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Quaderer, Rupert (2016): „Jesus Maria – ich habe einen Schuss bekommen“. Ein tragisches Wildererschicksal auf Bargälla-Kulm (1874). In: Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein (Hg.): Jahrbuch des Historischen Vereins, Bd. 115. Vaduz: Verlag d

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Aktie "Quaderer, Rupert (2016): „Jesus Maria – ich habe einen Schuss bekommen“. Ein tragisches Wildererschicksal auf Bargälla-Kulm (1874). In: Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein (Hg.): Jahrbuch des Historischen Vereins, Bd. 115. Vaduz: Verlag d"

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(1)

Inhalt

10 Vorbemerkung

10

-

Jagdregal in Liechtenstein

11 JagdunfallaufBargälla 1874

11

-

Wasereignetesich am 14.Oktober 1874auf Bargälla?

14 Die BeurteilungdesVorfalls durch die Gerichtsinstanzen 14

-

DieGerichtorganisation in Liechtenstein

15

-

Fallbehandlung durch dasLandgericht 19

-

EntscheidederweiterenGerichtsinstanzen 26 Politische Querelen undZeitungsfehden 29 Oral History:Mythen, Legenden und Fakten 31 Schlussbemerkung

31 Dank

9

(2)

Vorbemerkung

Am14.Oktober1874kamesauf Bargälla1(Gemeindege¬

biet Triesenberg) zu einem tragischen Unglücksfall: Der fürstlicheJagdaufseher erschoss einenWilddieb. Dieses EreignisbewirkteinderBevölkerung Liechtensteinsund darüber hinaus breites AufsehenundlöstehitzigeEmo¬

tionenaus.

Dieses Vorkommnis ist bis heute ineinem Teil der Bevölkerung Triesenbergs inlebhafter Erinnerung ge¬

blieben. Vorallem bei der älteren Generation derNach¬

kommen derbeteiligten Familienhat sich der tragische Todesfallindermündlichen Überlieferungerhalten.

DerVorfallhatteseinerzeiteineintensive gerichtliche Untersuchung zur Folge. Der umfangreiche Akten¬

bestandimLiechtensteinischenLandesarchivermöglicht einen detaillierten Einblickin diejuristische Aufarbei¬

tungdiesesFalles.

Aus geschichtstheoretischer Sicht ist es aufschluss¬

reich,diegerichtlicheBeurteilungdiesesEreignissesmit jener der mündlichen Überlieferung der betroffenen Familien zu vergleichen.

In der vorliegenden Arbeit werden zum einen die Umstände desTathergangs erläutert:Wiekames dazu, dass einfürstlicher Forstadjunkt, derunteranderem als

Wildhüter eingesetzt war, einenWilderer aus Triesen¬

bergerschoss?Waskann über diebeteiligtenPersonen

-

Opfer, TäterundandereBetroffene

-

ausgesagtwerden?

ZumanderenwerdenAntwortenauf vieleFragenge¬

sucht, welche dieGerichte beschäftigten. Wieging das Gericht vor,um den Tathergang zu klären? WelcheEx¬

perten zogdasGerichtbei?Welche Zeugenwurdenein¬

vernommen, wie wurden deren Aussagen bewertet?

Wieist dieTatjuristischeinzuordnen?

Einenweiteren Aspektstellt der Gang durch dieGe¬

richtsinstanzen dar. Welche Instanzen hatten sichmit dem Fall zubefassen?Wiebeurteilten die verschiedenen Gerichte dieTat?WelchenEinfluss übtedasAppellations¬

gerichtinWienaus?

AmBeispiel diesesVorfallssollauchgezeigtwerden, wiedie liechtensteinischen Gerichte damals organisiert waren, wie sie zurUrteilsfindung kamen, und welche MöglichkeitenKlägernundAngeklagten offenstanden.

Ergänzendzu dendurch die Gerichts aktengewonne¬

nen Feststellungen werden dieindenbeteiligten Fami¬

lienmündlich überliefertenVersionen des Tathergangs aufgenommen.DamitwirddieFrageverknüpft, wiege¬

schichtliche Erkenntnissegewonnenwerdenundwelche

Schwierigkeiten bei derSuchenachder sicherenGewiss¬

heit dieser Erkenntnisse entstehen können.

Jagdregal in Liechtenstein

DasJagdrechtwarinLiechtensteinseitaltersher einlan¬

desherrliches Recht.2 DasWaldamtübtedieses Rechtin eigenerRegieaus.31848tratderFürstdasJagdregaldem Landeab. Das Regierungsamt verpachtetenundieJagd anPrivate. Dabei wurden «die Niederjagdendes Ober¬

und Unterlandes an interessierte Bürger verpachtet, während die ganze Hochjagdpachtweise dem Fürsten überlassenwurde«.4Dieser bezahlte dafüreinenPacht- schilling.

Das erste Jagdgesetz trat 1872 in Kraft.5 Anlass für

dieses Gesetz waren die «geänderten Rechtsanschau¬

ungen über die Strafbarkeit des ungerechtfertigten

Jagens«.6Dieses Gesetz definierte dieJagdinLiechten¬

steinalsein Landesregal; die Regierung verpachtetedas Jagdrechtbezirksweise.7Wilderei wurdemitGeldbussen odermit Arrestbestraft: «Wer anOrten, wo zu jagener nichtberechtigt ist, dieJagdausübt,wirdmiteinerGeld¬

bussebiszu50fl.undimFallederZahlungsunfähigkeit mit Arrestbiszu 1Monat bestraft.«8

GewerbsmässigeWilderei wurdemitArrestvon zwei bisvierMonaten bestraft.9

InderLandtagsdiskussionzumGesetzesentwurfgab dieRegierung dieErklärungab,

«dass das Jagdpersonale beim Zusammentreffen mit Wilderern nur im Falle der Nothioehrvon der Waffe Ge¬

brauchmachen dürfe.»10

(3)

Was

ereignete

sich am 14.

Oktober

1874

auf

Bargälla?

