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Ü Scheitern ahoi!

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Academic year: 2022

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bers Scheitern kann man seit dem Hausarzt- medizinkongress zu diesem Thema kaum noch etwas sagen. Dort wurde alles bedacht und diskutiert. Wir Grundversorger, täglich mit Misserfol- gen und Scheitern konfrontiert, fühlten uns damals gut verstanden und bekamen wertvolle Tipps. Trotzdem scheitere ich noch immer daran, Scheitern zu akzeptie- ren – sowohl meines als auch das meiner Patienten.

Der Psychiater meiner Balint-Gruppe meinte kürzlich tröstend: «Hey, du kannst doch wenigstens einem be- handlungsunwilligen Diabetiker Insulin spritzen, wenn er ins Koma fällt, und ihm das Leben retten, auch wenn er es nicht will! Und für deine kleinchirurgische Arbeit brauchst du nur die Zustimmung des Patienten für den Eingriff, aber sonst keinerlei Mitarbeit von ihm.» Das war ein Aufsteller. Ja, die Therapie seiner und meiner Patienten mit psychischen Erkrankungen ist komplex:

Die Hauptarbeit muss da der Leidende machen (wol- len). Man kann ihm nicht einfach den Wahn, die Depression, die Sucht oder die Persönlichkeitsstörung wegschneiden oder -spritzen. Scheitern ist dort legi- tim. Und nicht nur dort. Etymologisch kommt Scheitern vom Schiffbruch, bei dem das Boot in Holzteile, in

«Scheite», zerschellt. Der Schiffbrüchige muss dann primär seine Existenz sichern und klären: Gibt es am Ort seines Schiffbruchs Wasser, Essen, aggressive Ein- geborene, gefährliche Tiere? Streng genommen schei- tern wir Grundversorger also nicht, sondern haben Misserfolge, denn es geht meistens nicht um unseren Kopf und Kragen. Auch die «gescheiterten Existenzen»

unter unseren Patienten müssen dank gutem Sozial - system weder hungern noch frieren noch obdachlos sein. Viele, die Steuerzahler etwas kosten, können trotz- dem ein glückliches und erfülltes Leben führen und der Gesellschaft Wertvolles zurückgeben. Gottfried Keller war so jemand … Als Hausarzt verfahre ich mit meinen scheiternden Patienten genauso wie mit mir selbst: erst das Lebensnotwendige sicherstellen und trauern, dann die Gründe für den Schiffbruch ermitteln. War der Kapitän zu müde, zu krank, zu abgelenkt, zu optimis- tisch, zu sorglos? Reichten sein Wissen, sein Können oder seine Anstrengungen nicht aus? Waren die Um- stände so, dass er das Risiko gar nicht erkennen konnte? Mangelte es an Ausrüstung und Unterstützung des Umfelds? Auch im Leben gibt es gefährliche Strö- mungen und Gezeiten, unsichtbare Klippen, Unwetter,

Meuterei in der Crew, böse Reeder und morsche Schiffe. Sich grosse bis grössenwahnsinnige Ziele zu setzen, die eigenen Ressourcen zu überschätzen und die augenfälligen Gefahren zu missachten, das muss aber nicht zum Scheitern, sondern kann zu epochalen Erfolgen führen. Das zeigte Kolumbus, der mit kleinem Boot, falschen Karten und Desperados ins lebens - gefährliche Ungewisse fuhr. Ohne Menschen wie ihn gäbe es keine Neuentdeckungen. Zu scheitern ist un- angenehm. Teuer, anstrengend, manchmal gefährlich.

Aber nicht ehrenrührig. Denn Risiken stets zu vermei- den oder anderen aufzubürden, der Bequemlichkeit zuliebe Chancen ungenutzt zu lassen, Konflikte und Schwierigkeiten zu scheuen, das ist keine Stärke. Mein Rat an mich und andere Scheiternde/Gescheiterte ist da her: sich aufrappeln nach dem Schiffbruch! Mit den Scheiten ein Feuer machen, daran die Kleider trocknen und Trinkwasser abkochen. Über das kaputte Schiff und den Misserfolg weinen, während man sich aus den angeschwemmten Schiffsgütern einen Proviant gönnt.

Dann überlegen. Hat man gerade Amerika entdeckt und weiss es noch nicht? Oder erkannt, dass man nicht zum Kapitän taugt, aber überlebt hat und Leckeres aus Schwemmgut kochen kann? Schliesslich entscheiden, ob man am Ort des Scheiterns bleibt, Bauer wird und sich ein Robinson-Landgut aufbaut. Oder SOS absetzt und sich von anderen helfen lässt. Oder wieder in See sticht, weil man davon überzeugt ist, dass man sein Ziel erreichen wird, aber dieses vielleicht nicht Amerika ist, sondern Indien. Benedikt XVI. ist mir ein Vorbild. Wenn jemand an Unterstützung von ganz oben glauben darf, dann er. Doch als er spürte, dass er nicht mehr die Kraft für den Herkulesjob hatte, den Augiasstall auszumisten, handelte er bewundernswert. Nachdem er trotz all sei- ner Anstrengungen gescheitert war, gab er es zu und machte etwas Revolutionäres. Etwas, was eigentlich nicht möglich war, was es noch nie gab, was ein Papst eigentlich nicht tun darf – er trat zurück, forderte Hilfe und starke jüngere Schultern für die schwere Aufgabe.

Auch König Juan Carlos von Spanien folgte seinem Beispiel – echt royal. Wenn Päpste

und Könige es dürfen, dann dürfen auch wir mal scheitern, ohne dass das übel genommen wird, oder?

Scheitern ahoi!

A R S E N IC U M

Ü

MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

888

ARS MEDICI 18 2014

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