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Platonische Paideia in Deutschland um 1933(1)

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Political Philosophy

Platonische Paideia in Deutschland um 1933

(1)

Teresa Orozco

101607.3317@compuserve.com

ZUSAMMENFASSUNG: Der folgenden Beitrag stellt eine historische Rekonstruktion der Debatte um die platonische Paideia in Deutschland dar, die ihren Höhepunkt mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus erreicht.(2) Der erste Teil ist ein Rückblick auf die Transformation des Platonbildes in der Weimarer Republik. Es folgt eine Skizze der Resonanzverhältnisse um das Thema ‘Platon’ 1933. Im schlußteil diskutiere ich einige Thesen zur hermeneutischen Leistung der Platodeutung und ihrere Wirksamkeit für den Nationalsozialismus.

Die Berufung auf `die Antike' läßt sich in fast allen nachkommenden Gesellschaftsformationen finden. Nur in der geschichtlichen Rekonstruktion der erneuten Lektüren und Reaktualisierungen können die Standpunkte und Interessen dieser Aneignungsformen studiert werden. Eine solche Rekonstruktion stellt sich nicht die Aufgabe, eine `echte' Lektüre gegen ihre Vereinnahmungen, Vereinseitigungen oder gar Fälschungen zu verteidigen. Lediglich den Nachweis des philologischen Mißbrauchs auf die Rezeptionsgeschichte anzuwenden, führt in der Regel dazu, jede philologisch nicht fundierte Lektüre als `unwissenschaftlich' zu indizieren, so daß die Frage nach ihrer historisch-gesellschaftlichen Wirksamkeit - die unabhängig von ihrer philologischen Richtigkeit verläuft -unerforscht bleibt.

Ein Rückblick: Die Transformation des humanistischen Platon-Bildes in der Weimarer Republik.

Die Selbstgleichschaltung der klassischen Philologie setzt einen Schlußpunkt unter die Deutungskämpfe, die in der Weimarer Republik um das Platonbild entbrannt waren. Im klassischen Humanismus war ein Lektüre-Paradigma vorherrschend, das Platon als Dichter, Metaphysiker und Begründer der Ideenlehre deutete. Dagegen machte eine Formation von Philologen und Philosophen(3) Front, die eine "politische Lektüre" propagierten. Im Zuge dieser Deutungskämpfe wurden neue Interpretationsprinzipien entwickelt.(4) a) Der platonische Textkanon wird umgewichtet. Im Mittelpunkt der philologischen Quellenarbeit stehen nicht mehr die Dialoge, Dialogpassagen und Elemente, die die Metaphysik und das Ideenkonzept thematisieren - die Texte also, auf die sich die tradierten humanistischen Platonbilder Schleiermacherscher und Neukantianischer Prägung stützen -, sondern Politeia, Nomoi und der 7. Brief. Diese Akzentverschiebung wird philologisch legitimiert, indem der bis heute in seiner Echtheit umstrittene 7. Brief, die sogenannte politische Biographie Platons, zum authentischen Zeugnis erklärt wird. Platon selbst wird so zum Zeugen für den politischen Charakter seiner Philosophie gemacht. Die Dramaturgie des 7.

Briefes wird in der Regel literarisch re-inzeniert, um die Absetzung des Metaphysikers

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Platon durch den `politischen Menschen' als `einsamen Führer' gegen den Geist seiner Zeit, überzeugender zu gestalten.

b) Die "politisierte" Platon-Lektüre rekurriert auf eine einseitige Interpretation der ungeschriebenen Lehre, - auch als Geheimlehre bzw. esoterische Lehre bekannt, die, wie u.a. der 7. Brief (341a-345e) behauptet, das Wesen der platonischen Philosophie darstelle.