Tathergang

Diezwei Triesenberger Ferdinand Sele, 45 Jahre alt, verheiratetundVater von fünf Kindern, bereitsmehr¬

fachwegenWilddiebstahls verurteilt, und XaverBeck, 23 Jahre alt, ledig, verabredeten sich am 13. Oktober

1874, einem Dienstag, am nächstenTag«aufGemsjagd«

zu gehen.11 Da sie erfahren hatten, dass der fürstliche Forstadjunkt und Jagdaufseher Johann Hartmann12,

34Jahrealt,ledig, nach Guschg13gegangensei,beschlos¬

sen sie «ins Garselle«14zu gehen. Sie machten sich am 14. Oktober morgensum 3Uhr, mitStutzenbewaffnet, auf denWeg. SiekamenumetwaneunUhrimPlankner Garselli an. Amfrühen Nachmittag erlegtensiein die¬

semfürstlichenJagdgebiet zwei Gämsen, weidetensie aus, bandensieanden Läufen zusammenundmachten sichmit ihnenbeladenauf den Rückweg. Gegensieben Uhrabends kamen sieauf den Bargällasattel. DenZeit¬

punkthatten siefestgestellt, weilsie den Eisenbahnzug vomBahnhofSevelenhörten.Eswarbereits dunkel.

Hartmannbefand sicham14. OktoberimValorsch.15 Erhörte dortGewehrschüsse vomGarsälli her. Er ver¬

mutete, dass diese Schüsse von Triesenberger Wild¬

dieben abgefeuertwordenwaren.UmdieWilddiebeauf ihrem Heimweg nach Triesenberg abzufangen, begab sichHartmann zumKulmvonBargällaund«legte sich hinter einigen aus dem Boden hervorragenden Fels¬

stückenniederund hieltVerpass«.16

Als die zwei Wildschützen hintereinander gehend denKulmvon Bargälla erreichtenundaufsechs Schritte anHartmannherankamen, erhobsichdieserhinterdem Felsstück«den Stutzen andierechteHüftegedrückt, den Doppellaufabwärts gegen die Erde gerichtet«und rief den Wildschützen zu: «Halt, ihr Spitzbuben!«17Diese reagierten raschund «machten blitzschnell halbrechts um und flohenmit Sack und Packden westlichenAb¬

hanghinunter demGebüsch zu«.18Hartmannliefihnen nochmals «Halt!«rufendnachundfeuerte, «wieer sagt, einen Schreckschuss gegen den Boden ab«.19 «Der Schreckschuss war aberein Treffschuss geworden«, der denWildschützen XaverBecktödlichtraf.20

Hartmann hatte gemäss seiner Aussage nicht be¬

merkt, dass er den einen der Wildschützen getroffen hatte. Ersuchteden Platzab,fandeinederGämsen, die

Historischer VereinfürdasFürstentumLiechtenstein,Jahrbuch Band 115,2016

ermitsich nach Hausenahm,woerungefährum21Uhr ankam.

Ferdinand Sele, der Xaver Beck aufschreien hörte, habediesen «lautächzendundstöhnend«angetroffen.21 Beck habenurnochsagenkönnen, erseiimBrustkasten getroffen worden. Nach einer dreiviertel Stunde habe Beckkeine Lebenszeichenmehr vonsich gegeben, und

Selehabesichdaraufhinnach Hausebegeben.

Soweit stellt sichder Sachverhaltgemäss demBerat¬

schlagungsprotokolldesGerichtsdar.

1 Bargälla: Triesenberger Alp beidseits des Alpakulm, rheintal- seits nördlich von Silum, und östlich von Gaflei, saminatalseits zwischen denAlpenSückaund Garsälligelegen. Siehe:Stricker, Namenbuch,Band2,S.23-24.

2 SiehedazuGustavWilhelm:DasJagdgebietder Herren von Sulz und Brandis. In:JBL,Band38.Vaduz, 1938,S.95-106.

3 Siehedazu Ospelt, Wirtschaftsgeschichte,S.225.

4 RudolfRheinberger:Dr. med.WilhelmSchlegelArztundPoliti¬

ker1828bis1900.In:JBL,Band91.Vaduz,1992,S.167-206,hier

S.190.

5 Jagdgesetzvom 3. Oktober 1872. LGBLJg. 1872, Nr. 3.

-

Vgl.

Schädler,Landtag,S.170.

6 Schädler,Landtag,S.170.

7 LGBL1872/3,§1und§2.

8 Ebenda,§ 13.

9 Ebenda,§ 14.

10 Schädler,Landtag,S.171.

11 DieDarstellungdiesesAblaufs stütztsichaufdasZeugenverhör mitFerdinandSelevom19.Oktober1874unddas«Berathschla- gungsprotokoll»desLandgerichtsvom5.November1874.Siehe LILAJ003/S1874/107,Nr.4undNr.13.Zu FerdinandSeleund Franz Xaver Beck siehe: Familienchronik der Walsergemeinde Triesenberg1650-1984.Zusammengestelltvon Engelbert Bücher und hrsg. von der Gemeinde Triesenberg.9Bände.Triesenberg, 1986-1988.Band3,S.11und Band7,S.160.

12 JohannBaptistHartmann (1840-1909),Bürgervon Vaduz.Siehe Vaduzer Familienchronik. 9Bände. Red. Mathias Ospelt, hrsg.

von der Gemeinde Vaduz. Vaduz,2002,Band2,S.126.

13 Guschg:SchaanerAlpamFussedesSchönbergs. Siehe: Stricker, Namenbuch,Band2,S.553-555.

14 Gemeint istdas Plankner Garsälli im Saminatal. Siehe Stricker, Namenbuch,Band3,S.33-34.

15 Valorsch: Alpengebiet am Schönberg. Siehe: Stricker, Namen¬

buch, Band2,S.701-702.

16 LILAJ003/S1874/107,Nr.13,Berathschlagungsprotokoll,5.No¬

vember1874.

17 Ebenda.

18 Ebenda.

19 Ebenda.

20 Ebenda.

21 Ebenda.

(4)

Unklarheiten undWidersprüche überden Tathergang Bei denfolgendengerichtlichen Untersuchungen des

Vorfalls stellte sich heraus, dass über den Tathergang einige Unklarheiten und Widersprüche bestanden. Im Folgendenwerdendeshalb dievon den Beteiligten, den Zeugenundvon den Gerichten aufgeworfenenStellung¬

nahmen, Fragenund widersprüchlichenAnsichten dar¬

gestellt. Zudem werdendie Legendenund Mythen der Familienüberlieferungenmiteinbezogen.

