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Die Idee, daß das Japanische den altaischen Sprachen nicht nur strukturell ähnlich sei (was jedermann zugeben wird), sondern auch mit ihnen genetisch verwandt, ist nunmehr weit über hundert Jahre alt

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Von Geehaed Doeefee, Göttingen

1. Die Idee, daß das Japanische den altaischen Sprachen nicht nur

strukturell ähnlich sei (was jedermann zugeben wird), sondern auch mit

ihnen genetisch verwandt, ist nunmehr weit über hundert Jahre alt. Sie

ist zuerst von Siebold: Verhandelirvg over de afkomst der Japaners. In:

Verhandehngen der Bataviaasch Genootschaap 1832, deil XIII, S. 183ff;

vorgetragen worden und hat immer wieder Anhänger gefunden, wobei

freilich bemerkt werden muß, daß bisher niemals alle altaisch-japa¬

nischen Gleichungen in systematischer Form und einigermaßen voll¬

ständig zusammengestellt worden sind, wie dies Poppe' für die al¬

taischen oder noch eindrucksvoller Walde, später Pokoeny^ für die

indogermanischen Sprachen getan haben. Immerhin haben in neuerer

Zeit mehrere Forscher, vor allem Chables Haguenauee, Roy Andeew

Millee, Shichibo Mubayama, Shigeo Ozawa und N. A. Syeomjatni-

KOV gewisse Anstrengungen in dieser Richtung unternommen. Zu

letzterem vgl. 0. P. Sünik (ed.): Problema oM6nosti altajskich jazykov.

Leningrad 1971, S. 51—64 (mit weiteren bibliographischen Angaben),

zu Millee vor allem: Japanese and the otfier Altaic languages. Chicago

and London 1971 (wo eine — mit Ausnahme eben Syeomjatnikovs

und Siebolds — fast vollständige Bibhographie). Vor allem mit diesem

Werke Millbes, das vielfach frühere Forschungen zusammenfaßt, will

ich mich im folgenden befassen.

Wenngleich das Postulat der Vollständigkeit auch von Millee nicht

erfüllt worden ist, stellt die Arbeit doch einen bedeutenden Fortschritt

dar, insofern als der Forscher im Gegensatz zu seinen meisten Vorgän¬

gern erkannt hat, daß ein Sprachvergleich ohne die Aufstellung von

Lautgesetzen undurchführbar ist. Im Grunde ist dies die erste moderne

ausführliche Erörterung des Problems, der man sich denn auch wissen¬

schaftlich zu stellen hat.

1 Vergleichende Orammatik der altaischen Sprachen. Teil 1: Lautlehre.

Wiesbaden 1960. Im folgenden: Poppe 1960.

2 Indogermanisches etymologisches Wörterbuch. 2 Bde. Bem und München

1959—1969. Im folgenden: Pokobny, P.

(2)

104 Gebhard Doebfeb

Das Werk beginnt mit einem Vorwort des verehrten Nestors unserer

Altaistik, N. Poppe ; im ganzen ist es freundlich gehalten, umfaßt

jedoch auch einige kritische Bemerkungen (,,even if a good deal of his

etymologies may be rejected at a later time"). In der Einleitung (1.—47)

setzt sich Millee vor aUem mit seinen Vorgängern auseinander, wobei

man ihm in vielen Punkten zustimmen wird, ferner versucht er, die

SteUung des Japanischen innerhalb des Altaischen generell zu bestimmen

(hier könnte selbst ein Anhänger der altaischen Sprachverwandtschaft

Einwände erheben, s. Poppes Vorwort Xf.). Im Phonological Con¬

spectus (48—54) werden (etwas zu allgemein) einige Probleme altaisch-

japanischer Lautensprechungen behandelt. Structural Imperatives

(55—81) stellt vor allem die innerjapanische Vokalverteilung und

-entwicklung dar, mit gelegenthchen Ausblicken in altaische Vergleichs¬

möglichkeiten. In Phonological Evidence (82—154) werden folgende

altaische Laute behandelt: d-, /-, c- (eine Wiederholung von Millee

1968); n-; l^, (eine Wiederholung von Millee 1970); e,e. In Lexical

Evidence (155-—292) sucht der Verfasser ParaUelen zum altaischen Wort¬

schatz im Japanischen zu finden (Pronomina, Zahlwörter [Wieder¬

holung von Millee 1969], Negation, ,, Gerunds", wobei das japanische

Konverbsuffix -te mit dem türkischen Adverbialsuffix -\-di verglichen

wird). Bibliographie und verschiedene Indiees beschließen das Werk.

2. Wenn man nun das Japanische mit ,,den" altaischen Sprachen

vergleicht, liegt auf der Hand, daß zuvor geklärt sein muß, ob es ,,die"

altaischen Sprachen überhaupt gibt oder nicht vielmehr drei separate

Sprachfamilien Türkisch, Mongolisch, Tungusisch*. Es würde ja auch

jemand nicht gut z. B. das Dravida mit dem, sagen wir ,,Okzidenta-

lischen" = Semitisch, Bantu, Indogermanisch vergleichen können, ehe

er nachgewiesen hat, daß die ,,okzidentalischen" Sprachen auf eine

gemeinsame Ursprache zurückgehen.

Wie äußert sich nun Millee zu diesem Problem? Er meint (S. 8):

(1) Der Beweis der Verwandtschaft der altaischen Sprachen sei

längst ,,well-worked-out", es gebe halt immer ,, eertain elements (gene¬

rally, to be sure, on the fringes of academic circles) for whom the very

fact that a solution finaUy has been attained proves, in some peculiar

psychological way, to be a deep disappointment".

(2) Das Vorgehen dieser Kritiker sei zu vergleichen demjenigen der

Kritiker an der indogermanischen Spraehwissenschaft, und genauso wie

' Vom Koreanischen sehe ich hier, wie auoh im folgenden, ab, da seine

Zugehörigkeit — oder zumindest seine enge Zugohöi-igkeit zum Altaisehen

auoh selbst von solchen Forschern bestritten mrd, die sonst der altaischen These freimdlich gegenüberstehen.

(3)

diesen, welche ,,mercifully" gar nicht mehr beachtet werden, werde es anch jenen ergehen.

(3) Obwohl es Poppes Lautlehre gebe, die längst alle wesentlichen

Probleme gelöst habe, gebe es "because of eurious psychological factors"

noch Leugner der altaischen These; diese seien aber schon durch die

Tatsache widerlegt, daß Poppe "detailed sets of regular sound corre¬

spondences" aufgesteUt habe, ihr Vorgehen bedeute "to abandon the

comparative method, together with the assumption of regular sound

change" (S. 11).

(4) ,,One such critic" sei bereits von Poppe völlig widerlegt und ihm seien ,, internal contradictions" nachgewiesen worden.

Das ist nun alles, was Millee zu diesem Problem zu sagen hat. Ob

es nicht zu wenig ist?

Ad (1). Das heißt also: Wer an der altaischen Sprachverwandtschaft

zweifelt, ist ein am Rande akademischer Existenz lebender Psychopath.

Ich glaube aber nicht, daß man Forscher wie Bang, Ge0nbech, Bbnzing

und viele andere so abtun kann. Das Verfahren, , .psychologischen

Faktoren" von Kontrahenten nachzuspüren, ist nicht gentlemanlike:

In der •wdssensehaftlichen Debatte ist es wohl erlaubt, den Gegner aufs

Kreuz zu legen, nicht jedoch auf die berühmte Couch. Im übrigen gibt

es unter den Feinden der altaischen These eine ganze Reihe von For¬

schern, die sehr wohl meinen, eine endgültige Lösung gefunden zu haben,

freihch eine andere, als sie Milleb vertritt (s. dazu Abschnitt 3).

Ad (2). Millees Vergleich ist schief. Die Geschichte der These von

der indogermanischen Sprachverwandtschaft verläuft in drei Akten:

Nach ihrer AufsteUung durch Rask und Bopp einige spärliche Zweifel*,

die sofort abgetan waren, dann die Blütezeit der großen Entdeckungen,

schließlich gewisse Einwände Tbubetzkoys^ und einiger Nachfolger

(die eher einen Sprachenbund als Verwandtschaft sehen woUten; ich

halte dies für eine rein glottogonische Idee, s. IF 71 (1966), S. 121—3);

diese Einwände haben sich kaum weit verbreitet (Tbubetzkoys Aus¬

führungen waren eigentlich, offen gesagt, des großen Forschers unwürdig),

s. dazu noch einmal Abschnitte 56, 57. Ganz anders in der Altaistik. Die

These der altaischen Verwandtschaft (zuerst von Steahlenbeeg* 1730

behauptet, wenn auch ohne jeden Versuch eines Beweises) hat bereits

1820 in Abel-Rämusat einen kompetenten Kritiker gefunden. Dieser

* Vgl. G. Neumann: Indogermanische Sprachwissenschaft 1816 und 1966,

1. Franz Bopp. In: Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 24 (1967),

S. 18.

5 Gedanken üher das Indogermanenproblem. In: Acta Linguistica 1 (Copen¬

hague 1939), 81—89.

* Das nord- und ostliche Theil von Europa und Asia. Stockholm.

(4)

106 Gebhabd Doebfeb

hat zwei sehr ernstzunehmende Einwände erhoben' : a) daß die Grund¬

wörter der drei Sprachfamihen kaum Gemeinsames aufweisen, b) daß

es wohl gemeinsame Wörter des Türkischen und Mongolischen gebe,

auch solche des Mongolischen und Tungusischen, aber keine Gemein¬

samkeiten zwischen Türkisch und Tungusisch. Beide Feststellungen

spielen durchgehend bis heute eine Rolle und sind bis heute nicht wider¬

legt worden. Und nach Abel-Remusat hat es immer wieder und bis

auf die heutige Zeit Forscher gegeben, die der altaischen These kritisch

gegenüberstanden; nie sind die Zweifel so ganz abgerissen. Gleichviel,

ob man nun die altaische These bejaht oder verneint: Wissenschafts¬

geschichtlich ist die Lage ganz anders als in der Indogermanistik.

Millees Parallelisierung ist irrig; sie weckt den Verdacht, daß ihm

weder die Geschichte der Indogermanistik, noch die der Altaistik be¬

kannt ist.

Ad (3). Hier ist die Widerlegung besonders einfach : Lautgesetze gibt

es auch bei Lehnwörtern. Aufstellung von Lautgesetzen ist wohl eine

notwendige Bedingung des Nachweises genetischer Verwandtschaft,

jedoch keine hinreichende. Es ist doch nicht so, daß nur bei Verwandt¬

schaft Lautgesetze gelten, dagegen bei Entlehnung die reine Willkür

herrscht.

