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Digital Lean – Mit dem Crossroads-Modell zu mehr Effizienz

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Academic year: 2021

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33 Wie sind die – in vielen Unternehmen noch

nicht vollumfänglich implementierten – tra- ditionellen Steuerungsansätze wie etwa Lean und die neuen digitalen Konzepte der Industrie 4.0 beziehungsweise der Smart Factory zusam- menzuführen? Unternehmen müssen mehr und mehr abwägen, ob sie weiter traditionelle Konzepte einsetzen oder innovative Ansätze der Digitalisierung implementieren. Oder ist eine Integration dieser beiden Ansätze emp- fehlenswert? Das Crossroads-Modell bietet für diese Entscheidungen Orientierung. Hier soll zunächst ein grundlegendes Verständnis über Lean und Industrie 4.0 vermittelt werden. Nach einer Beschreibung der Modellbildung erklärt das Crossroads-Modell verschiedene Steue- rungsansätze. Abschließend unterstützt ein daraus abgeleitetes Entscheidungsmodell die Anwendung in der Unternehmenspraxis.

Schlanke Prinzipien versus digitale Konzepte in der Industrie:

Eine Bestandsaufnahme

Auf Basis von Lean-Prinzipien soll mit weniger Input in Form von Arbeit, Material, Betriebs- mitteln, Zeit und Raum mehr Output erzeugt werden, um die Kundenbedürfnisse besser zu erfüllen [1, 2]. Dabei gelten der Fluss im Wert- schöpfungsprozess sowie das Pull-System als wesentliche Elemente für eine bedarfssynchro- ne, effiziente Leistungserstellung. Alle Prozes- se und Aktivitäten eines Unternehmens sind

aufeinander abzustimmen und kontinuierlich zu verbessern, um den Wert für den Kunden möglichst zu maximieren und Verschwendung zu eliminieren [2-4]. Lean fokussiert die Prinzi- pien Vereinfachung und Über- tragung der Verantwortung auf die Mitarbeiter.

Industrie 4.0 verfolgt einen anderen Ansatz auf Basis der digitalen Transformation von Prozessen, innovativen Technologien und IT- gestützter Datenanalyse. Stark vereinfachend formuliert wird alles, was digitalisiert werden kann, digitalisiert – und alles, was vernetzt werden kann, wird auch vernetzt. Dies betrifft Menschen, Maschinen und Produkte gleicher- maßen [5]. In einer Smart Factory steuern sich Produktion und Logistik dezentral selbst, in- dem Maschinen, Produkte bzw. Werkstücke und Mitarbeiter digital miteinander kommu- nizieren [6]. Wesentliche Bausteine neben der Vernetzung sind die Automatisierung und Au- tonomisierung von Prozessen sowie die durch- gängige Entscheidungsunterstützung durch Assistenzsysteme [7]. Im Kern handelt es sich um selbststeuernde Prozesse, bei denen die Werkstücke ihre fertigungsrelevanten Infor- mationen mit sich oder auf einem begleiten- den Werkstück-Träger führen. Anhand dieser Informationen steuert sich das Werkstück bzw.

Produkt autonom durch das Wertschöpfungs-

Digital Lean – Mit dem Crossroads-Modell zu mehr Effizienz

Erklärung und Auswahl von Steuerungsansätzen für Produktions- und Logistiksysteme in Zeiten der Digitalisierung

Carsten Feldmann und Ralf Ziegenbein, Institut für Prozessmanagement und Digitale Transformation (IPD), FH Münster

Methoden zur Überwachung und Steuerung von Materialflüssen in einem Produktions- oder Logistiksystem sollen Ziele wie niedrige Kosten und kurze Durchlaufzeiten unterstützen. Die Steuerungsprinzipien der Lean Production zielen auf dezentrale, bedarfsorientierte Selbstorganisation der Prozesse, zum Beispiel in einem Kanban-Regelkreis. Die Ansätze der Industrie 4.0 setzen auf digitale Vernetzung von Maschinen, Produkten und Mitarbeitern sowie den Ein- satz von Sensorik. Welcher Steuerungsansatz passt zu welchem Produktportfo- lio? Lassen sich die Ansätze kombinieren – schlank durch Digitalisierung? Das Crossroads-Modell erklärt anschaulich die Unterschiede der Steuerungsansätze und leitet konkrete Handlungsempfehlungen für die Unternehmenspraxis ab.