DieUntersuchungderGerichtskommission22

Am 15. Oktober 1874inder Früh, also amTagnach dem Ereignis,machtenJosefBeck, derVatervon Xaver, undFerdinandSelebeim LandgerichtinVaduz dieAn¬

zeige, dass der Sohn des ersteren am Vorabend von JohannHartmannerschossenwordensei.

Die Gerichtskommission, der Landrichter Markus Kessler23, Kanzlist Josef Hartmann24 und die beiden ArzteWilhelmSchlegel25undAlbertSchädler26angehör¬

ten, begabsich «alsbald« anden Tatort auf Bargälla,wo sie«nachvierStundenWeg« ankam.

Die Commission besichtigte den «Schauplatz« und verglich die Situation mit den Aussagen von Johann HartmannundFerdinandSele. 20Schrittevor demFels¬

trümmerhaufen, wo Hartmann «Vorpass gehalten«

hatte,fand die Gerichtskommission eine andenLäufen

Abbildung oben:Mit«Schrot Schuß» bezeichneteEinschuss¬

löcheraufund nebendem linkenSchulterblatt von Xaver Beck.

Abbildung rechts: SkizzederAlp Bargälla. Dermiteinemschwar¬

zenPunktmarkierte «Ort der That»liegt etwas oberhalbdes Kulms,am Beginn desWeges insGarselli. DieLeichevon XaverBeckwurdeweitunter¬

halbdesTatortesbeieinem Zaungefunden, dersichnur wenig oberhalb der Gafleihütte befand.

(5)

zusammengebundeneGämse nebsteinem Jagdstutzen.

Die LeichedesXaverBeckfand die Gerichtskommission jedochnicht.

ImRiesgegenGafleihin, ungefähr40SchritteimRies abwärts, entdeckte die Kommission den grauenFilzhut

des XaverBeck; nachweiterem Suchen «durch das Ge¬

strüppbis anden Zaunhinunter«fand die Kommission dieLeiche. Dieselag «hartausserhalb desZaunes gegen die Bergeshalde, ungefähr eine Viertelstunde abwärts vomSchauplatz«und «etwa .hundertund zehn Schritte von der Gafleihütte« entfernt.

DieLeiche war vollkommenangekleidetundlag auf demGesicht,denKopfgegendieHalde gekehrtunddie Füssehart an dem Zaun;ImKommissionsbericht heisst

es: «... es

will

scheinen, dassXaverBecknoch denZaun überschreiten wollte, jedoch infolge des Blutverlustes zusammengestürzt ist. Aufderlinken Schulterund ab¬

wärtssind dieKleider ganzmitBlutbeschmutzt.Beim Suchen durchs Ries herunter wurdenhin und wieder Fährten gefunden, dass XaverBeck sich dorthinunter geschleppthabe«.

Die Leiche wurde sofort von einigen Trägern auf einen Schlitten gebundenund nachTriesenbergin das HausdesJosefBeckgebracht,wohindiebeidenArzteals Sachverständige «zumZwecke derObduktion« bestellt waren.

Obduktionsbericht27

Diebeiden GerichtsärzteWilhelmSchlegelundAlbert Schädler erstelltenimAuftrag des Landgerichtes einen ObduktionsberichtzurLeichedesFranzXaverBeck.Die ObduktionfandimElternhausdesOpfersstatt.

DerBerichtistimerstenTeil der «Ausserejn] Unter¬

suchung«gewidmet. Die Leichenstarrewarbereits voll¬

ständigeingetreten. DerKörper desVerstorbenenwar

186Centimeter lang, vonsehrkräftigemKörperbaumit starkentwickelterMuskulatur. Nach der Beschreibung derBekleidungder Leicheund deräusserenVerletzun¬

genwies derBerichtauf«13gerissenekleine Löchervon Schrotkorngrösse« amlinkenÄrmelund an derlinken Rückenseitehin. Der linke Oberarm war in der Mitte stark angeschwollen,beimBefühlenwarer beweglich, undeszeigtesichdeutlichhörbar ein Knochenreibungs¬

geräusch.

ZudemzeigtensichVerletzungendurch einenSchrot- Pfosten-Schuss28amlinkenOberarm,amlinkenSchulter¬

Historischer VereinfürdasFürstentumLiechtenstein,Jahrbuch Band 115,2016

blattund in der linken Rückengegend. Diese Schrot¬

schusswundenverliefen zumTeilbisindielinkeLunge unddurchdasZwerchfellbisindielinkeNiere.

Die «InnereUntersuchung« der Leicheergab,dassdie Schrotkugeln den linken Lungenflügel und die linke Niere schwer verletzt hatten.

Im Gutachten stellten die untersuchenden Ärzte abschliessend fest, dass XaverBeck durch denaufihn abgefeuerten Schrot-Pfosten-Schuss eines gewaltsamen Todes gestorbensei. Zudemhatteer sich zwei kompli¬

zierte Splitterbrüche am linken Oberarm und im Ell¬

bogen zugezogen. Diese Verletzungen waren wohl durch den dem Schuss folgendenSturz imsteilen und steinigen Gelände entstanden.

Die verschiedenen Verletzungen durch die Schrot¬

kugelnbezeichneten dieGutachterals schwerund«jede Schusswunden und für sichhöchst wahrscheinlich als absolut tödlich«. Die Ursache für den schnellen Tod Becks war gemäss Gutachten «die innere LungenVer¬

blutung«. Eine andere Einwirkung als Todesursache schlossendieGutachteraus.

Ebenso konnten die Gutachter keine andere Ursache, wieetwa die einer «eigenthümlichenLeibesbeschaffen¬

heit«desOpfers, erkennen.SomitstandfürdieGerichts¬

ärzte fest, dass der beschuldigte Hartmann alleine für denTod XaverBecksverantwortlichwar.

22 LILAJ003/S1874/107,Nr.1,Commissionsprotokoll, aufgenom- menvomfürstlichen Landgerichte VaduzimOrteTriesnerberg, 15.Oktober1874.DiefolgendeDarstellungrichtetsich nach die¬

semProtokoll.

23 MarkusKessler, 1823-1880,von Sigmaringen, Landrichter,Land¬

tagsabgeordneter.SieheHLFL, Band1,S.433.

24 JosefHartmann1837-1912,von Vaduz.SieheVaduzer Familien¬

chronik, Vaduz,2002,Band2,S.127.

