Von Johannes Benzing, Berlin
Das Possessivsuffix der dritten Person
I.
§ 1. Die Form und der Gebrauch der Possessivsuffixe im
Tschuwaschischen bieten, abgesehen von dem Suffix der
3. Person, keine außergewöhnhchen Erscheinungen. Die En¬
dungen der 1. und 2. Person sind:
1. sg. -am, -jm, -m 1. pl. -amar, -?m?r, -mar, -m^r
2. sg. -ü, -Ii 2. pl. -ar, -ar*).
Diese Endungen werden häufig weggelassen — im Obertschu¬
waschischen (virjal) scheint dies sogar die allgemeine Regel
zu sein —, und das Possessivverhältnis wird in diesem FalJ
einfach durch den vorgesetzten Genitiv des entsprechenden
Personalpronomens ausgedrückt, z. B. man utsam „meine
Pferde", manan saza patra „ich bin heiser" (wörtl. ,, meine
Stimme ist zu Ende"). Die bei Antritt dieser Endungen am
Wortstamm auftretenden phonetischen Veränderungen sollen
uns hier nicht weiter interessieren.
§ 2. Das Suffix der 3. Person, -a (für Einzahl und Mehr¬
zahl), kommt nur palatal vor*). Wörter mit auslautendem t
1) Die Herleitung des -ü < -ig (vgl. alttürk.I) und des -ar < -igiz \\
-iwiz ist nicht ganz sicher, da sonst alttürk. uig. -ig, -iy im Tschuw.
durch -a, -f vertreten sind, z. B. tschuw. t^nl^ ,,mit Verstand begabt"
(,< t^n ,, Verstand, Bewußtsein") |{ uig. tinliy ,, Lebewesen, Mensch".
2) Auch im Orchontiirk. scheint das Possessivsuffix der 3. Person
palatal ausgesprochen worden zu sein. Dementsprechend wurden die
Akkusative oylin „seinen Sohn", budunin ,,sein Volk" am Schluß mit dem Zeichen für palatales n geschrieben. Vgl. V. Thomsen, Inscriptions
de rOrkhon, S. 13.
Zeitachrift d. DMO Bd. M (Nen* Folge Bd. I>) 1?
17*
252 J. Benzing, Tschuwaschische Forschungen (I)
verwandeln bei Antritt des Suffixes -a das t in dz'), z. B.
jat ,,Name" > jaoza, ut ,, Pferd" > uoh, pürt ,,Haus" >
pürozd. Die Wörter mit anderem konsonantischen Auslaut
verdoppeln teilweise den Endkonsonanten, wobei sie die
Endung -i statt -a annehmen, teilweise nehmen sie ganz ein¬
fach -a, z. B. mamak ,, Baumwolle" > mamaad*), as „Arbeit"
> aza, 'ival „Sohn" > ivab, kalacan „Sprecher" > kalaaan»
neben kalacanni, t^ul ,, Stein" > t^ulli, j'ivas „Baum" > j'i-
vassi, sin ,, Mensch" > sinni. Eine Regel oder Gesetzmäßig¬
keit konnte ich bisher nicht finden*). Allgemein ist die Ver¬
dopplung bei Wörtern mit auslautendem -a, -a nach einfachem
Konsonanten, wobei sich -a, -g in -i verwandeln : sud§ „Licht"
> sutti, tura „Gott" > turri. Ebenso verschmilzt bei aus¬
lautendem -a die Possessivendung mit diesem Vokal zu -i,
z. B.: ura „Fuß" (~ alttürk. aÖaq)> uri, urasa „Wagen"
> uraal*). Auslautendes -ü, -u verwandelt sich vor der En¬
dung -a in -av-, -gv- : pü „Gestalt, Wuchs" > pava, tu „Berg"
> tava.
3) In manchen Dialekten (offenbar besonders in den südlichen)
als LZ ausgesprochen.
4) Tenues zwischen Vokalen (und zwischen Liquida und Vokal)
werden Mediae. Bei manchen Wörtern kann die Endung abfallen, wobei
als Ersatz die letzte Wortsilbe palatalisiert wird, z. B. mam^o» , .seine
Baumwolle" > mamak. Siehe P. I. Ivanov, Osnovnye voprosy öuvas-
skoj grammatiki i izuöenie ee v £kole, Ceboksary 1931, S. 87.
5) Vermutlich läßt sich bei genauerer Untersuchung vor allem der
Dialekte auch hier noch manches feststellen, aber solange das Ab¬
kürzungsverzeichnis zu Asmarins Thesaurus Linguae Tschuvaschorum
(bespr. OLZ 1939, Nr. 8/9, Sp. 538—542) noch aussteht, sind Unter¬
suchungen nach dieser Richtung kaum möglich.
6) Selbst in zusammengesetzten Wörtern, z. B. karDaS, karDü ,,Hof"
< karDa ,, Umzäunung" -|- fia ,,ihr Inneres" in folgenden 2 Beispielen:
vfl ai jeplt patnint kurasifn karPaine karze . . . (Mt. 26, 58) ,,. . . ging in
den Hof, um zu sehen, wie jene Sache ausgehe", dagegen: iav?n tSux
Ka/afa jatl^ pup-puilf%a karJOiine pup-puilfxaZem . . . pu%gnZa . . ,
(Mt. 26, 3) „da versammelten sich die Hohenpriester ... in den Palast
des Hohenpriesters, der da hieß Kaiphas, und ...". — In manchen
modernen Veröffentlichungen findet man die Possessivendung -i noch¬
mals mit der Possessivendung -a versehen: xuzija statt j;"^' < z"^«
„Wirt".
§ 3. Neue Unregelmäßigkeiten entstehen beim Antreten
der Kasusendungen an die oben erwähnten Formen. Es lassen
sich folgende Reihen aufstellen:
Nom. -a -i
Gen. -an, -ijan -ijan
Dat. Acc. -ne, -na -ine
Loc. -auDze'') -inoze
Abl. -anozen'') -inozen
Instrum. -ase, -i/ase -ijase, -ise
Terminal.*) ? -ittSen
3 weitere Kasus, nämlich Adverbialis^), Modahs*") und Cau-
salis**) sind mir noch nicht in Verbindung mit dem Possessiv¬
suffix der 3. Person begegnet. Der Allativ und der Comitativ
werden ganz regelmäßig mit Hilfe der Modalis-Endung (-le, -la)
vom Dativ bzw. Instrumentalis abgeleitet und lauten: -nelle,
-nalla, -inelle; -asele, -ijaBele.