(5) Mit dieser Vereinseitigung werden in erster Linie die Regeln des philologischen Handwerks ausgehebelt und die platonischen Texte, insbesondere die Politeia, durch das am Textmaterial Belegbare hinaus auf einen geheimen Sinn hin gedeutet, in dessen Besitz man sich wähnte. Die Positionen, die einen philologischen Bezug zum Text verteidigen, werden mit dem Vorwurf des "Positivismus" und "Materialismus" entwertet.(6) c) Die platonische Geheimlehre, deren indirekte Überlieferung Gegenstand der Forschung ist, wurde als klares politisches Vermächtnis Platons an `die Deutschen' - die auserwählte Nachfolger `der Griechen' -, gedeutet. Der Gedanke einer exklusiven Verbindung zwischen Griechen und Deutschen, der hier zum Tragen kommt, wirkt als Verstärkungseffekt für die gesamte Antiken-Rezeption. In der sowohl biologistischen, wie kulturrassistischen Formel der `produktiven Aneignung' der Antike liegt ein nicht zu unterschätzender Modernisierungsaspekt. Die Aktualisierung ist dem Konstrukt des `Deutschen' angelegt, welches mit neuen Bedeutungen aufgeladen wird und das nach dieser "Verschmelzungs"- Logik nicht mehr vom `Griechischen' unterschieden werden kann. Im Ergebnis kommt folgendes zustande: je `deutscher' die Kulturentwicklung, desto `griechischer' wird sie sein.

Die symbolische `Germanisierung' des Griechentums hebt die Grenzen einer jeglichen Rückspiegelung auf. Die echte griechische Bildung (Paideia) ist deutsch:

Wenn der Grieche Erziehung sagt, meint er etwas anderes als die übrigen Völker, nämlich eben das, was die deutsche Sprache mit dem sehr griechisch empfundenen Wort Bildung bezeichnet, und es scheint als könne er überhaupt nicht anders denken.(Jaeger 1925, 115)

Insgesamt liegt der Akzent dieser neuen Deutung nicht mehr auf der Konstruktion eines systematischen Gedankengebäudes (Ideenlehre). Stattdessen sollte Platons Verwicklung in die attische Politik den hermeneutischen Schlüssel zu seinen Texten liefern. Seine vermeintliche Biographie wurde mit lebensphilosophischen Kategorien artikuliert - es dominieren politischer `Wille' und die `Entscheidung' Platons zur Neugründung des Staates.

Diese Aufwertung der Platonischen Staatsphilosophie ist in der konservativen Kritik an der Weimarer Republik fundiert. Die neuen Platondeuter - unter ihnen tun sich in der Tradition von Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff, Werner Jaeger(7), Julius Stenzel, Paul Friedländer(8), sowie aus dem George-Kreis Kurt Hildebrandt, Wilhelm Andreae und Kurt Singer hervor - modernisieren unter dem Druck der sozialdemokratischen Bildungsreformen die humanistischen Leitbilder des wilhelminischen Bildungsbürgertums.

Sie werden mit Forderungen der "politischen" Staatserziehung kompatibel gemacht.

Darunter wurde nicht etwa die Erziehung zu mündigen und autonomen Bürgern und Bürgerinnen, zur Teilnahme an den Entscheidungsprozessen des Gemeinwesens verstanden, sondern preußisch-restaurativ, "die Erziehung des Individuums zur Hingabe an den staatlichen Gesamtwillen und zur freiwilligen Einordnung in die organisatorischen Bedürfnisse des Ganzen." (zit.n. Troelsch 1917, 14)

Platons Politeia - selbst philosophische Verarbeitung einer Krise der attischen Polis - bietet Sprachmaterial zur philosophischen Rückspiegelung der Weimarer Krise in die Antike an.

Platons Imaginationen einer restaurativen Neuordnung der attischen Aristokratie zu einem autoritären Erziehungsstaat werden in den Status eines `geistigen Auftrags' gerückt, der noch immer seiner Erfüllung harrt.

