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(1)Kaiser, Heer und Gesellschaft in der Römischen Kaiserzeit

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Kaiser, Heer und Gesellschaft in der Römischen Kaiserzeit. Gedenk- schrift für Eric Birley. Hrsg. von Geza Alföldy, Brian Dobson und Werner Eck, Stuttgart: Steiner 2000, 509 S. (.= Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigraphische Studien, 31), DM148,- [ISBN 3-515-07654-9]

Der im Gedenken an Eric Birleys >Lieb- lingsbeschäftigung< mit der römischen Armee konzipierte Sammelband beab- sichtigte eigentlich für die Verhältnisse zwischen Kaiser, Armee und Gesell- schaft »a comprehensive treatment, cov- ering all aspects and all provinces«. Daß dieses ambitionierte Vorhaben schei- terte, räumen die drei Herausgeber im knapp einseitigen Vorwort schon selbst ein. Allerdings benennen sie als Grund lediglich das Fehlen von zugesagten Manuskripten und nicht generelle kon- zeptionelle Mängel. Letztere dominie- ren jedoch das mühsam vier übergrei- fenden Themen subsumierte Konglo- merat aus 25 z.T. von wirklich führen- den Spezialisten für die antiquarische Sachkunde des kaiserzeitlichen Rö- merheeres verfaßten Aufsätzen. Und auch der umfangreiche und auf eine sy- stematische Verwertung ausgelegte In- dex (S. 497-509) macht aus dem Sam- melsurium höchst unterschiedlicher Einzelbetrachtungen keine Synthese.

Was einer Fachzeitschrift angestanden hätte, ist in dieser Präsentationsform nur allzu symptomatisch für die Situa- tion in einigen Bereichen der Alter- tumskunde, in denen zu oft der Mikro- kosmos des historischen Detailfeti- schismus dominiert, wodurch die Inte- gration neuer Forschungsergebnisse behindert wird.

Schon im Abschnitt I »Das Heer im sozialen und wirtschaftlichen Gefüge des Imperium Romanum« (S. 19-189) erweist sich nicht jeder der vier Beiträ-

ge als einschlägig. Lukas de Blois behan- delt republikanische Phänomene und seine Ausführungen zu »Profession- alism and the Role of the Military Mid- dle Cadre« hätten besser zum nächsten Themenabschnitt gepaßt. Geza Alföldy bietet zwar nur einen überarbeiteten Neuabdruck von »Das Heer in der So- zialstruktur des Römischen Kaiserrei- ches«, aber ebenso wie Michael A. Spei- del zu »Sold und Wirtschaftslage der römischen Soldaten« doch einen gene- rellen Überblick, während David ].

Breeze regionale Aspekte von Nach- schubversorgung hinsichtlich der Trans- portfrage betrachtet.

Systematischen Kriterien folgen am ehesten die sechs Beiträge des Ab- schnitts II »Die einzelnen Ranggruppen des Heeres und ihre sozialen Bezie- hungen« (S. 95-189). Anthony R. Birley behandelt in seinem Aufsatz »Senators as Generals« deren Ausbildung und Auswahl für höchste militärische Kom- mandoposten ab der späten Republik.

Segolene Demougin analysiert die Wie- derholung militärischer Karriereab- schnitte (»Iteratio Militiae«). Brian Dob- son verschafft einen guten Uberblick über den absolut exklusiven Offizier- stand der primipilares, denen er bereits sein Standardwerk widmete. John C.

Mann behandelt Einzelheiten der eh- renvollen Entlassung (honesta missio).

Denis B. Saddington stellt - in der Quel- lenkritik methodisch freilich unscharfe - Untersuchungen zu Namensformu- laren frühkaiserzeitlicher Auxiliarsol- daten an. Und Michel Redde konzentriert sich als einziger auf »Les Marins«.

Im umfangreichsten Abschnitt III

»Heer und Gesellschaft in den einzel- nen Teilen des Römischen Reiches«

(S. 191-442) greifen 11 Autoren ver- schiedenartigste Themen auf, als deren einziges - und zugleich unnützes - Ord- nungsprinzip lediglich der Regionalis- mus erkennbar ist. Daß dabei nicht ein-

Militärgeschichtliche Zeitschrift 59 (2000), S. 569-603 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

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mal annähernd alle Provinzen oder Grenzräume erfaßt wurden, ist ange- sichts der jeglicher inhaltlicher Bezüge ledigen Anhäufung von Einzelbetrach- tungen beinahe schon bedeutungslos.

Ohnehin reicht das Spektrum des Re- dundanten vom Rekrutierungsbeitrag der Stadt Rom (Cecilia Ricci) über die Ar- mee in Gholaia (Rene Rebuff at), die Gar- nisonen in Lyon (Frangois Berard), Vete- ranenansiedlungen in Germanien (Mar- garet Roxan), Ägypten (Fritz Mitthof) und Moesia (Miroslava Mirkovic) sowie »Ar- my and Mining« ebendort (Slobodan Dusanic) bis zur Auxiliarverteilung in Oberägypten (Valerie A. Maxfield). En- ger dem Generalthema verhaftet und damit nützlicher sind die Beiträge zur sozialen Rolle des Heeres in Afrika (Yann Le Bohec), Spanien (Patrick Le Roux) und Dalmatien (John }. Wilkes).

Der Abschnitt IV »Varia« (S. 443 bis 496) verzichtet wohltuend auf eine ge- waltsame Rubrizierung und bietet - mit Ausnahme der Quellenstudie von Michael P. Speidel zur spätantiken Auf- stellung von Kavallerieeinheiten (»Who fought in the Front?«) - zur Abwechs- lung für die Althistorie und das Thema zugleich Interessantes: P. John Casey un- tersucht Freigebigkeit und Geldge- schenke von Kaisern; Gabriele Voesch- Klein behandelt den Urlaub von Solda- ten und Werner Eck Denkmäler als »Mo- numente der Virtus«.

Während Le Bohec in seinem Stan- dardwerk »Die römische Armee« 300 Seiten für eine Gesamtdarstellung genügten, kommt dieser Sammelbänd mit seinen 509 Seiten nur in wenigen Ausnahmefällen in die Nähe einer für Alt- und Militärhistoriker gleicher- maßen allgemein nützlichen Zusam- menschau zentraler Forschungsrich- tungen und Ergebnisse zum Gesamt- thema. Anschaffenswert ist dieses Werk daher nicht einmal für althistorische Se- minarbibliotheken.

Peter Kehne

Krieg und Kultur. Die Rezeption von Krieg und Frieden in der Niederländischen Republik und im Deutschen Reich 1568-1648.

Hrsg. von Horst Lademacher und Simon Groenveld, Münster, New York, München, Berlin:

Waxmann 1998,482 S., DM 68,- [ISBN 3-89325-575-3]

Aus der Masse der zum Jubiläumsjahr des Westfälischen Friedens erschiene- nen Werke ragt der Sammelband von Lademacher und Groenveld heraus.

Dies liegt zum einen daran, daß der en- ge, auf die unmittelbaren Jahre des Drei- ßigjährigen Krieges fokussierte Rahmen aufgebrochen und in den größeren, eu- ropaweiten Zusammenhang des Acht- zigjährigen Krieges zwischen Spanien und den Niederlanden integriert wur- de. Zum anderen beschränken sich die Beiträge nicht nur auf die politik- und ereignishistorische oder die sozialge- schichtliche Ebene. Statt dessen werden in einem weiten Bogen auch rechtshi- storische sowie religions- und kultur- geschichtliche Aspekte behandelt.

Schließlich ist ein dritter hervorzuhe- bender Aspekt die dezidiert verglei- chende Perspektive zwischen dem Al- ten Reich und der Republik der Nie- derlande.

Die Beiträge sind auf acht themati- sche Schwerpunkte verteilt. Zunächst werden in den Beiträgen von Johannes Burkhardt und Simon Groenveld die Fa- cetten des Kriegsalltages skizziert. Georg Schmidt und Simon Groenveld disku- tieren unter der Rubrik »Krieg und Na- tion« Begrifflichkeit und Kollektivbil- dung bestimmter Ansätze von Nati- onsbildung im Reich und in den Niederlanden. Die völkerrechtlichen Grundlagen im Werk von Hugo Groti- us und die rechtlichen Rahmenbedin- gungen von Krieg und Frieden im Reich werden von Dieter Janssen und Jörg En- gelbrecht untersucht. Im vierten Schwer-

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punkt, »Toleranz als Möglichkeit«, lo- ten Helmut Gabel und Horst Lademacher Dimension und Ausmaß von Toleranz- denken und die Grenzen der religiösen Duldung aus. Die folgenden drei the- matischen Knotenpunkte umfassen die Rezeption von Krieg und Frieden im Spiegel von Malerei und Graphik, von Literatur und Publizistik sowie von Volkslied und Kunstmusik. Zunächst behandeln Angelika Lorenz und Mecht- hild Beilmann die künstlerische Reflexi- on von Krieg, Gewalt und Frieden an- hand von Gemälden und Graphiken.

Mit sechs Beiträgen bildet der Block »Li- teraten und Publizisten über Krieg und Frieden« den umfangreichsten Schwer- punkt. Mieke B. Smits-Veldt beleuchtet die Friedensfeiern in Amsterdam, Henk Duits thematisiert die publizistischen Tätigkeiten des Amsterdamer »Natio- naldichters« Vondel, Jaconelle Schuffei, Marc Temme und Marijke Spies beschrei- ben die Festzüge und Bühnenstücke in Dordrecht, Haarlem und Amsterdam, Ferdinand van Ingen untersucht quer- schnittartig die zeitgenössische Litera- tur im Reich, Klaus Haberkamm be- leuchtet den Zeitgenossen, Augenzeu- gen und Autor Johann Jacob Christoff von Grimmelshausen und Johannes Arndt fokussiert auf die Perzeption des spanisch-niederländischen Krieges in der deutschsprachigen Publizistik. Un- ter der Rubrik »Volkslied und Kunst- musik« firmieren Klaus Hortschansky und Louis Peter Grijp; ersterer beschreibt Musik und Musikleben im Reich, letz- terer am Beispiel der Lieder der Geu- sen Funktion und Dimension des nie- derländischen politischen Liedes im Achtzigjährigen Krieg. Der letzte The- menschwerpunkt des Bandes umfaßt einen Ausblick auf die Dauerhaftigkeit des Friedens. Helmut Gabel beleuchtet das Alte Reich und die europäische Friedensordnung nach Münster und Osnabrück, Holger Th. Graf fragt nach den Möglichkeiten der Republik der

Niederlande auf dem diplomatischen Parkett im werdenden Mächteeuropa und }ohan Aalbers schließlich diskutiert die Utrechter Perspektive, den Frie- densschluß zwischen den Niederlan- den und Spanien.