Die Pluralendung steht hinter der Possessivendung, z. B.
uD^mzem ,, meine Pferde", UDzazem ,, seine Pferde".
§ 4. Neben dieser Possessivendung -a (-i), die als normale
gelten kann, kommt eine andere Endung vor, deren Gebrauch
unten besprochen wird: -aza, -aza, ziemlich häufig verkürzt
in -aS, gelegentlich auch mit Schwund des vorletzten Vokals
-za (bzw. nach hartem Konsonant -Sa). Gelegentlich findet
man bei einem Wort sowohl diese wie auch die in § 2 be¬
sprochene Endung, z. B. türt ,, Rücken" bildet ala türoza
,, Handrücken" (Aäm. XIV 228) neben al(a) lärDaza „dss."
(A§m. XIV 229), puroa tUroaza, puroa türoaS und sogar puro^
tiiroazi „Messerrücken" (A§m. XIV 229).
7) Bei Wörtern mit auslautendem t wird im Loc. und Abl. dieser
Laut nicht zu dz, z. B. pürDanDzt ,,in seinem Hause", uvanDZen ,,von seinem Pferde".
8) Der Terminalis bezeichnet den Zeitpunkt, bis zu welchem etwas
geschieht: kaSlSen ,,bis zum Abend".
9) Z. B. iarh ,,bei Nacht" < sar ,, Nacht", vgl. uig. tünlä dss.
<.tün; parle ,, zusammen mit" < par , .einer", vgl. uig. birlä dss.
10) Entspricht dem alttürk. Instrum. -in, -in.
11) Z. B. siranZan ,, wegen euch, für euch", itUatn purzln v^l k^mfllf ,,er ist darüber zufrieden, daß Hörer da sind".
17*
254 J. Benzino, Tschuwaschische Forschungen (I)
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß dieses Suffix
mit dem gemeintürkischen Possessivsuffix der 3. Person -si,
-si zu verknüpfen ist, das dort nach vokalischem Auslaut
antritt**). Andererseits wird man die Endung nicht von der
finnisch-ugrischen Possessivendung der 3. Person trennen
wollen, insbesondere nicht von ihrer Form bei den den Tschu¬
waschen benachbarten Tscheremissen**): -z°, z.B. palaS-Sa
„sein Ohr", jol-io „sein Fuß", ßür-iö „sein Blut""). Man
wird also wohl an eine Beeinflussung der tschuwaschischen
Lautform durch das Tscheremissische denken müssen**).
II.
Nach diesen kurzen Bemerkungen über die Formen des
Possessivsuffixes der 3. Person soll nun zunächst sein Ge¬
brauch in den Fällen gezeigt werden, wo er mit dem Türki¬
schen übereinstimmt.
§ 5. Die hauptsächliche Anwendung ist rein possessivisch :
joDza „sein Name" || gtü. adi {ädi), aSs9 „sein Vater" || gtü.
atasi; in den Verbindungen zweier Substantive: lazanan
surama „der Rücken des Pferdes" (wörtl. „des Pferdes sein
Rücken"), laza sur^ma „der Pferderücken" (wörtl. „Pferd sein
Rücken") || gtü. atnin yayrini, at yayr'ini. Dieser Gebrauch
ist um so weniger auffällig, als er auch in einer Reihe finnisch-
12) Poppe möchte in seiner Besprechung von Kotwicz, Les pro-
noms dans les langues Altaiques, in Archiv Orientälni, Prag, April/Juni 1937, S. 288—92, im s des Possessivsuffixes -si ein Pluralzeichen sehen,
und er vergleicht damit die tschuw. Endung der 3. ps. pl. -ese (?, wohl
-S3, -s: praes. -tsia, -aiia < -etia, fut. -ai, perf. -dzai).
Die lautliche Entsprechung S\\s ist nicht allgemein, doch kommt
auch eine Reihe anderer Fälle davon vor, z. B. gtü. su , .Wasser"
tschuw. Sio, Su.
13) Vgl. M. Räsänxm, Die tschuwaschischen Lehnwörter im Tsche-
remissischen. MSFOu. XLVIII.
14) Vgl. J. SziNVTBi, Finnisch-ugrische Sprachwissenschaft. Berlin
u. Leipzig 1922. S. 101.
15) Im Tscheremissischen ist i die lautgesetzliche Vertretung des
fgr. *s *z. Vgl. SziNNYEi, a. a. O. S. 36. 98.
ugrischer Sprachen*') und im Tungusischen*') vorkommt^
von anderen Sprachen ganz zu schweigen**).
Eine Untersuchung des possessivischen Gebrauchs der
Endung -a (-i) und der Endung -aza, -aza führt zu dem Er¬
gebnis, daß die letztere am häufigsten bei Verwandtschafts¬
bezeichnungen vorkommt, die dann verschiedene phonetische
Modifikationen erleiden, z. B. aSSa „sein Vater" < atte oder
aza?, amaza {amaS, amaS) < ama „Mutter", app^za (app^S,
appaS) < appa „ältere Schwester", akkaza (aaaia, aaaS) < akka
,, ältere Schwester", muDzaza (muDzaS) < muDzi „älterer
Bruder des Vaters" usw. Sonst wird sie in diesem rein posses^
sivischen Sinne nur selten verwendet*').
§ 6. Auch zur objektivischen Verwendung ist nichts Be¬
sonderes zu sagen. Ein Beispiel mag hier genügen: tüa ju'
maxxi^") ^A^^ Geschichte vom Fuchs" || gtü. tilki hikayäsi.
Da diese Verwendung nur ein Sonderfall der in § 5 genannten
ist, gilt das dort über den Gebrauch der Endung -a (-i) und
-aza (-aza) Gesagte.
