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IIVG Papers

Veröffentlichungreihe des Internationalen Instituts für Vergleicpende Gesellschaftsforschung

Wissenschaftszentrum Berlin

ZUR THEORIE GEWERKSCHAFTLICHER INTERESSEN- VERTRETUNG IM KRANKENHAUS

Hacren Kühn

IIVG/rp/79 - 216

1979

Publication series of the International Institute for Comparative Social Research - SP II

Wissenschaftszentrum Berlin Steinplatz 2, D 1000 Berlin 12 030/.313 40 81

(2)

ZUR THEORIE GEWERKSCHAFTLICHER INTERESSENVERTRETUNG , IM KRANKENHAUS +')

O.

2.

3 •

+)

Vorbemerkung ökonomisierung

"Arbeitsgegenstand" Patient - ein Korrektiv?

Interessenpolitik des Personals und Versor- gungsqualität

Leicht veränderte Fassung eines Beitrags in:

Argumente für'eine soziale Hedizin (Argument- Sonderband 30), Berlin/West 1979, S.46 'ff

(3)

1 -

O. Vorbemerkun~

Die Frage nach Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Gren- zen gewerkschaftlicher"Interessenpolitik im Krankenhaus, in dem über 700.000 Beschäftigte knapp 11 Millionen Kran- ke jährlich stationär versorgen, stellt sich nicht erst heute. Aber die gegenwärtige restriktive Gesundheitspo- litik läßt einige Probleme aktuell werden" die im folgen- den zu skizzieren, sind. Dabei geht es nicht vorwiegend darum, wie uhter den komplizierten strukturellen Bedin- gungen des Krankenhauses die Arbeits- und Einkommensin- teressen der Beschäftigten wirksam organisiert und durch- gesetzt werden können.1

) Angesichts des bedrohten und sich verschlechternden Versorgungsniveaus wird hier ge- fragt, welche gesundheitspolitische Funktion von einer umfangs- und intensitätsmäßig verstärkten Ausdehnung ge- werkschaftlicher Interessenpolitik im Krankenhaus erwar- tet werden könnte. D.h.: Könnte durch Zurückdrängung der noch immer dominierenden individualistischen und berufs- ständischen Konfliktaustra~ungsformendurch gewerkschaft- liche Organisierung und Politik eine institutionsinterne Kraft sich herausbilden, die, indem sie die Beschäftigten- , interessen vertritt, zugleich auch die Versorgungsinte-

ressen der Bevölkerung einschließt?

Fragen solcher Art ist mit Mißtrauen und Sorgfalt nachzu- gehen, da es gerade im medizinischen Bereich gängiger

Brauch ist, zwecks Sicherung eigenen Vorteils, dessen Iden- tität mit dem Patienteninteresse zu behaupten. Hier kön- nen jedoch nur ein.ige Zusammenhänge thesenhaft vorgetra- gen werden in der Hoffnung, eine um Empirie sich bemühen- de Diskussion zu provozieren, die für den Gesamtbereich der personenbezogenen Dienstleistungen fällig ist.

1. Ökonomisierung - Rationalisierung

Es ist ein unbestreitbares Verdienst der Regierungspolitik

-. ~? -

(4)

zu Beginn der sozialliberalen Ära, wenigstens die finan- ziellen und rechtlichen Voraussetzungen zur Beseitigung der enormen Rückständigkeit geschaffen zu haben, die sich im Krankenhauswesen jahrzehntelang aufgestaut hatten-. Zur Veränderung der veralteten Strukturen im Rahmen einer um- fassenden Reform des Gesundheitswesens ist es allerdings nicht mehr

gekommen~2)

Im Gefolge der 1974 einsetzenden krisenhaften wirtschaftsentwicklung wurde Gesundheitspo- ,li tik zunehmend integriert in das gesamtwirtsch,a,ftliche

Umverteilungskonzept des Staates, zu desieh Schwerpunkten es gehört, soziale Dienstleistungen zu reduzieren und zu verbilligen, um Finanzmittel zur Hebung der privaten

"Investitionsneigung" freizubekommen.3

) Wenn das Kranken- haus zum bevorzugten Objekt der am Gewinninteresse orien- tierten Ökonomisierung der Staatstätigkeit geworden ist4)!

dann nicht zuletzt deshalb, weil entsprechende Interven- tionen sich nach Umfang und Tiefe auf die Institutionen und sozialen Gruppen im umgekehrten Verhältnis zu deren machtpolitischen Gegenwehrmöglichkeiten verteilen.

Die Wirkungen dieser Politik auf das Krankenhaus lassen sich nicht mit Begriffen wie "Rationalisierung" erfassen.

Erhöhung der Wirtschaftlichkeit - von der im Einzelfall zu sagen ist, ob sie betriebs- oder gesamtwirtschaftlich definiert ist - heißt nämlich, einen gleichen Nutzen mit geringerem Aufwand bzw. einen höheren Nutzen mit gleichem Aufwand an personellen, sachlichen oder finanz~ellen Res-

sourcen zu erzielen. Rationalisierung "als solche", die durch Veränderung von Arbeitsmitteln, Arbeitsmethoden und Arbeitsorganisation erreicht wird, ist darum keinesfalls negativ zu bewerten. Der tatsächliche Zielkonflikt zu - den Versorgungs- und Personalinteressen ergibt sich erst aus der Art des politisch-ökonomischen Außendrucks und wird vor allem auf folgenden Ebenen wirksam:

1.) Die Finanzverknappung induziert in der Regel keine rationellen Anpassungsreaktionen, weil Veränderungen der internen und externen Arbeitsteilung durch die bestehen- den Strukturen blockiert sind .. Als Folge gestiegener An-

(5)

- 3 -

forderungen einerseits und finanzieller Verknappung ande- rerseits bleibt vorherrschend nur Arbeitsintensivierung und Angebotsminderung.