Ad (4). Es wäre netter gewesen, wenn Millee den Namen des ,,one

such critic" genannt hätte. Es ist der meine. Was Milleb jedoch ent¬

gangen ist, ist die Tatsache, daß ich Poppe auf seine Kritik von 1965

längst geantwortet habe (in IF 71 (1966), S. 83—90). Poppe selbst hat

mir darauf sehr objektiv erwidert, er halte meinen Standpunkt für

vertretbar und (Brief vom 29. 2. 1969): ,,Ich befürchte, daß man bei dem

jetzigen Stand unseres Wissens nur Lautgesetze aufstellen kann und

daß ihre Interpretation nur einen provisorischen und nicht einen all-

gemeinobhgatorischen Charakter haben kann. Na, wir woUen sehen, wie

sich die Sache weiter entwickeln wird".

Statt sich also mit der FüUe der Meinungen zum altaischen Problem

auseinanderzusetzen, hat Millee die eine einzige Meinung Poppes

(wie er sie verstand) zum Axiom erhoben und ist naeh der Losung ver¬

fahren :

,,Am besten ist's auch hier, wenn Ihr nur Einen hört,

und auf des Meisters Worte schwört"

— wobei die besondere Pointe die ist, daß der Meister selbst die ein¬

seitige These Millees gar nicht vertritt, sondern vielmehr die — von

Millee als psychopathisch verworfene — Haltung wissenschaftlicher

Objektivität und Kritikbereitsehaft einnimmt.

' Recherches sur les languss tartares. Paris, S. 112, 131, 138, 394.

(5)

Ohne die Lösung der altaischen Frage ist also ein Vergleich des Ja¬

panischen mit „dem" Altaischen nicht sinnvoll. SoUte aber die Frage

negativ beantwortet werden, könnte das Japanische höchstens mit einer

altaischen Sprache verwandt sein — und dann wäre nachzuweisen, mit

welcher.

3. Zur Frage der altaischen Sprachverwandtschaft gibt es zur Zeit vier

verschiedene Standpunkte*. Man kann sie im folgenden Schema fest¬

halten :

Proaltaisten Poppe Doeefee, Antialtaisten

3.1. Behandeln wir zunächst das proaltaistische Extrem (das Millee

als einzig sinnvoll ansieht). Hier wird die Verwandtschaft der altaischen

Sprachen für genauso gesichert gehalten und für im Grunde genauso

strukturiert wie die der indogermanischen. Die Unterschiede werden

nicht beachtet. Es sind deren aber viele, und daraus resultieren die

Nachteile dieser extremen Position :

Im Grund handelt es sich hier um eine bloße Sammlung von Wörtern

(seltener auch Sufi&xen) ohne methodische Reflektion. Es genügt den

Anhängern dieser Richtung, einiges Passende gefunden zu haben, das

Nichtpassende wird beiseitegeschoben. Vielfach wird es auch mit den

Lautgesetzen nicht so genau genommen, wenn nur die verglichenen

"Wörter einigermaßen ähnlich sind». Lücken (etwa in der phonologischen

Struktur oder in der Lexik) werden nicht apperzipiert. Höchstens

werden die gewaltigen Lücken in der Lexik der altaischen Sprachen

erklärt durch einen Hinweis auf moderne indogermanische Verhältnisse.

So meint z. B. Geecenbeeg", daß die Wörter für 'Mond' im Türkischen

(*dy, oder vielmehr eher *päy), Mongolischen (*sara) und Tungusischen

(*biäga) verschieden seien, beweise gar nichts gegen die Verwandtschaft

der altaischen Sprachen: Französisch lune, irisch gealach, deutsch Mond

seien auch ganz verschieden, und doch seien diese Sprachen naehweishch

verwandt. Dagegen: 1. ist idg. *menes ja nicht nur in deutsch Mond,

sondern auch in den sinnverwandten Wörtern französ. mois, ir. mi

'Monat' belegt; 2. basieren auch lune und gealach auf gut idg. Wurzeln,

die auch im Deutschen belegt sind: *leuk- 'leuchten' (vgl. deutsch Lohe,

leuchten, LichtY^ bzw. *ghel- id. (vgl. deutsch gelh, Gold, Glut u. a.).

* Abgesehen von solchen Forschern, die sich nicht festlegen wie L. Ligeti,

was man als fünften Standpunkt werten könnte.

• Vgl. Doebfeb zu Ramstedt in: Türkische und mongolische Elemente im

Neupersischen. 1. Wiesbaden 1963, S. 78. Im folgenden: TMF.N.

1" Vgl. dazu Doebfeb in: Voprosy Jazykoznanija 1972: 3, S. 59f.

11 Pokobny S. 687fr. und S. 429fif.

(6)

108 Gebhard Doebfeb

Eben das aber ist bei den altaischen Wörtern nicht der Fall: Weder

finden wir eines der angegebenen Wörter in einer anderen altaischen

Sprache in einer etwas abweichenden Bedeutung wieder, noch ist es

möglich, eines der drei Wörter auf eine gemeinaltaische Wurzel zurück¬

zuführen; und solches ist bei den altaischen Sprachen geradezu die

Regel. Es kommt eben nicht auf die Identität der Wörter an, sondern

aufdie der Wurzeln, und die ist bei den idg. Sprachen vorhanden, beiden

altaischen nicht. (Freihch, eine absolut vollständige Zurückführung

aller Wörter von Sprachzweigen einer Sprachfamilie auf Urwurzeln wäre

eine Chimäre, das leistet auch die Indogermanistik nicht.)

Natürlich haben die Anhänger dieser Richtung gesehen, daß bei einem

Vergleich der altaischen Sprachen verschiedene Schichten festzustellen

sind, z. B. entspricht tü. -z zuweilen im Mongolischen r, zuweilen 5;

hier ist erklärt worden, daß im Falle des r urverwandte Wörter vorlägen,

im Falle von s dagegen Entlehnungen. Es ist jedoch nie bewiesen worden,

aus welchem Grunde es unmöglich sei, daß einfach zwei verschiedene

Lehnschichten vorliegen. Vgl. z. B. zu mo. hüker 'Rind' (= tü. öküz)

tschuwaschisch-tü. väkär, im Ungarischen noch eine ältere Form ohne v-

entlehnt als ökör — warum also sollte nicht das mo. -r auf einen alten tü.

Dialekt mit r (oder /) zurückgehen? Das heße sich gewiß nicht a limine

ausschließen, vielmehr wäre die Wahl der Verwandtschaftsthese sehr

sorgfältig zu begründen.

Nicht berücksichtigt worden ist schließhch auch das eigenartige von

Abel-Remusat 1820 entdeckte Faktum, auf das später (unabhängig von

ihm) auch Doebfeb'^ stieß und nach diesem auch Kaba'* und Clauson'* :

Daß es zwar viele tü.-mo., auch viele mo.-tu. Vergleiche gibt, wenige

tü.-mo.-tu., aber nur ganz wenige rein tü.-tu. (die ohne weiteres auf

Zufall beruhen können). Die idg. Wellentheorie ins Spiel zu führen, wäre

gewiß verfehlt: Auch so distante Glieder des Idg. wie eben Germanisch

und Indisch haben immer noch sehr viel Gemeinsames. Dagegen erklärt

sich die Verteilung sehr leicht so (s. TMEN, loc. cit.), daß wir einen

Lehnweg Türkisch-Mongolisch anzunehmen haben, einen Lehnweg

Mongolisch-Tungusisch, in seltenen FäUen findet sich dann (eben auf

Grund der beiden erwähnten Lehnwege) ein Wort in allen Gruppen,

dagegen hat ein Kontakt des Türkisehen mit dem Tungusischen nicht

direkt existiert (s. noch einmal Anm. 51).

Im Grunde weisen die altaischen Sprachen ganz verschiedene und unver¬

einbare Wortschätze auf, die nur mit recht losen Fäden verknüpft sind.

1" TMEN 1, S. 92—94.

" Le dictionnaire otymologiqae et la langue mongole. Budapest 1965.

(Dissertationes sodalium Instituti Asiae Interioris. 8.), S. 2.

1* CAJ 13 (1969), S. 1—23.

(7)

3.2. Manche dieser Schwächen sind denn auch gesehen worden, es

bildete sich eine extreme Gegenposition heraus. So hat Sie Geeäed

Clauson (op. cit. Anm. 13) 200 Grundwörter des Alttürkischen, Alt¬

mongolischen und Mandschu zusammengestellt und entdeckt, daß sich

nur ganz wenige Gemeinsamkeiten finden (s. schon Abel-Rämusat!);

für einen türkisch-mongohschen Vergleieh bhehen nach ihm nur zwei

oder drei Wörter, was zum Nachweis einer Urverwandtschaft nicht

ausreicht.

Nun waren aber auch die Schwächen dieser Position allzu offen¬

sichtlich und sind ihr von den Proaltaisten sehr schneU und sehr zu¬

treffend bescheinigt worden'^.

Zunächst reicht es nicht aus, nur das Alttürkische heranzuziehen;

es hätte mindestens auch das Tschuwaschische berücksichtigt werden

müssen, das (wenngleich wenige) Zusatzdaten liefert (z. B. zu Wort

94 mo. kelele- 'reden' = tschuw. kala-). Außerdem reicht es nicht aus,

vom Tungusischen aUein das Mandschu heranzuziehen; hier hätte

mindestens noch Evenki, Lamutisch, Udehe und Nanai berücksichtigt

werden müssen: Gerade das Tungusische zerfäUt, was den Wortschatz

betrifft, in besonders viele (nämhch fünf) Gruppen, im Gegensatz zum

Türkischen, wo sich nur zwei Gruppen ergeben und zum monolithischen

Mongolischen.

Außerdem hätten auch bedeutungsverwandte Wörter herangezogen

werden, ebenso Bedeutungsveränderungen berücksichtigt werden müssen

(s. oben die idg. ParaUele zu Mond) : Mit mo. kelele- (und kelen 'Sprache')

läßt sich z. B. auch mitteltürk. käläiü 'Wort' vergleichen. Ebenso

hätten nicht die Wörter, sondern die Wurzeln der altaischen Sprachen

verglichen werden müssen (s. wiederum die idg. ParaUele).

Dazu kommt noch eine besonders unglückliche Erklärung gewisser

Lautentsprechungen der altaischen Sprachen bei den Antialtaisten;

aber darüber woUen wir weiter unten sprechen.

Beide Extreme, These wie aueh Antithese, weisen also beachthche

Schwächen auf. Es ist nun versucht worden, diese Mängel überwindende

Synthesen zu finden. Dabei ist Poppe zunächst von einem proalta-

istischen Standpunkt ausgegangen (Urverwandtschaft), Doeefee von

einem antialtaistischen (Entlehnung).