Digital Lean – The Crossroads-Model for Controlling Material Flows in Production and Logistics Systems

Methods for monitoring and controlling ma- terial flows in a production or logistics sys- tem should support objectives like costs and throughput-time. Lean focuses on decentral, demand-driven steering of activities. Ad- vanced manufacturing concepts for Smart Factories rely on innovative digital technolo- gies. Which method is the best fit for steering the material flow? The Crossroads-Model ex- plains different approaches and supports the selection of a suitable method for corporate practice.

Keywords:

lean management, lean production, smart factory, digital transformation, digitalization, digitization, cyber-physical systems, internet of things, material flow control

Prof. Dr. Ralf Ziegenbein ist Professor für Operations und Process Manage- ment und Vorstand des Instituts für Prozessmanagement und Digitale Transformation (IPD) an der FH Münster.

IPD@fh-muenster.de www.fh-muenster.de/ipd

Prof. Dr. Carsten Feldmann ist Profes- sor für Geschäftsprozessmanagement und Vorstand des Instituts für Prozess- management und Digitale Transfor- mation (IPD) an der FH Münster.

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system [8]. Technologische Säulen der Smart Factory sind Cyber-Physische Systeme und die Vernetzung von Maschinen, Werkstücken und Mitarbeitern über das Internet of Things. „Cy- ber-Physisches System (CPS)“ ist ein Oberbe- griff für reale, physische Objekte und Prozesse, die mittels eingebetteter IT-Systeme digitali- siert und mit anderen digitalisierten, virtuellen Objekten und Prozessen verbunden werden [6, 8]. Über Sensorik registriert das CPS verän- derte Umweltbedingungen und kann mithilfe eines Aktors eigenständig darauf reagieren, sodass sich autonome, dezentrale Steuerungs- und Regelungsprozesse realisieren lassen. Das Internet of Things (IoT) bezeichnet die Vernet- zung digital identifizierbarer, physischer Ob- jekte, die selbständig über das Internet oder andere Netzwerke kommunizieren und Daten austauschen. Dies ermöglicht die selbständige Erbringung einer Leistung im Verbund mehre- rer Objekte wie beispielsweise Maschinen ei- ner Fertigungslinie [9].

Gemeinsame Zielsetzungen von Lean und In- dustrie 4.0 sind die Steigerung der Produktivi- tät und die Selbststeuerung von Prozessen [10].

Lean folgt dem Prinzip, Technologie nur als Mittel zum Zweck zur Steigerung des Werts für den Kunden und schlanke Prozesse einzuset- zen. Demgegenüber stehen bei Industrie 4.0 technologische Innovationen zur Vernetzung und Prozessautomatisierung im Zentrum, um Smart Factories mit wirtschaftlicher Fertigung

der kundenindividuellen Losgröße 1 zu real- isieren. Lean fokussiert einfache Lösungen, beispielsweise über visuelle Steuerung mit Ampelsystemen, und die Mitarbeiterkreativität zum Erarbeiten von Verbesserungen. Demge- genüber setzt Industrie 4.0 auf digitale Tech- nologien bzw. Daten und nimmt damit die Er- höhung der Komplexität durch Digitalisierung und die „Entmenschlichung“ der Prozesse in Kauf.

Porter sieht eine neue „Ära von Lean“ aufgrund der Möglichkeiten der Digitalisierung [11]. Ins- besondere der Datenaustausch zwischen dem Unternehmen und seinen Produkten beim Kunden eröffnet Potenziale für die Vermeidung von Verschwendung. Beispielsweise lassen sich Instandhaltungsmaßnahmen auf Basis einer prädiktiven Datenanalyse initiieren, um Aus- fallzeiten zu reduzieren. Dies erfolgt erst bei re- alem Bedarf statt in festgelegten Zeitinterval- len, die eventuell zu früh erfolgen und damit Verschwendung fördern.

