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II. Vertiefung und Kontextualisierung. 1. Schutz von Ehe und Familie. Wiederholungsfragen

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II. Vertiefung und Kontextualisierung 1. Schutz von Ehe und Familie

Wiederholungsfragen

- was sind die verschiedenen Aspekte des Art. 6 GG?

o klassische Abwehrrecht o Institutsgarantie

o wertentscheidende Grundsatznorm o besondere Gleichheitssätze

- garantiert Art. 6 GG die Institute Ehe und Familie?

o Ehe wird garantiert à sog. normgeprägtes Grundrecht o Familie wird nicht garantiert

- enthält Art. 6 GG ein Diskriminierungsgebot?

o nein, nach h.M. ist kein sogenanntes Abstandsgebot enthalten

- muss Art. 6 Abs. 1 GG nach der Einführung der „Ehe für alle“ geändert werden?

o durch die Judikatur des BVerfG zeichnet sich eine schrittweise Gleichstellung deutlich ab, das Gericht hält diese für geboten

o für die Verfassungsmäßigkeit der „Ehe für alle“ lassen sich gute Ar- gumente finden

- was sind Schutzbereiche, mögliche Eingriffe und Schranken der Grund- rechte aus Art. 6 GG?

o Eherecht wird vorbehaltlos gewährleistet

§ nur natürlichen Personen, jedem Ehepartner, auch Ausländern und Staatenlosen, Schutz der gelebten Gemeinschaft

§ Ehe ist Schutzgegenstand, schützt Eheschließung, Zusammenle- ben, Wahl des Partners, Familienname, Güterstand, Ehevertrags- freiheit, Scheidung

§ nicht eheliche Lebensgemeinschaften nur über Art. 2 Abs. 1 GG geschützt

o Schutz der Familie wird vorbehaltlos gewährleistet

§ schützt Lebensgemeinschaft mit Kindern unabhängig von Ge- schlecht der Eltern und deren Ehestand, auch spezifisch familiäre Bindungen darüber hinaus (EMRK!)

§ der Schutz umfasst das Zusammenleben der Familie und die Freiheit über ihre Gestaltung zu entscheiden

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Welchem Zweck dient der Schutz von Ehe und Familie?

- historisch

o historisch durch Landesfürsten fremdbestimmter Raum

o verfassungsrechtlich verankert erstmals in Paulskirchenverfassung o als Schutz erstmals wirksam geworden in WRV

§ Vorschriften über Ehe, Familie und Jugend

§ Regelungen über das öffentliche Schulwesen

o in zahlreichen Gesellschaften Eheverbote zur Aus- und Abgrenzung bestimmter Gruppen

§ generelles Eheverbot oder Erlaubnisvorbehalt für unfreie Men- schen

§ Verbot von Ehen zwischen Juden und Nichtjuden in der Nazi- Diktatur

§ Verbot von Ehen zwischen Schwarzen und Nicht-Schwarzen in USA

§ Ehe als Instrument zur Erhaltung eines gesellschaftlichen status quo: Frau als Mündel des Mannes

o moderne Entwicklung: Familie als Schutzraum für Kinder - gesellschaftlich

o Erhaltung und Schutz der kleinsten Gemeinschaft innerhalb der Gesellschaft (Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“) o Mensch als soziales Wesen

o Rechtssicherheit: Erbschaftsangelegenheiten, Fürsorge, Altersvor- sorge

- individuell

o Bestandteil der Freiheit, sein Leben zu gestalten o Entfaltung der Persönlichkeit

o Schutz werdender Mütter vor Ausbeutung

o Schutz der Eltern vor Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt

Was waren Diskussionspunkte im Parlamentarischen Rat?

- die Diskussion um Artikel 6 (und 7) war sehr kontrovers

- zu Religion, Erziehung und Schule sehr unterschiedliche Sichtweisen - Formulierung des Artikels

o 1. Entwurf: „Ehe als die rechtmäßige Form der fortdauernden Le- bensgemeinschaft von Mann und Frau und die mit ihr gegebene Fa- milie“

o streitig: Rechte nicht-ehelicher Kinder, Adoptivkinder, kinderlose Ehen

o anderer Vorschlag: „Ehe, Familie und Kinder“

o schließlich Entwurf zum Grundgesetz: „Ehe und Familie“

- systematische Einordnung

o Art. 6 GG wurde als „kleines Gruppenrecht“ (Theodor Heuss) be- wusst bei Vereinigungs- und Versammlungsrecht angesiedelt

o Familie sei „natürlicher Verein“ (parteiübergreifende Sicht)

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Was gibt diese Debatte für eine historische Auslegung her?

- die Begriffe Ehe und Familie wurden nicht thematisiert - strittig war die Stellung der nicht-ehelichen Kinder

- daraus kann abgeleitet werden, dass es eine allgemeine Übereinstim- mung zum Verständnis von Ehe und Familie gab

- gesellschaftliche Realität nach dem Krieg war jedoch andere o keineswegs lauter verheiratete Eltern mit Kindern, sondern o zahlreiche Witwen mit Kindern und neuen Partnern

o alleinerziehende Mütter mit Ehemännern, von denen nicht gewiss war, ob sie aus Krieg / Gefangenschaft wiederkommen würden

o viele Waisen, die teils bei Verwandtschaft aufgenommen wurden

Was hat die „Ehe für alle“ mit dem Phänomen des Verfassungs- wandels zu tun?

