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Neue Romane von und über Frauen im

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Rezensionen

Geknechtete oder glückliche Frauen?

Neue Romane von und über Frauen im

islamischen Kulturkreis

So eng der Buchmarkt angeblich auch ist, ein paar Nachfragelücken scheint es immer noch zu geben. Neben einer Flut von Sachbüchern zum Gastarbeiterthema gibt es neuerdings auch eine ganze Reihe von Romanen von und über Ga- starbeiter bei uns und in den Herkunftsländern.

Was das besondere ist: daß nach langen Jahren der Stille, in denen nur wenige Frauen auf die kaum beachteten, fast totgeschwiegenen Pro- bleme der ausländischen Frauen aufmerksam zu machen versuchten und sich offenbar kein Ver- lag bereit fand, sich der Literatur von und über ausländische Frauen anzunehmen, jetzt ein klei- ner Durchbruch passiert ist: auch ausländische Frauenliteratur ist auf dem Markt. Nachdem Irmhild Richter-Dridi nach jahrelangen Ver- handlungen ihre Dissertation „Frauenbefreiung in einem islamischen Land - ein Widerspruch?"

1981 endlich als Fischer-Taschenbuch (Frank- furt/Main 1981, Nr. 3717,254 S., 12,80 DM) un- terbringen konnte, — ein lesenswertes Buch, das allerdings von den politischen Entwicklun- gen etwas überholt wurde — und Füruzan's ein- drucksvolle türkische Erzählungen „Frau ohne Schleier", 1976 im Europaverlag erschienen, 1981 als dtv-Taschenbuch (München 1981, 5,80 DM) herauskamen, ist das Thema aktuell.

Das Interesse an solcher Literatur, die ja vor allem deutsche Frauen ansprechen soll, ist si- cher ebenso auf die verstärkte Öffentlichkeits- arbeit ausländischer Frauenorganisationen zu- rückzuführen, von denen es wenn auch regional zersplittert eine ganze Reihe gibt, wie auf die Bemühungen deutscher Fraueninitiativen aus der Sozialarbeit mit Ausländerinnen. Es ist aber auch ein Unwohlsein an der eigenen Kultur, die Suche nach neuen Lebensformen für Frauen,

die dieses Interesse wecken. Die Grenzen der Möglichkeiten einer Frauenemanzipation in den westlichen Industriegesellschaften sind deutlicher geworden und damit ist die Offenheit gewachsen, Frauentraditionen, Frauenalltag und Frauenkampf in anderen Kulturkreisen un- voreingenommener zu betrachten. Viele aus mangelnder Information entstandenen Vorur- teile - wie die vollkommene Versklavung der Frauen aus dem islamischen Kulturkreis — müs- sen bei näherer Betrachtung und persönlicher Begegnung, wie sie in der Sozialarbeit mit Frau- en entsteht, differenziert werden. Dabei gibt es Anlässe genug, über die unterschwellig entstan- dene Überheblichkeit westlicher Frauen über die so rückständigen Frauen der Dritten Welt nachzudenken, wobei eine solche Relativierung auch in eine die politischen und ökonomischen Bedingungen zu kritiklos negierende Verherrli- chung der in streng patriarchalen Gesellschaften existierenden eigenen Frauenwelt umschlagen kann: dort ist es urfeministisch, urmütterlich und heil.

Die fünf Romane, die wir für uns und für Euch gelesen und rezensiert haben, zeigen diese verschiedenen Richtungen sehr deutlich: Der Roman von Vittoria Alliata mit dem reißeri- schen Titel „Harem - Die Freiheit hinter dem Schleier", erschienen im Verlag Rogner & Bern- hard, München 1981 (284 S., 29,80 DM), nach- dem die italienische Originalausgabe bereits in der 2. Auflage ist, gehört dieser zuletzt genann- ten Richtung an, während Nawal el Saadawi in

„Tschador — Frauen im Islam", erschienen bei der kleinen con medien- und Vertriebsgesell- schaft, Bremen 1980 (182 S., 19,80 DM) die po- litische, ökonomische und patriarchale Unter- drückung der Frauen im Islam nicht beschönigt, ohne deshalb einer Frauenemanzipation im westlichen Sinne nacheifern zu wollen. Kate Millett's Reisebericht „Im Iran" in Rowohlt's Reihe neue frau, Reinbek 1982 (Nr. 5062, 394 S., 10,80 DM) ist der Bericht einer Ernüchte- rung, der Roman von Hanne Mede-Flock ,Jm Schatten der Mondsichel" erschienen im Frauen- verlag Medea, Frankfurt/Main 1982 (238 S., 22, - DM) wurde mit sehr viel Sympathie für die

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Frauen in der Türkei geschrieben und ,J)ie Preisvergabe — Ein Frauenroman" von Aysel özakin aus dem Buntbuch Verlag, Hamburg 1982 (172 S., 24,80 DM) ist ein selbstkritischer autobiographischer Roman über die Versuche des Selbständigwerdens einer Mittelschichts- frau in der Türkei.

Vittoria Alliata: Harem — die Freiheit hinter dem Schleier

Über Stil läßt sich streiten. Aber daß alles Glück der Frauen sich in einem Exclusivzirkel der ara- bischen Oberschicht befinden soll, die über ge- nügend Geld verfügt, die angebetete Weiblich- keit schützend in ein mystisch luxuröses Para- dies, den Harem, zu verfrachten, - das ist keine Stilfrage mehr. Obwohl die sizilianische Fürstin Vittoria Alliata hier, wie im Vorwort ihres Wer- kes „Harem" wohl vermerkt, das endgültig rich- tige Verständnis des Morgenlandes in literari- scher, nicht in akademischer Form darbietet, ist der wissenschaftliche Anspruch durchaus zu spüren. Allein schon die ununterbrochene Be- rieselung mit historischen Fakten, Daten und Ereignissen - in ihrer Zusammenhangslosigkeit und Fülle ohne Erklärungen der Laiin ein chao- tisches Ärgernis, der Fachfrau ein langweiliges Abspulen — beweist diesen Anspruch. Nicht zu vergessen ist der Doktortitel, den sich die Für- stin damit erworben hat.

Hier soll nun endlich das wahre Bild des Orients geliefert werden, vor allem der arabi- schen Frauenwelt, brandneu und aktuell. Es er- geht einem wie mit den sieben Schleiern der is- lamischen Mystik: einen nach dem anderen ver- sucht die neugierige Leserin beiseite zu schieben und findet hinter jedem aufs Neue einen unver- ständlichen mystischen Fragenkatalog, der sich oft fast über eine ganze Seite erstreckt, und wie- der die gleichen Klischees liefert, mit denen die Fürstin endlich aufräumen wollte. Zwischen die Fakten sind die Erzählungen einer vergangenen Wunderwelt gepackt, heroisch und blutig, über- all warten nur die Paradiese auf ihre Wiederauf- erstehung, von Erzählerinnen beschworen, die einheitlich im Luxus sitzen, alle opalfunkelnde oder antrazithumflorte Augen besitzen, aus de- nen die Weisheit dieser Welt spricht. Hat sich der europäische Kleinbürger denn die orientali- sche Welt jemals anders vorgestellt?

Alle negativen Ausformungen der arabischen Welt rühren im Prinzip daher, daß man sich nicht mehr an den wahren Islam hält, wie er im

Koran niedergelegt ist. Eine Fundamentalistin also? Aber vielleicht doch nicht ganz konse- quent. In der islamischen Republik Iran wird zur Zeit Fundamentalismus praktiziert. Nach Meinung der Verfasserin steht das marxistische System nicht im Widerspruch zum muselmani- schen Geist. Chomeini, von echt muselmani- schem Geist beseelt, hält jedoch nichts von die- ser Deutung und läßt alles beseitigen, was von dieser Richtung droht. Nun, vielleicht muß das ja auch nicht unbedingt so sein, da der Islam schließlich „äußerste Anpassungsfähigkeit" be- sitzt. Die Autorin vergaß jedoch zu erwähnen, daß diese seit dem Jahre 1111 stark einge- schränkt ist, da zu dieser Zeit jegliche weitere Neuinterpretation des islamischen Rechts un- tersagt wurde. Die Sunniten, Majorität der ara- bischen Welt, halten sich daran. Darüber hinaus werden die koranischen Bestimmungen, was die Stellung der orientalischen Frau anbelangt, also das Familienrecht, allgemein unveränderbar eingehalten. Dazu gehört, daß das so gerühmte Erbe, über das die arabische Frau ganz allein verfügen darf - wenn sie eines besitzt, und in der Welt der Fürstin scheint es nur solche zu ge- ben — von vornherein dem Mann gegenüber sich günstigenfalls auf ein Drittel beläuft, Unge- horsam der Frau mit Schlägen bestraft werden soll etc., um nur auf einige kleine Auslassungen hinzuweisen, die der Verfasserin unterlaufen sind. All das ist auch koranisch und kein Aus- wuchs eines mißgeleiteten, vom Westen ruinier- ten islamischen Rechtssystems. Von sexueller Befriedigung der Frau, auf die „im Koran so sorgfältig geachtet wird", ist sogar bei den Fun- damentalisten keine Silbe zu finden.

