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KONFLIKTE IN RUSSLAND UND DER GEMEINSCHAFT UNABHÄNGIGER STAATEN (GUS) UND WEGE ZU IHRER VERMEIDUNG

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KONFLIKTE IN RUSSLAND UND DER GEMEINSCHAFT UNABHÄNGIGER STAATEN (GUS) UND WEGE ZU IHRER VERMEIDUNG

Viktor S. RYKIN

Konflikte dürfte es wohl immer geben. Sie sind eine Auswirkung von Widersprüchen, die ihrerseits eine treibende Kraft der Gesellschaft sind, d.h. ohne Widersprüche ist Entwicklung nicht denkbar. Es stellt sich jedoch die Frage, auf welche Art und Weise diese Widersprüche aufgehoben werden. In diesem Kontext ist auch die Zweckmäßigkeit militärischer

Interventionen zu betrachten.

Interventionen

In der russischen Sprache hatte der Begriff "Intervention" immer - d.h. in der Zarenzeit, in der sowjetischen Periode oder in der Gegenwart - einen stark ausgeprägten negativen Charakter.

Dies läßt sich z.B. in den Wörterbüchern aus diesen historischen Epochen verfolgen. Das Wort "Intervention" (eine Ableitung aus dem Lateinischen "interventio") bedeutet, so ein russisches Wörterbuch, im Bereich des internationalen Rechts eine gewaltsame Einmischung eines oder mehrerer Staaten in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates bzw. in dessen Beziehungen zu Drittländern. Sie kann als eine der Formen einer Aggression militärisch sein.

Die Rechtfertigung einer Aggression bedeutet daher, das Recht auf militärisches Eingreifen als etwas Legitimes zu betrachten. Das 20. Jahrhundert liefert einige anschauliche Beispiele für Interventionen. Im Jahre 1918 gab es eine Intervention von 14 Staaten gegen das junge Sowjetrußland. Eine Intervention war unverkennbar der Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion 1941, das militärische Eingreifen der USA in Vietnam in den 60er Jahren, aber auch der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan 1979. Eine Intervention war unbestreitbar der Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei 1968. Diese Liste ließe sich leicht fortsetzen. Dabei fällt dem Betrachter eine Gesetzmäßigkeit auf: Den Interventen gelang es nur selten, das angestrebte Ziel zu erreichen. Die Intervention führte meist dazu, daß sich die Betroffenen fester zusammenschlossen. Beim Bürgerkrieg in Rußland trugen Verfechter linker Umgestaltungen den Sieg davon. Hitlerdeutschland erlitt im Zweiten Weltkrieg eine verheerende Niederlage. In Vietnam kam es zur Wiedervereinigung des Landes nach kommunistischen Vorzeichen. Aus Afghanistan mußte die Sowjetarmee 1989 abziehen, ohne den islamischen Widerstand besiegt zu haben. Tschechen und Slowaken haben lange die Kränkung nicht verwunden, die man ihrem nationalen Stolz zugefügt hat.

Bedauerlicherweise schien der militärische Weg denjenigen, die als Initiatoren einer Intervention auftraten, stets der wirksamste und der rascheste Weg zum Ziel zu sein. Im Spätherbst 1941 konnten die deutschen Soldaten durch ihre Feldstecher bereits die Türme des Moskauer Kreml sehen. Jüngst veröffentlichte Archivdokumente zeugen davon, daß die Führung der Sowjetarmee, die besonders weitsichtig war, sich nachdrücklich dafür einsetzte, auf den Einmarsch in Afghanistan zu verzichten und dem Land die Gelegenheit zu geben, seine internen Probleme selbst zu lösen. Heute aber muß eine ganze Generation von Bürgern des postsowjetischen Rußland unter einem "Afghanistan-Syndrom" leiden.

Ethnische Konflikte in der GUS

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Interventionen können eine Methode zur Bearbeitung von ethnischen Konflikten sein, die u.a.

auf dem Balkan und in der ehemaligen Sowjetunion ausgebrochen sind. Der Ausgangspunkt der ältesten entsprechenden und bis heute virulenten Auseinandersetzung liegt bereits zehn Jahre zurück: Am 20.2.1988 hat der Gebietssowjet der armenischen Enklave Berg-Karabach den Austritt aus dem Bestand der Aserbaidschanischen Sowjetrepublik und die Vereinigung mit Armenien beschlossen. Dies war der äußerliche Auslöser für zwei miteinander eng

verflochtene Prozesse, nämlich den Zerfall der UdSSR und den Eintritt ihrer Nachfolgestaaten in eine Zeit der Konflikte und Kriege. Damit ist das Jahr 1998 ein "Jubiläum" besonderer Art:

Die letzten zehn Jahre haben der UdSSR bzw. GUS mehr als 30 innere Zusammenstöße, Konflikte geringerer Intensität und Kriege mit insgesamt rund 4 Mio. Flüchtlingen und fast 200.000 Gefallenen gebracht. In den Kämpfen um Berg-Karabach sind auf beiden Seiten seit 1988 13.000 Personen umgekommen, im Bürgerkrieg im mittelasiatischen Tadschikistan 50.000 (vorwiegend Zivilisten); im zu Moldowa gehörenden Dnjestr-Gebiet gab es 1992 3.000 Tote und 5.000 Verwundete. Der Konflikt zwischen der Zentralregierung Georgiens und der um Abspaltung bemühten autonomen Republik Abchasien forderte 1992/93 20.000 Tote. Die Bilanz des Krieges in der autonomen Republik Tschetschenien (1994-96) lautet:

100.000 Tote und 20.000 Verwundete unter der Zivilbevölkerung; zudem kamen 4.500 russische Militärangehörige und 1.500 tschetschenische Kämpfer um.

Nach Angaben des russischen Föderalen Migrationsdienstes wurden in Rußland 1,3 Mio.

Flüchtlinge registriert, doch nach Schätzungen unabhängiger Experten hat die Zahl der Flüchtlinge bereits 4 Mio. erreicht. Der Karabach-Konflikt machte 1,2 Mio. Armenier und Aserbaidschaner zu Flüchtlingen. 523.000 Menschen verließen Tadschikistan, und 297.000 Personen (v.a. Georgier) verließen freiwillig oder unfreiwillig Abchasien.

Die Geschichte der neuen Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion weist erstaunlich viele Gemeinsamkeiten auf. Rußland sieht sich veranlaßt, seine staatliche Integrität angesichts der Streitigkeiten mit den nationalen Minderheiten mit den gleichen Anstrengungen zu behaupten wie das relativ kleine Georgien in Verbindung mit den separatistischen Bestrebungen Südossetiens und Abchasiens. Dort wie auch im (zum Unterschied vom übrigen Moldowa) slawisch geprägten Dnjestr-Gebiet ist die Präsenz russischer Truppen ein Faktor, der das Wiederaufflammen großmaßstäblicher Kämpfe verhindert. Allerdings geht es in diesen Fällen bereits nicht mehr um eine Intervention, sondern um eine neue Funktion für Streitkräfte.

Die Wurzeln der meisten der im Zuge des Zerfalls der UdSSR bzw. kurz danach eskalierten Konflikte liegen in der (mitunter fernen) Vergangenheit. In Rußland sind sich Wissenschaftler und Publizisten (Enrid Alajew, Tejmuras Mamaladse u.a.), die sich heute ernsthaft mit diesen Fragen befassen, bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Auffassungen darüber einig, daß die Ursachen der Nationalitätenkonflikte in der willkürlichen Vorgangsweise zu suchen sind, mit der man früher versuchte, einen multinationalen Staat zu errichten. So wurden die nationalen Territorien in Übereinstimmung mit den entsprechenden politischen Erfordernissen festgelegt und geändert.

Nach einer gängigen These aus den 20er Jahren gehörten zur Sowjetunion 1. Gebiete mit nomadisierender und halbnomadisierender Bevölkerung; 2. Gebiete, die das Stadium des Industriekapitalismus durchgemacht haben und 3. andere Gegenden. Es wurde damals die Aufgabe gestellt, Wirtschaft und Kultur der verschiedenen Nationalitäten der UdSSR in einem höheren Tempo zu entwickeln. Der Gerechtigkeit wegen sollte man einräumen, daß die überwiegende Mehrheit der Nationalitäten Rußlands erst nach der Oktoberrevolution von 1917 erstmals ein Staatswesen erlangt hat. Doch dies wäre bereits eine andere

Forschungsfrage.

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Die ethnischen Konflikte auf dem Territorium der GUS werden von russischen Politologen heute durch zwei Paare von antagonistischen Faktoren erklärt: Einerseits ringen manche Kräfte um die Selbstbestimmung der Völker, d.h. treten für das Fortbestehen der jeweiligen Muttersprache als offiziell anerkannter Sprache, Autonomisierung, Souveränisierung bis hin zur Loslösung von einem anerkannten Staat und Bildung eines eigenen Staates ein. Dem wirken Kräfte entgegen, die für die territoriale Integrität des bestehenden Landes eintreten.

