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Frauenbewegung in der DDR

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Eva Sänger

Frauenbewegung in der DDR

Gegenöffentlichkeiten und Unrechtserfahrungen informeller Frauengruppen in den 1980er Jahren

1. Einleitung

Frauenbewegungen beziehungsweise -Organisationen partizipieren nicht nur politisch, sondern sind entscheidend daran beteiligt, neu zu definieren, was eigentlich politisch ist. Diese (Neu-)Definition des Politischen geht oftmals mit der Thematisierung von Unrechts- erfahrungen einher. Ute Gerhard zufolge ist die kollektive Un- rechtserfahrung ein zentraler Anlass für die Entstehung von Frauen- bewegungen in der Moderne. Bei einer Unrechtserfahrung kann es sich um den Ausschluss von Entscheidungsprozessen wie die Vorenthaltung des Wahlrechts handeln, um die Begrenzung von Handlungsräumen durch den Ausschluss von Orten und aus kul- turellen Repräsentationen oder um die Verletzung körperlicher und psychischer Integrität1.

Auch Frauen in der DDR schlossen sich in den 1980er Jahren aufgrund von Unrechtserfahrungen zu eigenen Bewegungs- und Organisationsformen zusammen. Die Geschichte der ostdeutschen Frauenbewegung lässt sich in drei Phasen unterteilen2. Die „in- formelle Phase" oder „Konstituierungsphase" dauerte von 1982 bis Herbst 1989; damals formierten sich neue Frauengruppen, die eige- ne Zeitschriften herausbrachten und miteinander vernetzt waren.

Im Herbst 1989 begann die „Mobilisierungs- oder Aufbruchsphase".

Sie endete mit der Volkskammerwahl vom 18. März 1990. In dieser Phase wurde der Unabhängige Frauenverband (UFV) gegründet, die erste nichtstaatliche, feministische Interessenorganisation in der DDR Die dritte Phase, die .Ausdifferenzierungsphase", die nach der Volkskammerwahl begann, war durch den Aufbau einer Gegen- kultur gekennzeichnet. Deren Akteurinnen übten - feministischen

1 Ute Gerhard, Die „langen Wellen" der Frauenbewegung. Traditions- linien und unerledigte Anliegen, in: dies., Atempause. Feminismus als demo- kratisches Projekt, Frankfurt a.M. 1999, S. 12-38, hier S.28ff.

2 Vgl. im Folgenden Ingrid Miethe, Frauenbewegung in Ostdeutschland.

Angekommen in gesamtdeutschen Verhältnissen?, in: beitrage zur feminis- tischen theorie und praxis 54 (2000), S.9-23.

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u n d f r a u e n p o l i t i s c h e n Zielen v e r b u n d e n - in Parteien, Gewerk- schaften, Universitäten u n d V e r b ä n d e n Einfluss aus.

A u f g r u n d welcher U n r e c h t s e r f a h r u n g e n e n t s t a n d e n die ver- s c h i e d e n e n S t r ö m u n g e n d e r nichtstaatlichen F r a u e n g r u p p e n ? Da diese F r a u e n g r u p p e n a u c h auf die A u f k l ä r u n g u n d Beeinflussung d e r Bevölkerung zielten, ist zu diskutieren, welche Funktion Öffent- lichkeit in d e r DDR hatte. T h e s e des Beitrags ist, dass u n t e r d e n B e d i n g u n g e n offizieller Ö f f e n t l i c h k e i t e n3 die B e n e n n u n g von Un- r e c h t s e r f a h r u n g e n in d e n G r u p p e n n i c h t n u r eine Voraussetzung f ü r öffentlichkeitsorientierte Strategien war, s o n d e r n bereits selbst eine politische Funktion hatte. Im Anschluss d a r a n soll kurz d e r Kontext erläutert w e r d e n , in d e m sich d e r UFV g r ü n d e t e . Z u d e m sind U n r e c h t s e r f a h r u n g e n zu b e n e n n e n , die f ü r die G r ü n d e r i n - n e n relevant waren. Abschließend soll auf die politische Teilhabe des UFV a m Zentralen R u n d e n Tisch d e r DDR u n d an d e n Volks- k a m m e r w a h l e n e i n g e g a n g e n werden.