Mit seinem interdisziplinären, nicht zuletzt auch der neuen kulturgeschicht- lichen Richtung verpflichteten Zugriff und seiner international vergleichend angelegten Ausrichtung stellt der Sam- melband einen wichtigen Beitrag zum Problemfeld von Krieg und Frieden in der zweiten Hälfte des 16. und der er- sten Hälfte des 17. Jahrhunderts dar.

Ralf Pröve

Konrad Repgen, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede.

Studien und Quellen. Hrsg. von Franz Bosbach und Christoph Kampmann, Paderborn, Mün- chen, Wien, Zürich: Schöningh 1998, XXII, 889 S. (= Rechts- und staatswissenschaftliche Veröf- fentlichungen der Görres-Ge- sellschaft, N.F. 81), DM 178,- [ISBN 3-506-73382-6]

Vorliegende imponierende Aufsatz- sammlung wurde als Festschrift konzi- piert und von zwei Schülern des Autors herausgegeben. Da sich überdies im Jahre 1998 der Westfälische Frieden zum 350. Mal jährte, einem der zentra- len Themenfelder Konrad Repgens, der mit der Herausgabe der »Acta Pacis Westphalicae« die Forschung in ent- scheidender Weise vorangebracht hat, kommt der Wiederauflage der zwischen 1953 und 1997 publizierten Beiträge be- sondere Bedeutung zu. Die dreißig Beiträge, von denen immerhin einige auch Erstveröffentlichungen sind, sind auf fünf Themenschwerpunkte verteilt:

»Historiographie«, »Konfessionalisie- rung und Krise der Reichsverfassung«,

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»Krieg und Friedensverhandlungen«,

»Der Westfälische Friede im Urteil der Zeitgenossen« sowie »Der Westfälische Friede im politischen Rückblick der Ge- genwart«.

Zu den erstmals veröffentlichten Beiträgen zählt etwa der Aufsatz über

»Krieg und Kriegstypen«. Basierend auf den Kriegsmanifesten des Drei- ßigjährigen Krieges stellt Repgen zwölf legitimatorische Leitbegriffe vor; da- bei wird beleuchtet wie am Beispiel der Intervention Gustav Adolfs im Jahre 1630 aus der Kriegstypenbildung neue Fragestellungen und neue Lösungs- möglichkeiten entwickelt wurden. In dem Beitrag »Fabio Chigi und die theo- logische Verurteilung des Westfä- lischen Friedens« wird eine neue Fa- cette der Haltung des Nuntius Chigi untersucht. Der Kölner Nuntius und päpstliche Friedensvermittler gehörte zu den entschiedenen Gegnern eines Friedensschlusses mit kirchlichen Zu- geständnissen. Chigi konnte sich aber mit seinen Vorschlägen gegen die Kurie, die es bei einem Protest beließ, nicht durchsetzen. In dem Abschnitt

»Friedensvermittlung als Element europäischer Politik vom Mittelalter bis zur Gegenwart« wird aufgezeigt, in welchem Ausmaß das Papsttum als Friedensvermittler in Alteuropa über Konfessionsgrenzen hinweg anerkannt war.

Zu den wiederaufgelegten Aufsät- zen zählen neben zahlreichen wichti- gen Detailstudien auch die >Klassiker<, etwa der Beitrag über die Geschichts- schreibung des Dreißigjährigen Krie- ges oder der kompakte Überblicksar- tikel über den Dreißigjährigen Krieg in der Theologischen Realenzyklopä- die.

Mit seiner thematischen Breite stellt der umfassende Band eine der wichti- gen Publikationen im Umfeld des Ju- biläumsjahres dar.

Ralf Pröve

>Barbaren< und >Weiße Teufel·. Kul- turkonflikte und Imperialismus in Asien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Hrsg. von Eva- Maria Auch und Stig Förster, Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh 1997,172 S., DM 29,80 [ISBN 3-506-70402-8]

Noch ein Buch zum »Imperialismus«?

Enthält es neue Informationen zu die- sem Thema? In der Tat ist dies der Fall.

Im vorliegenden Band finden sich sie- ben vergleichende Studien des impe- rialen Prozesses in räumlich weit von- einander liegenden Gebieten, wie etwa jenen in Indien und Sumatra, im Kau- kasus und in Sibirien, China und Japan, sowie zeitlich in weit auseinander lie- genden Zeiträumen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, die jeweils von ganz unterschiedlichen politischen und gei- stigen Strömungen in Europa begleitet und auch gerechtfertigt wurden. Dabei gelingt es den Autoren anschaulich, das jeweilige Vorgehen der europäischen Mächte und ihrer Protagonisten, so et- wa von Handelsgesellschaften wie der East India Companie (EIC) oder der Vereenigte Oost-Indische Compagnie (VOC), von Forschungsreisenden oder Missionaren, in den jeweiligen Teilen Asiens darzustellen.

Aus diesem jeweils Besonderen wird von den beiden Herausgebern al- lerdings bereits in der Einleitung das Gemeinsame so gut herausgearbeitet, daß sich die weitere Lektüre des Buches fast erübrigen würde, wenn nicht die Einzelstudien auf so anschauliche Art und Weise die Wissenschaftlichkeit der Einführung durch gut recherchierte hi- storische Einzelbeispiele veranschauli- chen würden.

Worum ging es also? Im Kern ging es nach Ansicht der Herausgeber den europäischen Mächten zunächst dar- um, durch ungleiche, d.h. einseitig ab- hängige bzw. machtmäßig erzwunge-

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ne, Beziehungen günstige Bedingungen für die eigenen Gewinninteressen zu schaffen und weit entfernte Beschaf- fungs- und Absatzmärkte in das jewei- lige nationale Handelssystem einzube- ziehen. War dies erreicht, war man be- strebt, unter Voranstellung unter- schiedlicher moralischer, religiöser, ethischer oder sicherheitspolitischer Be- gründungen, diese Märkte dann poli- tisch durch die Errichtung einer kolo- nialen und damit direkten Herrschaft abzusichern. Dabei war der Prozeß der imperialen Durchdringung regelmäßig begleitet von Aneignung und Ausbeu- tung, von Unterwerfung und Unter- drückung. Erleichtert wurde dieser Vor- gang teilweise durch Zufall, teilweise aber auch durch bewußtes Ausnutzen unterschiedlicher moralischer, religiö- ser und politischer Wertvorstellungen, das mitunter zur Vernichtung ganzer Kulturen führte. Man denke nur an die Aruak und Kariben sowie die verschie- denen Indio-Reiche in Mittel- und Süd- amerika. Durch gegensätzliche Erwar- tungshaltungen bedingte Fehlinterpre- tationen, Fehleinschätzungen und Fehl- verhalten prägten daher die imperiale Expansion während dieser ganzen Zeiträume, die mitunter lediglich Über- vorteilung, im Extremfall aber auch Krieg und Massaker zur Folge haben konnten. Dabei bezogen sich diese Er- wartungshaltungen auf so unter- schiedliche Vorstellungen, wie über den Warenaustausch, die Organisation und den Wert von Arbeit, über politische Strukturen und Hierarchien, über ge- sellschaftliche und religiöse Tabu-Be- reiche sowie über die Funktion von Ver- trägen, über den Kauf von Grund und Boden usw. Einher gingen diese Er- wartungshaltungen mit den kulturell unterschiedlich ausgeprägten Begriffen wie primitiv und zivilisiert, faul und fleißig, sittenlos und sittsam, gewalt- tätig und friedfertig, hinterhältig und verlogen, offen und ehrlich, dreckig und

sauber, gläubig und ungläubig, wild und barbarisch u.a.m., woraus sich dann nahezu von allein die Schlußfol- gerung ergab, daß unter den Umstän- den der Unvereinbarkeit der sozialen und kulturellen Systeme eine Gleich- berechtigung mit diesen jeweiligen Ein- heimischen erstens nicht erwünscht sein könnte und zweitens auch nicht mög- lich sei, so daß ein weiteres politisches und militärisches Vordringen zur Auf- rechterhaltung und Sicherung des Frie- dens gewissermaßen unerläßlich sei.

Diese Vorgänge und Mechanismen in der Früh- und Hochphase des Impe- rialismus bewußt und anschaulich ge- macht zu haben, ist das große Verdienst dieser Arbeit und lohnt daher eine Lek- türe dieses Werkes.

Jürgen Heuchling

Gerhard Thiele, Gneisenau. Leben und Werk des Königlich-Preußi- schen Generalfeldmarschalls. Ei- ne Chronik, Potsdam: Verl. für Berlin-Brandenburg 1999, VIII, 301 S. (= Brandenburgische Hi- storische Studien, 7), DM 49,- [ISBN 3-932981-55-3]

In dem vorliegenden Band werden Le- ben und Werk Gneisenaus anhand sei- ner Denkschriften sowie seiner dienst- lichen und privaten Korrespondenz in Form eines Kalendariums fortlaufend dokumentiert. Dementsprechend bil- den Gneisenaus Selbstzeugnisse sowie die Äußerungen von Zeitgenossen den Grundstock dieser von Thiele erarbei- teten Chronologie. Die Texte des Bear- beiters beschränken sich darauf, dort, wo es nötig ist, das dargestellte Ge- schehen einzuordnen und zu erläutern.

