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„ Wir Physiker verzichten auf die Gewandtheit im Ausdruck unserer Mutter-sprache.

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M e i n u n g

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© 2020 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Physik Journal 19 (2020) Nr. 6

K

ommunizieren wir Physiker genug? Machen wir un- seren Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit einfachen Begriffen klar, was all die Fortschritte für sie bedeuten, die unsere Wissenschaft erzielt und welche die Welt in den letzten 200 Jahren stärker verändert haben als alle Fort- schritte über hunderte oder gar tausende Jahre vorher?

Ich bezweifele das. In der wichtigsten Frage unserer tech- nischen Gesellschaft, woher die Energie beziehungsweise der elektrische Strom kommt, herrscht bis in die Reihen der Entscheidungsträger physikalisch-technisches Unwissen.

Denn sonst würden Wunschvorstellungen und Versprechen über Versorgungssicherheit, CO2-Reduk tion, Batterieleis- tungsfähigkeiten, Wasserstofftechnologie oder Kernenergie nicht so oft quasireligiös diskutiert – und beschlossen! Wo das Wissen fehlt, be ginnt der Aberglaube. Wir sind auf bestem Weg, nicht mehr dem Informationsanspruch der Gesellschaft, die unsere wissenschaftliche Tätigkeit finan- ziert, gerecht zu werden.

Nein, wir Physiker kommunizieren nicht genug! Wir sprechen auch gar nicht mehr die Sprache des Volks; wir sprechen mit Kollegen nur zu häufig eine eigene Sprache:

„poor English“. Ich meine, das ist ein beunruhigendes In- diz und dass die wenigsten unter uns das gefährlich fin- den, ist noch beunruhigender.

Früher haben wir unsere Gastforscher zum Deutsch- lernen ins Goetheinstitut geschickt. Die Monate, in denen sie dort viel Zeit neben ihrer

Arbeit im Labor verbrachten, lohnten sich. Anschließend konnten sie mit den Leuten in der Werkstatt und im Le- bensmittelladen reden und verstanden unsere Seminar- vorträge. Heute passen wir uns an: Wenn auch nur ein

einziger im Seminar sitzt, der des Deutschen nicht völlig mächtig ist, sprechen wir unser oft „poor English“, und wenn keiner drin sitzt, „zur Übung“ auch. Genauso oft ist Englisch die dominierende Sprache auf Tagungen in deutschsprachigen Ländern.

Doch aus meiner Sicht führt der freiwillige Verzicht auf die Verwendung der Muttersprache zum Verlust der Gewandtheit im Ausdruck, zu seiner Verflachung und letztlich zum „Sprachverlust“: Raffinierte Wendungen erfordern schon in der Muttersprache mehr als Routine, Humorvolles kommt in einer fremden Sprache nicht recht an, und auch dialektale Einsprengsel sind nicht möglich.

Der Sprachschatz und die sprachliche Gewandtheit sind gegenüber der Muttersprache verarmt.

Ich bin geprägt durch das Wienerisch meiner Stu- dentenzeit, es war voll von Dialektausdrücken aus dem Jiddischen, dem Böhmisch-Tschechischen, dem Franzö- sischen, dem Italienischen. Heute spricht auch in Wien die Jugend abgeschrumpftes Fernseh-Hochdeutsch – und

„poor English“. Ich behaupte, dieser Sprachverlust korre- liert mit dem Rückgang des Lesens von Literatur außer- halb des eigenen Fachs. Schrödinger hat noch selbst ge- dichtet, und Einstein würzte seine Veröffentlichungen mit sarkastischen Bemerkungen.

Die Gesellschaft zerfällt in die naturwissen schaftlich- technische „Elite“ und die breite „Öffentlichkeit“. Und die

„Elite“ schafft es immer weniger, die Komplexität der heu- tigen Welt dem Normalbürger in seiner Sprache zu ver- mitteln, ihn über drohende Gefahren oder neue Mög- lichkeiten zu informieren.

Ein Physiklehrer, der sein Fach auf Englisch gelernt hat, kann es schlecht mitreißend auf Deutsch unterrichten.1)

Die Veranstaltungen im DPG-Jubiläumsjahr könnten Anlass sein, unsere Bereitschaft zu überdenken, die Ge- sellschaft auf für sie verständlichem Weg zu informieren.

Das sind Gedanken eines alten Professors, so mögen viele junge Kollegen denken: Um eine Karriere zu machen, kann man sich heute weder Shakespeare noch Goethe, weder ein Rilke-Gedicht noch ein Handke-Theaterstück leisten. Vielleicht haben sie ja recht: Wir sind Getriebene...

Ich habe nicht gendergerecht geschrieben, schon weil ich den Eindruck habe, dass es bei den weiblichen Mitglie- dern unserer Wissenschaftsgesellschaft mit der Sprach- beherrschung etwas besser aussieht.

Die unter der Rubrik „Meinung“ veröffentlichten Texte geben nicht in jedem Fall die Meinung der DPG wieder.

Eine eigene Sprache der Physik

Entkoppeln wir Physiker uns sprachlich von der Gesellschaft?

Gero Vogl

Meine Meinung

„  Wir Physiker verzichten auf die Gewandtheit im Ausdruck unserer Mutter- sprache.

Prof. Dr. Gero Vogl ist emeri- tierter Physikprofessor an der Universität Wien. Er habilitierte sich an der TU München und war Professor an der FU Berlin. Er hat viel im Ausland geforscht (Frankreich, USA, Japan, Indien).

1) D. Voslamber, Physik Journal, Februar 2011, S. 3

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