17. JAHRGANG HEFT 1 - 2 JULI 1985
ISSN 0344 - 7227 HERAUSGEGEBEN VON DER DELATTINIA
Faunistisch-floristische Notizen aus dem Saarland
ARBEITSGEMEINSCHAFT
FÜR TIER- UND PFLANZENGEOGRAPHISCHE HEIMATFORSCHUNG IM SAARLAND
"Altlasten" in saarländischen und norddeutschen Nahrungsnetzen von Prof. Dr. Paul MüLLER
Im Zusammenhang mit systematischen Rückstandsanalysen in Nahrungs- netzen verschiedener deutscher Kulturlandschaften (Forschungen im Rahmen des Umweltprobenbank-Projektes der Bundesregierung; vgl.
WAGNER und MüLLER 1985), wurden in den letzten Jahren verstärkt auch frei lebende Wildtierarten aus dem Saarland und dem Landkreis Stade (N iedersachsen) untersucht. Beide Räume unterscheiden sich grundlegend insbesondere durch ihre Immissions- und Bodentypen, ihre Nutzungsstrukturen und ihre Lage zu marinen Okosystemen (MüLLER et al. 1984). Deshalb war es besonders wichtig, die Grund - belastung mit persistenten Umweltchemikalien zu erfassen, die durch unterschiedliche Produktionsprozesse in der Vergangenheit in die Land- schaften gelangten und sich insbesondere in marinen Nahrungsnetzen anreicherten.
Von besonderem ökotoxikologischem I nteresse erwiesen sich dabei die Rückstandswerte von Polychlorierten Biphenylen (PCB's) und von Hexachlorbenzol (HC B) .
Obwohl die Verwendung des Hexachlorbenzols als Fungizid seit 197 5 in der Bundesrepublik Deutschland verboten ist, findet man in be- stimmten Organismen im Saarland und im Landkreis Stade immer noch HCB - Werte, die die empfo hlenen Richtw erte nach der Höchstmengen- verordnung überschreiten. Im Saarland gilt das z. B. für einen 1983 tot aufgefundenen Turmfalken oder für die Eie r von Steinkäuzen und Elstern, in denen bi s zum 15- fachen des Richtw ertes an HCB nachge- wiesen werd en konnte. Die Stellung in der Nahrungskette und damit auch die Exposition der Art beeinflußt entscheidend die Akkumulations - rate. Deshalb ist es nicht v erwunderlich, daß Arten, die auch in ma- rine Nahrung snetze integriert sind (z.B. Brandenten aus dem Land - kreis Stade; Füchse aus dem EIbeeinflußbereich) häufig hohe Rück- standswerte aufweisen (Abb. 1, 2). Die Rückstandswerte an HCB zei- gen rückläufige Tendenz . Sie verdeutlichen jedoch die hohe Persistenz dieses seit 10 Jahren verbotenen Fungizids. Allerdings muß auch darauf
hingewiesen werden, daß HCB als Nebenprodukt bei der Herstellung von organischen Lösungsmitteln entstehen und ins Freiland gelangen kann.
Die ökotoxikologische Problematik der Polychlorierten Biphenyle und ihre Akkumulierbarkeit in Nahrungsketten ist seit langem bekannt. Un - ter den Handelsnamen Clophen, Aroclor , Phenochlor, Sovol, Kanechlor oder Fenchlor wurden sie u.a. als Transformatorenöle, Wärmeüberträ- ger und Formulierungsmittel in Industrie und Bergbau eingesetzt. Ob- wohl die offene Anwendung seit 1978 erheblich eingeschränkt wurde, lassen sich PCB's im Saarland und im Landkreis Stade, in z. T . regio- nal und artspezifisch bemerkenswert hohen Konzentrationen nachweisen.
Viele PCB's werden im Klärschlamm oder von Mikroorganismen kaum ab- gebaut. Deshalb reichern sie sich in der Umwelt und hier insbesondere in den Nahrungsketten an. Ihre geringe Wasserlöslichkeit, ihre Stabili - tät gegen Säuren und ihr unterschiedliches Verhalten auf verschiedene Wellenlängen des Lichtes begünstigen zusätzlich ihre Umweltpersistenz .
Ihre ökotoxizität ist entscheidend abhängig vom Chlorierungsgrad. So besitzt z.B. das 2,4,3',4'-Tetrachlor-5- hydroxybiphenyl einen LDso - Wert von 0,43 g/kg Maus (oral). das Aroclor 1262 (Handelsname) einen LDso-Wert von 11,3 g/kg Ratte (oral). Für Wassertiere liegen die LCso- Werte durchweg niedriger.