- Lebenswelten in Ehe und Familie haben sich in vergangenen Jahrzehn- ten fundamental verändert

o gesellschaftliche Veränderungen

o Wandel in moralischen und sozialethischen Anschauungen o Beziehungen der Geschlechter

- Veränderungen beeinflussen die Rechtsfolgen von Art. 6 GG à nach h.M. aber auch den Gegenstand und die Schutzwirkungen des Artikels - dann: Verfassungswandel, wenn sich Verfassungsrecht den gesell-

schaftlichen Veränderungen anpasst und sich so fortentwickelt o NICHT bei ausdrücklicher Verfassungsänderung

o vielmehr: Rechtsfortbildung, die in letzter Konsequenz vom BVerfG festgestellt wird

§ BVerfG prüft, ob Wandel mit den äußeren Umständen des Ver- fassungsrechts in Einklang zu bringen ist à Auslegungsfrage (Wortlaut, Wille des Gesetzgebers usw.)

§ wichtig: diese Prüfung ist keine Rechtserzeugung! Diese nur dem Parlament als verfassungsänderndem Gesetzgeber vorbehalten - insb. bei Ehe wird auf ihre soziale Funktion abgestellt

o Ehe muss sich auch ein Stück weit sozialem Wandel entgegensetzen können: ist zentrales Element des Gemeinschaftslebens, welches nicht „ohne Weiteres“ durch gesellschaftspolitische Veränderungen ausgehebelt werden kann

o allerdings: wenn sich sozialer Wandel manifestiert, dann muss im Rahmen des oben Gesagten ggf. zu prüfen sein, ob Verfassungs- wandel stattgefunden hat

§ dieser kann sich v.a. durch dahingehende Äußerung des Bundes- tages bei der Abstimmung zur „Ehe für alle“ manifestieren

§ aber: ℗, dass keine verfassungsändernde Mehrheit für Gesetz gestimmt hat à fraglich ist der zugrunde zu legende Maßstab

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233

Sollte die Verfassung zugunsten von Kindern geändert werden?145 - Debatte um Kinderrechte bereits seit den Beratungen zum GG

o dort Vorschlag: in Art. 6 GG sollen auch Kinder besonders geschützt werden

o wurde aber nur erwogen, nicht ernsthaft diskutiert - anschließend: immer wieder aufkommende Diskussion

o insb. im Zusammenhang mit der Umsetzung der UN-Kinderrechts- konvention in deutsches Recht

- schließlich: Koalitionsvertrag der Großen Koalition in dieser Legislaturpe- riode

o Kinderrechte sollen ausdrücklich im GG verankert werden

o bis spätestens Ende 2019 soll entsprechender Vorschlag vorliegen

In welcher Weise sollten Kinder im GG Rechte erhalten?

- Kinderrechte ggü. den Eltern mit Verfassungsrang

o Vorschlag etwa: Beteiligungsrecht, Meinungsfreiheit für Kinder o jedoch: widersprechen dem Schutzkonzept der Grundrechte diamet-

ral à Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat, die zwischen Privaten nur mittelbar wirken

o Art. 6 Abs. 2 GG betrifft zwar das Eltern-Kind-Verhältnis (Pflege-/

Erziehungspflicht der Eltern), bezweckt zuvörderst aber den Schutz des Pflege- und Erziehungsrechts

o Regelung von Rechten der Kinder würde zu unnötiger „Verrechtli- chung“ der Eltern-Kind-Beziehung führen, die familiäre Beziehungen beeinträchtigen würde

- Gewährung besonderer Kinderrechte bei „staatlichen Entscheidungen“

o Vorschlag: ausdrückliches Recht des Kindes auf…

§ Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit

§ besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeu- tung

§ angemessene Meinungs- und Willensberücksichtigung o dies insb. der UN-Kinderrechtskonvention nachempfunden

o jedoch: jedes Kind ist umfassend grundrechtsberechtigt, Grundrechte schützen unabhängig vom Lebensalter

§ Einschränkung nur bei der verfassungsgerichtlichen Geltendma- chung; Stichwort: Grundrechtsmündigkeit

§ Rechte sind also schon heute gewährleistet

o „Beteiligungsrecht“ für Kinder wäre im Grundgesetz ein Fremdkörper à Grundrechte sind Abwehrrechte, keine Beteiligungsrechte, diese werden regelmäßig aus einfachem Recht gewährt

145 Vgl. zum Ganzen den gleichnamigen Aufsatz von Kirchhof, NJW 2018, 2690.

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- Staatszielbestimmung

o Möglichkeit der Einführung einer Staatszielbestimmung für „Generati- onengerechtigkeit“ oder „familienfreundliche Gesellschaft“

o würde Kinder nicht subjektiv berechtigen, sondern Staat objektiv ver- pflichten

o zwar grds. keine ausdrücklichen Staatszielbestimmungen im GG à Schutzpflichten ergeben sich vielmehr aus Grundrechten selbst o allerdings: Einführung kann statthaft sein, wenn es um Bereich geht,

der bisher nicht ausdrücklich von Grundrechten geschützt ist

§ Beispiel: Art. 20a GG für den Umweltschutz

o dann indessen fraglich, wo zu regeln: in Art. 6 GG oder in den Artt.

20 ff. GG?

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235

Vertiefungsfrage: Was schützen die Artt. 7, 9, 33 EU-GRCh?