Stand der Forschung und Forschungslücke

Die wenigen Veröffentlichungen zum Thema zeichnen sich im Hinblick auf Forschungsme- thoden, empirische Datenbasis sowie Darstel- lung der Ergebnisse durch eine große Hete- rogenität aus. Vielfach werden nur einzelne Funktionsbereiche der Wertschöpfungskette Bild 1: Prozess der Modell-

bildung (eigene Darstel- lung in Anlehnung an [17]).

Vielfach kein zielgerichtetes, strukturiertes Agieren der Unternehmen bei Auswahl und Implementierung

von Steuerungsansätzen für Materialflüsse in Produktions- und Logistiksystemen

Kein allgemeingültiges Modell für Erklärung und Entscheidung verfügbar:

Fehlende Systematisierung von Steuerungs- ansätzen wie z. B. Lean und Smart Factory

Identifikation praxisrelevanter Steuerungsansätze, deren wesentlichen Elemente

sowie Vor- und Nachteile

Aufbau eines Referenz- und Entscheidungsmodells zur Erklärung und Ableitung

von Handlungsempfehlungen

Nicht im Blick des vorliegenden Beitrags:

Ansatzpunkte für weitere Forschung Erfassung

des realen Ausgangsproblems:

Symptome

Formulierung des Problems

Analyse der relevanten Merkmale und

Beziehungen

Abbildung im Modell

Verifikation des Modells

Allgemeine Modellbildungsphasen Abgeleitete Modellbildungsphasen für das vorliegende Modell

Fehlen einer Systematisierung

Rückkopplungen

Rückkopplungen

Abstraktion Abstraktion

Ursachenanalyse und Problemstellung

Merkmale der Aufgabenstellung

Auswertbares Modell

1)

2)

3)

4)

5) Überprüfung der

Modellergebnisse

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35 isoliert untersucht oder Aussagen auf eine be-

stimmte Branche beschränkt [12]. Es werden Fallstudien dokumentiert, die aufgrund ihrer Unternehmensspezifität keine zulässige In- duktion auf die Gesamtheit der Unternehmen erlauben [13]. Auch die Analyse einer ausge- wählten Digitalisierungstechnologie wie etwa 3D-Druck im Hinblick auf Lean-Prinzipien er- laubt kaum Rückschlüsse für die aufgeworfe- nen Fragestellungen [14]. Neue Begriffe wie

„Lean Digitization“ werden geprägt, um bei- spielsweise einen Werkzeugkasten von lose zusammenhängenden Methoden für eine schlanke Digitalisierung des Gesamtunterneh- mens vorzustellen [15]. Eine empirische Unter- suchung konstatiert, dass schlanke Prozesse die Einführung digitaler Innovationen unter- stützen und diese wiederum Möglichkeiten zur weiteren Optimierung der Prozesse bieten [16].

Allerdings sind die auf Basis von Korrelationen abgeleiteten Kausalitäten kritisch zu hinter- fragen, nicht zuletzt aufgrund des begrenzten Stichprobenumfangs und der nur rudimentär dargestellten Forschungsmethodik.

In der Literatur findet sich kein Modell zur Er- klärung und Auswahl von Steuerungsansätzen für Produktions- und Logistiksysteme im Span- nungsfeld von Lean und Digitalisierung. Das Crossroads-Modell schließt diese Forschungs- lücke.

Modellbildungsprozess

Modelle dienen dazu, Erkenntnisse über reale Sachverhalte zu erlangen. Aufgrund der in der Realität hohen Komplexität der Produktions- und Logistiksysteme sind im Modell nur die für die Problemstellung wesentlichen Merkmale abgebildet: Von anderen Elementen wird ab- strahiert. Durch diese Vereinfachung werden die relevanten Aspekte für die Erklärung und Auswahl eines geeigneten Steuerungsansatzes ersichtlich. Damit dient das Crossroads-Modell als Referenz- und Entscheidungsmodell.