25 WilhelmSchlegel, 1828-1900,vonTriesenbergund vonSchaan,Arzt, Landesphysikus,Landtagsabgeordneter. SieheHLFL,Band2,S.850.

26 AlbertSchädler,1848-1922,von Vaduz,Arzt.SieheHLFL,Band2, S.826.

27 Diese Angaben stützensichaufdas «Visum repertum» derbei¬

den Gerichtsärzte WilhelmSchlegelund AlbertSchädler: LILA

J003/S1874/107,Nr.ad1,15. Oktober1874.

28 Schrot-Pfosten: Munitionsart. Pfosten (Posten) isteine gröbere Schrotart.

(6)

Die Beurteilung des Vorfalls durch die Gerichtsinstanzen

Die

Gerichtorganisation

in Liechtenstein

Dreistufige Gerichtsorganisation

Kaiserlich-königliches Oberlandesgericht Innsbruck ObersterGerichtshof

AppellationsgerichtWien DreigeprüfteRichter,vomFürstenernannt

Landgericht Vaduz Landrichter, vom Fürstenernannt Richternachösterreichischer Gesetzgebung

DieAmtsinstruktion von 1871 regelte die «Justizpflege«

im II. Hauptstück.29 Gemäss diesen Bestimmungenbe¬

stand

in

Liechtenstein eine dreistufige Gerichts¬

organisation. Als erste Instanz der Gerichtsbehörde wirkte dasLandgerichtinVaduz. DessenLeitungoblag einem Landrichter, «welcher nach denBestimmungen der österr. Gesetzgebung zur Ausübung des Richter¬

amtesbefähigtsein«musste.30

Das fürstliche Appellationsgericht inWien bildete die zweiteInstanz. Dieses setzte sich aus dreigeprüf¬

ten Richtern zusammen, «welche vom Fürsten er¬

nannt»wurden.31Die zweite Instanz hatte «dieOber¬

aufsicht über die Justizpflege in Liechtenstein» und übte «dem Landrichter gegenüber die Disciplinar- gewalt»aus.

DerWilderer FerdinandSeleausTriesenbergwaram 14.Oktober 1874 frühmorgensmitXaverBeck«auf Gemsjagd». Beide kehrten gegen Abenddieses Tagesvon der Plankner Garsellikommendaufden Kulm beiBargälla zurück.SelebefandsichinunmittelbarerNähevon Derfürstliche ForstbeamteJohann Hartmann,der dieSchüsseabgab, XaverBeck,alsdieservontödlichenSchüssengetroffen wurde, welche XaverBecktödlich trafen. FerdinandSelemusstedeshalbalsZeugevor Gericht aussagen.

(7)

Als oberster Gerichtshof und somit als dritte Instanz wirktedasOberlandesgerichtinInnsbruck.

Fallbehandlung durch das

Landgericht

Einvernahmedes Beschuldigten undder Zeugen

Das Landgericht begannseine «Untersuchung gegen den fürstl. ForstadjunktenJohannHartmannwegen Er- schiessungdesRaubschützenXaverBeck v.Triesenborg»

am 17. Oktober1874mit derEinvernahme desBeschul¬

digten.32AlsLandrichterwirkteMarkusKessler;als Bei¬

sitzernahmenJosefGeorgOspeltundJosefAntonSeger

teil. Andreas Falk führte als Assessor das Protokoll.

Nach der SchilderungdesVorgangesderTathieltHart¬

mann fest, dass er «den Schuss nicht in der Absicht abgefeuerthatte,umeinen derWildschützen zu treffen, sondernlediglich, damit sie ihre Beute abwerfenund zurücklassen sollten«. AufNachfragendesLandrichters präzisierte Hartmann, dass der Vorgang sehr rasch geschehen sei und er in der Dunkelheit nicht wissen konnte, «wohinich traf«.Wennereinen derWildschüt¬

zenhätte treffenwollen, sohätte er diesejagleichbeim Zusammentreffen nähergehabt.

Das Landgericht beschloss nach der Einvernahme, Hartmann gemäss § 281 der Strafprozessordnung in Haftzu nehmen.33DasLandgerichtinformiertegleichen- tagsdenLandesverweserüberdieseMassnahme.34

Am 19. Oktober 1874fand die Einvernahme des Fer¬

dinandSelealsZeuge statt. Selesagteaus, dasserwegen derDunkelheit nichtgesehenhabe, inwelcheRichtung Hartmann den Schuss abgefeuert habe. Sobald der Schuss gefallen sei, habe Xaver Beck jedoch laut ge- schrien: «Jesus Maria, ich habe einen Schuss bekom¬

men«. Dies hätte, nach Seles Aussage, auch Hartmann hören müssen. Sele fandBeck amBodenliegend. Beck konnte nochäussern, dass ereinenSchussindenBrust¬

kastenbekommenhabe. Seleblieb noch etwaeine Drei¬

viertelstunde bei Beck. Als dieser kein Lebenszeichen mehrvonsich gab,gingSelenachHause.

Am folgenden Tag begab sich Sele gemeinsam mit

JosefBeck, dem Vater des Verunglückten, zum Land¬

gericht, um denVorfall dort anzuzeigen. Im Hausflur

des Gerichts trafer mit Johann Hartmann zusammen.

Auf

die Frage von Sele, warum Hartmann «so blitz¬

schnell« geschossen habe, erwiderte dieser, gemäss der

Historischer VereinfürdasFürstentumLiechtenstein,Jahrbuch Band 115,2016

Aussage Seles: «So ist's gradrecht, sonst hättemichdas Passennichts genützt«.

FürSelewar«unbegreiflich«, wie XaverBeckvon der Stelle,wo erihnverlassenhatte,durch dasGestrüpp bis zum Gafleizaungekommen war. Sele vermutete, dass BecknochmalsdasBewusstseinerlangteundsich weiter¬

geschleppthabe.

Auf Nachfrage des Gerichts sagte Sele aus, dass er

«nicht gehört [habe],dassHartmannzweimalHaltgeru¬

fenhabe,bevorer den Schuss abfeuerte«. ZurFrage, ob Hartmannden Xaver Beck absichtlichhabetreffen wol¬

len oder ihnnur zufällig getroffen habe, konnte Sele nichtsangeben.

