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Rom – Byzanz – Istanbul – Wien – Brüssel

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In der kroatischen Hafenstadt Split an der Adria kann man den gewaltigen Palast des römischen Kaisers Diokletian bewundern. Diokletian stammte aus einfachen Verhältnissen. Er machte in der Armee Karriere, und die Armee wählte ihn zum Herrscher über das Reich, dessen Verwaltung er umfassend reformierte. Im Jahre 305 zog sich Diokletian aus der Politik zurück und ver- brachte seinen Lebensabend in der riesigen Palastanlage, die er in der Nähe seines Geburtsorts Asphaltos erbauen ließ. (Der Ortsname „Split“ ist eine Ver- ballhornung dieses Namens, so wie „Istanbul“ eine Verballhornung von „Kon- stantinopel“ ist: Durch das Kroatische und Türkische schimmert noch heute die Verkehrssprache Ostroms hindurch: das Griechische.)

In Konstantinopel wurde etwas mehr als 200 Jahre nach Diokletians Tod der Bauernsohn Justinian zum Kaiser gekrönt. Wie Diokletian stammte Justi- nian vom Balkan – wahrscheinlich aus dem heutigen Serbien. Bei seinem Re- gierungsantritt umfasste das Reich nur noch den südlichen Balkan, die heutige Türkei, den vorderen Orient und Ägypten. Der ganze Westen war an die Bar- baren verloren gegangen. Justinian gelang es, Italien, Nordafrika und Teile Spaniens wieder zu erobern, Rom wieder zum Weltreich zu machen. Als Mo- nument seiner Vision einer restauratio imperii im Zeichen des Christentums steht noch heute die Hagia Sophia in Istanbul – eine kaiserliche Großkirche, die bis heute das Modell zahlloser Moscheen in aller Welt abgibt.

Justinians Projekt einer Restauration des Imperium Romanum scheiterte an einem Floh: 541 brach in Ägypten die Pest aus. Überträger war der Rattenfloh,

ALAN POSENER, geb. 1949, ist Kommentarchef der Welt am Sonntag.

Seine jüngste Buch- veröffentlichung:

„Imperium der Zukunft. Warum Europa Weltmacht werden muss“

(2007).

Rom – Byzanz – Istanbul – Wien – Brüssel

Mehr als zwei Jahrtausende lang haben Imperien einen multiethnischen, multikulturellen Balkan regiert. An dieses Erbe muss Europa heute anknüpfen

Alan Posener | Die „Europäisierung“ des Balkans im 19. Jahrhundert brachte keineswegs Fortschritt, sondern Kleinstaaterei, Rassen-Nationalismus und Zersplitterung. Ein Blick in die Geschichte der Region zeigt, dass es in zu- rückliegenden Epochen weitaus intelligentere Governance-Modelle gab.

Von diesen Strukturen kann das „Imperium“ EU heute viel lernen.

© Jenny Posener

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IP Juni 2008 Balkan-Blues 33

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der mit seinem Wirt auf den Schiffen, die alle Ecken des Weltreichs miteinan- der verbanden, schon 542 Konstantinopel und kurz darauf alle wichtigen Ha- fenstädte erreichte. Bis zu 40 Prozent der Bevölkerung wurden hinweggerafft.

Produktion, Handel und Verwaltung brachen vielerorts zusammen. Die Steuer- einnahmen versiegten, Soldaten konnten nicht ausgehoben werden. 100 Jahre nach Justinians Tod standen vor den Mauern Konstantinopels die Heerscharen eines Volkes, das in seiner abgeschiedenen Wüstenheimat vor dem Wüten der Pest verschont geblieben war: der Araber. Kernländer des Christentums wie Ägypten, Syrien und Nordafrika, später auch Spanien und große Teile Anato- liens wurden von den Kriegern Allahs unterworfen.

