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Eine Geburtstagsfeier für den kaiserlichen Bruder und das Blutgold vom jüdischen Tempel

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Empathie auslösende Münzen

Ein Historiker, wenn er eine Münze in die Hand nimmt, ist daran gewöhnt, sie nicht nur als ein schönes oder wertvolles Sammlerstück wahrzunehmen. Sein Augenmerk gilt mehr der Geschichte, die hinter einer jeden Münze steckt. In einigen Fäl- len aber bleibt es nicht dabei, eine Münze historisch einzuord- nen, denn einige dieser Geldstücke lassen

selbst bei dem nüchternsten Wissenschaftler allerlei Gefühle aufsteigen. Sehr oft entsteht ein tiefes Mit gefühl – Empathie – für jene Menschen, mit deren Lebensschicksalen die Prägung einer Münze verbunden war. Um derartige numisma tische Zeitzeugen geht es in diesem Beitrag.

Ein Aureus, geprägt von Kaiser Vespasians Sohn Titus für seinen Bruder Domitian

Vor einigen Wochen kam mir in einer gro- ßen und historisch äußerst bedeutenden Sammlung jüdischer Münzen, die im Februar 2020 von dem Auktionshaus Künker in Osna- brück ver steigert werden wird, ein römischer Aureus in die Hand. Auf der Vorderseite die- ser kaiserzeitlichen Goldmünze von 7,52 g Gewicht ist der Kopf des jugendlichen Prin- zen Domitian zu sehen. Sein Porträt ist von der lateinischen Legende DOMITIANO CAESARI PR(incipi) IV(ventutis) (Dem Domitian Caesar, dem Anführer der adligen Jugend des Reiches) umgeben. Aus dieser im Dativ abgefassten Münzlegende geht eindeu- tig hervor, dass das Goldstück nicht allein Domitians Zugehörigkeit zur kaiserlichen Familie herausstellen will. Wäre das der Fall gewesen, hätte der Name des kaiserlichen Prinzen auf der Münze im Nominativ gestan- den. Dem Dativ ist jedoch zu entnehmen, dass diese Münze Domitian gewidmet wurde

– zu einer Zeit, in der er als kaiserlicher Prinz den Ehrentitel eines Princeps iuventutis führen durfte. Derjenige, der ihm die Münze widmete, war sein Bruder Titus. Dessen Name steht auf der Rückseite des Geldstücks auf einem großen Rundschild, der über zwei gekreuzten Lanzen platziert ist. Die Reversle- gende setzt den Text der Vorderseite fort: IMP(erator) | T(itus)

| CAESAR ([widmete] der Feldherr Titus Caesar [diese Mün- ze]). Das kriegerische Rückseitenbild macht deutlich, dass Ti- tus bei dieser Prägung sein Feldherrnamt bzw. die von seinen Soldaten ausgebrachte Ausrufung als siegreicher Befehlshaber (Imperator) herausstellen wollte. Das führt uns in die Zeit, wo Titus von Juli 69 bis Mai 71 im Auftrag seines Vaters das Ober- kommando über die römischen Truppen in Palästina und Syri- en führte. In dieser Zeit hatte Titus als kommandierender

Feldherr auch Prägerecht, musste er doch die Möglichkeit ha- ben, seine Soldaten mit Geld zu versorgen.

Bestätigt wird die räumliche Einordnung des Aureus durch seine Machart und seinen Stil. Ein versierter Numismatiker kann nämlich ohne Schwierigkeiten erkennen, dass dieser Au- reus nicht in Rom, sondern im Osten des Römischen Reiches produziert wurde. Das Bildnis des Prinzen Domitian, das dieser Aureus zeigt, ist ein Phantasieporträt, das sehr an Darstellungen des jungen Nero angelehnt ist. Da Domitian in dieser Zeit sich nicht bei seinem Vater und Bruder in Palästina aufhielt, sondern in Rom lebte, mussten die Stempel- schneider sein Porträt „erfinden“. Allenfalls Beschreibungen von Personen, die ihn kann- ten, konnten dazu beitragen, reale Züge in die Wiedergabe seines „Porträts“ einzu bringen.

