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Archiv "Alkohol: Industrie soll freiwillig die Werbung einschränken" (07.07.2000)

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sierung nötig sei, nicht Rationierung.

Dass Erwin Jordan, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheits- ministerium, trotz Zusage nicht erschie- nen sei, wollte der Moderator „nicht kommentieren“. „Wir aber“, schallte es aus dem Saal auf die Bühne, und dann folgten doch einige Buhrufe.

Dr. Ruth Fuchs (PDS) plädierte für einen Erhalt der GKV, allerdings mit ei- ner Versicherungspflicht für alle Bür- ger. Rationalisierungsreserven gebe es sicher, sie seien jedoch nicht von heute auf morgen zu erschließen. Zudem soll- ten entsprechend frei werdende Mittel im System bleiben. Auf die konkreten Beispiele aus den Gesundheitsberufen ging keiner ein. Deren Repräsentanten ließen nicht locker. Sie warfen den Poli- tikern Ignoranz und Ideologie vor.

Gertrud Stöcker, Deutscher Pflege- rat, kritisierte, dass ein Abbau qualifi- zierter Kräfte und ein Ausbau der Lai- enpflege politisch gewollt sei. Dr. med.

Astrid Bühren, Vorsitzende des Deut- schen Ärztinnenbundes, sagte, Frauen

seien die Hauptbetroffenen von Ratio- nierung. Vor allem ihre Stellen im Krankenhaus würden abgebaut, weil durchschnittlich 87 Prozent der dort Beschäftigten Frauen seien. Auch ein Arbeitsplatzabbau in der Pflege be- laste Frauen, weil sie es in der Regel seien, die Angehörige zu Hause be-

treuten. Sabine Rieser

P O L I T I K

A1858 Deutsches ÄrzteblattJg. 97Heft 277. Juli 2000

W

ieder einmal gibt es Gerangel und Diskussionen um die Wer- bung und ihren Einfluss auf das Gesundheitsverhalten. Diesmal geht es jedoch nicht um Tabak, sondern um Al- kohol. Geändert hat sich mit dem The- ma offenbar auch die Position der Bun- desregierung. Nachdem sie sich un- längst für die Tabakwerbung eingesetzt und sogar gemeinsam mit der Zigaret- tenindustrie gegen die Richtlinie der Europäischen Union zum Tabakwerbe- verbot in Europa vor dem Europäi- schen Gerichtshof geklagt hatte (siehe Deutsches Ärzteblatt, Heft 26/2000), appelliert sie nun an die Alkohol- und Werbeindustrie, die Alkoholwerbung einzuschränken.

Gespräche mit der Werbe- und Alkoholwirtschaft

Gesetzlich will die rot-grüne Regierung nicht gegen die Alkoholwerbung vorge- hen. Sie setzt vielmehr auf Freiwillig- keit und gemeinsame Verhandlungen mit der Alkohol- und Werbeindustrie.

Diese müsse in die gesamtgesellschaft- liche Verantwortung besonders für Kinder und Jugendliche eingebunden werden, sagte Christa Nickels (Bünd- nis 90/Die Grünen), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesund- heitsministerium (BMG), anlässlich der WHO-Tagung zum Europäischen Al- kohol-Aktionsplan 2000 bis 2005 Mitte Juni in Bonn.

Wie auch schon beim beabsichtigten Tabakwerbeverbot (damals jedoch ohne Erfolg), forderte der Präsident der Bun- desärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg- Dietrich Hoppe, die Regierung auf, sich für ein Verbot der Alkoholwerbung ein-

zusetzen. Es sei ein Unding, dass eine Substanz, an deren Folgen in Deutsch- land rund 42 000 Menschen pro Jahr sterben, in schillernden Filmspots öf- fentlich angepriesen werde, so Hoppe.

Initiative hat das Bundesgesund- heitsministerium in diesem Fall bereits ergriffen. Ende Juni trafen sich Vertre- ter der Werbewirtschaft, der Alkohol- industrie und des Sports mit Bundes- gesundheitsministerin Andrea Fischer, Staatssekretärin Christa Nickels sowie

den Ländergesundheitsministerinnen Heide Moser (Schleswig Holstein) und Dr. Martina Bunge (Mecklenburg-Vor- pommern) zu einem „Gedankenaus- tausch“ zum Thema „Jugendliche und Alkohol“.