Man könnte über all das lächeln - literarische Freiheit. Man könnte es als Satiren aus Tausen- dundeinernacht ansehen, als mystisches Tage- buch einer Suchenden, die mit den Anforderun- gen, die eine westliche Welt an die Frauen stellt, nicht zurechtkommt, oder als Abenteuerbericht einer staunenden und heidnischen Prinzessin, die einige hundert Jahre zu spät geboren ist - wären da nicht zwei gravierende Dinge:

1. D e r Koran ist in seiner geltenden Auslegung für den Alltag der arabischen Frauen lebensbestimmend - in der arabischen Welt steht nach dem Koran auf Reli- gionsabfall Todesstrafe, und keine Frau hat d a s Recht, auch nur über irgendetwas außerhalb dieses R a h m e n s zu entscheiden, innerhalb nur. soweit es ihr koranisch zugestanden ist.

2. Dieses Buch tritt all die arabischen Frauen mit Füßen, die nicht zu dieser m ä r c h e n h a f t e n , geldstrot- zenden Oberschicht g e h ö r e n , deren Freiheit m a n

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wohl mit der von Luxuskonkubinen an einem franzö- sischen Königshof des 17. Jahrhunderts vergleichen kann. Auch sie lebten dieses Leben im Überfluß „frei- willig". Jedem das Seine, auch der Fürstin ihren Orient und Harem, wie sie ihn haben möchte. Dies aber als neue und wissenschaftlich fundierte Erkennt- nis zu verkaufen ist Verdummung. Es würde sich emp- fehlen, dieses Buch ins Arabische zu übersetzen und der durchschnittlichen arabischen Frauenwelt zur Be- urteilung zu überlassen.

Nawal el Saadawi: Tsdiador — Frauen im Islam Nawal el Saadawi's Buch „Tschador" ist ganz im Gegensatz zu Alliata's „Harem" ein schonungs- loses Zeugnis der Frauenunterdrückung, die sie hauptsächlich am Beispiel Ägypten aus ihrer Beobachtung als praktizierende Ärztin dar- stellt. In meist recht trockenen kleinen Ab- schnitten, oft monoton sich wiederholend, fast wie Lehrsätze erscheinend, beschreibt sie mit medizinischer Präzision die Leidenswege der is- lamischen Frauen. Es handelt sich um Jungfrau- enkult und Vergewaltigung im Familienkreis, um alle Arten von Beschneidung der weiblichen Kinder, patriarchale Strukturen der Unterdrük- kung und ähnliches mehr. Sie hat nichts ausge- lassen, was die Aufzeigung der Praxis angeht und, ihrer Ansicht nach die theoretischen Syste- me erklärt, die dazu führen oder führen konn- ten.

Bisweilen erweisen sich aber die theoreti- schen Einwürfe, die sie in ihre eindrucksvollen Schilderungen miteinfließen läßt, als sehr irri- tierend. Eine Darstellung der reinen Fakten, Erlebnisse und Vorfälle an sich hinterließe ge- nügend Nachdenklichkeit, Aufgestörtheit, Be- troffenheit.

Prinzipiell gliedert sich das Buch in zwei Teile

— die Theorie der Hintergründe und Struktu- ren, die Saadawi für die Praxis verantwortlich macht, und die Praxis selbst, wobei sie sich aber auch in diesem Teil der erwähnten dogmati- schen Lehrsätze nicht enthalten kann. Dabei geht es um die Verteidigung des Islam, der ihrer Ansicht nach weder Haupt- noch Nebengrund für diese brutalen Praktiken und die Systeme ist, deren Ziel die Erhaltung der Frau in der Funk- tion eines gebärfähigen Besitztums ohne Willen darstellt. Vor allem bezüglich der Sexualität wird der Frau jedes menschenwürdige Dasein verwehrt, um patriarchalen und reaktionären Traditionen die Macht zu erhalten. Saadawi macht für all dies westlichen Imperialismus, wahlweise mit kapitalistischen Interessen ver-

mischt, verantwortlich. Sie läßt jedoch nichts darüber verlauten, wie die Kontinuität dieser speziellen Kategorie von Frauenunterdrückung vor dem Entstehen der angeführten westlichen Ideologien zu erklären ist, die ja erst ins 19.

Jahrhundert fallen. Selbstverständlich hat die is- lamische Religion die Unterdrückung der Frau nicht erfunden, und auch die beschriebenen Mittel hierzu sind mehr allgemein orientalisch als spezifisch islamisch. Doch hat der Islam er- heblich dazu beigetragen, diese Zustände in ei- nem System zu legitimieren, das gerade weil es religiös ist, schwer angreifbar, kaum zu be- kämpfen ist. Jedes Ausscheren aus der üblichen Praxis nämlich bedeutet hier Häresie, die auch rechtliche Konsequenzen hat, da weite Teile des säkularen Rechts, wenn vorhanden, auf dem Is- lam als Religion beruhen. Jede patriarchale Re- ligion, egal welcher Färbung, hat neben positi- ven humanen Ansätzen ein Machtstreben, das sie als liberales tolerantes Modell für die Praxis disqualifiziert: den Ausschließlichkeitsan- spruch, der die Glaubensgrundsätze zu Dogmen macht, die als die einzig wahren und unverän- derlichen gelten. Sie sind nicht hinterfragbar, und damit auch nicht die Macht.

Muhammad, der nach Saadawi's Worten z.B.

gegen die Beschneidung der weiblichen Kinder war, verzichtete aber nicht ganz darauf: „Wenn du beschneidest, so nimm nur einen kleinen Teil". Damit ist die Beschneidung Gesetz ge- worden und jeder traditionelle Moslem wird sich daran halten. Den Islam nun als beste Form der Befreiungsbewegung der islamischen Frau- enwelt — im Prinzip der internationalen Frauen- welt - zu proklamieren, wobei er oft als Syn- onym für Sozialismus erscheint, ist lächerlich.

Dies entspricht aber völlig der Geisteshaltung derer, die, gleich mit welchen Beispielen kon- frontiert, dem Westen immer wieder erklären,

„das ist nicht der richtige Islam". Saadawi selbst hat auch ihre Schwierigkeiten bei solch einer Studie geschildert, die ihr eben von jenen herr- schenden islamischen Kreisen bereitet wurden, die in ihrem Sinne nicht den „wahren" Islam vertreten.

Die zitierten Vergleiche mit den Praktiken der westlichen Gesellschaft, besonders des Christentums, die sie immer wieder anführt, um den Islam zu entlasten, sind durchaus zulässig und interessant, weil uns hier das Bild vermittelt wird, das die islamische Welt in der Regel vom Abendland hat und ihm vorhält. Gerade diese Vergleiche zeigen aber, daß patriarchal-religiö- se Systeme als Instrument der Frauenbefreiung

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hier wie dort untauglich sind. Erst mit der all- mählichen Entmachtung des Christentums im Zuge der französischen Revolution konnte sich die Stellung der Frau in der europäischen Ge- sellschaft bessern. Vergleiche der heutigen Si- tuationsmuster bezüglich der Frau im Islam mit denen des Christentums leiden so an dem De- fekt, daß hier immer mit einem Zeitunterschied von fast 200 Jahren verglichen wird. Genauso hinken auch die Vergleiche mit einer islami- schen Welt im 10. oder 11. Jahrhundert, die den finsteren Zuständen im damaligen Europa weit voraus war, wenn sie als Beweis für Progressivi- tät eines heutigen Islams angeführt werden sol- len, wie Saadawi das tut. Die islamischen Ge- sellschaften haben sich rückläufig entwickelt, noch vor dem Auftreten von Imperialismus und Kapitalismus. Man kann sich nicht auf eine überlegene Vergangenheit berufen, die vor fast 2000 Jahren stattgefunden hat, um damit die

„eigentliche" Liberalität und Toleranz des Is- lams heute zu beweisen, oder seine immanente Fähigkeit dazu.

Saadawi's Werk ist nicht angenehm zu lesen, weder vom Inhalt noch von Form und Stil her.

Es ist jedoch wert, gründlich gelesen zu werden.

Die mutige Anklage, die hier belegt wird mit zahlreichen erschütternden Beispielen, bleibt dennoch nüchtern genug, um vielen Aspekten der Thematik gerecht zu werden. Daß für die derzeit eingebürgerte „falsche" Interpretation des Islams, sowie für die erstarkenden rigorosen fundamentalistischen Bewegungen im Islam, die westliche Welt verantwortlich gemacht wird, mag vielleicht daher rühren, daß die Verfasserin trotz allem persönlichen Einsatz und Mut im Druck dieser Verhältnisse steht. Anders wäre diese Studie vielleicht nicht zustandegekom- men. Ihr Beitrag sollte zur ernsthaften Diskus- sion gestellt, ihre erlebte Praxis in die Theorie miteinbezogen werden. Als Pflichtlektüre in is- lamischen Schulen ließe sich der praktische Teil sicher äußerst sinnvoll anwenden.

