Von K. Budde.
Meine erste Erörterung zur Habakuk-Frage (Theol. Stud,
u. Krit. 1893, S. 383— 393) 2) eröffnete ich mit dem Bekenntnis,
daß ich dem Urteil Cobnill's „Wenig alttestamentliche Schrift¬
stücke lassen Zeit und Umstände ihrer Entstehung so deutlich
erkennen, als Kap. 1 des Buches Habakkuk" nicht zustimmen
könne. Dasselbe Bekenntnis gilt mir heute für den Satz, mit
dem Sellin seine Behandlung der Frage in der 2. Auflage
seines „Zwölfprophetenbuchs" (Leipzig 1930, S. 381) abschließt:
„Damit dürfte nach sehr vielen Kreuz- und Querzügen das
literarische Problem in der Hauptsache definitiv gelöst sein".
Mich hat Sellin jedenfalls nicht überzeugt, vielmehr muß ich
in allem Wesentlichen, nach immer wiederholter Überprüfung,
festhalten an der Lösung, die ich vor 29—37 Jahren dreimal
ausführlich vor der Öffentlichkeit dargelegt habe. Ob Andre
sich Sellin's Einsicht fügen werden, wird abzuwarten sein.
Es sind, seit nun rund 70 Jahren, vor allem zwei Nöte,
die das Buch Habakuk immer wieder zu einem Rätsel gemacht
haben: die richtige Bestimmung des bösen auswärtigen Feindes,
dem Habakuks Klage gilt, und die Bewältigung des erratischen
Blocks, der sich in Gestalt von 1,5—11, den unmittelbaren
Zusammenhang der Klage in 1,2—4 und 12—17 sprengend, her¬
einwälzt. Dies letzte Hindernis, das einem de Goeje, Glese-
bkecht, Wellhausen, mir und Rothstein zu schaffen machte
und von uns allen entfernt, dann aber verschieden untergebracht
wurde, ist für die Gegenwart nicht mehr vorhanden. Zwei
Schulen, wenn man so sagen darf, sehen heute in dem Buche
Habakuk, das aus einer Psalmensammlung angehängte „Gebet"
Kap. 3 eingeschlossen, einen schönen, von dem Propheten voll
1) Vortrag, gehalten auf dem Deutschen Orientalistentag zu Wien.
2) Vgl. die zweite The Expositor, May 1895, p. 372—385, die dritte T. K. Chevne, Encyclopaedia Biblica II, 1901, p. 1921—1928, .Habakkuk«.
2 2 *
140 K. Budde, Habakuk
beabsichtigten, nur hier und da etwas beschädigten Zusammen¬
hang, in dem 1,5-1 1 ganz an der ursprünglichen, richtigen Stelle
steht. Das sind einerseits Bebnhahd Duhm 1 ) und C. C. Toheey 2 ),
Gelehrte von einem so überlegenen persönlichen Willen, daß
ihrer einmal gewonnenen Überzeugung der Widerstand keines
Textes gewachsen ist, und unbewußt sich ihnen Postulate in
Argumente verwandeln. Beide sehen in dem bösen Feind
Alexander den Großen ; ausdrücklich stellt Tosbey (S. 283)
fest, daß er, wenn auch später als Duhm, doch unabhängig
von ihm, ohne von ihm zu wissen, zu diesem Ergebnis gelangt
sei und die gleiche Textberichtigung in 1, 6, Derart für aniaan,
vollzogen, auch die Auffassung des nTanß 1,9 als „nach Osten
hin" vertreten habe. Dieser Lösung Duhm's schloß sich, neben
Pkocksch und Nowack, in der ersten Auflage seines Kommen¬
tars 1923 auch Sellin an. Heute läßt er das ni^iasn in 1,6
unangetastet und sieht wieder, wie man von altersher gewohnt
war, eben in den Chaldäern den bösen Feind, gegen den des
Propheten Klage ergeht. Der sonstigen Schwierigkeiten, be¬
sonders der Unordnung in Kap. 1, meint er Herr zu werden
durch „die", so sagt er (S. 380), „erst in den letzten Jahren
