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Giovanni Maria Nosseni und die Dresdner Kunst zwischen 1580 und 1620

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Giovanni Maria Nosseni und die Dresdner Kunst zwischen 1580 und 1620

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m 16. J a n u a r 1575 antwortet G r a f H a n s A l b e r t v o n Sprinzenstein verspätet a u f die B i t ­ te des Kurfürsten A u g u s t v o n Sachsen, bei der S u c h e n a c h e i n e m Hofkünstler behilflich zu sein, der geeignet sein sollte, feinere Steinarbeiten a u s z u f ü h r e n . ' Kurz z u v o r waren a u f kursächsischem Gebiet A l a b a s t e r v o r k o m m e n entdeckt w o r d e n , was die A n f r a g e A u g u s t s v e r ­ ständlich erscheinen lässt.2 Eine Reise u n d politische Geschäfte hätten eine schnelle A n t w o r t verhindert, schreibt der Graf u n d empfiehlt d a n n einen Künstler, v o n d e m A u g u s t w a h r ­ scheinlich n o c h nie z u v o r gehört hatte, der aber seiner v i e l e n Talente u n d Fähigkeiten w e g e n das Interesse des Kurfürsten geweckt h a b e n dürfte. D e n n „ J o h a n Maria Nosseni" habe nicht nur eine „Profession", sondern „menigerlai trefflicher Arft". Zuerst u n d v o r allem die B i l d ­ hauerei in all ihren Spielarten. Ob in M a r m o r oder Stuck, Nosseni sei gleichermaßen den g r o ­ ßen w i e den kleinen F o r m a t e n gewachsen. A u c h k ö n n e er „Pylder, Wappen, Historien, Port- ten, Camin, Fryesen, Fenster und dergleichen" gestalten. Darüber h i n a u s sei er ein geschick­

ter Maler v o n W a p p e n u n d Figuren u n d w i s s e den D i n g e n ihre besondere Farbe z u geben.

Desgleichen lobt Sprinzenstein Nossenis Porträtkunst, die j e n e r a u f L e i n w a n d , in W a c h s , Glas oder anderen Materialien mit großer Geschicklichkeit a u s z u f ü h r e n wisse. Überdies sei er ein

„erfyndter aller Hanndt Lusstigen Arttlichen Inventionen zu Masseeraten triumpffen unnd dergleichen, zur Fastnacht unnd Thurniern diennlich". Des Lobes i m m e r n o c h nicht genug, schreibt der Graf, dass sich der Künstler außerdem erböte, Gefäße aus Alabaster z u polieren und diese durch allerlei figürliche M o t i v e z u verzieren, w a s nicht n u r denjenigen gefallen werde, die dies sähen, sondern Nosseni auch zur Ehre gereiche. Nach so vielen V o r s c h u s s l o r ­ beeren ist der G r a f sichtlich b e m ü h t , sein Urteil z u b e g r ü n d e n , w e n n er betont, dass es trotz der J u g e n d des Künstlers dessen A r b e i t s p r o b e n seien, die i h n überzeugt hätten.

Der Brief des Grafen Sprinzenstein ist in zweierlei H i n s i c h t aufschlussreich. Einerseits b e ­ richtet er v o n den Qualitäten u n d Talenten eines j u n g e n M a n n e s , der m e h r als v i e r z i g J a h ­ re a m kurfürstlichen H o f in Dresden miterleben u n d - g e s t a l t e n wird. Andererseits skizziert seine E m p f e h l u n g a u f geradezu e x e m p l a r i s c h e W e i s e das Profil der K u n s t a u f g a b e n an e i n e m fürstlichen H o f , w i e sie sich i m a u s g e h e n d e n 16. u n d f r ü h e n 17. J a h r h u n d e r t darstellten.

H o f k ü n s t l e r h a t t e n h ö c h s t u n t e r s c h i e d l i c h e n A n f o r d e r u n g e n z u g e n ü g e n , die n u r z u m Teil k ü n s t l e r i s c h e P r o b l e m e i m h e u t i g e n S i n n e betreffen.1 D i e P l a n u n g v o n Festen u n d T r i ­ u m p h z ü g e n , v o n d e n e n j a der E m p f e h l u n g s b r i e f u n t e r a n d e r e m erzählt, setzte e i n e große Versiertheit m i t i k o n o g r a p h i s c h e n T h e m e n u n d Vertrautheit mit der h ö f i s c h e n Etikette v o r a u s , aber auch K e n n t n i s s e des b e s o n d e r e n l o k a l e n u n d d y n a s t i s c h e n H i n t e r g r u n d e s . G r u n d s ä t z l i c h m u s s t e ein H o f k ü n s t l e r w i s s e n , w i e m a n S c h a u w e r t e inszeniert, u m die g e ­ l a d e n e n Gäste z u ü b e r r a s c h e n , d a m i t d e m f ü r s t l i c h e n W u n s c h n a c h a n g e m e s s e n e r R e p r ä ­ s e n t a t i o n e n t s p r o c h e n w u r d e . M ö g l i c h e r w e i s e k a m e i n e m s o l c h e n K ü n s t l e r s o g a r die A u f ­ gabe z u , bei der E n t s c h e i d u n g f ü r oder g e g e n eine B r a u t d u r c h ein Porträt n a c h z u h e l f e n . V o n b e r a t e n d e n G e s p r ä c h e n in K u n s t f r a g e n u n d der t e m p o r ä r e n V e r m i t t l u n g anderer K ü n s t l e r e i n m a l g a n z a b g e s e h e n .

Gerade v o r d e m H i n t e r g r u n d der v i e l f ä l t i g e n A u f g a b e n , die a u f e i n e n H o f k ü n s t l e r w a r t e n Originalveröffentlichung in: Syndram, Dirk (Hrsg.): In fürstlichem Glanz : der Dresdner Hof um 1600, Mailand 2004, S. 34-45

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konnten, erhalten die Ausführungen des Grafen Sprinzenstein ihr eigentliches Gewicht.

Galt es doch, Nossenis außerordentliche Universalität hervorzuheben. Jedenfalls vermerkt auch die spätere Bestallungsurkunde all die genannten Fähigkeiten, wenn es heißt: „In­

sonderheit soll er sich zu allerlei Kunstarbeit, mit Bildhauen, Malen und Conterfeven, Steinenlisch, Credentz von Alabaster, Ordinanz von Gebäuden, Inventionn von Triomphen, Mummereienn und dergleichen gebrauchen lassen, [...]."*

Schon aus diesen wenigen Andeutungen dürfte hervorgehen, dass der im Jahre 1544 in Lugano geborene Giovanni Maria Nosseni ein interessanter Künstler und Kunstintendant war; für die Zeit zwischen 1580 und 1620 stellte er aber vor allem eine der wenigen Kons­

tanten der Dresdner Hofkunst dar. Denn mit dem soeben genannten und in der Ausstel­

lung behandelten Zeitraum geht für Sachsen die Regierungszeit von nicht weniger als vier Kurfürsten einher: August, Christian L, Christian 11. und Johann Georg [. Ganz unabhän­

gig von der Instabilität, die eine so rasche Abfolge von Herrschern allgemein mit sich bringen kann, handelte es sich bei den Jahrzehnten um 1600 um eine politisch mehr als komplizierte Epoche, an deren Ende bekanntlich der Dreißigjährige Krieg stand.

Im Vergleich zu den Höfen in Prag und Florenz ist die Dresdner Hofkunst im ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhundert schwieriger zu erfassen. Viele der hier tätigen bildenden Künstler haben ein weniger scharfes Profil als ihre Florentiner, Prager oder auch Münchner Kollegen. Nosseni bildet in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Er gehört zu den am besten erforschten Dresdner Künstlern dieser Zeit. Die Studien zu seiner Person haben seit jeher betont, dass die Anfrage des Kurfürsten August auch von dem Wunsch zeugt, etwas von der Pracht der oberitalienischen Höfe nach Dresden zu holen. Emphatisch formulierte Walter Mackowsky in seiner monographischen Studie vom Beginn des vergangenen Jahrhunderts:

„In Giovanni Maria Nosseni war der Sieg Italiens in Sachsen entschieden.""'

Und in der Tat war Nosseni schon insofern eine vorzügliche Wahl, als er zum einen über die nötigen Kontakte verfügte, um italienische Künstler für die ihm gestellten Aufgaben anwerben zu können, und zum anderen mit den aktuellsten Kunstentwicklungen seiner Zeit vertraut war.

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Der im Tessin geborene Künstler kam über Florenz nach Dresden. Dabei mag es nicht un­

wichtig gewesen sein, dass Nosseni zweisprachig war, worauf schon Graf Sprinzenstein hin­

wies, der Nosseni bescheinigte, „der Teüttschen

Sprach nach unnserer Österreichischen» artt zimblich khündig"

zu sein.