Kate Millen: Im Iran

Das Buch beginnt in Amerika in hektischer Atemlosigkeit, die gleichzeitig mit Naivität ge- mischt ist, und endet mit einem Flug nach Paris, gleichermaßen atemlos, aber nun bar jeglicher Naivität.

Daten, Plätze, Personen, Ereignisse werden zu Anfang sprunghaft aneinandergereiht in zu- sammenhangsloser Fülle. Die Vehemenz, mit

der die Leserinnen in diese engagierte Welt ge- worfen werden, macht es zunächst schwer, so- wohl der Persönlichkeit der Autorin als auch den übrigen Aktivisten und Ereignissen zu fol- gen. Dies jedoch stellt sich nur als Vorspiel her- aus, trägt rückblickend dann durchaus in seiner Gegensätzlichkeit zum besseren Verständnis der folgenden Situationen bei. Kate Millet reist in der Rolle der Feministin in den Iran, wenn auch inoffiziell. Ihre Sprachunkenntnis sowie sonstige Unkenntnis der orientalischen Welt an sich, die sich zuerst als hinderlich darstellen, er- weisen sich langsam als positiv. Erzählrhythmus und Stil beruhigen sich angesichts der verzerrten unsicheren orientalischen Zeit, die sie am eige- nen Leibe erfährt. Sie wird auf die Rolle der Zu- schauerin beschränkt, die sie aber gerade in der Erkenntnis ihrer Unkenntnis und in ihrer willi- gen Aufnahmebereitschaft akzeptiert. Dies drückt sich auch immer mehr in der Darstellung der Ereignisse aus, im Abgehen von Theorien, vorgegebenen europäischen Denkschemata, Dogmen und willkürlichen Politisierungen. Sie urteilt nicht mehr, sondern gibt nur wieder, was sich abspielt, für was gekämpft wird, versucht, das getreue Übermittlungsinstrument dieser persischen Frauen zu sein, denen das Buch gilt.

Sie begreift, daß sie nur unter Zurückstellung ihres eigenen Rahmens verstehen lernen kann, sei es hinsichtlich der iranischen Frauenbewe- gung oder der iranischen Gesellschaft allge- mein. Es ist noch nicht ganz abzusehen zu dieser Zeit, was aus dieser Revolution wird, alles be- findet sich in Bewegung, noch ist vieles offen.

Die Autorin beschreibt die Hoffnungen und Möglichkeiten der verschiedenen Gruppierun- gen, besonders die der Frauen von deren Warte aus, und sie hofft mit ihnen.

Ein paar Monate, sogar schon ein paar Wo- chen später, war alles vorbei. Der spektakuläre Aufstand der Frauen, den die westliche Welt kaum zur Kenntnis nahm, war untergegangen in Angst und Demütigungen, im Regime einer ko- ranischen Mullah-Diktatur. Damit war nicht nur das feministische Anliegen nach Gleichbe- rechtigung vom Tisch gefegt worden, sondern auch die Chance für Demokratie, liberale Ver- fassung und Freiheit, die sich zum ersten Mal in der Geschichte des Iran wahrhaft geboten hätte.

Kate Millet hat diese Einmaligkeit erkannt. An sich war der Kampf der persischen Frauen für Gleichberechtigung schon einzigartig genug, aber er war noch mehr - Frauen als Vorkämpfe- rinnen der Freiheit für ein ganzes Land, für die Demokratie und Verfassung. Wie zahlreich, wie

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groß dieser Widerstand nun tatsächlich war, ist schwer zu schätzen.

Die Autorin enthält sich der Fehler der typi- schen Berichterstattung der westlichen Medien über diese Gegenden der Welt, die mit fertigen Urteilen und Aufträgen nur noch die Kriegs- schauplätze und politischen Konsequenzen aus- beuten. Die Art, wie diese Berichterstattung zu- stande kommt, in ihrer ganzen nachlässigen Ar- roganz und Ignoranz, wird nachvollziehbar be- schrieben. Die Verfasserin drückt auch den Kämpfen nicht ihren Stempel auf, sucht nicht nach Sensationen, sondern versucht, dem zu fol- gen, was die persischen Frauen, fast zum ersten Mal in der Geschichte des Islam überhaupt, hier aus sich heraus schaffen, zwischen westlicher Li- beralität und Traditionsliebe balancierend. Die- se Frauen zeigten, daß die vielzitierte Synthese zwischen West und Ost auf kreativer Basis mög- lich wäre.

Fast keiner kam ihnen zu Hilfe, in den Me- dien wurde kaum etwas darüber bekannt oder auf Rangeleien über den Tschador, den Schlei- er, reduziert.

Umso mehr ist dieses Buch ein unschätzbares Dokument. Die sehr persönliche Erzählweise, die den Bericht mit subjektiven Emotionen ver- sieht, ist der Objektivität eher förderlich, da sie der europäischen Leserin eine Brücke schlägt zu Vorgängen, die ihr sonst weder geläufig noch verständlich wären. Da diese Darstellungsweise nicht vorgibt, einen Anspruch auf endgültige Wertungen und Urteile zu besitzen, und die Subjektivität der Empfindungen der Autorin einsichtig und durchsichtig ist, kann sich die Le- serin ihr Urteil noch selbst bilden. Auch durch ihre unbedingte persönliche Ehrlichkeit läßt sie ein glaubhaftes Bild entstehen.

Es ist eines der tragischsten Dokumente einer gescheiterten Revolution in jeder Hinsicht.

Auch der Feminismus zeigt sich hier in einer Form, die bar jeder Dogmen und Feindseligkei- ten, die viele dieser Bewegung immer wieder vorwerfen, sich als Frauensolidarität und Frei- heitsverständnis präsentiert. Auch darin besteht nämlich die Einzigartigkeit dieser Frauenbewe- gung, die sich in kein Schema, weder männlich bestimmt noch politisch ausbeutbar, drängen lassen wollte.

Dieses Buch ist auch eine Anklage, daß gera- de die iranischen Frauen allein gelassen, in eine diffuse feministische Bewegung abgedrängt wurden, vom weiteren Anliegen nach Grund- rechten und Freiheit, von einer echten Fortset- zung der Revolution abgetrennt wurden. Die

Anklage wird allein durch die wahrheitsgetreu- en Schilderungen dargestellt, in denen die inter- nationale Presse und ihre Methoden eine wichti- ge Stellung einnehmen. Auch bezieht die Auto- rin die Männer mit ein, die nach Persien zurück- gingen, mit der Hoffnung, eine Demokratie auf- bauen zu können, während ein großer Teil der iranischen Intellektuellen und Studenten es vor- zog, im Ausland entweder dem Schah nachzu- trauern oder ohne Kenntnis der Situation für Chomeini zu randalieren und zu radikalisieren.

Sie wurden genauso alleine gelassen. Daneben klingt auch der Aufruf an, diese Frauen zu un- terstützen, sie nicht mit den Argumenten der Männer oder wegen billiger politischer und di- plomatischer Vorteile zu verraten, wie es dann doch geschah.

Die Autorin erlebte den beginnenden Sieg ei- ner totalitären Männergesellschaft. Das benützt sie jedoch weder zu Verallgemeinerungen noch zu Pauschalurteilen oder gar Haßausbrüchen.

Sie, die sich zuletzt in der typischen Situation ei- nes Opfers von Macht- und Männerwillkür be- findet, sucht all dem mit Pazifismus zu begeg- nen, obwohl Haß verständlich wäre. Die „mili- tante Feministin" ruft hier auch die Männer zu gemeinsamer Verwirklichung von Frieden und Freiheit auf. In diesem Sinne ist das Buch ein wahres Zeugnis über die Beweggründe und Zie- le der Frauenbewegungen, spezifisch und allge- mein. Kate Millet entkam, mit dem klaren Be- wußtsein und der Erfahrung, was dieses Ent- kommen bedeutet.

Alle die, die sie zurückließ, sind verstummt.

Die Frage ist, ob sie je einer wirklich wahrge- nommen hat. Vielleicht erreicht das Buch zu- mindest das, auch wenn es im Moment zu spät erscheint. Sowohl die persischen Frauen als auch die Autorin hätten diese Aufmerksamkeit verdient.

Hanne Mede-Flock: Im Schatten der Mondsi- chel

Eine junge deutsche Frau reist alleine in die Türkei und lernt Menschen kennen, die nach ganz anderen Regeln leben, als sie es gewohnt ist; die schweigsam mit Gebärden und Berüh- rungen mehr ausdrücken als mit Worten, in my- stischer Verklärung, in Vorahnungen, in Freude und Trauer. Sie ist fasziniert. Hanne Mede- Flock hat hier versucht, ihre eigene Faszination in einem blumigen, Landschaft, Menschen und Stimmungen vereinenden Erzählstil zu be-

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schreiben, der seine Tradition in der Erzählwei- se türkischer oder kurdischer Märchen hat.

