• Keine Ergebnisse gefunden

Mich interessiert an diesem Vorgang weniger die Fehlleistungals die Kerbe als systematisches Bild.« Die Kerbe soll auf etwas hinweisen,einen Ortbezeichnen

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Mich interessiert an diesem Vorgang weniger die Fehlleistungals die Kerbe als systematisches Bild.« Die Kerbe soll auf etwas hinweisen,einen Ortbezeichnen"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Überfahrt ohneGrund

Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten

Bestandteilen neu errichten zu können. Otto Neurath

Auf einer Postkarte schreibtMartin Conrath, »Bei einer Überfahrt über einen Flußfällt einemReisendenein Gegenstand über Bord. Um sich den Ort zu merken, wo dasgeschehen ist,schneidet er eine Kerbe in die entsprechende Stelle der Bordwand. Mich interessiert an diesem Vorgang weniger die Fehlleistungals die Kerbe als systematisches Bild.«

Die Kerbe soll auf etwas hinweisen,einen Ortbezeichnen.

Doch dieseBezeichnunggehtfehl, sie ist nicht in der Lage, das Funda­

mentunserer Weltzu bezeichnen. DerOrtbleibt unbestimmbar.

Die Zeichen, die wir unsvon der Welt machen - Bilder und Wörter - haben keine Verbindungmehr mit dieser Welt.Sieistverloren­ gegangenwieder insWasser gefallene Gegenstand. Was uns bleibt, sind nur noch die Bilderund die Wörter selbst, mit denen wir die Welt darstellenund beschreiben. Es bleiben verschiedeneVersionen von der Welt, gemalte,geschriebene, gefilmte, getanzte und

errechneteVersionen.

DieInstallation»Ohne Orte« des Karlsruher KünstlersMartin Conrath bestehtaus solchen einzelnen Versionen. Doch schon bei derFrage,aus wie vielen Teilen sie besteht, beginntdie Unbestimm­

barkeit. Besteht sie auseinem Teil, in dem Sinne, indem wirvon einer Installation sprechen? Besteht sieaus 5 Teilen,nämlich den 5 deutlichvoneinander getrennten Werkgruppen, oder besteht sie ausden 6 Teilen,die imKatalog angeführt werden? Die einzelnen Werkgruppen bestehen aber wiederum selbst aus 4 bzw.2 Teilen.

Handelt essich also um 15 Teile?Zählt man die bemalte Wandfläche als eigenes Teilstück,besteht sie aus16Teilen. Gilt der Raum als Teil derInstallation, hätten wires mit17 einzelnenTeilenzutun usw.

Das grundlegende Problem,das sichhier zeigt, istdas der Unbestimmbarkeitund Ortlosigkeit der Dinge. Was fassen wir als 1Einzelding auf und was als mehrere verschiedene Einzeldinge?

Die IdentitätderGegenstände ist unbestimmt.Sie kann auf viele ver­

schiedene Weisen festgelegt werden.

Originalveröffentlichung in: Martin Conrath, Ohne Orte 1986/87 [Ausstellungskatalog], Stuttgart 1987, o. S.

(2)

Martin Conrath setztdie Farbe alsTäuschung ein. Das Grün täuscht Landschaft vor oder monochrome Malerei. Es handelt sichaber weder um Landschaftsmalerei, noch um monochrome Malerei, noch um ein Bild. Selbst die»Bilder« sind plastische Elemente, dreidimensionale Objekte. Gehört derRahmennoch zum Bild oder gehört er zum Raum?

Das Aluminium ist dieGrenze zwischen dem plastischenGegen­

stand und dem Raum.Sie gehört beiden an, dem Bild und demRaum.

Istdie grün bemalte Wandfläche hinter den beiden großen Bildern ein StückWand, ein Bild oderein plastisches Objekt, da dieBemalung um die Raumecke herumreicht, also dreidimensional wird?

Diese Fragenzeigen dieSchwierigkeiten auf, bei dieser Instal­

lation eindeutigbestimmen zu wollen, wasSache ist. Indem Moment, indemmanglaubt,etwas eindeutig bestimmt zu haben,entziehen sich die Dinge sofort wiederund weichen ihrer Bestimmung aus.Gerade darin seheich die besondere Qualitätdieser Installation. Sie weicht herkömmlicher Begriffsbestimmung ständig aus. Die Plastiken sind keine Plastiken, die Bilder keine Bilder, derRahmen kein Rahmen. Durch diese Unbestimmbarkeitwerden unsere alltägliche Wahrnehmung und unsere Begriffe in Frage gestellt, undes wird uns möglich zu erkennen, wie unsereWahrnehmung und Begriffsbildung funktioniert und wiesie dieWeltjeweils unterbestimmt und einseitigfixiert zurückläßt.

Bei den Arbeiten Martin Conraths wird man dasGefühl nicht los, daß alles auch ganz anders sein könnte. Dieses latente Unbeha­

gen, welches einen angesichts eines versunkenen Gegenstandes (= Welt) und einer Kerbe imBootunserer Erkenntnisbefällt,istdas post­ moderne Unbehagen an den Bildern und Wörtern,daswir ständig haben, wennwir sie benutzen. Aber es wäre eine Illusion, zu glauben, unterhalb dieser Ebeneaus Wort und Bild gäbees so etwas wie die wirkliche Welt, sieist längstabhanden gekommen.»DieWelt ist nicht beschreibbarunabhängig von einer Beschreibung.«' Man könnte hinzufügen, und sie ist auch nicht darstellbar unabhängig von einer Darstellung. Irgendeine müssen wir immer wählen,uns für sie ent­

scheiden. Daseinzige,waswir sicherhaben, ist die Kerbe imBoot,nicht aber denGegenstand.

25.7 87 Hans Dieter Huber

' Hilary Putnam, Realism and Reason,

in, ders, Meaning and the Moral Sciences, London 1978, S.138

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Wachsende soziale Ungleichheit wird eine immer größere Gefahr für den Zusammenhalt unserer Gesellschaften: Während die einen mehr haben, als sie in einem Leben je verbrauchen können,

Jahrhundert den gesamten Globus und wurde nur langsam durch das Telefon in der Zwischenkriegszeit abge- löst. Dieses „viktorianische Internet“ hatte weitreichende Folgen für Handel

  Fazit: Die freie Welt und der Kult der Expertise ...   Quellen- und

Die Autorin beleuchtet aus histori- scher Perspektive, durch welche Netzwerke und Denkstile diese Organisation, die über kein Mandat im Bildungsbereich verfügt, zu

Ein erster Gedankengang widmet sich der Kurpfalz, wo die lutherische Kirchen- ordnung von 1556 im Jahr 1563 im Sinne der reformierten Lehre

Während Karoline von Günderode jedoch zu- nehmend der Mut verlässt, in dieser Welt in der es sich für Frauen nicht ziemt, ihre Gedanken zu äußern, und die schon gar nicht

„Es kann nicht sein, dass wir durch eine Zwangsmitgliedschaft für alle Zeiten im RVR bleiben müssen“, so die Union, die den entsprechenden Antrag gestellt hatte und damit die

Aber auch diese Eigenschaften sind das Resultat der Funk- tion bestimmter, spezialisierter Hirnareale – der Eindruck eines ganzheit- lichen, unteilbaren Bewusstseins somit