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1933: Die Resonanzverhältnisse um Platons Politeia

Der wissenschaftlich dominierende Kanon der Platoninterpretation vor 1933, aus selektierten Stellen der Politeia, der Nomoi und des 7. Briefes bestehend, entfaltet mit dem Aufkommen des NS eine neue Wirksamkeit. Die Untersuchung über die hermeneutische Produktivität, die sich 1933 um das Thema "Platon" einstellt, stößt auf Deutungsprofile, die einen Wiedererkennungseffekt der NS-Gegenwart organisieren. Im Spektrum der Interpretationen wären die Autoren zu unterscheiden, die die Kraft der Anspielung anwenden und dem Leser bestimmte Bedeutungen suggerieren, und diejenigen, die, eingeschrieben in den herrschenden Diskurs über geistige und `rassische' Verwandschaft, zwischen "Griechentum" und "Deutschtum", direkte Parallelen konstruieren, ferner diejenigen, die Platon als Bauchredner sprechen lassen. Bei einer näheren Betrachtung zeigt sich die Ordnung dieser Deutungen nicht als ein willkürliches Nebeneinander. Sie stehen vielmehr im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen und akademischen Positionierung der Autoren wie auch der Adressaten. Eine hierarchisierte Gesellschaft reproduziert die entsprechend abgestuften Formen der Bedeutungsarbeit. Über die Modalitäten der "Politisierung" der Platon-Lektüre findet eine Verständigung statt. An ihr kann man exemplarisch das Distinktionsdispositiv studieren, das eine genauere Bestimmung der innerfaschistischen Verhältnisse im gebildeten Milieu ermöglicht. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werde ich einen Durchgang durch einige repräsenativen Topoi der Politeia-Lektüre machen. Dabei kommen Philosophie-Ordinarien, Gymnasiallehrer, Oberstudienräte und freiberufliche Philosophen zu Wort. Aus dieser umfasende Studie, führe ich nur einige Texte vor, die exemplarisch der Umgang mit der platonischen Paideia zeigen.

Die Paideia der Wächter des Staates

Der platonische Topos der Wächtererziehung (Politeia 376c-414b) bildet den Kern der meisten Platon-Interpretationen. Er stellt eine Vielfalt von Anknüpfungspunkten bereit, die das Interesse an der Politeia bündeln. Hier finden die NS-Diskurse um Schönheit, Gesundheit, Rasse und Herrschaft ihren ideellen Ausdruck. Die geglückte Paideia steht für die Herausbildung des inneren Staates, der sich im Spiegel der staatlichen Ordnung in der Seele konstituiert. Eine Anmerkung Hildebrandts zur Erziehung der Wächter bringt es auf den Punkt:

"Diese gegenseitige Klärung von Staat und Mensch, weil die Seelenteile des Menschen den Ständen im Staate entsprechen, ist im Methodischen der Leitgedanke der `Politeia'. (...) Platon vergleicht nicht nur, sondern er erforscht die Wesensgleichheit: sein Staat ruht auf der menschlichen Seele, ist seelisches Gebilde. Für das was wir heute den totalen Staat nennen, gibt es keine vollkommenere Darstellung als Platons `Politeia'." (Hildebrandt 1933b, 364)

In Fritz Bucherers Rezension des Aufsatzes von Alfred Rusch Plato als Erzieher zum deutschen Menschen (1933) liest sich die Politeia wie ein Werbekatalog für die Erziehung der NS-Jugend. Rusch hebe alles hervor, was für die "deutsche Jugend" wegweisend sein soll:

"die Überwindung des Individualismus der Sophisten, die Einordnung der Erziehung in den Staat, die körperliche Ertüchtigung, die auch zur Erziehung der Seele führt, die Notwendigkeit der inneren Umwandlung als Vorbedingung der äußeren Organisation, die Gedanken des Führertums und der Erbmasse" (Bucherer 1934, 3).

Alfred Baeumler, bekannt für seine Philosophie der Leibesübungen, rückt in seiner Ästhetik (1934a) Platons musisch-gymnastische Erziehung in den Vordergrund:

"Das ist der Zweck der musischen Erziehung ...: im Verein mit der gymnastischen soll sie die kriegerische (muthafte) und philosophische Anlage des jungen Mannes so lange entwickeln, bis beide in der gehörigen Übereinstimmung sind" (Baeumler 1934a, 6).