Auf diese Weise erhält der Leser Hin- tergrundinformationen, die es ihm er- möglichen, Gneisenaus Sicht der Din- ge besser zu verstehen bzw. nach voll-

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ziehen zu können - leider gibt es keine entsprechenden Erläuterungen zu den handelnden bzw. erwähnten Personen.

Die Arbeit selbst gliedert sich in fol- gende Teile: I. Von Schildau nach Kol- berg (1760 bis 1807), II. Von Kolberg nach Großgörschen (1807 bis 1813), III.

Von Großgörschen nach Waterloo (1813 bis 1815) und IV. Von Waterloo nach Po- sen (1815 bis 1831). Entsprechend der Uberlieferung fallen die einzelnen Tei- le unterschiedlich aus: Während der er- ste mit 26 Seiten den geringsten Um- fang aufweist, umfassen die übrigen zwischen 72 und 82 Seiten. Die zentra- len militärischen Ereignisse betreffen im ersten Teil die Schlacht von Jena und die Verteidigung Kolbergs, im zweiten die Arbeit der Militär-Reorganisations- kommission, die Vorbereitung des Krie- ges gegen Frankreich sowie den Beginn der militärischen Operationen, im drit- ten die einzelnen Phasen des Befrei- ungskrieges bis zum Epilog der Hun- dert Tage und der Schlacht von Water- loo und im vierten das Generalkom- mando am Niederrhein.

Für den Leser, der sich in der Mate- rie auskennt, ist die Lektüre dieses Ban- des - vor allem im Hinblick auf Gnei- senaus Kommentare zu entscheidenden Stationen der preußischen Politik im er- sten Drittel des 19. Jahrhunderts - von großem Interesse. Allerdings sind die Äußerungen Gneisenaus und die sei- nes dienstlichen und privaten Umfelds nicht das »Unzweifelhafte«, wie der Be- arbeiter in seiner Einleitung schreibt, und erschließen sich dementsprechend auch nicht von selbst, sondern bedür- fen zu ihrer Aneignung interpretatori- scher Bemühungen. Nichtsdestotrotz hat Thiele mit dieser Textsammlung ein instruktives Arbeitsmittel vorgelegt und darüber hinaus grundlegende Materia- lien für eine moderne Biographie Gnei- senaus, die nach wie vor ein Desiderat der Forschung ist, bereitgestellt.

Heinz Stübig

Karl-Heinz Frieser, Ardennen - Sedan. Militärhistorischer Füh- rer durch eine europäische Schicksalslandschaft. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen For- schungsamt, Frankfurt a.M., Bonn: Report Verl. 2000, DM 54,- [ISBN 3-932385-08-X]

Frieser erläutert in seiner Einleitung, er habe in seinem Buch »Blitzkrieg-Le- gende« (Der Westfeldzug 1940.2. Aufl., München 1996) darstellen wollen, »wie es geschehen ist«, während es in der vorliegenden Arbeit darum gehe, »wo es geschehen ist« (S. 3). Diese Erklärung ist nicht ganz überzeugend, weil das

»Wie« des Westfeldzuges ohne genaue Ortsangaben kaum hätte veranschau- licht werden können. Der Autor hat al- lerdings in dem vorliegenden Buch den

»Vormarsch der 1. Panzerdivision durch die Ardennen« (10. bis 12. Mai 1940) und den »Durchbruch des Panzerkorps Guderian bei Sedan« im Sinne einer mi- litärhistorischen Geländebesprechung aufbereitet. Und das ist ihm beispielhaft gelungen. Der militärhistorische Füh- rer ist so angelegt, daß die Benutzer (an- gesprochen sind vor allem Truppen- offiziere des Heeres) eigenständig Ex- kursionen nach Sedan organisieren und durchführen können.

In einer glänzend geschriebenen Ein- führung wird das sagenumwobene Ar- dennengebiet kulturell, geographisch und historisch vorgestellt. Dabei kommt gut heraus, daß die Region seit der Tei- lung des Karolingischen Reiches bis heu- te zu einer schwer abgrenzbaren »Grau- zone zwischen germanischen und ro- manischen Volksgruppen« wurde, die zugleich die »tektonische Bruchstelle«

zwischen französischen und deutschen Interessen gewesen ist (S. 12). Die Ge- gend sei deshalb immer wieder durch Krieg erschüttert worden. Sedan wird als Einfallstor nach Frankreich beschrie- ben und so wird nicht nur ersichtlich,

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weshalb die Stadt zur weitläufigsten Festung Europas ausgebaut wurde, son- dern auch der Beiname Luxemburgs als

»Gibraltar des Nordens« und der Bel- giens als »Schlachtfeld Europas« werden verständlich gemacht. Das Schicksal Se- dans als terre d'epreuve 1870 (»Cannae des 19. Jahrhunderts«) und während des Er- sten Weltkrieges wird ebenfalls erläutert.

Für die Durchführung der Exkursi- on schlägt der Verfasser zwei aufeinan- der folgende Routen vor. In der Route A wird anhand von neun Ubersichts- punkten der Vorstoß der 1. Panzerdivi- sion durch Luxemburg, Belgien und Frankreich bis zur Maas dargestellt. Es werden praktische Hinweise gegeben, wie die Ubersichtspunkte am zweck- mäßigsten erreicht und wo Fahrzeuge abgestellt werden können. Außerdem werden - wie auch bei der Route Β - oft alternative Besprechungspunkte ange- geben und Möglichkeiten genannt, wie das Programm ggf. gestrafft werden kann. Von jedem Ubersichtspunkt aus wird das Gelände präzise beschrieben und zwar in der Form, wie sie bei mi- litärischen Geländebesprechungen von den Teilnehmern verlangt wird. Es folgt dann fast detailbesessen die Beschrei- bung des historischen Verlaufs.

Der Übersichtspunkt 9 bei Illy be- findet sich in der Nähe des Feldherrn- hügels, von wo aus General von Molt- ke die Kesselschlacht um Sedan am 1. September 1870 geleitet hat. Frieser hat in diesem Zusammenhang Vorge- schichte und Verlauf des Deutsch-Fran- zösischen Krieges mustergültig zusam- mengefaßt. Von demselben Übersichts- punkt aus wird der Vorstoß der 1. Pan- zerdivision zur Maas beschrieben.

Die Route Β bezieht sich auf den Durchbruch des Panzerkorps Guderian und umfaßt elf weitere Übersichtspunk- te. Auf dem Übersichtspunkt 21 stellt der Verfasser den deutschen Angriff auf die Maashöhen im August 1914 dar und zeigt daran die Parallelen zu 1940 auf.

Frieser bewertet die Ereignisse ab- schnittsweise unter militärischen Ge- sichtspunkten, vermeidet aber jeden ap- plikatorischen Bezug auf moderne Führungsvorschriften.

Das Buch enthält zahlreiche Hin- weise auf sonstige Sehenswürdigkeiten, Museen, Denkmäler, Anschriften, Über- nachtungsmöglichkeiten, Restaurants usw. (vor allem Dritter Teil: »Hinweise für die Durchführung«),

Im Epilog geht der Autor auch auf die Ardennenoffensive 1944 ein, die er als »den Tiefpunkt der deutschen ope- rativen Führungskunst im Zweiten Weltkrieg« bezeichnet (S. 309).

Das Buch ist mit ausgezeichneten Karten, Kartenskizzen, Bildern und Übersichten ausgestattet. Der Autor hat zweckmäßigerweise auf Anmerkungen weitgehend verzichtet; in der Regel sind nur Zitate belegt.

Wer Friesers »Blitzkrieg-Legende«

gut kennt, wird auf einzelne bekannte Passagen stoßen. Das war sicherlich un- vermeidlich. Hätte sich der Autor auf die Geländebeschreibung beschränkt und ansonsten auf sein früheres Buch verwiesen, wäre das Resultat unbefrie- digend ausgefallen, weil bei einer Geländebesprechung das Hantieren mit zwei Büchern höchst unpraktisch ist.

Hans-Martin Ottmer

Klaus Lübbe, Deutsche Unifor- men und Seitengewehre 1841-1945 = German Uniforms and Bayonets 1841-1945. 676 Abb. von Soldaten mit ihren Sei- tengewehren, Hamburg: Nie- mann 1999, 161 S„ DM 4 8 - [ISBN 3-934001-01-7]

Peter Schuster, Harald Tiede, Die Uniformen und Abzeichen der Kosaken in der deutschen Wehr- macht, Norderstedt: Patzwall

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1999,156 S. (= Uniform und Aus- rüstung deutscher Streitkräfte, Bd 7), DM 98,- [ISBN 3-931533- 42-5]

Jean Höidal, Deutsche Erken- nungsmarken des Zweiten Welt- krieges. Eine Einführung für In- teressenten und Sammler, Nor- derstedt: Patzwall 1999, 251 S.

(= Uniform und Ausrüstung deutscher Streitkräfte, Bd 8), DM89 - [ISBN 3-931533-40-9]

Klaus Lübbe stellt in seinem Buch auf 676 Fotoabbildungen deutsche Unifor- men und Seitengewehre des 19. und 20.

Jahrhunderts in ihren vielfältigen For- men vor; es ist als Ergänzung seines Preiskatalogs »Deutsche Seitengewehre und Bajonette 1740-1945« gedacht.

Der mit deutschen und englischen Erläuterungen versehene Ergänzungs- band zeigt nicht nur die vorschrifts- mäßigen Seitengewehre des Heeres und der Flotte, später auch der Luftwaffe, sondern auch verschiedene zum Ein- satz gekommene Sonderformen und Beutewaffen. Gleichzeitig werden mit den Uniformen und Kopfbedeckungen auch andere Ausrüstungsstücke sowie Waffen gezeigt. Besonderheiten bei der Uniformierung bzw. bei den Seiten- waffen werden durch Detailaufnahmen hervorgehoben und so dem interessier- ten Betrachter zusätzlich nahegebracht.