3.3. Wenn wir die drei altaischen Sprachen unbefangen vergleichen,

so fäUt wie gesagt auf, daß wir es eigenthch mit drei grundverschiedenen

Wortschätzen (von Grundwörtern!) zu tun haben. Andererseits finden

sich aber eben auch einige Gemeinsamkeiten sogar im Grundwort-

15 Passim in O. P. Sunik (ed.): Problema obScnosti altajskich jazykov.

Leningrad 1971; auch L. Lioeti in Voprosy Jazykoznanija 1971 :3.

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110 Gebhabd Doebeeb

bestand — anders als es bei den üblichen Feld-, Wald- und Wiesen¬

entlehnungen i. a. der Fall ist, wo ja fast durchweg nur Kulturwörter

entlehnt werden (und etwa doppelt so viel, als bei Claüsons Aufstellung

herauskommt). Dies hat Poppe'« so erklärt, daß dem Türkischen, Mongo-

lischen und Tungusischen ein gemeinsames Substrat, eben das Altaische,

zugrundeliegt. Das ist natürlich keine Entlehnung (Position 2) im

übhchen Sinne, also nicht etwa

Tü. Mo. Tu.

Es ist aber auch keine Urverwandtschaft wie in Position 1:

Alt.

Tü. Mo. Tu.

Das Schema wäre vielmehr :

Das heißt also, wir haben eine altaische Ursprache (I, II), die gewiß

teilweise ausgestorben ist", teilweise aber noch als gemeinsames Sub¬

strat im Türkischen, Mongohschen und Tungusischen fortlebt (II);

und daneben gibt es noch separate Wortschätze des Türkischen, Mongo¬

lischen und Tungusischen. Diese Erklärung steUte gegenüber der um-e-

flektierten Position der Proaltaisten einen bedeutsamen Fortschritt dar.

Zu vergleichen wäre etwa folgendes Verhältnis: Nehmen wir an, das

Arabische sei ausgestorben, habe aber Lehnwörter im Haussa, Per¬

sischen und Indonesischen hinterlassen ; dann wäre das Arabische (dem

Altaischen vergleichbar) eben das gemeinsame Substrat der an sich

unverwandten Sprachen, die aber in älterer Zeit nicht untereinander

entlehnt haben und dinch die gemeinsame Klammer des Arabischen

eng verbunden sind.

3.4. Schheßlich nimmt Doebfer einen Standpunkt ein, der etwa

zwischen (2) und (3) vermittelt. Position (1) ist nach ihm unhaltbar,

wie er in TMEN 1, S. 51—105 ausgeführt hat. Seiner Meinung nach

" Schon früh im Unterricht, wie mir sein Schüler Posch mitteilte, und erstmals schriftlich in Poppe 1960, 4f.

" Allerdings hat sich Poppe hierzu nicht geäußert.

(9)

läßt sich jedoch auch gegen (3) manches einwenden, so erklärt diese

These nicht ganz, warum es kaum türkisch-tungusische Vergleichs¬

wörter gibt (was sich aUerdings durch die Annahme verschiedener

Lehnimpulse und Lehnkontaktorte erhellen ließe). Auch scheint es

deutliche Hinweise für einen alten Lehnweg Türkisch Mongohsch

(und Mongohsch -> Tungusisch) zu geben. So sollte angebhch bei einer

Entsprechung tü. -0 = mo. -A Urverwandtschaft bzw. Substrat¬

wirkung vorliegen, ebenso bei tü. 0 - = mo.. h- = mandschu /- (nanai p-).

Dagegen läßt sieh nun einwenden :

a) Es gibt Wörter wie tü. örmäk = mo. örmege 'Mantel'. Nun ist aber

die Wurzel, ör- 'weben', rein türkisch (im Mo. nicht belegt), und ebenso

ist das Suffix rein türkisch (Gabain'* § 120, heute das übhche tü. In¬

finitivsuffix ; im Mo. nur -mAG in adjektivischer Punktion wie yada-may

'schwach', qoli-may 'gemischt', nie jedoch -mAGA in substantivischer

Funktion)'*. Da nun aber sowohl die Wurzel als auch das Suffix rein

türkisch ist (beide im Mongohschen nicht belegt), ist natürhch das

ganze Wort türkisch. Es weist aber einen Zusatzvokal auf — der dem¬

gemäß kein Kriterium für ein urverwandtes Wort sein kann. (Und auch

die Annahme einer Substrateinwirkung verbietet sich, weil sonst das

Substrat ,,zufäUig" genau = dem Türkischen sein müßte.) WoUte man

hier bei der Annahme einer Urverwandtschaft verharren, wäre das

nichts anderes, als würde man sagen, deutsch total und latein. totalis

seien urverwandt, obgleich sowohl totiis wie auch + alis rein lateinisch

sind, oder: deutsch Alkohol und arabisch al-kuhl könnten auch urver¬

wandt sein, obwohl allein im Arabischen die Wurzel kuhl belegt ist (im

Deutschen existiert Kohol nicht) und obwohl aUein im Arabischen der

Artikel al- (der dort ein Präfix ist) belegt ist. Das wäre oflFenbar verfehlt.

Natürlich, es kommt vor, daß in einer genetisch verbundenen Sprach¬

famiUe eine bestimmte Wurzel nur in einer Sprache A belegt ist, in einer

Sprache B fehlt (ausgestorben ist). Es kommt auch vor, daß sich ein

Suffix allein in A behauptet hat, in B verlorengegangen ist. Aber wenn

beides zusammentrifft, ist es die potenzierte Unwahrscheinhehkeit,

anzunehmen, ein Wort vom Typus mo. örmege, das in Wurzel und

Suffix rein = A (tü.) ist, könnte nicht aus A stammen, sondern mit

diesem urverwandt sein. Und solcher Beispiele gibt es nun im Tür¬

kischen und Mongolischen (und ebenso im Mongohschen und Timgu-

sischen) viele ; sie beweisen klar einen Lehnweg Türkisch Mongolische

Tungusisch. So kann tü. yaqu (älter yaqqu, yayqu) 'Regenmantel' nicht

na-verwandt sein mit mo. dMqu, da das tü. Wort eine klare Ableitung ist

1* Annemabie von G. : Alttürkische Grammatik. Leipzig 1950.

1" Vgl. TMEN 1, S. 51—54.

(10)

112 Gebhabd Doebeeb

vom nur im Türldschen belegten 'regnen'mit dem tü. Suffix -KU-\-^.

Ähnlich tü. uroq (Urform *'purokä) 'Fangschlinge' von ur- 'schlagen' ->

mo. hur(a)qa (älter *pur(a)ka) -> tu. *purka^^. Wir finden auf pro-

altaistischer Seite die Behauptung, Urverwandtschaft von tü. und mo-

Wörtern liege vor, wenn

Tü. = Mo.

-0 = -A

y- d-, j-

0- h- ( < *p-)

.z(-) -r(A)

Nun, die obigen Wörter wiesen solche Merkmale auf; sie waren aber

trotzdem türkisch. Hier noch weitere Belege dieser Art: Von tü. yar-

'spalten, scheiden, entscheiden' finden sich die Ableitungen yaryu

'Gerichtsentscheid'^^, yarma 'gespalten, gespaltenes Korn, Grütze'^*,

yarim 'Hälfte'^*, — vgl. damit mo. (wo die Wurzel Jar- fehlt) faryu,

JarrrM, farim; im Mo. sind zwar Suffixe -yu, -ma auch bekannt, nicht

jedoch -im, das Lehnwort [arim ist sogar mitteltürkisch (ältere tür¬

kische Formen werden wie atiz 'Ackerland' = mo. atar behandelt, d. h.

dem reduzierten tü. Vokal der zweiten Silbe entspricht im Mo. -a-);

übrigens gibt es im Mo. auch faru- 'schlachten', womit das tü. Wort

zusammenhängen könnte, jedoch sind mo. faryu usw. eben nicht von

faru- abgeleitet. Vgl. ferner tü. ekiz 'Zwüling' von tü. eki 'zwei' + =

mo. ikire (wo aber 'zwei' = qoyar, firin und wo ein Pluralsuffix -rA

nicht belegt); tü. üz 'Meister' vonü- 'können' + -z-f^* = mo. uran (wo

*° Gabain §§ 115, 225; Nebenform von -OU-}-, im Mo. nur als ,, Nomen

futuri". Gegen Ramstedt: Einführung in die altaische Sprachwissenschaft.

2. Helsinki 1952, S. 92ff. ohne lautgosetzliohen Zusammunhang mit tü.

-GU, auch existiert keine ältere mo. Form -OU des Nomen futuri: Die

Gebeime Gesciuchte der Mongolen transkribiert mo. -K- einfach in solchen

Fällen teils mit einem chinesischen Charakter, der k'u zu lesen ist, teils mit einem gu'zu. lesenden. Allerdings vgl. Poppe: Die Nominalstammbildungs¬

suffixe im Mongolischen In: Keleti Szemle 20 (1927), S. 95 -GU, auch dort

aber fehlt -KU in passender Bedeutung.

21 Gabain § 149. Ramstedt vergleicht in Einführung 2, S. 139 tü. -UK =

mo. -O; tatsächlich entspricht jedoch dem tü. Sufßx in älteren Entlehnungen eher mo. -GA(n), vgl. im folgenden töroq, köSik -> mo. turuyan, köSige. Das ist eine ältere tü. Lehnsehicht im Mo. als etwa tü. tiyraq 'standhaft' -> mo.

öigiray.

22 Gabain § 141.

2ä Gabain § 119.

2« Gabain § 118.

25 Gabain § 71, alter Plm-al in biz 'wir', siz 'ihr'; also ekiz = 'die zwei', vgl. modern tü. ikiler 'die zwei'.

26 Gabain § 135.

(11)

weder u-, noch -rAn belegt); tü. topiq 'Knie' von top 'Kugel' + Dimi-

nntivsuffix = mo. toyiy ( wo weder tob 'Kugel', noch -\-iy belegt;

neben dieser älteren Entlehnung, wo tü. -p- ganz regulär für ältere

Wörter zu -'- bzw. vor i > y geworden ist, gibt es noch die jüngere

Entlehnung tobuy) mandschu tobgiya (dagegen gemeintungus. *pän-

yän); tü. töroq 'mager' zu tör- 'abmagern' (Suffix wie bei uroq) = mo.

turuyan usw. Hierhin gehören aber bis zu einem gewissen Grade auch

solche FäUe wie tü. küwän- 'arrogant sein', küwäz 'arrogant', von der

klar abtrennbaren Wurzel *küwä-, wo das Mongolische nur köger belegt

hat^^ oder tü. osan- 'faul sein', osal 'Faulheit' von *osa-, wo im Mo. nur

osal^^ VL. V. a. Hier noch ein besonders interessanter FaU, wo eine ganze

Suffixgruppe betroffen ist. Wir finden im Tü. ein Suffix -\-dürüK,

welches Schnüre und Riemen, vor aUem Sattelriemen, bezeichnet. Ihm

entspricht im Mo. zuweilen -j-dUrGA. Hier seien aUe Belege, die ich

gefunden habe^" ZusammengesteUt (12 Wörter):

Türkisch Mongolisch

ägindirik (osm.) egeldürge

Pelerine Schulterriemen

hoyunduruq —

Joch

(Lehnwörter wie bögejöldürge kasach. büldür-

gö)

burunduruq —

öimildürük —

öag. Mückennetz

— kedürge Sattel¬

riemen

közüljndürük —

Augenschutz

kömüldürük kömöldürge

Brustriemen

Tü. Grundwort Mo. Grundwort

ägin Schulter egem id.

boyun Hals —

? ?

burun Nase —

6ipyün Mücke —

ke-}- hinten? —

köz Auge

köyül Herz —

" Gabain § 57.