Bei der Modellentwicklung wurde der ideal- typische Modellbildungsprozess in Bild 1 zu- grunde gelegt, der sich in der anwendungsori- entierten Forschung bewährt hat [17]. Dieser gewährleistet eine systematische Modellent- wicklung über die Definition abgegrenzter Phasen mit spezifizierten Ergebnissen.

Das Crossroads-Modell als Referenz- modell zur Erklärung von Steue- rungskonzepten

Die Steuerung der Material- und Informations- flüsse dient dem Erreichen betriebswirtschaft-

licher Ziele wie etwa Kosten, Bestände, Durch- laufzeit und Flexibilität. Die Komplexität und Dynamik des Produktions- bzw. Logistiksys- tems und seiner Umwelt bestimmen die Eig- nung eines Steuerungsansatzes zum Erreichen dieser Ziele. Dabei ist die Wirtschaftlichkeit der Steuerung, das heißt das Verhältnis zwischen dem Wert des Steuerungsergebnisses und dem Ressourceneinsatz, sicherzustellen.

Das Crossroads-Modell zielt auf die Beschrei- bung, Erklärung und Gestaltung realer Produk- tions- und Logistiksysteme im Spannungsfeld zwischen Lean und digitalen Ansätzen der Industrie 4.0 ab. Als Referenzmodell ordnet es die Wahrnehmung des Beobachters und erklärt wesentliche Elemente verschiedener Steuerungsansätze für Materialflüsse. Es dient der Analyse und Verbesserung einer Ist-Situa- tion. Das Modell weist einen niedrigen Grad an Spezifität auf, sodass es auf eine Vielzahl von

Bild 3: Statische Regeln mittels zentral gesteuerter technischer Lösungen (I).

Regeln auf Basis einfacher Heuristiken ohne technische Steuerung

„Rechts vor links“-Regel zur Verkehrssteuerung

Situation:

Verkehrswege beziehungsweise Materialflüsse „kreuzen“ sich an Knoten Untergeordnete Prozesse unterbrechen

regelgerecht die Hauptflüsse Kopplung der Wege des Netzwerks

über begrenzte Kapazitäten je Zeiteinheit

Interdependenzen im Hinblick auf Geschwindigkeit und Sequenz Unerwünschte Folgen:

Effizienzverluste durch unzureichende Synchronisation: Kein kontinuierlicher Fluss, schwankende

Kapazitätsauslastung

Stillstands- und Wartezeiten (Bestände) Fehlerpotenziale

Mangelnde Priorisierung von Aufträgen Interpretationsspielraum der Mitarbeiter

beziehungsweise Umgehung von Regeln

Steuerungsansatz I

Statische Regeln mittels zentral gesteuerter technischer Lösungen

Ampelsignale steuern Verkehrsfluss.

Basis sind definierte Zeitintervalle im zentralen IT-System.

Prinzipien:

Technische Lösungen für die Umsetzung einfacher Regeln Berücksichtigung weniger

Prozessvarianten Vorteile:

Kein Interpretationsspielraum:

Regeleinhaltung erzwungen Geringes Fehlerpotenzial Nachteile:

Keine dynamische Bedarfsorientierung, mangelnde Flexibilität: Ampelschaltung über zentral definiertes Zeitintervall Kein kontinuierlicher Fluss:

Schwankende Kapazitätsauslastung Kein synchronisierter Zu-/Abfluss:

Stillstands- und Wartezeiten (Bestände) Karenzzeit für Räumung der Kreuzung:

Pufferzeiten

Bild 2: Regeln auf Basis einfacher Heuristiken ohne technische Lösungen.

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Branchen und Wertschöpfungsstufen hinweg anwendbar ist.

Die Grundidee basiert auf der Verkehrsregelung einer Straßenkreuzung. Die charakteristischen Merkmale des Flusses an Verkehrsteilnehmern wie Kraftfahrzeugen und die Verkehrsregelung auf Basis von Regeln und Signalgebern wie Ampeln werden auf die Steuerung des Materi- alflusses in einem Wertschöpfungssystem über- tragen. Die modellhaften Aussagen zur Entität

„Verkehrsteilnehmer“ sind auf die Entitäten des Wertschöpfungssystems übertragbar, so etwa Bauteile oder Endprodukte. Die Analogie zur Alltagssituation der Verkehrsregelung ermög- licht eine anschauliche Erklärung.