Alle diese Überlegungen ermöglichen es uns, diese Münze, von der bisher nur ein einzi- ges Exemplar aufgetaucht ist, recht genau in einen bestimmten historischen Zusammen- hang einzuordnen (Abb. 1).

Die Flavier und der 1. Jüdische Auf- stand (Frühjahr 66 bis September 70)

Der Aureus für den Prinzen Domitian führt uns nach Judäa, das damals zur römi- schen Provinz Syrien gehörte. Dort trafen in den sechziger Jahren des 1. Jhdts. n. Chr. der römische Anspruch auf eine Herrschaft über die gesamte damals bekannte Welt und das Streben vieler strenggläubiger Juden nach einem jüdischen Gottesstaat immer massiver und zunehmend unvereinbarer aufeinander.

Die römischen Gouverneure, die Judäa, das Kernland der Juden, im Namen des römischen Kaisers verwalteten – sie trugen den Titel eines Praefekten und unterstanden dem kai- serlichen Legaten von Syrien –, verstanden sehr oft die jüdischen Mentalitäten und Emp- findlichkeiten nicht oder nahmen, weil sie sich als Herren des Landes fühlten, keine Rücksicht auf sie. Sehr viele römische Beamten waren bemüht, sich in den Provinzen zu bereichern, und waren deshalb oft über alle Maßen korrupt.

Für weitere Unruhe sorgten die ständigen Konflikte zwischen Griechen und Juden in den Städten der Region. Gleich drei selbstbewusste Lebenswelten trafen im Nahen Osten aufeinan- der: Das von Gott auserwählte jüdische Volk mit der vermeint- lich einzig wahren Religion, die griechischen Lieblinge der Göt- ter mit der attraktivsten Kultur der Mittelmeerwelt, und schließ- lich die Römer, die für sich in Anspruch nahmen, im Auftrag Jupiters der ganzen Welt Ordnung und Frieden zu bringen. Die jüdische Bevölkerung auf dem Lande litt in dieser Zeit häufiger unter Missernten und Seuchen. Die jüdischen Bauern, weil ihnen nur wenig Geld zum Leben blieb, empörten sich über die

Eine Geburtstagsfeier für den kaiserlichen Bruder und das Blutgold vom jüdischen Tempel

Abb. 1: Titus gratuliert seinem Bru- der Domitian zum Geburtstag (Au- reus der Josef Samel-Collection 337, vgl. RPC II 1909; Photo Archiv der Fa. Künker; Abb. vergr.)

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zerstörten jüdischen Heiligtums ein Opfer vor den römischen Feldzeichen darbrachte und bei dieser ersten Siegesfeier von seinen Soldaten als Imperator bejubelt wurde. Schließlich wur- den die Ruinen des Tempels als feindliche Festung, in der sich die Aufständischen verschanzt hatten, dem Erdboden gleichge- macht. Damit hatten die Juden ihr religiöses wie auch geistiges Zentrum verloren. Anfang September war ganz Jerusalem in der Hand des Titus. Die gesamte jüdische Bevölkerung der Stadt, die den Sturm auf ihre Stadt überlebt hatte, wurde gefan- genengenommen – nach Josephus waren es knapp 100.000 Menschen – und zum größten Teil als Sklaven verkauft. An die 20.000 jüdische Kriegsgefangene wurden nicht in die Sklaverei geschickt, sondern von Titus für andere, noch brutalere Zwecke aufgespart.

