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Archiv "Zunahme chronischer Erkrankungen in Indien: Im Dickicht der Daten" (29.11.2013)

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A 2316 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 48

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29. November 2013

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enn es um chronische Er- krankungen und deren ra- sante Zunahme in Indien geht, ist Prof. Prabhakaran Dorairaj Experte.

Innerhalb weniger Minuten rattert der Geschäftsführer des Centre for Chronic Disease Control in Neu- Delhi die wichtigsten Zahlen für das ganze Land herunter: Die Prä- valenz koronarer Herzerkrankun- gen liegt bei acht bis zehn Prozent in der Stadt und bei fünf Prozent auf dem Land. Die Häufigkeit von Dia- betes liegt ebenfalls bei etwa zehn Prozent in der Stadt und bei fünf Prozent auf dem Land. Ungefähr zehn Prozent der weltweiten Rau- cher leben auf dem Subkontinent – ihre Zahl wird nur übertroffen von denen in China. 60 Prozent der Menschen in Indien, die an den Fol- gen nicht übertragbarer Er - krankungen (Non-Communicable Diseases, NCDs) sterben, sind jün- ger als 70 Jahre.

Die Gründe, die der Kardiologe für diese Entwicklung nennt, folgen ebenso prompt: Die Bevölkerung be- ginne zu altern, die Ernährung eines Großteils der Inder sei ungesund, die Strategie der Nahrungsmittelindus- trie schwer zu durchbrechen und – die Menschen bewegten sich immer weniger, auch auf dem Land. Dabei

liegen Dorairaj zufolge Lösungen auf der Hand: eine Krankenversiche- rung für alle Inder, vernünftige Prä- vention, die Fortbildung von Ärzten zum richtigen Umgang mit chroni- schen Erkrankungen sowie eine bes-

sere Koordination der bestehenden Maßnahmen auf allen Ebenen.

Nach einer knappen Stunde im klimatisierten Büro des Geschäfts- führers scheint es, als seien viele Fragen rund um die Zunahme von NCDs in Indien beantwortet. Es stellt sich sogar die Frage, warum die Weltgemeinschaft, die seit 2011 regelmäßig über den richtigen Um- gang mit der drastischen Steigerung von NCDs vor allem in Entwick- lungsländern berät, so lange braucht, um wirkungsvoll gegensteuern.

Eine erste Ahnung davon, wie viel Theorie hinter den Ausführun- gen des Wissenschaftlers steckt, ge- winnt man im Indian Council of Medical Research. Die Abteilung für Gesundheitsforschung, die dem Gesundheitsministerium unterstellt ist, beschäftigt sich seit den 70er Jahren mit NCDs. Allerdings, er- klärt Abteilungsleiter Dr. D. K.

Shukla, habe erst die „Burden of Disease-Studie“ der Weltgesund- heitsorganisation aus dem Jahr 2000 den Wissenschaftlern die Au- gen für die drastische Zunahme nicht übertragbarer Erkrankungen geöffnet. Seit einigen Jahren stehe seiner Abteilung endlich ein wenig mehr Geld für die Forschung zu Verfügung. Das Problem: „Es gibt keine Kohortenstudien, und ge- ZUNAHME CHRONISCHER ERKRANKUNGEN IN INDIEN

Im Dickicht der Daten

In Indien stirbt der Weltgesundheitsorganisation zufolge inzwischen jeder Zweite an einer nicht übertragbaren Krankheit. Für den Umgang damit fehlt aber vor allem eines: verlässliche Daten.

Experte für chroni- sche Erkrankun- gen: Der Kardiologe Prabhakaran Dorairaj fordert eine Kranken- versicherung für alle und mehr Prävention, um die neue Epide- mie einzudämmen.

Fotos (3): laif

Foto: Martina Merten

T H E M E N D E R Z E I T

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29. November 2013 A 2317 meindebasierte Studien sind auf-

grund der schlechten Verhältnisse auf dem Land nahezu unmöglich“, sagt Shukla. Das einzige, was er und sein Team machen könnten, seien interventionelle Studien. Prä- valenz- oder Inzidenzstudien fän- den nicht statt. Denn: „Ärzte auf dem Land sind an der Behandlung der Patienten interessiert, nicht dar- an, Daten zu erfassen.“

Eineinhalb Flugstunden von der indischen Hauptstadt entfernt, in Lucknow, befindet sich das Viveka- nada Polyclinic & Institute of Medi- cal Sciences. 16 Millionen Men- schen leben im Großraum der Hauptstadt des Bundesstaates Uttar Pradesh. Die Poliklinik zählt zu den größeren staatlichen Krankenhäu- sern der Stadt. Mehr als eineinhalb Tausend Menschen suchen täglich die Ambulanz der Klinik auf, Hun- derte von ihnen sitzen, kauern und liegen entweder auf dem Boden oder den wenigen Bänken. Weitere 350 Patienten werden hier stationär ver- sorgt. Dr. R. N. Rastogi ist für die Verwaltung der Poliklinik zuständig.