§ 7. Wörter, die in einem gewissen Zusammengehörigkeits¬
verhältnis stehen, nehmen die Possessivendung an: sartan»
siksex purat\ aoah Sanzax puraV „der Hecht (wörtl. „sein
Hecht") springt, der Fluß (wörtl. ,,sein Fluß") gefriert". —
tSarzaD9 x^f^noien de ilemb pula „Der Schleier (ihr Schleier)
wird noch schöner sein, als das Mädchen (sein Mädchen)" **).—
sil9 varet, sum^ar» sumasV „Der Wind weht, aber es regnet
nicht (sein Regen fällt nicht)". — am^Sne p^xsa ;tam< i7 „sieh
erst die Mutter an, dann nimm die Tochter" **). Während im
16) Vgl. SziNNYEi, a.a.O. S. 61/62.
17) Z. B. Lamutisch: oron nanran ,,RenntierfeU" (> acc. oron nanra- wän], oron ulran , .Renntierfleisch", Miko JüZän „im Hause Mikos"
(wörtl. „Miko in seinem Hause").
18) Vgl. im vulgären Deutsch: ..dem Wagen sein Rad"!
19) Bin Beispiel s. oben § 4.
20) Statt jumaxxi fmdet man auch jumax» < jumax < tat. yomaq
..Märchen, Geschichte".
21) Vgl. ö. Bekb in KSz. XV.
22) Vgl. tat. anasina baqip qizln al.
256 J. Benzing, Tschuwaschische Forschungen (I)
Tschuwaschischen diese Konstruktion regelmäßig angewandt
wird, ist der Gebrauch im Türkischen fakultativ.
§ 8. Weit häufiger als im Türkischen ist auch der deter¬
minativische Gebrauch des Possessivsuffixes. Besonders Pro¬
nomina und Zahlwörter werden dadurch substantiviert, wie
ja der determinativische Gebrauch große Ähnlichkeit mit
unserem Artikel hat, so daß Gebnbech das Possessivsuffix
der 3. Person direkt ,, Artikel" nennt**).
Pronomina und Zahlwörter werden im allgemeinen mit
Hilfe der Endung -9za, -aza determiniert, z. B. /eza, leS „jener", X9Z9 (< x?j) , »welcher (von ihnen)" || usb. tat. usw. qaysi < qay , »welcher", numajah (< numaj) ,, (ihrer) viele" || osm. cogu,
ikkaza „beide, die beiden, alle beide" | gtü. ikisi; allaza ds
v^G^r pek „die fünfzig, alle fünfzig sind (gesund) wie Ochsen",
allaSns sutramar „die fünfzig, alle fünfzig haben wir verkauft".
Die Endung -a (-i) dagegen dient ganz allgemein zur
Determinierung von Nominibus. Auf die Frage: welchen
Bleistift hast du gekauft?, antwortet man z. B. ;fMrme
(< ;^Mra) ÜDam „ich habe den schwarzen gekauft" oder
Xarlins (< ;^aria) ,,den roten", entsprechend dem Türkischen
qarasln'iy qizülni ald'im. Beim determinativischen Gebrauch
hat man also wohl einen Sonderfall der in § 7 besprochenen
Konstruktionen zu sehen, wobei die in einer gewissen Be¬
ziehung zum Besagten stehenden anderen Dinge (also oben
z. B. grüne und blaue Bleistifte) nur gedacht werden. Ähnlich :
v'ir3Z9, tS^vaza, sarm^z9 ds pur ,,es gibt Russen und Tschu¬
waschen und Tscheremissen" (das imaginäre Komplement
sind vielleicht die andern Nationalitäten, die es noch geben
23) K. Gb0nbech, Der türltische Sprachbau. I. Kopenhagen 1936.—
Man muß sich aber darüber im Idaren sein, daß für den Iconlcret den¬
kenden Türken die Endung eben nach wie vor das Possessivsuffix dar¬
stellt. In finnisch-ugrischen Sprachen wird neben dem Suffix der 3. auch
das der 2. Pers. zur Determinierung verwendet (s. Szinnyei, a. a. O.
S. 54), und dies wird man nicht gerade als ,, Artikel" bezeichnen können.
Die mongolische Determinativpartikel inu, anu ist ebenfalls nichts an¬
deres, als das Possessivpronomen der 3. Person {inu für Einzahl, anu
für Mehrzahl, s. Ramstedt, Über mongolische Pronomina, in JSFOu.
XXIII 3), und inu wird auch jetzt noch in diesem Sinne gebraucht.
mag?), ku koreze javdsii ,, diese Schaufel ist eine hölzerne",
hzd timarri „jene dort ist eisern", ku lampp^ krassinli mar
„diese Lampe ist eine ohne Erdöl", oal vajli „er ist ein kräf¬
tiger", kansai thvaSW^*) ak kunoa ,,das tschuwaschische
(nicht ein anderes) Buch ist hier", aozazem saraae kamalliBe
vWassa „die Kinder spielen mit dem silbernen Ring",
sinnine kuslaxline tsanoamar „wir haben den Mann mit der
Brille gerufen (nicht einen andern)". Derartige Fälle sind
zwar im Türkischen ebenfalls anzutreffen, doch sind sie bei
weitem seltener als im Tschuwaschischen.
Hier seien zum Schluß noch 2 Beispiele angeführt, die
durch ihre Übereinstimmung mit dem Türkischen interessant
sind: 1. pur „existent, vorhanden" bildet pura^^) „alles, alle"
{pura DS > purDs dss.); puraS (Aäm. 1X294), puraS (Aäm.
IX 295) bedeutet ,,sie alle, ihre Gesamtheit". — 2. paoam
„ganz, alle" (= gtü. bütün) bildet paDamaS ,, seine Gesamt¬
heit": kamaa tSira pvas varrine paoamaSpex tena pek size
jarzassan, vara javas ;tarat' ,,wenn die Schwamm-Krankheit
das Innere des Baumes sozusagen gänzlich weggefressen
hat, dann verdorrt der Baum". Auch im Türkischen könnte
hier für paoamaS+pe+x bütün+si+yle stehen.