Der Balkan aber blieb Kernland des Oströmischen Reiches – wie er Kern- land des Osmanischen Reiches wurde, das Byzanz im 14. Jahrhundert als Ordnungsmacht auf dem Balkan ablöste. Uns heutigen Westeuropäern – immer noch geprägt vom Kalten Krieg, dessen Historiographie das „Abend- land“ auf das Reich Karls des Großen und seiner Nachfol-

ger beschränkte – mag der Balkan als peripheres Gebiet am südöstlichen Rand des neuen europäischen Imperiums er- scheinen. In Griechenland liegt jedoch die Wiege der euro- päischen Zivilisation; von Mazedonien ging das erste euro- päische Weltreich aus; Illyrien bildete über Jahrhunderte

die Verbindung zwischen West- und Ostrom; und schließlich wurde die Halb- insel zum Tummelplatz der europäischen Imperien. Osmanen und Habsbur- ger, Russen und Briten, Deutsche und Franzosen prallten hier aufeinander.

In Sarajewo wurde der Funke geschlagen, mit dem ganz Europa 1914 in Brand gesetzt wurde.

2000 Jahre Supranationalität

Und das nicht zufällig. Nirgendwo wird der Irrsinn des europäischen Rassen- Nationalismus deutlicher als in diesem Teil des Kontinents, der so lange von ihm verschont blieb. Mehr als 2000 Jahre hindurch lebten die Völker des Bal- kans in „supranationalen“ Zusammenhängen, in multiethnischen, multikultu- rellen Gesellschaften. Alexander machte die Region zum Teil der Mittelmeer- Kultur, Rom, Byzanz, Venedig und die Osmanen garantierten diesen Zusam- menhang. Die ethno-nationalistischen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhun- derts haben diese Gesellschaften zerrissen, zu zahlreichen blutigen Bürgerkriegen geführt und den Balkan auf sich selbst zurückgeworfen. Natürlich war und ist es schwer für einen Europäer, nicht vom Freiheitskampf der Griechen gegen das Osmanische Reich begeistert zu sein, obwohl sich etwa die jüdischen Gemein- den Griechenlands unter der anschließenden Doppelherrschaft von Krone und Altar keineswegs befreit fühlten. Europas Intellektuelle mythologisierten aber den Kampf, obwohl sich der deutsche Dichter Friedrich Hölderlin angesichts der griechischen Massaker an der türkischen Minderheit früh enttäuscht abwende- te, und Europas Großmächte nutzten ihn für ihre Zwecke. Ja, ohne das gemein- same Eingreifen Großbritanniens, Frankreichs und Russlands hätten die Tür- ken den Aufstand mit Sicherheit niedergeschlagen.

Wir denken Europa immer noch als das „Abendland“, Erbe des Reiches

Karls des Großen.

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Die „Balkanisierung“ war im Grunde eine „Europäisierung“

des Balkans.

Griechenland wurde einerseits zum Modell: Rumänien, Bulgarien, Serbien, Montenegro, Albanien und Kroatien entstanden im 19. und 20. Jahrhundert aufgrund der Intervention europäischer Mächte. Das letzte Beispiel dieser Art ist das Kosovo, das in diesem Jahr seine Unabhängigkeit von Serbien erklärte – eine Unabhängigkeit, die es mindestens ebensosehr den Bomben der NATO wie dem Kampf der eigenen Bevölkerung verdankt. Andererseits beschloss derselbe Berliner Kongress, der 1878 die Unabhängigkeit Bulgariens, Rumäniens, Serbi- ens und Montenegros bestätigte, dass Südbulgarien und Mazedonien bei den Osmanen verbleiben und dass Bosnien-Herzegowina von Österreich-Ungarn besetzt und „zivilisiert“ werden sollte. Auch hier kann man die Linien bis in die heutige Zeit verlängern, ist doch Bosnien-Herzegowina heute faktisch ein mili- tärisch besetztes Protektorat der Europäischen Union, während in Mazedonien keine politische Entscheidung von Gewicht ohne Einbeziehung des EU-Reprä- sentanten getroffen wird. (Das EU-Mitglied Griechenland versucht sogar zu verhindern, dass sich das Land überhaupt „Mazedonien“ nennen darf.)