Das Modell beschränkt sich nicht auf Steue- rungsansätze auf Basis von Lean oder einer Smart Factory. Aufgrund historisch gewachse- ner Strukturen und Prozesse findet sich in der Unternehmenspraxis vielfach eine Mischung verschiedener Ansätze, sodass vier Steue- rungsansätze vorgestellt werden:

I. Statische Regeln mittels zentral gesteuer- ter technischer Lösungen

II. Dynamische Regeln mittels dezentral ge- steuerter technischer Lösungen

III. Lean-Prinzipien zur dezentralen Selbst- steuerung der Entitäten

IV. „Digital Lean“: Lean-Prinzipien zur dezen- tralen Selbststeuerung der Entitäten in Kombination mit digitaler Vernetzung der Entitäten und Sensorik

Bild 2 stellt zunächst einen Überblick über die Steuerung auf Basis von Heuristiken ohne tech- nische Lösungen dar, um die Grundidee des Crossroads-Modells zu erläutern.

Die Durchsetzung statischer Regeln mittels zentral gesteuerter technischer Lösungen wie beispielsweise Ampeln stellt Bild 3 dar.

Der Steuerungsansatz II in Bild 4 illustriert die Steuerung auf Basis dynamischer Regeln, die über dezentral gesteuerte technische Lösun- gen umgesetzt werden. Im Gegensatz zu An- satz I steuern die Ampeln den Verkehrsfluss bedarfsorientiert, indem das Eintreffen eines Fahrzeugs mittels Induktionsschleife identifi- ziert wird.

Einen alternativen Steuerungsansatz bieten die Lean-Prinzipien in Bild 5. Diese zielen auf die

dezentrale, bedarfs- orientierte Selbst- steuerung wie zum Beispiel in einem Kanban-Regelkreis.

Demgegenüber ba- siert die Steuerung des Materialflusses in einer Smart Facto- ry auf digitaler Ver- netzung und Senso- rik. Die dezentrale, autonome Selbst- steuerung steht ebenso wie bei Lean vielfach im Fokus, sodass der digitale, wertstromorientier- te Steuerungsansatz IV als „Digital Lean“

bezeichnet wird.

Bild 5: Lean-Prinzipien zur dezentralen Selbststeue- rung der Entitäten (III).

Steuerungsansatz III

„Lean“

Lean-Prinzipien zur dezentralen Selbststeuerung der Entitäten

Fahrwege in Form eines Kreisels (statt einer Kreuzung) ohne zentrale

technische Steuerung

Prinzipien:

Selbststeuerung: Über Zu-/Abfluss ins System entscheidet die Entität dezentral und autonom Dynamische Bedarfsorientierung Vorteile im Vergleich zu II:

Kontinuierlicher Fluss Gleichmäßigere, höhere

Kapazitätsauslastung Nachteile:

Bearbeitungsreihenfolge eventuell suboptimal

Potenzial für Blockaden Bild 4: Dynamische Regeln

mittels dezentral gesteuer- ter technischer

Lösungen (II).

Steuerungsansatz II

Dynamische Regeln mittels dezentral gesteuerter

technischer Lösungen

Bedarfsgesteuerte Ampel-Signale:

Fahrzeugerkennung mittels elektromagnetischer Induktionsschleifen

Prinzipien:

Dynamische, bedarfsorientierte Steuerung

Eintreffen der Entitäten an

Bearbeitungsstation löst Aktivität aus:

Sensoren steuern Aktor Vorteile im Vergleich zu I:

Bedarfsorientierung, Flexibilität Kürzere Stillstands- und Wartezeiten:

Niedrigere Bestände Nachteile:

Kein kontinuierlicher Fluss:

Schwankende Kapazitätsauslastung Karenzzeit für Räumung der Kreuzung Bearbeitungsreihenfolge eventuell

suboptimal: „First-in-first-out“ zur Priorisierung nicht immer sinnvoll Potenzial für Blockaden

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37 Indem bewährte

Lean-Konzepte mit neuen digitalen An- sätzen der Industrie 4.0 kombiniert wer- den, lässt sich der Wert für den Kunden weiter erhöhen und V e r s c h w e n d u n g vermeiden. Bei- spielsweise lassen sich aufgrund der digitalen, echtzeit- fähigen Vernetzung von Entwicklung, Beschaffung, Pla- nung, Fertigung und Logistik in ein- er Smart Factory auch kurzfristige, kundenspezifische Änderungen dyna- misch während der Produktion berück- sichtigen [6].