Titus feiert sich und seine kaiserliche Familie (September 70 bis Juni 71)

Nach der Eroberung von Jerusalem hielt es Titus nicht lange in Jerusalem. Zum einen war er dort mit dem Problem der Ver- sorgung von vielen Soldaten konfrontiert, zum anderen sah er offenbar die Gefahr des Ausbruchs von Seuchen, denn das zer- störte Jerusalem war mit Leichen der teils verhungerten, teils erschlagenen Juden angefüllt. Überdies hatte Titus die Absicht, vor seiner Abreise nach Rom, wo ein Triumph auf ihn wartete, sich und seine kaiserliche Familie in der gesamten Levante für den errungenen militärischen Erfolg feiern zu lassen. Gleich- zeitig beabsichtigte er, auf diese Weise die teilweise großen Ju- dengemeinden in den Städten Palästinas, Phönikiens und Syri- ens einzuschüchtern und von erneuten Aufständen gegen Rom abzuschrecken. Demonstrativ wollte er vorführen, wie brutal Rom mit Aufrührern verfuhr.

So zog er von September 70 bis Juni 71 in Begleitung von zwei Legionen, die seinem Auftreten Glanz und Respekt ver- leihen sollten, von Caesarea maritima nach Antiochia in Syrien und von dort wieder zurück nach Alexandria in Ägypten. Dort trat er die Heimreise nach Rom an. In den neun Monaten sei- ner Rundreise wurden in den wichtigsten Städten der Region Siegesfeiern veranstaltet, in deren Mittelpunkt Titus’ Vater, der neue Kaiser Vespasian, und er selbst, der Sieger über die auf- ständischen Juden, standen.

Titus hielt sich zunächst längere Zeit in Caesarea maritima auf. Die Stadt wurde damals zur Hauptstadt einer neuen Pro- vinz Palästina erhoben. Caesarea erhielt den Status einer römi- schen Colonia, d.h. seine Bürger wurden rechtlich den Bürgern von Rom gleichgestellt. Nach einem kurzen Abstecher nach Caesarea Philippi im Norden Galiläas kehrte Titus wieder nach Kopf- und Bodensteuern, die sie an die römischen Friedens-

bringer zahlen mussten, und folgten zunehmend den Ansichten radikaler Führer: Diese träumten davon, die Römer aus dem Land Israel, das Gott den Juden, so glaubten sie, gegeben hatte, zu verjagen. Schließlich mündete die allgemeine Empörung im Frühjahr 66 n. Chr. in einen regelrechten Aufstand ein, der unter dem Namen der „Großen Revolte“ in die Geschichte eingegan- gen ist. Das aus lösende Ereignis dürfte ein römischer Übergriff auf Gelder des jüdischen Tempels in Jerusalem gewesen sein.

Nachdem die Aufständischen in Jerusalem eine römische Militäreinheit niedergemacht hatten, versuchte der römische Statthalter von Syrien, dem Judäa unterstand, den Aufstand ge- waltsam niederzuschlagen. Diese Aktion war allerdings nicht von Erfolg gekrönt und verstärkte noch die Hoffnungen der Rebellen, die Römer militärisch schlagen zu können. Es war den Aufständischen nämlich gelungen, eine ganze römische Le- gion in einen Hinterhalt zu locken und aufzureiben. Das aber konnte Rom nicht hinnehmen. Kaiser Nero war über diese Er- hebung äußerst besorgt und entsandte im Jahre 67 n. Chr. drei ganze Legionen und etwa dreißig Einheiten Hilfstruppen – ins- gesamt etwa 60.000 Soldaten – nach Palästina, um mit aller Macht der Rebellion ein Ende zu setzen. Den Oberbefehl über dieses gewaltige Militäraufgebot vertraute er einem römischen Senator namens Flavius Vespasianus an. Ihn unterstützte sein Sohn Titus. Mit ihrer militärischen Übermacht gelang es Vater und Sohn, bis zum Frühjahr 68 den Aufstand im Norden Paläs- tinas – in Galiläa – niederzuschlagen; Judäa mit seinem Zent- rum Jerusalem blieb jedoch in der Hand der Aufständischen, die sich immer weiter radikalisierten und sogar andere jüdische Führer, die für Verhandlungen stimmten, um brachten.