„Monarchischer Schnickschnack“

Der Prozess der Zersplitterung in verfeindete Kleinststaaten, der mit dem pejo- rativen Begriff der „Balkanisierung“ charakterisiert wird, war im Grunde eine

„Europäisierung“ – in dem Sinne, dass im Zusammenspiel von Ethno-Nationa- listen und Großmächten dem Balkan das Modell des monokulturellen europäi- schen Nationalstaats aufoktroyiert wurde. Teilweise nahmen die Folgen sich wie eine Farce aus – etwa als Griechenland, Rumänien, Bulgarien und Albani- en lauter arbeitslose deutsche Prinzen als Könige erhielten. Über den bulgari- schen König Ferdinand von Sachsen-Coburg schrieb der französische Konsul 1907: „Nach 20 Jahren Herrschaft fühlt er weder eine Sympathie für das Land noch seine Einwoh- ner. Privat nennt er seine Untertanen ‚meine bulgarischen Wölfe‘ … Was für ihn besonders ärgerlich ist, dass seine Nation seine Ambitionen [nämlich die Schaffung eines großbulgarischen Kö- nigreichs durch Anschluss der noch türkisch besetzten bulgarischen Siedlungs- gebiete, A.P.] nicht teilt. Osmanische Souveränität bedrückt sie nicht. Im Grun- de genießen sie komplette Autonomie, und da sie realistische Seelen sind, sind sie mit diesem Stand der Dinge zufrieden. Sie sind auch durch und durch ega- litär und demokratisch; sie wissen, dass ihnen ein souveräner Hof teuer zu stehen kommt, und sie sind von dem monarchischen Schnickschnack nicht im geringsten beeindruckt.“

Heute muss es darum gehen, dem Irrweg der „Europäisierung“ des Balkans durch Nationalisierung eine andere Europäisierung entgegenzusetzen, die den Nationalismus durch die gemeinsame Mitgliedschaft aller Balkan-Staaten in der Europäischen Union überwindet. In der Region selbst gibt es eine Tradition transnationaler oder supranationaler Lösungsversuche – den Traum einer Bal-

1 Zitiert nach Ulf Brunnbauer: Geschichte des Balkans als europäische Geschichte: Abhängigkeiten, Kulturtransfers, Migrationen, http://userpage.fu-berlin.de/~ulf/Teil2.pdf, S.4 f.)

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IP Juni 2008 Balkan-Blues 35

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kan-Föderation, das kurzlebige „Illyrien“ oder das Mini-Imperium Jugoslawi- en. Auf intellektuellem Gebiet widersetzten und widersetzen sich die Anhän- ger einer inklusiven europäischen Kultur den Vertretern exklusiver Ideologien wie Panslawismus und Germanisierung, den katholischen, orthodoxen und is- lamischen Fundamentalisten und den vielen kleinen und Kleinstnationalis- men, die den Balkan heimsuchten und bis heute heimsuchen. Legitime Erbin dieser pan-europäischen Hoffnungen sowie der imperialen Mächte, die den Balkan durch Jahrtausende geprägt haben, ist die Europäische Union.

„Brüssel: Das neue Rom“, so lautet eine Kapitelüberschrift in Parag Khannas neuem Buch „Der Kampf um die Zweite Welt: Imperien und Einfluss in der neuen Weltordnung“ (Berlin Verlag, 2008). Der amerikanische Geopolitiker zi- tiert darin den Hohen Vertreter der EU in Bosnien-Herzegowina, den liberalen britischen Politiker Paddy Ashdown, mit den Worten: „Es ist ganz einfach: Ent- weder man verbessert die Stabilität auf dem Balkan oder man importiert Insta- bilität und Kriminalität nach Europa.“ Das ist eine klassische imperialistische Argumentation aus dem Munde eines Mannes, der eine klassische imperialisti- sche Funktion ausübt: Der Hohe Vertreter der EU in jener unruhigen Grenzpro- vinz kann jeden Beschluss der drei Präsidenten, 13 Regierungen, 180 Minister und 700 Parlamentarier außer Kraft setzen, die das balkanisierte Land in Rich- tung Mitgliedschaft in der EU steuern sollen. Das entspricht der Funktion eines Gouverneurs oder Hochkommissars der britischen Kolonialverwaltung, dem die – im Kern erzieherische – Aufgabe oblag, die abhängigen Völker zur Selbstver- waltung als „Dominions“ im Empire oder als Mitglieder des Commonwealth zu führen und dabei darauf zu achten, dass die Interessen des Empire nicht durch diesen kontrollierten Emanzipationsprozess gefährdet würden.