Im Verlauf des Jahres 1575 wurde er mit einem Salär von 400 Talern als Bildhauer, Archi­

tekt, Maler und Kunstintendant mit dekorativen Aufgaben eingestellt und damit beauftragt, die sächsischen Marmor- und Alabastervorkommen zu erschließen und abzubauen, wofür er eigens ein kurfürstliches Privileg erhielt. Während seiner mehr als vierzigjährigen Dienstzeit sollte er u. a. Möbel (vgl. Kat. 160) und Essgeschirre gestalten, als Bauintendant an wichti­

gen Architekturprojekten für die Residenzstadt Dresden beteiligt sein, Hochzeiten und Fest­

umzüge planen, Gedichte schreiben und prognostische Schriften verfassen sowie die be­

rühmte Grablege der Wettiner in Freiberg entwerfen und bauen. Wie bereitwillig sich der Italiener am sächsischen Hof akklimatisierte, belegt die Tatsache, dass Nosseni schon ein Jahr nach seiner Ankunft im Jahre 1576 zum Luthertum konvertierte. Dies wurde sicherlich nicht ungern gesehen, wenn nicht sogar gefordert, bedenkt man die kurze Zeit, die sich Nos­

seni erst in Sachsen aufhielt.

Nossenis Arbeiten in sächsischen Diensten

J 1. Für Hinweise und Korrektu­

ren danke ich Damian Dom- browski. Bertram Kaschek und An­

drea Kiehn.

2. Mackowsky 1904. S. 20.

3. Zum Hofltünstler und seinen Auf­

gaben vgl. Wamke 1985.

4. Mackowsky 1904, S. 29.

5. Mackowsky 1904. S. 16.

6. Zur Präsenz Italiens in Dresden vgl. Marx 2000a.

Wir wissen nicht, was genau August bewogen hat, Nosseni einzustellen. Vielleicht war es schlicht Sparsamkeit. Hatte er doch um einen auf Steinarbeiten spezialisierten Künstler angefragt und stattdessen einen Universalisten bekommen. Vielleicht war es aber auch die Erkenntnis, dass - um wirklich Anschluss an die führenden Höfe seiner Zeit zu bekommen - nicht nur einzelne Kunstwerke nötig waren, sondern ein italienischer Kunstintendant, der allen Aufgaben gewachsen war.

August jedenfalls konnte Nosseni gut gebrauchen, denn schon wenige Jahre nach dessen Ein­

tritt in den Hofdienst heiratete sein Sohn Christian Prinzessin Sophie von Brandenburg. Eine

solche Hochzeit wollte natürlich standesgemäß gefeiert werden, wozu ritterliche Spiele wie

Rennen und Stechen ebenso gehörten wie Maskeraden und Aufzüge. Wie Sprinzenstein in

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»6 F e s t z u g a n lä s s l i c h d e r H o c h z e i t C h r i s t i a n s (1.) a u s : ConrrafacTur des Ringkrcnnens iindr anderer ritterspiel so uff Christian! (1) gehalten worden. Dießinße Part D a n i e l B r e t s e h n e i d e r d . Ä . , k o l o r i e r t e r K u p f e r s t i c h , t e i l w e i s e G o l d h ö h u n g c a . 2 5 x 9 5 , 5 c m

S ä c h s i s c h e L a n d e s b i b l i o t h e k , S t a a t s - u n d

U n i v e r s i t ä t s b i b l i o t h e k D r e s d e n , M s c r . D r e s d . K . l

seinem Brief hervorhob, erstreckten sich Nossenis künstlerische Fähigkeiten auch a u f die Festgestaltung, u n d er scheint dieser A u f g a b e des Hofkünstlers mit besonderem Erfolg n a c h ­ g e k o m m e n zu sein. A n l ä s s l i c h v o n Christians Hochzeit richtete Nosseni eine vier Tage d a u ­ ernde Festlichkeit mit Turnier u n d „Mummereien" aus, w e l c h e in d e n Z e i c h n u n g e n v o n Friedrich Bercht u n d i n d e n K u p f e r s t i c h e n v o n D a n i e l B r e t s e h n e i d e r überliefert sind.

Neptun mit Dreizack u n d A n d r o m e d a mit D r a c h e n k o p f e r ö f f n e n den Z u g , ihr T r i u m p h w a g e n wird v o n drei Seepferden g e z o g e n . D a h i n t e r reitet der B r ä u t i g a m , K u r p r i n z Christian als Per- 1584 seus, m i t p r ä c h t i g e m Helm u n d Zepter. W e i ß e Flügel s i n d a u f d e m R ü c k e n seines Pferdes

angebracht, das d a m i t z u m Pegasus avanciert (Abb. u n t e n ) . ' D a n n tritt der Kurfürst selber auf, in Bauerntracht u n d mit e i n e m R e c h e n in der H a n d , u m g e b e n v o n vierzig Bauern. I h m folgt ein E r n t e w a g e n mit Ferkeln u n d einer B a u e r n b r a u t darauf, die Eier unter das V o l k wirft. D e m Kurfürsten, der in der b ä u e r l i c h e n M a s k e r a d e zur P e r s o n i f i k a t i o n v o n F r u c h t ­ barkeit u n d W o h l s t a n d seines L a n d e s wird, f o l g e n g e l ä u f i g e T u g e n d - u n d Lasterbeispiele:

Bacchus, der n a c k t a u f e i n e m Esel reitet, begleitet v o n allegorischen Figuren, Crapula, d e m Taumel u n d Ebrietas, der T r u n k e n h e i t . A n s c h l i e ß e n d m a c h t ein K n a b e a u f e i n e m k l e i n e n Pferd m i t einer b e m a l t e n F a h n e , a u f der B u c h u n d S c h w e r t abgebildet sind, d a r a u f a u f ­

m e r k s a m , dass die J u g e n d in der W i s s e n s c h a f t u n d der W a f f e n t e c h n i k ausgebildet werden müsse. M ö g l i c h e r w e i s e ist dies als ein t y p i s c h l u t h e r i s c h e r H i n w e i s a u f den B i l d u n g s a u f ­ trag des Herrschers z u v e r s t e h e n .

Es folgt Paris in Begleitung der drei G ö t t i n n e n . A u c h dies ist als M a h n u n g zu verstehen, da das Urteil des Paris ein Fehlurteil war, das zu Krieg u n d Not geführt hat. Den prachtvollen Schluss des Zuges bildet Diana m i t ihren N y m p h e n , unbekleidet in einem Wasserbassin ste­

hend. Hinter i h n e n reitet A k t a e o n mit e i n e m Hirschkopf.8 A u c h das Schicksal des A k t a e o n , der die Göttin beim Bade überraschte u n d zur Strafe v o n dieser in einen Hirsch verwandelt und v o n seinen eigenen H u n d e n zerrissen wurde, k a n n als m a h n e n d e s E x e m p l u m für den Herr­

scher gelesen werden. Gilt er doch in der S i n n b i l d k u n d e j e n e r Zeit als S y m b o l „eines großen Herren [...], der seinen Schmeichlern G e h ö r gibt u n d v o n ihnen zu G r u n d e gerichtet wird."9

D i a n a beschließt den Z u g als H ö h e p u n k t u n d Schlussakkord, als A l l e g o r i e der Keuschheit, aber w o h l auch als ein Hinweis darauf, wie h o c h die J a g d a m kurfürstlichen H o f geschätzt wurde. Walter M a c k o w s k y vermerkt, dass Nosseni, als er dem Kurfürsten die P l ä n e für seine I n v e n t i o n e n zur Hochzeit präsentieren wollte, a u f später vertröstet wurde, „do jetzt die Schweinhatz angehet'.'0

Bei der Hochzeit Christians k o n n t e Nosseni z u m ersten Mal sein K ö n n e n bei der A u s r i c h ­ t u n g h ö f i s c h e r Feste unter B e w e i s stellen. Insgesamt sollte er für Kurfürst A u g u s t u n d seine N a c h f o l g e r m e h r als 4 4 I n v e n t i o n e n ausrichten, deren K o s t ü m e u n d W a g e n sorgfältig a u f ­ bewahrt w u r d e n . " Ein Vergleich Nossenis mit G i u s e p p e A r c i m b o l d o , der für die Kaiser M a x i ­ milian II. u n d R u d o l f II. tätig war, liegt n a h e . " Implizit sind wir d a m i t a u f ein h ö f i s c h e s A n -

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Schlechte 1992, S. 83.

8. Mackowsky 1904. S. 87-90.

9. Schlechte 1992. S. 83.

10. Mackowsky 1904, S. 87. Zur übertriebenen Jagdleidenschaft Chris­

tians vgl. Schlechte 1992, S. 82.

LI. Schlechte 1992, S. 81.

12. Schnitzer 1999, S. 118 und 308.

13. Vgl. den grundlegenden Aufsatz von May 1992.

14. Dombrowski 1999, S. 110.

15. Vgl. Syndram 2001, S. 32-35.

16. Daraufhat May 1992 in seiner Studie zur höfischen Architektur un­

ter Christian I. hingewiesen.

17. Diesen wichtigen Kontext hat Barbara Marx der Forschung erschlossen, vgl. Marx 20O0a. S.

17-19: zur Dresdner .Pferdegalerie"

nach dem Vorbild des Palazzo Te in Mantua und zum Zusammenhang von Hippologie und fürstlicher Re­

präsentation siehe auch Dombrowski 1999. S. 119-123.