2.) Die "KostendäIDpfungspolitik" ist vorwiegend auf kurz:"

fristig erzielbare Aufwandsminimierung ausgerichtet. Das bringt zwei Effekte mit sich:

Erstens: Die ggf. eingesparte Arbeitszeit wird :nicht zur Qualifizierung, zu unbestritten notwendigen Ausweitung der

zeitaufwendigen kommunikativen Leistungen genutzt, son- dern zur Personalreduzierung, mit der eine rntensivierung der Arbeitsbeanspruchung meist noch einhergeht.

Zweitens: Die eingesparten Mittel werden dem Krankenhaus und der Gesundheitspolitik zugunsten anderer Verwendungs- arten entzogen. Dadurch bleiben viele Rationalisierungs- reserven ungenutzt, da sie Verbesserungsinvestitionen voraussetzen würden, deren Nutzen erst zukünftig anfällt.

3.) Einsparungsmöglichkeiten, die ohne negativen Einfluß auf die Situation der Patienten und des Personals sind, werden ebenfalls nicht genutzt. Hier böten sich u.a. an die Beschneidung von Gewinnmaximierungsstrategien (z.B.

Preisgestaltung, Produktdifferenzierung, Werbung) bei Herstellern von Produkten, die im Krankenhaus verbraucht werden; die Abschöpfung von Einkommensbestandteilen bei Chefärzten, die diese ja mittels öffentlicher Einrichtun- gen erzielen, zumindest um solche Beträge, die bislang als Geldkapital in private Anlagebereiche fließen. Wenn stattdessen aUßertarifliche Sozialleistungen des Personals, wie Wechselschichtzulagen, Mietzuschüsse, krankenhauseige-

ne Kindertagesstätten usw. abgebaut werden, dann wird

deutlich, daß die realen Auswirkungen des gesamtwirtschaft- lich bedingten und über den Staat vermittelten ökonomisie- rungsdrucKs nicht aus "SachzwängenIl resultieren, sondern aus poli~ischen Kräftekonstellationen außerhalb und inner- halb des Krankenhauses .

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(6)

2. "Arbeitsgegenstand" Patient - ein Korrektiv?

Bei der Frage nach den möglichen institutionsinternen Korrektiven fällt das Augenmerk auf den Patienten und das.

Personal als je unmittelbar - wenn auch auf unterschied- liche Weise - Betroffene. Dabei entsteht jedoch die Ge- fahr, vorschnell aus der Eigenschaft einer sozialen Grup- pe, Betroffene zu sein, auf d~ren Möglichkeit zu schlies- sen, zu Subjekten der Veränderung und Gestaltung zu wer- den. Denn letztlich entscheidend für politische Wirksam- keit ist erst die Möglichkeit, sich zur Wahrnehmung von Interessen zu artikulieren und zu organisieren sowie das Ausmaß der Kon~liktfähigkeit.

Ausgangspunkt der überLegungen ist die Besonderheit "Kran- kenhausleistungen", als zusammenfassendem Begriff für die Dienste in medizinisch-pflegerisch'en (60 v. H. ), in wirt- schaftlich-technischen (33 v.H.) und im Verwaltungsbereich

(7 v.H.). Ihr Ziel sind nicht materielle Produkte, son- dern "persönliche Dienste, die nicht als Sache getrenntes Dasein vom Dienstleistenden erhalten.,,5) Somit fallen Leistungserstellung und Leistungsverbrauch in einem Akt zusamen und der "Verbraucher" ist direkt in den Leistungs-·

prozeß einbezogen. Als entscheidendes Merkmal dieses Ar- beits- und Interaktionsprozesses zwischen Personal und

Patient gegenüber anderen personenbezogenen Dienstleistungs- betrieben kommt hinzu, daß es sich bei dem "Arbeitsgegen-

stand~ um kranke Menschen handelt.

Für unsere Fragestellung kommt damit der Patientensitua- tion eine zweifache Bedeutung zu: Erstens ist sie darauf- hin zu untersuchen, ob und inwieweit der Patient zum ak- tiven krankenhauspolitischen Faktor und möglicherweise zum Verbündeten der Beschäftigten werden könnte. Zum an- deren ist durch den "Arbeitsgegenstand" auch die Situa- tion der im Krankenhaus Beschäftigten 'zu einem nicht un- wesentlichen Teil festgelegt (z.B. Einschränkung des ge-

(7)

-,

- 5 -

werkschaftlichen Durchsetzungsinstrumentariums) .

Um nicht noch immer bestehende (und im Zuge. der Ökonomi- sierungstendenzen wieder forcierte) .Refqrmdefizi te zu übersehen), sei zunächst daran erinnert, daß es den Pa- tienten im Grunde nicht gibt. Die sozialen Differenzie- rungen der Gesellschaft. außerhalb des Krankenhauses fin- den innerhalb dieser Institution in vielgestaltiger Weise ihre Entsprechungen. Dabei ist die formelle Differenzie- rung nach Pflegeklassen, die ja auch nach der Bundespfle- gesatzverordnung von 1973 in modifizierten Formen weiter- besteht, nur ein Aspekt. Die informelle Abhängigkeit bei- spielsweise der ärztlichen Zuwendung von seiner sozialen Distanz bzw. Nähe zu der des Patienten ist eine andere

Seit~. Wenn betriebswirtschaftlieh festgestellt wir~, daß letztlich alle Elemente der komplexen Arbeitsorganisation auf den Kranken ausgerichtet sind, so ist damit nicht ge- sagt, das Krankenhaus sei als soziales System "ganz und gar patientenzentriert" in dem Sinne, "daß dem jeweiligen Patienten differenzierte, seinem Zustand und seinen Be- dürfnissen entsprechende Aufmerksamkeit zuteil wird."S)

Dazu wäre es notwendig, alle Faktoren zu berück- sichtigen, deren Zusammenwirken die Lage des Patienten im wesentlichen konstituieren:

- Krankheit und Krankseini

- strukturelle Bedingungen des Krankenhauses; und - Bedingungen aUßerhalb des Krankenhauses.