IIL
In den obigen Paragraphen sind die Fälle behandelt, in
denen der Gebrauch des Possessivsuffixes im großen ganzen
mit dem Türkischen übereinstimmt. Der folgende Abschnitt
wird die davon abweichenden, besonderen Fälle behandeln**),
die bei den Fachgenossen teils Staunen, teils Mißtrauen und
Unglauben erzeugen werden.
§ 9. Im Anschluß an die am Ende des vorigen Para¬
graphen genannte Form paoamaS „seine Gesamtheit" zähle
24) <ts?vaäla, Adverbialis von tipvail Vgl. unten §14.
25) Daneben Icommt auch purri vor (selten). Zu purs, pur^S vgl.
gtü. barl, barisi.
26) Ebenso auch solche, bei denen der Gebrauch mit dem Türki¬
schen zwar übereinstimmt, die aber im Türkischen nur ganz selten vor¬
kommen.
258 J. Bknzino, Tschuwaschische Forschungen (I)
ich hier einige Adjektive auf, die durch die Endung -aza, -?Z9
80 determiniert werden, daß ASmarin sie in seinem Wörter¬
buch direkt durch die entsprechenden abstrakten Substantive
übersetzt :
inks „fern, weit" — inzaS (Aäm. III 126) „Ferne,
Weite".
/ji»r, jio^r „schwer" — jaoar^S (Aäm. V 46), fioaras (Aäm.
IV 296) „Schwere, Gewicht".
piz^k „groß" — pizdkkazd, pizacaze, pizdcaS (Aäm.
IX 193) „Größe".
sarlaaa „breit" — sarlaa^za, sarlacaS, sarlacaS (Aäm.
XI 72) „Breite""),
süfo „hoch" — süM (Aäm. XII 295), süUah
„Höhe".
tar^n „tief" — tar^nah, taranaS (Aäm. XIII 218)
„Tiefe".
Man ist leicht versucht, hier irgendeine vom Possessivsuffix
verschiedene, abstrakte Substantive bildende Endung anzu¬
nehmen, besonders in Hinsicht darauf, daß man von diesen
Abstrakta mit Hilfe der Endung -fo, -la (= alttürk. -Zig, -liy)
Adjektive ableiten kann. Aber betrachten wir einige Beispiele
im Satzzusammenhang! pura sülbza vizs ari^n „die Höhe des
Balkens ist 3 Arschin". — tarangS pibk metr „die Tiefe (seine
Tiefe) ist 5 m". — (Rätsel:) pusran pizak, x^''-^'^"^''^)
j^v^r^h suk. (xamsf.) „Es ist größer als ein Kopf, sein Ge¬
wicht ist nicht (wie) das einer Gansfeder. (Seifenblase.)" —
kurao^n-i anoa x^dsI man inhza, man pizaa^za „siehst du nun,
was die Entfernung, was die Größe der Sonne ist". Man wird
diese Fälle kaum von dem Beispiel paoamaS trennen können,
bei dem die Possessivendung durch das entsprechende tür¬
kische bütünsi gesichert scheint.
§ 10. Wir können noch weiter gehen. Jedem Turkologen
sind Formen wie die folgenden als Crux bekannt: evelsi gün
27) Davon: 50 metr sarlaa^Sla ana ,,ein Feld, Acker von 50 m
Breite!"
28) i^mmKipm^ „Knochen; Federkiel" || alttürk. uig. süvük
,, Knochen".
J. Benzing, Tschuwaschische Forschungen (I)
„vorgestern", evelsi sene ,,im vorletzten Jahr", ertesi gün
„folgenden Tags", ertesi sene „im folgenden Jahr", birsi kün
(usb., = tat. birsi kgn) „übermorgen", kelgüsi häptä (usb.) =
kiläsi atna (tat.) „kommende Woche". Attribute mit Pos¬
sessivsuffix! Im Tschuwaschischen findet sich: afoA:^ kon (kun),
dbkH kon {kun) „gestern", abkSi pazaroa ,,auf dem letzten
Markt" (A§m. IV 101) < „früher" (gtü. ilk „früherer,
erster"), übmaS kun ,,am andern Tag" (A§m. IV 13) < übm
,, nachher, später", und — um den Ring zu schließen — oiza
arzsn sülbza pura ,,ein 3 Arschin hoher Balken" (s. § 9).
Wenn man hierzu die bekannte Stelle der Orchoninschriften,
IE 35, IIE 26/27 {süräüg batimi qariy sökipän ,,den lanzen¬
tiefen Schnee überwindend . . .") vergleicht, muß man zu¬
nächst feststellen, daß Attribute mit Possessivsuffix eben
tatsächlich vorkommen. Aus dem Osmanischen läßt sich diese
These noch weiter erhärten: alman aleyhtart temayüller
,, deutschfeindliche Tendenzen". — benzeri ahla^malar „ihm
ähnliche Abkommen".
Weitere Beispiele aus dem Tschuwaschischen: laza vaVVi
üBUt ilze kiloam „ich habe Futter für das Pferd gebracht";
valli, vali^^) < vab „Teil, Anteil"*"). — kajak tulli sam
varmanzem kaSlaza larna „die von Wild und Geflügel vollen,
dichten Wälder rauschten"; tulli < tula „voll". — Skul tulli
aoza SavlaV ,,in der ganzen Schule lärmen die Kinder"**). —
US US, aozam, us, aDzam\ „Mach auf, mein Kind, mach auf,
mein Kind!
kaa^ram tulli sat kuoam. Ich habe einen Busen voll Milch
gebracht,
rrvaj^r x^ppi'^^) SU küoam, ich habe eine Nußschale Butter
gebracht,
iael x^PP^ P^^ küDam, ich habe eine Eichelschale Honig
gebracht." —
29) Daneben kommt in derselben Bedeutung ein valam (Asm. V 162)
und vallam (Asm. V 163) vor. Wie sind diese zu erldären? Einfach -m-
Nomen von *val'-?
30) vala „Teil" < »vat'-, wovon auch valai (Aäm. V 162) „Zuteiler (des Guten)", Name eines Geistes, valti- „teilen" (zu gtü. ülüi-?).
31) So übersetzt bei P. I. Ivanov, a. a. O. S. 39.