18. Vgl. Syndram 2001, S. 35-36.

S p r u c h s n i v e a u v e r w i e s e n , geht es d o c h d a r u m , bei j e d e r Gelegenheit - u n d eben a u c h g e g e nü b e r d e m K a i s e r - den e i g e n e n R a n g z u d e m o n s t r i e r e n .

Über die a n w e s e n d e n Festgäste verbreitete sich der R u h m v o n Nossenis Inventionen und Festaufzügen bis ins benachbarte A u s l a n d , so dass der Künstler gelegentlich v o m sächsischen H o f beurlaubt wurde, u m anderswo A u f z ü g e zu gestalten. Er arbeitete für den Landgrafen L u d w i g V. v o n Hessen u n d richtete anlässlich der K r ö n u n g Christians IV. v o n D ä n e m a r k ebenfalls einen Festzug aus.

A b e r so p o p u l ä r Nosseni auch durch seine Festgestaltungen geworden sein mag, Arbeiten v o n europäischem Rang k o n n t e er erst in späteren J a h r e n beisteuern. Z w a r hatte der Künstler schon 1581 angeboten, architektonische Entwürfe unterschiedlicher Art zu liefern, aber erst Kurfürst Christian I. k a m a u f dieses A n g e b o t zurück. Im Wesentlichen sind es f ü n f architek­

tonische Werke, an deren Entstehung Nosseni mitarbeitete, w e n n er für sie nicht sogar ver­

antwortlich zeichnete: Die Verbindungsgalerie, der so g e n a n n t e Lange Gang, der v o m G e o r ­ genbau z u m Stallgebäude führt (Abb. S. 72); der Portalbau für den Kleinen H o f des Resi­

denzschlosses; das Lusthaus a u f der gerade errichteten Neuen Bastei; das mit einem Reiter­

denkmal versehene Pirnaische Tor; schließlich die Grablege der Wettiner im Freiberger D o m . In der F o r s c h u n g k o n n t e ü b e r z e u g e n d gezeigt werden, w i e sehr Nosseni dabei v o n seiner p r o f u n d e n F l o r e n z - K e n n t n i s profitierte.1 3 D e n n n a h e z u alle v o n i h m errichteten B a u t e n orientieren sich an b e r ü h m t e n V o r b i l d e r n , die u n s den A n s p r u c h des sächsischen K u r f ü r s ­ ten Christian I. v e r d e u t l i c h e n k ö n n e n . Hier hatte ein Herrscher v o n e u r o p ä i s c h e m F o r m a t die p o l i t i s c h e B ü h n e betreten, der es v e r s t a n d , seine p o l i t i s c h e n A m b i t i o n e n künstlerisch z u v e r d e u t l i c h e n . J e t z t w a r N o s s e n i s S t u n d e g e k o m m e n . Denn n u n w a r e n nicht m e h r n u r seine i n g e n i e u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n K e n n t n i s s e , die den B e r g b a u betrafen, und sein A n p a s ­ s u n g s v e r m ö g e n an die Festkultur der E p o c h e gefragt, s o n d e r n mit Christian I. k a m ein Fürst an die M a c h t , der es d a r a u f anlegte, m i t der w o h l w i c h t i g s t e n K u n s t m e t r o p o l e der R e n a i s s a n c e zu k o n k u r r i e r e n , „quia altera Florentia Pisa est", w i e ein v e n e z i a n i s c h e r B e ­ sucher s c h o n 1577 vermerkt hatte.14 Der neue Kurfürst w a r in seiner Politik denn auch w e n i ­ ger u m A u s g l e i c h b e m ü h t , als v i e l m e h r u m eine selbstbewusste P o s i t i o n , die den s ä c h s i ­ schen A d e l u n d Klerus in seine S c h r a n k e n v e r w e i s e n w o l l t e . Entsprechend ließ auch die erste B a u m a ß n a h m e nicht l a n g e a u f sich w a r t e n .

S c h o n 1586, im J a h r seines Regierungsantritts, b e g a n n m a n ein großes, schlossartiges S t a l l g e b ä u d e (Abb. S. 71) zu b a u e n , das in s e i n e m U n t e r g e s c h o s s S t a l l u n g e n f ü r weit m e h r als e i n h u n d e r t Pferde bereithielt. Im l u x u r i ö s mit M a r m o r f u ß b ö d e n ausgestatteten Ober- geschoss b e f a n d e n sich U n t e r k ü n f t e , P r u n k z i m m e r u n d die R ü s t k a m m e r . Z u d e m w a r es über e i n e R a m p e a u c h für Reiter erreichbar. Dieser v o n Paul B u c h n e r e n t w o r f e n e reprä­

sentative Z w e c k b a u kostete nicht w e n i g e r als 130.000 Gulden.1 5 N o s s e n i hatte n u n die Idee, d u r c h einen L a n g e n G a n g (Abb. S. 72) S t a l l g e b ä u d e und G e o r g e n t o r z u v e r b i n d e n , w o f ü r er a u f Vasaris b e r ü h m t e n Florentiner Corhdoio der Medici z u r ü c k g r i f f . "

Mit d e m T y p u s der A r k a d e n g a l e r i e j e d e n f a l l s zitierte der Dresdner H o f k ü n s t l e r n i c h t n u r ein anderes B a u w e r k , s o n d e r n g e r a d e z u ein f l o r e n t i n i s c h e s I d i o m , w i e es v o n B r u n e l l e s c h i für das F i n d e l h a u s e n t w i c k e l t w o r d e n war. Betrachtet m a n die L ä n g e der A r k a d e n g a l e r i e , so fällt der W u n s c h n a c h eleganter R e p r ä s e n t a t i o n s o f o r t ins A u g e . Dies ist u m s o v e r ­ ständlicher, w e n n m a n b e d e n k t , dass mit d e m A r k a d e n g a n g z u g l e i c h ein I n n e n h o f e n t ­ s t a n d e n war, der aus d e m V e r b i n d u n g s g a n g eine T r i b ü n e für die R e i t b a h n w e r d e n ließ. Die A u s m a l u n g e n , die d e m h ö f i s c h - z e r e m o n i e l l e n K o n t e x t entsprachen, lassen keinen Z w e i f e l daran, dass hier keine l u t h e r i s c h - f r o m m e E x e m p e l s a m m l u n g beabsichtigt war, w u r d e n e n t l a n g der Galerie d o c h Porträts v o n Pferden a n g e b r a c h t , die w o h l eines der greifbarsten S i n n b i l d e r des h ö f i s c h e n W u n s c h e s nach R e p r ä s e n t a t i o n darstellten.1 7

W i e d e r u m nach Ideen Nossenis wurde ein Portalgebäude gestaltet, das in den so g e n a n n t e n Kleinen S c h l o s s h o f führte (Abb. S. 38).18 Mit seinem Gestaltungskonzept folgt der Künstler der antiken Form des T r i u m p h b o g e n s , der hier mit e i n e m kleinen tempietto bekrönt w u r d e , a u f d e m eine S k u l p t u r der Iustitia s t a n d . Das z w e i g e s c h o s s i g e G e b ä u d e wies einen B l e n d p o r ­ t i k u s a u f u n d w u r d e d u r c h eine Balustrade a b g e s c h l o s s e n . Zwei G e n i e n links u n d rechts bliesen in ihre P o s a u n e n u n d v e r k ü n d e t e n den R u h m des Fürsten, w ä h r e n d über dem mit L ö w e n k ö p f e n verzierten A r c h i t r a v weitere Skulpturen standen, die fürstliche T u g e n d e n w i e den G l a u b e n und die Stärke z u m A u s d r u c k brachten - ein s c h o n v o r b a r o c k zu n e n n e n d e s

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" P o r t a l z u m K l e i n e n S c h l o s s h o f d e s R e s i d e n z s c h l o s s e s

1592 errichtet, 1725 stark v e rä n d e r t Stich a u s der W e c k ' s c h e n C h r o n i k , u m 1680 3 1 . 3 x 29,5 cm

S ä c h s i s c h e L a n d e s b i b l i o t h e k , S t a a t s - u n d U n i v e r s i t ä t s b i b l i o t h e k Dresden

a l l e g o r i s c h e s E n s e m b l e . G e t r a g e n w u r d e der A r c h i t r a v d u r c h vier d o r i s c h e H a l b sä u l e n , der a r c h i t e k t o n i s c h e n Ü b e r s e t z u n g der Fortitudo.