- bisher keine große Bedeutung des Schutzes der Familie aus Art. 7 EU- GRCh in der Rspr. des EuGH

o weit zu verstehender Schutzbereich

o gleicher Inhalt wie Gewährleistung in Art. 8 EMRK146

- Art. 9 EU-GRCh wiederum schützt wie Art. 8 Abs. 1 EMRK das Recht, ei- ne Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen

o kein Hinweis auf Mann und Frau, wie in Art. 8 Abs. 1 EMRK

o dennoch traditionelles Verständnis der Ehe als Verbindung von Mann und Frau147

o aber: Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, wenn diese in einer ähnlichen Beziehung stehen wie Ehegatten148 - Art. 33 EU-GRCh gewährleistet rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen

Schutz der Familie

o Norm steht in engem Zusammenhang mit Art. 7 und 9 EU-GRCh o str. ob lediglich „Grundsatz“ oder „Grundrecht“

Vertiefungsfrage: Was schützen die Artt. 8, 12 EMRK?

- Art. 8 EMRK enthält einen umfassenden Schutz der Privatsphäre des Einzelnen, wozu auch der Schutz des Familienlebens gehört

- EGMR legt Familienbegriff großzügig aus

o „Nach Auffassung des Gerichtshofs umfaßt das ‚Familienleben‘ i.S.

des Art. 8 zumindest zwischen nahen Verwandten – z.B. zwischen Großeltern und Enkeln – da sie innerhalb der Familie eine beachtli- che Rolle spielen können.“149

o „Wenn ein gleichgeschlechtliches Paar in einer stabilen Beziehung lebt, fällt das genauso unter den Begriff des ‚Familienlebens‘ wie bei einem verschiedengeschlechtlichen Paar in derselben Situation.“150 - Art. 12 EMRK garantiert das bloße Recht für Männer und Frauen, die Ehe

einzugehen und eine Familie zu gründen

o grds. traditionelles Bild von Ehe zwischen Mann und Frau o aber EGMR erkennt erhebliche soziale Veränderungen an

§ der EGMR nimmt „nicht mehr an, dass das […] Recht, eine Ehe einzugehen, unter allen Umständen auf eine Ehe zwischen zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts beschränkt ist.“151

§ gleichwohl kein europäischer Konsens zur gleichgeschlechtlichen Ehe

146 Vgl. GA Trstenjak, BeckEuRS 2012, 680543.

147 Vgl. EuGH, BeckEuRS 2001, 353996 Rn. 34 ff. (Haushaltszulage [2001]).

148 Vgl. EuGH, NJW 2008, 1649, 1653 (Hinterbliebenenversorgung [2008]).

149 EGMR, NJW 1979, 2449, 2452 (nichteheliche Kinder [1979]).

150 EGMR, NJW 2014, 2561 (Eintragung in Geburtsurkunde [2013]).

151 EGMR, NJW 2011, 1421 (Verbot gleichgeschlechtlicher Ehe [2010]).

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236

2. Vereinigungsfreiheit & Koalitionsfreiheit Wiederholungsfragen

- Was umfasst der Schutzbereich von Art. 9 Abs. 1 GG?

o persönlich: sog. Doppelgrundrecht (h.M.), Schutz von Individualper- sonen sowie der Vereinigungen selbst (kollektive Dimension) o sachlich: Vereinigung = freiwilliger Zusammenschluss einer Perso-

nenmehrheit zu gemeinsamem Zweck mit gemeinsamer Willensbil- dung in privatrechtlicher Rechtsform

o auch Schutz negativer Vereinigungsfreiheit: Nichtbeitritt, Austritt - was sind typische Eingriffe in Art. 9 Abs. 1 GG?

o klassischer Eingriffsbegriff: Vereinigungsverbot/-auflösung

o moderner Eingriffsbegriff: nachrichtendienstliche Unterwanderung - was ist zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zu sagen?

o Schranken: nach BVerfG ist Art. 9 Abs. 2 GG eine Schutzbereichsbe- grenzung und kein qualifizierter Gesetzesvorbehalt à nach dem BVerfG daher nur kollidierendes Verfassungsrecht als Schranke o Schranken-Schranken: insb. Herstellung praktischer Konkordanz und

Verhältnismäßigkeit, wobei Art. 9 Abs. 2 GG zu beachten ist - warum wird die Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG besonders ge-

schützt?

o weitergehender Schutz als in Art. 9 Abs. 1 GG

o betont besondere Wichtigkeit von Koalitionen für das Funktionieren der sozialen und partnerschaftlichen (Markt-)Wirtschaft

- was umfasst der Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG?

o persönlich: Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Vereinigungen gem. Art. 19 Abs. 3 GG

o sachlich: Koalitionen (= Vereinigungen nach Art. 9 Abs. 1 GG, die zur Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen operieren)

- was sind typische Eingriffe in Art. 9 Abs. 3 GG?

o Verbot des Streiks (etwa bei Beamten)

o merke: keine Eingriffe sind Ausgestaltungen, Koalitionsfreiheit ist teilweise normgeprägtes Grundrecht

- was ist zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zu sagen?

o Schranken: nur kollidierendes Verfassungsrecht, weil Grundrecht vorbehaltlos gewährleistet (insb. Art. 33 Abs. 5 GG, kirchliches Selbstbestimmungsrecht, Unternehmensautonomie aus Art. 12 Abs. 1 GG)

o Schranken-Schranken: Verhältnismäßigkeit à Herstellung prakti- scher Konkordanz

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Was sind die wesentlichen Aussagen der BVerfG-Entscheidung

„Streikverbot für Beamte“?