Insgesamt hat hier der Autor eine gute und übersichtliche Vorstellung der Uni- formen und Seitengewehre deutscher Streitkräfte für den obengenannten Zeit- abschnitt vorgelegt. Fachkundige Bera- ter, wie Major a.D. H.R. von Stein, die diese Zeit z.T. aus eigener Anschauung kannten, unterstützten ihn bei dieser si- cher nicht leichten Aufgabe der Identi- fizierung und Zuordnung der Fotos.

Trotzdem waren kleine Fehler bzw. un- korrekte Bezeichnungen offenbar nicht auszuschließen, z.B. auf S. 45: »Schieß-

schnur« statt »Schützenabzeichen«;

S.49: »Infanterieschießpreis« statt »Kai- serpreis für Infanterie«; S. 82: »Ser- geant« statt »Gefreiter«.

Vorgestellt werden aber auch ein belgischer Soldat mit deutscher Be- waffnung (S. 147) und im weiteren Po- lizeiangehörige der Weimarer und der NS-Zeit.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß das Bildmaterial viele Situationen des Soldatenlebens umfaßt und somit dem Betrachter und Sammler einen gu- ten Einblick in verschiedene Bereiche des militärischen Alltags ermöglicht, ebenso kann es zur Identifizierung ei- gener Sammlungsobjekte herangezogen werden.

Im Band 7 der Reihe »Uniform und Ausrüstung deutscher Streitkräfte« stel- len Peter Schuster und Harald Tiede die Uniformen, Abzeichen, Fahnen, Stan- darten und Kommandozeichen der Ko- saken in der deutschen Wehrmacht vor.

So werden in vielen farbigen Abbil- dungen die Zeichen der 1. Kosaken-Ka- vallerie-Division, des XV. Kosaken-Ka- vallerie-Korps und verschiedener an- derer Kosaken-Formationen ebenso dargestellt wie Waffen, Ausrüstungen und Auszeichnungen - darunter viele Originalstücke. Das tragische Schicksal dieser Menschen wird von den Auto- ren nur am Rande vermerkt und auf an- dere Werke und Autoren verwiesen.

Hier gibt besonders die umfangreiche Fotosammlung Einblicke in das Leben, die Ausbildung und den Einsatz der Kosaken für ihre relativ kurze Dienst- zeit in der deutschen Wehrmacht, die hier nach mehr als einem halben Jahr- hundert dokumentiert wird. Die weni- gen erhaltenen Porträts (22) des be- kannten Kriegsmalers Olaf Jordan zei- gen die malerischen Gestalten der Ko- saken sowie zwei ihrer deutschen Vorgesetzten - so u.a. den Generalleut- nant von Pannwitz, er wurde nach Kriegsende 1945 von den Briten eben-

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so wie unzählige Kosaken mit ihren Fa- milien an die Sowjets ausgeliefert und dort im Januar 1947 hingerichtet. Erst 1996 wurden sie rehabilitiert.

Das Buch stellt für alle, die sich für die Militärgeschichte dieses Zeitab- schnittes und für die Geschichte der Ko- saken interessieren, ein informatives und gut recherchiertes Werk dar.

Im Band 8 der Reihe »Uniform und Ausrüstung deutscher Streitkräfte« be- schäftigt sich der Autor Jean Höidal mit den Erkennungsmarken deutscher Truppen, deren Hilfsverbände.und Son- derformationen während des Zweiten Weltkrieges. Im Vorwort wird auf die ersten Versuche der Einführung von Er- kennungsmarken während des ameri- kanischen Bürgerkrieges von 1862 ver- wiesen, die bei den Soldaten auf starke Ablehnung stießen. Die preußische Ar- mee soll 1866 im Krieg gegen Österreich diese bereits teilweise verwandt haben.

An dieser Stelle erläutert Höidal auch die Bedeutung der Erkennungsmarke für den Träger (z.B. Soldat), wie auch gegebenenfalls für die Hinterbliebenen und auch für den potentiellen Samm- ler. Ebenfalls werden die verwendeten Materialien genannt und viele Beispie- le historischer Erkennungsmarken vor- gestellt; so u.a. Erkennungsmarken aus der Zeit des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71, wo bereits die preußischen und bayrischen Truppen mit Erkennungsmarken ausgerüstet waren. Weitere Beispiele aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, der Reichswehr bis hin zum Hauptthema des Buches, dem Zweiten Weltkrieg werden ange- führt. Hier werden sowohl alle Berei- che der Streitkräfte, wie auch Ostein- heiten, Hiwis bis hin zu Kriegsgefan- genen erfaßt.

Im weiteren Abschnitten geht der Autor auf spezifische Fragen des Sam- melgebietes, wie Codierungen, Fäl- schungen und Preisentwicklung, ein.

Für alle, die sich mit dieser Thematik

der Militaria-Sammlung beschäftigen, kann das Buch sehr hilfreich sein und zu neuen Erkenntnissen verhelfen.

Heinz Ruppert

Constantin von Hanneken, Briefe aus China 1879-1886. Als deut- scher Offizier im Reich der Mit- te. Hrsg. von Rainer Falkenberg, Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1998, VIII, 390 S., DM 78,- [ISBN 3-412-04698-1]

China, das Reich der Mitte, der Ferne Osten. Ein Hauch von Exotik schwingt beim Klang dieser Worte immer noch mit, wenngleich der »Sohn des Him- mels« das bevölkerungsreichste Land der Erde nicht mehr regiert und Hong- kong wie auch Macao nicht mehr län- ger Vorposten des Westens sind. Wie exotisch und interessant aber muß die- ses Land vor über hundert Jahren für einen deutschen Offizier gewesen sein, dessen Karriere in der preußischen Ar- mee zum Mißfallen seines Vaters, des preußischen Generals Bernhard C.A.H.

von Hanneken, aus nicht ganz durch- sichtigen und zweifelhaften Gründen gescheitert war, der als Leutnant seinen Abschied nahm, bei der Infanterie und Artillerie gedient und dann bis zu sei- ner Abreise nach China etwa eineinhalb Jahre Sprachen und Ingenieurwissen- schaften studiert hatte. So war für Con- stantin von Hanneken China nicht nur ein reizvolles, exotisches Land, sondern der letzte Strohhalm, nach dem er grei- fen mußte, um nach den Maßstäben der Zeit und seines Standes doch noch ei- ne reputierliche Laufbahn einschlagen zu können.

Durch eine private Vermittlung wurde Hanneken Militärberater bei Li Hongzhang. Jener hatte sich bei der Nie- derschlagung des sogenannten Taiping- Aufstandes, der China an den Rand der

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inneren Auflösung brachte, ausgezeich- net und stieg in der Folgezeit zum Vi- zekönig und Gouverneur in der Provinz Zhili sowie Befehlshaber der dortigen Truppen auf - mithin im China jener Zeit eine bedeutende und einflußreiche Per- sönlichkeit. Anläßlich eines Deutsch- land-Besuches traf Li Hongzhang im Jahre 1896 mit Bismarck zusammen.

Betrachtet man Hannekens Wirken in China zwischen den Jahren 1879 und 1895 in der Vorzeit des sogenann ten Boxer-Aufstandes sowie der kolonialen Landnahme imperialer Mächte in Port Arthur, Hongkong und Tsingtau, dem deutschen Flottenstützpunkt, sollte man nicht nur seine Leistung als militärischer Berater und Modernisierer berück- sichtigen, sondern auch den Schriftver- kehr mit seiner Familie, in dem sich ei- ne Vielzahl interessanter brieflicher Schil- derungen findet über die damaligen Ver- hältnisse in Land, Politik und Armee, über die zahlreichen dort vertretenen Handelsgesellschaften in den Konzes- sionsgebieten, über militärische und po- litische Berater der großen Mächte, über die Politik dieser Mächte - namentlich Frankreich, Rußland, Japan und Groß- britannien - in Asien sowie geopoliti- sche und geostrategische Reflexionen.

Darüber hinaus berühren die Briefe seine eigentliche berufliche Tätigkeit.

Hannekens Aufgabe bestand vor allem in der Inspektion der Festungen und Artillerieverbände, daneben war er be- faßt mit Fragen der allgemeinen Aus- bildung der Truppen sowie der Anlage von Küstenbefestigungen, wie zum Bei- spiel in Port Arthur, wo er zeitweilig die Funktion des Kommandanten versah, in Dalian-wan sowie in Weihaiwei an der östlichen Küste der Shandong-Halb- insel. Als im chinesisch-japanischen Krieg der Jahre 1894/95 Hanneken um- ständehalber das Kommando über die chinesische Flotte übernahm, gelang es ihm sogar, der japanischen Flotte in ei- ner Seeschlacht vor der Yalu-Mündung

eine erste Niederlage beizubringen. Sei- ne anerkannte Tüchtigkeit und die außergewöhnliche Ausführung seiner Aufgaben ermöglichten Hanneken in jenen Jahren einen ebenso außerge- wöhnlichen Aufstieg.

Festgehalten werden die Gescheh- nisse der Jahre 1879 bis 1886 in 124 Brie- fen aus der privaten Korrespondenz Constantins von Hanneken, die neben der Schilderung und Beschreibung der oben angeführten Themen ganz neben- her auch eine lesenswerte Beschreibung des politischen Zeitgeistes in Deutsch- land beinhalten, der gar nicht so bin- nenbezogen und weltfremd war, wie heute viele noch meinen. Mangels einer Karte von China und seines geopoliti- schen Umfeldes lassen sich die räumli- chen Bezüge wie auch die geopoliti- schen Gedankengänge allerdings nur schwer verfolgen.

Ein Anhang über die Umstände der Entlassung Hannekens aus dem preußi- schen Militärdienst, von ihm verfaßte Berichte über die Zustände in der nord- chinesischen Flotte sowie über das Scheitern des Organisationsplanes für die Bildung einer kaiserlich-chinesi- schen Armee ergänzen die brieflichen Schilderungen. Einige wenige Photo- graphien aus dem Familienbesitz er-:

leichtern die bildliche Vorstellung des Gelesenen, das eine nützliche Ergän- zung zu jenen Büchern darstellt, die sich mit der China-Politik des Deutschen Reiches ab 1871 bis zum Ersten Welt- krieg befassen.