Doch wer solche etwa aus der Feder Elsa von Kamphoeveners kennt (z.B. „Liebeslist - Drei alttürkische Märchen bei Rowohlt, Reinbek 1976,118 S., DM 9,80), muß sich etwas an diese manchmal an eine schriftstellerische Gratwan- derung grenzende Imitation gewöhnen.

Dennoch sollte dieses Buch gelesen werden, weil es mit einer für einen Roman seltenen Ak- tualität die politischen Verhältnisse in der Tür- kei beschreibt - und dabei nicht die Frauen ver- gißt. Obwohl das Erscheinen in einem Frauen- verlag es eigentlich nahelegen würde, sind Frau- en nicht sozusagen die Heldinnen des Romans

— sie beschreibt mindestens ebensoviele Män- nerschicksale —, aber dies ist wohl auch ein Spiegelbild der politischen Katastrophe und der Grausamkeit, die in der Türkei unter dem Mili- tärregime herrschen und die sich in den Vorder- grund des Erlebens drängen müssen.

Sehr genau hat sich die Autorin bei ihren Tür- keiaufenthalten wohl mit dem Gerichts- und Mi- litärgerichtswesen befaßt, denn wenn sie die Verhaftungen, Folterungen und Verurteilungen beschreibt, die trotz ihrer rechtsstaatlichen Un- haltbarkeit noch mit juristischer Spitzfindigkeit durchgeführt werden, schreibt sie sehr detail- liert und überzeugend. Dabei sind es Brutalitä- ten wie aus einem Horrorroman, die zu glauben einem schwerfiele, wenn nicht auch Informatio- nen aus anderen Medien darauf Hinweise gege- ben hätten.

Inmitten dieser politischen Katastrophe spie- len sich die Schicksale vieler Familien und vieler Frauen ab, die sich im Laufe der politischen Es- kalation zum Teil vom Lande kommend in der Stadt treffen, sich gegenseitig unterstützen und beschützen. Politische Arbeit ist vor allem Män- nersache, zumindest nach außen, tatsächlich treffen aber viele lebensrettende Entscheidun- gen die Frauen, sie haben die Ideen, wie gehol- fen werden kann, und regeln gleichzeitig den Lebensunterhalt unter schwierigsten Bedingun- gen. Sie haben neben dem politischen Kampf auch noch gegen die Autorität und Macht ihrer Männer zu kämpfen, aber auch gegen deren De- pression.

Der Kreis der Frauen schart sich im Lauf der Erzählung um eine ältere, feministische und les- bische Ärztin, die mit fast unvorstellbarer Ruhe und Kraft ihr eigenes Leben, ihren Beruf und die Nöte der anderen Frauen bewältigt. Sie ist es auch, die der jungen Deutschen das Land und seine Frauen zu erklären versucht, die die Frau-

en zusammenhält, um das Anliegen der Frauen- bewegung in der Türkei im politischen Wider- stand nicht untergehen zu lassen.

Vielleicht hat Hanne Mede-Flock in diesen Roman zu viele Schicksale von Männern und Frauen hineingepackt, so manche Wendungen erscheinen zu abrupt, plötzliche Stärken und Schwächen einzelner Frauen sind nicht mehr nachvollziehbar, es fehlen Aspekte oder Ereig- nisse, Entwicklungen ihrer Gefühle und ihrer äußeren Bedingungen. Auch die Ärztin, die zu- letzt aus ihrer guten Position an der städtischen Klinik wieder zurück auf das unterversorgte Land geht, ist so edel, von keinem Fehler oder Selbstzweifel getrübt, daß ihre Beschreibung zuletzt doch oberflächlich wirkt. Auch wird über ihre emotionelle und erotische Beziehung zu den Frauen wenig gesagt, nichts darüber, welche Bedeutung diese und ihr feministisches und politisches Engagement für ihren Beruf und ihre öffentliche Autorität in einem gewiß nicht zimperlichen Militärregime hat.

Ein wenig, vielleicht auch zu sehr am Rande, wird noch das Verhältnis der türkischen zu den deutschen Frauen beleuchtet, einiges erzählt und schreibt ein türkisches Gastarbeitermäd- chen, das zwischen der Türkei und Berlin pen- delt, an ihre deutsche Freundin. Es ist nachden- kenswert.

Aysel Özakin: Die Preisvergabe — Ein Frauen- roman

Aysel Özakin ist eine türkische Schriftstellerin und lebt heute in Berlin. Die Preisvergabe ist der erste ihrer Romane, der ins Deutsche übersetzt wurde, und enthält wohl viel Autobiografisches:

die „Heldin" schreibt, und erhält für ihr Erst- lingswerk den Preis des Schriftstellerverbandes, eine Ehrung, von der sie die Anerkennung als Schriftstellerin, die Anerkennung als eine selb- ständige, von den Männern unabhängige Frau, die Anerkennung ihrer Tochter, mehr Selbstbe- wußtsein erhoffte. Ihre Erlebnisse und Gefühle während der drei Tage, in denen sie zur Preis- vergabe fährt, dort von der etablierten, reichen und hohlköpfigen Kulturwelt befremdet und ab- gestoßen ist, das Erlebnis von Polizei, Militär und aufkommender politischer Gewalt in Anka- ra - der Roman endet im Dezember 1979 - ver- ändern sie.

Sie hatte ihren Roman geschrieben, um sich ihrer Situation bewußter zu werden, um dahin- ter zu kommen, warum ihr Leben so aussah: ei-

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ne Mittelschichtsfrau mit Schulbildung, früh ge- heiratet, eine Tochter großgezogen, immer ein- samer in ihrer Wohnung, trennt sie sich von ih- rem Mann ohne besonderen Grund, um dieser Einsamkeit zu entgehen, arbeitet als Sekretärin und kommt aus der Einsamkeit nicht heraus, kann sich noch weniger frei bewegen als vorher.

Dieser Roman der „Heldin" wird wie ein Spiegel im Spiegel in die Szenen der drei Tage der Preisvergabe eingeblendet, manchmal scheint Aysel Özakin mit Nuray, der Schriftstel- lerin und deren Romanheldin identisch zu sein, dann wieder sind es viele Frauenschicksale, die sich in diesem doppelten Spiegel selbst und ge- genseitig reflektieren. Der Rückblick auf die Mutter, die alle Kraft darauf verwandt hatte, Lehrerin zu sein und eine Familie zu haben und daran zerbrach, wie das Verhältnis Nuray's zu ihrer Tochter, der Studentin, die westlich-sozia- listisch die Sorgen bürgerlicher Frauen wie ihrer Mutter nicht mehr ernst nehmen will, geben die- sen Reflektionen eine historische Dimension, aus der die Macht der gesellschaftlichen Um- stände über die persönlichen Lebenswege der Frauen deutlich wird.

Die Preisvergabe ist ein sehr gerader Frauen- roman in jeder Hinsicht: Die einfache klare Sprache mit sensiblen und genauen Beobach- tungen, einer offenen und schonungslosen Be- schreibung von Gefühlen und Widersprüchen, jeder Mensch, jeder Vorgang wird ernst genom- men und in der Widerspiegelung der Gedanken, Gefühle und Gespräche von Nuray erzählt. Er ist auch sehr klar in der Position, berichtet aus der Sicht einer betroffenen Frau, die bereit ist, über alles nachzudenken, sich zu fühlen, mitzu- fühlen, zu handeln und doch in vielen Zwängen steckt. Er berichtet aus einem bürgerlich-aufge- klärten Milieu, keineswegs borniert oder tradi- tionell, das dennoch den gesellschaftlichen Zwängen, den traditionell-islamischen und pa- triarchalen Normen und faschistisch-politischer Macht unterworfen ist. In der Beobachtung werden dabei andere, nicht-bürgerliche Lebens- bedingungen in der Türkei wohl mit einbezo- gen, aber der Roman gibt nicht vor, sie seien sein Thema. Erzählt wird die Geschichte dieser bürgerlichen Frau und ihrer Lebensumstände, und auch dies ist ein wichtiges Stück Türkei. Ge- rade hier wird so offenkundig, wie schwer es ist für Frauen, aus einer traditionell-islamischen Gesellschaft auszubrechen und neue Wege zu finden.

Barbara Linner Alice Münscher

Fabricius-Brand Margarete, Sudhölter Kristine, Berghahn Sabine: Joristinneii. Berichte, Fak- ten, Interviews. Berlin: Elefanten Press 1982, 248 S., DM 24,80

Die gesellschaftliche Existenz der Frau ist in ih- rer Vielzahl von Rollen und Lebensbezügen rechtlich geregelt. Als Berufstätige, Mutter und Ehefrau, aber auch als Staatsbürgerin, Renten- anwärterin, Versorgungsempfängerin und Un- terhaltsberechtigte sind Frauen von gesetzli- chen Bestimmungen betroffen und entspre- chenden Sanktionen unterworfen. Einige wer- den dabei zu Opfern der Justiz. Von Gesetz und Recht traditionell Benachteiligte sind sie be- kanntermaßen allemal. Zögerlich im Gebrauch erkämpften Rechts verhalten Frauen sich bis heute.