Wird Krankheit als gesellschaftlicher Tatbestand betrach- tet und werden Kranke dementsprechend als "Menschen in gestörtem Zustand,,6) begriffen, dann ist damit auch ge- sagt, daß die Krankheit des Menschen nicht nur ein physi- scher, sondern immer auch ein psychischer und sozialer Zustand des Betroffenen ist. Sie ist als solche "in sei- ner Freiheit gehemmtes Leben,,7). "Damit wird ein ganz

entscheidendes Homent der Situation charakterisiert, in die ein Mensch durch seine Krankheit hineingestellt wird, das

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Moment der Einschränkung des Vermögens oder der Möglich- keit zur aktiven Mitwirkung an der Umgestaltung und

menschlic~en

Aneignung der Welt außer uns."8)

Der daraus folgende soziale Status des Kranken ist u.a.

gekennzeichnet durch Einschränkung der sozialen Kommuni- kation und durch Hilfsbedürftigkeit. Wichtige familiäre und berufliche ~flichten können nicht wahrgenommen werden, nicht selten ist das Kranksein begleitet von

mehr oder weniger gravierenden sozialen Unsicherheiten und Bedrohungen. Das bedeutet, daß die soziale Lage des Kran- kenhauspatienten zwar nicht ausschließlich von den kran- kenhausinternen Gegebenheitenabhängt. Aber inwieweit sol- chen einschneidenden Umstellungen der Lebenslage, Kommu- nikationseinschränkung, Verunsicherung der Zukunftspers- pektive usw. zu Pessimismus, Resignation oder gar zu dau- erhaften pathogenen Folgen führen, wird im Krankenhaus mitentschieden. Die Qualität der Krankhausleistungen hängt dabei von wesentlich mehr ab, als von den "rein"

medizinischen Zweckverfolgungssystemen oder der Arzt-

Patient-Beziehung; vielmehr ist die Beziehung der gesam~en

Institution Krankenhaus zum Patienten von Bedeutung. Auch solche Elemente der Krankhausleistung wie die Grundpflege, die räumliche Unterbringung, Verpflegung, sozialpflege- rische Betreuung und krankenhausbürokratische Regelungen sind keinesfalls bloß periphere Nebenumstände oder - wie es die Apologeten der bestehenden Versorgungsregelungen suggerieren - "zusätzlicher Komfort". Im Gegenteil kann davon ausgegangen werden, daß mit zunehmender Bedeutung psychosozialer Befindlichkeitsmomente für die therapeu- tische Situation gerade solche, nicht unmittelbar die Arzt-Patient-Beziehung betreffenden Bedingungen in erheb- lichem Umfang verbessert .und ausgebaut werden müssen.

Echte Rationalsierungsgewinne müßten zuerst zur Beseiti- gung solcher Versorgungsdefizite eingesetzt werden.

Durch die vorherrschenden Handlungsroutinen im Kranken- haus wird die mit dem Kranksein ohnehin einhergehende

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- 7 -

psychosoziale Destabilisierung noch verstärkt. So lassen sich viele Prozeduren, denen der Patient unterworfen wird - z.B. in der Aufnahmesituation ("stripping"-Prozedur), der undifferenzierte Liegezwang,das Visit~n-Ritual, will- kürli.che Informationsverweigerung usw. - nicht rational aus einem therapeutischen Oberziel. ableiten. Elemente des Letzteren scheinen vielmehr umgekehrt nur dann Durchset- zungschancen zu haben, wenn sie sich,in die strukturell präformierten Arbeits- und Interaktions-Routinen einfügen lassen. "Die Institution hat nach allem, was wir wissen und erfahren können, die Neigung, Depersonalisierung bis zum Grade extremer Infantilisierung zu treiben. Der gute Patient im Sinne der Institution ist für sie der Patient, der sich bedingungslos und passiv unter möglichst voll- ständiger Aufgabe aller den diagnostisch-therapeutischen Prozeß (vermeintlich, H.K.) störenden Eigenarten, Impulse, Interessen und Bedürfnisse dem System unterwirft, der sich widerstandslos, gefügig und brav helfen läßt, wenn die anderen meinen, daß er Hilfe braucht, Bedürfnisse zeigt, wenn die anderen meinen, daß er solche zeigen sollte, die legitimen Interessen sich zuteilen läßt, mit dem Maß an Kommunikation zufrieden ist, das ihm zugebilligt wird.,,9) Die Vermeidung einer gegen d~s Personal sich richtenden

moralisierenden Psycholoaisierung macht eine Verdeut- lichung erforderlich: Der Umstand, daß die Qualität der Krankenversorgung sich sichtbar ausdrückt und überhaupt erst real wird in Verhalten der Beteiligten, begUnstigt Denkhaltungen, die Freidson treffend als "naiven Indivi- dualismus,,10) bezeichnet. Ihnen gemeinsam ist die Grund- tendenz, die Gründe von Fehlentwicklungen zu subjektivie- ren: Nicht gesellschaftliche Verhältnisse, sondern indi- viduelle Verhaltensweisen werden als letzte Ursachen an- gegeben. Es liegt auf der Hand, daß hier nicht selten

"Irrtümer mit Interesse" vorliegen. Denn die Diagnose

l:egt ja entsprechende Therapien nahe: Nicht soziale' Struk- turen, Besitzstände, Herrschaftsverhältnisse, Arbeitsbe-

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(10)

dingungen, materielle Ausstattung usw., sondern Verhaltens- weisen und Einstellungen im Rahmen hergebrachter Grund- strukturen sind das, was es zu verändern gilt. Indern die Bedeutung von Ursache-Wirkungs zusammenhängen zwischen Verhältnissen und Verhalten bestritten oder verschwiegen wird, wird implizit auch nahegelegt, Verbesserungen der Versorgungsqualität mittels Strukturreformen als sinnlos anzusehen. Es geht dann nicht mehr um die Reform des Ge- sundheitswesens, sondern um die Reform von Patient und Personal.