2* Allerdings mo. Suffix -r belegt : Poppe : Nominalstammbildungssuffixe S. 103.

2» AUerdings mo. Suffix -l belegt: Poppe: Nominalstammbildungssuffixe S. 100.

Vgl. C. Beockelmann : Osttürkische Orammatik der islamischen Litera¬

tursprachen Mittelasiens. Leiden 1954, S. 100; M. Räsänen: Materialien zur

Morphologie der türkischen Sprachen. Helsinl:;i 1957, S. 97; TMEN 2, S. 290.

8 ZDMO 124/1

(12)

114 Gebhard Doebfeb

Türkisch Mongolisch Tü. Grundwort Mo. Grundwort

oyunduruq — ? —

Werkzeug des

Baumwoll¬

schlägers

qalanduruq — qalqan Schild qalqa

Schildhalter

saqalduruq sayaldurya saqal Bart saqal

der unter dem Kinn hängende Teil des Zaumzeugs

yayalduruq — yayaq Seite —

Wir ersehen hieraus: (1) Nm drei Wörter sind im Tü. nicht etymologi¬

sierbar — sie sind es aber auch im Mo. nicht ; (2) nm drei Wörter sind

im Mo. etymologisierbar — sie sind es dann aber auch immer im Tü. ;

(3) die meisten (sechs) Wörter sind allein im Türkischen etymologisier¬

bar. Es handelt sich mit ziemlicher Sicherheit um ein ursprünglich tü.

Suffix, es endet aber im Mo. mit -A (obwohl auch eine Entsprechung

tü. -K = mo. -Cr nicht ungewöhnlich ist, z. B. im jungen Lehnwort mo.

öigiray 'standhaft' = tü. tiyraq von tiyra- 'standhaft sein', und obwohl

es auch viele mo. Wörter gibt, die mit -0 enden: ög- 'geben', asay-

'fragen' usw.). Mo. qvdurya 'Schwanzriemen' dürfte allerdings nicht

tü. qudruq 'Schwanz' stammen, sondern tü. (al-Käsgaei) quduryon

'Schwanzriemen' mo. *quduryan, später nach Analogie von kömöld¬

ürge usw. > qudurya^^.

b) Ferner gibt es gewisse Lücken in den altaischen Lautentsprechungen,

die darauf weisen, daß es sich um einen Lehnweg Türkisch Mongo¬

lisch Tungusisch handelt, vgl. dazu TMEN 1, S. 58—63. So gibt es im

Türkischen keine Entsprechungen zu mo. Wörtern mit?»-. Anders gesagt,

die altaische Schicht im Mo. hat genau wie das Tü ,, zufälhg" kein m-

gekannt. Wohlgemerkt, ich moniere damit nicht, daß es im Tü. kein m-

gibt, obwohl es das im Mo. gibt (die Laute einer Ursprache brauchen ja

gar nicht in allen Einzelspraehen bewahrt zu sein); ich moniere viel¬

mehr, daß immer dann, wenn wir im Mo. Wörter mit m- (denen kein

Nasal folgt, in welchem Falle das m- im Mo. oft im Tü. immer aus 6-

entstanden ist) finden, sich im Tü. keine Entsprechungen finden. Es

wäre also alles in Ordnung, wenn wir beispielsweise die folgenden Glei¬

chungen hätten :

*i Gegen Ramstedt: Einführung 2, S. 214; Poppe: Nominalstamm¬

bildungssuffixe behandelt das Suffix nicbt.

(13)

Mo.

*P-

b- b-

b- Tü.

*P-

m-

Tatsächhch aber finden wir:

Mo.

*p-

b- b-

? (keine Belege).

Tü.

*P- m-

XJnd solcher Lücken gibt es noch mehrere. Ebenso gibt es im Mo. keine

Entsprechungen zu tu. Wörtern mit l- (die altaische Schicht im Tungu¬

sischen hat also „zufälhg" wie das Mongohsche kein l- gekannt).

c) Ferner führt die Verwandtschaftsthese zu vielen inneren Wider¬

sprüchen, die bei der flexibleren Entlehnungsthese nicht auftreten. So

müßte mo. köSige 'Vorhang' = tü. köSik einerseits urverwandt sein

(wegen mo. -e), andererseits entlehnt (wegen mo. -S- statt -Z-). Und mo.

fes 'Kupfer' müßte mit tü. yäz einerseits urverwandt sein (wegen /-),

andererseits entlehnt (wegen -s statt -r). Auch sollte mo. Siba- 'schmieren'

= tü. siba- als Korrespondenz eigentlich gar nicht existieren (obwohl

es von den Proaltaisten als inverwandt verglichen wird), denn setzen

wir alt. *si'ba- an, hätte sich zwar mo. Siba-, aber tü. *sib- ergeben müssen,

und setzen wir alt. *si'bä- an, hätte sich zwar tü. siba-, aber mo. *Siya-

ergeben müssen. So führt diese These zu laufenden Widersprüchen.

Aber auch die Schwächen der Position (2) liegen auf der Hand. So

sind dort junge Entlehnungen (des 6. Jahrhunderts n.Chr.) aus dem

Tü. ins Mo. angenommen worden, nur zwei Jahrhunderte vor den

Orchoninschriften, den ältesten tü. Belegen. Dem widersprechende

Erscheinungen wie tü. böz 'grau' = mo. bora, tü. oyma 'Filzschuh' =

mo. hoyma-sun, mandschu fomon sind so erklärt worden, daß im Mo. das

-a bzw. h- sekundär angetreten ist (euphonisch bzw. als Cockney-A).

Das ist ganz unmöglich^^. Andererseits ist es aber auch ausgeschlossen,

zu vermuten, ursprüngliche tü. *-A, *p- seien in dem kurzen Zeitraum

von nur zwei Jahrhunderten geschwunden.

Daraus resultiert nun Dobefees Erklärung: Es gibt im Mo. alte tü.

Schichten (und im Tu. alte mo. Schichten), die beide älter sind als die

ältesten Dokumente der verleihenden Sprachen: Die ältesten (dialek¬

tischen) tü. Formen der oben genannten Wörter lauteten: *böra bzw.

*poymä, diese ergaben im Mo. zunächst bora, poyma, letzteres man¬

dschu *poyma ( > *poman > fomon) und in sich weiter gewandelt (mit

SingularsuflSx -sun) > *foymasun > hoymasun. Das Verhältnis ist also

*2 Vgl. Doebfeb in: Journal de la Soeiöte Finno-ongrienne 69:4 (1968).

(14)

116 Gbbhaed Doebfeb

ähnlich wie bei latein. catillus german. katils 'Kessel' slav. kotblb,

halt, katilas u. ä.^'; es liegen einerseits keine jungen Lehnwörter vor,

sondern Entlehnungen innerhalb der Ursprachen (latein. catillus findet

sich in allen germanischen resp. slavischen resp. baltischen Sprachen,

es ist also urgermanisch, urslavisch, urbaltisch); anderseits liegt aber

auch keine Urverwandtschaft vor, da sonst dem latein. c- ein german. h-

entsprechen müßte.

4. Eigentümhch ist das Faktum, daß es innerhalb der altaischen

Sprachen auch Entlehnungen von Grundwörtern gibt (wenngleich viel

weniger als die Proaltaisten annehmen). Hier wies Doebfeb^* auf eine

Parallele: Gewisse nordtadschikische Dialekte sind stark özbekisiert,

Türksprachen in statu nascendi, auch sie haben nun eine ganze Reihe

von Grundwörtern übernommen (z. B. Körperteilbezeichnungen wie:

Finger, weibliche Brust, Schulter, Wimper, Augenbraue, Ohr [qulaq],

Haar) ; ebenso haben sie eine Reihe von Suffixen übernommen (charak¬

teristischerweise fast nur beim Nomen, z. B. Kasussufiixe wie .dan

Ablativ, .ga6a Terminalis.

Bei sehr innigen Kontakten werden auch Grundwörter (und Affixe)

entlehnt. Man soUte, wenn man von Entlehnung spricht, stets zwei

soziologische Grundsituationen unterscheiden :

1) Das Verhältnis von Völkern mit sehr verschiedenem Niveau, sei es,

daß das eine das Herren-, das andere das Sklavenvolk ist, sei es, daß ihr

Kulturniveau zu unterschiedlich ist, um engere Sprachkontakte zuzu¬

lassen. Auch in diesem Falle können reichlich Wörter entlehnt werden,

es wird sich aber um eine fast ausschheßheh einseitige Richtung Herren¬

volk Sklavenvolk und um Kulturwörter (selten nur um Grundwörter)

handeln^^. Man könnte sagen, daß die Wörter etwa nach dem Prinzip

der kommunizierenden Röhren behandelt werden: Gerade die oberste

Schicht (= die Kulturwortschicht) fließt ab. Also im Schema:

>

" Vgl. Pokobny S. 587.

Türkische Lehnwörter im Tadschikischen. Wiesbaden 1967.

'5 Beispiel für ein Herrenvolk mit höherer Kultur: die Araber in Ost¬

afrika; Beispiel für ein Herrenvolk ohne höhere Kultur: Araber in Iran;

Beispiel für ein Volk höherer Kultur, das nioht Herren volk war: Iranier

unter türkischer Herrschaft.