1971 standen 22.100 Richtern in der Bundes- republik 1.700 Richterinnen gegenüber. Zwi- schen 1965 - damals waren es 500 - und 1981 hat sich ihre Zahl immerhin verfünffacht. Wach- sende Frauenanteile verzeichnet in der Haupt- sache die Familiengerichtsbarkeit. Dort gibt es Richterstellen, in denen sich selbst Männer eine Frau vorstellen können und Kompetenzni- schen, die sie ihnen freiwillig überlassen. Ziele weiblicher Sozialisation und juristische Berufs- anforderungen sind hier noch am ehesten ver- einbar.

Nur eine Minderheit ist an der Ausgestaltung und Fortbildung von Recht beteiligt, beschließt Gesetze mit, legt Paragraphen aus und berät in Rechtsfragen. Allenfalls als Ausnahme gelingt es Frauen, in diesem Metier zu reüssieren, brin- gen sie es bis zur Justizministerin, Bundestags- abgeordneten oder Universitätsprofessorin. Ein paar von ihnen erfüllen Pionier- oder auch Ali- bifunktion, etwa als Syndica in der freien Wirt- schaft. Einige haben über Frauenbewegung und Politik Rechtsgeschichte gemacht.

„Das Recht ist männlich", und „Frauen den- ken zu viel an die Gerechtigkeit. Das klappt nicht". Wie gehen Juristinnen mit diesen und ähnlichen Vorurteilen um? Wie behaupten sich die „Töchter der Justitia" in einem von männli- chen Denk- und Verhaltensweisen geprägten Berufsfeld und dessen Karrierezwängen? Wie setzen sie sich Vorgesetzten, Kollegen und Klienten gegenüber durch, und wie schaffen sie es, Beruf und Familienleben miteinander zu verbinden?

Als Berufsanfängerin mit derartigen Fragen damals unmittelbar konfrontiert, startete Mar- garete Fabricius-Brand, heute Anwältin und auf

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Strafverteidigung und Familienrecht speziali- siert, eine Initiative und rief ihre Berufskolle- ginnen dazu auf, ihre Erlebnisse im Studium, bei der Stellensuche, bei der Organisation von Arbeitsalltag und Familienpflichten niederzu- schreiben und in einer Art Schreibzirkel unter- einander auszutauschen. Ein erstes (Zwi- schenergebnis dieses 1979 in der „Kritischen Justiz" veröffentlichten Schreibaufrufs liegt jetzt als Buch vor.

In ihm geben rund 50 prominente und unbe- kannte Vertreterinnen der Juristenzunft sozusa- gen von der anderen Seite der Gerichtsschran- ken und Justizpaläste Auskunft über Leben und Arbeit in einem für Frauen untypischen Beruf.

Vom Standpunkt der Jurastudentin, der frei praktizierenden Anwältin, der Umsteigerin — die der Juristerei den Rücken gekehrt und in- zwischen einen anderen Beruf ergriffen hat - sowie der im Ruhestand lebenden Rechtspoliti- kerin, schildern Frauen, was es für sie ganz per- sönlich heißt, Juristin zu sein, welche Ansprü- che und Erwartungen sie in den verschiedenen Phasen ihrer Berufstätigkeit mit ihrer Tätigkeit verbinden und wo sie als Frau in einer seit jeher von Männern dominierten Profession in Wirt- schaft, Wissenschaft und Justiz auf Schwierig- keiten und Vorbehalte stießen und spezifische Benachteiligungen erfuhren.

„Fleißig, pünktlich, redlich", „Jetzt kämpfst Du . . . " und „Mal sehen, was die verträgt". Oh- ne Anspruch auf Allgemeingültigkeit, Systema- tik und wissenschaftlich gesicherte Objektivität fügen sich die so und ähnlich überschriebenen Erfahrungsberichte mosaikartig zu einem viel- schichtigen und in vieler Hinsicht aufschlußrei- chen Bild von Frauenleben und Frauenarbeit in einem Männerberuf. Die z.T. feuilletonistisch geschriebenen, insgesamt recht verschiedenarti- gen Beiträge konkurrieren nicht mit einer stati- stisch untermauerten Bestandsaufnahme zur beruflichen und sozialen Situation von Juristin- nen in der Bundesrepublik und in West-Berlin, die es - nebenbei bemerkt - nicht gibt. Dafür gewähren sie exemplarische Einblicke in die Denk- und Verhaltensweisen von Richterinnen und Staatsanwältinnen und vermitteln gerade in ihrer Subjektivität und Ausschnitthaftigkeit il- lustrative und bezeichnende Eindrücke von An- schauungen, Lebenshaltungen, beruflichen Per- spektiven und konkreter juristischer Alltagspra- xis und auch der in den sogenannten privilegier- ten und anspruchsvollen Berufen regelmäßig anzutreffenden „kleinen Unterschiede", etwa bei der Einstellung und Rekrutierung.

Da hören Juristinnen, die sich — in Zeiten ei- nes allgemeinen Überangebots an Juristen — ans Arbeitsamt wenden, vom zuständigen Sach- bearbeiter, sie sollten froh sein, wenn ihr Mann eine Stelle bekomme. Sie selbst erhalten Ange- bote, als freie Mitarbeiterin gegen schlechte Be- zahlung und unter entsprechend ungünstigeren Arbeitsbedingungen in eine Anwaltskanzlei einzutreten, und das auch nur, weil es sich

„heutzutage gegenüber Richtern und Mandan- tinnen besser mache, wenn die Scheidung von einer Frau gemacht werde" (Margarete Fabri- cius-Brand). Eine andere Juristin (Ursula Hage- meier) wird beim Einstellungsgespräch vom Hauptgeschäftsführer einer Berufsgenossen- schaft gefragt, warum sie denn überhaupt arbei- ten wolle, etwa „um es ihrem Mann zu bewei- sen?". Da nach Meinung dieses Geschäftsfüh- rers Frauen „doch an sich nicht logisch denken"

könnten, ist klar, daß ein männlicher Mitbewer- ber die Stelle bekam. Ablehnungsbescheide, die damit begründet werden, „in den Zuschnitt der Kanzlei passe keine Frau", sind keineswegs ein- malig. Auch auf eine Doppel- und Mehrfachbe- lastung wird kaum Rücksicht genommen. Einer Referendarin legte das Justizprüfungsamt bei- spielsweise nahe, wegen des ausstehenden As- sessor-Examens auf den gesetzlichen Mutter- schutz zu verzichten (Christine Knebel-Pfuhl), und selbst Juristinnen, die für sich zunächst kei- ne ausgesprochen geschlechtsspezifischen Be- nachteiligungen konstatieren, geben gewisse Einschränkungen zumindest während der Kleinkinderzeit zu (Jutta Limbach, Juraprofes- sorin und Mutter von drei Kindern) oder erklä- ren, wie Heide Pfarr, ganz offen: „Wenn ich ernstlich ein Kind gewollt hätte, das wäre nicht gegangen. Entweder hätte ich die Hochschull- aufbahn an den Nagel hängen müssen, oder ich wäre an den Rand gedrängt worden."

Zusammen mit anderen vermeintlichen Ein- zelfällen verlieren diese Vorkommnisse und Be- richte den Charakter scheinbar zufälliger und rein privater Begebenheiten und Einschätzun- gen. Mißerfolge einzelner erscheinen nicht mehr als individuelles Versagen oder persönli- ches und fachliches Ungenügen, sondern wer- den als Erscheinungsformen offener und ver- deckter Diskriminierung offenbar und sind sym- ptomatisch für die auch im juristischen Bereich tagtäglich stattfindende und beinahe selbstver- ständliche Benachteiligung von Frauen.

Gleichwohl: Die zumindest mit einem Teil der juristischen Berufe regelmäßig verknüpften Vorteile und Privilegien sind nicht zu überse-

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hen: In welchem anderen Beruf — so ist ange- sichts der vorliegenden Berichte zu fragen - ist die tatsächliche oder versteckte Arbeitslosigkeit so gering und die Bedingungen für eine Ver- knüpfung von Beruf und Familienleben ähnlich günstig? Wo sonst können Frauen so viel verdie- nen, daß sie trotz Kind(em) voll berufstätig blei- ben und sich vom selbst verdienten Geld eine Tagesmutter leisten können, ohne daß unter dem Strich nicht viel mehr als ein Taschengeld übrig bliebe? In welchem anderen ähnlich an- spruchsvollen Beruf gibt es eine der „Drittel- tags-Anwältin" entsprechende familienfreund- liche Arbeitszeit, wo - wie bei der verbeamte- ten Richterin - die Möglichkeit, sich beurlau- ben zu lassen und dann wieder in die alte Posi- tion einzusteigen? Wo können Frauen, von Leh- rerinnen und von einigen wenigen freien Beru- fen abgesehen, z.B. als Anwältin so unabhängig von männlichen Vorgesetzten arbeiten und un- ter Umständen sogar Karriere machen? So wun- dert es wenig, wenn Wut oder gar kämpferischer Widerstand unter diesen alles in allem privile- gierten und etablierten Frauen nicht aufkommt und sie bis auf die Um- und Aussteigerinnen kei- ne dezidiert feministischen Einstellungen äu- ßern. Stattdessen werden konservativ-konfor- mistische Grundhaltungen reproduziert und vielfach affirmative Standpunkte vertreten, die den Wunsch nach Veränderung in bescheidenen Grenzen halten und männlich-juristische Ver- haltensweisen und traditionelle Rollenbilder unkritisch und unreflektiert übernehmen.