immer klarer erfolgte Beobachtung sog. prophetischer Litur¬
gien in den Prophetenschriften". Eine solche erkennt er jetzt
im Buche Habakuk und findet, so verstanden, darin nun eben¬
falls im ganzen Umfang, Kap. 3 eingeschlossen, „eine vollständig
einheitliche Schrift", mit nur wenigen kleinen Zusätzen zu
Kap. 2 und 3 (S. 381). Augenscheinlich hat er übersehen,
daß ihm darin E. Balla 8) — er führt ihn in der Literatur
S. 384 f. nicht auf — mit genau derselben Lösung voraus¬
gegangen ist, nur daß er für den bösen Feind mit einem „Viel¬
leicht wird man in der Tat denken müssen" bei Alexander
dem Großen bleibt. Auch diese Lösung genießt also den Vor¬
zug, von zwei Gelehrten unat hängig gefunden zu sein. Für
die Beobachtung solcher „prophetischer Liturgien" verweist
1) Das Buch Habakuk, Tübingen 1906. 2) Alexander the
Great in the Old Testament Prophecies („Vom Alten Testament", Marti-
Festschrift 1925, S. 281—286. 3) Die Religion in Geschichte
und Gegenwart 2, II, 1928, .Habakuk', Sp. 1556 f.
2 2 *
Sellin auf H. Gunkel, und sicher verdankt auch Balla den
Rückgang auf die so benannte Gattung diesem seinen Lehrer.
Paul Hauet dürfte damit Gunkel noch vorausgegangen sein,
wenn auch in etwas strafferer Haltung. Der etwas befremd¬
liche Name meint der Sache nach Responsorien ; ob das Buch
Habakuk wirklich einmal liturgische, d. h. gottesdienstliche
Verwendung gefunden habe, als „Niederschlag eines Bittgottes¬
dienstes in der Zeit der babylonischen Not", läßt sich nach
Sellin kaum entscheiden (S. 381). Die Hauptsache bei diesem
Auskunftmittel ist natürlich die Annahme eines Wechsels der
Redner. Der leuchtet denn ja mühelos ein, wenn wir bei uns
hören, lateinisch oder deutsch, „Dominus vobiscum!" „Et cum
spiritu tuo!", und ebenso, wenn Arnos oder Jeremia mit ihrem
Gott in ein Zwiegespräch eintreten, oder Jesaja bei seiner Be¬
rufung. Mit der neuen Lehre von den prophetischen Liturgien
aber überbrückt man jede Kluft. Man verlangt keinerlei Zu¬
sammenhang zwischen den abgeteilten Redeabschnitten, sondern
läßt jeden uneingeführt ins Blaue hinaus reden. Es hat sich hier
nach meinem Gefühl eine Unsitte herausgebildet, die durchaus
sich dem zur Seite stellt, was man bei den zahllosen drama¬
tischen Erklärungen des Hohenliedes erleben mußte. Unter¬
bindung gesunder Kritik, wahlloses Sichfügen in alles, was eine
an Zwischenfällen überreiche, jahrhundertelange Text- und
Redaktionsgeschichte uns beschert hat, das ist die große Gefahr,
die diese vermeintliche Entdeckung einer neuen „Gattung" pro¬
phetischer Schriftstellerei unfehlbar mit sich bringt. Im Falle
Habakuk ist man, fürchte ich, dieser Gefahr erlegen.
Nun ist es nicht meine Absicht, die ganze Frage, nun
zum vierten Male, eingehend zu behandeln, wie denn auch die
Zeit dafür entfernt nicht ausreichen würde. Nur zwei Im¬
ponderabilien möchte ich beibringen, die ich früher nicht
geltend gemacht habe, das eine zu der Einsetzung Alexanders
des Großen in die Rolle des Angeklagten, das andre zu der
Frage, ob 1, 5-11 an der richtigen Stelle steht. So verschwin¬
dend scheinbar ihr Gewicht, hoffe ich doch, daß jedes die
richtige Wagschale zum Sinken bringen wird.