Ein weiteres Kräftepaar bilden jene Personen, die die Macht gewinnen wollen, und jene, die bestrebt sind, ihre Macht zu behalten.

Enrid Alajew, Professor am Institut für Ökonomie der Akademie der Wissenschaften Rußlands, vertritt den Standpunkt, daß es noch eine fünfte Kraft gibt, die an

Konfliktsituationen interessiert sei, nämlich das organisierte Verbrechen. Tatsächlich haben Kriminelle am schnellsten jene Möglichkeiten erkannt, die sich aus den Konflikten ergeben, und konsequent hat die Kriminalität in Konfliktzonen drastisch zugenommen. Es steht fest, daß sich irreguläre bewaffnete Formationen auch aus Verbrechern rekrutieren.

In Rußland wird zunehmend die Auffassung vertreten, daß die wichtigste Ursache für die Auseinandersetzungen der jüngsten Vergangenheit in der GUS nicht etwa aus ethnischen Problemen besteht, sondern im Wirtschaftsbereich liegt: Der Kampf um die Macht ist seinem Wesen nach oft letztlich ein Kampf um wirtschaftliche Privilegien für sich selbst und die eigenen Anhänger. Dies kann sich dann mit Nationalismus, Berufungen auf das

Selbstbestimmungsrecht der Völker oder - was in der jüngsten Vergangenheit besonders in Mode ist - religiösen Motiven vermischen.

Es fragt sich nun, ob diese Konflikte lösbar sind. Der blutige Konflikt in Tschetschenien (1994-96) war nach Überzeugung des Autors vermeidbar. Die wesentlichsten Gründe für ihn waren bzw. sind in der wirtschaftlichen Notlage des in der Vergangenheit Repressalien ausgesetzten tschetschenischen Volkes zu suchen. Bereits vor Jahrzehnten hatte

Tschetschenien die höchste Arbeitslosigkeit in der ganzen UdSSR zu verzeichnen gehabt.

Gerade auf dieser Grundlage ist die Saat von Separatismus, nationaler Feindseligkeit und Fanatismus aufgegangen. Ähnliche Erscheinungen sind allerdings auch in zivilisierteren Ländern vorgekommen.

Doch zurück zu den historischen Fakten, ohne die die Gegenwart unverständlich bleibt und auch keine Vorhersagen möglich sind. Im Jahre 1900 gab es insgesamt 57 unabhängige Staaten. Heute sind es mehr als 200, d.h. ihre Zahl hat sich fast vervierfacht. Offiziell gibt es mehr als 3.000 Völker auf der Erde. Es ist somit nicht undenkbar, daß - obwohl gleichzeitig in verschiedenen Teilen der Welt politische und wirtschaftliche Integrationsprozesse zu

beobachten sind - die Vermehrung der Staaten wie durch eine "Zellteilung" vor sich gehen könnte. Vor diesem Hintergrund hat sich das Prinzip eines föderativen Staatsaufbaus bewährt.

Es gibt zur Zeit mehr als zwei Dutzend solche Staaten; sowohl Rußland als auch Österreich gehören dazu.

Die "Konzeption der nationalen Sicherheit" Rußlands

Wirtschaft, Gesellschaft und Militär Rußlands stecken in einer schweren und hartnäckigen Krise. Auch die negativen Erscheinungen im Bereich der föderativen Beziehungen zwischen den Nationalitäten waren und sind besorgniserregend. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, das System der offiziellen Auffassungen zur nationalen Sicherheit Rußlands, zum Charakter der Bedrohungen der Interessen des Staates sowie der Ziele und Strategien zur Sicherung dieser Interessen (so auch die Rolle der Streitkräfte bei der Gewährleistung der Sicherheit) zu präzisieren. Diesem Zweck dient die durch einen Erlaß von Präsident Boris Jelzin am

17.12.1997 bestätigte "Konzeption der nationalen Sicherheit der Rußländischen Föderation".

Dieses programmatische Dokument, an dem mehrere Jahre lang gearbeitet worden war, ist zur

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Festlegung der Politik Rußlands in allen für die Sicherheit relevanten Bereichen unverzichtbar.