2. D a s S p e k t r u m informeller Frauengruppen in der D D R

W e d e r F r a u e n n o c h M ä n n e r h a t t e n in d e r DDR die Möglichkeit, an d e m o k r a t i s c h e n Willensbildungs- u n d Entscheidungsprozessen mitzuwirken o d e r diese zu beeinflussen. Handlungsleitende Maxime des SED-Regimes war die marxistisch-leninistische Auffassung, dass die Partei beziehungsweise d e r Staat mit d e r Arbeiterklasse iden- tisch sei. Diese Auffassung schloss Interessenpluralität aus, u n d die SED legitimierte d a m i t i h r e n F ü h r u n g s a n s p r u c h als Avantgarde d e r Arbeiterklasse u n d als „Vollstreckerin" des „real existierenden Sozialismus" u n t e r Erich Honecker. Staatsunabhängige Vereinigun- g e n waren verboten. Die Interessen von F r a u e n w u r d e n offiziell vom Demokratischen F r a u e n b u n d Deutschlands (DFD) vertreten, d e r 1987 r u n d 1,5 Millionen Mitglieder hatte. Von e i n e r eigen- ständigen Interessenvertretung o d e r selbstbestimmter Partizipation k o n n t e hier a b e r k a u m die Rede sein: D e r DFD war eine zentralis- tisch organisierte Massenorganisation, die d e n F ü h r u n g s a n s p r u c h d e r SED a n e r k a n n t e u n d die Richtlinien d e r Partei umsetzte4.

3 Zum Begriff der offiziellen Öffentlichkeit vgl. Gabor T. Rittersporn/ Malte Rolf/Jan C. Behrends, Von Schichten, Räumen und Sphären. Gibt es eine sowjetische Ordnung von Öffentlichkeiten? Einige Überlegungen in kom- parativer Perspektive, in: dies. (Hrsg.), Sphären von Öffentlichkeit in Gesell- schaften sowjetischen Typs. Zwischen parteistaatlicher Selbstinszenierung und kirchlichen Gegenwelten, Frankfurt a.M. 2003, S. 389-421, hier S.408.

4 Vgl. u.a. Elke Mocker, Demokratischer Frauenbund Deutschlands (1947- 1989). Historisch-systematische Analyse einer DDR-Massenorganisation. Dis-

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Der G r ü n d u n g u n a b h ä n g i g e r F r a u e n g r u p p e n Anfang d e r 1980er J a h r e war die E n t s t e h u n g von F r i e d e n s g r u p p e n u n t e r d e m Dach d e r evangelischen Kirche vorangegangen, die die Stationierung von A t o m r a k e t e n in d e r DDR u n d die militärische A u f r ü s t u n g im Systemwettstreit kritisieren u n d - zum Beispiel d u r c h die Vertei- lung von A u f n ä h e r n - landesweit in E r s c h e i n u n g traten. Nach d e n Schätzungen von Samirah Kenawi existierten in d e r DDR der 1980er J a h r e insgesamt 100 F r a u e n g r u p p e n , die verschiedenen S t r ö m u n g e n

a n g e h ö r t e n5.

Mit d e r G r ü n d u n g e i g e n e r G r u p p e n reagierten die F r a u e n ge- nerell auf m ä n n l i c h e D o m i n a n z , wobei sie sich in i h r e n Zielen u n d T h e m e n zum Teil s e h r deutlich v o n e i n a n d e r u n t e r s c h i e d e n . Kollektiven weiblichen Protest rief das n e u e Wehrdienstgesetz vom 25. März 1982 hervor, das die H e r a n z i e h u n g von Frauen im Falle d e r M o b i l m a c h u n g f ü r A u f g a b e n in d e r A r m e e vorsah. In Frie- d e n s g r u p p e n organisierte F r a u e n verfassten eine g e m e i n s a m e Ein- gabe an d e n Staatsratsvorsitzenden d e r D D R Im Fahrwasser dieser Aktion g r ü n d e t e n sich in m e h r e r e n Städten u n d Bezirken Frauen- g r u p p e n , so in Ostberlin, Halle, Magdeburg, Dresden u n d Wei- mar. Die „Frauen f ü r d e n F r i e d e n " kritisierten das Wettrüsten u n d die Militarisierung d e r Gesellschaft. Inspiriert von d e n Ideen des tschechischen Dissidenten Vaclav Havel sahen sie darin ein Ver- b r e c h e n an der Menschheit, ein Unrecht, f ü r das sie sich verantwort- lich fühlten. Die Ü b e r n a h m e von Verantwortung war f ü r die Frauen ein zentrales Handlungsprinzip, das sie verpflichtete, sich gegen j e d e Form von M a c h t a n s p r u c h zu verwahren. Ulrike P o p p e , eine d e r G r ü n d e r i n n e n d e r Ostberliner „Frauen f ü r d e n Frieden", schilderte in ihrer Grußadresse an eine G r u p p e in Berlin-Zehlen- dorf die politisch-persönliche Emanzipation d e r F r a u e n . Die Be- f r e i u n g aus traditionellen Geschlechterbeziehungen sah sie zugleich als Voraussetzung u n d Ziel d a f ü r an, politische Mündigkeit u n d Selbstverantwortung zu entwickeln:

„Vor J a h r e n ist bei u n s ein Prozeß in G a n g g e k o m m e n , d e n m a n als ein .Erwachsenwerden' b e z e i c h n e n k ö n n t e . Heraus- g e f o r d e r t d u r c h ein bisher noch nie dagewesenes Maß an exis- tentieller B e d r o h u n g f ü r die gesamte Menschheit treten m e h r

sertation am Fachbereich Politische Wissenschaft der FU Berlin 1991 (Mikro fiche-Ausgabe 1992); Barbara Koelges, Der Demokratische Frauenbund.

Von der DDR-Massenorganisation zum modernen politischen Frauen- verband, Wiesbaden 2001.

5 Vgl. Samirah Kenawi, Frauengruppen in der DDR der 80er Jahre. Eine Dokumentation, Berlin 1995, S.21.

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und mehr Menschen heraus aus der ihnen aufgezwungenen Rolle politischer Unmündigkeit und des Gehorsams, um eigene Wege aus der Gefahr zu suchen. Für uns Frauen bedeutet dies gleichzeitig die Loslösung von unseren traditionellen Zwängen [...]. Sich für die eigenen Worte und Handlungen in jeder Situa- tion verantwortlich zu fühlen, besonders in einer Struktur, in der alles zentralistisch angewiesen und verantwortet' wird, jede Gelegenheit zu nutzen, seine eigenen Ansprüche dem gefor- derten Loyalitätsbeweis entgegenzusetzen, heißt, menschliche Würde zu bewahren. Und das hat nicht nur moralische, sondern auch politische Bedeutung, da es sich gegen jeden autoritären Machtanspruch wendet."6

Auch aktive Christinnen bildeten eigene Netzwerke und Gruppen, da sie sich mit ihren Themen und Anliegen in der evangelischen Kirche nicht repräsentiert fühlten. Kirchliche Mitarbeiterinnen unterstützten sich gegenseitig bei der Gemeindearbeit, so zum Bei- spiel im Rahmen des innerkirchlichen Treffens „Feministische Werkstatt Hirschluch". Der überregionale Arbeitskreis „Feministi- sche Theologie" diente dem Austausch zwischen Theologinnen und theologisch interessierten Frauen über Ansätze feministischer Theologie, die aus den USA und Westdeutschland in die DDR ge- langt waren7.

Lesbische Frauen beteiligten sich zunächst in den gemischt- geschlechtlichen kirchlichen .Arbeitskreisen Homosexualität", zu denen auch Nichtkirchenmitglieder zugelassen waren. Gemeinsam mit schwulen Männern setzten sie sich für eine Verbesserung der Situation Homosexueller ein und versuchten, pathologisierenden Sichtweisen auf gleichgeschlechtliche Beziehungen entgegenzutre- ten. Dass sie mit ihren Anliegen auf den Widerstand schwuler Män- ner trafen, war eine wichtige Motivation für die Frauen, sich eigen- ständig zu organisieren. Zudem hatten sie den Wunsch, sich mit der eigenen Situation in einem geschützten Raum auseinanderzu- setzen und sich mit anderen betroffenen Frauen auszutauschen8.

6 Robert Havemann Archiv, Berlin, Irena Kukutz: Widerstehen... Frauen- protest im Kalten Krieg, unveröffentlichtes Manuskript, Dokument 26:

Grußadresse von Ulrike Poppe an die „Frauen für den Frieden" Berlin- Zehlendorf vom 13.7.1984.

7 Vgl. Samirah Kenawi, Zwischenzeiten. Frauengruppen in der DDR zwi- schen östlicher Bürger- und westlicher Frauenbewegung, in: Bernd Gehrke/

Wolfgang Rüddenklau (Hrsg.), ... das war doch nicht unsere Alternative.

DDR-Oppositionelle zehn Jahre nach der Wende, Münster 1999, S. 154—167.