Die Deutung des Unterdrückers auf Alexander den Großen,
142 K. Budde, Habakuk
die so weithin ihr Glück gemacht hat, habe ich von Anfang
an für einen besonders unglücklichen Griff gehalten. Eine
wie große Rolle dabei das Postulat gespielt hat, sieht man
sehr deutlich bei Tobbet. „Sicher", sagt er (S. 282), müßten
wir erwarten, zahlreiche Anspielungen auf diese die Welt
umgestaltenden Ereignisse in den Prophetischen Büchern
des Alten Testaments zu finden, die im griechischen
Zeitalter abgefaßt sind". Diese Erwartung findet dann
ihre Bestätigung, zunächst im Buche Habakuk. Nun steht uns
ja ein jüdischer Bericht über Alexanders Erscheinen in Palästina
bei Josephus (Ant. XI, 8) zu Gebote : darin von Klagen keine
Spur, vielmehr schonendste Behandlung der Juden und, bei
Alexanders persönlichem Besuche in Jerusalem, die höchste
Ehrfurcht vor ihrer Religion, die bei seinem Vertrauten Par-
menion Verwunderung und Bedenken erregt. Gewiß ist dieser
Bericht voller sagenhafter Züge 1); aber er zeigt wenigstens,
in welchen Farben sich das Erscheinen Alexanders im Ge¬
dächtnis Israels spiegelte 2 ). Und jedenfalls paßt die Stimmung
des Berichts vortrefflich zu dem, was wir sonst von dem Ein¬
druck des Erscheinens der Mazedonier in jenen Gegenden
wissen. Ich greife zu Beloch's Griechischer Geschichte 3 ).
Von Ägypten sagt er (S. 640): „Das Land war erst vor wenigen
Jahren, nach einem halben Jahrhundert der Selbständigkeit,
von den Persern wieder unterworfen worden ; noch waren die
Greuel im frischen Gedächtnis, die Ochos bei der Eroberung
verübt hatte. So wurde Alexander überall von der Bevölke¬
rung als Befreier begrüßt". Und von dem Weitermarsch bis
nach Persien (S. 649): „Bisher war Alexander durch Asien
gezogen, wie durch befreundetes Gebiet. Die Bevölkerung
hatte ihn fast überall als Befreier aus unerträglicher Knecht-
1) Erstaunlich ist es, daß Duhm (S. 29) die Wahrheit des Berichts geradezu freigibt und daneben nu • fordert, daß „doch solche Leute wie unser Prophet das Gefühl haben mußten, daß der gewaltige Welteroberer diesen Besuch für nicht mehr als eine interessante Episode hielt, die er
bald vergaß* — um dann aller Wahrheit zuwider herzbrechende Klagen
gegen den freundlichen Besucher auszustoßen.
2) Dagegen wurde in Wien Einspruch erhoben , auf den ich hier
nicht eingehen kann. 3) Zweite Auflage III. 1., 1922.
schaft begrüßt und nur in ganz vereinzelten Fällen Wider¬
stand geleistet". „Eine orientalische Despotennatur von rück¬
sichtsloser Grausamkeit" nennt Beloch Artaxerxes III. Ochos
(S. 242) und gibt die Beweise dafür. Daß er auch einen
jüdischen Aufstand niedergeschlagen hat, wissen wir, gewiß
nicht schonender als die anderer Völker. Seine Feldzüge gegen
Ägypten, der unglückliche vom Jahre 351/50 und der glück¬
liche von 344/43, müssen Palästina viel schwerer mitgenommen
haben als der schnelle Vorüberzug Alexanders im Jahre 332.