32) luppi < zu^? , .Rinde, Schale" gtü. qabiq dss.
260 J. Benzing, Tschuwaschische Forschungen (I)
leS irtnd junaun „am vorvergangenen Mittwoch"**). — sav uk-
sasa sui Una ilessa, /ai sui vdCdr ilessd „um dieses Geld
kauft man in manchem Jahr ein Kalb, in manchem Jahr kauft
man einen Ochsen". — pinn sdr urasa kaloene vizd kun küD-
Z9s: pirvajxi kun v^nar urasa, tesdr kun taoa vaodr urasa, ju-
laSki vissdmaS kun itti %9r3x urasins ,, unsere 100 Wagen Garben
haben sie in 3 Tagen gebracht: am 1. Tag 30 Wagen, am an¬
dern Tag wieder 30 Wagen, am letzten, dritten Tag die andern
40 Wagen". Auf pirvajxi ,,der erste" wird unten**) einge¬
gangen; in julaSki „letzter" sehe ich ein *julaS-{-xi, worin
unser Suffix -aza an ein nicht mehr vorhandenes Verbalnomen
von jui- ,, bleiben, übrig sein" getreten wäre*^); und auch itti
„anderer", muß ebenfalls das Possessivsuffix enthalten, da
sonst z. B. der Ablativ nicht ittinozen, sondern *ittiren
heißen müßte**).
Es ließen sich noch viele derartige Beispiele beibringen;
hier soll nur noch auf eines hingewiesen werden: jiS ,, Sippe,
Art, Geschlecht" > /iza, jiSSi ,, ähnlich, . . . artig": tarb jiSH
jivas ,, verschiedenartige Bäume". Dieses Beispiel kann auch
die Ansicht stützen, daß das türkische kibi usw. ,,wie" aus
*kip ,,Form, Gestalt" + i entstanden ist. Das gleichbedeu¬
tende bigi usw. (tschuw. pekl) bleibt aber immer noch rätsel¬
haft*').
§ 11. Das obige Beispiel julaski vissamaS kun ,,am letzten,
dritten Tag" läßt den Gedanken aufkommen, daß auch in
33) Das „substantivische" determinierte li-S aus § 8 tritt also hier
attributiv auf, ebenso im folgenden Beispiel x?i-
34) §17.
35) Vgl. itla , .reichlich, viel, sehr" > itlaHa, itlaiSi ,, Übermaß, reichlich" (warum ^^?). itlaSki dss. — itla selbst scheint erstarrter Adverbialis von it ,, außerordentlich, sehr" zu sein; vgl. malaS , .Zukunft"
(Asm. VIII 179) < mala ,,nach vorn". Dat. von mal (s. Anm. 54).
36) Die Grundform wäre *ii)3, was in der Bedeutung ..ungerade
(Zahl), unpaarig", existiert (Asm. III 77).
37) Auch im Tungusischen nimmt das Suffix, welches , .gleich wie,
. . . artig" bedeutet, das Possessivsuffix an: lamut. *-w3c(i) in: arröcirni (lautgesetzl. < *ar-f-i£)äct-|-r-|-ni) degil ,. derartige Vögel", »rröccön (< *3r+w9c-\-w3-\-n) hunvaw ..bei solchem Schneesturm".
J. Bekzino, Tschuwaschische Forschungen (I)
der Ordinalzahl vissamdS das Possessivsuffix vorliegt. Kein Ge¬
ringerer als Bang hat schon gesehen, daß in dem -i des tür¬
kischen birin6-}-i, ikin6-\-i das Possessivsuffix steckt'*), wäh¬
rend der andere Teil des Wortes ein Abstraktum darstellt:
ü6ünö-\-i „seine Dreiheit, Dreisamkeit"*'). Demnach läßt sich
annehmen, daß die Endung -(a)mai, -(a)/nai (und -(9)maS) der
Ordinalzahlen ebenso entstanden sein könnte*").
Nun finden sich im Tschuwaschischen tatsächlich einige
wenige Ausdrücke, die offenbar die Ordinalzahl ohne Suffix
-9Z9 usw. darstellen: (Asm. V 250:) neben vissarmS ,, dritter"
ganz selten vizam (mit Nebenform vizan) in vizam kun ,,am
3. Tage", vizdm sol „im 3. Jahr", ferner mit Possessivendung
-i + Dativendung: vismine „übermorgen""), pilakmine ,,auf
den 5. Tag vorher" (A§m. IX 214), oltmine „auf den 6. Tag
von heute" (Asm. III 226), sitsmins „auf den 7. Tag" (Aäm.
XII 192). Die den letzten drei Beispielen entsprechenden
Ordinalzahlen lauten: pil{l)akmaS, pil(l)aGamaS; ulttamaS, ultta-
maS; sitUamsL Eine Erklärung der Entstehung von *pillaGam,
*ulttam, *sitthm usw. ist noch verfrüht**).
§ 12. Noch eigenartiger als das bisher Behandelte sind die
Fälle, wo das Suffix -a (-i) — kann man es überhaupt noch
Possessivsuffix nennen? — an Kasusendungen angehängt
38) Türän 1918, S. 524/25.
39) Vgl. Bang's 5. Turkolog. Brief. UJ X (1930), S. 18.
40) Es sei mir gestattet, wiederum auf das Tungusische zu ver¬
weisen, das beim ,, ersten" die Possessivendung 3. sg., bei den andern
die Possessivendung 3. pl. anhängt, z. B. lamut. nogopin japka ,,der
erste Teil", alitan japka ,,der dritte Teil", ali lätan inavlä ,,am dritten Tage", nadiwtan inawu ,,den 7. Tag".
41) Warum nicht vizamnä? Sollte etwa das viiam aus einem *vizam3
verkürzt sein, was mit Possessivsuffix zunächst *viZ3mi ergeben würde?
42) Auch das Verhältnis von *uüt}m, *sitts3m zu dem aus oltmine usw.
zu erschließenden *ulD3m3, *siDZ3m3 bedarf der Klärung. Sollte eine
Art Stufenwechsel wie in den uralischen Sprachen vorliegen, der viel¬
leicht auch im Türkischen und Mongolischen nachzuweisen ist? Vgl.