Jürgen Heuchling

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Andre Wessels, Die militere Rol van swart Mense, bruin Mense en Indiers tydens die Anglo-Bo- ere-Oorlog (1899-1902), Bloem- fontein: Oorlogsmuseum van die Boererepublieke 1998, 46 S., 48 Rand [ISBN 1-874979-07-3]

Der Burenkrieg, auch als Südafrikani- scher oder Anglo-Burenkrieg bekannt, wurde lange Zeit als »Krieg des weißen Mannes« betrachtet. Tatsächlich haben von 1899 bis 1902 die Briten und die Bu- ren über die Vorherrschaft im strate- gisch bedeutsamen und ökonomisch vielversprechenden Land am Kap er- bittert gekämpft. Dutzende Bücher sind mit mehr oder minder, ausführlichen Abhandlungen über den Krieg ge- schrieben worden. Vor allem die Anzahl der Kriegserinnerungen von europäi- schen Teilnehmern am Burenkrieg ist sehr groß.

Kaum eine der älteren Arbeiten ist indes auf die Rolle der afrikanischen Be- völkerung im Burenkrieg eingegangen.

Erwähnenswert fand man lediglich die Tatsache, daß Schwarzafrikaner von beiden kriegführenden Seiten als Kund- schafter und Kuriere eingesetzt worden waren. In den meisten autobiographi- schen Aufzeichnungen finden die

»schwarzen Boys« bestenfalls Erwäh- nung. Seit Peter Warwick (Black People and the South African War 1899-1902, Cambridge et al. 1983) auf die eigen- ständige Rolle der Afrikaner im Buren- krieg hingewiesen hat, sind einige wei- tere sehr bedeutsame Arbeiten zur The- matik erschienen.

Die Resultate dieser Untersuchun- gen, kombiniert mit eigenen For- schungsergebnissen, hat nunmehr der Burenkrieg-Spezialist Andre Wessels komprimiert zusammengefaßt. Erst- mals wird nicht nur die Rolle der Afrikaner in dem britisch-burischen Konflikt untersucht, sondern es wer- den auch die Aktivitäten der indisch-

stämmigen Südafrikaner sowie die der Mischlingsbevölkerung berück- sichtigt.

Wenngleich ein tieferes Eingehen auf konkrete Ereignisse und Prozesse im und um den Burenkrieg nicht vor- gesehen war, stellt die vorliegende Bro- schüre einen wichtigen Beitrag für die allumfassende Erforschung des Buren- krieges dar. Sie markiert den Stand mi- litärgeschichtlicher Forschungsarbeit in Südafrika. Es ist bedauerlich, daß die Publikation nicht in englischer Sprache vorliegt.

Gegliedert ist die Arbeit in zehn Ka- pitel, wobei nur zwei davon weiter un- tergliedert sind. Hier werden die Fra- gen über den Anteil der schwarzafri- kanischen und Mischlingsbevölkerung am Kriegsgeschehen in den Reihen der britischen Kolonialarmee sowie der bu- rischen Kommandos gestellt und kennt- nisreich beantwortet. Vor allem die Tat- sache, daß auch Afrikaner auf Seiten der Buren gekämpft haben, zählt zu den bislang am wenigsten bekannten Fak- ten des Krieges.

Ein besonderes Kapitel ist den

»Greueltaten« des Krieges gewidmet.

Diese hatten seinerzeit schon die euro- päische Öffentlichkeit aufgeschreckt.

Daß Wessels auf deren Reaktionen so- wie auf die politischen Interaktionen zwischen den »europäischen« oder

»weißen« Kriegsparteien nur recht pauschal eingeht, ist verständlich. Es zeigt sich jedoch, daß es auch zukünf- tig noch genügend Themen für For- schungen zum Burenkrieg geben wird.

Dem hat übrigens kürzlich auch die Regierung der Republik Südafrika in der Verabschiedung einer Initiative in bezug auf Südafrikas Vergangenheit und nationales Erbe Rechnung getra- gen. Einen Schwerpunkt der verschie- denen regierungsoffiziellen Vorhaben sollen die Forschungen zum Buren- krieg bilden.

Ulrich van der Heyden

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Claude Fröhle, Hans-Jürgen Kühn, Hochseefestung Helgoland. Ei- ne militärgeschichtliche Ent- deckungsreise. Τ. 1:1891-1922, Herbolzheim: Fröhle-Kühn Ver- lagsges. 1998, 80 S„ DM 25,- [ISBN 3-9805415-1-7],

T. 2: 1934-1947, Herbolzheim:

Fröhle-Kühn Verlagsges. 1999, 112 S., DM 29,50 [ISBN 3- 9805415-2-5]

Wer heute »Helgoland« sagt, meint zoll- freien Einkauf, vielleicht noch Sand- strand auf der Düne, jedenfalls eine Form von Urlaub. Der kulturgeschicht- lich Interessierte denkt vielleicht an Hoffmann von Fallersleben und das Deutschlandlied. Solche Gedanken wa- ren es freilich nicht, die 1890 das Deut- sche Reich bewogen, die rote Insel im Tausch gegen ein wichtiges Stück Kolo- nialterritoriums von Großbritannien zu erwerben. Vielmehr empfand man ein in britischem Besitz befindliches Hel- goland als eine strategische Bedrohung des Reiches und seiner beabsichtigten Seerüstung unter Kaiser Wilhelm II.

Umgekehrt konnte ein deutsches (preußisches) Helgoland eine unsink- bare Defensivstellung zur Verteidigung der Deutschen Bucht abgeben, und zu diesem Zweck wurde die Insel schon bald schwer befestigt. Das Interesse der beiden vorliegenden schmalen Bände liegt in diesen Befestigungen; die see- strategischen Fragen, die sich mit der Insel verbinden, dienen lediglich als Hintergrund, vor dem »Untertrete- räume«, Geschützbatterien und Hohl- gänge die Hauptrollen spielen.

Fröhle und Kühn haben in aufwen- diger Kleinarbeit Karten, Skizzen und Fotos zusammengetragen, die sie jetzt geschickt und gut kommentiert vor dem Leser ausbreiten. Die Bauarbeiten bis in den Ersten Weltkrieg hinein, die wenigen Kampfhandlungen, in die die Festung verwickelt wird, aber auch die

Entfestigung aufgrund der Bestim- mungen des Versailler Vertrages - alles das findet sich sauber dargestellt. Im zweiten Teil beschreiben die beiden Au- toren, wie das Dritte Reich die Insel er- neut - und unter teil weiser Nutzung der noch vorhandenen Anlagen - mi- litärisch ausbaut. Allerdings liegt der Schwerpunkt jetzt zunächst auf der Flugabwehr, denn für die sich ständig intensivierenden Bombenangriffe auf das Reichsgebiet dient Helgoland als willkommener Orientierungspunkt. So werden sogar die schweren 30,5-cm-Ka- nonen zum Kampf gegen Bomber ein- gesetzt, und nicht einmal erfolglos.

Fröhle und Kühn ist es gelungen, mit General a.D. Altenburg einen ehemali- gen Marinehelfer auf Helgoland zu ei- nem Vorwort zu gewinnen, in dem der frühere Generalinspekteur und Vor- sitzende des Militärausschusses der NATO das beisteuert, was dem an Be- ton und Stahlplatten orientierten Buch etwas abgeht: das Gefühl für das Am- biente und die menschliche Dimension der Kriegführung jener Jahre.

General Altenburg weist auch zu recht darauf hin, daß sich stationäre Be- festigungsanlagen fast immer als unter- legen gegenüber einer beweglichen Kampfführung gezeigt haben. Die Tra- gik der Insel Helgoland ist es, daß die unzähligen kostspieligen Befestigungen nie eine kriegsentscheidende Rolle ge- spielt haben, und daß sie dennoch die Insel an den Rand des Untergangs brach- ten. Fröhles und Kühns gelungenes zweiteiliges Werk schließt mit einer Schil- derung der Operation »Big Bang«, des britischen Versuchs also, die Insel mit der größten konventionellen Detonation der Geschichte völlig von der Landkarte ver- schwinden zu lassen. Wie bekannt, ge- lang das nicht, so daß heute wieder der Name »Helgoland« vor allem mit zoll- freiem Einkauf und Sandstrand auf der Düne assoziiert werden darf.

Winfried Heinemann

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William D. Godsey, Jr., Aristocrat- ic Redoubt. The Austro-Hun- garian Foreign Office on the Eve of the First World War, West Lafayette, Ind.: Purdue Univer- sity Press 1999,304 S., $ 15 [ISBN 1-55753-140-4]

Die Außenpolitik Österreich-Ungarns vor dem Ersten Weltkrieg ist schon oft untersucht worden, was aber bislang gefehlt hat, war eine Monographie über die Diplomaten des Habsburgerreichs am Vorabend des Krieges. Godsey schließt diese Lücke mit seiner Studie über die höheren Beamten im Außen- ministerium am Ballhausplatz und in den diplomatischen Vertretungen, die zwischen 1906 und 1914 dem auswär- tigen Dienst Österreich-Ungarns an- gehörten. Für diese Gruppe von rund 250 Beamten, die unter den beiden Außenministern Aehrenthal und Berchtold im Dienst standen, hat God- sey die Personalakten ausgewertet und um zusätzliches publiziertes und un- veröffentlichtes Quellenmaterial er- gänzt, insbesondere Erinnerungen und Nachlässe. Sehr überzeugend stellt Godsey auf dieser Basis heraus, wie massiv die Dominanz des Adels im aus- wärtigen Dienst bis zum Ende der Do- naumonarchie geblieben ist. Besonders im Vergleich zum Offizierkorps fällt ins Auge, wie groß der Anteil der Hoch- aristokraten war und wie viele ungari- sche Adelige sich in den Reihen des aus- wärtigen Dienstes befanden. Nationale Differenzen spielten aber innerhalb der sozial besonders exklusiven Diploma- tenkreise keine wesentliche Rolle. Daß eine solche Elite etwa dem serbischen Nationalismus mit einiger Fassungslo- sigkeit gegenüberstehen mußte, ist zwar richtig (S. 204—206), aber ob ein ge- naueres Bild von den nationalen und sozialen Gegenkräften, die das Habs- burgerreich bedrohten, zu einem bes- seren Krisenmanagement oder gar zu

größerer Friedfertigkeit geführt hätte, darf bezweifelt werden. Ein direkter Schluß von der Sozialgeschichte der Di- plomaten auf die außenpolitischen Wei- chenstellungen 1914 ist, wie Godsey selbst bemerkt (S. 204), ohnehin nicht möglich. Das kompakte, aber zugleich sehr anschaulich geschriebene Buch bie- tet jedenfalls ein verläßliches Funda- ment mentalitätsgeschichtlicher Studi- en und ist zugleich ein wichtiger Bau- stein für eine umfassende Geschichte des auswärtigen Dienstes der Doppel- monarchie, die leider noch auf sich war- ten läßt.

