AUGEN AUF – HINSEHEN UND SCHÜTZEN
Prävention sexualisierter Gewalt
Beate Meintrup (Präventionsbeauftragte)
10.März 2020 – Kreisdekanatsversammlung Borken
Worüber sprechen wir?
Daten und Fakten zum Thema Missbrauch und Prävention
Was können wir tun? Konkrete Schritte im Bistum Münster
ZUM PROGRAMM HEUTE:
Vorbemerkungen
• Es gibt verschiedene Arten von Betroffenheit – wahrscheinlich auch jetzt hier im Raum.
• Nehmen Sie sich Raum und Zeit, wann immer Sie brauchen.
• Seien Sie bitte solidarisch – wenn es eben geht – mit den Opfern!
KINDESWOHLGEFÄHRDUNG
Gewalt gegen Minderjährige hat viele Formen
Emotionale und körperliche Vernachlässigung Körperliche und seelische Gewalt
Sexualisierte Gewalt
BEGRIFFSDEFINITION: SEXUALISIERTE GEWALT
Sexualisierte Gewalt meint jede sexuelle Handlung,
die an oder vor einer Person entweder gegen deren Willen vorgenommen wird, oder
der die Person aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann.
Sexueller Missbrauch ist immer eine geplante Tat.
Die Täter sind verantwortlich für ihre Handlungen, die Opfer trifft keine Schuld.
Die Betroffenen sind meist nicht in der Lage, ohne Unterstützung selbst für ihren Schutz zu sorgen.
Die Täter kommen häufig aus dem sozialen Nahraum, sie sind selten Fremde.
FORMEN SEXUALISIERTER GEWALT
Grenzverletzung
einmalig oder gelegentlich unangemessenes Verhalten, das zumeist unabsichtlich
geschieht, wie z.B. sexualisierte Sprache, unerwünschte Umarmung, Missachtung der Intimsphäre…
Sexuelle Übergriffe
beabsichtigte, häufige und massive Grenzüberschreitungen wie z.B. wiederholte
unsittliche Berührungen, sexistische Spielanleitungen, sexualisierte Fotos ins Netz stellen (nur zum Teil strafrechtlich relevant)
Sexueller Missbrauch
Straftaten (§§ 174ff. StGB) wie Exhibitionismus, Missbrauchsdarstellungen, Vergewaltigung
SEXUALISIERTE GEWALT: ZAHLEN & FAKTEN
Jedes 4.-5. Mädchen und jeder 6.-12. Junge ist bis zum 18.
Lebensjahr in irgendeiner Form von sexualisierter Gewalt betroffen Die meisten Opfer sind zwischen 12 und 15 Jahre (35%)
Kinder zwischen 4 und 11 Jahren sind zu ca. 23% betroffen
SEXUALISIERTE GEWALT: ZAHLEN & FAKTEN Die Betroffenen
Alle Welt will Signale, die eindeutig auf sexuellen
Missbrauch hinweisen.
Gäbe es sie,
die Missbrauchten würden sie vermeiden.
Denn sie wollen nicht, dass alle Welt ihnen ihre
Situation ansieht.
SEXUALISIERTE GEWALT: ZAHLEN & FAKTEN Mögliche Anzeichen
Nahe Beziehung eines Kindes/Jugendlichen zu einer deutlich älteren Person Sexualisiertes Verhalten
Plötzliche Widerstände gegenüber der Teilnahme oder dem Mitwirken Plötzliche Widerstände gegen bestimmte Personen
Einstellungen gegenüber Zärtlichkeiten, Körperkontakt, Sexualität ändern sich plötzlich Verweigerung von Hygienemaßnahmen (oder anderes Extrem)
Plötzlich verstärkte Schamgefühle
Mittel- und langfristige Folgen sind unspezifisch
ABER: keine eindeutigen Signale!
SEXUALISIERTE GEWALT: ZAHLEN & FAKTEN Wer sind die Täter?
Mythen:
▪ Das Märchen vom fremden Mann
▪ Monster
▪ Lolita-Stories
SEXUALISIERTE GEWALT: ZAHLEN & FAKTEN
Die Hälfte aller Taten wird von Personen begangen, die den Betroffenen bekannt sind; ca. ein Viertel
kommt aus dem Familienumfeld.
Ca 90% der Taten werden von Männern oder
männlichen Jugendlichen begangen
SEXUALISIERTE GEWALT: ZAHLEN & FAKTEN Frauen als Täterinnen
Anteil der Frauen an der Gesamtgruppe Täter: je nach Statistik zwischen 6% und 15 %
Missbrauchsverhalten von Frauen unterscheidet sich
nicht vom Missbrauchsverhalten von Männern
Pädosexuell fixierter Typ
hat eine dauerhafte und ausschließliche Orientierung auf Kinder als potentielle Sexualpartner.
Regressiver Typ
ist grundsätzlich an alterspassenden Sexualpartnern interessiert, übt sexuelle Ersatzhandlungen an Kindern aus (Kompensation).
Soziopathischer / sadistischer Typ
sieht im Missbrauch vor allem ein Mittel zur Machtausübung, er ist Ausdruck von Wut und Rache, erfolgt häufig mit physischer Gewaltanwendung.