E. N. Setälä, Über Art, Umfang und Alter des Stufenwechsels. FUF
1912. — In der Bedeutung „der fünfte" führt übrigens Asmarin (Bol-
gary i Cuwasi) ein wolga-bulgarisches Wort biälim an.
262 J. Benzimo, Tschuwaschische Forschungen (I)
wird. Die russischen und einheimischen,,Tschuwaschologen"**)
sind einmütig der Ansicht, daß es sich hierbei um das Pos¬
sessivsuffix handelt, und formell ist hiergegen nicht das ge¬
ringste einzuwenden. Aber erklären läßt sich so etwas mit
indogermanischem Denken nicht, und wir werden zunächst
kopfschüttelnd und mißtrauisch den Fall zur Kenntnis
nehmen müssen.
Am häufigsten wird der Lokativ von dieser Erscheinung
betroffen: -ße, -oa > -oi, -Dze > -Dzi. Die Bedeutung wird
„im . . . befindlich, welcher sich im . . . befindet": vdrmanoa
„im Walde", varmanoi „im Walde befindlich", z. B. e, v^r-
manoi tamana „o du Waldeule!". Die Endung entspricht also
in ihrer Bedeutung dem türkischen -däki usw.**).
§ 13. Die nächst häufige Kasusendung mit dem Suffix -a
(-i) ist die des Allativs: -eZZe, -alla (< -e, -a Dat. -|- -Ze, la Adv.)
> -elli, -alli ,,in der Richtung auf ... zu befindlich", z. B.
jalalla sula juzardmar „wir haben den Weg zum Dorf hin aus-»
gebessert", aber jallali sirmana jdvas lartrds „sie haben Bäume
in der Schlucht gesetzt, welche sich in Richtung auf das Dorf
zu befindet". So auch ajalalli „unten, weiter abwärts befind¬
lich < a jalalla „abwärts"**), und viele andere.
§ 14. Von einem Adverbialis mit Possessivendung war oben
in Anm. 24 die Rede. Sonst ist mir kein Beispiel davon bekannt
außer der Form -melli, -malli, die man nach ihrer Funktion
als Participium Necessitatis bezeichnen könnte. Vielleicht ist
es richtiger, in der Grundlage dieser Form den Allativ zu
sehen, denn die „Infinitiv"-Endung -me, -ma (von der aus
-melle, -malla und weiter -melli, -malli gebildet sind), dürfte
43) Z. B. N. I. AiMARiN, Materialy dlja issledovanija öuvasskogo
jazyka; ds., Opyt issledovanija Cuvaiskogo sintaksisa; T. M. Matvbev,
Cuvaäskaja grammatika; P. I. Ivanov, o. c; Timux%a XaveDara,
TtfvaS tSalxifan krammattiaa.
44) Zu -ki in -däki s. auch §17.
45) aj ,, Unteres" > ajal dss. (vg! Anm. 54). Ist es Zufall, Ent¬
lehnung oder Urverwandtschaft, daß „unten (am Fluß)" bei den Tun-
gusen aß heißt? (Auch aß -,, hinabfließen"; s. a. S. M. SmROKOooBOFP,
Northern Tungus terms of orientation, Lemberg 1928, S. 19.) Analog
tschuw. sav- II gtü. sev- „lieben" kann auch aj auf ein *ej zurückgehen.
J. Benzin«, Tschuwaschische Forschungen (I)
möglicherweise die Endung des Dativs/Akkusativs -e, -a ent¬
halten*"). Die Allativ-Form -melle, -malla entspricht un¬
gefähr dem osman. Nezessitativ -meli, -mah : esir uksa pa-
malla") „wir müssen Geld geben", x^^stos asta suralmalla
„wo soll Christus geboren werden?". Mit Possessivsuffix: ku
xut sirmalli mar „dieses Papier ist keins zum Schreiben",
val sirmalli xut iloze „er hat Schreibpapier gekauft"; simelli
pur piran ,,zu essen haben wir", simelli*^) paranca (Asm.
XII 131) „große Speisekartoffel" ; sacarzar*^) pusne simelli
nim De pulmara „außer Brot gab es nichts Eßbares"; laza
tamalli viran ,, Platz, daß ein Pferd stehen kann".
§ 15. Ziemlich selten findet sich die Possessivendung am
Ablativ, Comitativ und Causalis. Beispiele für den Ab¬
lativ: eza ana astannine mar, kamne^") ijt ,, frage du ihn nicht,
woher er ist, sondern wer er ist", varmanoanni „das, was aus
dem Wald ist (kommt)", kunuanni „von hier stammend",
kilDenniBE kiloen marrine palmeram „ich wußte nicht, ob er
aus dem Hause (kommt) oder nicht", jaloanni jaloanax taxa
val „er ist aus einem der Dörfer" (wörtlich etwa: „er ist auch
von einem Dorf, welches von den Dörfern ist"?), vazem
sovetranni sovetranax taxa „sie sind auch von einem der Sow¬
jets". — Der Comitativ: ku karanoaS J^vansali^^) „dieser
46) -mt, -ma < -*m^-(-a? ; ilmt xuSn^ ,,er hat befohlen, zu
nehmen", ku iin iimt Dt, trtx ssme Dt juraDat ,, dieser Mensch liebt zu
essen und Wein zu trinken". Entsprechend auch im Karaimischen und
Komanischen, vgl. Kowalski, Karaimische Texte im Dialekt von Troki,
S. XXXVII.
47) Lautgesetzlich aus par-malla ; osm. vermeli. Wie man sieht, ist
auch in der Erklärung der osm. Nezessitativform das letzte Wort noch
nicht gesprochen. Vielleicht weist das Tschuwaschische einen Weg zu
neuen Erkenntnissen.
48) Vgl. J. Benzino, Über die Verbformen im Turkmenischen,
S. 43: türkm. yemeli ,, eßbar".
49) -S9r, -spr = türk. -siz\ puint |' gtü. baSqa verlangt im Tschu¬
waschischen entweder den Ablativ oder aber wie hier die Form auf -sar,
-Sfr = gtü. -siz, die man in Anlehnung an den finnisch-ugrischen Ge¬
brauch als Abessiv bezeichnen könnte.