Günther Kronenbitter

Heinz van der Loan, Erinnerungen an Tsingtau. Die Erlebnisse eines deutschen Freiwilligen aus dem Krieg in Ostasien 1914. Hrsg.

von Rolf-Harald Wippich, Tokio:

Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens (OAG) 1999,125 S. (= OAG Ta- schenbuch, 75) [ISBN 4-87238- 014-2] Vertrieb in Deutschland durch Iudicium Verlag, Mün- chen

Der Traum von einem »deutschen Hongkong« währte nur kurz. Am 15. August 1914 stellte die japanische Regierung dem Deutschen Reich ein Ultimatum und forderte die Übergabe des erst 1897 erworbenen »Pachtge- biets« Kiautschou, was von deutscher Seite natürlich abgelehnt wurde. Acht Tage später erklärte Japan Deutschland den Krieg und begann mit einer Blockade der Kiautschou-Bucht. Bis An- fang Oktober wurden rund 40 000 ja- panische Soldaten vor der deutschen Kolonie zusammengezogen. Großbri- tannien beteiligte sich mit 1500 zumeist indischen Soldaten an der Belagerung.

Die Besatzung Kiautschous dagegen be-

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stand bei Ausbruch des Krieges aus 2850 Marineinfanteristen. Durch Ma- trosen der im Hafen ankernden Schif- fe, Reservisten und den Gesandtschafts- wachen aus Peking und Tientsin er- höhte sich ihre Zahl bald auf rund 4700.

Im Gegensatz zu den übrigen deut- schen Kolonien waren in Kiautschou auch schwere Artillerie und Befesti- gungen vorhanden.

Am 25. September überschritten die ersten japanischen Einheiten die Gren- ze der Kolonie und drangen langsam bis zur »Festung« Tsingtau (Qingdao) vor. Gut einen Monat später, am 31. Ok- tober, begann der Angriff auf die Stadt.

Erst nach einwöchigen Kämpfen gelang es den japanischen Truppen in der Nacht vom 6. auf den 7. November, die deutschen Verteidigungsstellungen zu durchbrechen. Übergabeverhandlun- gen wurden eingeleitet, die mit der deutschen Kapitulation endeten. Die Verluste auf beiden Seiten waren be- trächtlich. Deutschland hatte etwa 200 Tote und rund 300 Verwundete zu be- klagen, Japan 415 Tote und über 1400 Verwundete. Mit der Eroberung Kiaut- schous und der Besetzung der deut- schen Inseln im Pazifik war Japans ak- tiver militärischer Beitrag im Ersten Weltkrieg so gut wie beendet. Im Ver- trag von Versailles wurde Kiautschou 1919 Japan zugesprochen, das es aber schon drei Jahre später auf amerikani- schen Druck an China zurückgeben mußte.

An den Kämpfen um Kiautschou hatte sich auch der deutsche »Freiwil- lige« Heinz van der Laan beteiligt. Der 1894 in Ostfriesland geborene Laan war 1913 nach Abschluß seiner Banklehre nach Japan gegangen, wo er für eine deutsche Firma arbeitete. Dort erreich- te ihn am 2. August 1914 der Befehl, daß sich alle in China und Japan wohnhaf- ten dienstfähigen Deutschen sofort in Tsingtau zu melden hätten. Per Schiff und Bahn machte sich van der Laan auf

den Weg in die Kolonie, wo er am 14.

eintraf. Er kam zur 6. Kompanie des III. Seebataillons, die größtenteils aus militärisch unerfahrenen Beamten und Kaufleuten zusammengesetzt war. An- fangs vor allem zu Wachdiensten und Bauarbeiten eingesetzt, nahm die Ein- heit später auch an Kämpfen teil. Am 7. November geriet van der Laan in ja- panische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1919 entlassen wurde. Heinz van der Laan kehrte nach Deutschland zurück und fand eine Anstellung bei der Yokohama Specie Bank in Ham- burg. In Deutschland hielt es ihn aber nicht lange. Bereits 1921 zog es ihn wie- der nach Japan. Dort ist er auch 1964 nach längerer Krankheit gestorben.

Laan verfaßte seine Erinnerungen im Dezember 1917 im Kriegsgefange- nenlager Bando. Nicht alles beruht auf eigenen Erlebnissen, auch Zeitungs- meldungen und amtliche Berichte läßt er einfließen. Um die Quelle möglichst authentisch zu präsentieren, behielt der Herausgeber, der an der Sophia-Uni- versität in Tokio lehrende Historiker Rolf-Harald Wippich, die damalige Interpunktion und Orthographie weit- gehend bei. Den Erinnerungen voran- gestellt ist eine kurze informative Darstellung der deutschen Ambitionen in China und der Kämpfe um die Kolonie, die es dem Leser ermöglichen, die von Laan geschilderten Erlebnisse historisch einzuordnen. Abgerundet wird das interessante Buch durch zahl- reiche Fotos aus dem Besitz van der Laans.

Thomas Morlang

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Gustave LeBon, Psychology of the Great War. The First World War and Its Origins. With a new in- troduction by Martha Hanna and a new foreword by Irving Louis Horowitz, New Bruns- wick, London: Transactin Pub- lishers 1998, XXXV, 480 S., $29.95 [ISBN 0-7658-0479-4]

Mit seiner 1915 fertiggestellten Psy- chologie des Großen Krieges reihte sich der französische Sozialwissenschaft- ler und Philosoph Gustave LeBon (1841-1931) in die Phalanx französi- scher Intellektueller ein, die wie in al- len beteiligten Staaten nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit publizi- stischem Eifer die Kriegführung des eigenen Landes durch den Rückgriff auf kulturelle Werte und Traditionen zu legitimieren bemüht waren. In sei- nem Beitrag griff der Autor vor allem auf sozialpsychologische Erklärungs- und Deutungsmuster zurück, die er insbesondere in seinem Werk Psycho- logie des Foules (1895) entworfen hatte und die ihn zum Begründer der Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten Massenpsychologie werden ließen.

Dem übergreifenden Konsens einer intellektuellen Union Sacree verpflichtet, zweifelte auch LeBon nicht daran, daß sich die französische Nation in einem aufgezwungenen Ver- teidigungskrieg befand. Von den vor- herrschenden Interpretationslinien wich LeBons Analyse jedoch ab: So in- terpretierte er beispielsweise die deut- sche Kriegs- bzw. Kriegszielpolitik nicht als Ergebnis eines dem hegemo- nialen Großmachtstreben verpflichte- ten rationalen Kalküls oder als Folge einer auf philosophischer Hybris be- gründeten aggressiven Kulturmission.

Im Zentrum der Überlegungen LeBons standen statt dessen irratio- nale Faktoren, die seiner Meinung nach sowohl das individuelle als auch

das kollektive Verhalten beeinflußten.

Die Wirkungsmächtigkeit von Ideolo- gien und kollektiven Glaubenslehren unterdrückte die Ratio im Handeln von Massen sowie der darin aufge- henden Einzelpersonen. Der >Aufruf an die Kulturwelt< vom Oktober 1914, von maßgeblichen deutschen Intellek- tuellen im Wechselspiel zwischen sub- jektiver Überzeugung von der Gerech- tigkeit der eigenen Sache und der In- strumentalisierung durch den amtli- chen Propagandaapparat verfaßt, war nicht nur ein unerschöpflicher Ge- genstand französischer Polemik und Propaganda, sondern schien darüber hinaus die Gültigkeit von LeBons An- nahmen zu bestätigen, wurden hier doch wissenschaftliches Ethos und bisherige politische Glaubenssätze scheinbar urplötzlich negiert. Zwei weitere Topoi, auf die sich die verba- len und schriftstellerischen Kriegsan- strengungen französischer Intellektu- eller fokussierten, galten dem Autor als Belege für die Richtigkeit seines theoretischen Konstrukts von tief in die kollektive Psyche eingegrabenen spezifisch nationalen Charaktereigen- schaften. Im Zerrbild dieses intellek- tuellen Nationalismus spiegelte die patriotische Geschlossenheit und Wi- derstandskraft der französischen Nation, die vor dem Hintergrund der von gesellschaftspolitischen Zerwürf- nissen erschütterten Dritten Republik im Mythos der Union Sacree ihre Ent- sprechung fand, die >positiven Cha- rakterzüge< des französischen Volkes wider. Im Gegensatz dazu offenbarten die aus einer komplizierten Gemen- gelage von Franktireurparanoia und Kampfstreß, aber auch sozialdarwini- stischen Vorprägungen heraus verüb- ten sogenannten atrocites allemandes während des deutschen Vormarsches durch Belgien und bei der Besetzung Nordfrankreichs den für LeBon bar- barischen und wilden > teutonischen <

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Volkscharakter, der sich nun unge- hemmt von zivilisatorischen Schran- ken ausleben konnte.