Andererseits besteht aber auch die Gefahr, daß die not- wendige Frontstellung gegen den ursachensubjektivierenden Konservatismus zur Entlastungsideologie verkommt, mit der sich mangelnde individuelle Qualifikation und inhuma- nes Verhalten rechtfertigen läßt. Das beruht jedoch auf dem Mißverständnis dessen, worum es fortschrittlichen Po- sitionen geht:

In einem umfassenden Maßstab wird die Herausbildung und Stärkung medizinisch und pflegerisch qualifizierter und einfühlender Patientenbetreuung nur zu erreichen sein, wenn durch die ökonomischen, personellen und sachlichen Bedingungen entsprechende Motivationen und Verhaltens- weisen gefördert werden. Versorgungsqualität ist nicht eine Frage der "bloß subjektiven Caritas und Humanitäts- orientierung des des personals,,11), sondern ein politisch angehbares Problem. Denn erstens wird "das Verhalten der meisten Individuen dann nicht von irgendwelchen Motiven, Kenntnissen oder Werten geleitet (und ist darüber somit auch nicht steuerbar, H.K.) ••• wofern diese nicht stän- dig durch die· soziale Umwelt bestärkt werden." Und zwei- tens kann "die Umwelt im Wege der Verstärkung Menschen dazu bringen' ( ••• ), eine Gruppe von Motiven, Werten oder Kenntnissen zugunsten einer anderen aufzugeben.,,12)

Da sich Versorgungsqualität zu einem wesentlichen Teil im Verhalten des Personals ausdrückt, erschließt sich aus diesen Zusammenhängen die prinzipielle Konformität von

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- 9 -

Patienteninteresse und dem Interesse der Beschäftigten an verbesserten Arbeits- (sprich: Verhaltens-) Bedingungen.

Die Frage stellt sich nun, ob Patienten für die Durchset- zung dieser Interessen und gegen den ihnen entgegenwirken- den Außendruck mobilisierbar und bündnisfähig sein könn- ten.

Die skizzierte Patientensituation legt hier Skepsis nahe.

Den durch das Kranksein ohn~hin ,ich-geschwächten und ver- einzelten Patienten wird im Krankenhaus kaum gelingen, wozu er oft in der Alltags- und ,vor allem in der Arbeits- welt nicht in der Lage ist und was er dort in der Regel auch nicht erlernt hat: Sich gegen bestehende, seinen Interessen entgegengesetzte Verhälinisse unter Inkaufnah- me eines hohen Sanktionsrisikos zur Wehr zu setzen.

Als eine in dieselbe Richtung wirkende Komponente ver- weist Freidson auf das 'professionell überformte Geschehen

im Krankenhaus: Solange den Ärzten allein unterstellt wird, daß sie aufgrund ihrer Kenntnisse und mit ihren speziellen Techniken den Therapiezweck zu erreichen in der Lage sind, "wird den Patienten aufgrund ihrer Hilf- losigkeit und Ignoranz die Stellung des Untergeordneten zukommen. ,,13) Das wird noch ,in dem Maße verstärkt, in dem die Pflegekräfte dieses professionelle Monopol akzeptie- ren bzw. gezwungen sind, sich seinen Wertmustern unterzu- ordnen.

Gegen die Möglichkeit der Patienten,als institutionsin- terne Stabilisatoren zu fungieren, welche das Versorgungs- ziel gegen Ökonomisierungsdruck behaupten helfen, spricht auch, daß ihnen die beiden hauptsächlichen Vorbedingungen innerbetrieblicher Einflußnahme - Organisierbarkeit und Konfliktfähigkeit - nicht gegeben sind: "Kurze Zugehörig- keit und Begrenzung von Informations- und Kontaktmöglich-' keiten verhindern oder erschweren zumindest die Bildung einer Interessenvertretung; der Krankheitszustand und seine psychische'n Korrelate, die große einsei tige Abhän- gigkeit von den Leistungen der Institution, lassen ein

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(12)

Anwachsen des Konfliktpotentials kaum zu.,,14)

3. Interessenpolitik des Personals und Versorgungsqualität In der folgenden These geht es nun um die Frage, wie sich die Interessenpolitik des Personals im Ergebnis der so- zialökonomischen Entwicklung des Krankenhauses tendenziell gestalten könnte, und in welcher Beziehung sie im Falle ihrer Realisierung zum Versorgungs interesse der Bevölke- rung steht.