8 Vgl. Eva Sänger, Begrenzte Teilhabe. Ostdeutsche Frauenbewegung und Zentraler Runder Tisch in der DDR, Frankfurt a.M. 2005, S. 103ff.

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Die Strategien d e r meisten F r a u e n g r u p p e n waren darauf ausge- richtet, mit ihren jeweiligen Anliegen eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Einige G r u p p e n lesbischer F r a u e n beispielsweise ver- anstalteten deshalb m e h r f a c h eine S e n d u n g im R a h m e n d e r Rat- geber-Reihe „Mensch Du" des J u g e n d r a d i o s D T 64 u n d n a h m e n an öffentlichen L e s u n g e n teil. Die Berliner G r u p p e „Lesben in d e r Kirche" legte bei e i n e m Besuch des Konzentrationslagers Ravens- brück einen Kranz nieder, u m an die d o r t e r m o r d e t e n lesbischen F r a u e n zu e r i n n e r n9. G e r a d e die F r a u e n f r i e d e n s g r u p p e n versuch- ten i m m e r wieder, a n d e r e Menschen aus ihrer Gleichgültigkeit g e g e n ü b e r nuklearer Aufrüstung, Krieg u n d Umweltverschmutzung zu wecken. Sie verteilten beispielsweise schwarz gekleidet Handzettel auf der Straße, organisierten Klagegottesdienste u n d protestierten bei Veranstaltungen von Partei u n d Massenorganisationen.

3. Frauengruppen als soziale Erfahrungsräume und Gegenöffentlichkeiten in der späten D D R

Aus d e r Perspektive d e r sozialwissenschaftlichen F o r s c h u n g ü b e r n e u e soziale Bewegungen scheint dieses Engagement zunächst rela- tiv wenig W i r k u n g gezeigt zu h a b e n , weil es d e n F r a u e n g r u p p e n n i c h t gelang, die Massen zu mobilisieren. Dabei muss allerdings d e r Herrschaftscharakter d e r DDR berücksichtigt werden: Solche Aktionen hatten in e i n e m autoritären Regime1 0 wie d e r DDR in d e n 1980er J a h r e n eine a n d e r e B e d e u t u n g als in demokratischen Ländern wie etwa der Bundesrepublik, wo es eine öffentliche Sphäre gab, in d e r Versammlungs-, Meinungs- u n d Demonstrationsfreiheit garantiert war. In der DDR galten schon geringfügige Abweichungen von offiziell erwünschten Verhaltensweisen als Politikum1 1. Ideal-

9 Vgl. Samirah Kenawi, Konfrontation mit dem DDR-Staat. Politische Ein- gaben und Aktionen von Lesben am Beispiel Ravensbrück, in: Gabriele Dennert/Christian Leidinger/Franziska Rauchut (Hrsg.), In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Berlin 2007, S. 118-121.

10 Zur Begriffsklärung vgl. Hansjoachim Lauth, Regimetypen. Totalitaris- mus - Autoritarismus - Demokratie, in: ders. (Hrsg.), Vergleichende Re- gierungslehre. Eine Einführung, Wiesbaden 2006, S.91-112. Zur Kenn- zeichnung der DDR unter Honecker als autoritäres Regime vgl. Virginia Stefanie Gerlach, Staat und Kirche in der DDR, Frankfurt a.M. 1999, S. 225.

Zur Auseinandersetzung mit der Totalitarismustheorie vgl. Ralph Jessen, DDR-Geschichte und Totalitarismustheorie, in: Berliner Debatte Initial 4 / 5 (1995), S. 17-24.

11 Vgl. u.a. Detlef Pollack, Politischer Protest. Politisch alternative Gruppen in der DDR, Opladen 2000, S. 56f.

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typisch gewährleistet Öffentlichkeit die Pluralität d e r Meinungen, eine Vielfalt d e r Interessenartikulation u n d herrschaftsfreie Kom- munikation. Die vorherrschende Form d e r Öffentlichkeit in d e r DDR k a n n - d a r a n gemessen - als „Scheinöffentlichkeit"1 2 u n d als