(15)

(2) Bei Völkern gleichen Niveaus, die in engem Kontakt stehen,

werden dagegen kaum soviel Kulturwörter entlehnt werden (da man ja

gar keine niedrigere Kultur als der andere hat, hat man das gar nicht

so nötig); es werden jedoch eben durch den innigen Kontakt sogar

Grundwörter in die Sprache einfließen. So hat das Nordtadschikische

nur etwa 600 özbekische Lehnwörter (während das Persische, und so

auch die tadschikischen Dialekte, viele Tausende arabischer Lehn¬

wörter haben); es befinden sich darunter jedoch viele Grundwörter

(während arabische Grundwörter in der persischen und der tadschi¬

kischen Schriftsprache sehr selten sind). Hier entscheidet nicht die Zahl

der Wörter, sondern sozusagen deren Intensität. Sind die Sprachen noch

dazu strukturell eng benachbart, können auch Verba in reicher Zahl

einfließen^*. Eigenthch arabische Verbalformen (also Verba finita)

erscheinen z. B. im Iranischen nur in gewissen feststehenden Verbin¬

dungen (wie mä-garä 'was vorfiel' = Ereignis') ; im Nordtadschikischen

erscheinen immerhin schon einige, aber insgesamt doch relativ wenige

özbekische Verba — dazu sind die Sprachsysteme einander eigenthch

zu fremd (und die Verbalsysteme sind in fast allen Sprachen kompli¬

zierter als die nominalen). Dagegen ist ein Übergang tü. Verbum

mo. Verbum und vice versa sehr einfach : Man nehme z. B. die mo.

Wurzel qara- 'blicken'^', hängt man -di'heran, ergibt sich das tü. Perfekt,

hängt man -ba heran, ergibt sich das mo. Perfekt.

Auch Suffixe wandern in solchen Fällen leicht, s. oben die tadschi-

kisch-özbekische Parallele, auch tü. -{-duruq = mo. -\-durya. Es läßt sich

nachweisen, daß auch das tü. (mitteltürkische, aus dem 11. Jahrhundert

stammende) Suffix -liql-likj -läqj -lük (älter -läql-lek) ins Mo. gewandert

ist (-liyj-lig), ebenso das Nomen-agentis-Sufiix -&i (das auch in einer /

ganzen Reihe von iranischen und kaukasischen Sprachen sowie im

Tscheremissischen heimisch und produktiv geworden ist, s. TMEN IV,

, .Bemerkungen zur Altaistik", Abschnitt , .Bedingungen B 3"). Auf der

Hand liegt ferner auch, daß sich umso mehr Entlehnungen (auch von

Grundwörtern und Suffixen) finden werden, je länger die Lehnkontakte

bestehen. Das Schema in diesem FaUe wäre also

>

'8 Vgl. Iben Raphael Meyeb in: Acta Linguistica Hafniensia 10 (1966).

S. 110.

Sie ist in viele Türksprachen eingedrungen, s. TMEN l, 401. Dagegen

fehlt sie in den älteren tü. Texten, s. Sib Gebabd Clauson: An etytnological dietionary of pre-thirieenih century Turkish. Oxford 1972.

(16)

118 Gerhard Doerfeb

Bei solchen Kontakten anf der unteren Ebene können also auch

Körperteilbezeichnungen leicht wandern. Vgl. daher mo. maylai 'Stirn',

das in fast allen Türksprachen das ursprünghche cdin verdrängt hat,

oder vgl. latein. cuppa 'Becher = Dez' deutsch Kopf, andererseits

german. titta 'Zitze' Vulgärlatein, titta, oder auch mo. nidün 'Auge' —y

nordbaikal-ev. nundun, solon. nide, nido^^ usw.

Nun scheint da aber ein Widerspruch zu bestehen: Im Mo. existieren

ältere tü, entlehnte Grundwörter, das scheint für Lösung (2): Kontakt

auf niederer Ebene zu sprechen. Andererseits soUte man bei Kontakt

auf niederer Ebene eher eine Wechselwirkung erwarten. Woher die

Einbahnentlehnung Türkisch -> Mongolisch? Das ist doch sonst nur bei

Kontakten Herrenvolk Sklavenvolk üblich! Dies erklärt sich m. E.

sehr einfach rein quantitativ : Auf einen Mongolen kommen heute etwa

30 Türken (und dies ist früher, soweit wir auch nur zurückschauen

können, nie anders gewesen). Es ist klar, daß bei der großen Mobilität

der Nomaden** dann viel eher die Wörter der ungeheuren Mehrheit in

die der Minderheit einflössen als umgekehrt. Also: Einerseits gleiche

Höhe und gleiche Art der Kultur, daher Entlehnung auch von Grund¬

wörtern, andererseits aber auch Auswirkung des starken numerischen

Übergewichts der Türken, daher die Einbahnstraße Türkisch Mongo¬

lisch. (Dies schheßt nicht aus, daß in älterer Zeit Türken auch als Herren¬

volk über Mongolen geherrscht haben, jedoch ist die ältere altaische

Geschichte dunkel.)

Eben wegen der historisch durchweg belegten Nomadenkultur von

Türken und Mongolen werden wir auch solche Wortgleichheiten wie tü.

tari- 'beackern' = mo. tari-, atiz 'Ackerland' = atar, huyday 'Weizen' =

huyudai, arpa 'Gerste' = arhai kaum als Beweise für Urverwandtschaft

einschätzen.

Soweit zu den altaischen Thesen. Sie sind gewiß wesentlich subtiler,

als sie Millee darstellt. Ich wage nicht zu entscheiden, ob sich sehlie߬

lich Poppes Position 3 (die sich ja noch detailherter und verfeinerter

ausführen ließe) oder meine Position 4 durchsetzen wird; die aUzu

einfachen Extreme 1 und 2 sind gewiß unhaltbar.

5. Ich möchte eimnal konkret darstellen, wie sich die Unterschiede

zwischen (1), (2) sowie (3) und (4) (die hier weitgehend eine gemeinsame

Front bilden dürften) darstellt. Als Beispiel zur näheren Erläuterung

kann ich natürlich nicht Kulturwörter wählen (wie qayan 'Kaiser' =

Vgl. V. D. KoLESNiKOVA in V. I. Cincius (ed.) : Oöerki sravnitel'noj leksikologii altajskich jazykov. Leningrad 1972, S. 280.

3' Ötögen eke a'ui bui je 'die Mutter Erde ist ja weit' heißt es in der Ge¬

heimen Geschichte der Mongolen.

(17)

tü., mo.), sondern nehme vier Grundwörter, die ich nach der Zufalls¬

methode auswähle (,,was mir gerade so einfällt"). Ich fand: Auge, Ohr,

Nase, Puß. (Im folgenden wird sich zeigen, daß hier auch im Altaischen

Gottseidank einiges vergleichbare Material vorhanden ist, meistens ist

das nämlich bei Grundwörtern dort nicht der Fall; und hätte ich gar

nichts Vergleichbares gefunden, so hätte mir das den Vorwurf vor¬

berechneter Auswahl einbringen können.)

5.1. Die Körperteilbezeichnungen sind gewiß ein relevantes und

repräsentatives Teilgebiet des Wortschatzes aller Sprachen, insofern

als hier i. a. Grundwörter des menschlichen Lebens vorliegen, welche

nicht ohne weiteres (nur bei sehr engen Kontakten) entlehnt werden.

Schauen wir uns zunächst an, was Clauson (Position 2)*" dazu sagt.

Er bietet:

Türkisch Mongohsch Mandschu

(Wort 14) köz nidün yasa

(Wort 11) qul(q)aq öikin San

(Wort 37) burun qabar oforo

(Wort 20) adaq köl bethe

Daraus läßt sich kurzerhand schließen: Keine Gemeinsamkeiten, daher

keine Urverwandtschaft.

Nun ist es aber so, daß die Proaltaisten (Position 1) hier einige sehr

wichtige Einwendungen vorzubringen haben. Vgl. etwa die altaischen

Körperteilbezeichnungen bei Udo Posch*', bei V. 0. Kolesnikova*^,

auch (an verstreuten Stellen) bei Poppe 1960 und vor allem die Sammel¬

werke 0. P. Sunik (ed.) : Problema obSSnosti altajskich jazykov. Lenin¬

grad 1971 und V. I. Cmcius (ed.): 06erki sravnitel'noj leksikologii

altajskich jazykov. Leningrad 1972. Behandeln wir die Wörter also

präziser :

(1) Tü. koz 'Auge'=# mo. nidün urtu. *iäsa. (Mo. nidün nordbai-

kalev., solon. nide u. ä. sind Lehnwörter, s. Abschnitt 4.) Hier also keine

direkte Vergleichsmöglichkeit. Es findet sich aber auch keine indirekte

Vergleichsmöglichkeit: Weder das tü., noch das mo., noch das tu. Wort

gehen auf eine gemeinsame alt. Wurzel zurück (anders wäre es, wenn

sich z. B. ein tu. oder mo. Wort*fcö- 'sehen' fände), ebenso lassen sich

auch keine gemeinsamen bedeutungsverwandten Wörter finden (gäbe es

z. B. ein mo. Wort *köre 'Pupille', wäre das anders). Hier ist einfach

nichts zu machen.

" In: CAJ 13 (1969), S. 1—23.

*' In HandbuAih der Orientalistik, Mongohstik. Leiden/Köln 1964, S. 28f.

« In Oierki S. 17, s. Anm. 38.

(18)

120 Gebhabd Doebfeb

(2) Tü. qulyäq 'Ohr' =# mo. 6iqin'^ + tu. *siän. Poppe 1960, S. 26 ver¬

gleicht mit dem mo. Wort tü. 6akä 'Schläfen', cag. cikin (recte: tekin <

täkin) id., mandschu 6ikin 'Rand'. Das geht nicht an: Das mo. Wort

geht ja auf *6ikin zurück (oder gar auf *tikin), lautgesetzlich mit tü.

6äkä, 6äkin unvergleichbar. Das mandschu Wort steht semantisch zu

weit ab, zudem entspricht dem mo. -k- im Mandschu lautgesetzlich -x- ;

-k- kann nur aus einer alten Konsonantenverbindung stammen. Wahr¬

scheinlich gehört das ma. Wort zu tiki- 'in ein Loch hineinpassen' (so

auch nanaisch), daher öikin = 'was ein Loch umgibt: Rand des Grabens,

Fensterbrett' (so die präzisere Bedeutung). Andererseits hat Poppe

1960, S. 75 mit dem tü. Wort auch mo. qulki 'Ohrenschmalz' u. a. ver¬

glichen. Dies ist einleuchtender (bei Lessing: Mongolian-English

dietionary. Berkeley and Los Angeles 1960, S. 984f. bedeutet qulaqun,

qulki, quluyu, quluu übrigens auch 'Mittelohr'). Freilich ließe sich, wenn

man die gesamte mo. Sippe betrachtet (vgl. u. a. qulmayi- 'beschnittene

Ohren haben', quluyur 'mit beschnittenen Ohren', auch qulayai 'Räuber'

= 'Wegabschneider', vgl. tü. yol käsär, ähnlich im Arabischen) auch an

eine ursprünghche mo. Sippe qul(-a)- 'beschneiden, koupieren' denken,

woraus durch sekundären Wandel neue Bedeutungen entstanden. (Das

wäre das, was ich ,, dynamischen ZufaU" nenne, s. unten.) Aber wir

sollten doch den Vergleich für recht wahrscheinlich halten, so daß hier

Position (1), (3) gegen Position (2) teilweise recht gegeben werden muß.