Das Telefon in seinem dunklen Zim- mer im dritten Stockwerk klingelt alle zwei Minuten. Chronische Er- krankungen, sagt er, nehmen überall zu, in der Stadt ebenso wie auf dem Land. Nach Daten gefragt, die diese Aussage belegen könnten, antwortet er nichts. Das einzige Dokument, das Aufschluss über das Vorkom- men bestimmter Erkrankungen gibt, ist der Jahresbericht der Klinik. Ei- nen Bericht vom Vorjahr zum Ver- gleich gibt es nicht. Der Chief Medi- cal Officer der Stadt, der für das Sammeln der Daten aller medizini- schen Einrichtungen in Lucknow zuständig sei, komme ohnehin nicht regelmäßig, sagt Rastogi.

Dr. Anil Kumar Shukla will zum Sammeln von Daten nicht viel sa- gen. Der ehemalige Chief Medical Officer hat genug Geld verdient, um eine Privatklinik zu eröffnen, das SC Trivedi Memorial Mother and Child Care Trust Hospital in Luck- now. Immerhin, die Beobachtung, dass NCDs hier in seiner Stadt zu- genommen haben, teilt er: „Viele Leute, die vom Land zu uns in die Stadt kommen, leiden unter großem Stress, der wiederum führt zu Blut- hochdruck und Depressionen.“

30 Kilometer von Lucknow ent- fernt, im Barabanki Distrikt, liegt das Dorf Museypur. Zum Ortsein-

gang geht es über etliche unbeto- nierte Straßen. 900 Menschen leben hier in einfachen Hütten. Die meis- ten sind spärlich bekleidet. Keiner verfügt über mehr als einen US- Dollar am Tag zum Leben.

In der Mitte des Dorfes befindet sich eine kleine Krankenstation.

Einfache Holzpritschen mit Bast- matten dienen als Krankenbetten.

Zurzeit, berichtet Dr. Pankay Ku- mar, der gelegentlich hier Sprech- stunden abhält, litten die meisten Patienten unter Infektionskrankhei- ten. Malaria und Dengue seien in der Monsunzeit sehr verbreitet.

Chronisch krank seien eher wenige Patienten, ab und an habe mal je- mand Herzprobleme. „Aber wir ha- ben auch gar nicht die Möglichkeit, einen Diabetestest oder andere Tests durchzuführen“, erklärt Kumar. Auf das Thema Datenerfassung und Do- kumentation angesprochen schüt- teln die Dorfbewohner nur ungläu- big die Köpfe. „Wir Ärzte erinnern uns daran, woran bestimmte Patien- ten leiden oder gelitten haben. Da- ten dokumentieren wir nicht.“

Bei Dr. Derendra Verma, Inhaber einer kleinen Krankenstation in der benachbarten Kleinstadt Safdar- ganj, ist das zwar anders. Er doku- mentiert nach eigenen Angaben seit vielen Jahren die Patientendaten.

Auch, sagt Verma, sei ihm aufgefal- len, dass viele seiner Patienten an Diabetes oder Bluthochdruck litten.

„Zum Einsammeln meiner Daten ist aber noch niemand hierhergekom- men“, versichert er.

François Decaillet ist Programm- koordinator im Länderbüro Indien der Weltgesundheitsorganisation.

Auf das Thema NCDs angespro- chen hat er – wie Dorairaj – eine Menge zu sagen. Allerdings been- det Decaillet seine Ausführungen zum Vorkommen von und zum Um- gang mit chronischen Erkrankun- gen mit einem Satz, der die Lage weitaus treffender beschreibt: „Der öffentliche Gesundheitsdienst In- diens ist noch nicht in der Lage, mit chronischen Erkrankungen umzu-

gehen.“

Martina Merten

1,2 Milliarden Menschen leben in Indien.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt pro Kopf 3 408 US-Dollar.

Die Ausgaben für Gesundheit liegen gemessen am BIP bei 4,2 Prozent.

Die Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit betragen 132 US-Dollar.

Die öffentlichen Ausgaben für Gesundheit betragen pro Kopf 45 US-Dollar.

Die Selbstzahlerleistungen für Gesundheit liegen bei 74,4 Prozent. Elf Prozent der Bevölkerung verfügen über eine Krankenversicherung.

Land der Gegen- sätze: Wartende in einem Krankenhaus in Mumbai (l.) und Besucher im Herz- forschungszentrum in Neu-Delhi

Foto: picture alliance

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Die Recherche zu diesem Artikel wurde ermöglicht durch ein Forschungsstipendium des US Pulitzer Center on Crisis Reporting, Washington.

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