Sachverhalt152

- Klägerin ist Lehrerin an staatlicher Schule

o Landesbeamtenrecht sieht vor, dass Beamte Dienstpflicht haben o à kein vorsätzlich unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst zulässig - Klägerin ist Gewerkschaftsmitglied und nimmt an Streiks teil

o aufgrunddessen Versäumnis mehrerer Arbeitstage - zuständige Behörde erlässt disziplinarrechtliche Verfügung

o verbunden mit Geldbuße

o Begründung: Klägerin ist vom Dienst ferngeblieben, dies stellt Dienst- vergehen dar

- Klägerin klagt erfolglos vor VG, OVG und BVerwG, dann Erhebung einer Verfassungsbeschwerde

o Argument: Verletzung in Art. 9 Abs. 3 GG, welches Streikrecht bein- haltet

o Argument: Aus Art. 11 EMRK und Rspr. des EGMR ergibt sich, dass Beamten Streikrecht zukommt

Wesentliche Aussagen des BVerfG

- Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ist eröffnet

o persönlicher Schutzbereich: Jedermanngrundrecht

§ enthält keine Einschränkung für bestimmte berufliche Bereiche à auch Beamte umfasst

o sachlicher Schutzbereich: umfasst die Koalition als solche sowie das Recht, durch spezifisch koalitionsgemäße Betätigung die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke (Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen) zu verfolgen

§ umfasst auch das Streikrecht und Arbeitskampfmaßnahmen - Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG durch Verhängung der Disziplinarmaßnahme

und die bestätigenden Gerichtsurteile

o damit wurde unmittelbar Streikmaßnahme sanktioniert - Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

o Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG ist vorbehaltslos gewährleistet, da- her nur kollidierendes Verfassungsrecht als Schranke möglich

o als solches kommen hier nur die sog. hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums in Betracht

152 BVerfG NVwZ 2018, 1121 (Streikverbot für Beamte [2018]).

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Exkurs: Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums153

- Art. 33 Abs. 5 GG sichert Berufsbeamtentum als wesentliche Stütze des deutschen Staates

o in subjektiver Hinsicht: grundrechtsgleiches Recht, das von Beamten mittels Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann o in objektiver Hinsicht: institutionelle Garantie für das Berufsbeamten-

tum sowie Gestaltungs- und Fortentwicklungsauftrag

- Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums sind der „Kernbe- stand von Strukturprinzipien […], die allgemein oder doch ganz überwie- gend und während eines längeren, Tradition bildenden Zeitraums, min- destens unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich aner- kannt und gewahrt worden sind“154

o Fürsorgepflicht des Dienstherrn o Alimentationspflicht des Dienstherrn

o Treuepflicht der Beamten à hieraus ergibt sich jedenfalls nach bishe- riger Auffassung auch das Streikverbot!

o Gebot der Effizienz und Effektivität der Amtstätigkeit o Einseitige Regelungskompetenz

o Stabilitätsprinzip

o Streikverbot für Beamte als Ausprägung von Treuepflicht und Alimen- tationsprinzip

§ Treuepflicht verlangt, dass Beamter bei Erfüllung seiner Aufga- ben eigene Interessen zurückstellt à Arbeitskämpfe damit nicht in Einklang zu bringen

§ Alimentationsprinzip: Beamter wird lebenslang angemessen ali- mentiert, im Gegenzug verpflichtet er sich bei Eintritt ins Beam- tenverhältnis, seine gesamte Arbeitskraft dem Dienstherrn zur Verfügung zu stellen

o Abwägung Koalitionsfreiheit vs. Streikverbot

§ Streikverbot dient einer stabilen Verwaltung, der Gewährleistung staatlicher Aufgabenerfüllung und damit der Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen

§ Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG trifft Beamte nicht unzumutbar schwer

▫ Streikverbot bedeutet nicht vollkommenes Zurücktreten der Koalitionsfreiheit à Beamter kann trotzdem in Gewerkschaft aktiv sein

▫ aus Alimentationsprinzip folgt außerdem, dass Beamter an- gemessene Alimentation u.U. zwangsweise gerichtlich durch- setzen kann

§ „Nachteile“ des Streikverbots werden durch „Vorteile anderer Gewährleistungen aus Art. 33 Abs. 5 GG“ (insb. Fürsorgepflicht und Alimentationspflicht des Dienstherrn) aufgewogen

153 Vgl. dazu ergänzend: Gröpl, in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Studienkommentar GG, 3. Auf- lage 2017, Art. 33 Rn. 52 ff.