Im Juni 68 kam es im Westen des Römischen Reiches zu einer Erhebung gegen Kaiser Nero, in deren Verlauf der bizar- re Herrscher Selbstmord beging. Mit ihm endete nach ca. 100 Jahren das julisch-claudische Kaiserhaus, das Augustus von 30 v. Chr. bis zu seinem Tod im Jahre 14 n. Chr. Schritt für Schritt etabliert hatte. Die Auseinandersetzungen um Neros Nachfol- ge – drei römische Senatoren fühlten sich zu ihr berufen – führ- ten dazu, dass der Feldzug gegen die aufständischen Juden nicht weitergeführt werden konnte, da nicht klar war, in wessen Auftrag und mit welcher Zielsetzung Vespasian den Krieg fort- führen sollte. Als das Durcheinander im Reich immer größer wurde und immer weniger klar war, wer in ihm das Sagen hatte, fasste Vespasian im Mai 69 den Entschluss, den Aufstand in Ju- däa auf eigene Faust endgültig niederzuschlagen. In einem Mo- nat brachten Vespasian und sein Sohn Titus ganz Judäa mit Ausnahme von Jerusalem und den Bergfestungen Machairous, Herodion und Massada wieder unter römische Kontrolle. Auf diesen grandiosen militärischen Erfolg hin riefen Anfang Juli die östlichen Legionen Vespasian zum Kaiser aus. Das Jahr 69 wurde durch diese Ereignisse zum Vierkaiserjahr. Vespasian begab sich sofort nach Alexandria in Ägypten und bereitete sich darauf vor, sofort nach Rom abzureisen, wenn seine Unter- stützer dort die Oberhand gewonnen hatten. Das war aber erst ungefähr ein Jahr später der Fall, im Frühsommer 70.

Das Kommando über das römische Heer, das in Judäa stand, hatte Vespasian vor seiner Abreise nach Alexandria seinem Sohn Titus übertragen. Dieser konzentrierte sich auf die Bela- gerung von Jerusalem, dem Zentrum des Aufstandes, und da- mit auf die Eroberung des Rebellenzentrums. Titus ließ Jerusa- lem mit einer Ringmauer einschließen, um auf diese Weise die Aufständischen auszuhungern. In der Folgezeit gelang es ihm, Jerusalem Stück um Stück den sich erbittert verteidigenden Aufständischen, von denen viele den Hungertod starben, zu entreißen. Dabei wurde im August 70 das religiöse Zentrum des Judentums, der Tempel, niedergebrannt (Abb. 2). Der jüdi- sche Historiker Josephus berichtet davon (Jüdischer Krieg VI 283-287), wie Titus nach der Eroberung des Tempels im Hof des

Abb. 2: David Roberts, Siege and Destruction of Jerusalem, 1850 (Wikipedia, public domain: http://www.preteristarchive.com/ART- chive/1850_roberts_destruction-jerusalem.html).

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gefordert hatten. Titus wollte die Juden auf jede nur erdenk liche Art demütigen und schreckte dabei vor keiner körper lichen wie seelischen Grausamkeit zurück. Angesichts der Prägeumstände dieses Aureus ist es nicht verwunderlich, dass von dieser in äußerst geringer Stückzahl ausgebrachten Münze nur ein ein- ziges Stück auf uns gekommen ist.

Interessant ist, dass jemand unter dem Schild des Titus ein N eingeritzt hat, das wir nicht sicher deuten können: Begann mit diesem Buchstaben der Name des von Titus Beschenkten, oder handelt es sich um einen Hinweis auf die Siegesfeier von Cae- sarea, so dass etwa N(ЍɏɌ), d.h. Sieg, gemeint war? Auch auf der Vorderseite gibt es ein Graffito. Es besteht aus drei Buchsta- ben, die rechts und links vom Kopf des jugendlichen Domitian stehen. Es handelt sich um hebräische Schriftzeichen, um ein Mem, ein Waw und ein Taw. Diese drei Lettern bilden das Wort MWT (mawat), d.h. Tod. So ist diese Münze zum Schlachtfeld der Gefühle geworden.