„reglementierende u n d kontrollierende verordnete Öffentlichkeit"1 3

charakterisiert werden, d a von d e r SED-Linie abweichende Meinun- g e n rigoros ausgeschlossen wurden. D a r ü b e r h i n a u s ist hervor- z u h e b e n , dass die wesentliche F u n k t i o n von Öffentlichkeit im M a c h t e r h a l t d e r SED bestand u n d d e r Darstellung von H e r r s c h a f t diente. Öffentlichkeit hatte in d e r DDR also in erster Linie eine herrschaftslegitimierende u n d -repräsentierende Funktion u n d war damit eine offizielle Öffentlichkeit. Auch wenn die Mobilisierungs- fähigkeit d e r F r a u e n g r u p p e n a u f g r u n d staatlicher Repression u n d d e r Einschränkung aller bürgerlichen G r u n d r e c h t e gering war, ist Folgendes zu b e t o n e n : Alle informellen F r a u e n g r u p p e n stellten d u r c h die faktische I n a n s p r u c h n a h m e von Meinungs- u n d Ver- s a m m l u n g s f r e i h e i t das parteistaatliche M o n o p o l auf d e n öffent- lichen R a u m u n d auf die Definition u n d die Repräsentation d e r Interessen von F r a u e n in Frage.

Die G r u p p e n konstituierten soziale E r f a h r u n g s r ä u m e u n d er- füllten damit e i n e wichtige Funktion. Sie b e f ö r d e r t e n die reflexive u n d hierarchiefreie K o m m u n i k a t i o n u n d eine alternative politi- sche Sozialisation, die auf die Solidarität u n t e r F r a u e n ausgerichtet war. Die F r i e d e n s f r a u e n nutzten die G r u p p e n als e m o t i o n a l e n Rückhalt, d e r es i h n e n ermöglichte, sich f ü r ihre vom Verantwor- tungsprinzip geleiteten friedens- u n d umweltpolitischen Überzeu- g u n g e n öffentlich einzusetzen. Den lesbischen F r a u e n halfen die G r u p p e n bei d e r identitätsbasierten A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit d e r Diskriminierung u n d d e m Coming Out. So e n t s t a n d e n in d e n Grup- p e n relativ geschützte1 4 Räume, in d e n e n U n r e c h t s e r f a h r u n g e n e r k a n n t u n d bearbeitet werden k o n n t e n , u n d in d e n e n es möglich war, n e u e politische E r f a h r u n g e n zu sammeln. H i e r bot sich eine

12 Patrik von zur Mühlen, Aufbruch und Umbruch in der DDR. Bürger- bewegungen, kritische Offendichkeit und Niedergang der SED-Herrschaft, Bonn 2000, S. 16.

13 Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971-1989, Bonn 1999, S. 135.

14 Insbesondere die Ostberliner „Frauen für den Frieden" wurden von der Stasi überwacht. Gruppenintern war der Zusammenhalt der Frauenfrie- densgruppen durch den Verdacht auf IM-Tätigkeit und die Möglichkeit der Ausreise von Frauen gefährdet. Vgl. Ingrid Miethe, Frauen in der DDR- Opposition. Lebens- und kollektivgeschichtliche Verläufe in einer Frauen- friedensgruppe, Opladen 1999, S.253.

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Gelegenheit, jenseits d e r Staatsdoktrin, die die F r a u e n f r a g e als ge- löst u n d die DDR als e i n e n antifaschistischen Friedensstaat ansah, ü b e r G e s c h l e c h t e r b e z i e h u n g e n , K i n d e r e r z i e h u n g o d e r Krieg u n d Frieden zu diskutieren. H i e r w u r d e n T h e m e n , die offiziell nicht existierten, wie die Umweltverschmutzung o d e r die nichtpatho- logische Existenz gleichgeschlechtlicher Lebensweisen, ü b e r h a u p t erst zur Sprache gebracht.

D e r Gegensatz von offiziellen u n d informellen S p h ä r e n zählt zu d e n gesellschaftlichen Strukturmerkmalen d e r späten DDR. Neben d e n offiziellen H a n d l u n g s k o n t e x t e n existierten auf d e r familiären E b e n e , in Betrieben u n d Parteiorganisationen informelle Aus- tausch- u n d Kommunikationsstrukturen, die sowohl zweckorien- tiert als auch gemeinschaftsstiftend waren1 5. So vollzog sich zwar ein „privater" Meinungs- u n d Erfahrungsaustausch jenseits d e r offi- ziellen Kommunikationsstrukturen, allerdings geschah dies i m m e r in Abhängigkeit von ihnen. Die informelle Sphäre war d a h e r äußerst fragmentiert. Als Gegenöffentlichkeiten fungierten die jährlich statt- findenden landesweiten F r a u e n g r u p p e n t r e f f e n , Kirchentagstreffen, regionale Workshops u n d die von d e n F r a u e n g r u p p e n heraus- g e g e b e n e n Samisdat-Zeitschriften wie „Lila Band", „Das Netz" u n d