These: Von den möglichen Typen der Interessen~Wahrneh­

mung durch das Krankenhauspersonal wird - obgleich noch unterentwickelt - tendenziell die gewerkschaftliche In- teressenpolitik dominant. Der umfassende soziale Maßstab, in dem gewerkschaftliche Politik angelegt ist, wird zu- nehmend zur machtmäßigen Voraussetzung für die Durchset- zung von Beschäftigten-Interessen. Diese Voraussetzung von Gewerkschaftspolitik kann sich aber nur herstellen, wenn Prozesse stattfinden, in denen die Interessen des Krankenhauspersonals mit denen der Gesamtheit der Lohn- abhängigen in übereinstimmung gebracht werden. Dabei

müssen tendenziell solche privaten und berufsständischen . Partialinteressen der im Krankenhaus Beschäftigten zu- rückgedrängt werden, die mit den Versorgungsinteressen dieser Gesamtheit konfligieren. Das bedeutet erstens:

Durch die - weder geradlinig noch rückschlags frei sich durchsetzende - Tendenz zur gewerkschaftlichen Austragung von Arbeitskonflikten k a n n das Krankenhauspersonal zu einem relevanten krankenhauspolitischen Akteur werden;

und zweitens: Die für Gewerkschaftspolitik funktional notwendigen Solidarisierungsprozesse mit den Lohnabhängi- gen insgesamt, die am Krankenhaus keine Beschäftigten- , sondern lediglich Patienteninteressen haben, lenken de- ren politisches Potential auf die Verteidigung und Ver- besserung des Versorgungsziels.

(13)

- 11 -

Einige prinzipielle Bedingungen, an die die Stichhaltig- keit dieser These geknüpft ist, sollen im folgenden skiz- ziert werden.

1.) Der soziale Status. der innerhalb und außerhalb des Krankenhauses Beschäftigten gleicht sich an. Die im Kran- kenhaus vorherrschende Form der Arbeit ist, praktisch nur mit Ausnahme der privatliquidierenden Ärzte und Beleg- ärzte die Lohnarbeit. Bislang muß aber auch noch zwischen der sozialen Lage der angestellten Ärzte und der anderen Beschäftigtengruppen differenziert werden. Dabei kommt es wenierer auf die Höhe des Einkommens an, als auf den Grad der sozialen Abhängigkeit vom Lohneinkommen (Lohn- abhängigkeit) • Dieser nimmt in dem Maße ab, wie die jeder- zeitige Niederlassungsmöglichkei~vorhanden ist. Die Lohn- arbeiter im Krankenhaus, außer in den Privatkliniken,

tauschen llihre Arbeitskraft zwar nicht gegen Geld in der Bestimmung von Kapital, sondern gegen Geld in Revenueform, das als Abzug vom gesellschaftlichen Reichtum nicht dem Zweck der Mehrwertproduktion unterliegt.1l15) Dennoch wird das Arbeitsvermögen in der Weise verwertet, daß für den output mehr lebendige Arbeit verausgabt wird, "als Arbeit

in den Konsumptions- und Gebrauchsgegenständen vergegen- ständlicht ist, die den Beschättigten als Äquivalent für ihr Arbeitsvermögen in Lohn bezahlt werden.,,16) Wie im Kapitalverwertungsprozeß besteht auch hier als Differenz zwischen Gesamtarbeitszeit und llnotwendiger Arbeitszeit ll die llSurplus-Arbeitszeit"; im Unterschied dazu realisiert sich diese Mehrarbeit zum überwiegenden Teil nicht in Mehrwert oder in Profit, sondern in der Einsparung an- sonsten privat anfallender sozialer Kosten.

Der Ökonomisierungsdruck führ·t zur zunehmenden Übertragung von Strategien der Rationalisierung und Intensitätssteige- rung der Arbeit .vom privaten in den öffentlichen Bereich.17

) Dadurch werden die Arbeitsbedingungen des lohnabhängigen Krankenhauspersonals vers~tanden als Gesamtheit der 11in der Arbeit liegenden Verhaltenszumutungen und Entwicklungs- möglichkeitenll sowie der

~eproduktionsbedingungen18)

denen

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in der Privatwirtschaft mehr und mehr angeglichen. Hinzu kommt noch eine zusätzliche Belastung insoweit sich die mit diesen Prozessen einhergehenden Mindererreichungen des Versorgungsziels durch die negative Sanktionierung der Bürger belastend auf das Personai auswirkt.

2.) Die Erfahrungsgrundlagen, die sich aus der Lohnarbei- tersituation im Krankenhaus ergeben, sind in ihrer be- wußtseinsbiluenden Funktion für die interessengeleitete Aktivierung auf das Versorgungsziel sehr ambivalent. Die-

se Ambivalenz ist Ausdruck des besonderen Widerspruchs zwischen der Eigenschaft der Krankenhausleistungen einer- seits in der Form der Lohnarbeit, also tauschwertorientiert vollzogen zu werden und andererseits auf die Erzielung

eines bestimmten gesellschaftlichen Nutzens, eines Ge- brauchswerts hin orientiert zu sein. Für die Beschäftigten

im Krankenhaus in ihrer Eigenschaft als Lohnarbeiter hat die Arbeitskraft Warencharakter. Sie ist die zum Tausch gegen Existenzmittel notwendige Ware und es gilt, sie so lange wir möglich anwendungsfähig und austauschbar zu er- halten. Wie jeder Harenverkäufer, ist auch der Verkäufer der Ware Arbeitskraft prinzipiell auf das Tauschäquivalent hin orientiert und, von daher gesehen, "gleichgültig"ge- genüber Inhalt und Zweck der Arbeit. Diese Gleichgültig ...

keit ist objektiver, struktureller Natur, findet aber auch ihre subjektive Entsprechung im Bewußtsein der Mitgliedet von Warengesellschaften, auch dann, wenn diese - wie das Krankenhauspersonal - keine Waren produzieren, sondern nur Ware (Arbeitskraft) verkaufen und Waren (Lebensmittel) kaufen. Bewußtsein, Verhaltensdispositionen, Wertmuster usw. entwickeln sich nicht vorwiegend als Ergebnis ~es

konkreten Arbeitsprozesses bzw. der "beruflichen Soziali- sation", sondern als, jeweils durch besondere Bedingungen modi~izierter Bestandteil des Lohnarbeiterbewußtseins im gesamtgesellschaftlichen Maßstab.19) Die erwerbswirtschaft- lich organisierte Warengesellschaft produziert ein Bewußt- sein, gemäß dem ein Verhalten dann "richtig" ist, wenn es beim Tausch darauf abzielt, die Eigenleistung in ein

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- 13 -

möglichst günstiges Verhältnis zur Gegenleistung zu setzen.