Vor dem Hintergrund von Nationalsozialis- mus, Judenverfolgung, eigener Inhaftierung — wie im Fall der ersten weiblichen Schwurge- richtsvorsitzenden Marion Gräfin Yorck von Wartenburg, Witwe eines im Dritten Reich er- mordeten Widerstandskämpfers — und heuti- gen Mißständen in der Juristenausbildung sowie Berufsverboten repräsentieren die Berufs- und Lebensschicksale der einzelnen Frauen auch ein Stück Berufs- und Zeitgeschichte. Mögliche und verhinderte Lebens- und Berufswege werden in ihrer Abhängigkeit von generationstypischen Einflüssen erkennbar und verdichten sich zu ei- ner (noch zu schreibenden) Soziobiographie der Juristin, für die der Sammelband eine Fülle von Ansatzpunkten und Anregungen liefert: Nicht nur die Fotos, die den Beiträgen vorangestellt sind und die Autorinnen berufsständisch-kon- ventionell in der Richterrobe oder — die vorwie- gend jüngeren — im Gruppenbild in uniformen Palästinensertüchern solidarisch zeigen, geben Veränderungen in der Berufsauffassung wieder

und dokumentieren ein über die Generationen hinweg gewandeltes Selbstverständnis als Frau und als Juristin.

Juristinnen, vornehmlich Vertreterinnen der

„neuen Frauengeneration", berichten von ih- rem advokatorischen Engagement für die Ihter- essen der Frau und den Aktivitäten, ihre Stel- lung im Recht zu verbessern. 1978 verfaßte bei- spielsweise eine Gruppe von jungen Anwältin- nen und Referendarinnen einen Scheidungsrat- geber für Frauen — und handelte sich nach In- krafttreten des neuen Ehe- und Familienrechts prompt ein von der Hanseatischen Rechtsan- waltskammer angestrengtes Ehrengerichtsver- fahren ihrer Berufskollegen wegen Parteienbe- günstigung ein. Eine Anwältin überwarf sich mit ihren „linken" Anwaltskollegen in der Frage der Verteidigung von Vergewaltigern und suchte sich daraufhin eine Tätigkeit, wo sie ihr „bislang geschmähtes feministisches Engagement besser einbringen konnte". Eine andere Juristin ver- hilft seit etwa fünf Jahren in ihrem „Eine-Frau- Rechtsanwältin-Büro" Frauen zu ihrem Recht.

Vor 30 Jahren hatte Elisabeth Seibert als Mit- glied des Parlamentarischen Rates die verfas- sungsrechtliche Verankerung der Gleichberech- tigung von Mann und Frau gegen zahlreiche Wi- derstände durchgesetzt. Für den Grundsatz

„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" kämpft die als eine der vier „Mütter des Grundgesetzes"

bekannt gewordene, inzwischen 85-Jährige noch heute.

Ähnlich wie Erika Runges 1975 erschienene Frauen-Biographien will der Report mit nicht- direktiven Interviews und narrativen Selbst- zeugnissen nicht nur eine bislang bestehende In- formationslücke über Juristinnen schließen. Er will Nach-Denkprozesse in Gang setzen, für ge- meinsame gesellschaftlich verursachte Problem- lagen sensibilisieren und, indem er ihre Entste- hung und Bewältigung entprivatisiert, ein Stück Solidarität unter Frauen schaffen, die außer dem Frau-Sein auch den Beruf gemeinsam ha- ben. Mit diesem Anliegen geht das Buch über das reine Protokollieren und Darstellen hinaus.

Es ist auch ein Appell zu verändernder Aktivi- tät - gerade da, wo Konventionalität und (Schein-)Normalität überwiegen und innovato- rische und emanzipatorische Bestrebungen al- lenfalls in Ansätzen und indirekt zum Ausdruck gebracht werden.

Daß Ergebnisse allein schon mit dem Hinweis auf fehlende Repräsentativität zu Fall gebracht werden können und Aussagen ihre Gültigkeit verlieren, wenn sie nicht mit dem herkömmli-

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chen Methodeninstrumentarium von standardi- sierten Interviews und quantifizierenden Erhe- bungstechniken gewonnen wurden, können im Ernst heute nur noch Nicht-Soziologen behaup- ten. Mit der wachsenden Integration von per- sönlicher Subjektivität und engagierter Partei- lichkeit in wissenschaftlich anerkanntes Arbei- ten werden beim heutigen Stand der Methoden- diskussion die Grenzen zwischen „exakter Wis- senschaft" und sorgfältig recherchierendem Journalismus immer fließender. Das hier ge- wählte Vorgehen setzt sich auch innerhalb der

„seriösen" Sozialwissenschaften immer mehr durch. Dennoch haben die Herausgeberinnen — alle drei sind gelernte Juristinnen — m.E. einige der Möglichkeiten verschenkt, die sich ange- sichts von Selbstbetroffenheit und vorhandenen Milieuzugängen für eine unkonventionelle und authentische Juristinnen-Studie geboten hätten.

Insgesamt unterschätzt hat das Herausgebe- rinnenkollektiv wohl den Aufwand, den eine solche Untersuchung erfordert. Ideen- und Ma- terialreichtum führen so streckenweise zu Über- frachtung und Redundanz. Der dahinterstehen- de Arbeitsaufwand vermag den Eindruck der Unfertigkeit und Flüchtigkeit nicht zu zerstreu- en und verleiht der Buchveröffentlichung mehr Werkstatt- und Experimentiercharakter als ei- nem solchen Vorhaben zuträglich sein kann.

Nun, man darf von einem solchen ersten Schritt nicht gleich alles erwarten, und die In- itiative soll ja noch weitergehen.

Trotz mancher Schwächen ist dem Buch zu wünschen, daß es über den Kreis der der Frau- enbewegung nahestehenden Insider/innen hin- aus Verbreitung findet, der Bewegung noch fern stehende Juristinnen hinter Aktenbergen und Schreibtischen hervorholt und möglicherweise auch Frauen in anderen Berufen ermutigt, mit ihren Erfahrungen in ähnlicher Weise an die Öf- fentlichkeit zu gehen und über das bloße Auf- schreiben hinaus etwas auf den Weg zu bringen.

Berufssoziologen/innen und der Frauenfor- schung bietet es Stoff für weiterführende For- schungsarbeiten, speziell zum Thema „Frau und Beruf", und stellt das Material für systemati- schere und tiefergehende Auswertungen bereit.

Doris Lücke

Charlotte Wolff: AagenbKcfce veröden u s

•ehr ab die Zeit. Eine Autobiographie. Wein- heim und Basel, Beltz-Verlag 1982,319 S., DM 28,-

Autobiographien nehmen eine literarische Son- derstellung ein: sie konfrontieren die Rezensen- tin - wie jede Leserin - mit gelebter Realität, an der sie während ihrer Lektüre Anteil nimmt, mit der sie sich identifiziert, aber auch kritisch auseinandersetzt. So auch bei dem von Charlot- te Wolff in Großbritannien unter dem Titel

„Hindsight" erschienenen Lebensbericht, der jetzt (von Michaela Huber einfühlsam übersetzt und geringfügig gekürzt) in der Bundesrepublik erschienen ist.

Charlotte Wolff hat ihr Leben lang Etikettie- rungen abgelehnt, und es ist in der Tat unmög- lich, sie mit solchen belegen zu wollen. Das liegt zum einen an ihrem reichen und vielgestaltigen Leben: sie studierte Medizin, wobei sie sich ne- benher ernsthaft mit Poesie, Kunst und Philoso- phie befaßte. Sie machte sich als Chirologin ei- nen Namen, danach als Sexualwissenschaftle- rin, wobei sie jeweils Pionierarbeiten vorlegte.

Später veröffentlichte sie einen Roman. Sie hat- te Kontakt zu berühmten Zeitgenossen: die Na- men Aldous Huxley, Virginia Woolf, Walter Benjamin und Else Lasker-Schüler mögen stell- vertretend für andere stehen. Dies alles ist für sich gesehen schon viel. Den eigentlichen Reiz dieser Autobiographie macht jedoch die Inten- sität eines in vollen Zügen erlebten und gelebten Lebens aus. In einer eindringlichen und klaren Sprache wird ein Panorama entfaltet, das sieben Jahrzehnte eines Lebens in seinen Höhen und Tiefen, in den eigenen Stärken und Schwächen umfaßt. Intuition, Empathie und Erfahrung vereinigen sich in einem Bericht, der alle dieje- nigen berühren wird, die nicht nur lesen, son- dern bereit sind, das Gelesene in sich aufzuneh- men.