Split, Kroatien, 2003: Anhänger der Demokratischen Union Kroatiens HDZ bei einer Kundgebung vor den Wahlen

© Andrew Testa

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„Das Ziel besteht darin, aus dem Balkan einen stink- normalen Ort zu machen.“

Als ich bei der Recherche zu meinem Buch „Imperium der Zukunft“ im Frühjahr 2007 mit dem für diesen Prozess zuständigen EU-Erweiterungskom- missar Olli Rehn sprach, klagte er: „Das Problem ist Folgendes: Bosnien-Herze- gowina hat nie als selbständige Nation funktioniert. Es funktionierte immer als Territorium im Rahmen eines Imperiums. Da gab es Rom, Byzanz, die Ottoma- nen, die Habsburger, das Klein-Imperium Jugoslawien, und jetzt ist es seit über zehn Jahren ein internationales Protektorat. Und danach…“

„Danach wird es Teil des europäischen Imperiums“, sagte ich. Rehn dachte nach: „A benevolent empire“, sagte er. „Europa als ‚benevolent empire‘ – ja, wenn Sie so wollen.“ Ich hielt das für die unvorsichtige Äußerung eines Man- nes, der mit der Unbekümmertheit eines Skandinaviers – Rehn kommt aus Finnland – gern laut nachdenkt. Wenig später jedoch sagte Kommissionspräsi- dent José Manuel Barroso öffentlich, er vergleiche Europa gern mit einem Im- perium; schließlich habe es schon die Dimensionen eines Imperiums. Und, so hätte er sagen können, die Funktion eines Imperiums.

Die EU ist auf dem Balkan Ordnungsmacht. Und Ordnung bedeutet die Übernahme europäischer Rechtsnormen, politischer Vorstellungen, Wirt- schaftsweisen, Erziehungsmodelle usw. (Nicht nur in Griechenland und Slowe- nien, sondern auch in Montenegro und im Kosovo ist der Euro bereits die offizielle Währung.) Parag Khanna meint:

„Angesichts der historischen Instabilität des Balkans wird das europäische Imperium so lange unvollendet und ver- wundbar bleiben, bis die ‚Ostfrage‘, die den europäischen Staatsmännern schon vor 100 Jahren Kummer bereitete“ – so kann man das auch ausdrücken – „gelöst ist.“ Olli Rehn umschreibt die mission civilisatrice der Europäischen Union prosaischer: „Das Ziel besteht darin, aus dem Balkan einen stinknormalen Ort zu machen, wie der Rest Europas.“

So hätten wir den Kreis geschlossen: von Diokletian und dem römischen Reich zur Europäischen Union mit ihren Brüsseler Beamten. Vielen Kommen- tatoren – allen voran den Anhängern der Huntington’schen These vom

„Kampf der Kulturen“ – galt das Aufflammen der ethnischen und religiösen Kämpfe nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens, in deren Verlauf 300 000 Menschen starben und zwei Millionen vertrieben wurden, als „Rückkehr der Geschichte“; als sei die Balkanisierung so etwas wie ein natürlicher Prozess, als seien ethnisch-religiös bestimmte Mini-Staaten der Ur-Stoff der Geschichte.

Tatsächlich aber wird der Nationalismus Episode bleiben, kehrt die Geschich- te erst mit der Rückkehr des Imperiums auf den Balkan zurück.

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