Immer mehr, immer brutaler?
Zur Entwicklung der Gewalt in Deutschland
Prof. Dr. Dirk Baier
- Als Gewalt kann der intentionale Einsatz physischer oder mechanischer Kraft durch Menschen, der sich unmittelbar oder mittelbar gegen andere Personen richtet, verstanden werden.
- Übergriffe wie Schlagen, Treten, Angriff mit Waffe…
- Nicht: strukturellen Gewalt = Diskriminierung, ungleiche Verteilung von
Einkommen und Ressourcen, eingeschränkte Lebenschancen aufgrund von Armut, Naturkatastrophen und Umweltverschmutzung …
Kriminalität
Mobbing, Bullying, Cyberbullying, Relationale Aggression, Indirekte Gewalt, Verbale Gewalt ... = Aggression
Bullying: Ein Schüler wird wiederholt und absichtsvoll direkten oder indirekten negativen Handlungen eines/mehrerer Schüler ausgesetzt. Zwischen Täter/n und Opfer/n besteht dabei i.d.R. ein Machtungleichgewicht (Anzahl, Stärke).
Dan Olweus: “aggressive, intentional act or behaviour that is carried out by a group or an individual repeatedly and over time against a victim who cannot easily defend him- or herself”
Direkt: verbal (Beschimpfen, Bedrohen, Auslachen), physisch (Schlagen, Treten), relational (Ignorieren)
Indirekt: verbal (Gerüchte verbreiten), relational (jemanden nicht zu Feier
einladen); nicht nur durch Gleichaltrigem auch durch Lehrkräfte
Cyberbullying: Bullying unter Verwendung neuer Medien (insb. Soziale Medien, Internetchat, Smartphone, E-Mail); Smith u.a. (2008): “aggressive, intentional act carried out by a group or individual, using electronic forms of contact, repeatedly and over time against a victim who can not easily defend him or herself”
Cybergrooming: Eine meist volljährige Person tritt bewusst mit einem Kind/Jugendlichen Online in Kontakt, gewinnt das Vertrauen und führt, gestützt auf Manipulation und Druck (Drohungen), sexuelle Übergriffshandlungen aus.
Cyberstalking: Tätigkeiten des Nachstellens, die mit Hilfe von technischen Kommunikationsmitteln durchgeführt werden
Sexting: Austausch selbstproduzierter freizügiger Bilder (meist Fotos, seltener Videos) Missbräuchliches Sexting: Erpressen von Nacktaufnahmen (Sextortion) oder Weiterleiten und Veröffentlichen von Nacktaufnahmen, das nicht mit den auf diesen Aufnahmen
abgebildeten Personen abgesprochen ist
Hate Speech: Verhalten, bei dem medienvermittelt Hass gegen Personen oder Gruppen, insbesondere durch die Verwendung von Ausdrücken, die der Herabsetzung und
Verunglimpfung von Bevölkerungsgruppen dienen“ verbreitet wird.
Kriminalität
Erkenntnisquellen:
Einerseits können die bei der Polizei zur Anzeige gebrachten Delikte betrachtet werden, das sog. Hellfeld. Werden zu den Delikten Beschuldigte ermittelt, liegen i.d.R. auch Angaben zu deren Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit vor.
Anderseits gelangen nicht alle begangenen Straftaten bei der Polizei zur Anzeige. Das tatsächliche Ausmass kriminellen Verhaltens lässt sich erst über sog. Dunkelfeldstudien
sichtbar machen, die meist als Befragungen angelegt sind, in
denen Selbstauskünfte zum Verhalten erhoben werden.