Für die Wildtiere des Saarlandes lassen sich einige generelle, die Rück- standssituation definierende Feststellungen treffen. Ähnlich wie in Schleswig-Holstein oder im Landkreis Stade ist die Belastung von Rehen und Wildschweinen als niedrig einzustufen. Alle bisher bei diesen Tie- ren gemessenen Werte liegen unter 0,1 mg PCB /kg (Leber, Frischge- wicht) . Hasenlebern, insbesondere von älteren Tieren, weisen jedoch Konzentrationen bis 0,4 mg/kg auf. I n Füchsen als Endgliedern von Nahrungsketten treten in Abhängigkeit vom Alter und Standort PCB- Werte über 1,0 mg PC B / kg (Leber, FG) auf. Bei saarländischen Stock- enten liegen die PCB-Werte im allgemeinen höher als die Konzentratio- nen von Pflanzenschutzmitteln (vgl. Tab. 1).
Tab. 1: Rückstandswerte von Organochlorkohlenwasserstoffen und PCB's in Lebern von Enten (Anas platyrhynchos; n =ll) aus der Prims bei Schmelz (in mg/kg Frischgewicht; 30.09.1984)
Medianwerte min max
Hexachlorbenzol 0,010 0,010 - 0,015
Q - HCH
セ@ - HCH n.n. n.n. - 0,010
,. - HCH n.n. n.n. - 0,020
Heptachlorepoxid 0,003 n.n. - 0,015
Dieldrin Endrin
::E - DDT 0,060 0,010 - 0,540
PCB's 0,35 0,02 - 1,55
Bei Schmelzer Stockenten vom 18.09. 1983 lagen die Medianwerte für PCB's bei 0,55 und für ::EDDT bei 0,020 mg/kg FG.
340
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• MAUSWIESEL - L . . . GELBHALSMAUS-L
• KANINCHEN-L
• KANINCHEN- GE
• HERMELI N - N
• HERMELIN - L
• FUCHS - M/D
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FUCHS-L
Abb. 1: HeB -K onzentrationen (mg/kg) in verschiedenen Böden und Tierarten des Saarlandes und des Landkreises Stade (Nieder- sachsen) • Deutlich ist di e unterschiedliche Akkumulationsfä- higkeit verschiedener Organe zu erkennen.
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BRANDENTE-L I BRAND- ENTE-H
A bb . 2 : HeB - Konz entrationen (m g/ k g J i n ve r sc hi ed e n en Vo ge la rt en d es Saa rl a nd es und d e s Landkr ei ses S t ad e (Ni e der sach se n J. En dg l i e- d e r von Nahrung s ne tz e n : d ie Eie r vo n Gr e ifv öge ln und Art e n
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i m Einflußbereich marine r Ö k os y s t eme we i se n di e h öc h s t e n Rüc k - s tand s we rte auf.
0,1 10 100 1000
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PCB (mg Ikg Frischgewicht ) OBERBODEN GEEST
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I OBERBODEN MARSCH
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Abb . 3: PeB - Rückstände (mg l k g Frischgewicht ) in Böden und Tieren (Leb er. He r z, Eier) aus dem Saa rl a n d und dem Landkr e i s S tad e nach Unt e r s uc hungen des I nstitut s für Biogeographie der uョゥ セ@
versität d es Saa rl a nd es in den Jahre n 1982 bis 19 84 (nach MOLLER e t a l. 1984)
Selbst grani - bzw. insektivore Arten, wie z. B. Rebhühner (Pe rdi x perdix ) können noch bei Einzelindividuen Wert e von über 0,30 mg PCB / kg Frischgewicht (Leber) erreichen (Tab. 2) .
Tab. 2 : Rückstandswerte von Organochlorkohlenwasserstoffen und PCB 's in Lebern von Rebhühnern (Perd i x p e rdix; n =7) aus der Schmel - zer Feldflur (in mg/kg Frischgewicht; 30.09.1984)
Hexachlorbenzol a- HCH
セMhch@
Y- HCH
Heptachlorepoxid Dieldrin
Endrin ::; - DDT PCB's
Medianwerte 0,004 0,001 0,004 0,010
0,070 0,05
min max 0,002 - 0,005 n.n. - 0,002 n.n. - 0,015 n.n. - 0,015
0,055 - 0,120 0,02 - 0,40 Aus vorangehender Abb. 3 ist zu erkennen, daß andere einheimische Vo- gelarten (vgl. Greifvögel und deren Eier), Maulwürfe und insbesondere Arten mariner Nahrungsnetze (u. a. Brandseeschwalben, Silbermöwen) wesentlich höhere PCB-Rückstandswerte aufweisen.
Literatur:
MULLER, P., FLACKE, W., KRUGER, J. und HUBSCHEN, J. (1984) : Ökologische Belastungsanalyse Landkreis Stade. pp. 644, Stade WAGNER, G. und MULLER, P. (1985): Umweltprobenbanken als Instru-
mente der Umweltsicherung. Untersuchungen zur Gewinnung reprä- sentativer Umweltproben. Verhdl. Ges. ökologie 14, Stuttgart-
Hohenheim -
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. rer. nat o Paul MULLER
Direktor des Instituts für Biogeographie der Universität des Saarlandes 6600 Saarbrücken
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