W e n n m a n R e p r o d u k t i o n e n des u r s p r ü n g l i c h e n T o r b a u s , der 1725 stark v e r ä n d e r t w u r d e , betrachtet, erhält m a n eine A h n u n g v o n der A u s g e w o g e n h e i t , m i t der N o s s e n i den B a u k o n z i p i e r t hatte. O f f e n s i c h t l i c h b e s t i m m t die Idee des A u s g l e i c h s d e n Einsatz der f o r m a ­ len Mittel. M e h r n o c h , v i e l l e i c h t d a r f m a n s o g a r s a g e n , dass die herrscherliche T u g e n d des M a ß h a l t e n s keiner P e r s o n i f i k a t i o n m e h r bedurfte, s o n d e r n d u r c h die A r c h i t e k t u r selbst z u m A u s d r u c k g e b r a c h t w u r d e . J e d e f o r m a l e Eigenart w i r d n ä m l i c h durch eine k o m p l e ­ m e n t ä r e e r g ä n z t u n d g e m ä ß i g t . Die a u f s t r e b e n d e v e r t i k a l e A c h s e , die d u r c h Tor, Fenster u n d tempietto führt, hat in der stabilen q u e r r e c h t e c k i g e n G e b ä u d e f o r m ein G e g e n g e w i c h t . E i n e m f l ä c h i g e n G e s a m t e i n d r u c k w i r d d u r c h d e n v o r g e b l e n d e t e n Portikus u n d den z u ­ r ü c k s p r i n g e n d e n tempietto e n t g e g e n g e s t e u e r t , die d e m Portal plastisches P r o f i l v e r l e i h e n . I k o n o g r a p h i s c h f a n d der B a u in der Ü b e r h ö h u n g des Herrschers sein Ziel, d e n n ein P e l i ­ k a n , der sich m i t s e i n e m S c h n a b e l die Brust ö f f n e t , b i l d e t e den Schlussstein des T o r b o ­ gens - ein S i n n b i l d der Caritas, aber in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g n a t ü r l i c h a u c h des Herr­

schers, der sich - Christus gleich - für s e i n e U n t e r t a n e n h i n g i b t .

D a s w i c h t i g s t e B a u p r o j e k t C h r i s t i a n s I. w a r z w e i f e l l o s die G r a b l e g e der W e t t i n e r im D o m z u Freiberg.19 M i t i h r e m Übertritt z u r p r o t e s t a n t i s c h e n K o n f e s s i o n hatten die s ä c h s i s c h e n K u r f ü r s t e n ihren B e g r ä b n i s o r t v o n M e i ß e n n a c h Freiberg verlegt. Dort hatte bereits K u r ­ fürst A u g u s t ein m o n u m e n t a l e s Freigrab f ü r seinen B r u d e r u n d V o r g ä n g e r M o r i t z v o n S a c h s e n errichten lassen, der 1553 in der S c h l a c h t v o n S i e v e r s h a u s e n g e f a l l e n war. A u f d e m 1562 fertig gestellten M o n u m e n t kniet M o r i t z v o n Sachsen in seiner R ü s t u n g a u f einer v o n b r o n z e n e n G r e i f e n g e t r a g e n e n P l a t t f o r m /0 Er h a t d a s K u r s c h w e r t geschultert u n d blickt e m p o r - über das K r u z i f i x h i n w e g , das w e g e n t h e o l o g i s c h e r B e d e n k e n g e g e n ü b e r diesem n e u a r t i g e n G r a b m a l t y p u s erst n a c h t r ä g l i c h h i n z u g e f ü g t w o r d e n war.

Z w a r fielen der B e g i n n der P l a n u n g e n u n d die ersten konkreten M a ß n a h m e n z u einer größe­

ren Begräbniskapelle 1585 n o c h in die Regentschaft A u g u s t s , d o c h w a r Christian z u dieser Zeit bereits als Mitregent eingesetzt. Für die A u s s t a t t u n g der Grablege mit b r o n z e n e n Figuren v e r ­ sicherte sich der j u n g e Kurfürst der Unterstützung Francesco I. de' Medicis, über den er einen geeigneten Bildhauer zu finden hoffte. Der G r o ß h e r z o g der Toskana stellte für Christians B a u ­ v o r h a b e n Carlo di Cesare frei, einen Schüler G i a m b o l o g n a s , der bei i h m in D i e n s t e n stand.

(6)

Nosseni erhielt den Auftrag, das vorhandene Freigrab zur Wettiner Grablege auszubauen.

Sein ursprünglicher Plan sah umfassende bauliche Veränderungen des Chorraumes vor,

der ebenso lang wie der gesamte Dom werden sollte. Diese Anlage wäre so großzügig be­

messen gewesen, dass auch Platz für zukünftige Kurfürsten vorhanden gewesen wäre - „ein auf Zukunft spekulierender Memorialgedanke", wie es Damian Dombrowski treffend for­

muliert hat.

J1

Doch konnte dieser hochfahrende Plan nicht in die Tat umgesetzt werden, denn bedingt durch Christians frühen Tod kam lediglich eine kostengünstigere Variante zur Ausführung. Verwirklicht wurde von diesem bescheideneren Entwurf die Gestaltung des Chores mit Einzelgräbern der Kurfürsten und ihrer Gemahlinnen, die zu einer monu­

mentalen Grabkapelle in buntem Marmor, Alabaster und Bronze verbunden sind. Zwi­

schen einem mit Schrifttafeln und kleinen Pilastern gestalteten Sockelgeschoss und einem fortlaufenden Fries knien, durch hohe Schrifttafeln voneinander getrennt und von dop­

pelten Marmorsäulen mit korinthischen Kapitellen gerahmt, die bronzenen Vollplastiken der Verstorbenen. Ihr Blick ist auf den Scheitelpunkt des Chores gerichtet, wo zwischen übereinander angeordneten Tugenden der auferstandene Christus mit Siegesbanner steht.'"

Das stuckierte Deckengemälde zeigt eine bewegte Gerichtsszene. Die übergreifende Glie­

derung der Wände fügt die Skulpturen und die sie umgebende Architektur zu einem einheitlichen Ganzen. Nimmt man die in Stuck und Malerei gearbeitete Decke hinzu, wer­

den hier die Gattungsgrenzen zwischen Architektur, Skulptur und Malerei nördlich der A l ­ pen zum ersten Mal in diesem Umfang überschritten/'

Steht die Freiberger Grablege in Sachsen auch ohne direkte Vorbilder da, so sieht die For­

schung doch zahlreiche Bezüge zu berühmten Grablegen der Zeit: zum Maximiliansgrab in der Innsbrucker Hofkirche, zu Michelangelos Gestaltung der Medici-Kapelle in San Lo- renzo in Florenz, zur Königsgrablege der Valois in St. Denis, zur Grablege der bayrischen Herzöge in St. Michael in München und schließlich zum Escorial in Spanien. Offensicht­

lich strebte Christian mit seinem Bauprojekt danach, das Haus Wettin unter die könig­

lichen und kaiserlichen Dynastien einzureihen.

24

Die prachtvolle Memorialkapelle demon­

strierte seine Bedeutung gegenüber den übrigen sechs Kurfürsten als protestantische Vor­

macht. Dabei ging es weniger um die Entwicklung einer eigenständigen, protestantischen Ikonographie als vielmehr um den Anschluss an die katholischen Herrscherhäuser Euro­

pas und damit um eine Art symbolischer Beanspruchung königlichen Rangs.

Auch wenn wir uns lediglich drei der überaus prachtvollen Bauten, die Nosseni für Chris­

tian I. entworfen hat, vor Augen geführt haben, wird doch das Ausmaß offenbar, in dem die repräsentative Funktion der Kunst auch im Dresden der Renaissance erkannt wurde.

Die Kunst diente dazu, ein Selbstbild des Herrschers zu entwerfen, das in politisch-höfi­

schen Kreisen vermittelt werden sollte.

Dies betrifft aber keinesfalls nur die Architektur. Denn wie ein Kunstwerk Ausdruck poli­

tischer Kommunikation sein kann, zeigt uns eine Bronzebüste von Adriaen de Vries, die Christian II. darstellt (Kat. 3). Während der Regierungszeit dieses Kurfürsten von 1601 bis 1611 Findet eine deutlichere Orientierung am Prager Hof statt, wovon eine ganze Reihe von Kunstwerken zeugt."' Am deutlichsten sicherlich die Büste, die 1603 gleichzeitig mit derjenigen des Kaisers (Abb. links) entstanden ist, aber erst 1607 beim Besuch des Kur­

fürsten in Prag überreicht wurde." Der politische Kontext und die Zusammengehörigkeit dieser Werke ist offensichtlich. Beide Plastiken folgen dem gleichen Aufbau, bei dem sich über der Plinthe ein figürlicher Sockel erhebt, der die eigentliche Büste trägt. Dieses Motiv findet sich schon bei Leone Leonis Büste Kaiser Karls V , ist aber letztlich antiken Ursprungs.

Wie schon das Bildnis Rudolfs DL erlangt auch die Darstellung Christians II. durch die leicht abgespreizte Stellung der Arme ein besonders „souveränes" Aussehen. Und wie sein kai­

serlicher Bundesgenosse, so blickt auch der sächsische Kurfürst über den Betrachter hin­

weg in Regionen, die den Sterblichen vorenthalten bleiben.

Entscheidend ist die Kombination aus Fern- und Nahsicht, denn der Betrachter sieht zu­

nächst den entrückten Kurfürsten mit sturmzerzaustem Haar, um dann die Personifikatio­

nen des Sockels, aber auch andere Details genauer zu erkennen. Beeindruckend ist die Ge­

staltung der Gesichtsoberfläche, die jeden Lichtschein zu reflektieren und das Haupt des sächsischen Herrschers zu verklären scheint. Erst aus der Nähe erkennt man die Personi­

fikationen des Friedens und der Eintracht, die aus der Sicht des Kaisers die Grundlagen

(7)

40

S z

28. Müller 1993.

29. Jotian Maria Nosseni, So­

llen/ [...]fatti in laude rt honorc, del- la Serenissimi! easa (Ii Sassonia.