50) kam ,,wer" also ebenfalls mit Possessivendung. Im Türkischen kommt kimi < kim ja ebenfalls vor (in der Bedeutung ,, Mancher").
51) JfvanBala kajrpmar ,,wir sind zusammen mit Iwan gegangen".
1 S
264 J. Bbnzino, Tschuwaschische Forschungen (I)
Bleistift ist der, der gemeinschaftlicti auch Iwan gehört",
eair pajan anana J^vanBaline suxalarsm^r „wir haben heute
das Feld gepflügt, (nämlich) das, welches Iwan mit gehört". —
Der Causalis: manhnne Lizuk kalaza pan kajranoa „wo¬
für (dies ist), wird Lisa später berichten", d^I kile kajasSanni^^)
„er ist einer, der nach Hause gehen möchte", esir ual kile
kajasSannine ta-xsanax pdletpar „wir wissen längst, daß er
nach Hause gehen möchte".
§ 16. Auch der Genitiv bildet bei dieser Behandlung keine
Ausnahme. Man ist zunächst versucht, in einer Form wie
lazan^nni „das, welches dem Pferde gehört" eine dem osm.
ahhki (usb. tat. atniqi) analoge Bildung zu sehen, aber die
Tatsache, daß eine dem türkischen -ki entsprechende Endung
im Tschuwaschischen ebenfalls existiert, und auch die vorher¬
gehenden Paragraphen machen es wahrscheinlich, daß
wiederum die Possessivendung angehängt ist. Weitere Bei¬
spiele: mansnne purne De pitUezem salatsa psDerozaS „alles
das Meine haben die älteren Brüder vergeudet", sanannißs
eair 9ner anDza^x kurn^Sr^mgr „mit den Deinigen haben wir
uns erst gestern gesehen", sabkne esa attenanne t^xgriDam „ich
habe den Hut, (nämlich) den des Vaters, aufgesetzt".
§ 17. Oben, in § 10, war schon die Form pirvajxi „der
erste" genannt. Nach den bisherigen Darlegungen dürfte es
nicht mehr als gewagt erscheinen, im -i der Endung -xi eben¬
falls das Possessivsuffix zu vermuten**). Entlehnung des -xi
halte ich für ausgeschlossen, da türkische Entlehnungen in
der tatarischen Form aufzutreten pflegen und demnach -ka
oder -x? zu erwarten wäre. Beispiele: pajanxi „heutig" || osm.
bugünki, iranxi „morgig", kiles sulxi „im kommenden Jahre
52) Dfl kile kajasSfn „er will nach Hause gehen", vom Nomen futuri kafas < kaf-. Die Beispiele sanpn kilessü kilmera put ,,du wolltest wohl nicht kommen", iijessi kilet' ,,er möchte essen" scheinen mir einen
neuen Weg zur Erklärung der türk. Formen vom Typus iiäsi geldi „er
hatte Lust zu trinken" zu weisen.
53) Stütze für diese Vermutung sind Formen wie iranxinßie „mor¬
gen". Wenn kein Possessivsuffix vorläge, müßte es *iran%irs heißen. — pirvaj ist übrigens das russ. pervyj.
J. Bbnzino, Tschuwaschische Forschungen (I)
(stattfindend)", paloorxi „vorjährig", maloanxi^) „erster",
sarlexi {Asm. XIII 104; <s9r + Adverbialisendung-Ze) „nächt¬
lich", kazallaxi „abendlich" usw. Das aus diesem -xi zu re¬
konstruierende *-x9, -x» würde man dann vielleicht dem alt¬
türk. uig. -kä, -qa gleichsetzen können, also dem türkischen
Dativ auf -kä, -qal Man denke daran, daß im alttürk. uig.
Zeitbestimmungen im Dativ stehen, und daß das tschuw. -xi
fast ausschließlich bei Zeitbestimmungen gebraucht wird. Im
Türkischen allerdings gibt es — zumindest vorläufig — keinen
Weg, um von -kä, -qa auf -ki, -qi zu kommen. Wenn man von
einem Suffix -k, -q ausgeht, dem die Dativendung -ä, -a an¬
gefügt wäre, stößt man im Tschuwaschischen auf Schwierig¬
keiten. Vielleicht beruhen diese aber nur auf unserer un¬
genügenden Kenntnis phonetischer Gesetze.
IV.
§ 18. Einige weitere Beispiele des Gebrauchs des Possessiv¬
suffixes der 3. Person sollen uns zum Schluß einen Fingerzeig
geben, wie man die attributiven Formen mit diesem Suffix
aufzufassen haben wird.
eB9 v^l x^la kajnine kuro^m „ich sah, daß er nach der
Stadt ging". Vom türkischen Sprachgebrauch aus würde man
hier statt vol kajnine [gtü. *ol ketkänini] un (oder unan) kaj¬
nine [gtü. *onu'0 ketkänini] erwarten. Entsprechend : eaa vail
xula kajnizan savano^m „ich freute mich darüber, daß er in
die Stadt gekommen ist". — v^l eaar kilesainDzen X^rana „er
fürchtete, daß wir kommen würden". — eßar val wjline
taxsanax paletpdr „wir wissen schon längst, daß er stark ist". —
eB9 puxni De, vattizem kalanSle^^): S^zi Saas De tinaze pulazat'
tena pek, pulazu pub „das, was ich gesammelt habe, wird eine
54) malDan „zuerst", Abl. < mal ,,das Frühere, Vordere" < •ö'»+
ä-l wie Sal „das Innere" «fS+a-l) <*iJ-fa-i. Vgl. auch uig. baS-\r tin-\-qi ,, erster"!, karagass. hat paS-\-qi ,, erster".
55) Adverbialis von kalaraS, auch kalar^h, kalarpS {Mm. VI 29:
wörtl.: „sein Sagen"); ofTenbar von *kala-rf {-rg?), dessen -/y dem alt¬
türk. uig. -dük, -duq entsprechen würde. Vgl. Aäm., Materialy S. 344.
266 J. Benziko, Tschuwaschische Forsclinngen (I)
(solche) Hilfe sein, wie es nach den Worten der Alten heißt:
auch der Urin der Maus hilft dem Meere".