Digital Lean bezeichnet die Fähigkeit eines Wertschöpfungssystems, digitale Technologien in einer Art und Weise einzusetzen, dass der Reifegrad der Lean-Prinzipien in den Leistungs- prozessen erhöht wird. Dadurch wird die Effi- zienz sowohl innerhalb der einzelnen Prozesse als auch zwischen den Prozessen gefördert.

Digitalisierte und vernetzte Betriebsmittel und Werkstücke ermöglichen über ein digitales Ab- bild im IT-System eine echtzeitnahe Überwa- chung der Prozesse. Auf Basis dieses sog. digi- talen Zwillings lassen sich Prozesse dynamisch planen und steuern. Die digitale Steuerung der Prozesse in Echtzeit bietet ein hohes Potenzial zur Verschlankung [15]. Auf ungeplante Er- eignisse wie den Ausfall einer Maschine kann schnell reagiert werden, beispielsweise über eine selbstständige, automatisierte Anpassung des Materialflusses unter Berücksichtigung ak- tueller Kapazitäten [6]. Die Erfassung von Sens- ordaten einer Fertigungsmaschine ermöglicht die prädiktive Ableitung von Instandhaltungs- maßnahmen, um ungeplante Stillstandszeit und damit Verschwendung zu vermeiden.

Neben den Möglichkeiten der digitalen Tech- nologien sollte die Kreativität der Mitarbeiter beziehungsweise die Erfahrung des „men- schlichen Informationssystems“ nicht unge- nutzt bleiben, um Probleme zu lösen und Verbesserungen zu identifizieren [18]. Dafür ist die Ad-hoc-Vernetzbarkeit von Produkten, Maschinen und Mitarbeitern über mobile Assis-

tenzsysteme sicherzustellen. Diese stellen den Mitarbeitern kontextsensitiv Informationen über Status und Leistung des Wertschöp- fungssystems zur Verfügung, um die Prozesse weiter zu optimieren.

Das Crossroads-Modell als Entschei- dungsmodell zur Ableitung von Handlungsempfehlungen

Wie lassen sich konkrete Handlungsempfehlun- gen für die Unternehmenspraxis ableiten? Als normatives Entscheidungsmodell strukturiert das Crossroads-Modell die Auswahl eines ge- eigneten Steuerungsansatzes und leitet Hand- lungsempfehlungen ab. Der Orientierungsrah- men in Bild 7 ermöglicht dem Entscheider, das Problem systematisch zu erfassen. Struktur und Transparenz des Entscheidungsfelds erhöhen die Qualität der Entscheidung.

Ein Entscheidungsmodell bildet den Bewer- tungsmaßstab und das Entscheidungsfeld ab.

Der Bewertungsmaßstab umfasst die Ziele des Entscheiders. Da die Entscheidung für einen Steuerungsansatz mit einer Investition einher- geht, wird als Zielgröße die Wirtschaftlichkeit gewählt. Diese beschreibt die Beziehung zwi- schen dem Wert des Handlungsergebnisses und dem Mitteleinsatz. Das Entscheidungsfeld beschreibt die Menge der Handlungsalterna- tiven und Umweltzustände. Handlungsalter- nativen sind die vier Steuerungsansätze des Crossroads-Modells. Die Zustände des Produk- tions- oder Logistiksystems werden als Matrix über die Dimensionen Komplexität und Dynamik

Bild 6: Digital Lean (IV).

Literatur

[1] Ohno, T.: Das Toyota-Produkti- onssystem: Das Standardwerk zur Lean Production, 3. Auf- lage. Frankfurt am Main New York 2013.