Dieser ideelle "Grundwert" wird in den alltäglichen Ver- kehrsformen der Warengesellschaft ständig reproduziert.

Wer sei~.Verhalten,. . also auch seine. Einst~llung zur Arbeit als Lohnarbeiter, darauf nicht orientiert, wird negativ sanktioniert. Er wird wirtschaftlich übervorteilt, seine Arbeitskraft wird über Gebühr verschlissen, er wird sozial isoliert ("für blöde gehalt~n") usw. Von daher gesehen

kann also das zunehmende Eindringen von Lohnarbeiterbewußt- sein in das Krankenhaus, besonders bei den patientenbezo- genen ärztlichen und pflegerischen Diensten tatsächlich dem Versorgungsziel entgegenstehen. Was allerdings von Schäfer und Blohmke so blauäugig als lI rap ider Schwund des 'sensus ministerii,"20) beklagt wird, trifft, nach allem, was (et- wa im Vergleich zwischen konfessionellen und städtischen Krankenhäusern) zu beobachten ist, sicher nicht auf die Qualität der Patientenversorgung, sondern auf die Billig- keit der Arbeitskraft zu. Die andere Seite des Widerspruchs liegt jedoch darin, daß der bestmöglich~ Erreichungsgrad des Versorgungsziels im Interesse aller Lohnabhängigen liegt. Nicht zuletzt, weil das der Fall ist, geraten vor allem die Erbringer direkt patientenbezogener Dienste in einen ständigen Konflikt: Wenn sie sich in ihrer Eigenschaft als Mitglieder einer Tauschgesellschaft der ihr gemäßen

marktwirtschaftlichen Moral gegenüber konform verhalten, also ihre Arbeitsleistung nicht primär auf den Nutzen, d.h.

die Patientenbetreuung, sondern primär auf Höhe und Sicher- heit ihres Tauschwerts instrumentalisieren, dann stehen sie im Widerspruch zu anderen gesellschaftlichen Normen, die an sie in ihrer Eigenschaft als Krankenhauspersonal angelegt werden. Diese Normen, die mehr oder weniger ver- innerlicht als lIBerufsethikll 'sich äußern~ verdanken sich dem besonderen Umstand, daß der Arbeitsgegenstand im Kran- kenhaus der kranke Mensch ist. Die daraus resultierenden Konflikte haben letztlich ihre formationsspezifische ge- sellschaftliche Grundlage in dem Widerspruch zwischen der Tauschwertorientierung der Warengesellschaft (und des

;...

(16)

Lohnarbeitsverhältnisses) einerseits und der Gebrauchswert- bezogenheit des, außerhalb der unmittelbaren Kapitalver- wertung stehenden Krankenhaussektors. Darin liegt die mate- rielle Grundlage jener Doppelmoral, wie sie in medizini-

. .

.

. .

sehen Professionen anzutreffen ist. Sie ist nichts anderes als ein spezifischer Ausdruck der bürgerlich-individuali- stischen Verarbeitung des objektiven Konflikts zwischen der allgemeinen Vernunft der Warenbesitzer und der gebrauchs- wertbezogenen Arbeitsethik der Erbringer personeller Dien-

ste am kranken Menschen.

3.) Es wäre nun zu fragen, ob der skizzierte Sachverhalt von Einfluß auf die Bewältigungsform von Arbeitskonflikten sein kann. Formal lassen sich Bewältigungsformen unterscheiden nach der sozialen Dimension, in der stattfinden. Idealty- pisch, ohne Berücksichtigung empirisch vorkommender "Misch- typenn , können beide Ebenen zueinander in Beziehung gesetzt werden:

Soziale Dimension Bewältigungsform

Individuum p~rsönliche Strategien der

Konfliktverarbeitung

Berufsgruppe ständische Interessenpo- litik

,

S~ziale Klasse gewerkschaftliche Inte- ressenpolitik

Eine Voraussetzung für die'Haltbarkeit der These liegt nun darin, daß die angeführten (und weitere ) Faktoren auf eine Transformation der Bewältigungsformen in Rich- .tung gewerkschaftlicher. Interess~npolitikhinwirken.. Die-

(17)

- 15

se Transformation muß ihren Ausdruck in verändertem Be- wußtsein finden und entsprechende Bewußtseinsänderungen sind - wird von der Gesamtheit der Individuen ausgegangen - an Erfahrungen gebunden. Vereinfacht kann ma~ annehmen, daß die massenhafte und dauerhafte Erfahrung der Erfolgs- losigkeit oder Unzulänglichkeit einer Bewältigungsform ein Bewußtsein erzeugt, welches das Handeln auf eine an- dere Bewältigungsform hinlenkt. In der Realität ist eine solche Transformation von gewählten Bewältigungsformen

. . . .

in beide Richtungen, alsö-nach "oben" und nach "untenll beobachtbar. Es besteht also kein Automatismus, der zur gewerkschaftlichen Interessenpolitik führen müßte. über die Entwicklungsrichtung entscheiden die konkreten Erfah- rungen in einer konkreten Konfliktlage mit den konkreten Bewältigungsformen. Werden beispielsweise relevante Inte- ressenbeeinträchtigungen des Krankenhauspersonals nicht in Gewerkschaftspolitik umgesetzt, oder wird diese Umset- zung nicht auf die Erfahrungsebene vermittelt, dann kann das zur Rückwendung auf ständische und/oder individuelle Strategien führen.