Kulturgeschichtliche Untersu- chungen des Ersten Weltkrieges strei- chen die Bedeutung irrationaler Er- wartungen heraus, die durch den Krieg entweder katalysiert oder her- vorgerufen wurden. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, erscheint das Werk LeBons als der frühe Versuch einer Analyse jener Dimension, die eine Ursache für die neue, totale Qua- lität dieses Krieges war. Darüber hin- aus ist der Beitrag des Sozialwissen- schaftlers im Rahmen der sinnstiften- den Versuche der Bildungseliten in ihrem >Krieg der Kulturen< von einem weiteren Interesse; enthält dieser doch theoretische Reflexionen, die nicht nur auf nationale Vorurteile zurückzu- führen waren, sondern auch Grund- muster einer gesellschaftspolitischen Orientierung widerspiegelten. In ihrer wissenschaftlichen Einführung weist Martha Hanna darauf hin, daß den früheren Arbeiten des Autors die An- erkennung durch die wissenschaftli- che Zunft weitgehend versagt worden war. In Verbindung mit einer kultur- pessimistischen Ablehnung sowohl des aufkommenden Zeitalters der Massengesellschaft als auch der erstarkenden politischen Kraft des Sozialismus entwickelte LeBon eine Frontstellung gegen das akademische Establishment und dessen kosmopo- litische, rationale und säkulare Prä- gung. Seine unverhohlene Forderung nach einer rechtskonservativen kultu- rellen Neuorientierung (S. 467) rief zu- dem die tiefe Spaltung der französi- schen Intellektuellen in Erinnerung, die seit dem August 1914 durch die dünne Tünche der Union Sacree über- deckt wurde. Der >Krieg der Kulturen<

endete nicht mit dem Waffenstillstand des Jahres 1918. Die Geschlossenheit der Bildungselite löste sich jedoch

schnell wieder auf in die gegensätz- lichen kulturellen Milieus der Vor- kriegszeit. Was in der Dreyfusaffäre paradigmatisch zum Ausdruck ge- kommen war, vertiefte sich nach Hanna (The Mobilization of Intellect, 1996, S. 241 f.) zu einer kulturellen Ent- wicklung, deren Tiefpunkt Vichy 1940 symbolisierte.

Andreas Kunz

Pazifistische Offiziere in Deutsch- land 1871-1933. Hrsg. von Wolf- ram Wette unter Mitw. von Helmut Donat, Bremen: Donat 1999,431 S. (= Schriftenreihe Ge- schichte & Frieden, 10), DM29,80 [ISBN 3-931737-85-3]

In der Geschichtswissenschaft geht es nicht immer darum, nur den »Main- stream« zu erfassen; gerade die Außen- seiter verdienen Beachtung als Sym- ptom für das Ganze, als noch nicht ver- wirklichte Alternativen, als Ehrenret- tung von ganzen Organisationen. Was etwa für den Widerstand um den 20. Ju- li 1944 im Vergleich zur ganzen Wehr- macht gilt, mag auch für diesen Sam- melband gelten: Nur wenige der Zehn- tausende von Offizieren des Kaiser- reichs und der Weimarer Republik wurden Pazifisten. Gerade dieser Wan- del kann dazu dienen, Motivationen für Pazifismus bei Menschen festzustellen, die von Herkunft und Beruf dazu nicht prädestiniert erschienen.

Wolfram Wette hat ein Team von etablierten Historikern, aber auch von Nachwuchswissenschaftlern gewon- nen, die insgesamt 17 Biographien die- ser Kategorie erarbeitet haben. »Rein machtpolitisch betrachtet vermochten die wenigen pazifistischen Offiziere ge- gen den geschichtsmächtigen Strom der jüngeren deutschen Geschichte nicht sehr viel auszurichten. In ihm spielten

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sie eher die Rolle von Außenseitern. Sie blieben mit ihren Warnungen seinerzeit

>Rufer in der Wüste«< (S. 11). Gemein- samkeiten dieser Gruppe gab es weni- ge. Manche entstammten dem Kreis um Friedrich Wilhelm Foerster und bemüh- ten sich um nüchterne Analyse ihrer vormaligen Schicht oder »Kaste«. Wich- tig war vor allem das Kriegserlebnis im Ersten Weltkrieg, auch wenn nur weni- ge von einem »Damaskus-Erlebnis« ge- prägt wurden wie etwa Paul Freiherr von Schoenaich durch die Flucht des Kaisers 1918. Weltoffenheit spielte bei vielen dieser Offiziere eine Rolle, die sie über den Rahmen des kaiserlichen Mi- litärbetriebs hinausgelangen ließ - so etwa bei den Marineoffizieren Hans Paasche, Lothar Persius oder Heinz Kraschutzki. Aber auch ganz andere Auslandserfahrungen wie etwa der Ein- satz für den Pferderennsport bei Kurt von Tepper-Laski oder der Einsatz in Kolonialkriegen wie bei Berthold von Deimling konnten den Ausschlag ge- ben, sich dem Pazifismus zuzuwenden.

Wichtig für die Biographien war es zumeist, daß die Offiziere in ihrem bis- herigen Umfeld auf Widerspruch, ja Achtung stießen und von daher gründ- licher nachdachten und sich dann vom gemäßigten zu einem radikalen Pazi- fismus hin entwickeln konnten. Nicht bei allen der untersuchten »Konverti- ten« blieb das pazifistische Engagement stabil. Einige suchten oder fanden er- neut losen Kontakt zum Establishment.

Viele der pazifistischen Offiziere teilten das Schicksal anderer Außenseiter- gruppen; sie wurden in der NS-Zeit ver- folgt. Einige überlebten den Zweiten Weltkrieg und engagierten sich dann erneut in der Friedensbewegung.

Die Karrieren von Außenseitern sind oft sehr spärlich dokumentiert.

Fast alle publizierten immerhin reich- lich. Persönliche Zeugnisse standen in öffentlichen Archiven nur sehr wenig zur Verfügung. Vieles geht auf die

Sammlung des engagierten Pazifisten und Verlegers Helmut Donat zurück.

Der Band befleißigt sich der Spurensu- che und vermag so vielfach nur Schnei- sen zu schlagen und gleichsam Ehren- rettungen von sonst vergessenen Per- sonen zu bringen. Die Gründe für die Konversion, die - wie auch immer zu definierende - militärische Berufsauf- fassung oder »militaristische Gesin- nung« der Anfänge, das Kriegsbild, die Deutung des Staatensystems, der Zweckmäßigkeit oder Uberholtheit von Krieg läßt sich in vielen Fällen nicht deutlich ausmachen. Sie ist auch nicht der Schwerpunkt dieses Bandes. Gleich- sam als Ergänzung zu dem hier be- sprochenen Band läßt sich eine andere Veröffentlichung heranziehen, die die- sen Fragen größeren Spielraum widmet - oft von denselben Autoren über dieselben Personen: Militarismus in Deutschland 1871-1945, hrsg. von Wolf- ram Wette, Münster 1999 (= Jahrbuch für Historische Friedensforschung, 8).

Jost Dülffer

Christiane Scheidemann, Ulrich Graf Brockdorff-Rantzau (1869 bis 1928). Eine politische Biogra- phie, Frankfurt a.M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien:

Lang 1998,778 S. (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Ge- schichte und ihre Hilfswissen- schaften, 788), DM 168,- [ISBN 3-631-32880-X]

Endlich liegt eine umfassende Studie zu Ulrich Graf Brockdorff-Rantzau vor.

Brockdorff-Rantzau war eine schillern- de Persönlichkeit im diplomatischen Dienst des Kaiserreiches und der Wei- marer Republik. Nach seiner Aufnah- me in das diplomatische Corps 1897 be- kleidete er nacheinander die Stellung eines Botschaftssekretärs, Botschaftsra-

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tes und Generalkonsuls an den kaiser- lichen Botschaften in St.^Petersburg, Wien bzw. Budapest, bevor er 1912 Kai- serlicher Gesandter in Kopenhagen wurde. Dieses war sein erstes wichtiges Amt, das er bis zum Kriegsende 1918 innehatte. Danach zum Staatssekretär des Auswärtigen Amtes und wenig später in der ersten Regierung der Wei- marer Republik zum Außenminister be- rufen, leitete er die deutsche Delegation bei den Friedensverhandlungen in Ver- sailles. Nach der Annahme des Frie- densvertrages, dessen Unterzeichnung er nicht verhindern konnte, und noch vor dem Rücktritt der Regierung Schei- demann verabschiedete sich Brockdorff- Rantzau aus dem Staatsdienst. Ein drei- jähriges Intermezzo als Privatmann en- dete 1922, als er gegen anfänglichen Wi- derstand des Militärs, namentlich Hans von Seeckts, zum ersten Botschafter in Moskau ernannt wurde. Diese Berufung war auf das gute persönliche, ja fast freundschaftliche Verhältnis Brockdorff- Rantzaus zum Reichspräsidenten Fried- rich Ebert zurückzuführen. Bis zu sei- nem Tode leitete er die Botschaft in der Sowjetunion. Damit befand er sich an einer außenpolitischen Wirkungsstätte, die wie keine andere zu dieser Zeit mit nach Deutschland hinein wirkendem Terrorismus, verbotener Militärpolitik und Intrigen innerhalb der deutschen Regierung zu tun hatte; gleichzeitig bot sie mehr außenpolitischen Handlungs- spielraum für einen Botschafter des be- siegten Deutschland als alle anderen deutschen diplomatischen Vertretun- gen im Ausland.

Diesen Spannungsbogen würdigt die Autorin einleitend mit einer Skiz- ze zur Familiengeschichte und zur persönlichen Entwicklung Brockdorff- Rantzaus bis zu dessen Eintritt in den diplomatischen Dienst. Dabei stören sachliche Fehler und Ungereimtheiten die Lektüre: Die Schilderung des Ver- hältnisses von Brockdorff-Rantzau

zum Militär wird mit Vermutungen zu seinem Militärdienst eingeleitet.