[2] Womack, J. P.; Jones, D. T.:

Lean Thinking: Ballast abwer- fen, Unternehmensgewinne steigern, 3. Auflage. Frankfurt New York 2013.

[3] Erlach, K.: Wertstromdesign:

Der Weg zur schlanken Fabrik, 2. Auflage. Wiesbaden 2010.

[4] Ziegenbein, R.: Die Grund- prinzipien der schlanken Fertigung. In: Ziegenbein, R. (Hrsg): Handbuch Lean- Konzepte für den Mittelstand.

Münster 2014, S. 1-12.

[5] Heise online: Telekom-Chef:

„Alles wird vernetzt“. URL: ht- tps://www.heise.de/newstik- ker/meldung/Telekom-Chef- Alles-wird-vernetzt-2661572.

html, Abrufdatum 07.02.2018.

Steuerungsansatz IV

„Digital Lean“

Lean-Prinzipien zur dezentralen Selbststeuerung der Entitäten:

Digitale Vernetzung der Entitäten und Sensorik

Fahrwege in Form eines Kreisels (statt einer Kreuzung).

Digitale Vernetzung der Entitäten.

Prinzipien:

Selbststeuerung: Über Zu-/Abfluss ins System entscheidet die Entität dezentral und autonom

Digitale Vernetzung: Synchronisierung der Entitäten untereinander,

beispielsweise dezentrale, dynamische Anpassung der Geschwindigkeit Sensorik: Beispiel Geschwindigkeit,

Distanz, Geo-Lokationsdaten Erzeugen eines kontinuierlichen

Flusses

Vorteile im Vergleich zu I, II, III:

Kontinuierlicher Fluss

Dynamische Bedarfsorientierung, Flexibilität

Gleichmäßige, hohe Kapazitätsauslastung

Kaum Stillstands- und Wartezeiten, damit minimale Bestände Keine Karenzzeit für Räumung der

Kreuzung Keine Blockaden Nachteile:

„Fit“ zu bestehenden Lösungen Investitionsvolumen

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abgebildet. Zu Operationalisierung der Komple- xität dienen die Maßgrößen Produktvarianten- vielfalt und Losgröße. Dabei wird zwischen den Ausprägungen „niedrige Produktvariantenviel- falt, kleine Losgrößen (low mix, low volume)“ ver- sus „hohe Produktvariantenvielfalt, große Losgrö- ßen (high mix, high volume)“ unterschieden. Die Höhe der Dynamik wird über die Veränderungen von Produktvarianten-Mix und Ausbringungs- menge im Zeitablauf gemessen. Zur Operationa- lisierung der Dynamik kann der Variationskoeffi- zient als Maßgröße für die Vorhersagbarkeit von Veränderungen dienen. Dieses Maß für die relati- ve Streuung der Nachfrage einer Produktvariante berechnet sich aus dem Verhältnis von Standard- abweichung und Mittelwert.

Die Handlungsempfehlung für einen Steue- rungsansatz resultiert aus der Verknüpfung der durch Komplexität und Dynamik beschriebenen Merkmale des betrachteten Produktions- bzw.

Logistiksystems.

Fazit und Ausblick

Das Crossroads-Modell erklärt verschiedene An- sätze für die Steuerung von Materialflüssen und leitet konkrete Handlungsempfehlungen für die Unternehmenspraxis ab. Dabei lautet die Frage nicht „Lean oder Digitalisierung?“. Vielmehr ist eine Antwort darauf zu finden, wie sich Lean und Digitalisierung zum Erreichen betriebswirt- schaftlicher Ziele intelligent kombinieren las- sen. Der Begriff „Digital Lean“ bezeichnet dabei die Fähigkeit eines Wertschöpfungssystems,

digitale Technolo- gien in einer Art und Weise einzusetzen, dass der Reifegrad der Lean-Prinzipien in den Geschäfts- prozessen erhöht wird. Zunächst sind die Prozesse auf Basis von Lean-Prinzipien schlank zu gestalt- en. Danach sind die Entitäten der Proz- esse mit digitalen Technologien zu vernetzen, um weit- ere Potenziale zum Verschwendungsab- bau zu heben, ins- besondere mittels Datenanalyse zur k o n t i n u i e r l i c h e n Prozessoptimierung.