Dresden 1602, unpaginicn.

30. Vgl. Dombrowski 2000, S. 84.

31. Vgl. Schade 1988. S. 264.

32. Castiglione/Baumgan 1986.

33. Shearman 1988. S. 20 und S.

105-107.

34. Zum Wechselspiel von imitatio und aemulaiio vgl. Krystof 1997.

der Herrschaft Christians bilden sollten und zugleich als deutliches Signal für ein kaiser­

lich-sächsisches Bündnis zu verstehen waren.

Rudolf II. bedurfte eines verlässlichen Bundesgenossen in seinem Kampf gegen die türki­

sche Bedrohung jener Zeit, aber auch gegen seinen Bruder Matthias, der Ambitionen auf den Kaiserthron hegte. Nach 1600 jedenfalls erreichten mehrere kaiserliche Geschenksen­

dungen Dresden und Christian II. soll 1607 nach längerem Aufenthalt in Prag die Stadt mit Geschenken im Wert von rund 10.000 Talern verlassen haben.

27

Italien als Vorbild: Anmut, Lässigkeit und Witz

Im ausgehenden 16. Jahrhundert war die Dresdner Hofkunst in ihrer Florenz- oder Ita­

lienfixierung keine Ausnahme. Dies fällt auf, wenn man nur knapp zweihundert Kilome­

ter südöstlich nach Prag blickt. Denn auch für die Hofkünstler der nahe gelegenen kai­

serlichen Residenz mit ihrem legendären Sammler Rudolf II. gilt, dass der Weg in kaiser­

liche Dienste fast unweigerlich über Italien führte.

Ob Maler wie Bartholomäus Spranger, Hans von Aachen, Joseph Heintz d.Ä. oder der kai­

serliche Bildhauer Adriaen de Vries, alle diese Künstler waren mit der italienischen Kunst ihrer Zeit bestens vertraut. Zwar wurden sie in Nordeuropa geboren, hatten ihr Handwerk aber durch Reisen vervollständigt oder gar eine Ausbildung in Italien erhalten. Sie waren wegen ihrer langen Italienaufenthalte zweisprachig und blieben auch nach ihrer Ankunft in Mitteleuropa bestens über die Entwicklungen in Italien informiert.

Eine wichtige Quelle ist in diesem Zusammenhang Karel van Manders Schilder-Boeck aus dem Jahre 1604, in dem zum ersten Mal die Viten der nordeuropäischen Hofkünstler ge­

sammelt wurden.-

8

Durch ihn sind wir relativ gut über die Künstler am Hofe Rudolfs II.

und ihre Wertschätzung informiert, leider erwähnt er keine in Dresden tätigen Meister j e ­ ner Zeit. Folgt man van Mander, so war Prag das Zentrum, das alle nordeuropäischen Hö­

fe in Bann gehalten hat, sicherlich auch des berühmten kaiserlichen Sammlers wegen, dem es gelang, eine sagenumwobene Kunstkammer aufzubauen.

Immerhin existiert ein Gedicht Nossenis, das den rudolfinischen Hofkünstlern Spranger und von Aachen zugeeignet ist. Dieses anlässlich der Durchreise beider Maler entstande­

ne und 1602 publizierte Sonett bedient sich gängiger kunsttheoretischer Topoi, wenn vom goldenen Wagen des Musenführers Apoll, dem antiken Hofkünstler Apelles und dem Tugendberg die Rede ist, den die Künstler zu ersteigen hätten.''

1

Doch so unoriginell auch die verwendeten Sprachbilder erscheinen mögen, wichtig ist diese Quelle, weil sie uns über das künstlerische Selbstbewusstsein jener Zeit und insbesondere Nossenis belehrt, aber auch darüber, dass konkrete Beziehungen zwischen den Prager und Dresdner Hof­

künstlern bestanden.™ Mit dem Regierungsantritt Christians II. im Jahre 1601 intensivier­

ten sich die Beziehungen zum kaiserlichen Hof. Bilder der Prager Hofkünstler wurden ver­

mehrt für die Dresdner Sammlungen erworben, und während ihrer Durchreise scheinen Spranger und von Aachen begeistert gefeiert worden zu sein."

Selbst wenn man davon ausgeht, dass van Mander die wirkliche Bedeutung Prags ein we­

nig übersteigert, wird in seinem Schilder-Boeck die Ambition der nordeuropäischen Künstler deutlich. Ging es doch darum, sich an den italienischen Vorbildern zu orientie­

ren, um diese eventuell sogar zu überholen. Italien war der geltende Maßstab, ein Leitbild, das es nachzuahmen, aber auch zu übertreffen galt!

Doch nicht nur die Kunst, die höfischen Verhaltensideale allgemein entstammen der ita­

lienischen Kultur, man denke nur an den ungeheuren Erfolg von Baldassare Castigliones Buch // Libro del Cortegiano aus dem Jahre 1528 - eine Schrift, die mehr als einhundert Jahre später noch als vorbildlich empfunden und in die europäischen Landessprachen übersetzt wurde.'

2

Um sich vor Augen zu führen, was den Geschmack des ausgehenden 16.

Jahrhunderts maßgeblich bestimmt hat, lässt sich beispielhaft auf die Geschenksendung verweisen, die Christian I. zum Regierungsantritt aus Florenz geschickt bekam. Francesco I., Großherzog der Toskana, verehrte dem neuen sächsischen Regenten drei Kleinbronzen

„seines" Bildhauers Giambologna: den fliegenden Merkur (Kat. 146), die Schlafende

Nym­

phe mit Satyr (Kat. 148} und Nessus und Dejanira

(Kat. 147). Der Künstler erlaubte sich,

diese Serie um einen Mars (Abb. S. 270) zu ergänzen, der sein persönliches Präsent an den

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Entwurf zu einem Dianabrunnen Giovanni Maria Nosseni wohl um 1595 Feder, laviert Verbleib unbekannt

Kurfürsten sein sollte. Diese vier Werke Giambolognas bildeten zusammen einen wichti­

gen Nukleus italienischer Kunst in der kurfürstlichen Sammlung.

Interessant ist diese Episode, weil sie uns ein wenig von der höfischen Mentalität erzählt.

Giambologna war zu diesem Zeitpunkt der gefragteste Bildhauer in Europa; in der Tat gab es kaum einen Potentaten, der nicht versucht hätte, ihn an seinen Hof zu holen. Selbst Kaiser Ru­

dolf II. musste, wie alle anderen auch, mit einem seiner Schüler vorlieb nehmen. Wenn der Großherzog also drei Bronzen verschenkt, zeigt dies gleichermaßen seine Großzügigkeit wie seine Bedeutsamkeit. Er kann es sich leisten, derart kostbare Kunstwerke zu schicken; ganz ab­

gesehen davon, dass in Florenz selbst die Künstler den Herrschern Geschenke machten. Aber auch dies ist kalkulierte Großzügigkeit, denn natürlich rechnete man mit ebenso großzügigen Gegengeschenken und Entlohnungen.

Nachgerade exemplarisch für den Geschmack jener Zeit ist Giambolognas fliegender Merkur, der uns das gestalterische Problem einer schwebenden Figur vor Augen führt. In formaler Hin­

sicht geht es darum, das Gewicht der Bronze zu überwinden, es durch die Form vergessen zu machen. Ihre spezifische Anmut gewinnt die Figur durch die Aufwärtsbewegung. Denn wäh­

rend die Hand des Götterboten steil aufwärts in den Olymp weist, ist das rechte Bein so darge­

stellt, als wäre es in einer schnellen Vorwärtsbewegung begriffen. Unser Auge vermittelt zwi­

schen diesen beiden, in unterschiedliche Richtungen weisenden Bewegungsimpulsen, und der Götterbote scheint sich sanft in die Lüfte zu erheben. Eine solche Gestaltung ist durchaus am­

bivalent zu nennen, wirkt sie doch einerseits dynamisch und beraubt den Merkur andererseits doch nie der ihm eigenen Eleganz.

Giambolognas Bronze antwortet auf die kunsttheoretische Forderung nach difficoltä." Was heißt das? Zunächst ist difficoltä (Schwierigkeit) eine Herausforderung an den Künstler, das ei­

gentlich nicht oder nur sehr schwer Darstellbare in der Kunst wiederzugeben - im Falle des

Merkur etwa eine Figur zu schaffen, die trotz der schweren Materialität der Bronze den An­

schein des Aufwärtsschwebens erweckt. Dem Kunstkenner um 1600 waren zudem die großen Kunstwerke der Hochrenaissance bekannt; selbst wenn er Italien nie betreten hatte, konnte er die Werke über druckgraphische Reproduktionen studieren. Ein solcher Kenner wird entspre­

chend unerwartete und anspruchsvolle ästhetische Lösungen geschätzt haben.