„frau anders"1 6. Damit erweiterten die F r a u e n g r u p p e n zivilgesell- schaftliche H a n d l u n g s r ä u m e u n d h a t t e n e i n e politische Funktion, d a sie - u n t e r d e n B e d i n g u n g e n offizieller Öffentlichkeit - U n r e c h t s e r f a h r u n g e n b e n a n n t e n , o h n e allerdings angesichts d e r stabilen Machtverhältnisse in d e r DDR d e r 1980er J a h r e eine realis- tische Chance auf Mobilisierung d e r Bevölkerung zu haben. J e d o c h stellten die alternativen politischen Identitäten u n d die miteinander vernetzten G r u p p e n eine e n t s c h e i d e n d e Voraussetzung f ü r die G r ü n d u n g des F r a u e n v e r b a n d s im Winter 1989 dar. I n s b e s o n d e r e das Netzwerk d e r informellen L e s b e n g r u p p e n trug dazu bei, dass d e r Berliner A u f r u f zur G r ü n d u n g eines F r a u e n v e r b a n d s landes- weit viele interessierte Frauen erreichte, die sich bereits mit Frauen-

15 Vgl. Detlef Pollack, Die konstitutive Widersprüchlichkeit der DDR. Oder:

War die DDR-Gesellschaft homogen?, in: GuG 24 (1998) H. 1, S. 110-232, hier S. 121fF.; Ralph Jessen, Die Gesellschaft im Staatssozialismus. Probleme einer Sozialgeschichte der DDR, in: GuG 21 (1995) H. 1, S. 96-110, hier S. 103fF.

16 Vgl. zu der im Selbstverlag illegal herausgegebenen Zeitschrift der in- formellen Lesbengruppen Eva Sänger, „Lieber öffentlich lesbisch als heimlich im DFD". Die Samisdat-Publikation „frau anders" in der DDR 1988/89, in:

Susanne Lettow/Ulrike Manz/Katja Sarkowsky (Hrsg.), Öffentlichkeiten und Geschlechterverhältnisse. Erfahrungen, Politiken, Subjekte, Königstein/Ts.

2005, S. 159-183.

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fragen auseinandergesetzt hatten und ihre moralischen Überzeu- gungen und zivilethischen Handlungsorientierungen in Politik umsetzen wollten.

4. Politische Partizipation des UFV in der Endphase der DDR

Durch die Öffnung der ungarischen Grenze zu Osterreich und die Entstehung der Bürgerbewegung erweiterten sich die zivilgesell- schaftlichen Handlungsräume im Herbst 1989 grundlegend. Fak- tisch wurden Meinungs-, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit massenhaft in Anspruch genommen17. Dies eröffnete auch den Frauengruppen schlagartig die Möglichkeit, ihre Interessen in organisierter Form im öffentlichen Raum zu vertreten. In der End- phase der DDR entstanden nicht nur eine Vielzahl von Bürger- rechtsgruppen, sondern auch der Unabhängige Frauenverband.

Der UFV stellte in seiner Mitgliederstruktur allerdings nicht die Fortsetzung der informellen Frauenbewegung dar. Die „Frauen für den Frieden" und diejenigen Frauengruppen, für die die Aus- einandersetzung mit dem SED-Regime im Vordergrund gestanden hatte, engagierten sich größtenteils in den Bürgerrechtsgruppen.

Der UFV verstand sich als basisdemokratische, weltanschaulich übergreifende, feministische Vereinigung und ging aus einem euphorisch veranstalteten Fest in der Ostberliner Volksbühne am 3. Dezember 1989 hervor, an dem etwa 1200 Frauen teilgenom- men hatten. Der neu gegründete UFV versuchte unmittelbar, über demokratische Partizipationsformen politischen Einfluss auszuüben.

Die Frauen, die den UFV gründeten, teilten zwei Formen von Unrechtserfahrung und bezogen sich auf zwei Konfliktlagen. Sie kritisierten die mit der gesellschaftlichen Pluralisierung und Demo- kratisierung einhergehende personelle Exklusion von Frauen und wiesen auf die thematische Ausblendung des Geschlechterverhält- nisses im Demokratisierungsprozess hin. Darüber hinaus trat mit der öffentlichen Diskussion der Wiedervereinigung für die Mit- glieder des UFV die soziale Frage in den Vordergrund. Der UFV gründete sich, wie das Anne Hampele bündig formuliert hat, „als Negativ-Koalition gegenüber erwarteten Krisenfolgen", das heißt gegenüber den antizipierten Folgen der deutschen Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion für die weibliche Bevölkerung. Die Gründungsmitglieder des UFV begrüßten den freiheitlichen Pro-

" Vgl. Karsten Timmer, Vom Aufbruch zum Umbruch. Die Bürgerbewe- gung in der DDR 1989, Göttingen 2000, S. 179ff.