Der TriesenbergerVorsteher Andreas Negele("'1821, +1907) erstattete dem Landgericht einen Bericht über den Leumund des Xaver Beck. Negele sagte aus, dass Beck«gut beleumundet und arbeitsam« gewesensei.35 Negelehabewohlauch gehört,dassBeck «schonfrüher unbefugterWeiseauf dieJagdgegangen«sei.XaverBeck habeseinemVater fleissig bei derArbeitgeholfen.

Forstinspektor Alois Schauer ("'1817, 11886) teilte dem LandgerichtaufdessenVerlangenmit, dass Hart¬

mannseitdreiundeinemhalbenJahralsForstpraktikant undseiteinemJahrundneun Monatenals Forstadjunkt in fürstlichen Diensten stehe.36 Gemäss Schauer legte Hartmann währendseiner «dienstlichenVerwendung«

stets «Gehorsam,Treue, FleissundVerlässlichkeit ... an denTag«und führte«einenmoralischen,harmlosenund nüchternen Lebenswandel«.

29 LGB1.1871/1,AmtsinstructionfürdieLandesbehördendesFürsten¬

thums Liechtenstein.

30 LGB1. 1871/1,Amtsinstruction1871,II.Hauptstück, 1.Abschnitt, Von der Justizpflege,35.

31 LGB1.1871/1,Amtsinstruction1871,II.Hauptstück,2.Abschnitt,42.

32 LI LAJ003/S1874/107,Nr.2,Protokoll der Einvernahme Johann HartmannsdurchdasLandgericht,17.Oktober1874.

33 Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizey-Ubertretun- gen;Patentvom3.September1803 [LI LADS100/1804/1;zitiert nach: www.e-archiv.li/D44762; aufgerufen am 30. Dezember 2015].

34 LI LAJ003/S 1874/107, Nr. 3. LandgerichtanLandesverweser, 17.Oktober1874.

35 LILAJ003/S1874/107,Nr.5,NotizdesLandgerichts,21.Oktober 1874.

36 LI LA J 003/S 1874/107, Nr. 7, Schreiben des Forstinspektors Schauer andasLandgericht,22.Oktober1874.

(8)

Am22. Oktober setzte das Landgericht das Verhörmit dembeschuldigtenJohann Hartmann fort.37Es ging bei diesemVerhörvor allemumdieFrage,obHartmannle¬

diglicheinen Schreckschuss abgegeben hatteoder ober auf den Fliehenden gezielt hatte. Hartmann blieb bei seiner ersten Aussage, dasserzweimalhalt gerufenhabe und den Schuss erst abgegeben habe, alsdieWilddiebe flohen;unddabei habe ernichtauf die Fliehendengezielt.

ErhabeauchdenAufschreidesGetroffenennichtgehört, sondernlediglichgeglaubt,tiefam Bergunten einenAuf¬

schrei vernommen zu haben. Hartmann widersprach auchderAussageSeles,dassergleichbeimerstenHaltruf

geschossenhabe. AufVorhaltendes Gerichts, wammer den SchreckschussinRichtung der Fliehendenabgegeben habe, meinte Hartmann, dieJäger würden auch inden Bodenschiessen, wennsie zumBeispiel dasGewehr rei¬

nigenwollten. Erhabe ebengeglaubt, wennergegendie Erde abfeuere,seiderSchussamwenigsten gefährlich.

Alsweiterer Zeugesagte JosefBeck38aus, dass er am

14. Oktober mitJohann HartmannimValorschzusam¬

mengetroffen sei. Als sie Schüsse im Garseih hörten, meinteHartmannzuBeck,«unter dreyenwolleeresver- rathen,weressei«.39Hartmannbeschloss,auf denKulm von Bargälla zugehen.

Beratschlagungsprotokoll, aufgenommen beimfürstlichenLand¬

gerichtinVaduzzur «Untersuchungwegen Vergehens der fahrlässigen TagebuchzurUntersuchung gegenJohannHartmannwegenverübten Tödtung»am5. November 1874. Als Beisitzer anwesendwaren

«Todtschlags»,mitEinträgenvom16.Oktoberbis25. Dezember 1874. Baptist Quadereraus Schaansowie JohannVerlingausVaduz.

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(9)

DerVaterdesErschossenen, Josef Beck,40gabvorGericht zuProtokoll,dass ermitJohannHartmannam15.Okto¬

berimHausflur desLandgerichtsgebäudes zusammen¬

getroffen sei. Er habe dabei zu Hartmann gesagt: «Ich meinte, duhättest das Vaterund Mutter nichtzu Leid gethanu.wenn duauch Hass gegenmeinenSohnXaver Beck gehabthättest«.41Hartmannhabedarauf erwidert:

«Soist's recht,sonsthätte ich länger könnenzupassen«.

Beck gab weiter an, er habe aucherzählen hören, dass der Vater von Johann Hartmann, als er vom Vorfall hörte,geäussert habe,«eshabenur nichtdenrechtenge¬

troffen«.

Kaspar Beck42, der Bruder des Xaver, schilderte als Zeuge,dass JosefBeck, Frommenhaus,zwischen8und

Vi 9Uhrabendszuihmgekommenseiundihnaufgefor¬

derthabe, zu Ferdinand Sele zu kommen. Dieserhabe ihm«untervierAugen« erzählt,was geschehensei.43

KasparBeckberichteteauchüber dieSuche,welcheam TagnachdemVorfall auf Bargälla stattfand. Eräusserte dabei dieVermutung, dassverschiedene Spuren darauf hindeuteten,«die Leiche meinesBmdersmüssedurchdas Riesherunter geschleiftwordensein«.AmRandedesRies habe man denHutXaver Beckssowieseine Schnapsfla¬

sche,einenApfel,dasPulverhornunddieWaidtaschege¬

funden. Auch sei «der Tschoppen, Brusttuch u. Hosen rücklings an der Leiche ganz aufwärts gestrupft gewe¬

sen«.Daraus,soKasparBeck, gehedeutlich hervor,«dass die Leiche amBoden geschlepptworden sei«. Erkönne sich aberauchnichterklären,wieseinBmderXaverbis an denGafleizaunherunter gekommensei.