(3) Tü. burun 'Nase'=|= mo. qabar ^ Tu. Im Tu. gibt es eine ganze Reihe

von Termini: *h.oya-\-kta (ev., solon., neg., lam.), wozu auch (s. Koles-

NiKOVA S. 283 ul., nan. hoyko, orok. hoykon 'Vorderteil des Kahns,

Vorgebirge' gehört), *yö-ksa vonyö- 'riechen' (oroö, ud., ul., nan., orok.),

*opara (ma., von dort aus auch ins Kili und Nanai eingedrungen),

*niän6a (solon., arman., neg.). Es scheint, daß *hoya-{- das eigentliche

urtu. Wort ist, aber auch yö-ksa (von der urtu. Wurzel yö-) mag eine

alte Ableitung sein; *niänca ist wohl ursprünglich 'Tiernase' (besonders

des Bären), also Vulgärform (wie deutsch Schnauze = Mund, vgl. auch

latein. rostrum 'Rüssel' > span, rostro 'Antlitz' usw., eine bekannte

Erscheinung), *o'para ist eine Regionalform, im Dschürtschen findet

sich SuMygi, lies eher Songi = ma. soygin 'Nasenspitze'. Wie bei Stich¬

wort (1) finden sich keinerlei Vergleichsmöglichkeiten, auch nicht bei

Heranziehung indirekter Belege, z. B. der Wörter für 'riechen'.

(4) Tü. adaq 'Fuß' < padäk(a) + mo. köl =|= tu. *bägdi. Kolesnikova S. 329 vergleicht tü. büt 'Bein' mit dem tu. Wort, das ist lautgesetzhch

ausgeschlossen. Poppe 1960, S. 110 vergleicht mo. köl 'Fuß' mittü. kokl

'See': ,,Seen sind sozusagen das Ende der Flüsse, und der Fuß ist das

*^ So nach N. N. Poppe (ed.): Mongol'skij slovar' Mukaddimat al-Adab.

Moskva-Leningrad 1938, S. 134.

(19)

Ende des Körpers." Die Bedeutungen stehen aber ziemhch weit aus¬

einander. Außerdem ist es sehr gut möghch, daß tü. köl ein Lehnwort

aus mittelpers. köl ist (vgl. engl, lake franz. lac usw.), s. TMEN II

645 f. Das wichtigste jedoch ist: Es gibt keinen Beleg in irgendeiner

alt. Sprache, der semantisch zwischen 'Fuß' und 'See' vermittelt. Das

tertium comparationis Poppes ist ja nicht belegt. In den altaischen

Sprachen finden wir zwischen distanten Bedeutungen der angegebenen

Art meist keine Brücke. Man kann aber auch sagen: In den altaischen

Sprachen führen aUe Brücken von der Urverwandtschaft fort, in den

indogermanischen Sprachen führen alle Brücken zur Urverwandtschaft

hin. Dies ist eben der feine Unterschied zwischen Sprachen mit Uralt¬

entlehnungen und wirklich verwandten Sprachen. So zeigte sich bei

einer näheren Untersuchung von mo. qulki 'Ohr', daß es, da vielleicht

zur Sippe 'abschneiden' gehörig, eben möglicherweise doch nicht zu tü.

qulyäq gehört (die Brücke detaillierter semantischer Untersuchung

führt von der Verwandtschaft fort). Vergleichen wir dagegen** deutsch

klein mit idg. gel- 'heU, heiter glänzen', so scheinen die Wörter zunächst

nichts miteinander zu tun zu haben. Was verbindet schon klein mit griech.

yeXaw 'lachen', ayXao? 'hell, herrlich'? Die Vermittlung (die Brücke)

bildet aber althochdeutsch kleini 'glänzend, zierlich, fein' (neuhoch¬

deutsch noch in Kleinod fortlebend), ferner engl, clean 'sauber, rein';

also 'hell' > 'sauber' > 'schmuck, fein, zierlich' > 'klein'. (Dagegen

mo. qulki 'Mittelohr' = tü. qulyäq, bei näherer Untersuchung aber <

'abgeschnittenes Ohr' < 'abgeschnitten'.) Ferner vergleicht Poppe mo.

aday 'Ende, Unterlauf eines Flusses' (eigentlich allgemein: 'Unterteil,

unteres Ende überhaupt') mit tü. adaq. Das tü. Wort hat tatsächlich

die Bedeutungen 'Fuß; Untergestell; Fuß des Berges; Mündung des

Flusses'. Es ist aUerdings wahrseheinlicher*^, daß das tü. Wort in der

typischen Spezialbedeutung eines Terminus technicus in gar nicht so

alter Zeit ins Mo. eingedrungen ist, während eben die plastisch-konkrete

urtümliche Bedeutung 'Fuß' dort fehlt. Freilich vgl. andererseits slav.

pod 'Unterteil' = idg. *pedlpod 'Fuß'. Die Frage, ob es sich bei mo. aday

um ein urtümliches Lehnwort aus dem Türkischen (Proaltaisten : um ein

urverwandtes) oder um ein sehr junges Lehnwort aus dem Türkischen

handelt, ließe sich entscheiden, wenn das Wort im Mittelmongolischen

oder in mo. Dialekten wie Dagurisch, Monguor belegt wäre (mo.*aday

würde auf ein junges, *haday auf ein altes Lehnwort deuten) ; leider ist

das Wort in keiner dieser QueUen belegt, so daß uns jede KontroU-

möglichkeit fehlt. Poppe (1960, S. 52) zieht übrigens ferner auch korean.

padak 'Boden, Fußboden, Sohle' zum Vergleich heran. Es ließe sich

" Pokobny 366.

*5 So auch Clauson, op. oit. Anm. 37, S. 45.

(20)

122 Gebhabd Doebfeb

theoretisch denken, daß auch mandschu fatxa 'Tierfuß, Pfote' hier-

herzusteUen ist. Vgl. aher andererseits G. J. Ramstedt: Studies in

Korean etymology. Helsinki 1949, S. 180f., wo korean. padak mit nanai.

pata 'Schlittenkufe', ma. fatan 'Boden, Sohle' sowie fatxa verglichen

wird. Wozu das koreanische Wort gehört, ist unklar, die tu. Sippe

gehört, mit ihrem -t-, jedenfalls nicht zu tü. adaq. Übrigens erinnert

txi.*padäk(a) an idg. ped 'Fuß'.

5.2. Fassen wir das Ergebnis zusammen, so steUen wir fest: Bei Wort

(1) und (3) findet sich nichts Vergleichbares. Bei (2) findet sich eine gute

Möglichkeit, tü. qulyäq mit mo. qulki ü. ä. (nicht jedoch mit ciqin) zu

verbinden ; bei (4) bietet sich eine schwache Möglichkeit, daß mo. aday

eventueU kein spätes Lehnwort von tü. adaq ist (da jedoch das Wort in

keiner mo. Sprache belegt ist, die mo. *h- bewahrt hat, ist keine rechte

KontroUmöglichkeit gegeben). Sollte derlei nun ■—■falls es ein allgemeines

Bild der Verhältnisse im alt. Wortschatz repräsentiert (und das tut es

allerdings, wie ich nachgeprüft habe) — zum Nachweis einer Urver¬

wandtschaft ausreichen? Ziehen wir einmal zum Vergleich das Indo¬

germanische heran, und zwar der Parallele halber drei Sprachgruppen:

Slavisch, Germanisch, Romanisch. Ich lege mir sogar die Erschwernis

auf, von modernen Sprachen auszugehen (Russisch, Deutsch, Italienisch) :

(1) Russ. glaz, ursprünglich ein Vulgärwort 'Kugel', vgl. P. 358: idg.

gleg, zu gel- 'sich baUen', wozu latein., auch ital. galla 'Gallapfel', alt¬

nord. klakkr 'Klumpen' u. a. (etwas zweifelhaft). Max Vasmee** I 271

führt als semantische Parallele dial. russ.iari/ 'Augen; Kugeln' auf.

Daneben aber Ableitungen wie okno 'Fenster' sowie das poetische oko

(so auch ukrain. sowie in den meisten anderen slav. Sprachen) = deutsch

Auge (got. augö), ital. occhio (lat. oculus), zu idg. *oki}- 'sehen', P 777,

Vasmee II 259. (German, au- ist nicht lautgesetzlich: Analogie zu au^ö

'Ohr', s. Nr. 2.)

(2) Russ. ucho nach P 785, Vasmee III 197 = deutsch Ohr (got. au.sö),

ital. orecchio (lat. auris). Zm idg. Wurzel *ötts.

(3) Russ. nos nach P 755, Vasmbb II 228 = deutsch Nase (althoch¬

deutsch nasa), ital. naso (Iat. neusum, nasu^s). Zur idg. Wmzel *nas.

(4) Russ. noga nach P 780, Vasmee II 224 zur idg. Wurzel *ongh,

*onogh 'Nagel (an Fingern und Zehen)', wozu vgl. deutsch Nagel (alt¬

hochdeutsch nagal), ital. unghia (lat. unguis). Andererseits ist das idg.

Wort pejod 'Fuß' (P 792, Vasmee II 382) nicht nur in deutsch Fuß

(got. fötus), ital. piede (lat. pes) enthalten, sondern mit Bedeutungs¬

wandel in slav., auch russ., pod 'Boden' (litau. padas 'Sohle') etc. — vgl.

deutsch ,,am Fuße des Berges".

*6 Russisches etymologisches Wörterbuch. 3 Bde. Heidelberg 1953—58.

(21)

5.3. Wir woUen jetzt eine kleine Statistik aufmachen, mit folgendem

Punktsystem :

3 Punkte = völlig genau übereinstimmend, makellos.

2 Punkte = abweichende Bedeutung oder starke Lautungsabweichung

(entgegen den Lautgesetzen, z. B. auf Analogie oder

Tabuumformung beruhend), Gemeinsamkeit nur in den

Wurzeln u. ä.

1 Punkt = nur schwache Möglichkeit eines älteren Zusammenhanges,

manches spricht für (eine spätere) Entlehnung, bzw. recht

zweifelhafte Gleichung.