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Platon fördere die Musik für die Wächter: "Nicht weil er `die Kunst' für ein Bildungsgut hält, sondern deshalb, weil er die Musik für ein notwendiges Mittel der Aufzucht hält".

Dabei würde "der Jüngling" lernen, "richtig zu lieben und zu hassen, ohne zunächst den Grund angeben zu können." (Ebd.) Weniger feinsinnig als Baeumler wird eine Parallelführung Goebbels/Platon von Oberstudienrat Kurt Sache, geboten:

"`Schöpferische Synthese aus Kraft und Geist, wie es Reichsminister Dr. Goebbels in Stuttgart rief, sei die Parole der neuen deutschen Schule, im Sinne Platons: Harmonie zwischen Gymnastik und geistiger Tätigkeit." (Sachse 1933, 79f)

Auf die Übernahme platonischer Prinzipien in einem breiten Spektrum der NS- Organisationen weist Ernst Krieck (1933, I) in der Einleitung zu seinem Buch Musische Erziehung hin:

"Keiner aber hat so tief um die Gewalt des Musischen gewußt wie Platon, der uns hier erneut zum Lehrer werden kann. Für die Erziehung in den Bünden, in der Staatsjugend, in der Reichswehr, in den Wehrverbänden der SA, der SS und des Stahlhelm ist die musische Erziehung zur Notwendigkeit geworden." (Krieck 1933, I)

Ein Vexierbild: Adolf Hitlers "Kampf um die Macht" in Platons politischer Biographie

1933 schreibt Kurt Hildebrandt die Einleitung zur Kröners Taschenausgabe der Politeia (übersetzt von August Horneffer), die 1939 und 1943 wiederaufgelegt wurde. Hier arbeitet Hildebrandt eine Platon- Biographie aus, die durch Motive aus Hitlers Mein Kampf und seiner späteren Entwicklung strukturiert wird. Hier nur einige Beispiele.

Nachdem er die viel zitierten Sätze Hitlers über die Bedeutung des Studiums der Antike (Mein Kampf, S.467f) für sein Projekt mit den Worten lobt: "Diesen Sätzen ist keine Silbe abzuziehen und keine hinzuzusetzen" (Hildebrandt 1933b XI), beginnt Hildebrandt mit der Darstellung des Leidenswegs und der glücklichen `Machtergreifung' Platons. Anders als Joachim Bannes, der in seinem Text Platons Staat und Hitlers Kampf (1933) offen eine Parallele baut, arbeitet Hildebrandt die Ähnlichkeit der beiden politischen Biographien so heraus, daß einen Effekt des Erstaunens bei zeitgenössischen Lesern und Leserinnen hervorgerrufen werden sollte. Die erste Station ist der Erfahrung des Krieges:

"Seine Jugend (Platons, to) fiel zusammen mit dem Peloponnesischen Kriege, diesem furchtbaren Zusammenbruch des bis dahin so herrlich organisch-wachsenden Griechentums, die uns an die europäische Katastrophe unseres Weltkrieges gemahnt." (Hildebrandt 1933b, XI)

Sich in die Leser von Platons Dialog Gorgias hineinversetzend, evoziert er die Reden Hitlers gegen den "Versailler Vertrag":

"Was aber mögen sie (die Athener, to) empfunden haben, wenn Platon - da eben die Diäten für die Volksversammlung wieder eingeführt sind - ihnen ins Gesicht sagt, Perikles habe die Athener zu Söldlingen, zu einem faulen, feigen, geschwätzigen, geldgierigen Volke gemacht.