„Trotz unterschiedlicher Auffassung in Einzelfragen wurde Übereinstim-

Alkohol

Industrie soll freiwillig die Werbung einschränken

Die Regierung will die Werbung für Alkohol reduzieren, die nach ihrer Ansicht einen „Risikofaktor“ für den Alkohol- konsum besonders bei Kindern und Jugendlichen darstellt.

Alkoholwerbung wie diese soll nach Willen der Regierung zwar nicht verboten werden, jedoch seltener zu sehen sein. Foto: Linie Aquavit

Bündnis Gesundheit:

Durchhaltevermögen

Das Bündnis Gesundheit 2000 ist ein Zusammen- schluss von 38 Gesundheitsberufen. Vertreten sind die Ärzte und Zahnärzte, die Pflegeberufe, Physiotherapeuten, Logopäden und Atem-, Sprech- und Stimmlehrer, Technische Assistenten, Ergotherapeuten, Diätassistenten, Apotheker, Kassenpsychotherapeuten. Hervorgegangen ist die Initiative aus der Konferenz der Fachberufe im Gesundheitswesen bei der Bundesärztekammer.

Im April 1999 trat das Bündnis zum ersten Mal öf- fentlich in Erscheinung. Es folgte im Sommer eine große Demonstration auf dem Berliner Gendar- menmarkt, bei der die betroffenen Berufe ihren Protest gegen die anstehende Gesundheitsreform formulierten. Damals kamen schätzungsweise 25 000 Menschen. Inzwischen will das Bündnis nicht mehr nur protestieren, sondern Alternativen zur jetzigen Gesundheitspolitik aufzeigen. Im Mai hat es „Eckpunkte für ein patientengerechtes Ge-

sundheitswesen“ vorgelegt. Rie

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mung erzielt“, heißt es in der gemeinsa- men Presseerklärung. Ein wirklicher Konsens kam bei diesem Gespräch je- doch nicht zustande. Dazu haben die Teilnehmer zu konträre Ansichten. Sie vereinbarten lediglich, dass eine ge- meinsame Arbeitsgruppe in den näch- sten Monaten „Vorschläge zum verant- wortungsvollen Umgang mit alkoholi- schen Getränken“ erarbeiten soll. Ge- plant ist zudem ein gemeinsamer Kon- gress in kommenden Jahr.

Die deutsche Alkohol- und Werbe- wirtschaft hat 1976 freiwillige Verhal- tensregeln zur Werbung für alkoholi- sche Getränke entwickelt. Dass diese seither nahezu unverändert gelten, wird von Nickels kritisiert: „Ich denke, es ist an der Zeit, diese Verhaltensregeln neueren Erkenntnissen anzupassen.“

Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ist anderer Meinung:

„Wir sehen aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse keinen Anlass, die Re- geln zu verschärfen“, erklärte der Spre- cher des Verbandes, Volker Nickel, ge- genüber dem Deutschen Ärzteblatt.

„Es besteht keine Kausalität zwischen Gesamthöhe des Verbrauchs alkoholi- scher Getränke und Markenwettbe- werb.“ Vielmehr gleiche der Trend ei- ner Scherenbewegung: Die Werbeaus- gaben wuchsen in den Neunzigerjah- ren, der Alkoholkonsum hingegen sank in dieser Dekade.

Nickels verweist auf eine Untersu- chung des Ifo-Instituts (Institut für Wirtschaftsforschung), München, nach der der Pro-Kopf-Konsum alkoholi- scher Getränke von 176 Litern im Jahr 1990 auf 156 Liter 1998 gesunken ist.

Auch bei Jugendlichen ist ein Abwärts- trend des Alkoholkonsums sichtbar. Die Drogenaffinitätsstudie der Bundeszen- trale für gesundheitliche Aufklärung, Köln, ergab für den Vergleichszeitraum 1997 gegenüber 1993 einen Rückgang des Konsums von allen vier untersuch- ten alkoholhaltigen Getränken (Bier, Wein/Sekt, Spirituosen und alkoholhal- tigen Mixgetränken) bei den 12- bis 25- jährigen Kindern und Jugendlichen. Zu- gleich erhöhte sich der Anteil derjeni- gen, die selten oder nie Alkohol trinken.