0 Punkte = kein Zusammenhang

Stimmen je alle drei Sprachen überein (lassen sich Sprachen A, B, C

vergleichen, nicht nur A — B bzw. A — C bzw. B — C) verdoppeln wir

natürlich die Punktzahl. Da oft je zwei Wörter für die Begriffe (1)—(4)

erscheinen, rechnen wir je zwei Zeilen. (Das bedeutet praktisch, daß bei

direktem Vergleich in die zweite Zeile ebenfalls sechs Punkte eingesetzt

werden und daß wenn nur ein schwächerer Vergleich oder gar keiner

möglich ist, in der zweiten Zeile doch noch bis zu fünf Punkte erzielt

werden können, eben durch indirekten Vergleich.) Dann ergibt sich

folgende Rechnung:

Altaisch 0 0 0 0 = 3 Punkte : Indogermanisch 2 6 6 4 = 39 Punkte

0 2 0 1 5 6 6 4

(Hätten wir das Ukrainische, das oko 'Auge' als lebendiges Wort hat, als

Grundlage genommen, würden sich sogar 44 Punkte ergeben.)

5.4. Hier mag nun eingewendet werden, daß vielleicht das Indoger¬

manische nur zufäUig mit einer so guten Punktzahl abschneide, daß

aber bei anderen als urverwandt nachgewiesenen Sprachfamilien die

Punktzahl doch sehr viel geringer sei. Dies wäre ein sehr guter Einwand :

Wir sollten tatsächlich die Punktzahlen bei möglichst vielen als urver¬

wandt nachgewiesenen Sprachfamilien ermitteln, um mit diesen dann

die altaischen Punktzahlen zu vergleichen. Übersteigen dann alle diese

tatsächlich urverwandten Sprachfamilien in ihrer Punktzahl das Al¬

taische, so steht es mit der These der altaischen Urverwandtschaft

allerdings schlecht. (Nicht annehmen werden wir dagegen das Argu¬

ment Poppes in Millee X: "there is no rule concerning the obhgatory

minimum number of common stems that can be regarded as a proof of

linguistic afl&nity". Dies würde ja im Extremfall dahin führen, daß man

Sprachfamilien als verwandt bezeichnen darf, wenn sie nur ein Wort

gemein haben. Offenbar muß es hier doch so etwas wie einen „quahta¬

tiven Sprung" geben.) Ziehen wir also zum Vergleich noch die vier

anderen Sprachfamilien heran, die Illiö-Svityö in Opyt sravnenija

(22)

124 Gbbhabd Doerfeb

nostratiieskich jazykov ... Moskva 1971 untersucht hat: Semitisch,

Karthwehsch, Urahsch, Dravida. Zunächst eine kleine Statistik der

Wörter (Wurzeln), die in diesen Sprachen verwandt sind bzw. (im Al¬

taischen) auf vorhterarischen Schichten beruhen :

Semitisch über 3000*'

Karthwehsch 700**

Indogermanisch 20(X)

Urahsch 335*»

Dravida 4572««

Altaisch 400"

Schon hier fällt die an sich sehr geringe Zahl altaischer Wörter auf

(wobei wir das in der Anmerkung Gesagte berücksichtigen müssen). Wir

wollen nnn jedoch unsere vier Wörter weiter untersuchen.

Für das Semitische finden wir

Arabisch Hebräisch Syrisch

Auge 'ain 'ayin 'ainä

Ohr udn ozän ednä

Nase anf af ajype 'Gesicht'

Fuß rigl rägäl reglä

*' Geschätzt nach David Cohen: Dictionnaire des racines semitiques.

Paris, La Haye 1970£f.

Nach G. A. Klimov : Mimologiöeskij slovar' kartvel'skich jazykov.

Moskva 1964, geschätzt.

*° VgL die Schätzung bei D. R. Fokos-Fuchs : RoUe der Syntax in der

Frage nach Sprachverwandtschaft. Wiesbaden 1962, 19. Rein finnisch-ugrische

Wurzeln gibt es danach etwa 745, also erheblieh mehr. Gy. Dbcsy: Der

gegenwärtige Stand der (flnnougi-ischen Lautforschung. Hamburg 1968.

Mitteilungen der Societas Uralo-altaica. 2.) S. 63 schätzt ca. 1000 Wörter.

Übrigens ist gerade der samojedische Wortschatz bisher noeh ganz unzu¬

reichend untersucht, hier sind gewiß noch viele Zusätze zu erwarten. Kollegen

IsTVAN Ebdelyi danke ich für seine Beratung auf diesem Gebiet.

5° Naoh Th. Bubbow, M.B. Emeneau: A Dravidian etymological die¬

tionary. Oxford 1960.

51 Naoh eigener Schätzung, auf Grund eigener Zusammenstellungen und

einer Musterung (und Siebung) des Materials boi Poppe 1960. Es finden sich

etwa 200 tü.-mo. Wörter, die nioht jungo Entlehnungen sind, also ,,vorlitera- risohe" Wörter und ähnlioh oa. 150 mo.-tu. Wörter, nur 6 tü.-tu. Durch¬

gebend tü.-mo.-tu. Wörter gibt es nur 37, vgl. dazu nooh einmal die Statistik

unten. Das ist sogar wenig gegen die durchgehenden uraiischen Wurzeln, die

(wenn wir die relativ wenigen Fälle abrechnen, wo ein samojedisohes Wort

nur mit einem ugrischen oder nur mit einem finnischen verglichen wird)

etwa 250 betragen.

(23)

(Außerdem finden wir arab. qadam von sem. QDM 'vorangehen', syr.

qäyemtä von sem. QWM 'stehen' u. a.) Punkte:

6 6 5 6 = 46

6 6 5 6

Auch wenn wir das Hamitische heranziehen (in welcher Sparte leider

bisher noch nicht soviel gearbeitet worden ist), so finden wir noch mehrere

Vergleichsmöglichkeiten, vgl. etwa I. M. D'jakonov: Semito-chamitskie

jazyki. Moskva 1965, S. 40 zu sem. 'NP: ägypt. fnd 'Nase', berber. fn, nf

Gesicht' (kuschit. af 'Mund' eher zu arab. fü 'Mund' usw.); 41 'Auge'

zwar ägypt. ir-t (= kuschit. [somah] il, tschad. i»7), aber nach S.49

älter ägypt. '(y)n (verdrängt dmch ir-t); 41 ebenso 'Fuß' sem. SWQ

'Schenkel' = berber. ta-zuy-t, Kuschit. sukenä, zay^ana, tschad. *seke,

auch sem. RDY, RWD 'schweifen' = ägypt. rd 'Bein', kuschit. räd;

49 zu sem. 'DN vgl. ägypt. idn; 50 'Nase' kuschit. esiy, sinan = tschad.

siy, asinan ist dagegen innerhamitisch. Vgl. zum semito-hamitischen

Problem noch einmal Abschnitt 57.

Für das Karthwehsche finden wir

Grusinisch Tschanisch

Auge twal tol

Ohr .qur 'uf

Nase cxwir 6x(w )ind

Fuß kwarcxl ku6xe

(Außerdem finden wir grusin. pex 'Fuß' =

Die mkarthwehschen Formen sind: Hwal,

(bzw. *berq). Punkte:

6 4 3 6 = 38

6 4 3 6

Svanisch '

te(r)

.qör 'Tür, Hof?

iisx

-- svan. hä(r)q 'Schritt'.)

*.qur, *c,xwir, *kwarc,xl

Für das Urahsche finden wir

Auge Ohr Nase Fuß

Finnisch silmä pile

Ugrisch szem füi

Samojedisch sew

— (aber s. unten)

jalka gyoiog —

(Außerdem existiert ein ganz unklarer ugrisch-samojedischer Zusam¬

menhang bei ung. läb 'Bein'. I. a. suomi-finnisch, ungarisch, nenecisch;

jedoch ist pile mordwinisch. Ung. gyalog = 'zu Fuß'. Zu nenec. xa, sel-

kup. qö 'Ohr' vgl. ung hall-, finn. kuule- 'hören', s. Gy. Lakö: A magyar

szökeszlet, finnugor elemei, II 253.) Punkte:

6 3 — 2 = 24

6 5 — 2

iMuK*-

(24)

126 Gebhabd Doebfeb

Für das Dravida finden wir

Tamil Kolami Brahui

Auge kw)}, kan khun

Ohr cevi kev khaf

Nase mükku mukk —

Fuß käi käi —

(Tamil käi = 'Bein'. Das Brahui ist eigens gewählt worden, weil es sich

besonders stark von anderen Dravida-Sprachen unterscheidet, außerdem

schlecht belegt und ziemlich seines Dravida-Charakters entkleidet ist.)

Punkte:

6 6 3 2 = 34

6 6 3 2

5.5. Stellen wir noch einmal die Punktzahlen zusammen, so ergibt sich :

Sprachfamilie Punkte

Semitisch 46

Karthwehsch 38

Indogermanisch 39

Urahsch 24

Dravida 34

Altaisch 3

Selbst das Uralische also (das besonders spät belegt ist: seit dem 13.

Jahrhundert erst und in seinem samojedischen Zweig noch sehr wenig

erforscht ist) steht wesentlich besser da als das Altaische (das in seinem

türkischen Zweig immerhin seit dem 8. Jahrhundert belegt ist und in

ahen seinen Zweigen, einschließlich des tungusischen, besser erforscht

ist als das Samojedische).

Sollte ein Kritiker einwenden, das verhalte sich aber vermutlich nur

bei den vier untersuchten Wörtern so, möchte ich ihm raten, weitere

(relevante) Körperteilbezeichnungen (oder andere Grundwörter) zu

untersuchen und selber einmal die Probe zu machen. Ich lasse mich

gerne widerlegen, es muß aber eine Widerlegung voU ernsthaften Be¬

mühens sein, die zu möglichst großer Exaktheit führt, ein paar gene¬

relle Bemerkungen genügen da nicht.

Unser Gedankengang war also: Es ist behauptet worden, die al¬

taischen Sprachen seien verwandt. Wenn das zutrilft, soUten sich bei den

altaischen Sprachen ähnhch viele gemeinsame Grundwörter finden wie

bei Sprachen, deren Verwandtschaft unumstritten ist. Das war aber

nicht der FaU. Haben wir dann ein Recht, die alt. Sprachen als verwandt

zu bezeichnen und sie mit den wirklich verwandten Sprachen auf eine

Stufe zu steUen?

(25)

5.6. Freihch, wenn man von Urverwandtschaft spricht, soUte man

eigentlich definieren, was man damit meint, was als das Minimum

erfüllt sein muß, wenn von Urverwandtschaft gesprochen werden darf.

Daß nicht alle Sprachfamilien in aUen Punkten genau identische Ver¬

hältnisse aufweisen, ist bekannt : Bei manchen sind die einzelnen Sprach¬

zweige oflFenbar loser verbunden, bei manehen fester, bei manchen ist

die Morphologie stärker zertrümmert (synchron: weniger Gemeinsam¬

keiten), bei manchen besser bewahrt usf.