In jedem Fall waren die Geburtstagsfeier und der Hinweis auf einen zweiten Sohn des amtierenden Kaisers, der für die Herrschaftsübernahme bereitstand, für die Akzeptanz der fla- vischen Dynastie recht wichtig. Das Fehlen von Söhnen, die die Herrschaft des Vaters übernehmen konnten, bedeutete Stress für ein monarchisches System, indem es die Gefahr eines Bür- gerkriegs nach dem Tode des gerade regierenden Kaisers herauf beschwor. Insofern stand viel politisches Kalkül hinter der Geburtstagsfeier für Domitian in Caesarea maritima.

Einige Wochen später, am 17. November 70, feierte Titus in Berytos, dem heutigen Beirut, erneut einen Geburtstag, dies- mal den seines Vaters Vespasian (Josephus, Jüdischer Krieg VII 39): Darauf zog der Caesar nach Berytos, einer römischen Kolo- nie in Phönizien. Dort verwandte er längere Zeit noch größeren Pomp für den Geburtstag seines Vaters, sowohl was die Ausga- ben für Schauspiele als auch was den Einfallsreichtum für die übrigen kost spieligen Aufwendungen anging. Eine Menge der Gefangenen musste auf die gleiche Weise wie früher das Leben lassen. Und auch für diesen Geburtstag ließ Titus Goldmünzen prägen. Die Vorderseite zeigt Porträt und Titel seines Vaters, des Geburtstagskindes Vespasian: IMP(eratori) VESPA(siano) CAESAR(i) AVGVS(to). Die Rückseite ist stempelgleich mit dem Revers des Aureus für Domitian: wiederum der Schild über zwei Lanzen und auf dem Schild die Inschrift des Gratu- lanten Imperator Titus Caesar. Aufgrund der Stempelgleichheit ist sichergestellt, dass dieselbe mobile Münzwerkstatt auch die- ses Stück prägte (Abb. 3). Auch von dieser Münze ist nur ein einziges Stück bekannt.

In die Reihe dieser Prägungen gehört schließlich noch ein Aureus, der Titus, den siegreichen Feldherrn, selbst zeigt: Auf der Vorderseite ist die Büste des Titus mit Lorbeerkranz, umge- ben von der Legende IMP(erator) T(itus) CAESAR VESPASI- ANVS, zu sehen. Auf der Rückseite beschreibt eine geflügelte Victoria (oder Nike, wie sie im griechischsprachigen Osten ge- nannt wurde) einen Schild, der an einem Palmbaum hängt:

IMP(erator) T(itus) CAESAR – genau jenen Text den wir von den Rückseiten der Geburtstagsmünzen kennen. Umrahmt wird diese Szenerie von der Legende IVDAEA – DEVICTA (Judäa ist völlig besiegt). Diese ebenfalls extrem rare Münze wird wahrscheinlich bei beiden Festveranstaltungen verschenkt worden sein (Abb. 4), und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass von diesem Typus mehrere Exemplare erhalten sind.

Die Defizite einer neuen Dynastie: Die Judaea devic- ta-Propaganda von Vespasian und Titus in Rom

Die Familien- und Siegespropaganda des Titus in der Le- vante gab nur einen Vorgeschmack auf das, was noch folgen sollte. Nach seiner Ankunft in Rom feierte er im Juni 71 zusam- men mit seinem Vater Vespasian einen Triumph. Im Triumph- Caesarea maritima zurück und feierte dort am 24. Oktober 70

den Geburtstag seines Bruders Domitian. Der jüdische Schrift- steller Josephus hat Einzelheiten dieser Geburts tagsfeier in seinem Buch über den Jüdischen Krieg (VII 37-38) festgehal- ten: Während seines Aufenthaltes in Caesarea feierte Titus den Geburtstag seines Bruder mit großer Pracht und ließ zu seinen Ehren wieder einen großen Teil der Strafe an den Juden voll- strecken. Denn die Zahl derer, die bei Tierkämpfen umkamen, verbrannt wurden oder in Kämpfen gegen einander fielen, über- stieg 2500. Freilich schien dies alles den Römern, auch wenn sie auf unzählige Weisen zu Tode gebracht wurden, eine zu geringe Strafe zu sein. Titus nutzte demnach die Feier lichkeiten zum Geburtstag seines Bruders, um jüdische Kriegsgefangene vor aller Augen zu bestrafen. Sie wurden im Amphi theater für ein blutiges Unterhaltungsprogramm ver wendet: Sie mussten mit wilden Tieren oder gegeneinander kämpfen. Diejenigen, die sich weigerten, dabei „mitzuspielen“, wurden verbrannt.