Mit sprezzatura (Lässigkeit) und difficoltä (Schwierigkeit) haben wir zwei der wichtigsten äs­

thetischen Kategorien jener Zeit benannt. Ebenso entscheidend ist die „künstlerische Bildung"

eines Bildhauers oder Architekten, die es ihm erlaubt, sich an den gelungenen Werken der Ge­

schichte zu orientieren. So war es ein wichtiges Charakteristikum der Kunst um 1600, die ein­

mal erreichten ästhetischen Standards zu bewahren." Dem Kenner fielen folglich Anspielungen auf andere Kunstwerke sogleich auf und sollten natürlich auch wiedererkannt werden.

Imitatio artis

Um uns ein solchermaßen „gebildetes" Kunstwerk vor Augen zu führen, sei auf eine Entwurfs­

zeichnung Giovanni Maria Nossenis hingewiesen, die vermutlich um 1595 entstanden ist. Wie bereits angedeutet, hatte dieser während seines Aufenthaltes in Florenz die Spitzenwerke der italienischen Skulptur kennen gelernt. Wie souverän er mit Vorbildern umzugehen wusste, zeigt sein Projekt für einen nicht erhaltenen Brunnen. Über einer gestuften Basis steht eine Brun­

nenschale, die durch eine Dianastatue abgeschlossen wird. Die Schale wird durch vier Voluten getragen, die wiederum mit Maskeronköpfen geschmückt sind. Diana steht auf einem Sockel, in den Wasser speiende Köpfe eingelassen sind. Sie hat ihren rechten Arm erhoben und ist als Göttin der Jagd mit einem Speer ausgestattet. Insgesamt fällt die elegante Gestaltung auf, die dem Charakter der mythologischen Figur entsprechen soll. Die Haltung der leicht gekleideten Göttin ist besonders aufschlussreich, denn sie zeigt, dass es Nosseni darauf ankam, zwei be­

rühmte Skulpturen Giambolognas zu synthetisieren: Das angewinkelte rechte Bein verweist auf die Venus Urania des berühmten Florentiner Bildhauers, während der aufwärts zeigende rech­

te Arm eine Art Paraphrase von dessen berühmter Merkurplastik darstellt. Auch die Makroform des Entwurfs orientiert sich an einem Kunstwerk Giambolognas, dem so genannten Venus­

brunnen, der sich in den Florentiner Boboli-Gärten befindet.

Nosseni arbeitete die Dianastatue als figura serpentinata aus, die - während sie umschritten

wird - dem Betrachter ein abstraktes, aufwärtsführendes Linienspiel zeigt. Dem Künstler ging

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Titanensturz

Sebastian Walther, 1605 Feder, grau laviert 27,5 x 20,9 cm Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Graphische Sammlung,

Inv. Nr. Hz. 5137

es offensichtlich um die Anmut der Skulptur, um ihre Grazie. Eine solche Figur erschließt dem Betrachter immer neue reizvolle Ansichten, die jede Schwerfälligkeit vermissen lassen. Nosseni hätte seinen Brunnen also genutzt, um eine allansichtige Skulptur zu gestalten.'

5

Zusätzlich hielt der Brunnen eine rezeptionsästhetische Pointe bereit - zumindest für den männlichen Betrachter. Dieser nämlich wird mit dem antiken Jäger Aktaeon identifiziert, der nach der Schilderung Ovids bei der Betrachtung der Diana und ihrer Nymphen in einen Hirsch verwandelt wurde, um dann von seinen Jagdhunden zerfleischt zu werden. Der männliche Be­

trachter sah sich also dem Verdacht ausgesetzt, das Werk mit einer gewissen Lüsternheit anzu­

schauen. Die Ironie dieses Rollenspiels ist typisch für die Hofkunst des ausgehenden 16. Jahr­

hunderts. Castiglione hat Ironie besonders geschätzt. Der Fähigkeit, geistreich zu scherzen, wid­

mete er eine eigene Passage in seinem Traktat.

Mehr noch: Wortspiele, Schlag'fertigkeit, Schlüpfrigkeit, schickliche und unschickliche Scherze, aufrichtige und falsche Schamhaftigkeit, Spott und Anspielungen, all dies findet im Libro

del Cortegiano

Erwähnung und wird durch exemplarische Beispiele vorgestellt. Castigliones Text entwirft das Bild vom idealen Hofmann als homo ridens, was nicht bedeutet, bloß Witze zu ken­

nen, sondern seine Zivilisiertheit durch Selbstironie unter Beweis zu stellen.

So sei eine besonders geistreiche Inszenierung Nossenis für den Dresdner Hof in diesem Zu­

sammenhang nicht verschwiegen. Anlässlich der zweiten Hochzeit von Johann Georg (I.) mit Magdalena Sibylla von Brandenburg im Jahre 1607 ging man dazu über, sich die italienischen Formen buchstäblich einzuverleiben: Nosseni hatte ein Schauessen inszeniert, für das die Klein­

bronzen Giambolognas in essbarem Material nachgebildet worden waren.

36

Sinnbild und Gesprächsspiel

Dass Witze und Scherze auch ein wichtiges Kriterium für Kunstkammerstücke waren, belegt ei­

ne in Nürnberg zum Ende des 16. Jahrhunderts entstandene Arbeit, die Bacchus auf einem Fass sitzend darstellt (Kat. 106). Seit jeher handelt es sich beim Gott des Weines um ein weit ver­

breitetes Motiv. Der Witz dieser Darstellung besteht jedoch nicht in der gut beobachteten Be­

häbigkeit des Trinkers, mit der Bacchus Platz genommen hat und sein Trinkgefäß zum Mund führt, sondern in unserer Fähigkeit, selber zu scherzen, dem Bacchus sozusagen zuzuprosten.

So kann das Thema höchst unterschiedliche Auslegungen hervorbringen: Dass der Wein die Nahrung des Geistes sei, heißt es in der Emblematik, und dass es zwei unterschiedliche Natu­

ren des Weines gebe. Und natürlich wird vor den Folgen der Trunkenheit gewarnt.

37

Eine sol­

che Vieldeutigkeit ist gewünscht. Sie ist Teil eines anregend-angeregten Gesprächs, das als ci-

vile conversazione

weit über die Funktion des Informationsaustausches hinausführt - die Unter­

haltung „an sich" wird zur Kunstform. Einige Kunstkammerstücke produzieren also Gesellig­

keit. Dies alles hielt den Goldschmied Meinrad Bauch nicht davon ab, das Fass mit Perlmutter­

streifen zu verschönern, ganz in der Art wie es der Büttner aus Holz gefertigt hätte.

Bei diesem Sujet handelt es sich zugleich um ein ausgesprochen höfisches Thema, wie eine Kleinbronze Giambolognas aus den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts, die sich heute im Louvre befindet, belegt. Hier ist Morgante, der Hofzwerg Cosimos I. dargestellt, wie er in der Art des Bacchus breitbeinig auf einem Fass sitzt. In monumentaler Ausführung sorgt er in den Boboli-Gärten hinter dem Palazzo Pitti noch heute für Erheiterung.

Dass der Betrachter angesichts der Pracht der Kunstkammerstücke vor Ehrfurcht nicht zur Salz­

säule erstarren musste, belegen auch die drei Strauße, die als Trinkgefäße genutzt werden konn­

ten (Kat. 116). Alle drei Tiere schreiten voran, aber nur zwei haben ein Hufeisen im Schnabel. Die Körper dieser Trinkgefäße bestehen aus echten Straußeneiem. Entstanden sind sie in Leipzig vor 1595 und wurden von Elias Geyer hergestellt. Der Witz bei diesen Gefäßen besteht darin, dass es fast unmöglich ist, zu trinken, ohne etwas über die eigene Kleidung zu gießen: Sie sind so konstruiert, dass die Flüssigkeit Rickartig herausschießt. Auch wenn diese Gefäße de facto nicht benutzt wurden, so dürfte ihre skurrile Formgebung doch ein unterhaltsames Tischgespräch be­

flügelt haben. Einem Betrachter des frühen 17. Jahrhunderts erschloss sich dabei durchaus auch

eine Möglichkeit der geistreichen Auslegung. Denn die Sinnbildkunde verzeichnet unter dem

Bild des Straußes, der ein Hufeisen im Schnabel trägt, nicht weniger als fünf unterschiedliche

Bedeutungen. Von „Stärke durch Widerstand" ist hier die Rede, glaubte man doch, der Strauß

könne durch die extreme Wärme seines Magens sogar Eisen verdauen. Moralisch geht es

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zu, w e n n das Bild des Straußes als das des Gerechten entworfen wird, der Neider erträgt. V o m Leben aus der G n a d e Gottes ist in anderen emblematischen Quellen die Rede u n d auch v o n

der Überlegenheit der Tugend.3 8 <

A l l e diese B e d e u t u n g e n sind m ö g l i c h u n d schließen einander nicht aus, sondern verhalten sich k o m p l e m e n t ä r zueinander. Vielleicht hat m a n , w e n n m a n diese Pokale zur Hand n a h m , über die Sinnbildlichkeit dieses Tieres nachgedacht. Einmal mehr sei der G e m e i n s c h a f t stif­

tende Charakter solcher Kunstwerke betont, die nicht für die einmalige Deutung, sondern für das angeregte Gespräch gedacht waren.