Und da soll Habakuk Grund gefunden haben zu so schweren
Klagen über endlose Gewalttätigkeiten, wie wir sie in Kap. 1
und 2 finden? Es lohnt bei Duhm nachzulesen, wie oft er
Habakuk belehren muß, daß ihm das rechte Verständnis für
Alexanders Person und Handeln gefehlt habe, um sich zu über¬
zeugen, wie schlecht seine Deutung auf den Text paßt. Auf
den Einzelnachweis muß ich verzichten. Im allgemeinen darf
man wohl feststellen, wie unwahrscheinlich es ist, daß ein Volk
solche Klagen erhebt, wie wir sie bei Habakuk lesen, nachdem
es schon seit einem Vierteljahrtausend nicht mehr sein eigener
Herr, sondern einem fremden Volke unterworfen gewesen ist.
Aber nun mein Imponderabile. Der Abschnitt 1, e-io
bietet eine Schilderung der von Jahwe neu aufgerufenen
Kriegsmacht, von Duhm auf die bisherigen Taten und Erfolge
Alexanders gedeutet. Der Schluß V. 10b lautet: „Es [das
Volk] lacht über jede Festung und schüttet Erde auf und
nimmt sie". Daß das Aufschütten von Erde ("u*f von Ge¬
treidevorräten Gen. 41, 35.49, von Schätzen Sach. 9, 3. Ps. 39,7.
Hi. 27, 16, von toten Fröschen Ex. 8,10) dichterisch gewählter,
zugleich verallgemeinernder und verkleinernder Ausdruck für
nbbb Tfsi22 „einen Damm aufwerfen" ist, hat noch niemand
bezweifelt. Das aber ist das regelmäßige, geradezu landläufige
Mittel zur Eroberung einer Festung, das Herantreiben näm¬
lich eines Dammes bis zur Höhe und bis zum Rande der Be¬
festigungen; es findet sich 2 Kön. 19,32 (Jes. 37, 33); Jer. 6,6,
vgl. 32,24; Hes. 4,2. 17,17. 21,27. 26, s; Dan. 11,15, am an¬
schaulichsten im frischen Leben bei der Belagerung des Städt¬
chens Abel bet Ma'akä 2 Sam. 20,15. An unsrer Stelle muß
Zeitschrift d. D.M.G., Neue Folge Bd. IX (Bd. S4). 10
144 R. Budde, Habakuk
die Aussage für Duhm und Tobeet natürlich auf die Eroberung
von Tyrus gehn. „Eine Anspielung auf Alexanders Damm,
durch den Tyrus endlich genommen wurde", erläutert Toeeey
ausdrücklich (S. 284) seine Übersetzung des Halbverses. Bei
Duhm aber lesen wir dazu (S. 27): „Sein Unternehmen, durch
Aufschüttung eines gewaltigen Dammes vom Festland zur
Insel das Meer zu bezwingen, war gewiß das Wunder der
Völker ringsumher". Sicher hat er damit Recht; der Damm,
über den man noch heute in Inseltyrus einreitet, war für jene
Zeit ein Weltwunder. Und das sollte hier mit den alltäglichsten
Worten berichtet, dem Verfahren von Jahrtausenden, auch
gegenüber der kleinsten Festung, einfach gleichgesetzt sein,
als wenn Alexander hier ebenso nur auf den festen, tragenden
Erdboden weitere Erde hätte brauchen aufschütten zu lassen?
Man wundert sich, daß Habakuk für diese Gedankenlosigkeit,
für das unverantwortliche Vorbeilassen einer glänzenden Ge¬
legenheit den Leser oder Hörer über Alexanders wunderbares
Können staunen zu lassen, von Duhm nicht, wie sonst so oft,
einen ernsten Tadel erhält. In Wirklichkeit ist die Voraus¬
setzung der beiden Ausleger einfach unmöglich : für das Welt¬
wunder, daß das Weltmeer zum trockenen Lande gemacht
worden war, hätte jeder hebräische Dichter die rechten Worte
gefunden. Es ist also an Tyrus gar nicht gedacht und nicht
zu denken, und damit nicht an die Mazedonier; vielmehr ist
den Chaldäern neben allen anderen kriegerischen Tugenden auch
nachgesagt, daß sie Festungen auf dem trockenen Lande zu
erobern imstande sind, durch dasselbe Verfahren, wie man es
seit unvordenklichen Zeiten unterschiedslos gewohnt war 1).