Unter anderem wird sein »Uni- formkoller« (S. 55) betont, dessen Ursprünge werden aber nicht erläu- tert. Außerdem war Friedrich von Holstein nie Staatssekretär des Aus- wärtigen Amtes (vgl. S. 70). Ärgerlich wird es jedoch dann, wenn die Auto- rin den zugegeben aristokratischen Grafen mit einer Terminologie über- zieht, die den »Junkern« und »feu- dalaristokratischen« Diplomaten den Kampf ansagt. Dies zieht sich durch das ganze Buch.

Abgesehen von diesen Ärgernissen, die von großem Unverständnis beson- ders gegenüber dem Militär zeugen, enthält die vorliegende Arbeit wichti- ge Informationen zum diplomatischen bzw. außenpolitischen Wirken Brock- dorff-Rantzaus während des Ersten Weltkrieges und der Weimarer Repu- blik. Sein Lebensweg und seine diplo- matischen Tätigkeiten werden mit an- schaulichen Bezügen zu Persönlichkei- ten des diplomatischen Dienstes des Kaiserreiches skizziert, die Eulenburgs und Wedels, auch Bülows und Alven- lebens kommen umfassend zu Wort, al- lerdings oftmals nur anhand der Nach- laßakten und nicht mit Hilfe veröffent- lichter Quellen. Kennt die Autorin die

»Große Politik« nicht?

Brockdorff-Rantzaus Tätigkeit als Gesandter in Kopenhagen ab 1912 war von zentraler Bedeutung für seine wei- tere Laufbahn, sie war der erste Höhe- punkt seiner Karriere und bot ihm viel- fältige Möglichkeiten. Denn der kleine und neutrale Staat Dänemark war während des Ersten Weltkrieges, eine wichtige Schalts teile diplomatischer Ak- tivitäten, zumal sich hier Kontakte zu den Botschaften der alliierten Kriegs- gegner ergaben und die Geheimdienste der Mittel- und Ententemächte sich ge- genseitig beschatteten (S. 150). Brock- dorff-Rantzau, angespornt von Gel-

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tungssucht und übertriebenem Ehrgeiz, konnte denn auch im neutralen Däne- mark mehr bewegen, als nur Depeschen zu überbringen. Hier traf man eben den Kriegsgegner und konnte schon einmal die Bedingungen für den so oder so fol- genden Frieden sondieren (S. 254).

Mit dem Friedensvertrag von Ver- sailles verbindet sich in besonderer Wei- se das persönliche und politische Schicksal Brockdorff-Rantzaus. Als vor- maliger Leiter der deutschen Delega- tion bei den Friedensverhandlungen mußte er sich nach der Unterzeichnung des »Schanddiktates« von der politi- schen Rechten heftige Angriffe gefallen lassen. Andererseits standen politisch Verantwortliche, hier sind von der Au- torin vermutlich die »Erfüllungspoliti- ker« gemeint, seinen außenpolitischen Vorstellungen ablehnend gegenüber.

Dabei ist festzuhalten, daß Brockdorff- Rantzau vor dem Waffenstillstand we- der friedensbehindernd noch kriegs- verlängernd gewirkt hat (S. 351) und gerade aus diesem Grunde für die neu- en - vorläufigen - Machthaber ein ak- zeptabler Außenminister bzw. Staats- sekretär gewesen sein soll. Wichtig ist jedoch: für den Aristokraten Brockdorff- Rantzau war die Abdankung des Kai- sers eine Voraussetzung für den Über- gang zum zwingend notwendigen Frie- den und zum Abschluß des Krieges.

Die Niederlage habe Deutschland selbst zu verantworten, und zum Waffenstill- stand sei man eben aus freien Stücken - angesichts der drohenden Katastrophe des Besetzung Deutschlands - gekom- men (S. 356 f.). Konsequent diente der Graf dann den neuen Machthabern loy- al und engagiert, bis die Friedensver- handlungen allen Hoffnungen auf eine in absehbarer Zeit wieder zu errei- chende Großmachtstellung die Grund- lage entzogen. Er resignierte und trat als Außenminister noch vor der Unter- zeichnung des Versailler Vertrages zurück (S. 506-509).

Brockdorff-Rantzau sah sich, und dies wird in der vorliegenden Arbeit deutlich, unabhängig von der jeweili- gen Staatsform und gerade nach dem verlorenen Krieg, dem deutschen Groß- macht· und Hegemonialstreben ver- pflichtet. Zur Erreichung dieses Zieles war für den Aristokraten die Zusam- menarbeit mit der Sowjetunion nur ein Mittel zum Zweck. Seine diplomatische Tätigkeit in Moskau (ab S. 549) muß vor diesem Hintergrund und vor allem un- ter Berücksichtigung der von ihm für unverzichtbar bewerteten bilateralen Wirtschaftsbeziehungen verstanden werden (S. 543).

Ob Brockdorff-Rantzau jedoch nach 1918 zu einem »Vernunftrepublikaner«

wurde (vgl. S. 712), muß angesichts sei- ner politischen Grundüberzeugungen, wie sie die Autorin charakterisiert (S. 714-716), bezweifelt werden. Außer- dem bleibt die Frage unbeantwortet, was denn überhaupt ein Vemunftrepu- blikaner war; der Begriff ist doch eher ein Schlagwort zur Bezeichnung von Persönlichkeiten der Weimarer Zeit, die sich nach altem Weltmachtdenken zurücksehnten und die Demokratie in- nerlich verabscheuten.

Trotz aller Vorzüge ist die vorlie- gende Arbeit keine einfache Lektüre.

Der Umfang dieses Opus m a g n u m wirkt nicht einladend (knapp 800 Sei- ten!). Die umständliche Art der Dar- stellung überzeugt nicht: erst werden die Grundzüge der jeweiligen Epoche und ihrer Außenpolitik erläutert, und dann wird Brockdorff-Rantzau mit sei- ner Sicht der Dinge dort hinein piaziert, wobei wichtige Aspekte nicht ausrei- chend in die Untersuchung einbezogen werden.

Dies gilt leider besonders für Brock- dorff-Rantzaus Moskauer Zeit und sein Verhältnis zum Militär. Allein seine Be- ziehungen zur Reichswehr hätten eine intensivere Beachtung verdient. Schon der Weg zur Berufung als Botschafter

(20)

war mit anfangs unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen Seeckt und Brockdorff-Rantzau gepflastert, die erst durch Reichspräsident Ebert und den Reichsgerichtspräsidenten und vorma- ligen Außenminister Simons aus dem Weg geräumt werden konnten. Der Reichswehrminister war dazu nicht fähig und wohl auch nicht willig. Wo- her dieser Widerstand kam, wird aber in der vorliegenden Arbeit nur an- gedeutet. Es bleibt eine offene Frage, w a r u m Biographien zu Reichswehr- minister Gessler, General von Seeckt und vor allem die jüngsten Werke zur deutsch-sowjetischen Militärkoopera- tion von der Autorin nicht berücksich- tigt wurden.

Heiner Möllers

Parteien im Wandel. V o m K a i s e r - reich zur Weimarer Republik.

Rekrutierung - Qualifizierung - Karrieren. Hrsg. von Dieter Do- we, Jürgen Kocka und Heinrich August Winkler, München: Ol- denbourg 1999,410 S. (= Schrif- tenreihe der Stiftung Reichsprä- sident-Friedrich-Ebert-Gedenk- stätte, 7), DM 68,- [ISBN 3-486- 56433-1]

Den Anfang bildet ein Widerspruch:

Das lange 19. Jahrhundert wurde mit dem Ersten Weltkrieg beendet. Das gilt für die Geschichte der Verfassung im weitesten Sinne und für die Geschichte der Parteien. Allerdings trifft ebenso zu, daß es die berühmte Stunde Null nie- mals gab und daß die Republik noch an den Relikten der Kaiserzeit krankte.

Wieder stellt sich die zentrale, die Ge- schichte durchziehende Frage: Wieviel Kontinuität, wieviel Diskontinuität hat es gegeben? Das ist das zentrale Anlie- gen, mit dem sich der vorliegende Sam- melband beschäftigt.

Unter der Überschrift Rekrutierung, Qualifizierung, Karrieren in Deutsch- land werden im ersten Teil des Bandes Liberale und Konservative ins Visier ge- nommen. Dabei geht es selbstredend nicht u m Parteiengeschichte im enge- ren Sinne, es geht um Vernetzung von Partei und Presse, um Parteisekretäre (im Linksliberalismus), um die Ent- wicklung von der Nationalliberalen Partei zur Deutschen Volkspartei. In ei- nem methodisch-inhaltlich weit aus- greifenden Schritt werden die Parteien in ihrem Neubeginn unter übergeord- neten Gesichtspunkten wie Struktur (Multifunktionäre), Elitenbildung (Par- teieliten), Parteiführungen sowie Par- teikarrieren untersucht.

Der zweite Teil des Buches lenkt den Blick ins Ausland. Politische Elite und Expertenelite in Diskurs und Politik der französischen liberal-demokratischen Mitte 1890 bis 1940 sind Thema eines Beitrages, ein anderer stellt den Ver- gleich preußischer und englischer Ver- hältnisse in den Vordergrund, Italien und Deutschland werden durch die Fra- ge nach Politikern und Beamten vereint, last but not least werden die amerika- nischen Parteien betrachtet: Was alles waren sie, Gegenbild, Vorbild und/oder Schreckbild? Weit gestreute Themen.

Klar war und ist: (Neue) Parteien fie- len nicht vom Himmel, das galt sowohl für Programme als auch für Mitglieder und Führungsspitzen. Abstrahiert man diese Feststellung, dann stellt sich die wichtige Frage, wie die politische Klas- se die Abdankung des Kaisers wahr- nahm und wie sie inhaltlich, politisch und organisatorisch den Übergang vom Kaiserreich zur Republik vollzog. Eine fundamentale Voraussetzung für die Funktionstüchtigkeit der jungen Demo- kratie war, daß die Abgeordneten im ganzen ihre Aufgabe in der Kontrolle der Regierung und ihres Apparats wahr- nahmen. Taten sie das? Oder dienten sie eher Parteiinteressen und Karriereab-

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