Viele der K u n s t k a m m e r s t ü c k e weisen eine solche unterhaltende D i m e n s i o n auf, die v o m b l o ­ ßen Scherz bis z u m gelehrten Apercu reicht u n d bisweilen z w a n g l o s zur W e l t d e u t u n g h i n ­ überleitet. Ob n u n m y t h o l o g i s c h e Gestalten oder Tiere als Sinnbilder auftauchen, ihre d u r c h ­ w e g kostbare Gestaltung hat den d a m a l i g e n Betrachter sicher nicht d a v o n abgehalten, nach einer Interpretation zu suchen.

Wie eine Kunstkammer einzurichten sey"

J 35. Zur künstlerischen Aufgabe des Figurenbrunnens im 16. Jahrhundert siehe Moret 2003.

36. Vgl. Marx 2000a, S. 28.

37. Henkel/Schöne 1996. Sp.

1829-1832.

38. Henkel/Schöne 1996. Sp.

806-808.

39. Gutfleisch/Menzhausen 1989.

S. 4.

40. Auch Nosseni schrieb Rudolf II.

im Juli 1612 als einem „Liebhaber der freien Künste"; vgl. Lietzmann 1977, S. 205.

41. Die neue Verfügbarkeit der Kunst, wie sie die Reproduktions­

graphik ermöglicht hatte, wird hier auf das plastische Medium ausge­

dehnt.

Ein aufschlussreiches kunsttheoretisches D o k u m e n t j e n e r Zeit ist Gabriel Kaltemarckts V o r ­ schlag zur Einrichtung einer K u n s t k a m m e r . Dieser 1587 entstandene Text ist Christian I. g e ­ w i d m e t u n d entwirft das Ideal einer „Bilderkammer", gibt aber zugleich äußerst pragmatische Hinweise, w i e es etwa gelingen k ö n n t e , in relativ kurzer Zeit eine K u n s t k a m m e r einzurichten u n d die in Italien erworbenen Kunstwerke kostengünstig nach Dresden zu schaffen.

Kaltemarckts Text ist synthetischer Natur und greift a u f Vasaris Vorstellungen zur bildenden Kunst zurück. Er ist aber zugleich gelehrsam, w e n n en passant die Künstleranekdoten genannt werden, v o n denen Plinius im 35. Buch seiner Naturgeschichte erzählt. Über Kaltemarckt ist lediglich bekannt, dass er z w i s c h e n 1579 und 1611 in Dresden gelebt haben muss, w o seine W i t w e ein eigenes Haus besaß. Nur eine geringe A n z a h l v o n Z e i c h n u n g e n aus seiner Hand ist erhalten geblieben; die meisten v o n ihnen entstanden nach italienischen Vorbildern.

U m so interessanter ist sein Text, weil hier explizit die kunsttheoretischen Debatten u m 1587 greifbar werden. J o a c h i m M e n z h a u s e n hat d a r a u f hingewiesen, dass Kaltemarckt seinen kunsttheoretischen Überlegungen eine kurze bildtheologische Reflexion voranstellt, in der er versucht, der spezifisch sächsischen Position gerecht zu w e r d e n . " So wendet sich der A u t o r gleichermaßen gegen die i k o n o d u l e n Katholiken w i e auch gegen die ikonoklastischen C a l v i - nisten u n d plädiert für eine moderate Position, wie sie in der lutherischen Theologie gegeben und für das S t a m m l a n d der Reformation angemessen sei.

Doch selbst w e n n m a n den Eindruck hat, dass Kaltemarckt, z u m Teil bis in die Diktion h i n ­ ein, die lutherische Position wiedergibt, sind diese Thesen nicht der Kern seiner Ü b e r l e g u n ­ gen. Ihm geht es v i e l m e h r u m die Etablierung v o n Skulptur u n d Malerei als „freie" Künste, u m ein akademisches Kunstideal also, w i e es zuerst in Italien entwickelt worden war, u m v o n dort in den Norden zu gelangen. Kein Geringerer als R u d o l f II. selbst erließ 1595 ein Dekret, in dem die Malerei in den R a n g einer freien Kunst erhoben wird.40 Kaltemarckt wird v o n s o l ­ chen Ideen nicht unbeeinflusst gewesen sein, als er eine Liste mit den wichtigsten Künstlern aus Vergangenheit und Gegenwart erstellt hat, u m damit den Horizont einer m ö g l i c h e n k u r ­ fürstlichen Sammlungstätigkeit zu entwerfen.

Die Vorstellung v o n der Malerei als freier Kunst u n d die Lehre v o n der Exempelhaftigkeit a n ­ tiker Kunst j e d e n f a l l s stehen eindeutig im Z e n t r u m seiner A u s f ü h r u n g e n , w e n n er über die Laokoon-Grappe, den Herkules Farnese u n d andere große Kunstwerke reflektiert, die v o n den Künstlern als Vorbild g e n o m m e n werden sollen. D a z u empfiehlt er A b f o r m u n g e n in Gips, die

„zu Florenz und ander orth i n Italia" v o n antiken u n d m o d e r n e n Bildwerken a b g e n o m m e n werden könnten.4 1 Insgesamt ist bei Kaltemarckts Text der k a n o n i s c h e Charakter zu betonen, w e n n etwa G i a m b o l o g n a als der größte Künstler seiner Zeit bezeichnet wird.

Exempellehre

Dass solche K o n z e p t e italienischer imitatio-Lehie in Dresden u m die J a h r h u n d e r t w e n d e nicht n u r b e k a n n t w a r e n , s o n d e r n auch eine gewisse P r a x i s hatten, hat s c h o n Nossenis B r u n ­ n e n e n t w u r f gezeigt. D a r ü b e r h i n a u s sei a u f eine Z e i c h n u n g des 1576 in Dresden g e b o r e n e n

(11)

| 44 Sebastian W a l t h e r v e r w i e s e n , die mö g l i c h e r w e i s e als S t a m m b u c h b l a t t gedient h a b e n m a g (Abb. S. 42). W a l t h e r w a r seit 1607 M i t a r b e i t e r N o s s e n i s u n d w u r d e n a c h dessen T o d i m J a h r e 1620 z u m „Hofstatuarius"."

Die Federzeichnung ist laviert u n d entspricht mit ihrem o f f e n e n Vortrag d e m ästhetischen Standard j e n e r Zeit. Der Künstler offenbart hier sein I n g e n i u m , das sich in der sichtbaren Spontaneität niederschlägt. D a m i t folgt er d e m italienischen ;;/rfuoso-Ideal, w i e es in der

* zweiten Hälfte des 16. J a h r h u n d e r t s auch theoretisch ausgebildet wurde.

Z Die H a n d z e i c h n u n g zeigt das T h e m a des T i t a n e n k a m p f e s , die Vertreibung des urzeitlichen Riesengeschlechts durch die o l y m p i s c h e n Götter, wie wir es vergleichbar aus den Deckenfres­

ken des Palazzo Te in M a n t u a (Gigantensturz), aber auch aus der K u n s t des mit Walther zeit­

gleichen Haarlemer M a n i e r i s m u s eines Hendrick Goltzius oder Cornelis v a n Haarlem kennen.

Schon durch die W a h l seines T h e m a s zeigt Walther seinen A n s p r u c h als Künstler auf, spielt er doch a u f berühmte bildliche Werke seiner Zeit an. Im H i m m e l erkennen wir die Götter a u f Wolken sitzend: Zeus mit dem A d l e r ist d e m Betrachter a m nächsten. Die weit entfernten Gottheiten hat der Künstler mit einigen Feder- u n d Pinselstrichen skizziert. Sein H a u p t a u ­ genmerk galt j e d o c h den T i t a n e n des Vordergrunds, die v o n m ä c h t i g e n Felsen erschlagen werden. Einer v o n i h n e n ist s c h o n v o l l s t ä n d i g mit Steinen bedeckt. Nur K o p f u n d Oberarm des Unglücklichen bleiben erkennbar, w ä h r e n d ein zweiter dabei ist, unter den schweren Fel­

sen zu B o d e n zu gehen. Zugleich vermittelt u n s der riesige Felsen a u f seinen Schultern einen anschaulichen Begriff v o n der p h y s i s c h e n Stärke des Riesen. J e d e n f a l l s scheint es kein Zufall zu sein, dass sich der Künstler g e n a u diesen Stein für seine Signatur ausgesucht hat, liest m a n d o c h : „Sebastian WaltherlSchulturlEt Archettectusjlnn Dresden den 21. August/1605.""