Außerdem macht sich das Fehlen einer geistigen Grundlage, die imstande wäre, die

Gesellschaft zusammenzuschließen, zunehmend negativ bemerkbar. Es bedarf eines gewissen integrierenden Faktors, der zur Herstellung eines umfassenden Einvernehmens über die gegenwärtig wichtigsten gesamtrussischen Interessen, Ziele und Möglichkeiten beitragen könnte. Das gesamte System zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit Rußlands soll mit den Realitäten der internationalen Lage, den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Staates und dem Grad der geistigen Bereitschaft der Gesellschaft zu Veränderungen in Einklang gebracht werden.

Die "Konzeption der nationalen Sicherheit" ist als politisches Dokument zur

methodologischen Grundlage für Planung und Umsetzung des gesamten Prozesses des Staatsaufbaus im Bereich der nationalen Sicherheit vorgesehen. Es ist insbesondere darauf zu verweisen, daß das Dokument davon ausgeht, daß die nationalen Interessen Rußlands auf dem Gebiet der Wirtschaft ausschlaggebend und systembestimmend sind. Im Hinblick auf deren Wichtigkeit wurden Probleme wie Rückstände bei der Auszahlung von Gehältern, die Zerrüttung des Finanzsystems, die unzureichende soziale Absicherung, die Zerstörung des wissenschaftlich-technischen Potentials des Staates, das niedrige Niveau an Investitionen und die einseitige Orientierung der Exportwirtschaft auf Roh- und Brennstoffe betont. Daraus ergab sich eine überaus wichtige konzeptuelle Schlußfolgerung: Die wichtigsten Bedrohungen für Rußlands Sicherheit liegen heute und in absehbarer Zukunft in den Bereichen Wirtschaft, Innenpolitik und Soziales und weisen somit vorwiegend nichtmilitärischen Charakter auf.

Die qualitativ neuen Beziehungen zu den führenden Staaten der Erde und die minimale Wahrscheinlichkeit der Entfesselung eines großen Krieges gegen Rußland in absehbarer Zukunft erlauben es, angesichts des Fortbestehens eines nuklearen Abschreckungspotentials Rußlands Ressourcen so umzuverteilen, daß eine Konzentration auf Probleme der inneren Sicherheit erfolgen kann.

In der "Konzeption der nationalen Sicherheit" wird hervorgehoben, daß der Prozeß der Errichtung eines Modells gemeinsamer und allumfassender Sicherheit für Europa mit Grundsätzen, die nicht zuletzt von Rußland entwickelt worden waren, mit erheblichen

Schwierigkeiten verbunden ist. Die Perspektive einer NATO-Osterweiterung ist, so stellt auch die "Konzeption" klar, für Rußland nicht akzeptabel, da dies eine Bedrohung seiner

nationalen Sicherheit darstelle. Der Begriff "Intervention" kommt in dem Dokument nicht vor. Es ist lediglich davon die Rede, daß eine Zuspitzung des Machtkampfes wegen der Umverteilung von Eigentum auf der Grundlage von gruppenbedingten ideologisch-politischen und ethno-nationalistischen Interessen zu einer zunehmenden Bedrohung durch Terrorismus führt.

Der Schutz des russischen Föderalismus schließt zielgerichtete Tätigkeiten zur Unterbindung der Anschläge auf die territoriale Integrität des Landes, das System der Organe der

Staatsmacht und die Einheitlichkeit des Rechtsraumes mit ein. Das Hauptziel bei der

Verteidigung des russischen Föderalismus besteht darin, keine Transformation der föderativen zu konföderativen Verhältnissen zuzulassen.

In der "Konzeption" heißt es auch, daß die Vertiefung und Entwicklung der Beziehungen zu den Mitgliedsländern der GUS der wichtigste Faktor ist, der dazu beiträgt, ethnopolitische und zwischennationale Konflikte beizulegen, die soziale und politische Stabilität an Rußlands Grenzen sicherzustellen und schließlich zentrifugale Erscheinungen und Tendenzen in

Rußland selbst zu konterkarieren.

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Kollektive Sicherheit in der GUS?

In Rußland sind die für Ausländer häufig unverständlichen Begriffe "nahes Ausland" bzw.

"fernes Ausland" sehr gebräuchlich. Das "nahe Ausland" ist das Gebiet der früheren UdSSR, das Rußland als "Zone besonderer Interessen" beansprucht. Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen gehören zwar nicht der GUS an, zählen jedoch aus russischer Sicht zum

"nahen Ausland".