(Wer denkt dabei nicht an den modernen Parlamentarismus?)." (Ebd., XVIII)

Statt sich an "die Gelehrten seiner Zeit" (ebd., XIV) zu wenden, gewandt sich Platon an die Jugend, denn "nur aus dem Eros der Jugend können ihm die Führer erwachsen, die das neue Volk gestalten." (XV) Hitlers Opferstilisierung als `verhinderter Patriot' bekommt bei Platon auch einen Platz zugewiesen: "Offenbar spürte man, daß durch Platon der Sokratische Geist den Staat revolutionierte, man hemmte seine Bewegung und versuchte sie lächerlich zu machen." Dennoch triumphiert Platon: "Damals die Erbitterung, daß er keine Gefolgschaft fand, jetzt das seelige Bewußtsein, daß in der Seele des schöpferischen Heros das Weltall sich aufbaut." (Ebd., XXIV)

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Es wäre sicher einfach, diese Deutungen mit dem Argument des Mißbrauchs platonischen Materials abzutun, ihre Wirkungsweise kann damit jedoch nicht begriffen werden. Sie waren eine Stimme im Gewirr, die den frisch an die Macht gekommenen NS im Lichte einer antiken Vorsehung sahen. Die Frage, welche politische Kraft dem Modernisierungsprojekt der Nazis über dessen scheinbar paradoxe Reinszenierung im griechischen Gewand zugewachsen ist, wird allmählich erforscht.

Thesen

Eine der herausragendsten und modernsten Leistungen der Platondeutungen war für den NS, daß sie die Zustimmung für die "Neugründung des Staates" über die Popularisierung des elitären Erhabenheitsgefühls, das historisch das Privileg einer gebildeten Klasse war, motivieren konnten. Die entscheidende Strategie dabei war, daß die Erfahrung des Elitären von ihren bürgerlichen distanzierten Ausdrucksformen entkoppelt und an militarisierte und heroische Muster angelehnt wurde. Die Ausarbeitungen der platonischen Paideia heben gegen ein aufklärerisches Gebildetenmodell die männlichen `griechisch-deutschen' Tugenden der Wehrfähigkeit, der heroischen Lebenshaltung, der Todesbereitschaft, der dezisionistischen `Entscheidung', der Bekämpfung des `sophistischen' Feindes und der Bejahung `ungeschriebener Gesetze', hervor. Diese Militarisierung ist nicht abhängig von einer äußeren Befehlstruktur, sondern setzt auf Individuen, die die Sorge um den `inneren Staat' freiwillig vollziehen. Im Modell der idealen Staatsbürger als Wächter des Staates werden die Schleusen für eine heroische Subjektivität beiderlei Geschlechts aufgemacht, die sich außerhalb des Elfenbeinturmes formieren kann, ohne die Rangordnung zu gefährden. Der Gesellschaftsentwurf der Politeia stellt die Orte bereit, in denen sich sowohl die `Führung' wie die `Gefolgschaft' unausgesprochen wiedererkennen kann. Genauer betrachtet, finden in der Vertikale nicht nur die geführten Führer und Führerinnen den ihnen zugeschriebenen Platz, sondern ebenso die Führer der Führung (die Geisteselite in der Sondergestalt des Philosophen) und vor allem die Staatsfeinde. Die immer wieder zitierte Parole aus der Politeia "das Seinige tun" (Politeia 433a) formuliert den ideologischen Auftrag, sich freiwillig der Herrschaftsordnung zu unterstellen. Vor dem Hintergrund der rassistischen Fundierung des NS, die die sozialen Gegensätze in eine biologistische Rangordnung transformiert, wird die Emanzipation von Herrschaft als naturwidrig deklariert und somit undenkbar gemacht.

Vom ideologietheoretischen Standpunkt aus wäre das Spezifische der Platoninterpretationen, daß die von ihnen konstituierten militarisierten "Lebensführungs"- Konzepte, darauf angelegt waren, größeren gesellschaftlichen Gruppen, vor allem der Jugend, eine Elite-Imagination zu vermitteln, die sie unabhängig von ihrem real subalternen gesellschaftlichen Ort an einer höheren Ordnung partizipieren läßt.