Auch krankenhaus spezifische Schranken stehen der Tendenz zur gewerkschaftlichen, an den kollektiven Lebensbedürf- nissen der Bevölkerung orientierten Interessenpolitik ent- gegen. Da ist zum einen die hierarchische innere Struktur, deren repressive Wirkungen allerdings tendenziell dadurch abnehmen könnte, daß sich die Interessen der "nachgeord- neten" Ärzte und des anderen Dienstleistungspersonals in den zentralen Fragen der Arbeitsbedingungen anzunähern beginnen.21 ) Auch die noch immer ausgeprägte Zersplitte- rung in einzelne.Berufsgruppen wirkt sich begünstigend für individualistische und ständische Orientierungen aus;

auch bei gewerkschaftlich organisiserten Teilen der Be- schäftigten. 22

)

Insgesamt kann jedoch von einer langfristig wirkenden

Tendenz zur gewerkschaftlichen Interessenpolitik des Kran- kenhauspersonals ausgegangen werden. Und zwar vor allem

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aufgrund der systematisch abnehmenden Durchsetzungschancen individueller und ständischer B'ewältigungsformen bei zu- gleich wachsendem ProblemdruGk auf die Arbeitssituation:

Das Diktat der ökonomie der kapitalistischen Gesellschaft wird zunehmend durch staatliche Politik im gesamtgesell- schaftlichen Haßstab zum Krankenhaus hin vermittelt.

Eine wirkungsvolle Abwehr der daraus resultierenden Be- lastungen ist auf der Ebene der Berufsgruppe oder durch den Einzelnen immer weniger zu bewältigen. Denn je mehr 'Krankenhauspolitlk - sowohl ökonomisch, als auch sozial-

politisch gesehen - gesamtgesellschaftliche Bedeutung ge- winnt, umso größer wird die Diskrepanz zwischen den inte- ressenpolitischen Erfordernissen der Beschäftigten und dem entsprechenden Durchsetzungspotential berufsgruppen- beschränkter Organisationen und Strategien. Zudem wird es einer Interessenpolitik, die zuvorderst an berufsspe- zifischen Interessen orientiert ist, entgehen, wenn sie Erfolge zu Lasten anderer Gruppen und/oder der Patienten erzielt. Dadurch werden die Legitimationsmöglichkeiten

solcher Organisationen eingeschränkt. Zumal deren "Erfolge"

in der Vergangenheit - wie dies am Beispiel der Arbeits- zeitentwicklung in den 60er Jahren deutlich wird - sich vor allem obje~tiven Bedingungen, (Knappheit der Arbeits- kraft) und nicht organisierter Interessenvertretung ver- danken.

4.) Eine weitere gravierende Tendenz, die in die Richtung wirkt; sowohl den Arbeitskonflikt, als auch dessen Bewäl- tigung auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene zu trans- formieren, besteht in den Vergesellschaftungstendenzen der Reproduktionsbedingungen der lohnabhängigen Bevölke- rung. Die "zunehmende Abhängigkeit der individuellen Le- benschancen.von öffentlichen Dienstleistungen,,23) verstärkt auch den beschriebenen Konflikt zwischen Tauschwertinstru- mentalisierung und Nutzenrealisierung im Prozeß der Kran- kenhausleistung. Dieser Konflikt kann immer weniger über die traditionellen individuellen Verarbeitungsmechanismen

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(19)

- 17 -

bewältigt werden und wird, je mehr er den Einzelnen bela- stet, damit offensichtlich dysfunktional für das Versor- qunqsziel. Die Verinnerlichung der auf der Illusion des

"naiven Individualismus" basierenden bürgerlichen, d.h.

, ,

privaten Berufsethik bewirkt nämlich, daß die aus den öko-

nomisierungsz~änge~sich ergebenden sozialen Unmöglichkei-

~ erlebt werden als individuelles Versagen. Folgen sind dann jene Verhaltensweisen, durch welche die therapiefeind- lichen sozialen Interaktionsmuster in der Krankenhaus-

Patient-Beziehung (s.o.) stabilisiert und forciert werden:

- agressive Konfliktverdrängung, die sich oft in selbstge- rechtem rüdem Verhalten gegenüber dem Patienten äußert;

- "Doppelmoral " i .'S. der Instrumentalisierung berufsethi- scher Versatzstücke zur Legitimation gerade solcher Ver- haltensweisen, die dem Versorgungsanspruch entgegenste- hen. Das ist nicht zuletzt eine ideologische Grundlage für ständische Interessenpolitiki

- erhöhte psychische Belastung in der Arbeitssituation durch ständige Mißerfolgserlebnissei

- Flucht aus der Arbeitssituation (Fluktuation, Berufs- weChsel) .

5.') Die veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen der Be- schäftigten im Gesundheitswesen, sowie auch in den ande- ren Bereichen öffentlich finanzierter und garantierter Sozialleistungen, stellt ihre Interessenpolitik verstärkt in folgenden Zusammenhang: Kollektive, gewerkschaftliche Gegenwehr wird tendenziell nur insoweit erfolgreich sein, wie sie sich auf die Unterstützung der auf diese Dienste angewiesenen stützen kann. Darum ist gewerkschaftliche

Interessenvertretung im Gesundheitswesen auch nur auf den Interessen zu begründen, die die dort Beschäftigten mit den Lohnabhängigen insgesamt gemeinsam haben. Entscheidend für den Zusammenhang von Interessenpolitik und Versorgungs- niveau im Gesundheitswesen ist nun folgendes: In dem not- wendigen großen sozialen Maßstab, in dem Gewerkschaftspo-

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litik nur erfolgreich stattfinden kann, liegt ein selek- tives Moment im Hinblick auf die vertretbaren Forderungen.