Am folgenden Tag lud das Gericht Ferdinand Sele

nochmals als Zeuge vor. Es ging dabei darum, verschiedenen noch offenen Fragen nachzugehen. So sagte Seleaus, dass JohannHartmann aufeine Distanz von «ungefähr7bis 10 Schrittejn]« aufBeck geschossen habe.44Er, Sele,habe Beckverlassen, «nachdemihmder Athemausgingu.ich glaubte, dass er todtsei«. Darauf

seiernachHause gegangen.Wie XaverBeckvomTatort biszumGafleizaunhinuntergekommensei,konntesich Selenursoerklären, dassBecknichttotgewesensei, als er ihn verlassen habeund er sich bis zum Gafleizaun geschleppthabe. DiezweiteMöglichkeitbestandfürSele

darin, dass «Jemand anders« Beck dahin geschleppt habe.AlsHinweisbemerkteSele,dassBeckdieSchnaps¬

flascheund die Waidtasche noch bei sich gehabt hatte, als erihn verlassen hatte. Am andernMorgen wurden

Historischer VereinfürdasFürstentumLiechtenstein,Jahrbuch Band 115,2016

diese Gegenständebeim Suchender Leicheungefähr 15 bis20SchrittweiteruntenimRiesgefunden.

Auf die Feststellung des Gerichts, dass die Gämse undder Stutzen desXaverBeck«ordnungsgemäss hin¬

gelegtgefunden«wurdenunddasssienichtvon diesem dorthin gelegt wordenseien,meinte Sele, dass er diese Sachennichtsodahingelegthabe.Möglicherweisehabe Hartmann dies getan. Er wisse nicht, wie lange Hart¬

mann nochobengebliebensei.DerMüllerJosefBeck,so sagte Sele aus, habe auf Frommenhaus nachts gegen

12Uhr jemand die Strasse herunter gehen gehört. Er wisse abernicht,obesHartmanngewesensei.

AufdieFragedesGerichts,obHartmannimGerichts¬

gebäude ihm gegenüberbemerkt habe: «So ist'srecht, sonsthätte mich das Passennichts genützt«, sagte Sele aus, dasserHartmannsoverstandenhabe.

GleichenTagsvernahmdasGericht den Beschuldigten zudenselben Fragen.VorallemwarfürdasGerichtwich¬

tigfestzustellen, obHartmanneinen Schreckschuss abge¬

gebenhatteoderob er «dieWildschützen treffen,d. h.be¬

schädigen wollte«.45Hartmann blieb bei seinerfrüheren Aussage,dasserlediglicheinen Schreckschuss habeabge¬

benwollen. Ererklärte die Tatsache, dass erXaverBeck getroffenhatte,damit,dasserdenbeidenfliehendenWild¬

schützenungefährsechs Schrittenachgelaufensei. Dabei seiervomebenenGelände andensteilenAbhanggekom¬

men; deshalb habe ernichtindieErde geschossen,wieer esbeabsichtigthabe,sonderndenAbhanghinunter. Vom Ort,wo die Gerichtskommissionam andernMorgenden StutzenunddieGämsegefundenhabe,seierbeiSchuss¬

abgabeetwa20Schritteentferntgewesen.

Wie derverwundete XaverBeckvomOrtdesVorfalls bis zum Gafleizaun hinunter gekommen sei, konnte

37 LI LAJ003/S1874/107,Nr.8,Verhörprotokoll vom22.Oktober1874.

38 JosefBeck, 1808-1882,Witwer,Frommenhaus, TriesenbergNr.121.

39 LI LA J003/S 1874/107, Nr. 9, ZeugeneinvernahmeJosefBeck, 23.Oktober1874.

40 JosefBeck,1814-1878,Bauersmann,TriesenbergNr.92.

41 LI LAJ003/S 1874/107, Nr. 10,ZeugeneinvernahmeJosefBeck, VaterdesXaver,24.Oktober1874.

42 KasparBeck, 1847-1888,ledig.

43 LILAJ003/S1874/107,Nr.10,Zeugeneinvernahme KasparBeck, 26.Oktober1874.

44 LI LAJ003/S1874/107,Nr.11,Zeugenverhörsfortsetzung Ferdinand Sele,27.Oktober1874.

45 LI LA J 003/S 1874/107, Nr. 12, Verhörsfortsetzung mit dem Beschuldigten,27.Oktober/2.November1874.

17

(10)

Hartmann nichterklären. Ermeinte,darüber «dürftenur Ferdinand Sele Auskunft geben können«. Hartmann hieltfest,dassernachetwa einerViertelstundemiteiner der von den Fliehenden weggeworfenen Gämse nach Hausegegangensei.EtwaumVi 9UhrseierüberFrom¬

menhaus nach Hause gegangen. Dort sei er um etwa

%9Uhrbis9Uhrangekommen.

ZurAussagevon FerdinandSeleüber die Bemerkung Hartmanns im Gerichtsgebäude («so ist's recht, sonst hätteich längerkönnen zupassen«), meinte Hartmann, dass dieseÄusserungen «rein erdichtet« seien, oder es seien seine «Worte falsch verstanden worden«. Er argu¬

mentierte, «das wäreeine dummeAussage vonmirge¬

wesen«.EshabeauchzumVater XaverBecksgesagt,der Vorfalltueihm«soleid wieihnen«.

Auf

die Frage des Gerichts, warum er so rasch ge¬

schossenhabe, hielt Hartmannfest, dass er denSchuss erst«beimdritten MalHaltrufenabgefeuert« habe.

Beratschlagung und Urteildes Landgerichts

Das Landgerichttrat am5. November zurBeratung und Urteilsfindung zusammen in der «wider Johann Hartmann,fürstl.Fortadjunkt hieramv[origen|MJonat]

begonnenenundam2.d[es]MJonats] geschlossenenUn¬

tersuchung wegen Vergehens der fahrlässigen Töt¬

dung«.4t>

Das Gerichtsetzte sich zusammen aus dem fürstli¬

chen Landrichter Markus Kessler als Referent, dem fürstlichenAssessor Andreas Falk als Protokollführer.

Beisitzer warenBaptist Quaderer, Schaan undJohann Verling,Vaduz.

Der Referent stellte zuerst den Tatbestanddar.Dabei stützteer sichauf den Bericht der Gerichtskommission, den Obduktionsbericht der Gerichtsärzte und auf die AussagendereinvernommenenZeugen.