Mein zweites Imponderabile, für den Beweis, daß 1,«— n
— V. 5 ist Flickvers für die veränderte Einfügung des Stücks —
an eine spätere Stelle gehört, geht V. 11 an. Bei dessen
erstem Halbverse ist es ja schier unbegreiflich, wie man mit
1) Ob man in Dühm's Übersetzung .Warf auf den Wall", in Tobrey's
„für he heaps up the earth*, in dem Artikel beiderseits, ein Gefühl für diese Schwierigkeit, ein unbewußtes leises Nachhelfen, zu erkennen hat, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist nur die Übersetzung „er schüttet Erde auf" berechtigt ; nur Erdstoff ist mit ~ID2 gemeint.
der offenbaren Tatsache fertig zu werden versteht, daß das
TS „dann" zu Anfang einen tiefen Einschnitt bezeichnet, den
Schluß aus der vorhergehenden Schilderung einführt, daß ferner
die Verben Cpn und "ay ein Vergehen und Dahinschwinden
bedeuten, nicht weitere Erfolge; wie daher dieser Vers durch¬
aus das Schicksal des von der neu aufgerufenen Kriegsmacht
Überwältigten schildern muß. „Dann wirbelt' es weiter wie
Sturmwind", lautet Dühm's kühne Übersetzung (mit bn für
t]bn), „Dann saust er vorbei wie der Wind und zieht dahin"
die ebenso gemeinte von Sellin, während man übersetzen
sollte „Dann schwindet wie ein Hauch und fährt dahin" 1).
Aber diese Meinungsverschiedenheit macht für mein Impon-
derabile zum zweiten Halbvers gar nichts aus. Zwar stellt
man seinen Text auf Grund jener irrigen Anschauung so her
— mit nipp (oder aiBTi?) — daß er eine weitere Aussage
von dem gleichen Subjekte bringt, „und machte" oder „und
macht seine Kraft zu seinem Gotte", während für a, richtig
verstanden, nur noch das Subjekt fehlt: „Dann schwindet wie
ein Hauch und fährt dahin, Der seine Kraft zu seinem Gott
gemacht", was auch graphisch weit leichter und überzeugen¬
der ist 2 ). So oder so wird hier von dem, den es angeht, in
aller Kürze ausgesagt, daß er seine Kraft zu seinem Gotte
macht oder gemacht hat. Das klingt sehr wunderlich, wenn
es der Abschluß der Schilderung des kriegsmächtigen Volkes
1) Lies 1^21 rn -1? fpljl w » s auch Sellin übernommen hat.
Wellhausen's „man könnte' im Anschluß an Grätz nach Jes. 40, si:
DfcFI rrä f|brp TN, „dann gewinnt er neue Kraft und Flügel und
er macht diese seine Kraft zu seinem Gott", ebenfalls von der irrigen
Anschauung aus, daß es sich um das gleiche Subjekt handele wie in
V. 6—10, hat keinen Anklang gefunden.
2) Für IT lese ich Dil! "WJiJ. Darin glitt der Blick einfach von dem ersten — auf das zweite ab, sodaß DTDN entstand ; das wurde,' durch
1 angeknüpft, zu DlBtO, und das TT wurde dann eingeschoben, um den
verlorenen Relativsatz zu sichern. Ob man das ursprüngliche "NUN dann IpN sprechen will, oder, wie ich einmal den Übermut hatte vorzuschlagen,
sodaß Dil) zum Partizipium wird, kommt ganz auf das Gleiche
hinaus, da Assur durch die Chaldäer ohnedies als der Angeklagte sicher¬
gestellt ist. „Eine sehr kühne Teitkonjektur" (Sellin, S. 378) ist das "iTSN aber jedenfalls nicht.