Rußland bzw. dessen führende Repräsentanten sind Ende 1991 als Initiatoren der Auflösung der UdSSR aufgetreten. Damals war die Auffassung verbreitet, daß Rußland nach einer Trennung von den als Last empfundenen "Randrepubliken" besser leben würde - es besitze ja ein riesiges Territorium und unermeßliche Bodenschätze und Naturreichtümer, die nun nicht mehr mit der Peripherie geteilt werden müßten. Bekanntlich ist es jedoch anders gekommen.

Rußland steckt in einer hartnäckigen Wirtschaftskrise und wird von politischen, sozialen und geistigen Widersprüchen förmlich zerrissen. All das wirkt sich natürlich auch auf die

Streitkräfte aus.

In einem der ersten GUS-Abkommen übernahmen die Vertragsparteien die Verpflichtung, bei der Sicherung des Friedens und der Sicherheit eng zusammenzuarbeiten und den

gemeinsamen militärstrategischen Raum, d.h. die frühere UdSSR, unter vereinigtem

Kommando (einschließlich der einheitlichen Kontrolle über die Kernwaffen) zu erhalten. Vor diesem Hintergrund wurde am 14.2.1992 ein Beschluß über die Bildung von Militärorganen der GUS, und zwar des Rates der Verteidigungsminister, des Oberkommandos und des Stabes der Vereinigten Streitkräfte der GUS, gefaßt. Die Zweckmäßigkeit der Errichtung solcher Organe wurde durch die Unterfertigung des GUS-Vertrages über kollektive Sicherheit am 14.5.1992 in Taschkent (Usbekistan) bestätigt. Dieser Vertrag, dem sich zunächst Rußland, Usbekistan, Kasachstan, Armenien, Kirgisien und Tadschikistan, später auch Belarus, Georgien und Aserbaidschan angeschlossen haben, und Dokumente, die zu seiner

Weiterentwicklung beschlossen wurden, bildeten das Fundament für die militärpolitische Integration in der GUS. Demgegenüber haben die Ukraine, Moldowa und Turkmenien keinen Wunsch bekundet, sich dem Vertrag über kollektive Sicherheit anzuschließen.

Allerdings wiesen die Dokumente auf dem Gebiet der kollektiven Sicherheit in der Regel einen deklarativen Charakter auf, denn in der Praxis waren die Anstrengungen der neuen souveränen Staaten v.a. darauf gerichtet, die Streitkräfte der ehemaligen Sowjetunion aufzuteilen und eigene Armeen aufzubauen. Als nun klar wurde, daß es nicht gelungen war, auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion auf der Grundlage der einstigen

sowjetischen Streitkräfte einen gemeinsamen Verteidigungsraum aufrechtzuerhalten, ergab sich die Frage nach einer Reorganisierung der militärischen Gremien der GUS. Im Sommer 1993 wurde das Oberkommando der vereinigten GUS-Streitkräfte in einen Stab für die militärische Zusammenarbeit der GUS-Länder umgestaltet.

Die meisten Militärfachleute vertreten den Standpunkt, daß in der GUS bis heute kein echtes System der kollektiven Sicherheit besteht. Dafür gibt es mehrere Ursachen. V.a. fehlt objektiv gesehen eine gewichtige militärische Bedrohung, die die Mitgliedstaaten des Vertrages mehr oder weniger gleich perzipieren und sie dazu zwingen würde, den Aufbau eines kollektiven Sicherheitssystems zu forcieren. Darüber hinaus befürchten manche Länder, daß dadurch wieder ein "Diktat Moskaus" entstehen könnte. Die Interessen z.B. von Georgien und

Aserbaidschan divergieren oft genug mit den gemeinsamen Interessen an der Errichtung eines Systems der kollektiven Sicherheit in der GUS. Den wichtigsten Anreiz dafür, daß sich diese beiden Staaten dem Vertrag über die kollektive Sicherheit der GUS angeschlossen haben, war ihr Interesse daran, daß Rußland ihnen zur Wiederherstellung ihrer durch die Separatisten in Abchasien und Südossetien bzw. Berg-Karabach bedrohten territorialen Integrität verhelfen

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würde. Diese Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht, sodaß die Zentralregierungen in Tiflis bzw. Baku bis heute nur einen Teil der Territorien ihrer Länder kontrollieren.