Entwicklung der Kriminalität seit 2007(Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik)
Kriminalität
2007 2018 Veränderung in %
Bevölkerung 82’314’906 82’792’351 0.6
alle Delikte 6’284’661 5’555’520 -11.6
Gewaltkriminalität 217’923 185’377 -14.9
Mord/Totschlag 2’347 2’471 5.3
vollendeter Mord 314 252 -19.7
vollendeter Mord i. Zus. M. Sexualdelikten 11 5 -54.5
Vergewaltigung 7’511 9’234 22.9
Raub 52’949 36’756 -30.6
Raub auf Geldinstitute 552 91 -83.5
Handtaschenraub 4’053 1’565 -61.4
schwere/gefährliche Körperverletzung 154’849 136’727 -11.7 vorsätzliche, leichte Körperverletzung 368’434 389’791 5.8
Diebstahl insgesamt 2’561’691 1’936’315 -24.4
einfacher Ladendiebstahl 400’183 316’953 -20.8
Wohnungseinbruchdiebstahl 109’128 97’504 -10.7
Kfz-Diebstahl 39’438 30’232 -23.3
Fahrraddiebstahl 372’045 292’015 -21.5
Drogendelikte insgesamt 248’355 350’662 41.2
gegen BtMG Cannabis 102’931 179’700 74.6
Betrug 912’899 840’783 -7.9
Schwarzfahren 207’194 213’443 3.0
Beleidigung 193’092 220’291 14.1
Sachbeschädigung 795’799 560’977 -29.5
Augenthalts-/Asylgesetz 88’621 163’063 84.0
Entwicklung der Gewaltkriminalität seit 1993 (Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik)
Farrell, G. (2013). Five tests for a theory of the crime drop.
Crime Science Crime Science 2, 1-8.
1. Der wirtschaftliche Aufschwung führt zu mehr wohlhabenden Menschen; Wohlhabende begehen weniger Straftaten.
2. Das Recht, in verdeckter Weise Schusswaffen mit sich zu führen, hat zur Folge, dass mehr Menschen verstärkt Waffen zur Selbstverteidigung tragen, was die Kriminalität u.a. deshalb senkt, weil potenzielle Täter/innen dadurch abgeschreckt werden.
3. Die Zunahme der Anwendung der Todesstrafe hat eine abschreckende Wirkung und damit weniger Kriminalität zur Folge.
4. Strengere gesetzliche Regelungen bzgl. des Waffenbesitzes verringern die Anzahl im Umlauf befindlicher Waffen und reduzieren so Kriminalität.
5. Die Zunahme der Anzahl an Straftäter/innen, die zu Haftstrafen verteilt werden, reduziert die Anzahl an Personen, die kriminelle Taten begehen; dies senkt die Kriminalität ebenso wie der Abschreckungseffekt, der mit der zunehmenden Anwendung härterer Strafen einhergeht.
6. Die Einführung neuer Polizeistrategien führt zu einer effektiveren Bekämpfung von Kriminalität (z.B. problemorientierte Polizeiarbeit POP; Einsatz von Prognosesoftware).
7. Der Anstieg der Polizeistärke erhöht die Aufklärungsquote und wirkt auf potenzielle Straftäter/innen abschreckend.
8. Die Legalisierung der Abtreibung hat zur Folge, dass weniger Menschen in familiär problematische Verhältnisse hinein geboren werden, die einen Risikofaktor für Kriminalität darstellen.
9. Die Zunahme der Immigration senkt Kriminalität, da Einwanderinnen und Einwanderer weniger Straftaten begehen als Einheimische.
10. Das steigende Vertrauen der Verbraucher in die Wirtschaft führt dazu, dass diese seltener gestohlene Waren kaufen; die Nachfrage nach Diebesgut sinkt und damit die Kriminalität.
11. Die geringe Nachfrage nach Drogen (Crack, Kokain) reduziert den Drogenhandel und die mit diesem einhergehende Kriminalität.
12. Die Einführung des bleifreien Benzins hat zur Folge, dass Kinder seltener Blei in ihrer Umwelt ausgesetzt sind. Blei schädigt die Gehirnentwicklung und erhöht darüber das Risiko für aggressives und antisoziales Verhalten.
13. Die Zunahme des Anteils älterer Personen und die Abnahme des Anteils jüngerer Personen, durch die ein Großteil der Kriminalität ausgeübt wird, führen zu einem Kriminalitätsrückgang.
14. Der Prozess der Zivilisierung, der u.a. von einer steigenden Akzeptanz des Staates und seiner zentralen Institutionen sowie der Gewaltmonopolisierung gekennzeichnet ist, ist kriminalitäts-senkend.
15. Der zunehmende Einsatz von (technischen) Sicherungsmaßnahmen (z.B. Wegfahrsperren in PKWs) erschwert das Begehen von Straftaten und reduziert damit Kriminalität.
Bildungsexpansion, Erziehung, Prävention, Medienkonsum…