10*
146 K. Budde, Habakuk
von V. 6 an sein soll. Duhm scheint das zu fühlen, da er
meint (zu V. 10 S. 27), der Prophet möge damit auf den
tyrischen Damm durch das Meer anspielen, in dem er eine
Verhöhnung der Gottheit sehe. Dem würde er doch wohl,
wie wir sahen, in V. 10 deutlicheren Ausdruck gegeben haben;
außerdem ist Alexander ja nach Duhm inzwischen schon „weiter¬
gewirbelt", ehe er sich dieser Sünde schuldig machte. Dem sei,
wie ihm wolle: Alle sind darüber einer Meinung, daß derselbe
Schuldige gemeint ist, von dem es in V. 16 heißt: „Darum
opfert er seinem Netz und räuchert seinem Garn ; denn durch
die ward üppig sein Anteil und seine Mahlzeit fett" l ). Damit
ist genau dasselbe ausgesagt wie in IIb, die göttliche Ver¬
ehrung der eigenen Kraft, des eigenen Könnens, die Über¬
zeugung, daß er alles sich selber verdanke (Jes. 10, s-n. isf.)
und keinem Gotte den Dank dafür schulde. In V. 16 aber
ist das ausführlich vorbereitet und belegt durch die Verse
14 und 15, wo der gierige Fischer am Ufer sitzt und mit
allen Werkzeugen aus dem Wasser herausholt, was immer es
an Lebewesen birgt, im aufgelösten Bilde die ganze Mensch¬
heit (D"js V. 14, D?i5 V. 17) zu Sklaven macht oder erwürgt.
Hier sehen wir die Anbetung der eigenen Kraft als Gipfel
der Schilderung vor unseren Augen entstehn, um endlich in
V. 16 in ursprünglicherer Fassung als in V. 11 zum Ausdruck
zu kommen. Darauf mag dann weiterhin die knappe Umsetzung
von Netz und Garn in das Abstraktum „seine Kraft" schlagend
zurückgreifen; aber nimmermehr kann sie vorausgehn, um
dann nachträglich in V. 14-16 vom Keime aus zu entstehn.
Darum muß ursprünglich 1, 12-17 den Versen 6-11 vorausge¬
gangen sein. Dies mein zweites Imponderabile.
Ich muß also aus allen Gründen bei meiner alten Lösung
bleiben, der einst auch Sellin beipflichtete (Einleitung 2 ), daß
nämlich der Abschnitt 1, 6-11 — ohne den Flickvers 5 —
ursprünglich hinter 2,4 stand , daß Habakuk der Natur der
Sache gemäß nicht nur eine einzige fremde Kriegsmacht ein-
1) Der für eines der beiden letzten Worte vorgeschlagenen Ände¬
rungen bedarf es nicht, wenn man nN , ")2 als substantiviertes Neutrum und damit als Subjekt versteht: „und Fettes seine Speise*.
führte, sondern deren zwei, die Bedrückerin der Gegenwart und
die neu von Jahwe aufgerufene der Zukunft, die jener den Garaus
machen soll, und daß, da diese letztere nach 1,6 die Chaldäer
sind, jene, oh genannt oder ungenannt, die Assyrer meinen muß.
