, täglich mit aktuellen Materialen versorgt wurde. Sie reichten von den Ergeb- nissen von Meinungsumfragen über Kommentare aus Zeitungen bis zur Aufnahme von Artikeln aus den Blogs renommierter brasilianischer Journalisten. Es ging interessanterweise also nicht um Übersendung eigener Presseerklärungen, sondern um die Stimmen Dritter. Letztere sind na- türlich glaubwürdiger als eigene Verlautbarungen. Allerdings ist schwer vorstellbar, dass nur auf Äußerungen Dritter in einer Kampagne zurückgegriffen werden könnte, die schlecht läuft. Gele- gentlich wurden sogar kritische Stimmen zu Kassab berücksichtigt. Das spricht für die Sieges- gewissheit im Kampagnenteam.

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Für Wahlkämpfer war das elektronische Informationssystem mit Sicherheit wertvoll, bot es doch eine Fülle von Argumentationshilfen. Die Zahl der Aussendungen betrug allerdings zwischen sechs und acht am Tag, so dass jeder aus dem Empfängerkreis am Ende des dreieinhalb Monate dauernden Wahlkampfes zwischen

600 und 800 Informationsschreiben

erhalten haben dürfte.

Wie so oft beim Internet drängt sich die Frage auf, wer soviel Material täglich verarbeiten kann und ob nicht eine zielgruppengerechtere Auswahl besser gewesen wäre.

Komprimierter waren die Informationen, die für die Kampagne wichtigen Personen per

SMS

telefonisch übermittelt wurden. Der Interessenten- und Empfängerkreis für eine solche Art der politischen Kommunikation war aber klein. Nicht jeder möchte ständig neue Nachrichten aus dem Wahlkampf auf seinem Handy empfangen.

SMS-Versand

Angesichts einer recht restriktiven Rechtsprechung erwies sich am Ende jedenfalls auch nach Meinung der Experten im Team von Kassab das Internet nur als

ein

wichtiges Element unter mehreren. Von einem Instrument der Massenkommunikation wie in den USA war es zumindest in dieser Kampagne noch ein gutes Stück entfernt.

Der „Jingle“ und Kassabinho – kleine Erfolgsrezepte mit Wirkung

Breite Resonanz fanden zwei Wahlkampfmittel, die gemeinhin von seriösen Beobachtern eher belächelt werden. In Brasilien ist es üblich, dass Kandidaten einen

„Jingle

“, einen kurzen Wahl- kampfsong vorweisen und – normalerweise per mit Lautsprechern bestückten Lastkraftwagen – dem Wahlvolk einzuhämmern versuchen. Kassabs „Jingle“ lief wegen der lokalen Beschränkun- gen zwar nur im Fernsehen, im Radio und auf der Website des Kandidaten. Das optimistische und schwungvolle Liedchen, von fröhlichen jungen Menschen vorgetragen und mit Stadtbildern aus São Paulo versehen, erwies sich aber als hitparadenverdächtig und erreichte rasch große Bekanntheit und Popularität. Es wurde in YouTube übernommen und dort unzählige Male fre- quentiert. Der Autor des vorliegenden Berichts hatte den Eindruck, dass ganz São Paulo am Ende den (belanglosen) Text und die Musik kannte.

Ebenso erfolgreich war eine von Kassabs Team eingeführte Puppe als Zeichentrickfigur, die mit dem Namen „

Kassabinho

“ (kleiner Kassab) rasch bei jüngsten, jungen und jung gebliebenen Bürgern zu großer Beliebtheit gelangte. Die Absicht war, den eher steif wirkenden Kandidaten so menschlicher wirken zu lassen.

Kassabinho wurde Ende August 2008 als Begleitfigur der Fern- sehspots des Bürgermeisters gestartet, erwies sich aber in kürzester Zeit als ein solcher Sympathieträger, dass er eigene Auftritte erhielt und eigene Werbemittel nur mit ihm auf den Markt gebracht wurden. Obwohl die Puppe

ausschließlich virtuell

existierte war sie schon bald allerorten als Aufkleber anzutreffen. Ganze Blogs widmeten sich der Figur, Kinder gingen mit „Kassabinho“-Aufklebern in die Schule. Letztlich wurde so der von Kassab selbst gewollte Eindruck verstärkt, dass er ein freundlicher Mensch ist, dem persönliche Angriffe fremd sind.

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Solche Tricks aus der Kiste der Werbemittel entscheiden vermutlich keine Wahl. Sie trugen aber zweifellos dazu bei, dass eine für Kassab insgesamt positive Atmosphäre entstand und seine Bekanntheit gefördert wurde.

Zusammenfassung

Wahlkämpfe weisen immer Besonderheiten auf. Das gilt ganz besonders für Kommunalwahlen.

Doch von den Erfahrungen anderer kann man gleichwohl lernen.

Trotz seiner Funktion als amtierender Bürgermeister von São Paulo begann Gilberto Kassab die Wahlkampagne im Juli 2008 als Außenseiter. Sein einziger Pluspunkt waren anfangs seine eige- ne, von den Bürgern positiv bewertete Amtsführung und die Leistungen seines Vorgängers Serra.

Auf ihrer Basis konnte Kassab einen Wahlkampf führen, der nicht wie in Lateinamerika üblich auf die verbale Beschwörung von Problemen, sondern auf deren Lösung abzielte. Dass Kassab sich als effizienter Problemlöser darstellen konnte, lag an einer zum Kandidaten passenden, kon- sequent umgesetzten und befolgten Strategie und den in Übereinstimmung mit dieser Strategie eingesetzten Wahlkampfmitteln.

Kassabs Erfolg macht einmal mehr deutlich, dass erfreuliche Wahlergebnisse weder vom Himmel fallen noch vom Zufall abhängen müssen, sondern das Resultat guter Leistungen und einer durchdachten strategischen Planung sind.

Impressum

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Bereich Internationale Politik

Referat Politikberatung und Internationale Politikanalyse Karl-Marx-Straße 2

D-14482 Potsdam

Aktuelle Informationen zur Projektarbeit der Stiftung für die Freiheit finden Sie unter www.freiheit.org

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