Dieses Faktum unterscheidet die Welt der Antike radikal von der der faschistischen Gegenwart. Bei Platon handelt es sich um einen Diskurs, der sich ausschließlich an die herrschenden Klasse Athens wendet. Die reale Einbindung in hierarchische Rituale einer freiwilligen Unterwerfung wird im NS-Alltag von diesem Egalitarismus des Elitären als Erlebnis organisiert. In der Aufbruchsphase des NS gilt als unmittelbarer Garant für dieses Erlebnis der Evidenz-Charakter des erbbiologischen Rassismus, welcher in seiner primitiven Form das Fundament einer ideologisch überformten `Gleichheit' konstituiert, indem er von der Fiktion einer "Volksgemeinschaft" ausgeht, die alle Menschen, die zu der Zeit einen "Ariernachweis" besitzen konnten, vom Rest der Welt als auserwählte

`Nachfolger der Griechen' aussonderte.

Ohne die ideologische Konstruktion der rassistischen Achse Griechentum-Deutschtum sind die "Nackten und die Toten des `Dritten Reiches'" (Klaus Wolbert) nicht zu denken. Die Rückprojizierung des Neuen in die platonische Ordnung zeigte sich fähig, eine Art déjà-vu-

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Erlebnis zu gestalten, das den gewalttätigen NS-Verhältnissen im Medium der Klassik einen Hauch von heroischer Größe verlieh.

NOTES

(1) Diesen Beitrag ist eine verkürzte Fassung meines Artikels Die Platon-Rezeption in Deutschland um 1933. Erschienen in: "Die Besten Geister der Nation. Philosophie und Nationalsozialismus." Hrsg. von Ilse Korotin. Wien 1994. S. 141-185. Hier finden sich alle bibliographischen Referenzen.

(2) "1933" umfasst die Phase der Machteinsetzung der faschistischen Herrschaft bis zur Konsolidierung, die ihren Höhepunkt in der Olympiade 1936 hat.

(3) In diese Hauptfront ist das Gerangel zwischen Philologen, Philosophen und Dichtern um den Vorrang bei der Platoninterpretation eingelassen (siehe dazu Hildebrandt 1930 und Jaeger 1928). Dies verkompliziert die Auseinandersetzung zusätzlich.

(4) Grundlage dieser knappen Darstellung sind Berichte über die Platonforschung aus jener Zeit, die im Detail ein differenzierteres Bild zeigen.

(5) Zu der bis heute ungeklärten Frage, ob die Biographie echt oder eine Fälschung ist, und zu dem bis heute andauernden Streit um die Existenz der geheimen Lehre Platons, braucht hier nicht Stellung bezogen zu werden. Hier interessiert in erster Linie ihre Funktion bei der Außerkraftsetzung philologischer Handwerksregeln. In dem von Jürgen Wippern herausgegebenen Band Das Problem der ungeschriebenen Lehre Platons (1972) finden sich eine Reihe von Beiträgen, in denen sich die Rekonstruktionsversuche auf einer weitaus komplexeren Quellengrundlage studieren lassen.

(6) Der philologische Skandal dieser Interpretation sei hier betont. Platons Wunsch, seine Lehre ungeschrieben zu lassen ist als Vorsichtsmaßnahme gegen die Gefahr ihrer Entstellung formuliert. Es wird kritisch reflektiert, welche törichten Haltungen sich bei denjenigen ergeben würden, die sich in dem Besitz einer solchen Lehre wähnten.

Nichtsdestotrotz ist das Konzept von "Lebensführung" durch Philosophie (7. Brief, 340d) auf die Bildung von Eingeweihten-Kreisen angelegt. Vgl. 7. Brief, 341d-342a)

(7) Über den Fall Werner Jaeger vgl. Orozco 1995 S. 81-85.

(8) Hans-Georg Gadamer (1985, 91 u. 130) ordnet seinen Lehrer Friedländer so ein.

Allerdings reüssiert Friedländer im NS nicht. Die Zeitschrift Gnomon (1936, 112) teilt mit:

"Der ord. Professor für klassische Philologie an der Universität Halle Dr. Paul Friedländer ist von seinen amtlichen Verpflichtungen entbunden worden." Friedländer emigriert nach einer Haft im Konzentrationslager 1939 in die USA. (Vgl. von Brocke 1986, Historische Zeitschrift 234, 129)

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