Was Sellin (S. 378) dagegen einführt, kann nicht den Aus¬
schlag geben. Daß der Assyrer ungenannt bleibt, tut, wie
wir sahen, gar nichts zur Sache ; zum Überfluß vergleiche man
Jes. 5, 26 ff. oder Am. 5, 27. Daß auch schon durch 1, 5-11
„ein stark tadelnder Ton gegen das hier geschilderte Volk
hindurchklinge", trifft nicht zu. Nur Kriegstüchtigkeit ist
dem Volke nachgerühmt; dabei versteht sich Gewaltanwendung
und Gefangenführung (V. 9) von selbst und wird vom ganzen
Altertum gebilligt, wo der Krieg ein gerechter ist; von den
Propheten wird viel Schlimmeres ohne jeden Vorwurf ange¬
führt, selbst wo Jahwe den fremden Feind gegen sein eigenes
Volk heraufführt (vgl. nur Jes. 7,19 f. 8,8 f., 21-23). Das *■? v$
zu Anfang von 2,5, das nach Sellin den unmittelbaren An¬
schluß an V. 4 sichert, ist nach Sellin's eigener Übersetzung
und Auslegung der Verse so ganz und gar unmöglich, daß es
dem vortrefflichen VjN3 osnt 1) „und dahin, wie gar nichts ist
der Verräter" Beedenkamp's nicht das Wasser reicht. Das aber
schließt an meine Herstellung von l,u so ausgezeichnet an,
als wenn es dafür geschaffen wäre. Was endlich die Chronik
Nabopolassars uns Neues über das Ende der Assyrerherrschaft
gelehrt hat, dem muß sich die genauere zeitliche Ansetzung
von Habakuk 1 und 2 natürlich verständig anpassen. Sicher
bleibt, daß Israel über den Druck Assurs lange Zeit hindurch
ausreichend zu klagen Ursache hatte, und daß die Chaldäer,
wenn auch nicht allein, dessen Sturz herbeiführten, jedenfalls
ihm in der Herrschaft über Vorderasien nachfolgten. Für
alles Übrige kann ich auf meine früheren Arbeiten verweisen.
Ich muß dabei bleiben, daß nur durch die Wiedereinfügung
von 1,6-11 hinter 2, 4 dem schweren Anstoß abgeholfen wird,
dem Wellhausen zu 2,4 den klassischen Ausdruck gibt: „Ge¬
schaut hat Habakuk herzlich wenig, ob er gleich darum sorgte".
1) Statt i::n-'3 r|Nn des Textes, Sellin's n5V *0 f|tO , Dühm's -|TP Torbey's ''SVn• f : ~ für das dritte Wort.
Christliches im Qoran.
Eine Nachlese.
Von Karl Ahrens.
III.
Zu dem bisherigen Befunde stimmen nun auch die im
Qoran sich findenden Urteile über Juden und Christen.
Aus mekkanischer Zeit sind zunächst 30,1—4 und 85, 4—7
anzuführen. Allerdings liegt für 30, 1—4 neben der über¬
lieferten Lesart, wonach in diesen Versen Bedauern über eine
Niederlage (gulibat) der Oströmer durch die Perser und Hoff¬
nung auf deren baldigen Sieg (sa-jaglibüna) ausgedrückt wird,
eine andere vor, wonach Muhammed Bedauern über einen Sieg
(galabat) der Römer und Hoffnung auf deren Niederlage (sa-
juglabüna) ausspricht. Aber bei der weniger guten Bezeugung
der letzteren Lesart ist zu vermuten, daß diese eine durch
den späteren dauernden Kriegszustand mit den Byzantinern
hervorgerufene, wohl nicht durch Muhammed selbst in Medina,
sondern durch Spätere vorgenommene Änderung darstellt 1).
Wenn die überlieferte Lesart die richtige ist, so spricht das
nicht für jüdisch beeinflußte Gesinnung: die Juden pflegten
jedenfalls für die Perser Partei zu nehmen (Wellhausen,
RaH. 205).
Dann 85, 4—7: „Mögen getötet werden die Leute des
Grabens voll brennstoffreichen Feuers, da sie an ihm saßen
und Zeugen waren dessen, was man den Gläubigen antat".
In dieser Stelle sehen Geiger 2 189, Loth, ZDMG. 35, 621
und — allerdings zweifelnd — Nöldeke-Schwally 1, 97 eine
Anspielung auf die Männer im Feuerofen Dan. 3,19 ff.; Grimme,
Mob. 2, 77 und Hoeovitz, Kor. Unt. 12 f., 92 fassen sie als eine
1) Nöldeke-Schwally 1, 149. A. 7.