154 BVerfGE 8, 332, 343 (Wartestandsbestimmungen [1958]).

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239

- Einfluss von Art. 11 EMRK

o nach Rechtsprechung des EGMR haben Beamte Streikrecht à frag- lich, inwieweit dies Auswirkungen auf die Rspr. des BVerfG hat o BVerfG erachtet EMRK als eine Rechtsquelle im Rang eines einfa-

chen Bundesgesetzes

o die EMRK und die Rspr. des EGMR sind aber, im Rahmen der völ- kerrechtsfreundlichen Auslegung, zu berücksichtigen

o die Möglichkeiten konventionsfreundlicher Auslegung enden jedoch, wenn diese nach den anerkannten Methoden der deutschen Geset- zesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint

o hier: Streikverbot kommt über Art. 33 Abs. 5 GG Verfassungsrang zu, EMRK steht indessen im Rang eines einfachen Bundesgesetzes à bei der Prüfung, ob Art. 9 Abs. 3 GG betroffen ist, kann EMRK keine Berücksichtigung finden

- abschließender Hinweis: dies ist anders zu beurteilen, wenn sich die Klä- gerin an den EGMR wendet und hier ein Urteil auf Grundlage von Art. 11 EMRK erwirkt

Relevanz der Entscheidung

- praxis- und prüfungsrelevante Entscheidung zu einem etwas „abgelege- nen“ Thema

o aber: hohe Praxisrelevanz der Frage, ob bspw. Lehrer streiken dürfen oder nicht

o prüfungstechnisch interessant abzuprüfen, denn Art. 9 Abs. 3 GG sowie Art. 33 Abs. 5 GG gehören nicht zum „Standardwissen“

- interessante Auseinandersetzung mit EMRK und EGMR

o Ausdruck des „Wettbewerbsverhältnisses“ zwischen BVerfG und EGMR

Was sind die wesentlichen Aussagen der „Pflichtmitgliedschaft IHK“- Entscheidung?

Sachverhalt155

- Bf. sind Mitglieder in der jeweils örtlichen Industrie- und Handelskammer o eine Bf. betreibt als GmbH einen Vertrieb für Aufbauten von Nutz-

fahrzeugen in Memmingen und ist Mitglied der IHK Schwaben

o die andere Bf. betreibt als GmbH ein Reisebüro in Kassel und ist Mit- glied der IHK Kassel

- Mitgliedschaft in der IHK ist als Zwangsmitgliedschaft ausgestaltet o IHK ist ein öffentlich-rechtlicher Zwangsverband, der sich dadurch

auszeichnet, dass seine Mitglieder Zwangsmitglieder sind und für diese eine Pflicht zur Zahlung von Beiträgen besteht

155 BVerfG NVwZ 2017, 1282 (Pflichtmitgliedschaft IHK [2017]), vgl. auch die Entscheidungsan- merkung von Muckel, JA 2017, 878.

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240

- Bf. halten die im IHK-Gesetz (Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern) normierte Beitragspflicht für rechtswidrig

o Klagen gegen die Beitragsbescheide waren erfolglos

o daher Erhebung Verfassungsbeschwerde mit Hinweis auf Verletzung in Rechten aus Art. 9 Abs. 1 GG

Wesentliche Aussagen des BVerfG

- Eröffnung des Schutzbereiches von Art. 9 Abs. 1 GG?

o h.M. in der Literatur hält Art. 9 Abs. 1 GG hier für einschlägig156 o BVerfG jedoch: keine Betroffenheit des Schutzbereichs von Art. 9

Abs. 1 GG, Bf. können sich nur auf Art. 2 Abs. 1 GG berufen

§ Art. 9 Abs. 1 GG zielt auf freiwillige Zusammenschlüsse zu frei gewählten Zwecken à Prinzip freier sozialer Gruppenbildung

§ gesetzlich angeordnete Eingliederung in öffentlich-rechtliche Kör- perschaft entspricht dem nicht à Staat möchte hier bestimmte öf- fentliche Aufgaben unter der kollektiven Mitwirkung privater Ak- teure erledigen

§ Unterschied: Aspekt der Selbstbestimmung

o warum dann nicht negative Vereinigungsfreiheit i.S.v. Art. 9 Abs. 1 GG betroffen

§ diese umfasst gerade das Recht, nicht zwangsweise zu Vereini- gung zusammengeschlossen zu werden

§ hier keine ausdrückliche Argumentation des BVerfG à lediglich Verweis darauf, dass wenn Vereinigungsfreiheit in positiver Hin- sicht nicht betroffen ist, sie dies in negativer Hinsicht auch nicht sein kann (sog. Kehrseitenargument)

- dann: Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 GG

o Allgemeine Handlungsfreiheit schützt vor Inanspruchnahme durch

„unnötige“ Körperschaften - Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG

o Zwangsmitgliedschaft

o Heranziehung zu Mitgliedsbeiträgen

156 Vgl. nur die Nachweise des BVerfG selbst in BVerfG NVwZ 2017, 1282, 1283, Rn. 78 (IHK- Beitragspflicht [2017]).

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- Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

o umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit durch das BVerfG o legitimer Zweck: Vertretung der gewerblichen Wirtschaft ggü. dem

Staat und Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben auf wirtschaftli- chem Gebiet

o Geeignetheit

§ ist bereits gegeben, wenn gewünschter Erfolg gefördert wird

§ hier: ist der Fall, da IHK Förderung der genannten Zwecke wahr- nimmt

o Erforderlichkeit: Vergleich mit freiwilliger Mitgliedschaft in privat orga- nisierten Verbänden

§ wäre weniger belastend, da keine Mitgliedschafts- und Beitrags- pflicht

§ allerdings: weniger effektiv

▫ keine Sicherstellung, dass alle Interessen der Unternehmen und Betriebe angemessen vertreten würden

▫ Problem von „Trittbrettfahrern“, die von Leistung profitieren, ohne Beiträge zu zahlen

o Angemessenheit

§ keine schwere Belastung der Bf. durch die Beitragspflicht à nicht unangemessen hoch bzw. erdrosselnd