Auch Christa Nickels würdigt diesen rückläufigen Trend. „Dennoch können wir mit den bisher erreichten Ergebnis- sen nicht zufrieden sein“, erklärte die

Staatssekretärin und Drogenbeaufrag- te der Bundesregierung. „Sondern wir müssen weitere und intensivere An- strengungen unternehmen, um den ris- kanten Konsum und die damit verbun- denen Risiken zu senken.“ Ein „Risiko- faktor für den Alkoholkonsum“ ist für sie dabei die Werbung, „die Trends setzt oder verstärkt und subtil Lebens- stile beeinflusst“.

Durch solche Äußerungen fühlt sich die Werbewirtschaft angegrif- fen. „Werbe- und

Vertriebsverbote für alkoholhal- tige Getränke zum Zweck des Jugendschutzes sind Ausdruck der Hilflosigkeit der Gesundheits- politik“, zitiert Volker Nickel ei- ne sozialpsycho- logische Studie von Professor Dr. Reinhold Bergler (Uni- versität Bonn) zum Alkohol- konsum Jugend- licher. Die Po- litik müsse sich um die Ursachen des Missbrauchs kümmern, sagt der Werbefach-

mann. Zu sachlichen Gesprächen und einer Beseitigung von objektiven Fehl- entwicklungen wäre die Werbewirt- schaft bereit, allerdings werde sie keine

„faulen Kompromisse“ mit der Politik schließen.

Neue Studie

zum Alkoholkonsum

Das Bundesgesundheitsministerium will zunächst das Thema Alkohol stär- ker ins öffentliche Bewusstsein rücken.

Christa Nickels stellte in Bonn die neue Studie des BMG zu Alkoholkonsum und Folgeschäden in Deutschland vor.

Danach sind:

❃1,6 Millionen Menschen (2,4 Pro- zent der Wohnbevölkerung ab 18 Jah- ren) akut alkoholabhängig,

❃ Alkoholmissbrauch liegt aktuell bei 2,65 Millionen Menschen (vier Pro- zent) vor,

❃ direkt oder indirekt in Verbindung mit Alkohol sterben jährlich rund 42 000 Personen,

❃ 238 000 Straftaten (sieben Prozent aller Straftaten) werden pro Jahr unter Alkoholeinfluss begangen,

❃ Trunkenheit spielt bei 60 Prozent der 150 000 Verurteilungen wegen Straftaten im Straßenverkehr eine Rol- le; rund 1 500 Perso- nen werden bei Ver- kehrsunfällen mit Al- koholeinfluss getötet,

❃ Arbeitsunfähig- keit und Invalidität wegen Alkoholabhän- gigkeit und Alkohol- psychosen werden in etwa 92 000 Fällen jährlich festgestellt,

❃ zehn bis zwölf Prozent der Bundes- bürger konsumieren Alkohol in einer Grö- ßenordnung, die zwar nicht akut gefährlich ist, aber langfristig ein hohes Risiko von ge- sundheitlichen und so- zialen Schäden mit sich bringt,

❃ der volkswirt- schaftliche Schaden durch alkoholbezoge- ne Morbidität und Mortalität beläuft sich auf etwa 40 Milliarden DM jähr- lich.

In allen europäischen Ländern gebe es Anzeichen dafür, so Nickels, dass der Alkoholkonsum bei vielen Jugendlichen zu einem selbstverständlichen und wich- tigen Teil des Lebens geworden sei. Sie will deshalb stärkeres Augenmerk auf den Schutz der Jugendlichen vor Alko- hol legen. Dazu gehören politische Maß- nahmen, wie die Festsetzung eines Min- destalters für den Alkoholkonsum sowie der Schutz der Kinder vor der Animati- on zum Alkoholkonsum. Die 80 Exper- ten, die in Bonn über den europäischen Aktionsplan der WHO berieten, erwei- terten ihre Deklaration dahingehend.

Sie soll im Februar 2001 auf der Gesund- heitsministerkonferenz in Stockholm beschlossen werden. Dr. med. Eva A. Richter P O L I T I K

A1860 Deutsches ÄrzteblattJg. 97Heft 277. Juli 2000

Nach Aussage von Staatssekretärin Nickels gelten die Deutschen mit 127,4 Liter Bier pro Kopf und Jahr (1998) europaweit als Biertrin- kernation. Foto: Walter Oberländer

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