Dass der ideale Adressat einer s o l c h e n Arbeit mit kunsttheoretischen Überlegungen vertraut sein musste, belegt das H a l t u n g s m o t i v der zentralen Figur, das nichts Geringeres als die Mittelfigur der Laokoon-Gruppe zitiert. W a l t h e r folgt d a m i t der v o n Kaltemarckt vertretenen imitaHo-Lehrc, die v o m Künstler erwartet, dass er bewährte u n d als allgemein gültig a n e r ­ kannte L ö s u n g e n in neue K o n t e x t e übertragen u n d eigenen K o m p o s i t i o n e n e i n s c h m e l z e n kann. Der Zitatcharakter sollte dabei j e d o c h nicht sofort ins A u g e springen, sondern erst a u f den zweiten Blick erkennbar sein.

Die Forderung Kaltemarckts nach B e f o l g u n g etablierter Vorbilder entspricht den wichtigsten Grundsätzen der Kunst u m 1600. Diese entsteht nicht im luftleeren R a u m , sondern i n v e n t a r i ­ siert sozusagen das d a m a l s b e k a n n t e Corpus v o n bedeutenden Kunstwerken, sei es der a n t i ­ ken oder der italienischen Kunst der Hochrenaissance. W e n n m a n sich ab 1550 in Dresden verstärkt den internationalen K u n s t b e m ü h u n g e n annäherte, so auch deshalb, weil es e u r o p a ­ weit einen i m m e r größer w e r d e n d e n K o n f o r m i t ä t s d r u c k gab, eine Notwendigkeit, den inter­

nationalen Standards zu entsprechen. Kaltemarckts „Unterweisung" erzählt auch d a v o n , dass sich in der zweiten Hälfte des 16. J a h r h u n d e r t s der Prozess der Historisierung der Kunst merklich verstärkte, w o z u die Künstlerviten Vasaris erheblich beigetragen haben.

Barbara M a r x hat mit einigem Recht vermutet, dass hinter den Vorschlägen Kaltemarckts Nosseni als Stichwortgeber stand, der mit den aktuellen K u n s t t e n d e n z e n w o h l a m besten v e r ­ traut war. J e d e n f a l l s w ä r e es eine kuriose K o i n z i d e n z , dass Nosseni in einem Brief an Chris­

tian I. v o m 28. September 1586 den Kurfürsten als k ü n f t i g e n Kunstförderer feiert, a u f die S a m m l u n g e n der Medici, die Idee der Renaissance der K ü n s t e in Italien, aber auch a u f die b e ­ sondere Stellung Michelangelos hinweist: Ideen, die wir ein J a h r später allesamt bei Kalte­

marckt wiederfinden.4 4

Vom akademischen Rang der Malerei

j

42. Schade 1969. S. 19-21.

43. Schade 1969. S. 108. Nr. 130.

44. Marx 2000b. S. 279.

45. Schade 1969. S. 64. Nr. 69.

46. Müller/Kaschek 2002. S. 27-32.

A u c h das nächste Beispiel bietet A u f s c h l u s s über die erstrebte Internationalität der Dresdner Kunst u m 1600. A l l g e m e i n ist a u f die wichtige F u n k t i o n der Höfe im Prozess der A u t o n o m i - sierung der bildenden Kunst h i n g e w i e s e n w o r d e n , u n d erneut sei daran erinnert, dass es R u d o l f II. war, der z u m ersten Mal nördlich der A l p e n die Malerei in den Rang einer freien Kunst hat erheben lassen. Dass solche Ideen auch den Dresdner Künstlern b e k a n n t gewesen sein dürften, belegt eine Z e i c h n u n g J o h a n n Kellerthalers aus d e m J a h r e 1592 (Abb. S. 45).4S

Sie zeigt das Urteil des Paris u n d ist ein beredtes Beispiel für den Einfluss des Prager M a ­ nierismus a u f die sächsische Kunst u m 1600.

(12)

Urteil des Paris Johann Kellerthaler, 1592 Feder, schwarzbraun und braun laviert 26,5 x 17,9 cm Köln, WaUraf-Richartz- Museum, Inv, Nr. Z 242

Kellerthaler war nach 1604 vor allem als Stecher nach Vorlagen von Nosseni und Kalt- emarckt tätig, das vorliegende Blatt zeigt jedoch, dass er sich auch eigenständig mit den Tendenzen der zeitgenössischen Kunst auseinandersetzte. Seine Zeichnung inszeniert das mythologische Geschehen auf ironische Weise und macht die Wirren der Urteilsfindung deutlich.

Paris, der trojanische Prinz und Held der Geschichte, sitzt am rechten Bildrand unter ei­

nem Baum. Offenbar hat er schon entschieden, welche der drei Göttinnen Juno, Minerva oder Venus die schönste ist, als er der Liebesgöttin den Apfel reicht. Der Genius freilich, der mit dem Siegerlorbeer vom Himmel herabschwebt, ist im Begriff, Juno mit dem Kranz zu bekrönen. Ihr, der Göttermutter, der Gattin des Jupiter, müsste diese Ehre eigentlich zu­

stehen. Minerva, am linken Bildrand stehend und durch die Attribute der Lanze und des Gorgonenschildes gekennzeichnet, verdreht ob der verhängnisvollen Entscheidung des Paris gequält die Augen. Als Göttin der Weisheit erkennt sie wohl die Tragweite des Ur­

teils: Indem Paris die bereits vergebene schöne Helena als Geliebte versprochen bekommt, ist der Trojanische Krieg unausweichlich. Über alledem schwebt der Göttervater Jupiter im Himmel, ohne in das Geschehen einzugreifen. Kellerthaler hat den Konflikt für den Be­

trachter sinnfällig in Szene gesetzt. Doch seine Zeichnung „argumentiert" nicht nur mit bildimmanenten Verweisen, sondern bedient sich auch diverser Zitate. So steht beispiels­

weise die Modellierung der weiblichen Körper dem Sprangerstil nahe, wie auch Minervas schräg gestellte Augenbrauen dort ein häufiges Motiv sind. Das bedeutungsträchtigste Zi­

tat kann man aber in der Gestaltung des Paris erblicken, der einem anderen verblendeten Richter nachgebildet ist: Er erinnert in seinem Gestus an Federico Zuccaris Darstellung des eselsohrigen Königs aus der Verleumdung

des Apelles

(1572), die als Kupferstich weit ver­

breitet war. Interessanterweise erheben auch bei Zuccari Merkur und Minerva dezenten Einspruch gegen das unbesonnene Urteil.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Kellerthaler auch eine kunsttheoreti­

sche Dimension in seine Zeichnung" integriert hat. Denn er hat die Zusammenkunft von Merkur und Minerva, die durch die Geschichte vorgegeben ist, genutzt, um auf subtile Weise deren Zusammengehörigkeit zu behaupten: So ist der Komposition ein „V" einge­

schrieben, das in die oberen Bildecken führt und am deutlichsten von den Attributen von Merkur und Minerva - also durch Lanze und Caduceus - markiert ist. Auf diese Weise sind die beiden Gottheiten, trotz ihrer räumlichen Trennung, zu einer Einheit zusammengeschlossen.

Eine solche Verbindung verweist uns auf die Allegorie der „Hermathena", die mit der Kombination von Hermes-Merkur und Athene-Minerva gegeben ist und die geradezu als Leitbild des europäischen Manierismus gelten kann: In allen wichtigen Kunstzentren der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts - in Bologna, Caprarola, Prag und Haarlem - ist das Götterpaar zu Finden. Mit dieser Allegorie ist ein akademisches Kunstideal bezeichnet, das die schöne Form (Merkur als Gott der Beredsamkeit) mit dem geistreichen Inhalt (Miner­

va als Göttin der Weisheit) versöhnen will und gegen die reformatorische Abwertung ita­

lienisch-antikischer Formschönheit gerichtet ist.

46

Die Zeichnung Kellerthalers will Zeug­

nis darüber ablegen, dass es die Künste sind, die in Gestalt von Merkur und Minerva ei­

ne Alternative zur bloßen unheilvollen Begierde - verkörpert von Venus - darstellen und die somit den Frieden garantieren.

Giovanni Maria Nosseni hat mehr als vierzig Jahre die sächsische Kunst mitgestaltet. Er starb am 20. September 1620, wie wir aus seiner Leichenpredigt erfahren. Wenn wir ver­

suchen, sein Werk abschließend zu beurteilen, so fallen natürlich seine Arbeiten für Chri­

stian I. sofort ins Auge. Leider hat diese Zusammenarbeit unter gleichwertigen Partnern nur wenige Jahre gedauert. Aber wir sollten die Leistung Nossenis, die sächsischen Künst­

ler mit italienischer Kunst vertraut gemacht und damit gleichsam als Katalysator für ak­

tuelles Ideengut gewirkt zu haben, nicht gering schätzen. Sein möglicher Einfluss auf Kaltemarckt und die Künstler seines Umfeldes ist schon zur Sprache gekommen und zeigt, welcher Modernisierungsschub mit seiner Arbeit in Dresden einherging. Die bella

twanie- ra hatte auch am Kurfürstenhof ihren unwiderruflichen Einzug gehalten; Nosseni war

selbst kein überragender Neuerer, doch ist es vielleicht am ehesten ihm zu verdanken, dass sich die Kunst nicht nur als lehrreiche, sondern als „schöne Kunst" gegen die latente Bil­

derfeindlichkeit eines protestantischen Umfeldes durchsetzte.

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