D.h., um die notwendige Stärke zu erlangen, müssen auf Pri- vilegien abzielende Forderungen ständischer Art, die mit dem Versorgungs interesse konfligieren, eliminiert werden. Aride- rerseits ist aber auch eine erfolgreiche gewerkschaftliche Organisierung der Beschäftigten im Gesundheitswesen nur möglich, wenn die Gewerkschaftsbewegung als Ganze'die'

nicht-ständischen Beschäftigungsinteressen vertritt. Dazu gehört nicht zuletzt, daß die gewerkschaftliche Politik der Nettolohnsicherung sich weiterhin gegen die Unterneh- mergewinne richtet und nicht ihr kurzfristiges Heil in der Duldung einer "Kostendämpfungspolitik" sucht, die sowohl

zu Lasten der Arbeits- und Einkommenssituation des Kran- kenhauspersonals geht, als sie zugleich keinerlei Elemen-, te in sich birgt, die wenigstens auf die Bewahrung des bis- her erreichten (und erkämpften) Versorgungs standards der Bevölkerung gerichtet sind.

Umgekehrt werden aber der Gewerkschaftsbewegung, soweit sie die Interessen der in den öffentlichen Dienstleistungs- bereichen Beschäftigten in die Interessenpolitik der Ge- samtheit der Lohnabhängigen integriert und mit diesen zu- sammen vertritt, ~amit auch neue und notwendige Handlungs~

möglichkeiten zuwachsen für Abwehr- und Reformstrategien im Gesundheitswesen.

(21)

..~ ..~,.::.:... 1

- 19 -

Anmerkungen:

1) Zu diesem Problem: Petrowsky, W.: Gesundheitsberufe in der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) , in: Kütz,Lüsebrink u.a.: Gewerk- schaften und Medizin 3, Berlin/West 1974, S.135 ff.;

Speziell für eine Berufsgruppe: Leitner-Botschafter,P.:

Zur beruflichen Situation des Krankenpflegepersonals, in: Medizinsoziologische Mitteilungen, (1976), S.96 ff.

2) Vgl.: Kühn,H.: Gesamtwirtschaftlicher Bedingungswan-' del der Krankenhauspolitik, in: Argument-Sonderband 12, Berlin/West, 1976, S.26 ff

3) Dazu: Grauhan,R.;Hickel,R.: Krise des Steuerstaates?, in: Beilage zur Wochenzeitung des parlament (B 46/77)

(1977), S.3 fL

4) Zum Begriff der "ökonomisierung": Kühn,H.: Gesell- schaftliche Bedingungen der Finanzierung professio- neller Gesundheitsleistungen, in: Keupp,H.i Zaumseil, M. (Hrsg.): Die gesellschaftliche Organisierung psy- chischen Leidens, Frankfurt/M 1978, 8.90 ft

5) Behrens,F.: Produktive Arbeit und technische Intelli~,

genz, o. 0. i o. J. ( "Raubdruck "), S. 33

6) Sieqrist,J.: Lehrbuch der medizinischen Soziologie (2.Aufl.), München-Berlin-Wien 1975, S~148

7) Thom,A.iWeise,K.: Medizin und Weltanschauung, Schwertel Ruhr 1973, S.42

8) ebenda

9) Rohde,J.J.: Strukturelle Momente der Inhumanität ei- ner humanen Institution. liber die Situation des Pa- tienten im Krankenhaus, in: Döhner,O. (Hrsg.): Arzt und Patient in der Industriegesellschaft, Frankfurt/M

1973, S. 32 Li

Zur therapeutischen Dysfunktionalität dieser Situa- tion: Engelhardt,K.u.a.: Kranke im Krankenhaus. Gren- zen und Ergänzungsbedürftigkeit naturwissenschaftlich- techriischer Medizin, Stuttgart 1973

10) Freidson,E.: Dominanz der Experten, München-Berlin-

\'1ien ,1 975, S. 45

11) Rohde, J.J.: Der Patient im sozialen System des Kran- kenhauses, in: Ritter-Röhr,D. (Hrsg.): Der Arzt, sein Patient und die Gesellschaft, Frankfurt/M 1975, S.195 12) Freidson,~., a.a.O., S.46 f (Hervorhebung H.K.)

(22)

13) 14) 15)

1 6) 17 )

18 )

1 9 )

20) 21 )

22) 23)

ebenda, S.l25

Siegrist,J.: a.a.O., S.146

Isenberg,H.-G.: öffentlicher Dienst und staatliche Lohnarbeit, in: .Murswieck,A. (Hrsg.): staatliche Politik im Sozialsektor, Hünchen 1976, S.201 ebenda, . S. 200

Dazu: Düll,K.;Sauer,D.: Rationalisierung im öffent- lichen Dienst, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 2/1975, S. 97 ff.; Hoffmann,R.: Entwicklungstenden- zen zur Rolle der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst, in: wie

0.,

S. 85 ff

Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI):

Tarifvertragliehe Regelungen zur Verbesserung indu- strieller Arbeitsbedingungen, Göttingen 1977, S.130 Vgl.: Deppe,F.: Das Bewußtsein der Arbeiter, Köln

1971, bes. das Schema S.177

Schaefer,H.;Blohmke,H.: Sozialmedizin, Stuttgart 1972, 8.257

Dazu: Eiken,M. (M.Regus): Analyse des Ärztestreiks im Herbst 1971, in: Blätter f.dt.u.intern.Politik,

12/1971

Vgl.: Petrowsky,W., a.a.O., S.162 ff.

Sozialpolitik und Selbstverwaltung (WSI-Studie Nr.35) , Projektleitung: E~Standfest, Köln 1977, S.XIV

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