Charlotte Wolff vermeidet die geradlinige Aussage. Dies geschieht nicht aus Koketterie, sondern weil sie die vielschichtige Realität ak- zeptiert und Kategorisierungen mißtraut. Wir erfahren niemals eindeutig, ob sie sich als Les- bierin oder als Bisexuelle empfindet. Als kreati- ver Mensch lebt sie außerdem im Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft. Legitimiert hat sie sich als Wissenschaftlerin allemal: ihre Forschung brachte ihr einen Namen in der Fach- welt ein. Doch zeigt sich an ihrem Leben, wie veraltet solche Kategorien sind. Harte Arbeit und Selbstdisziplin sind für eine große Künstle-

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rin genauso wichtig wie Sensibilität und mensch- liche Erfahrung für die ernstzunehmende Wis- senschaftlerin. Charlotte Wolff vereint beides.

Positives und Negatives vermengen sich in ih- rem Leben. Daß ihre Eltern sie verwöhnten, verlieh ihr grundlegendes Vertrauen in andere Menschen ebenso wie beträchtliches Selbstver- trauen. Ihre erste Beziehung zu einer Frau er- lebte sie ohne Angst und ohne Vorbilder:

Schuldgefühle waren ihr fremd und blieben es zeitlebens. Ihr widerfuhr das Glück, in den Ge- nuß der positiven Seiten des Kapitalismus in der friedlichen Zeit vor dem ersten Weltkrieg zu kommen. Vor dem Ausbruch des zweiten Welt- kriegs genoß sie ihr Studium in Freiburg, Kö- nigsberg, Tübingen und Berlin, wobei sie ne- benher Zeit und Kraft für Liebe, Vergnügun- gen, Freundschaften mit Künstlern und Schrifts- tellern, aktive Kunstproduktionen und enge Partnerschaften fand. In den hektischen zwanzi- ger Jahren ignorierte sie die politischen Zeitzei- chen und stürzte sich ins Berliner Vergnügen der lesbischen Subkultur. Als Frau, die Frauen lieb- te, empfand sie sich selbstbestimmt und unge- zwungen. Äußere Zwänge spürte sie nicht: „Wir waren frei, fast 40 Jahre, bevor die Frauenbewe- gung in Amerika begann. Wir hielten uns nie für Bürger zweiter Klasse. Wir waren einfach wir selbst, die einzige Befreiung, die am Ende zählt." Aber auch die Tiefen verließen sie nie.

Die Trauer über die fehlende Heimat begleitete sie später ständig. Obwohl sie den größten Teil ihres Lebens in England verbrachte, fühlt sie sich dort noch heute als eine Fremde, „eine in- ternationale Jüdin mit britischem Paß". Beson- ders empfindlich reagiert sie auf Diskriminie- rungen, die ihre jüdische Herkunft betreffen:

sie machen ihr lebenslang zu schaffen. Ihre aus- geprägte Sensivität machte sie labil gegenüber äußeren Einflüssen. Es ist viel von Depressio- nen und nervöser Erschöpfung, von Anspan- nung, Angstzuständen, ausgelaugter Energie, Ruhelosigkeit und überanstrengten Nerven die Rede. Immer wieder schimmert die Sehnsucht nach einem weiblichen Zuhause hindurch, „wo ich mich ausruhen und von den Anstrengungen und Kämpfen des täglichen Lebens zurückzie- hen konnte. Was mich antrieb, war die nostalgi- sche Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies meiner Kindheit, das mir nur die liebende Für- sorge einer mütterlichen Gestalt wieder zurück- bringen konnte . . . emotional war ich von einer anderen Frau abhängig." (S. 210)

Hier gilt es, aufzuhorchen: Charlotte Wolff spricht zwar in ihren Freundschaften zu Män-

nern von der „Natürlichkeit einer Kamerad- schaft zwischen Frau und Mann" (S. 77), aber in ihren Frauenbeziehungen davon, wie sehr sie eine mütterlich-schützende Frau zur Regenera- tion benötigt. Sie weist daraufhin, daß Männer jahrhundertelang versuchten, das „Kind" einer Frau (also emotional abhängig) zu werden, gibt dabei selber zu, emotional die „liebende Fürsor- ge" einer Partnerin zu brauchen. Nirgends aber erwähnt sie die eigene Fürsorgefähigkeit der Partnerin gegenüber. Dies könnte man damit erklären, daß Charlotte Wolff der Tradition des 19. Jahrhunderts entstammt, in der die Ge- schlechtspolarisierungen besonders starr ausge- prägt waren, so daß einer Lesbierin nichts ande- res übrig blieb, als männliche Identitätsmerk- male zu übernehmen. Wer aber, wie es in der vorliegenden Autobiographie geschieht, gesell- schaftliche Utopien entwickelt (etwa hinsicht- lich einer bisexuellen Gesellschaft), muß sich die Frage gefallen lassen, wo die gleichwertige Partnerschaft bleibt, wenn nicht beide Teile Mutter- und Tochterrollen gleichermaßen zu übernehmen bereit sind.

Auch bei anderen Punkten bin ich anderer Ansicht als Charlotte Wolff, etwa bei ihrer Überbetonung biologisch-genetischer Merkma- le zu Lasten gesellschaftlicher Anteile, oder bei dem geringen Wert, den sie der Sexualität ge- genüber der Emotionalität beimißt. Doch diese Einwände werden zweitrangig angesichts einer umfassenden Lebensschilderung, die in ihrer Aufrichtigkeit und Weisheit anderer Bekennt- nisliteratur überlegen ist. Die kurzen Reflexio- nen, die in den Lebenslauf quasi „eingescho- ben" werden, sind - obwohl sie leicht hinge- worfen erscheinen — Ergebnisse eines jahrzehn- telangen Reife- und Arbeitsprozesses, die die intensive Beschäftigung mit der eigenen Erfah- rung, mit anderen Menschen und den gesell- schaftlichen Gegebenheiten verraten. Sie errei- chen philosophische Dimensionen und zeigen die Größe dieser Frau, die niemals der lar- moyanten Selbstbespiegelung verfällt, sondern in der Distanz zu sich und anderen Würde aus- strahlt. Ihre Größe besteht auch darin, daß sie sich der seelisch-emotionalen Innenwelt ver- schrieben hat, dabei aber nie den Boden der Au- ßenwelt verläßt. So vermeidet sie gleicherma- ßen irrationale Phantasmagorien wie verbale Kraftakte. Dieses Buch ist ein Genuß für jede Frau, gleich welchen Alters und welcher sexuel- len Disposition, sofern sie bereit ist, dazuzuler- nen.

Eva Rieger

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Gisela Mohr, Dorothee Rückert, Martina Rum- mel (Hrsg.innen): F m w . Psychologische Bei- liigt n AiMta- o d H n w l t e i l l m . Mün- chen: Verlag Urban und Schwarzenberg 1982,

175 S., DM 2 8 , -

Die in der sozialwissenschaftlichen Forschung vorfindbare geschlechtsspezifische Themen- wahl und die daraus resultierende einseitige und unzureichende Betrachtung von Frauen in wich- tigen Bereichen der Psychologie, spezieller noch, der von Männern dominierte Umgang mit wissenschaftsimmanenten Forschungskriterien führen dazu, daB nichtverifizierte, aber das Ste- reotyp von Frauen stützende „Erkenntnisse"

aufrechterhalten werden und die der Frau in dieser Gesellschaft zugeordnete Position ze- mentiert wird. Im einleitenden Kapitel verdeut- lichen Eva Bamberg und Gisela Mohr diese Ten- denz anhand der Sichtung neuerer arbeitspsy- chologischer Untersuchungen und einiger psy- chologischer Standardwerke. Vor allem die Lebens- und Arbeitsbedingungen älterer Frauen sind in der psychologischen Forschung bislang weitgehend unberücksichtigt geblieben. In ih- rem Beitrag arbeitet Christiane Schmerl die Be- deutung von „Sozialisation als lebenslangem Prozeß" für Frauen heraus und definiert damit das Ziel dieses Bandes: den Einfluß der gesell- schaftlichen Realitäten, mit denen Frauen kon- frontiert werden, auf ihre Handlungs- und Ver- arbeitungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die ein- zelnen Beiträge, deren Schwergewicht auf un- terschiedlichen Arbeitsbedingungen von Frau- en liegt, sind informativ nicht nur als Beitrag zu wissenschaftlichen Fragestellungen, sondern beziehen auch Auseinandersetzungen mit prä- ventiver und therapeutischer Arbeit mit Frauen ein.