Es ist so gut wie sicher, dass die eingangs vorgestellte Gold- münze, die dem jungen Domitian gewidmet ist (Abb. 1), mit die- ser Feier in Caesarea am Meer in Verbindung zu bringen ist: Aus dem Beutegold, das mit Gewissheit überwiegend aus dem Tem- pelschatz stammte, ließ Titus diese Goldstücke von einer mobi- len Münzwerkstatt, die ihn begleitete, prägen. Bei der Er- oberung des Tempels war den Römern enorm viel gehortetes Gold in die Hände gefallen. Dieses Edelmetall, von dem große Mengen in Umlauf gebracht wurden, überschwemmte im Osten die Märkte. so dass der Marktwert von Gold in der Levante um 50 Prozent sank. Titus’ Aurei wurden als besondere Geschenke für die Honoratioren von Caesarea produziert. Es handelt sich bei ihnen nicht um Münzen, die für den Geldumlauf geprägt wurden, sondern um Gedenkprägungen, die an die Geburts- tagsfeierlichkeiten für den Prinzen Domitian und an die Bestra- fung der aufrühreri schen Juden erinnern sollten. Wahr scheinlich wurde sogar bekanntgemacht, dass die verschenkten Aurei aus Gold vom jüdischen Tempel stammten, denn die Römer waren, wie der Historiker Josephus betont, noch voller Ingrimm über den hartnäckigen Widerstand der Rebellen, die Rom heraus-

Abb. 5: Büste des Vespasian nach rechts. // Vespasian in der Trium- phalquadriga (Aureus der Josef Samel-Collection 326; Photo Archiv der Fa. Künker; Abb. vergr.)

Abb. 3: Titus gratuliert seinem Vater Vespasian zum Geburtstag (nach RPC II 1908; Abb. vergr.)

Abb. 4: Büste des Titus nach rechts. // Eine geflügelte Victoria/Nike schreibt den Namen des Titus auf einen Rundschild, der an einer judäischen Palme hängt (Aureus, versteigert von Heritage World Coin Auctions, Signature Sale 3003, 8.3.2012, Nr. 20531; Abb. vergr.)

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Sohn des göttlichen Vespasian, dem Pontifex maximus, im 10.

Jahre seiner Volkstribunengewalt, der 17 Mal als Imperator ak- klamiert wurde, dem achtmaligen Consul, dem Vater des Vater- landes, seinem Führer, weil er nach väterlichen Vorschriften, Rat- schlägen und Auspizien das Volk der Juden bezwungen und die Stadt Hierusolyma zerstört hat, die von allen Führern, Königen und Völkern vor ihm vergeblich bestürmt oder erst gar nicht zu erobern versucht wurde. Nur ganz geringe Bruchstücke von die- sem lateinischen Text sind wiedergefunden worden. In dieser Inschrift wird in einer unglaublichen Geschichts klitterung be- hauptet, dass Titus der erste gewesen sei, der Jerusalem erfolg- reich habe erobern können. Nebukadnezar, der 597 und 586 v.

Chr. die Stadt eroberte, Antiochos IV., der 167 v. Chr. Jerusalem unter seine Kontrolle brachte, und Pompeius, der 63 v. Chr. so- gar in das Allerheiligste des Tempels eindrang, wurden einfach ausgeblendet. Abgesehen davon scheuten die Römer sich nicht, offen zu sagen, dass Titus die Stadt Jerusalem zerstört habe.