§ bei Überschreitung der Aufgaben durch die IHK kann dagegen fachgerichtlich vorgegangen werden

§ hingegen erfüllt die IHK wichtigen Zweck bei Erfüllung öffentlicher Aufgaben und der Vertretung von Gesamtinteressen

Relevanz der Entscheidung

- lange erwartete Entscheidung mit großer praktischer Relevanz o große Relevanz auch für andere Zwangsverbände

§ Rechtsanwaltskammern

§ Ärztekammern o zahlreiche Betroffene

- extrem umstritten im Hinblick auf einschlägiges Grundrecht (Großteil der Literatur stellt auf Art. 9 Abs. 1 GG ab)

o auch hier keine „saubere“ Auseinandersetzung des BVerfG mit nega- tiver Koalitionsfreiheit

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242

Vertiefungsfrage: Wie gewährleisten EU-GRCh und EMRK die Verei- nigungsfreiheit?

- Art. 12 EU-GRCh - Art. 11 EMRK

- beide Vorschriften umfassen sowohl die Vereinigungs- als auch die Koali- tionsfreiheit

o Parallelvorschriften zu Art. 9 GG

o zugleich Parallelvorschriften zu Art. 8 GG (s.o.)

o damit: Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit auf europäischer Ebene zusammen geregelt, während diese im GG getrennt sind

Vertiefungsfrage: Was umfasst der Schutzbereich von Art. 12 EU- GRCh?

- Vereinigung = jeder Zusammenschluss einer Personenmehrheit zu einem gemeinsamen Zweck mit einem Mindestmaß an zeitlicher und organisato- rischer Stabilität

o erforderlich ist gewisse organisatorische Willensbildung

o Rechtsform unerheblich, u.U. auch öffentlich-rechtlichen Vereinigun- gen

o jeder Zweck aus dem politischen, gewerkschaftlichen oder zivilgesell- schaftlichen Bereich ist ausreichend

- Vereinigung muss frei gebildet werden: damit unterfallen Zwangszusam- menschlusse nicht dem Schutz der Norm

- geschützt werden insb. Gewerkschaften, aber auch Arbeitgeberverbände (Koalitionsfreiheit)

Vertiefungsfrage: Wie ist ein Eingriff in Art. 12 EU-GRCh zu rechtfer- tigen?

- Einschränkungen sind nach den Voraussetzungen des Art. 52 Abs. 1 EU-GRCh möglich

- gem. Art. 52 Abs. 3 S. 1 EU-GRCh sind die Vorgaben des Art. 11 Abs. 2 EMRK zu beachten

- insoweit kann auf die Ausführungen oben verwiesen werden

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Vertiefungsfrage: Was umfasst der Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 EMRK?

- konventionsrechtlich autonomer Versammlungsbegriff

o Zusammenschluss von Menschen mit anderen Menschen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen

o Bsp.: politische Parteien, Vereinigungen mit kulturellen, religiösen, sozialen oder auch kommerziellen Zwecken

- darüber hinaus negative Vereinigungsfreiheit o Recht, einer Vereinigung fernzubleiben o Recht, aus einer Vereinigung auszutreten - auch geschützt: Koalitionsfreiheit

Vertiefungsfrage: Wie ist ein Eingriff in Art. 11 Abs. 1 EMRK zu recht- fertigen?

- Eingriffe sind alle Handlungen, die das Bilden oder die Tätigkeit einer Ve- reinigung behindern können und eine Mitgliedschaft in einer solchen vorschreiben

- Eingriffe können nach Art. 11 Abs. 2 S. 1 EMRK gerechtfertigt werden, wenn

o eine gesetzliche Grundlage vorliegt

§ es genügt materielles Recht eine Konventionsstaates

§ auch ungeschriebenes, insb. Richterrecht, ausreichend

§ muss zugänglich und vorhersehbar sein (s.o.) o die einem legitimen Zweck dient, insb. zwei Fallgruppen

§ Verweigerung der Anerkennung einer Vereinigung

§ Zulässigkeit einer Pflichtmitgliedschaft in einer Vereinigung

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244

3. Vertiefung: Elternrecht und Mutterschutz

Vertiefungsfrage: Wen umfasst der persönliche Schutzbereich des El- ternrechts?

- beiden Eltern wird das Elternrecht gemeinsam zugeordnet157 o daher grundsätzlich gemeinsame Ausübung

o Schutz kann gleichwohl von jedem Elternteil individuell begehrt wer- den, da es sich um ein Individualgrundrecht handelt

o Schutz unabhängig davon, ob es sich um verheiratete Eltern, Adopti- veltern oder gleichgeschlechtliche Eltern handelt

- leiblicher und rechtlicher Vater können auseinanderfallen o Folge: Kind mit zwei Vätern

o können sich beide auf Art. 6 Abs. 2 GG berufen, wenn auch in unter- schiedlicher Weise

§ rechtlicher Vater: Träger der Elternverantwortung

▫ „Vater eines Kindes ist der Mann, der zum Zeitpunkt der Ge- burt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist“, § 1592 Nr. 1 BGB