Der Referentging davonaus, dassXaver Beck,nach¬

dem ihnFerdinand Sele verlassen hatte, «nur in einer Ohnmacht gelegen« habe. Dabei sei er vom Rand des Riesesindas Ries gestürztundhabe sich dabei denlin¬

ken Arm gebrochen. Dieses «Sichfortschleppen« habe

«jedenfalls eine riesige Anstrengungvon Seitedes Ver¬

wundeten« bedurft. Der Referent äusserte auch seine Zweifel an dieser Version. Für ihnwar es «fast kaum glaublich,dassXaverBeckmitdemtödtlichenSchussim Leibe noch einer solchen Anstrengung fähig gewesen sei«.Erstellte abschliessend fest,dass dieUntersuchung

«nichtvolleGewissheitüberdiesenPunkt [zu] erlangen«

vermochte.WederHartmannnochSelehatten nach Auf¬

fassung des Referentenein Interesse daran, den Leich¬

namandenFundortzuschleppen. Esseiauchunwahr¬

scheinlich, dass ein Dritter sich die Mühe genommen hätte,dieLeichefortzuschleppen.

Imzweiten Teil folgten die rechtlichen Erwägungen.

Für den Referentenwar klarerwiesen, dass Johann Hartmann am 14. Oktober den Xaver Beck erschossen hatte.Erhieltaber fest,dassderBeschuldigte «nur einen Schreckschuss gegendie Erdezu machen beabsichtigt«

habe. Hartmannhabe inseiner fünfjährigen Dienstzeit nochnie einenWildschützen angezeigt oder eingebracht.

Auchseinach seinen Charaktereigenschaftennicht an¬

zunehmen, dass erdie Absicht gehabthabe, «einen der Wildschützen zuerschiessenoderauchnurzubeschädi¬

gen«. Der Zeuge Sele könnelediglichsagen, dass Hart¬

mann «Halt Ihr Spitzbuben« gerufen habe, und dass Hartmann,als siesichzurFlucht wandten, einenSchuss abgefeuert habe. Es sei sehr dunkel gewesen, deshalb könne der Zeuge nicht aussagen, ob der Beschuldigte denXaverBeck habetreffenwollenodernicht.

Die Aussagen FerdinandSeles undJosefBecks über die Äusserung des Beschuldigtenim Flur des Landge¬

richts am Morgen nach der Tat seien «zu widerspre¬

chendundzu unbestimmt, als dass sievon Einfluss auf dieEntscheidungsein«könnten.

Zudem Umstand, dass derBeschuldigtesofort nach demzweiten Haltrufgeschossenhabe, zog der Referent in Erwägung, dass dieser wegen der Dunkelheit und dem unebenen abschüssigenTerrain «mit dem Schüsse nichtzu langewartendurfte«.DieseUmstände machten

es erklärlich, dass «der Beschuldigte anstatt auf den Bodenden dieHaldehinunterfliehendenXaverBecktraf».

Aufgrund dieser Überlegungen kam der Referent zumSchluss, dassinder «Handlung desBeschuldigten ... demnachnicht derThatbestand desVerbrechens des Todtschlags gefunden werden» könne. Dieser Tatbe¬

standwäre nach § 140des Strafgesetzbuchesnur dann gegeben, wenn«die Handlung,woraus der Toderfolgt, zwarnicht aus dem Vorsatz derTödtung, aber dochin einergegen denVerletztenfeindseligenAbsicht verübt worden» wäre.

Zwarseider TatbestanddesTotschlagsnichtgegeben, es liegejedoch der Tatbestand der fahrlässigenTötung vor,gemäss§335 desStrafgesetzbuches von1852.47

(11)

Der Beschuldigte hätte nachAuffassung desReferenten

«nachseinemBerufund Stand«einsehen müssen, dass,

«wenner inderDunkelheit und aufdem abschüssigen Terrain, wo die Handlung vorfiel, einen Schrotschuss nach derSeite des Grats abfeuerte, wohiner diebeiden Wildschützen entweichensah, leicht ein Menschenleben gefährden konnte«.

Als erschwerend beurteilte der Referent die grosse UnvorsichtigkeitdesBeschuldigten.

MilderndeUmstände waren:

a) Der unbescholtene Lebenswandelund die bis dahin untadelhafteAufführungdesBeschuldigten

b) DasfreieSchuldbekenntnisdesAngeklagten c) DieausgestandeneUntersuchungshaft.

Der Referent stellte denAntrag:

1. Die gegen Johann Hartmann wegen Vergehens der fahrlässigen Tötung eingeleitete Untersuchung zu schliessen.

2. Hartmannsei desVergehens derfahrlässigenTötung fürschuldig zu erklärenundmitstrengemArrestin derDauervon zehn Monaten zubestrafen.

3. Der BeschuldigteseizurTragung derUrteilkostenzu verurteilen.

DasvomLandgericht gefällteUrteilentsprachdemvom Referenten gestellten Antrag. Die Untersuchungshaft wardemVerurteiltenanzurechnen.

Entscheide der

weiteren

Gerichtsinstanzen Dekret desAppellationsgerichtsWien

DasLandgericht legteseinUrteilsamtUnterlagenge¬

mäss den Bestimmungen der Strafprozessordnung dem fürstlichen «Appellationsgerichtals Criminalgericht« in Wien vor.48 Dieses entschied, das Strafurteil des Land¬

gerichtsnicht zu betätigen. DasAppellationsgericht lei¬

tete den Strafakt an das Landgerichtzurück «mit dem Auftrag undderBelehrung«,jene «Momente« zuüber¬

prüfen,welche dieTatalsVerbrechenqualifizierenwür¬

den.49

Insbesondere verlangte das Appellationsgericht, durch die Gerichtsärzte abklären zu lassen, ob Xaver BecksichtrotzseinerVerwundungennochvom Tatort zum Fundorthabeschleppenkönnen oderob er «durch dritteHand«dorthingeschafftwordensei.

Historischer VereinfürdasFürstentumLiechtenstein,Jahrbuch Band 115,2016

Das Appellationsgericht bestimmte, dass das Landge¬

richtein neuerlichesUrteilzufällenhabe «mit Rücksicht auf diemöglicheQualifikationderThatalsVerbrechen«.