Auch Titus’ Vater Vespasian wurde ein Bogen geweiht, der aber bisher nicht sicher lokalisiert werden konnte. Mit einem Teil der Beute, die bei der Eroberung von Jerusalem gemacht wor- den war, und mit dem Geld, das aus dem Verkauf von Zehntau- senden von Juden eingekommen war, finanzierten Vespasian und Titus auch den Bau des Kolosseums in Rom, das nach sei- nen Stiftern, der flavischen Kaiserfamilie, auch Amphitheatrum wagen fuhren beide über die heilige Straße zum Kapitol hinauf,

um Jupiter Capitolinus ihren Dank abzustatten. Münzen, dar- unter auch Aurei, zeigen Vespasian (Abb. 5) wie auch Titus in der Triumphalquadriga. Bei diesem Triumph wurden die pro- minentesten Beutestücke – das waren insbesondere die golde- nen Kultgegenstände aus dem Tempel: Menorah, Schaubrot- tisch und die Trompeten – den Römern gezeigt; auf Schildern stand geschrieben, um was es sich handelte. Titus’ Bruder Do- mitian ließ diese zentrale Szenerie des Triumphzuges nach des- sen Tod im Durchgang des berühmten Titusbogen auf einem Seitenrelief darstellen (Abb. 6a, b, c). Die Flavier bauten ein eigenes Heiligtum für die Beutestücke aus dem Jerusalemer Tempel und weihten sie der Göttin Pax, d.h. der Friedensgöttin (Abb. 7). So einfach war die Sicht der Sieger: Die Juden hatten den Frieden gebrochen, Rom hatte ihn wiederhergestellt. Die Anführer der jüdischen Rebellen wurden, nachdem sie gefes- selt im Triumphzug vorgeführt worden waren, nach dem Fest- zug im Staatsgefängnis erdrosselt. Dieser Umgang mit besieg- ten Anführern hatte in Rom Tradition. Titus erhielt im Circus Maximus einen dreitorigen Bogen, der seinen Sieg über Judäa verherrlichte. Erst kürzlich wurden seine Fundamente wieder- entdeckt. Seine Aufschrift kennen wir, da ein Rompilger im 9. Jh. n. Chr. sie abgeschrieben hat: Der Senat und das Römische Volk dem Imperator Titus Caesar Vespasianus Augustus, dem

Abb. 7: Büste des Vespasian nach rechts. // Die Göttin Pax (Aureus der

Josef Samel-Collection 328; Photo Archiv der Fa. Künker; Abb. vergr.) Abb. 9: Porträt des Vespasian nach rechts. // Die Personifikation der jammernden Judaea sitzt zu Füßen eines römischen Tropaions, einer Wendemarke, die dort aufgestellt wurde, wo der Feind sich zur Flucht gewandt hatte (Aureus der Josef Samel-Collection 300; Photo Archiv der Fa. Künker; Abb. vergr.)

Abb. 10: Porträt des Vespasian nach rechts. // Unter einem Palmbaum sitzt rechts die klagende Personifikation Judaeas, links steht ein jüdi- scher Gefangener, dessen Hände hinter seinem Rücken zusammenge- bunden sind, dahinter ein Haufen erbeuteter Waffen (Sesterz der Jo- sef Samel-Collection 602; Photo Archiv der Fa. Künker. Abb. vergr.) Abb. 6 a, b, c: Der Triumphzug des Vespasian und Titus auf einer Darstellung des Titusbogens in Rom (Photos J. Nollé)

Abb. 8: Das Amphitheatrum Flavium, erbaut aus Geldern der Beute von Jerusalem (Photo J. Nollé)

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ti wie auch der Palmbaum, ein Symbol für Judaea, ließen kei- nen Zweifel daran, wie die Münzen zu deuten waren. Andere Siegesprägungen zeigten die römische Victoria oder die sieg- reichen Flavier (Abb. 12).