- ob das Kind vor der Eheschließung gezeugt worden ist, ist unerheblich

- gilt auch, wenn die Abstammung des Kindes vom Ehe- mann offenbar unmöglich ist

▫ gesetzliche Vermutung, die im Vaterschaftsanfechtungsver- fahren widerlegt werden kann, vgl. §§ 1600 ff. BGB

§ leiblicher / biologischer Vater: eingeschränkte Möglichkeit zur Er- langung der rechtlichen Vaterschaft

▫ kann Vaterschaft des rechtlichen Vaters nur unter den Vo- raussetzungen des § 1600 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BGB anfech- ten

▫ seit 2013: Umgangs- und Auskunftsrecht nach § 1686a BGB - „sozialer“ Vater: Umgangsrecht mit Kindern, für die er eine enge Bezugs-

person i.S.d. § 1685 BGB war und für die er tatsächlich Verantwortung getragen hat158

157 Vgl. BVerfGE 92, 158, 177 (Adoption II [1995]).

158 Vgl. AG Essen, FamRZ 2011, 1803 (sozialer Vater [2011]).

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Vertiefungsfrage: Was umfasst der sachliche Schutzbereich des El- ternrechts?

- Elternrecht ist lex specialis zu Art. 6 Abs. 1 GG

- Besonderheit: einziges Grundrecht, das nicht nur Rechte, sondern auch eine Pflicht (ggü. dem Kind) begründet, sog. Elternverantwortung und Er- ziehungspflicht (dazu im Folgenden)

- Kindeswohl als Grenze des Elternrechts

o Ausübung des Elternrechts muss sich am Wohl des Kindes als obers- ter Richtschnur orientieren

o insb. zu beachten: zunehmende Selbstständigkeit des Kindes ver- drängt nach und nach elterliche Pflege- und Erziehungsbedürftigkeit, siehe oben

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246

Vertiefungsfrage: Was sind die Kernaussagen der Schülerberater- Entscheidung?

- Elternrecht als Grundrecht und Grundpflicht

„Das Elternrecht ist Freiheitsrecht im Verhältnis zum Staat, der in das Erzie- hungsrecht der Eltern grundsätzlich nur eingreifen darf, wenn das dem Staat nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG zukommende Wächteramt dies gebietet. In der Be- ziehung zum Kind muss das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG statuiert – dies kommt deutlich im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck – Grundrecht und Grundpflicht zu- gleich. […] Elternrecht daher […], eine im echten Sinne anvertraute treuhänderi- sche Freiheit.“

BVerfGE 59, 360, 376 f. (Schülerberater [1981])

„Dem entspricht es, daß mit abnehmender Pflege- und Erziehungsbedürftigkeit sowie zunehmender Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes die im Elternrecht wurzelnden Rechtsbefugnisse zurückgedrängt werden, bis sie schließlich mit der Volljährigkeit des Kindes erlöschen. Abgestufte partielle Mündigkeitsrege- lungen, die an diesen Bezugspunkten ausgerichtet und sachlich begründet sind, stellen daher keine Eingriffe in das Elternrecht dar.“

ebd., 382

- verfassungsrechtliches Kinderrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG abgeleitet

„Die den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auferlegte Pflicht zur Pflege und Erziehung ihres Kindes besteht nicht allein dem Staat, sondern auch ihrem Kind gegenüber. Mit dieser elterlichen Pflicht korrespondiert das Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Recht und Pflicht sind vom Gesetzgeber auszugestalten.“

BVerfGE 121, 69, 69 (Elterliche Erziehungspflicht [2007])

- Wirkung der EMRK und des Völkerrechts wird deutlich

„Die Bundesregierung ist der Auffassung […]. Davon sei auch angesichts von Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Art. 9 Abs. 3 der UN-Kinderrechtekonvention auszugehen, die das Recht des Kindes auf Umgang mit seinen Eltern betonten und das Kindeswohl eindeutig in den Vordergrund stellten.“

ebd., 80

(18)

247

Vertiefungsfrage: Was sind Eingriffe in das Elternrecht?

- keinen Eingriff stellen wiederum Regelungen zur Ausgestaltung des El- ternrechts dar

- Beispiele für Eingriffe

o nach dem klassischen Eingriffsbegriff

§ Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf einen Elternteil159

§ Ausschluss der Eltern von der Hauptverhandlung gegen ihr Kind160

§ Unterbindung von Besuchen der Eltern im Jugendstrafvollzug161 o nach dem modernen Eingriffsbegriff

§ Schaffung eines Gesetzes zur Verteilung des Sorgerechts, das zur Entscheidung nur auf die Situation der Eltern abstellt

Vertiefungsfrage: Wie kann ein Eingriff in das Elternrecht gerechtfer- tigt werden?

- Schranke des sog. Wächteramts des Staates aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG o qualifizierter Gesetzesvorbehalt

o „Erreicht das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß, dass das Kindeswohl nachhaltig gefährdet ist, ist der Staat in Wahrnehmung seines Wächteramtes nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG nicht nur berech- tigt, sondern auch verpflichtet, die Pflege und Erziehung des Kindes sicherzustellen […].“162

- Schranke des Art. 6 Abs. 3 GG o qualifizierter Gesetzesvorbehalt

o danach Trennung des Kindes von den Eltern und der Familie gegen den Willen der Erziehungsberechtigten nur in den engen in der Norm genannten Grenzen zulässig

- i.Ü. kollidierendes Verfassungsrecht als Schranke

Vertiefungsfrage: Ist das Elternrecht in der EU-GRCh geschützt?