Revisiondes Urteils durch dasLandgericht als Kriminalgericht

DasLandgericht reagierte umgehendundbeauftragte die beiden Gerichtsärzte, diese Fragen zu beratenund darüber ein Gutachten «alsbald« beim Landgerichtein¬

zureichen.50

Die beiden Gerichtsärzte Schlegel und Schädler ka¬

men derAufforderungdesLandgerichts am11. Dezem¬

ber 1874 in einem mehrseitigen Gutachten nach.51 Sie hieltenabschliessend fest,dass es«nachdemErgebnisse des Sectionsbefundes ... unwahrscheinlich« erscheine, dass«Xav.Beck ...sichnochselbstbiszumFundorte am Gafleizaun bewegen konnte«. Sie bemerkten weiter:

«Man stelle sichdieFrage,istesüberhaupt wahrschein¬

lich,dass sich Xav. BecknachdensehrschwerenVerlet¬

zungen, welchederselbeerlitt,sowie dendurchdieVer¬

letzungen hervorgerufenen zweifelsohne grossen Schmerzenauf einem schlecht passirbaremTerrain noch eine Viertelstunde in abseits liegender Richtung des Heimweges solltefortgeschleppt haben?«Der Verfasser desGutachtens,WilhelmSchlegel,konntesich abschlies¬

send die spitzeBemerkungan die Adresse des Landge¬

richtsnichtverkneifen: «Übrigens scheintes nichtSache des Gerichtsarztes zusein, diesenBeweis derangeführ¬

ten Frage zu stellen, vielmehr ist dies nach unserer BeurtheilungSacheder Untersuchungsbehörde.«

Zur weiteren Behandlung der Untersuchung gegen Johann Hartmann wegen des Verbrechens des Tot¬

schlags wargemäss Amtsinstruktion fürdie Behörden Liechtensteins vom30. Mai 1871 vom kaiserlich-könig-

46 LI LAJ003/S1874/107, Nr. 13,Berathschlagungsprotokoll vom

5. November 1874. Die folgendenZitate sind diesem Protokoll entnommen.

47 Österreichisches Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und ÜbertretungenmitKundmachungs-Patentvom27.Mai1852,ein¬

geführtimFürstentum Liechtensteinmitder Fürstlichen Verord¬

nungvom7.November1859.

48 LILAJ003/S1874/107,Nr.14, 5.November1874.

49 LILAJ003/S1874/107,o.Nr.,27.November1874.

50 LI LA J 003/S 1874/107, Nr. 15, 8. Dezember 1874; Dekret des LandgerichtsanLandesphysikusWilhelmSchlegel.

51 LI LAJ003/S1874/107,Nr. 16,11. Dezember1874;ÄrztlichesGut¬

achtenDr.WilhelmSchlegelund Dr.AlbertSchädler.

19

(12)

Landrichter MarkusKesslerhatte dem Todesschützen Hartmannam 24. Dezember1874 einenunbescholtenen Lebenswandelsowieein freiesSchuldbekenntnisattestiert. Erplädierte persönlich füreineher mildesUrteil und zeigteVerständnisfürHartmann, indemersagte, derBeschuldigte habenicht nurdas Recht,sondern auchdiePflicht gehabt, dieWildschützen anzuhalten.

liehenOberlandesgerichtinInnsbruck«die Absendung vonzumRichteramt befähigten Gerichtsmitgliedernzu erwirken«.52 Dem Ansuchen des Landgerichts Vaduz kamdas KreisgerichtFeldkircham29. Dezembernach.

Diesesordnete zur Gerichtsverhandlung die zwei Rich¬

ter Landesgerichtsrat Josef Neuner und Ratssekretär FranzvonPoschalsKriminalrichterab.53

Zur VorbereitungeinesneuenUrteilsführtedasLand¬

gericht nochmals weitere Zeugeneinvernahmen durch.

Aufden14. Dezember1874wurdeJohannHartmann zur«Zeugenverhörsfortsetzung« vorgeladen. Das Land¬

gericht befragte ihn zumVerdacht, dass er,Hartmann, den Xaver Beck zum Fundort der Leiche geschleppt habe. Dieser Verdacht ergebe sich aus dem Gutachten derGerichtsärzte, gemäss welchemes «höchstunwahr¬

scheinlich,ja fastunmöglich« sei, dass sichBeck selbst zumGafleizaunherunter geschleppthabe.54

Hartmannsagtedazu, dass dergegenihn«erhobene Verdacht ... ganzunbegründet,ja sinnlos«sei. Er wie¬

derholte seine frühereAussage, dass er sich amTatort kaummehralseineViertelstunde aufgehaltenhabeund etwaumVi 9 Uhrzu Hause angekommensei. Als Zeu¬

gen dafür gaber seinenVaterund denbei ihnenwoh¬

nendenKnecht FidelGstöhl an. Hartmannfragte auch, was erdennmitdem Fortschleppen der Leiche hättebe¬

absichtigenwollen. Wenner die Leichehätte beseitigen wollen, sohätte er sie«doch nicht amWegbeimZaun hegen lassen«sondernsievielmehrversteckt, «wozues

dortGelegenheit genug«gebe.

Das Gericht wies Hartmann darauf hin, dass er des VerbrechensdesTotschlagsbeschuldigt werde. Deshalb solle ernochmals Stellung dazu nehmen, ob ermitAb¬

sichtauf XaverBeck geschossen habe.

Österreichisches Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen vom27. Mai 1852,eingeführtinLiechten¬

steinmitfürstlicher Verordnung vom7. November1859.

§. 335.

3ebe .fmnblnng ober Ihitctfaffung, von welcher bet Jponbelnbe fdjon nach ihren natihTL

eben, für 3ebcrmann leicht erfennbaven -gotgen, ober oermoge befonberS befamit gemachter SSorfdjriftcn, ober nach feinem ©taube, Slmte, Sßernfe, (bewerbe, feiner aSefdjäftfgung, ober überhaupt nacf feinen befonberen Slerfjattniffen cinptfcl)en oermag, bap fte eine ©efaftt für baS Heben, bie ©efnnbbeit oberförderliche Sicherheitoon ®ienfr£;en berbefynfüljren, ober jn oergrih fern geeignet fei, fett, wenn hieraus eine fernere förderliche Sefdjäbignng (§. 152) eines

SDienfcfjen erfolgte, an jebem Sdjulbtragenben als Uebertretung mit 9lrreft oon einem bis,511

focbS SRcnaten; bann aber, wenn hktauS ber $ob eines ®ienfd)en erfolgte, als Vergehen mit ftrengem Slrrefte oon feebö SKonaten bib 51t einem 3a]jre gealmbef roerben.

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