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Frauenbewegung in der DDR 135

spekt einer marktwirtschaftlich organisierten u n d demokratisch regierten Gesellschaft. Allerdings sahen sie die damit einhergehen- d e n sozialen U n g l e i c h h e i t e n als G e f a h r f ü r die nicht zuletzt mate- riell f u n d i e r t e Selbstbestimmung u n d Freiheit von F r a u e n . Z u d e m l e h n t e n sie das als konservativ e m p f u n d e n e Frauen- u n d Familien- leitbild d e r Bundesrepublik ab. So war d e r Aufruf zur G r ü n d u n g eines F r a u e n v e r b a n d e s mit d e r Parole ü b e r s c h r i e b e n : „Wer sich nicht wehrt, k o m m t an d e n Herd"1 8.

D e r UFV nutzte gezielt die Möglichkeiten politischer Partizipa- tion, die sich ihm im H e r b s t u n d Winter 1989 u n v e r h o f f t boten1 9. So war seine G r ü n d u n g am 3. D e z e m b e r nicht zuletzt mit Blick auf die T e i l n a h m e a m Zentralen R u n d e n Tisch d e r DDR erfolgt, d e r vom 7. D e z e m b e r 1989 bis zum 12. März 1990 tagte. Freilich war d e m UFV in diesem G r e m i u m u n d bei d e n Volkskammerwahlen a m 18. März n u r mäßiger Erfolg beschieden - abgesehen davon, dass er d u r c h die A n s c h u b f i n a n z i e r u n g , die die Bürgerrechts- g r u p p e n a m R u n d e n Tisch erhielten, u n d d u r c h die Finanzierung des Wahlkampfs seine Existenz f ü r einige Zeit sichern k o n n t e .

Die T e i l n a h m e am R u n d e n Tisch war f ü r d e n F r a u e n v e r b a n d zunächst vielversprechend, da es in d e r ersten Sitzung gelang, als voll stimmberechtigtes Mitglied zugelassen zu werden. Der UFV setzte sich im B ü n d n i s mit d e n B ü r g e r r e c h t s g r u p p e n erfolgreich f ü r die Zulassung von so g e n a n n t e n politischen Vereinigungen zur Volkskammerwahl ein. Er war auch gemeinsam mit d e n Bürger- r e c h t s g r u p p e n an d e r E r a r b e i t u n g eines Beschlusses f ü r die Volks- k a m m e r zur S i c h e r u n g d e r M e d i e n f r e i h e i t beteiligt. Allerdings konnte er gleichstellungspolitische Ansätze wie ein quotiertes Wahl- gesetz nicht durchsetzen, da dies von d e n B ü r g e r r e c h t s g r u p p e n nicht unterstützt wurde. Ansonsten s t a n d e n f ü r d e n UFV Wirt- schaftsfragen im V o r d e r g r u n d . Seine F o r d e r u n g e n a m R u n d e n Tisch zielten auf die Aufrechterhaltung d e r nationalen Souveränität d e r DDR beziehungsweise im v o r a n s c h r e i t e n d e n Verlauf d e r Ver- h a n d l u n g e n auf eine sozial a b g e f e d e r t e Wirtschafts-, Währungs- u n d Verkehrsunion u n d auf ein Mindestmaß an Souveränität in d e n V e r h a n d l u n g e n mit d e r B u n d e s r e g i e r u n g . Eine vom UFV mit- verfasste Sozialcharta u n d ein u m f a s s e n d e r M a ß n a h m e n k a t a l o g zur Herstellung d e r Geschlechtergerechtigkeit wurden zwar gegen

18 Anne Hampele Ulrich, Der Unabhängige Frauenverband. Ein frauen- politisches Experiment in der deutschen Vereinigungspolitik, Berlin 2000, beide Zitate S.101.

19 Vgl. Brigitte Young, Triumph of the Fatherland. German Unification and the Marginalization of Women, Michigan 1999, S. 75fF.