PÄDOSEXUELLE AKTEURE – UNTERSCHEIDBARE TYPEN
TÄTER - STRATEGIEN OPFER – DYNAMIKEN
Starkes Engagement in der Arbeit
Empathie im Umgang mit Kindern und Jugendlichen (vernebelt die wahre Absicht)
Vom „Antesten“ zum schweren Übergriff Täter/innen gehen strategisch vor, suchen Opfer gezielt aus
Täter/innen setzen an den Schwächen und Bedürfnissen des Kindes an
Nutzen Macht- und Autoritätsposition aus, um eigene Bedürfnisse auf Kosten der Kinder zu befriedigen
Aufrechterhaltung durch (z.B.)
Verunsicherungen / Schuldgefühle / Drohungen etc.
Risikofaktoren:
Eingeschränktes Selbstwertgefühl
traditionelle Erziehung wie z.B. unbedingter Gehorsam gegenüber Erwachsenen
unzureichende Sexualaufklärung
persönliche (Not-)Situation und bestehendes Vertrauensverhältnis werden ausgenutzt
Reaktionen:
Scham- und Schuldgefühle, Ängste;
Unspezifische Signale - schwer zu erkennen
Ohne externe Unterstützung häufig nicht in der Lage, sich aus Missbrauchssituation zu befreien
Den Opfern verpflichtet
Wir müssen eine „Kultur des Hinschauens“ entwickeln, höre und lese ich seit einiger Zeit. Spreche ich mit Menschen zum Thema, frage ich sie: „Und, wo schauen sie nun hin?“ Statt einer Antwort ernte ich fragende Blicke. Solange die Kriterien, an denen ich misshandelte Kinder erkennen kann, nicht
Allgemeinwissen sind, solange ich Strukturen in den Einrichtungen, in denen sich Kinder aufhalten, nicht beurteilen kann, solange ist „Hinschauen“ zwar gut gemeint, aber nicht wirkungsvoll. Ich muss wissen, wohin ich schauen soll.
Zitat aus der Dankesrede zur Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises am 26. 11. 2012 von Andreas Huckele
(Pseudonym Jürgen Dehmers), Betroffener und Autor des Buches:
Wie lange soll ich denn noch schreien? –
Die Odenwaldschule und der sexuelle Missbrauch
Prävention von sexualisierter Gewalt
gegen Kinder und Jugendliche im Bistum Münster
Augen auf. Hinsehen und schützen.
PRÄVENTION
Präventionsgrundsätze
Erwachsene sind für den Schutz von Kindern und Jugendlichen zuständig
Nur informierte und sprachfähige Erwachsene können schützen
Information – Sensibilisierung – Handlungssicherheit
PRÄVENTION
Prävention konkret
Schulungen für alle Ehren- und Hauptamtlichen Erweitere Führungszeugnisse werden eingeholt Institutionelle Schutzkonzepte werden erarbeitet Präventionsfachkraft vor Ort werden benannt
Maßnahmen zur Stärkung von Kindern und
Jugendlichen
DIE MHG STUDIE Ziele der Studie
Datenmaterial zu Häufigkeit und zum Umgang mit sexuellen Missbrauchshandlungen durch Priester,
Diakone, männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofkonferenz
Einsicht in die Täter-Opfer-Institutionen-Dynamik
wissenschaftliche Forschung, nicht Aufarbeitung
sexuellen Missbrauchs
DIE MHG STUDIE
Zentrale Befunde - Betroffene
3677 betroffene Kinder und Jugendliche (62, 8% männlich; 34,9% weiblich, 2,3% ohne Angaben
Mehr als 50 % waren beim ersten sex. Missbrauch bis max. 13 Jahre alt Mehrfachtaten an einzelnen Betroffenen waren häufiger als Einzeltaten Anvertrauen an Dritte hatte wenig Erfolg
Dreiviertel der Betroffenen standen mit den Beschuldigten in einer kirchlichen oder seelsorglichen Beziehung
Gesundheitliche und psycho-soziale Probleme als Langzeitfolgen
DIE MHG STUDIE
Zentrale Befunde - Beschuldigte
(38156 Akten) Bei 1670 Klerikern fanden sich Hinweise auf Beschuldigungen des sex. Missbrauchs: 4,4 % aller Kleriker aus den Jahren 1946 – 2014
Bei den meisten Ersttaten waren die Beschuldigten zwischen 30 und 50 Jahren alt. Zwischen Weihe und angeschuldigter Ersttat lagen im Mittel 14, 3 Jahre. (es gab auch Beschuldigte, die deutlich früher beschuldigt wurden).
Hinweise auf Pädophilie – 28,3% (keine Diagnose)
Hinweise auf Homosexualität – 14,0% (Pers.A) bzw. 19,1 % (STR.A) Hinweise auf psychosoziale Vorbelastungen und Risikoverhalten
DIE MHG STUDIE
Kontextualisierung der Befunde
Häufigkeit des Missbrauchs
Überwiegend männliche Betroffene/ Homosexualität Zölibat
Typologie (fixierter/narzisstisch-soziopathischer/regressiv- unreifer Typ)
Klerikalismus
➢ Keine monokausalen Erklärungen
DIE MHG STUDIE Empfehlungen
Homogenität der Haltungen und Vorgehensweisen der Diözesen Personalaktenführung vereinheitlichen und professionalisieren Unabhängige Kontaktangebote für Betroffene
Etablierung weitergehender Forschung
Kirchenrechtliche Verfahren und Sanktionen Aus- und Weiterbildung von Priestern
Katholische Sexualmoral
Umgang mit klerikaler Macht