• Keine Ergebnisse gefunden

Mary Loudon Meine fremde Schwester

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Mary Loudon Meine fremde Schwester"

Copied!
22
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)
(2)
(3)

fremde Schwester

Eine Geschichte von Schizophrenie, Identität und einer Frau namens Stevie

Aus dem Englischen von Sebastian Vogel

MANHATTAN

(4)

Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel

»Relative Stranger – A Life After Death«

bei Canongate Books Ltd, Edinburgh

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100

Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte Papier EOS liefert Salzer, St. Pölten.

Manhattan Bücher erscheinen im Wilhelm Goldmann Verlag, München, einem Unternehmen der Verlagsgruppe

Random House GmbH 1. Auflage

Copyright © der Originalausgabe 2006 by Mary Loudon Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2006

by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Published by arrangement with Canongate Books Ltd, Edinburgh

Die Nutzung des Labels Manhattan erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Hans-im-Glück-Verlags, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

Druck und Einband: GGP Media Gmbh, Pößneck Printed in Germany

ISBN-10: 3-442-54597-8 ISBN-13: 978-3-442-54597-1

www.manhattan-verlag.de

SGS-COC-1940

(5)

Clare and Jane,

meine wunderhübschen Töchter, dieses Buch ist für euch

(6)
(7)

Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?

Matthäus Kapitel 6, 25

(8)
(9)

Inhalt

Erster Teil: Ende

Gleiche Zeit, anderer Ort . . . 13

Der Anruf, vor dem sich jeder fürchtet . . . 15

Schock . . . 17

Wut (und einiges an Bewunderung) . . . 18

Trauer . . . 19

Akzeptanz . . . 20

Erleichterung . . . 21

Was die Leute so sagten, als sie davon erfuhren . . . 22

Träume und Albträume . . . 23

Worte und Bilder . . . 31

Besuch im Leichenschauhaus . . . 43

Krebsstation . . . 52

Schauplätze . . . 67

Die Schrift an der Wand . . . 94

Was ist eine Garderobe? . . . 112

Seltsame Vorkommnisse, Teil 1: Catherines Testament . . . 124

Seltsame Vorkommnisse, Teil 2: Das Verschwinden . . . 134

Begräbnis . . . 141

9

(10)

Zweiter Teil: Mitte

Danach . . . 145

Beethoven auf Bahnsteig 1 . . . 149

Rückzug . . . 169

Stevie . . . 181

Immer im Kreis herum . . . 200

Cath . . . 207

Offene Tür . . . 230

Was für eine Schwester sind Sie eigentlich? . . . 242

Was für eine Schwester war ich eigentlich? . . . 246

Was von jenem Tag übrig blieb . . . 262

Telegramm . . . 273

Indien, Sommer 1973: Tagebuch eines Vaters . . . 274

Verloren und gefunden . . . 299

Diese andere Außenseiterin . . . 301

Seltsame Vorkommnisse, Teil 3: Das Frank-Sinatra-Rätsel . . . 327

Das Familienzimmer . . . 330

Nicht verfolgte Spuren . . . 343

Dritter Teil: Anfang Das Ende eines langen Weges . . . 361

Jetzt . . . 396

Verschwinden . . . 411

Danksagung . . . 412

(11)

Erster Teil

ENDE

(12)
(13)

Gleiche Zeit, anderer Ort

Am 27. Januar 2001, während ich auf Skiern einen Berg in Frankreich hinuntersauste, lag meine Schwester Catherine in England im Sterben. Ich wusste nicht, dass man sie ins Krankenhaus eingewiesen hatte, ich wusste nicht, dass sie krebskrank war, und die Identität, unter der sie lebte, war mir völlig unbekannt.

Catherine war meine älteste Schwester, das dritte von fünf Kindern. Das fünfte und jüngste bin ich. Als sie starb, war sie siebenundvierzig und ich vierunddreißig.

Als Kinder einer wohlhabenden Familie waren wir zwei- fellos privilegiert. Von außen betrachtet, konnten wir recht unangenehm wirken. Wir wuchsen in einem schönen Haus auf, und unsere Eltern liebten uns. Wir erhielten eine um- fassende Schulbildung, reisten viel und wurden ganz allge- mein gefördert. Als ich zu Hause auszog, ging es mir gut. Ich besuchte die Universität, hatte meinen Bekanntenkreis, ging auf Partys und war mit dem Rucksack unterwegs. Dann schrieb ich die ersten Bücher, kaufte ein Haus und hatte eine ganze Reihe netter Männerbekanntschaften. Schließ- lich heiratete ich einen liebenswerten Mann und bekam ein Kind. Sicher, das eine oder andere ging auch schief, und als ich Anfang zwanzig war, litt ich einmal an ziemlich schwe- ren Depressionen, aber davon abgesehen meinte das Schick- sal es wirklich gut mit mir.