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E n d e des R u n d e n Tisches von einer M e h r h e i t d e r Beteiligten ver- abschiedet. Allerdings h a t t e d e r R u n d e Tisch zu diesem Z e i t p u n k t schon seine politische B e d e u t u n g verloren, d a n u n die Wahl zur Volkskammer im V o r d e r g r u n d stand. Somit h a t t e n die sozialpoliti- schen F o r d e r u n g e n d e s U n a b h ä n g i g e n Frauenverbands, die e r g e g e n E n d e d u r c h s e t z e n k o n n t e , keinerlei faktischen Einfluss auf d e n weiteren Verlauf des Einigungsprozesses. Bei d e n Volkskammer- wahlen erhielt d e r UFV, d e r im B ü n d n i s mit d e n G r ü n e n f ü r eine r e f o r m i e r t e sozialistische u n d d e m o k r a t i s c h e DDR eingetreten war, n u r zwei Prozent d e r Stimmen, insgesamt acht M a n d a t e , die z u d e m alle von Vertretern d e r G r ü n e n w a h r g e n o m m e n wurden2 0.

5. Fazit

Die Praxis d e r informellen F r a u e n g r u p p e n war vornehmlich auf die Erweiterung von H a n d l u n g s r ä u m e n g e g e n ü b e r e i n e m autori- tären Staat u n d auf die H e r s t e l l u n g von Gegenöffentlichkeiten ge- richtet. Sie h a n d e l t e n zivilgesellschaftlich, das heißt verständigungs- orientiert u n d reflexiv21, u n d thematisierten ungelöste gesellschaft- liche u n d politische Konflikte. In den G r u p p e n k o n n t e n Geschlech- terrollen hinterfragt u n d Alternativen entworfen werden. A u f g r u n d des umfassenden politischen Anspruchs d e r SED auf die Gestaltung d e r gesellschaftlichen Beziehungen stellte die kommunikativ u n d reflexiv orientierte Handlungspraxis d e r informellen F r a u e n g r u p p e n die H e r r s c h a f t d e r SED in Frage. Die V e r n e t z u n g d e r G r u p p e n war z u d e m d e r Ausgangspunkt f ü r die Ausbildung eines g r u p p e n - ü b e r g r e i f e n d e n Zugehörigkeitsgefühls zur Friedens-, Frauen- o d e r Lesbenbewegung.

Die informellen F r a u e n g r u p p e n u n d Frauennetzwerke waren eine zentrale Voraussetzung f ü r die G r ü n d u n g des U n a b h ä n g i g e n Frauenverbands, d e m es in d e r U m b r u c h p h a s e 1 9 8 9 / 9 0 kurzfristig gelang, öffentlichkeitswirksame Positionen zu besetzen, o h n e frei- lich d e n Verlauf d e r d e u t s c h e n V e r e i n i g u n g politisch beeinflussen zu k ö n n e n . Als in d e r Wendezeit g e g r ü n d e t e , u n a b h ä n g i g e , femi- nistische ostdeutsche Interessenorganisation o h n e westdeutsches P e n d a n t gilt d e r UFV als „frauenpolitisches Experiment"2 2 im

20 Vgl. Hampele Ulrich, Frauenverband, S. 190.

21 Jean Cohen/Andrew Arato, Civil Society and Political Theory, London 1994, S.435ÍF. definieren zivilgesellschaftliches Handeln als kommunikatives Handeln, das sich durch Selbstreflexivität und Verständigungsorientierung auszeichnet.

22 Vgl. zur Begriffsprägung Hampele Ulrich, Frauenverband.

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Frauenbewegung in der DDR 1 3 7

deutschen Vereinigungsprozess. Die A n f o r d e r u n g e n , die das inter- mediäre Interessenvertretungssystem d e r Bundesrepublik an ihn stellte, k o n n t e e r allerdings a u f g r u n d seiner schwachen Organisa- tionsstruktur langfristig nicht erfüllen2 3. Er löste sich im J u n i 1998 als e i n g e t r a g e n e r Verein offiziell auf.

23 Vgl. Eva Sänger, Zur strukturellen Repräsentationsproblematik bei der Vertretung von Fraueninteressen am Beispiel des „Experiments" Unabhän- giger Frauenverband, in: Anja Weckwert/Ulla Wischermann (Hrsg.), Das Jahrhundert des Feminismus. Streifzüge durch nationale und internationale

Bewegungen und Theorien, Königstein/Ts. 2006, S. 95-112.

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