Dazu noch eine Vorbemerkung: Methodisch verfehlt ist es (wie

Björn Collinder in Hat das Uralisclie Verwandte? In: Acta Societatis

Liinguisticae Upsahensis 1 :4 (1962), S. 114—7) so zu argumentieren, daß

man allein moderne Einzelspraehen vergleicht (z. B. Schwedisch

und Neugriechisch), feststellt, daß diese wenig Gemeinsames aufweisen

und daß, da sie ja bekanntlich dennoch verwandt sind, also auch wenig

Gemeinsames zmn Nachweis der Verwandtschaft ausreicht. (Collindbb

fand nm 60 sichere Wortgleichungen im genannten FaU, meinte, es

gebe aber ,, ungefähr ebenso viele gute lexikalische Übereinstimmun¬

gen zwischen Gemeinmalisch und Gemeinindogermanisch, daher

seien diese SprachfamUien verwandt.) Ohne auf Collinders Aus¬

führungen im Detail einzugehen (es heße sich vieles einwenden): Es

ist klar, daß wir stets alle Sprachen verglichener Sprachzweige heran¬

ziehen müssen, und zwar zeitlich möglichst weit zurück. (Schon

ein Vergleich Neugriechisch mit Althochdeutsch + Angelsächsisch +

Altnordisch liefert ganz andere Ergebnisse. Und immerhin reicht das

Türkische bis ins 8. Jahrhundert zurück und besteht aus einer Fülle von

Einzelspraehen.) Im übrigen ist Collinders Argumentation nur dmch

einen Zirkel möghch: Er weiß ja bereits, daß Neuschwedisch und Neu¬

griechisch verwandt sind (eben weU er andere, ältere germanische Spra¬

chen und Altgriechisch kennt), und gemeinindogermanische und gemein-

uralische Wurzeln kann er ja überhaupt nur vergleichen (was noch nicht

Verwandtschaft bedeutet), wenn er bereits deren Urform rekonstruiert

hat. AndernfaUs würde er nämlich niemals ausschließen können, daß

es sich um bloße Ähnhchkeitsvergleiche (dynamische Zufälle) handelt

wie bei deutsch hahen = latein. habere (in Wirkhchkeit ist das deutsche

Wort mit capere verwandt) oder schwed. kalla 'rufen' = griech. kaiein

(dem griech. k- müßte aber german. h- entsprechen, tatsächlich hängt

mit dem griech. Wort deutsch hallen zusammen).

Ich würde sagen, Sprachzweige seien dann verwandt, wenn sie fol¬

gende fünf Bedingungen erfüUen :

(1) Die struktmeUen Ähnlichkeiten (in Syntax und Phonologie)

müssen wachsen, je weiter man zeithch zurückgeht. Das bedeutet also

a) Sprachen können auch verwandt sein, wenn ihre moderne Struktm

(26)

128 Gebhabd Doebfeb

sehr unähnlich ist (Litauisch — Enghsch, aber das Altenglische steht

dem konservativen Litauischen strukturen noch sehr nahe), b) auch

genügt es an sich nicht, wenn die moderne Struktur verghchener Sprach¬

zweige sehr ähnhch ist, da dies (ganz oder teilweise) geworden sein

kann, teilweise auch (wie z. B. die WortsteUung) sehr wenig charak¬

teristisch ist^^. Die altaischen Sprachen sind strukturen heute in vielem

ähnlich, jedoch sind ihre älteren Systeme unähnhcher als die modernen^*;

auch genügt struktureUe Ähnhchkeit allein nicht zum Nachweis der

Urverwandtschaft: Es gibt bekannthch bei Indianersprachen die ver¬

blüffendsten Übereinstimmungen mit anderen Sprachgruppen, z. B.

dem Indogermanischen usf.

(2) Die Morphologie muß sich zum erheblichen Teil auf gemeinsame

ältere Vorbilder zurückführen lassen; insbesondere sind hier charak¬

teristische Unregelmäßigkeiten relevant (die nicht leicht entlehnt

werden). (Diese Bedingung würde natürlich bei isoherenden Sprachen,

also solchen ohne Morpheme, entfaUen.) Wie ich in TMEN IV gezeigt

habe, weisen die altaischen Sprachen in dieser Beziehung drei FäUe auf :

a) Leicht als zufäUig einsehbare Ähnhchkeiten (wie das deverbale

Nominalsufiix -n), b) nur scheinbare Gemeinsamkeiten (wie den mo.

Ablativ auf .6a ~ mandschu .6i, das aber tatsächhch nach Ausweis der

übrigen tu. Sprachen auf *.d0.kl oder noch eher auf *.rl.kl zurückgeht),

c) entlehnte Suffixe (wie das erwähnte Feld-, Wald- und Wiesensuflfix

(3) Es muß ein genügend hohes lexikalisches Vergleichsgut da sein,

d.h. gleiche Wmzeln für Grundbegriffe (Zahlwörter, Körperteilbe¬

zeichnungen u.ä.) soUten (und zwar umso mehr, je weiter man zurück¬

geht) in erheblicher Menge vorhanden sein, wie wir oben anhand unserer

vier Wörter 'Auge', 'Ohr', 'Nase', 'Fuß' zeigten. Dieses relative Moment

(Zahl gemeinsamer Grundwörter groß im Verhältnis zm Gesamtzahl

an Wörtern) ist noch viel wichtiger als die absolute Zahl ähnhcher Wörter.

(Allerdings soUte die Gesamtzahl verwandter Wörter doch nicht unter

3-^00 hegen.)

(4) Die Sprachzweige müssen kompatible phonologische Ursysteme

aufweisen, wie in Abschnitt 34 gezeigt. Das heißt, es soUten sich keine

(relevanten) Lücken in den Lautentsprechungen ergeben, die Korre¬

spondenzreihe soUte ein geschlossenes System darsteUen.

(5) Bei SprachfamUien von mehr als zwei Sprachzweigen soUte ein

geschlossenes System von Verbindungen herrschen und damit eine große

Zahl von ,, Bähungen" belegt sein. Also z.B. bei drei Sprachen folgende

52 Vgl. für das strukturelle Zusammenwachsen von Türkisch und Iranisch

Doebfer op. cit. Anm. 34.

5» Vgl. Doebfeb m: IF 71 (1966), S. 105—7.

(27)

Verbindungsmöglichkeiten :

Und nicht etwa ein offenes System :

Bei vier Sprachen:

TJnd nicht etwa

oder gar

Hierzu nun wiederum eine Gegenüberstellung von Altaisch und Indo¬

germanisch. Vgl. z.B. TMEN I, S. 92—4. Wir finden für alt. Wörter mit

*p- (40 Stichwörter) :

a) Eine FüUe von Belegen tü.-mo. Wortgleichungen (27)

b) eine FüUe von mo.-tu. Wortgleichungen (13)

c) recht wenige durchgehende tü.-mo.-tu. Belege (3)

d) gar keine Belege für tü.-tu. Wortgleichungen.

XJnd so ist es aUgemein bei den alt. Wörtern. Die ganz wenigen FäUe

wie tü. biläk 'Handgelenk' = tu. *bilän (wo kein mo. Zwischenghed

vorhanden ist), können leicht auf ZufaU beruhen (wie deutsch Scheune =

kopt. äoine). Eine Musterung der Verhältnisse bei Clauson (200 Wörter)

(wo aUerdings, s. oben, nur sozusagen unsere 3-Punkt-Vergleiche erfaßt

sind, einiges übersehen worden ist, z.B. zu tü. toz 'Birke' = mo. durusun,

zu tü. say 'rechts, recht' = mo. sayin 'gut', tü. arqa 'Rücken' = mo.

aru = tu. arkan, tü. süt 'Milch' = mo. sün = mandschu sun u.a., und

wo schließhch einige Vergleiche irrig sind) ergibt (bei Aufführang nur

der von Clauson zutreffend erbrachten Vergleiche) : 14 tü.-mo. Gleichun¬

gen, 11 mo.-tu., 2 tü.-mo.-tu., 0 tü.-tu. Es ist auffäUig, daß diese Liste

(trotz aUer UnvoUkommenheiten, die Zahl der Vergleiche ^vürde sich bei

präziserer Untersuchung etwa verdoppeln — was aber die Relationen

kaum ändern würde) numerisch relativ sehr ähnhche Verhältnisse bietet

wie oben: eine starke Belegung Tü.-Mo., eine etwas schwächere Mo.-Tu.,

nur ganz wenige BaUungen (Tü.-Mo.-Tu.), keine Belegung Tü.-Tu. Die

altaischen Sprachen erfüUen also die Bedingung 5 nicht.

9 ZDM» 124/1

(28)

130 Gebhard Doerfeb

Nun zum Vergleich die Verhältnisse beim Indogermanischen, aus

Lautgesetz und Zufall, Abschnitt 10.5. Ich ziehe für idg. Wörter mit *bh-

folgende drei Sprachzweige heran: Germanisch, Slavisch, Indisch. Ich

finde: germanisch-slavisch 17 Belege, germanisch-indisch 10 Belege,

germanisch-slavisch-indisch 26 Belege, slavisch-indisch 3 Belege. Wir

konstatieren also folgende Unterschiede zu oben: 1) Obwohl die Verbin¬

dung rein slavisch-indisch schwach ist, ist sie doch ausreichend vertreten,

im Verbindungssystem findet sich keine Lücke; 2) während bei den alt.

Sprachen die Zahl der BaUungen im Verhältnis zur Zahl der Einzel¬

vergleiche 3:40 betrug, ist sie beim Idg. 26:30, also bei den alt. Sprachen

9% Ballungen, bei den idg. 46%. Das Indogermanische erfüllt Bedin¬

gung 5 voUauf. Hier zeigt sich sehr gut der Unterschied zwischen Lehn¬

weg und Urverwandtschaft.

5.7. Wie nun diese Verwandtschaft zustandegekommen ist, ob sie

schon ganz urtümhch ist oder erst geworden, ist un\vichtig. In Frank¬

reich wurde einst Keltisch (GaUisch) gesprochen, heute Romanisch.

Deshalb ist das Französische dennoch eine romanische Sprache (und die

wenigen fortlebenden keltischen Wörter oder der keltische Lautüber¬

gang u > ü ändern nichts an dieser Tatsache). Wir können ja alle sprach¬

lichen Entwicklungen nur bis zu einem bestimmten Punkt zurückver¬

folgen. Sind aber drei Sprachen verwandt, kann das so geschehen sein:

o

(Urverwandtschaft schon von Anfang an) oder auch so:

ooo

ooo

(Ursprünglich drei unverwandte Sprachen, eine Herrensprache — hier

in der Mitte — überwältigt die anderen, später wieder Divergenz dieser

Ursprache zu drei verschiedenen Sprachzweigen.) Zurückschauen

können wir immer nur bis zu Punkt X.

Natürhch dürfte es auch bei den Urgemeinschaftssprachen bereits

Kontakte gegeben haben. Daher mögen solche Wörter rühren wie

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