13

(14)

Als Catherine auszog, fuhr sie für ein Jahr nach Indien.

Dort erkrankte sie schwer; sie erlitt den Zusammenbruch, von dem sie sich nie mehr ganz erholte, und dann ver- schwand sie. Nach einer gefahrvollen Suche durch das Außenministerium und unseren Vater wurde sie gefunden, aber dann verschwand sie ein zweites Mal. Einige Zeit später kehrte sie schließlich als gebrochene Frau nach England zu- rück.

Danach zog sie nach Oxford – erst in ein möbliertes Zim- mer, dann ins Gefängnis der Stadt, und dann nach Warne- ford, in die psychiatrische Klinik von Oxford. Es folgten ein kurzer Abstecher ins Holloway-Gefängnis und ins Londo- ner Guy’s Hospital, und am Ende wohnte sie in aller Stille in einer Sozialwohnung in Bristol. Dort hatte sie ihr eigenes Zuhause. Anfangs stand es nur Obdachlosen und Land- streichern offen, später niemandem mehr. Seit sie zwanzig war, hatte sie anscheinend keinen Liebhaber mehr gehabt, und wir, ihre Angehörigen, waren als Besucher nicht er- wünscht. Es gab für sie keinen Urlaub, keine Partys, keine feste Arbeit und keine Kinder. Einmal besaß sie eine Zeit lang einen Hund, den sie liebte.

In den letzten elf Jahren ihres Lebens bat Catherine uns nur wenige Male, sie zu besuchen, und jedes Mal lud sie uns wieder aus. Wir sahen sie nicht lebend wieder.

Es scheint, als hätten Catherines und mein Leben an dem gleichen Punkt begonnen, doch das stimmt nicht. Sie hatte Schizophrenie, ich nicht.

14

(15)

Der Anruf,

vor dem sich jeder fürchtet

Am nächsten Tag sollte meine Mutter uns in unserem Haus in Wales besuchen. Als sie anrief, dachte ich, sie wolle mit mir die üblichen Einzelheiten besprechen: ob sie ihren Hund mitbringen sollte, warum sie nicht durch das Zentrum von Hereford fahren würde, und was sie meinem Vater zu essen dalassen sollte.

Aber stattdessen sagte sie: »Ich habe schlechte Nachrich- ten. Es geht um Catherine.«

»Catherine?«

Es ist die Art meiner Mutter, immer sofort zur Sache zu kommen.

»Catherine ist gestorben.«

»Oh nein. Ach, Mama.«

Andrew, mein Mann, war gerade bei den Nachbarn. Ich rief dort an und fragte nach ihm.

»Hallo«, meldete er sich, »was ist los?«

»Bitte komm sofort nach Hause.«

Im Hintergrund hörte ich fröhliche Stimmen. Andrew lachte, weil irgendjemand etwas gesagt hatte. Er war nicht bei der Sache.

»Was ist denn, Schatz?«

»Schon gut, es ist nicht wegen des Babys. Meine Schwes- ter ist tot. Catherine ist gestorben.«

15

(16)

Zu Weihnachten hatte man Catherine mit einer fortge- schrittenen, inoperablen Krebserkrankung ins Royal Infir- mary in Bristol eingewiesen, und dort hatte sie nachdrück- lich behauptet, sie habe keine Angehörigen.

Zwei Eltern, vier Geschwister, alle mit Ehepartnern und Kindern. Keine Angehörigen?

Deshalb war es kein Wunder, dass das Krankenhaus uns nicht benachrichtigt hatte – schließlich war sie kein kleines Kind, sondern eine Frau von siebenundvierzig Jahren. Am 27. Januar starb sie, ohne Blumen, ohne Obstkorb, ohne Grußkarten und ohne Angehörige, und genau so hatte sie es offensichtlich gewollt. Als sie tot war, überprüften die Be- hörden ihre Wohnung, und dabei wurden die ungeöffneten Briefe gefunden. Irgendjemand las sie und fand eine Adresse.

Jemand anders zählte – allerdings nicht übermäßig schnell – zwei und zwei zusammen, und elf Tage später rief jemand vom Bezirksamt in Bristol meine Eltern an.