Überblickt man die kaum erwartbare Brutalität, mit der Vespasian und Titus die aufständische Provinz Iudaea behan- delten, und die Rücksichtslosigkeit, mit der sie ihren militäri- schen Erfolg propagierten und sogar im Stadtbild von Rom sichtbar machten, so stellt sich die Frage nach den Gründen für dieses Übermaß an Aggressivität. Der Hauptgrund dafür, dass der Revolte einer kleinen, letztlich wenig bedeutendem Pro- vinz des Imperiums soviel Bedeutung beigelegt wurde, hing vor allem mit Defiziten der Flavier zusammen. Die Aufständischen hatten das Pech, dass es gerade in der Zeit ihrer Erhebung zu einem Dynastiewechsel kam. Die Herrscher der neuen Dynas- tie, die nicht aus einer der alten und angesehenen aristokrati- schen Familien Roms stammten, mussten die ihnen durch ein wohlmeinendes Schicksal zugefallene Herrscherrolle rechtfer- tigen. Dafür kam den Flaviern der Aufstand in Judäa gerade recht. Vespasian und Titus nutzten seine Niederschlagung dazu, sich als geniale Generäle wie auch als Friedensbringer und Wohltäter Roms zu stilisieren. Erst der letzte Kaiser aus der flavischen Dynastie, jener Domitian, dessen Geburtstagsmünze wir eingangs behandelt haben, ließ den Krieg in Judäa auf sich beruhen. Er war an ihm nicht beteiligt gewesen und versuchte, sich als Sieger über die Germanen an der Nordgrenze des Rei- ches zu stilisieren.

Die Brutalität der Flavier blieb nicht ohne Folgen. Ihre Gnadenlosigkeit im Umgang mit den Besiegten, von der in be- sonderem Maße die Münzen Zeugnis ablegen, führte schon un- ter Kaiser Hadrian zu einer neuen Revolte in der Provinz Ju- däa.

Ausblick

Der Fall dieser Münze – Blutgold aus dem jüdischen Tempel im Dienste römischer Dynastiepropaganda – dürfte deutlich gezeigt haben, welche große Bedeutung Münzen als Zeitzeu- gen selbst weit zurückliegender Ereignisse haben können. Sie fordern von uns historische Einordnung und Reflexion und können uns auch zu jener Empathie verhelfen, die hemmungs- loses Ausleben von Aggressionen erkennt und missbilligt und damit den Verlust von Humanität verhindert.

Flavium genannt wurde (Abb. 8). Über den Eingängen der blu- tigen Vergnügungsstätte war zu lesen, dass das Theater aus der Judenbeute hatte gebaut werden können. Damit auch dem letzten Bürger Roms und des Reiches klar werden sollte, dass es Vespasian und Titus zu verdanken war, dass der Aufstand der Juden niedergeschlagen und der Frieden im Reich wiederher- gestellt worden war, wurde auf den Münzen Roms über 10 Jahre lang in schon psychopathischer Manier die Niederwer- fung der jüdischen Rebellen propagiert. Es wurden verschiede- ne Typen von Aurei, Denaren und Bronzemünzen geprägt, die immer wieder die klagende weibliche Personifikation Judäas oder gefesselte jüdische Gefangene zeigen (Abb. 9, 10 und 11).

Legenden wie Iudaea capta, Iudaea devicta oder Gloria Augus-

Abb. 11: Porträt des Vespasian nach links. // Die jammernde Judaea sitzt zu Füßen eines Palmbaums, hinter ihr steht der Kaiser in Mili- tärtracht; in seiner erhobenen Rechten hält er eine Lanze, in der Lin- ken ein Schwert, seinen linken Fuß hat er auf einen Helm gesetzt (Sesterz der Josef Samel-Collection 312; Photo Archiv der Fa. Kün- ker; Abb. vergr.)

Abb. 12: Büste des Vespasian nach rechts. // Victoria schreibt den Namen des Siegers auf einen Schild, der an einem Palmbaum aufge- hängt ist. An dem Fuß der Palme sitzt die jammernde Judaea (Se- sterz der Josef Samel-Collection 314; Abb. vergr.)

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