Die Thematik des Buches wird in vier Kapi- teln dargestellt. Bennina Orendi und Dorothee Rückert thematisieren die Arbeitssituation nichterwerbstätiger Frauen; Martina Rummel, gewissermaßen als Pendant, analysiert die Merkmale und Auswirkungen von typischen Frauenarbeitsplätzen. In beiden Beiträgen ana- lysieren die Autorinnen diese Arbeitsbereiche

- im Unterschied zu vorliegenden vorwiegend soziologischen Untersuchungen - mit Hilfe ar- beitspsychologischer Kategorien. Bennina Orendi und Dorothee Rückert zeigen auf, daß sich Hausarbeit nicht auf einzelne arbeitspsy- chologische Kategorien reduzieren läßt, son- dern immer in dem gesamten funktionalen Zu- sammenhang der Hausarbeit zu sehen ist. Die

Verwendung arbeitspsychologischer Kategorien für diese Analyse erlaubt eine differenzierte, kritische Analyse eines häufig zitierten Ergeb- nisses der Hausfrauen-Untersuchung von Helge Pross, nach dem ein relativ hoher Anteil der Hausfrauen ihre Arbeit als befriedigend ein- schätzt. Mit diesem Kategoriensystem analy- siert Martina Rummel die Charakteristika typi- scher Frauenarbeitsplätze und deren psychische Auswirkungen. Ihre Überlegungen zur Frage der „typisch weiblichen Bewältigungsstrate- gien" (S. 69ff.) ergeben eine neue Perspektive in der Diskussion: Anhand unterschiedlicher Forschungsergebnisse zeigt sie auf, daß Frauen zugeschriebene Umgangsformen mit der Arbeit wie z.B. ,einseitige soziale Orientierung', .ge- ringere Monotonieanfälligkeit', .personale Ur- sachenerklärung' entweder durch die Charakte- ristika der Arbeitsplätze zu erklären sind oder Methodenartefakte, d.h. keine spezifisch weib- lichen .Dispositionen' sind.

Als dritten Bereich von Arbeitsbedingungen thematisiert Barbara Stiegler die besonderen Aspekte, die auftreten, wenn Frauen sich in tra- ditionelle Männerdomänen begeben. Anhand von fünf Thesen diskutiert sie die gesellschaft- lich-ökonomischen und individuellen (psycho- logischen und sozialen) Voraussetzungen dafür, daß Frauen in diesen Bereichen arbeiten kön- nen, sowie die spezifischen und von denen der Männer abweichenden Wertvorstellungen und Erwartungen von Frauen in diesen Berufen.

Barbara Stieglers Beitrag kann als eine über- sichtliche Zusammenfassung der zu dieser Fra- gestellung bisher erzielten Erkenntnisse be- trachtet werden. Andere wichtige Probleme dieses - zunehmend an Bedeutung gewinnen- den - Themenkomplexes, z.B. welchen Kon- flikten Frauen ausgesetzt sind, wenn sie sich ent- gegen den ihnen ansozialisierten Rollen und Orientierungen in Konkurrenz zu Männern be- geben; wie sie diese Konflikte verarbeiten, mit welchen .Abwehrstrategien' ihrer männlichen Kollegen sie zurechtkommen müssen, wenn sie die Monopolstellung der Männer in Frage stel- len, werden in Barbara Stieglers Thesen jedoch lediglich angedeutet.

Ein weiteres Thema, bei dem bisher - resul- tierend aus der selbstverständlichen Akzeptie- rung des Berufs als Domäne des Mannes und der Familie als Domäne der Frau - fast aus- schließlich Männer berücksichtigt worden sind, ist das der Arbeitslosigkeit. Annette Gnegel und Gisela Mohr gehen anhand einer 1981 durchgeführten Pilotstudie auf die Folgen der

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Arbeitslosigkeit für Frauen ein. Sie machen deutlich, daB die Wiederaufnahme der Haus- frauenrolle keine echte Alternative zur Er- werbstätigkeit bietet, wie dies in der Literatur oft - explizit oder implizit — angenommen wird. Sie zeigen, daß — wie bei Männern — die psychischen und sozialen Belastungen erwerbs- loser Hausfrauen im Kontext ihrer vorherigen Erwerbstätigkeit betrachtet werden müssen.

In ihrem Beitrag „Zur Lebenssituation von äl- teren Frauen in unserer Zeit" macht Ursula Lehr deutlich, daß das .soziale Schicksal' älterer Frauen in ihrer doppelten Belastung durch Alt- sein und Frausein als Ergebnis des lebenslangen Sozialisationsprozesses zu sehen ist. Problema- tisch finde ich allerdings, daß Ursula Lehr trotz ihrer Herausarbeitung des Alterungsprozesses als .multidimensionalem' Vorgang, der biologi- sche, soziale, finanzielle, ökologische, kulturel- le und individualbiographische Faktoren um- faßt, in ihren Überlegungen zu gesellschaftspo- litischen Maßnahmen nur den letzten Faktor be- rücksichtigt. Gerade die in den vorhergehenden Beiträgen herausgearbeiteten Folgen der realen gesellschaftlichen Bedingungen der Lebenssi- tuation von Frauen werden vernachlässigt, wenn sie feststellt, „. . . darüberhinaus ist es notwendig, diese Fähigkeiten, Interessen und Sozialkontakte auch während des mittleren Le- bensalters zu erhalten, zu pflegen und sie nicht zugunsten einer einseitigen Familienzentrie- rung (die durch bestimmte, in der Gesellschaft verbreitete Vorstellungen von der Rolle der Frau begünstigt wird) verkümmern zu lassen"

(S. 121). Wenn sie die Empfehlung ausspricht,

„Auch im mittleren Lebensalter sollte die Frau wissen, daß es neben der Familie auch außerfa- miliäre Aufgaben gibt - sei es im Beruf oder im Rahmen sonstiger sozialer oder kommunaler Tätigkeiten, denen sie sich zuwenden sollte, zu ihrem eigenen Wohl, zum Wohl ihrer Familie und zum Wohl der Gesellschaft" (S. 121ff ), werden die realen Schwierigkeiten, diese - be- stimmt richtige - Empfehlung in Handlungen umzusetzen, übersehen.

Im letzten Beitrag des Bandes, „Psychische Störungen bei Frauen, Hinweise für Prävention und Therapie" stellen Rita Kolling und Gisela Mohr die in den vorhergehenden Beiträgen her- ausgearbeiteten Stressfaktoren in den Mittel- punkt der Diskussion. Ihre Erörterung einiger Besonderheiten frauenzentrierter Therapie und des Nutzens traditioneller Therapieansätze ver- mittelt einen informativen Überblick — auch für

Nichttherapeutinnen. Ihre Behandlung einer oft kontrovers diskutierten Frage, ob nur Frau- en Frauen therapieren können, hinterläßt bei mir dagegen ein Unbehagen: Aus Untersuchun- gen, die geschlechtstypische Unterschiede the- rapeutischer Tätigkeit zu widerlegen scheinen, ziehen die Autorinnen die Schlußfolgerung,

„möglicherweise können nur Frauen, die sich der Tatsache bewußt sind, daß geschlechtstypi- sche Lebensbedingungen und Verhaltensweisen nicht per Geschlecht gegeben, sondern Ergeb- nis gesellschaftlicher Prozesse sind, Frauen the- rapieren. Inwieweit Männer als Therapeuten für Frauen ungeeigneter sind, ist unseres Erach- tens weniger eine Grundsatzfrage, sondern ab- hängig von der Thematik der Therapie und vom therapeutischen Klima" (S. 145ff.). Abgesehen von der Frage des Einflusses der Forschsungs- strategie bei diesen Untersuchungen wäre in dieser Diskussion weiterführend danach zu fra- gen, wie es dazu kommt, daß manche Therapeu- tinnen die Sichtweise ihrer männlichen Kolle- gen übernehmen, oder zu untersuchen, von wel- chen unterschiedlichen Erfahrungen Klientin- nen mit männlichen und weiblichen Therapeu- ten berichten. Ähnlich verfrüht scheint mir zu einer Zeit, in der erste Überlegungen zu femini- stischen Therapieansätzen gemacht werden, das Fazit zu sein, „ daß es keine feministische Thera- pie als eigenes in sich geschlossenes System von Theorien und Methoden gibt" (S. 147).

Als allgemeine Tendenz bei den Beiträgen fällt auf, daß die Autorinnen fast ausschließlich Untersuchungen zitieren, die quantitative Me- thoden verwenden, — dies obwohl Christiane Schmerl in ihrem Beitrag die bessere Eignung qualitativer Methoden zur Erfassung „subtilerer qualitativer Merkmale" und „dynamischer Ent- wicklungs- und Veränderungsprozesse" betont.

Schade finde ich, daß diese Feststellung in den anderen Beiträgen so wenig Berücksichtigung findet.

Trotz oder vielleicht auch wegen dieser kriti- schen Bemerkungen zu einzelnen Punkten erge- ben die einzelnen - verständlich geschriebenen - Beiträge eine übersichtliche und anregende Einführung in diesen wichtigen, aber bisher dennoch „blinden Fleck" der Psychologie. Der Band dürfte insbesondere für diejenigen Leser/

innen interessant sein, die sich mit den unter- schiedlichen Arbeitsbedingungen von älteren Frauen beschäftigen.

Nicola Hawkins

Referenzen

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