Die Anforderun- gen der Prozesse an die Technologien als Mittel zum Zweck des Erreichens der Prozessziele resultieren aus dy- namischen Umweltveränderungen wie etwa Marktanforderungen. Daher ist dieses Vorge- hen periodisch zu wiederholen, um die aktuell verfügbaren Technologien iterativ auf die Proz- essanforderungen auszurichten. Es gilt nicht pauschal „je digitaler, desto besser“, um dem Hype der digitalen Transformation zu folgen.

Vielmehr sind innovative digitale Technologien gezielt zur weiteren Verschlankung von Prozes- sen einzusetzen. Dabei sind im Wertschöpfung- sprozess nicht nur Maschinen und IT, sondern ebenso Menschen intelligent miteinander zu verknüpfen.

Verschiedene Weiterentwicklungen des Modells bieten Ansatzpunkte für weitere Forschung: Lük- ken in der Methodik lassen sich schließen, neue Konzepte und branchenspezifische Anforderun- gen können ergänzt werden. Das Modell ist im Hinblick auf den Beitrag zur Problemlösung in der Praxis zu überprüfen. Für die Anwendung im Unternehmen kann der Fokus auf einen Prozess- bereich gelegt und dort vertieft werden. Andere Zieldimensionen können integriert werden, bei- spielsweise ökologische Aspekte oder Informati- onskosten.

Schlüsselwörter:

Lean Management, Lean Production, Industrie 4.0, Smart Factory, Digitale Transformation, Digitalisierung, Cyber-Physische Systeme, In- ternet of Things, Materialflusssteuerung

[6] Arbeitskreis Industrie 4.0: Um- setzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 – Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0.

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[8] Vogel-Heuser, B.; Bauernhan- sel, T.; ten Hompel, M.: Hand- buch Industrie 4.0 Bd. 1: Pro- duktion. Wiesbaden 2017.

[9] Appelfeller, W.; Feldmann, C.:

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[12] Hanschke, I.: Lean Manage- ment – Erfolgsfaktor für das IT-Management. In: Lang, M.

(Hrsg): CIO-Handbuch – Band 4: Strategien für die digitale Transformation. Düsseldorf 2016, S. 19-38.

[13] Soder, J.: Use Case Production – Von CIM über Lean Produc- tion zu Industrie 4.0. In: Vogel- Heuser, B.; Bauernhansel, T.;

ten Hompel, M. (Hrsg): Hand- buch Industrie 4.0 Bd. 1 – Pro- duktion. Berlin 2016, S. 3-26.

[14] Feldmann, C.; Gorj, A.: 3D- Druck und Lean Production – Schlanke Produktionssysteme mit additiver Fertigung. Wies- baden 2017.

[15] Weinreich, U.: Lean Digitizati- on – Digitale Transformation durch agiles Management.

Berlin Heidelberg 2016.

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bearingpoint.com/de-de/un- sere-expertise/insights/lean- 40-schlank-durch-digitalisie- rung, Abrufdatum 06.02.2018.

[17] Adam, D.: Planung und Ent- scheidung. Modelle – Ziele – Methoden; mit Fallstudien und Lösungen, 4. Auflage.

Wiesbaden 1996.

[18] Emiliani, B.: Digital Transforma- tion & Lean Transformation.

URL: http://www.bobemiliani.

com/digital-transformation- lean-transformation, Abrufda- tum 06.02.2018.

Bild 7: Das Crossroads-Modell zur Ableitung von Handlungsempfehlungen.

Lean: III

Dezentrale Selbstorganisation

DYNAMIK von Produktvarianten-Mix und Ausbringungsmenge

niedrig hoch

Digital LeanIV

Statische Regeln:I

Zentrale technische Lösung

Dynamische Regeln:II

Dezentrale technische Lösung

high mix, high volume

KOMPLEXITÄT Struktur der Aufträge

low mix, low volume

Referenzen

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