Alle diese Sätze zeigen uns deutlich, daß die Possessiv¬
endung (-a, -i bzw. -aS in kalanS) hier nicht zum Ausdruck
eines Possessivverhältnisses oder zur Determinierung eines
einzigen Wortes dient, sondern zur relativischen An¬
knüpfung oder Determinierung des Satzes, val xula
kajna „er ist in die Stadt gegangen", esar kiles „wir werden
kommen", val vajb ,,er ist stark", eaa puxna „ich habe ge¬
sammelt" werden durch die Possessivendung zu determinier¬
ten Sätzen: val kajni ,,er ist ein gegangener"**), val kajnine
kuroam „ich sah: er ist ein gegangener"*'); eaa puxni „das,
was ich gesammelt habe". Ebenso haben wir aufzufassen:
varmanoi „das, was im Wald ist" (§ 12), ajalalli „das, was
unten ist" (§ 13), lazananni ,,das, was dem Pferde gehört"
(§ 16), iVcÄamai ÄMre „der Tag, welcher der zweite ist" (§ ll)usw.
§ 19. Die Beispiele des vorhergehenden Paragraphen
werden wohl genügen, um zu zeigen, daß wir es in den Fällen,
wo wir ein Attribut mit dem Possessivsuffix der 3. Person
vor uns haben, mit einer relativischen Anknüpfung zu tun
haben. Wenn Gbönbech das Suffix im Hinblick auf seine
determinativische Verwendung „Artikel" nennen wollte,
hätte man nun dasselbe Recht, es „Relativpronomen" zu
nennen. Aber ich glaube, wir dürfen die Sache nicht durch
die indogermanische Brille besehen, und wollen einfach fest¬
stellen: Das Possessivsuffix der 3. Person hat neben seiner
eigentlichen Bedeutung im Tschuwaschischen wie im Tür¬
kischen noch die Funktion eines ,, Artikels", und es hat im
Tschuwaschischen außerdem die Funktion einer Art „Re¬
lativpronomen", von der sich im Türkischen Reste nach¬
weisen lassen**). Ob ein und welcher Unterschied zwischen -a
56) Vgl. §8. Man könnte auch sagen: ,,er, der gegangen ist".
57) Nach dem Doppelpunkt Akkusativ-Objekt.
58) Vgl. § 10: evelsi, ertesi usw., gibi? ; § 11: Ordinalzahlen; § 12, 17:
-Ai?; §14: yemeli (Anm. 48)?; die doppelt bezüglichen Partizipien.
Vgl. auch uig. (Goldglanzsutra, Bibl. Buddh. XVII, 608, Z. 2—6):
ang'ilki uluyt oylani-ntng ati maxabali ärti. ikint-ai ortun oyli-ning ati
(-i) und -dZ3 (-aza) besteht, muß vorläufig eine offene Frage bleiben.
mazadivi ärti. ücünH ang kiiigi oyli-ning ati mazasatvi ärti ,,der Name seines ersten, ältesten Sohnes war M., der Name seines zweiten, mittleren
Sohnes war M., der Name seines dritten, des jüngsten Sohnes war M. —
uig. (ebenda, S. 607, Z. 22): uluyl qatun die Hauptfrau (die Frau, welche die größte ist). — Zu diesen Beispielen vgl. im Tungusischen: (Lamut.) hagdivatan orolcemvä ,,der älteste Renntierzüchter" (-tan Possessiv¬
suff. 3. ps. pl.).
ZeitwhrUt d. DMO Bd. M (Nmi* Folg* Bd. 1«) 18«
18
Die ^äkya
Von Bernhard Breloer, Berlin
1. Buddhas Geburt
Seitdem Dr. Fxjhrer im Dezember 1896 die Säule auf¬
gefunden hat, die von Kaiser Asoka an der Geburtsstätte des
großen Inders errichtet wurde, besteht kein Zweifel mehr
daran, daß Buddha im Lumbini-Hain geboren worden ist*).
Für den merkwürdigen Umstand, daß diese Geburt außerhalb
der Stadt Kapilavastu geschah, gibt die Tradition ausschhe߬
lich einen Wunsch der werdenden Mutter an*), was nach
indischer Auffassung durchaus zur Erklärung genügt, da
solche Wünsche erfüllt werden müssen. Kennern der Ver¬
hältnisse muß der Weg doch etwas umständlich vorgekommen
sein. Sie lassen die Königin ihre Verwandten in Devahrada
besuchen. Zwischen Kapilavastu und Devahrada liegt der
Lumbini-Hain. Erst als die Königin an dem blühenden Hain
vorüberzieht, empfindet sie den Wunsch, ihn zu besuchen.
Besonders ein hoher Baum gefällt ihr. Sie ergreift einen Ast
und gebiert im selben Augenblick. Ihr Gefolge hält einen
Vorhang, der sie verhüllt. Vier Engel aus dem höchsten
1) B. HüLTzscH, Inscriptions of Asoka. Oxford 192b, p. XXII.
H. Oldenbeeq, Buddha, 8.-9. Aufl. 1921. S. llOfT. L. Sdali, Gotama
Buddha. Bologna 1934, S. Iff.
A. Führer, Monograph on Buddha Säkyamuni's Birthplace. Allahabad
1897. Weitere Literatur bei W. Printz, B.s Geburt, ZDMG 1925, 119 ff.
2) Asvaghosa, Buddhacarita 1,6 (Johnston): ,,In her longing for
the lonely forest as suited to trance, she asked the king to go and stay
in the grove called Lumbini ..." Lalitavistara (Lefhann I, 82,14 ff.
E. Waldschmidt, Die Legende vom Leben des Buddha. Berlin o. J.
S. 40): ,, Vernimm, o Herr, daß ich schon seit langem im Sinn habe,
unsern Park aufzusuchen ... Du selbst bist von der Askese hart mit¬
genommen und hast deinen Sinn allein aufs Gesetz gerichtet. Nun
knospen die schönsten Bäume; die Schalas sind von Blüten überdeckt:
darum ist es an der Zeit, o Herr, die Gärten zu besuchen."