- keine Normierung eines Elternrechts in der EU-GRCh

- lediglich Art. 14 Abs. 3 EU-GRCh als Bestimmung, dass das Recht der Eltern geachtet wird, die Erziehung ihres Kindes sicherzustellen

- Art. 24 Abs. 3 EU-GRCh normiert ein Recht der Kinder auf persönliche Beziehungen zu beiden Elternteilen

- Art. 24 EU-GRCh enthält ein Kindergrundrecht, wie es das GG wiederum nicht kennt

- damit wird die Stellung des Kindes ggü. den Eltern aufgewertet

159 Vgl. BVerfGE 61, 358, 371 (Sorgerecht [1982]).

160 Vgl. BVerfGE 107, 104, 122 (Anwesenheit im JGG-Verfahren [2003]).

161 Vgl. BVerfGE 116, 69, 87 f. (Jugendstrafvollzug [2006]).

162 BVerfGE 103, 89, 107 (Unterhaltsverzichtsvertrag [2001]).

(19)

248

Vertiefungsfrage: Ist das Elternrecht in der EMRK geschützt?

- keine explizite Normierung eines Elternrechts in der EMRK - Schutz des Elternrechts umfasst von Art. 8 Abs. 1 EMRK

o EGMR hat festgestellt dass sich „aus Art. 8 EMRK das Recht eines jeden Elternteils auf Maßnahmen ergibt, die geeignet sind, ihm ein Zusammenleben mit seinem Kind zu ermöglichen, und die Verpflich- tung für die Behörden, solche Maßnahmen zu ergreifen“163

o Trennung von der Familie als starker Eingriff und daher nur unter ge- wichtigen Argumenten im Sinne des Kindeswohls zulässig164

Vertiefungsfrage: Wen umfasst der persönliche Schutzbereich des Mutterschutzes?

- geschützt ist jede Mutter, d.h. jede Frau, die im biologisch-medizinischen Sinn Mutter ist

o vom Schutz erfasst ist insb. auch die werdende Mutter165

o nach der Literatur sollen auch Ersatz- und Leihmütter vom Schutzbe- reich umfasst sein (str.)

o die „soziale“ Mutter soll nicht vom Schutzbereich umfasst sein (str.)

§ Adoptiv-, Pflege- oder Stiefmutter166

- das werdende Kind hat ebenfalls nicht an der Gewährleistung teil167

Vertiefungsfrage: Was umfasst der sachliche Schutzbereich des Mut- terschutzes?

- sachlicher Schutzbereich geprägt durch den Zweck der Verfassungs- norm, Belastungen durch die biologische Mutterschaft zu kompensieren - diese resultieren zumeist in verminderter Arbeitsfähigkeit

o große Relevanz des Grundrechts im Arbeitsrecht - daher umfasst:

o wirksamer Kündigungsschutz168

o Gewährung einer Schonzeit vor und nach der Geburt

163 EGMR, NJW-RR 2007, 1225, 1227 (Bianchi ./. Schweiz [2006]).

164 EGMR, v. 24.3.1988, 10465/83 (Olsson ./. Schweden).

165 BVerfGE 32, 273, 277 (Mutterschutz I [1972]).

166 BAG NJW 1984, 630, 632 (Mutterschaftsurlaub [1983]).

167 Vgl. BVerfGE 61, 18, 27 (Sozialhilfeleistungen für Körperbehinderte [1982]).

168 Vgl. BVerfGE 32, 273, 277 (Mutterschutz I [1972]).

(20)

249

Vertiefungsfrage: Was sind Eingriffe in den Mutterschutz?

- Eingriffe sind alle staatliche Maßnahmen, die über die reine Mutterschaft hinausgehende Belastungen für die Mutter verursachen oder verstärken (moderner Eingriffsbegriff)

- Beispiele

o nach dem klassischem Eingriffsbegriff

§ Bußgeldbescheid an Beamtin für schwangerschaftsbedingtes Nicht-Erscheinen am Arbeitsplatz

o nach dem modernen Eingriffsbegriff

§ defizitärer gesetzlicher Kündigungsschutz

§ unzureichende richterliche Kontrolle des Inhalts einer ehevertrag- lichen Vereinbarung mit einer werdenden Mutter169

Vertiefungsfrage: Können Eingriffe in den Mutterschutz gerechtfertigt werden?

- keine ausdrücklichen Schranken des Mutterschutzes - daher: vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht

o Rechtfertigung lediglich durch kollidierendes Verfassungsrecht als verfassungsimmanente Schranke

o Schranken-Schranke: Herstellung praktischer Konkordanz

Vertiefungsfrage: Ist der Mutterschutz in Europa gewährleistet?

- Mutterschutz verbürgt in Art. 33 Abs. 2 EU-GRCh

o Wortlaut gleichwohl nicht begrenzt auf „Mütter“:

jeder Mensch kann sich darauf berufen

§ damit insb. auch der Vater sowie ausdrücklich auch Adoptiveltern o Schutzumfang: 3 Varianten

§ Var. 1 und 2 schützen Stadium der Mutterschaft arbeitsrechtlich

§ Var. 3 gewährleistet den darüber hinausgehenden Elternurlaub - keine Gewährleistung in der EMRK (!)

169 Vgl. BVerfGE 103, 89, 102 (Unterhaltsverzichtsvertrag [2000]).

Referenzen

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