Ehrlich, wir hatten Glück. So hätte es nicht kommen müssen. Sie hätte dieses letzte Mal für immer verschwinden können. So hatten wir vermutlich noch einen gewissen Trost. Es gab eine Leiche, und eine Leiche bedeutet eine Beerdigung. Und eine Beerdigung wiederum ist eine Art Begegnung, wenn auch eine einseitige.

16

(17)

Schock

Man stelle sich eine Wand aus Löschpapier vor, und ohne Vorwarnung stößt eine riesige Faust hindurch.

So ungefähr fühlte es sich an, wenn man sich das ausma- len kann.

17

(18)

Wut

(und einiges an Bewunderung)

»Keine nächsten Angehörigen?«, fragt ein enger Freund der Familie. »Mann, was die Aggressivität des Leugnens angeht, hätte es ebenso gut Selbstmord sein können.«

Und ein anderer fügt hinzu: »Ein stures Biest war sie schon immer, das muss man ihr lassen.«

18

(19)

Trauer

Die Welt wurde dunkelgrau. Dass es Februar war, machte die Sache auch nicht besser.

19

(20)

Akzeptanz

Was gibt es da nicht zu akzeptieren? Den Tod kann man nicht rückgängig machen.

20

(21)

Erleichterung

Außerhalb der Familie brachten fast alle ihre Erleichterung zum Ausdruck, als sie erfuhren, dass es sich bei der toten Schwester um Catherine handelte und nicht um meine andere Schwester oder mich. Auch Dankbarkeit wurde ge- äußert, wenn man den Leuten erzählte, dass sie eines na- türlichen Todes gestorben war. Jeder glaubt, Schizophrene würden Selbstmord begehen, wenn sie nicht andere um- bringen.

21

(22)

Was die Leute so sagten, als sie davon erfuhren

Ein Nachbar: »Sehen Sie es doch mal so. Wenigstens brau- chen Sie sie nicht zu pflegen, wenn sie alt ist.«

Ein ehemaliger Liebhaber: »Liebling, das tut mir wirklich Leid, das ist absolut entsetzlich, aber weißt du was? Manche Menschen sind für diese Welt bestimmt und andere nicht.«

Ein Freund der Familie: »Wenigstens war es nur Krebs. Stell dir nur vor, wie viel schlimmer es hätte sein können, wo sie doch – du weißt schon.«

Verschiedene andere: »Gott sei Dank hat sie sich nicht das Leben genommen.«

»Wenigstens hat sie jetzt ihren Frieden.«

»Irgendwie muss es ja eine Erlösung gewesen sein.«

»Nun ja, so richtig nahe hast du ihr doch nicht gestanden, oder?«

»Wie furchtbar für deine Eltern. Aber irgendwie ist es bes- ser, dass sie wissen, was mit ihr geschehen ist, als dass sie die Frage mit ins Grab nehmen.«

»Oh, das tut mir schrecklich Leid. Ich dachte, sie wäre schon lange tot.«

22

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Aber mit zunehmendem Alter übernimmt der Vater die Erziehung – und da beginnen sich die Wege zu trennen: Schon früh äußert der Vater, Fanny sei vielleicht doch nicht so begabt wie

Heute ist es damit vorbei, heute ist das Problem eher, daß gewisse neuere Wissenschaftszweige wie Soziologie oder Psychologie noch nicht auf breiterer Front in der Akademie

Die meisten Leute verwenden Bleiche ganz nach Belieben, da sie es für ein Allzweckmittel halten und sich nicht die Zeit nehmen, um die Liste mit den In- haltsstoffen durchzulesen

Mit 17 Jahren reiste Florence mit ihrer Familie durch Südfrankreich nach Italien, wo sich ihr eine neue Welt erschloss.. Sie wurde strahlender Mittelpunkt vieler Feste, besuchte

Unter seinen Opfern befanden sich vor allem ide- alistische Jugendliche, die auf einer idyllischen Insel über eine bessere Welt diskutierten.. Die Mordtat ereignete sich ausge-

Sie versuchte mir klar zu machen, dass das Thema Behinderung für viele Menschen noch etwas befremdlich sei und ich lerne müsse, dass viele meine Schwester als „anders“ sehen

Ich könnte sagen … schon tausende Jahre, aber das weiß ich nicht Lassen wir es also dabei, dass ich sie schon sehr lange

© Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) und Stiftung Pro Kind AlltagFamilie und Freunde/