Die russischen Truppen in der GUS als Stabilitätsfaktor

Überhaupt ist das, was sich im Kaukasusgebiet abspielt, durchaus mit der Entwicklung im früheren Jugoslawien zu vergleichen. Doch sollten die äußeren Ähnlichkeiten niemanden zu einer gewaltsamen Lösung von Problemen - und daher auch nicht zu Interventionen -

verleiten. Im Kaukasus sind die politischen, ethnischen, religiösen, wirtschaftlichen usw.

Widersprüche noch größer, die Probleme noch tiefergehender als auf dem Balkan.

Die Nutzung von Konflikten in der GUS als Mittel zur Verstärkung des Einflusses Rußlands ist durch ein anderes strategisches Ziel ersetzt worden: Nun geht es um die Errichtung gutnachbarschaftlicher Beziehungen an Rußlands Grenzen und einen gemeinsamen Sicherheitsraum in der GUS. In der Praxis bedeutet das eine Steigerung des

Friedensstiftungspotentials Rußlands. Offiziell bewahren die russischen Truppen Neutralität zwischen den Kombattanten. Gleichzeitig wird jedoch kein Zweifel daran gelassen, daß z.B.

das russische Kontingent in Tadschikistan, die 201. motorisierte Schützendivision und Grenztruppen, die prorussische Führung in Duschanbe unterstützen.

In rechtlicher Hinsicht ist der Status der russischen Truppenkontingente in der GUS

unterschiedlich. Sie agieren vorwiegend unter der Ägide von internationalen Organisationen oder im Zusammenwirken mit diesen und liefern daher - im Gegensatz zu früher - keinen ernsthaften Grund, sie als eine real am Konflikt beteiligte Partei wahrzunehmen. Sie sollen heute in mehreren Krisenzonen, in denen die direkte militärische Konfrontation beendet wurde, eine deutlich ausgeprägte Präventivrolle spielen. In Abchasien konnten sie allerdings Ende Mai 1998 ein kurzfristiges Wiederaufflammen der Kämpfe zwischen Georgiern und Abchasen nicht verhindern. Die ehemalige (seinerzeit von General Alexander Lebed kommandierte) 14. russische Armee im Dnjestr-Gebiet (Moldowa) übt zwar keine unmittelbaren Peacekeeping-Funktionen aus, wird jedoch von vielen real als eine Kraft eingeschätzt, ohne die die Wahrscheinlichkeit für einen neuerlichen Konflikt zwischen den beiden Landesteilen recht hoch wäre.

Zu den russischen Friedenstruppen in Moldowa (Dnjestr-Gebiet), Georgien (Abchasien, Südossetien) und Tadschikistan kommen noch russische Grenztruppen, die auf der Grundlage von Verträgen mit mehreren GUS-Staaten, so Kirgisien, Georgien, Tadschikistan und

Armenien, die Grenzen dieser Staaten mit Ländern, die nicht der GUS angehören, sichern.

Eine unmittelbare Präventivrolle spielen dabei nur die russischen Grenztruppenkontingente in Tadschikistan, denn sie ermöglichen es, die militärische Konfrontation in diesem Raum zu lokalisieren. Zeitweise stand auch die Beteiligung Rußlands an einer Mission von

Friedenssoldaten mit KSZE- bzw. OSZE-Mandat in Berg-Karabach im Raum, doch zu dieser ist es bisher nicht gekommen.

Es ist eine Aufgabe für die Politiker, Konflikten vorzubeugen und - wenn sich ihr Ausbruch schon nicht hat vermeiden lassen - alles dafür zu tun, um sie nicht weiter eskalieren zu lassen.

Dafür gibt es eine breite Palette an - friedlichen und gewaltsamen - Mitteln. Das Rußland von heute mit seinen glücklichen und unglücklichen Erfahrungen hat hier eine lange Erfahrung gesammelt und ist gern bereit, sie mit anderen Ländern zu teilen.

Für diesen (teilweise beim Symposion "Internationale Friedenssicherung und die Entwicklung des Interventionsrechts" am 12.5.1998 in Reichenau a. d. Rax vorgetragenen) Bericht wurden analytische Arbeiten verwendet, die von Wissenschaftlern des Europainstituts der Akademie der Wissenschaften Rußlands erstellt wurden.

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Dr. Viktor S. RYKIN Europainstitut der Akademie der Wissenschaften Rußlands (Moskau)

Erschienen in:

Informationen zur Sicherheitspolitik Nr.9 (August 1998), Die Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) zwischen Konflikten und russischer Dominanz;

Referenzen

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